European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E122796
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
1. Beide Rekurse werden zurückgewiesen.
2. Die Schriftsätze vom 29. März 2018 und vom 10. April 2018 werden als Ergänzungen der Rechtsmittelschriften zurückgewiesen.
3. Die Kosten werden gegeneinander aufgehoben.
Begründung:
Zum ersten Rechtsgang ist auf die Entscheidung 7 Ob 80/13k zu verweisen.
Die Klägerin erhebt eine Stufenklage zur Durchsetzung von Unterhalt.
Der Beklagte wendet Verwirkung des Unterhaltsanspruchs ein.
Das Erstgericht, das die Verhandlung auf den Grund des Anspruchs (Verwirkung) einschränkte, gab mit Teilurteil dem Rechnungslegungsbegehren statt.
Das Berufungsgericht behob über Berufung des Beklagten diese Entscheidung aufgrund der Einschränkung des Verfahrens wegen Verfahrensmangels, prüfte die vom Erstgericht verneinte Frage der Unterhaltsverwirkung umfassend und bestätigte insofern die Ansicht des Erstgerichts. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ es wegen fehlender Rechtsprechung zur Frage zu, ob Verwirkung in Zusammenhang mit den spezifischen tatbestandlichen Voraussetzungen wie jener der RICO‑Klage in den USA, nämlich des notwendigen Vorwurfs strafbarer Handlungen, vorliegen könne, was zu einer Teilabweisung des Rechnungslegungsbegehrens führen müsste.
Dagegen richten sich die Rekurse der Klägerin, die eine Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung anstrebt, und des Beklagten, der eine Abweisung des Klagebegehrens beantragt und hilfsweise Aufhebungsanträge stellt.
In ihren Rekursbeantwortungen streben die Parteien jeweils die Zurückweisung des Rechtsmittels der Gegenseite hilfsweise dessen Verwerfung an.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 526 Abs 2 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage ab. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§§ 528a iVm 510 Abs 3 ZPO):
1. Zum Rekurs der Klägerin:
1.1. Nach einhelliger jüngerer Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0122058) erfordert der dem Unterhaltsberechtigten im Unterhaltsstreit ehemaliger Ehegatten zustehende Anspruch auf Rechnungslegung, der Voraussetzung für die Erhebung einer Stufenklage nach Art XLII Abs 1 erster Fall EGZPO ist (RIS‑Justiz RS0034986), neben dem Nachweis, dass der Unterhaltsanspruch dem Grunde nach zu Recht besteht und dass der Unterhaltsberechtigte mit erheblichen Schwierigkeiten bei der Bezifferung eines bestimmten Klagebegehrens konfrontiert ist, auch, dass die Auskunftserteilung dem Verpflichteten zumutbar ist (RIS‑Justiz RS0122058; vgl auch RS0106851). Allein die Verneinung der Verwirkung des Unterhaltsanspruchs reicht daher zur Bejahung des Rechnungslegungsanspruchs nicht. Gegenteiliges ist auch der Entscheidung 7 Ob 80/13k nicht zu entnehmen.
1.2. Davon ausgehend hat der Beklagte in seiner Berufung die Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens wegen Fällung einer Entscheidung über das gesamte Rechnungslegungsbegehren trotz Einschränkung des Verfahrensgegenstands geltend gemacht, welche vom Berufungsgericht vertretbar bejaht wurde.
Die ZPO kennt nämlich grundsätzlich keine stillschweigenden Prozesshandlungen und Entscheidungen (RIS‑Justiz RS0036551; speziell zur Beschränkung des Verhandlungsgegenstands HöllwerthinFasching/Konecny 3 II/3 § 189 ZPO Rz 2). Ausnahmen sind nur anerkannt, wenn aus einem positiven Verhalten des Gerichts ganz unzweifelhaft sein Entscheidungswille hervorgeht (vgl 6 Ob 113/98f; 9 Ob 5/02d; RIS‑Justiz RS0036654), was hier nicht der Fall ist.
2. Zum Rekurs des Beklagten:
Auch der umfangreiche Rekurs des Beklagten zeigt keine entscheidungsrelevante, erhebliche Rechtsfrage auf:
Die Klägerin macht Unterhaltsansprüche ab 1. 10. 2010, also sowohl für die Zeit aufrechter Ehe als auch ab 1. 7. 2011 nach der Scheidung geltend. Der Beklagte hält dem Verwirkung entgegen:
2.1. Nach § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB besteht ein Unterhaltsanspruch auch nach der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts zugunsten des bisher Unterhaltsberechtigten weiter, sofern nicht die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs, besonders wegen der Gründe, die zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts geführt haben, ein Missbrauch des Rechts wäre.
