OGH 3Ob165/13f

OGH3Ob165/13f8.10.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am 28. Dezember 2012 verstorbenen, zuletzt in *****, wohnhaft gewesenen ***** B***** V*****, geboren am *****, Testamentserbe: Dr. E***** V*****, vertreten durch Dr. Peter Zdesar, öffentlicher Notar in Villach, über den Revisionsrekurs des Noterben P***** M*****, vertreten durch Dr. Christoph Lassmann-Wichtl, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 23. Mai 2013, GZ 2 R 86/13v‑23, mit dem der Rekurs des Noterben gegen den Einantwortungsbeschluss des Bezirksgerichts Villach vom 15. März 2013, GZ 15 A 18/13z‑16, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs des Noterben wird nicht Folge gegeben.

Begründung

***** B***** V***** ist am 28. Dezember 2012 verstorben. Sie hinterließ ihren Ehegatten und einen Sohn (im Folgenden: „Sohn“ bzw „Noterbe“). In ihrem handschriftlichen Testament vom 28. September 2007 hatte sie ihren Mann als Alleinerben eingesetzt und darauf hingewiesen, dass ihr Sohn bereits zu Lebzeiten sein Erbe erhalten habe und diesbezüglich eine Verzichtserklärung betreffend seinen Pflichtanteil beim Notar hinterlegen werde. Der Ehemann gab mit Schriftsatz vom 31. Jänner 2013 aufgrund des Testaments zum gesamten Nachlass die unbedingte Erbantrittserklärung ab.

Im Verlassenschaftsverfahren wurden vom Urkundenerrichter zwei Notariaktsakte vom 1. Dezember 2007 und vom 2. Oktober 2009 vorgelegt. In dem als „Pflichtteilsverzichtsvertrag“ überschriebenen Notariatsakt vom 1. Dezember 2007 verzichtete der Noterbe für sich und seine Nachkommenschaft auf das ihm künftig nach seiner Mutter (und auch seinem Stiefvater, dem nunmehrigen Testamentserben) zustehende gesetzliche Pflichtteilsrecht. In Punkt II. ist angeführt, dass die (bei der Errichtung des Notariatsakts nicht anwesende) Mutter diesen Pflichtteilsverzicht des Sohnes in einer gesonderten Annahmeerklärung annehmen wird. In dem mit „Annahmeerklärung“ überschriebenen Notariatsakt vom 2. Oktober 2009 nimmt die ‑ allein vor dem Notar anwesende ‑ Mutter die von ihrem Sohn am 1. Dezember 2007 abgegebene Pflichtteilsverzichtserklärung rechtsverbindlich an.

Nach dem Inhalt des Verlassenschaftsaktes wurde dem Noterben jeweils eine Abschrift des Testaments vom 28. September 2007, des Pflichtteilsverzichtsvertrags vom 1. Dezember 2007 und der Annahmeerklärung vom 2. Oktober 2009 übermittelt (siehe Bestätigung ON 17). Weiters wurde ihm die Einantwortungsurkunde vom 15. März 2013 (ON 16) zugestellt. Im Übrigen wurde er der gemäß § 3 GKG AußStrG im schriftlichen Weg mit dem Erbenmachthaber durchgeführten Verlassenschaftsabhandlung nicht beigezogen.

Mit dem Einantwortungsbeschluss vom 15. März 2013 hat das Erstgericht die Verlassenschaft zur Gänze dem Witwer eingeantwortet.

Das Rekursgericht wies den Rekurs des Noterben zurück, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und ließ den Revisionsrekurs zu. Der Noterbe sei dem Verfahren gemäß § 767 Abs 1 ABGB nicht beizuziehen, weil er wirksam sowohl auf sein Erbrecht als auch sein Pflichtteilsrecht verzichtet habe. Insbesondere könne keine Rede davon sein, dass das Anbot zur Annahme des Pflichtteilsverzichts durch Zeitablauf erloschen sein könnte, zumal keine Notwendigkeit einer umgehenden Annahme bestanden habe.

Der Revisionsrekurs sei im Hinblick auf das Fehlen höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage zulässig, in welchem Zeitraum das Anbot eines Pflichtteilsverzichts anzunehmen sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Noterben aus dem Revisionsrekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf ersatzlose Aufhebung des erstinstanzlichen Aufhebungsbeschlusses. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Der Testamentserbe beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Der Noterbe bringt in seinem Rechtsmittel zusammengefasst vor, dass er zu Unrecht dem Verlassenschaftsverfahren nicht beigezogen worden sei. Der Pflichtteilsverzicht sei ungültig, weil der entsprechende Vertrag nicht in Anwesenheit beider am Rechtsgeschäft beteiligter Personen abgeschlossen worden sei. Darüber hinaus wäre die Annahme der Pflichtteilsverzichtserklärung durch die Mutter nicht innerhalb angemessener Frist erfolgt. Schließlich sei die Annahmeerklärung dem Anbieter vor dem Ableben der Erblasserin nicht zugekommen.

Dazu wurde erwogen:

1. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 6 Ob 153/10h ausführlich dargelegt, dass auch nach der aktuellen Rechtslage (nach dem Inkrafttreten des AußStrG 2005, BGBl I 2003/111) die dem Verlassenschaftsverfahren nicht beigezogenen Noterben ‑ im Umfang ihrer verfahrensrechtlichen Stellung ‑ zum Rekurs gegen den Einantwortungsbeschluss legitimiert sind (zustimmend Fucik/Neumayr , Die Parteien des Verlassenschaftsverfahrens, iFamZ 2012, 139 [142 f]).

2. Unter den pflichtteilsberechtigten Personen sind nur jene zu verstehen, die im konkreten Fall tatsächlich pflichtteilsberechtigt sind, ohne Rücksicht darauf, ob sie an sich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen als Noterben in Betracht kommen könnten (RIS-Justiz RS0012855). Wer auf seinen Pflichtteil verzichtet hat, gehört nicht mehr zum Kreis der Noterben (6 Ob 185/04f = SZ 2004/153 zur Rechtslage nach dem AußStrG 1854).

Zumindest dann, wenn die Wirksamkeit eines Pflichtteilsverzichts in Zweifel gezogen wird, muss aber demjenigen, der die Verzichtserklärung abgegeben hat, im Verlassenschaftsverfahren Gelegenheit zur Bescheinigung gegeben werden, dass sein Verzicht unwirksam ist (in diesem Sinn auch 2 Ob 229/09d = SZ 2010/69).

3. Der Rechtsmittelwerber hat allein rechtliche Gründe geltend gemacht, warum seine Pflichtteilsverzichtserklärung nicht wirksam geworden sei. Daher ist dem Rekursgericht zu folgen, dass von der Rechtsmittelinstanz zu klären ist, ob dem Rechtsmittelwerber als Noterbe Parteistellung im Verlassenschaftsverfahren zugekommen wäre.

Zutreffenderweise hat das Rekursgericht eine solche Parteistellung des Rechtsmittelwerbers verneint.

3.1. Die Rechtsprechung verlangt für die Wirksamkeit eines Pflichtteilsverzichts (§ 767 ABGB) die Einhaltung der Formvorschriften nach § 551 Satz 2 ABGB (RIS-Justiz RS0013794, RS0012320). Demnach bedarf der Verzichtsvertrag zu seiner Gültigkeit der Aufnahme eines Notariatsakts oder der Beurkundung durch gerichtliches Protokoll.

3.2. Die überwiegende Lehre (siehe die Nachweise bei W. Tschugguel , Muss der Erbverzichtsvertrag in gleichzeitiger persönlicher Anwesenheit der Vertragsparteien geschlossen werden? iFamZ 2010, 163; aA nur Weiß in Klang 2 III 189) vertritt ganz überzeugend die Ansicht, dass auch beim Pflichtteilsverzichtsvertrag die getrennte Abgabe von Vertragsanbot und Vertragsannahme zulässig ist (ebenso Eccher in Schwimann/Kodek 4 § 551 Rz 8 mit Hinweis auf OLG Wien 13 R 199/94). Es ist nicht ersichtlich, welcher Zweck eine gleichzeitige Anwesenheit der Vertragsparteien bei der Errichtung des Notariatsakts erfordern würde. Auch bei der ‑ ebenfalls notariatsaktpflichtigen ‑ Übertragung von Geschäftsanteilen an einer GmbH besteht kein Zweifel, dass eine Zerlegung in in zwei Notariatsakte ‑ Anbot und Annahme ‑ zulässig ist (RIS-Justiz RS0112377).

3.3. Der Vertrag über den Erbverzicht (und damit auch der Pflichtteilsverzichtsvertrag) folgt grundsätzlich den Regeln über lebzeitige Verträge ( Eccher in Schwimann/Kodek 4 § 551 Rz 4).

Der Offerent kann gemäß § 862 Satz 1 ABGB die Annahmefrist und damit die Dauer der Bindung an das Offert grundsätzlich frei festlegen (7 Ob 19/77 = SZ 50/69; Bollenberger in KBB 3 § 862 Rz 3). Im vorliegenden Fall hat der Offerent keine zeitliche Grenze gesetzt, sodass sich die Frage stellt, ob das Fehlen einer zeitlichen Grenze gewollt ist (dann kommt § 862 Satz 1 ABGB zur Anwendung) oder ob diesbezüglich eine Vertragslücke vorliegt, die entsprechend § 862 Satz 2 ABGB zu füllen ist. Angesichts des Umstands, dass im Text explizit darauf hingewiesen wird, dass die Mutter den Pflichtteilsverzicht „in einer gesonderten Annahmeerklärung annehmen wird“, ohne dass eine Frist gesetzt wird, kann eine Vertragslücke nicht angenommen werden; vielmehr ist keine zeitliche Grenze für die Annahme der Verzichtserklärung gesetzt.

Demnach hat die Erblasserin die Verzichtserklärung ihres Sohnes wirksam angenommen.

3.4. Die Annahme des Offerts muss dem Offerenten zugehen (§ 862a ABGB; RIS-Justiz RS0014094). Unzweifelhaft ist dies im Zuge des Verlassenschaftsverfahrens geschehen.

Der Rechtsmittelwerber macht die Wirksamkeit des Zugangs davon abhängig, dass die Annehmende zum Zeitpunkt des Zugangs ihrer Erklärung noch am Leben war. Dafür, dass § 862 und § 862a ABGB eine entsprechende Voraussetzung normieren, gibt es allerdings keine Anhaltspunkte. Die genannten Bestimmungen knüpfen an den wirtschaftlichen Aspekt von Angebot und Annahme ab, nicht auf die beteiligten Personen und die Tatsache, dass sie bis zur Finalisierung des Vertragsschlusses am Leben bleiben. Es gibt auch keine Hinweise darauf, dass die Parteien ihrem Pflichtverzichtsvertrag zugrunde gelegt haben, dass er nur dann wirksam sein soll, wenn die Annahme des Angebots des Rechtsmittelwerbers durch seine Mutter dem Sohn noch vor ihrem Tod zugeht.

4. Folglich ist infolge wirksamen Pflichtteilsverzichts von einer fehlenden Parteistellung des Rechtsmittelwerbers als Noterben im Verlassenschaftsverfahren auszugehen, weshalb seinem Revisionsrekurs gegen die Zurückweisung seines Rekurses nicht Folge zu geben ist.

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