Bei der Beurteilung, ob Rechtsmissbrauch in diesem Sinn vorliegt, sind stets die Umstände des Einzelfalls maßgeblich (RIS‑Justiz RS0009766 [T4 und T9]; 5 Ob 177/09d). Voraussetzung ist neben dem objektiven Gewicht der Verhaltensweise auch die subjektive Verantwortlichkeit, sohin Verschulden an der Eheverfehlung (RIS‑Justiz RS0005919 [T3 und T4]). Es soll der Zuspruch von Unterhalt verhindert werden, wenn der Berechtigte eklatant gegen eheliche Gebote verstößt, also schuldhaft die gebotene eheliche Gesinnung fehlen lässt, und ein solcher Verstoß nach dem objektiven Gerechtigkeitsempfinden aller vernünftig denkenden Menschen mit dem Zuspruch von Unterhalt unvereinbar ist (RIS‑Justiz RS0117457; RS0009726). Nur besonders krasse Fälle rechtfertigen also die Annahme einer Unterhaltsverwirkung des betreffenden Ehegatten (3 Ob 192/11y; RIS‑Justiz RS0009759). Von einer solchen Unbilligkeit kann bei einem beiderseitigen Verschulden nicht gesprochen werden (RIS‑Justiz RS0009759 [T32]). Das Verhalten des unterhaltspflichtigen Ehegatten darf bei dieser Beurteilung nämlich nicht vernachlässigt werden (RIS‑Justiz RS0009766 [T2]).
2.2. Gemäß § 74 1. Fall EheG verwirkt der Berechtigte den Unterhaltsanspruch nach Ehescheidung, wenn er sich nach der Scheidung einer schweren Verfehlung gegen den Verpflichteten schuldig macht.
Die Unterhaltsverwirkung nach dieser Bestimmung setzt unter Berücksichtigung aller objektiven und subjektiven Umstände eine besonders schwerwiegende, das Maß schwerer Eheverfehlungen iSd § 49 EheG übersteigende Verfehlung gegen den früheren Ehegatten voraus, sodass dem Verpflichteten die Unterhaltsleistung für alle Zukunft nicht mehr zumutbar ist (RIS‑Justiz RS0078153). Es kommt auf die der Verfehlung zugrunde liegende Gesinnung sowie auf die Auswirkungen auf die Interessensphäre des Unterhaltspflichtigen an (vgl RIS‑Justiz RS0078153 [T5]). Die Verwirklichung des objektiven Tatbestands einer „schweren Verfehlung“ genügt nicht, es muss auch ein Verschulden vorliegen (RIS‑Justiz RS0057404). Die Beweislast trifft den Unterhaltspflichtigen (RIS‑Justiz RS0057400).
2.3. Die Erstattung einer Anzeige durch den Unterhaltsberechtigten gegen den Unterhaltsverpflichteten kann zur Verwirkung des Unterhaltsanspruchs nach § 74 EheG führen, wenn sie nicht in Wahrung berechtigter eigener Interessen, sondern im vollen Bewusstsein, die Interessen des Verpflichteten zu beeinträchtigen, erstattet wird (RIS‑Justiz RS0057429). Bei Ehrverletzungen, falschen Anschuldigungen und Verstößen gegen ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse durch Verbreitung vertraulicher Tatsachen sind als Kriterien für die Erfüllung des Verwirkungstatbestands die dem Verhalten zugrundeliegende Gesinnung, die Art und das Gewicht der erhobenen Vorwürfe sowie die Art ihrer Weitergabe und deren Auswirkungen auf die Interessensphäre des Unterhaltspflichtigen anzusehen. Nicht schon objektiv unrichtige, sondern nur bewusst wahrheitswidrige Anschuldigungen können zur Unterhaltsverwirkung führen (RIS‑Justiz RS0078153 [T5 und T8]; RS0057374; 3 Ob 90/07t). Objektiv unzutreffende Beschuldigungen sind nur dann rechtswidrig, wenn entweder damit der Rahmen des sachdienlichen (notwendigen) Vorbringens überschritten wird oder die Anschuldigungen wider besseres Wissen geäußert wurden (RIS‑Justiz RS0093379).
2.4. Bei Beurteilung der Frage, ob eine schwere Eheverfehlung iSd § 74 EheG vorliegt, sind auch die Begleitumstände und das Verhalten des ehemaligen Ehegatten zu berücksichtigen (3 Ob 152/16y; RIS‑Justiz RS0057392). Der Verwirkungstatbestand kann nicht geltend gemacht werden, wenn dies infolge Zusammenhangs mit dem eigenen Verschulden sittlich nicht gerechtfertigt wäre (2 Ob 299/57).
2.5. Die Rechtsprechung differenziert bei diesen Grundsätzen schon im Sinn der Gleichbehandlung nicht nach der Höhe des begehrten Unterhalts. Soweit der Rekurswerber sich in diesem Zusammenhang auf die Pflicht zur anständigen Begegnung wie bei aufrechter Ehe stützt, ist darauf zu verweisen, dass diese spezifische eheliche Pflicht nach der Ehescheidung nicht mehr besteht (3 Ob 245/05h).
2.6. Der vorliegende Einzelfall ist von massiven Auseinandersetzungen zwischen den Parteien gekennzeichnet, an denen der Beklagte keineswegs unbeteiligt war.
Unstrittig ist insbesondere, dass die Klägerin neben ihrer Haus‑ und Kindererziehungsarbeit beim Aufbau des Unternehmens mitgearbeitet hat. Sie war Mitstifterin und Begünstigte zweier 1999 bzw 2007 gegründeter Stiftungen, in die der Beklagte in den Jahren 2006 und 2009 umfangreiches Vermögen eingebracht hat, in welchem Zusammenhang die Klägerin 2006 einen Pflichtteilsverzicht gegenüber dem Beklagten abgab und ihr gehörige Geschäftsanteile unentgeltlich einer der Privatstiftungen abtrat. Der Beklagte nahm im Jahr 2011 eine Änderung der Stiftungsurkunden vor, wodurch die Klägerin als Begünstigte ausgeschlossen wurde. Nach einem Schlaganfall des Beklagten 2008 wurde ihr überdies auf Wunsch des Beklagten, der zu dieser Zeit von seiner jetzigen Ehefrau umsorgt wurde, jeglicher Kontakt zu ihm verwehrt.
Die Klägerin nahm zahlreiche rechtliche Möglichkeiten wahr, um als Gesellschafterin, Mitstifterin und Begünstigte aus den Stiftungen die finanziellen Auswirkungen dieser Vorgänge auf sie soweit wie möglich rückgängig zu machen.
Unter Berücksichtigung der Vorgehensweise des Beklagten hält sich die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die Klägerin auch bei einer Gesamtschau der ihr vom Beklagten angelasteten Verhaltensweisen den Unterhalt (noch) nicht verwirkt hat, im Rahmen der Judikatur und ist im Einzelfall nicht zu beanstanden:
2.7. Der Beklagte wirft der Klägerin Behebungen von gemeinsamen Konten im April 2011 vor. Ihre Ehe wurde am 27. 6. 2011 gemäß § 55 EheG geschieden und ausgesprochen, dass den Beklagten das alleinige Verschulden an der Zerrüttung trifft.
Nach den Feststellungen nahm die Klägerin die Abhebungen deshalb vor, weil sie (im Sinn der Entscheidung 7 Ob 80/13k zu Recht) davon ausging, dass ihr ein Unterhaltsanspruch gegen den Beklagten zusteht, der Beklagte ihr im Hinblick auf ihr Eigeneinkommen zu Unrecht keinen Unterhalt gewährte und ihr jeglicher Kontakt zu ihm verweigert wurde. Überdies bezahlte sie den Betrag über Aufforderung des Beklagten zurück. Selbst wenn man unterstellte, dass die etwa zwei Monate vor der Ehescheidung erfolgte Transaktion im Scheidungsverfahren nicht mehr berücksichtigt hätte werden können, würde diese nicht zur Verwirkung führen (vgl auch 8 Ob 160/06x; RIS‑Justiz RS0057431).
2.8. Alle anderen Vorwürfe beziehen sich auf einen Zeitraum nach der Scheidung. Es steht zu allen vom Erstgericht festgestellten Gerichtsverfahren fest, dass die Klägerin weder in Schädigungsabsicht noch wider besseres Wissen vorgegangen ist oder Behauptungen aufgestellt hat, sondern in Verfolgung ihrer Ansprüche handelte, was vielfach erst durch das Vorgehen des Beklagten veranlasst wurde.
2.9. Bei seinen Argumenten zum Fortsetzungsantrag bei der Staatsanwaltschaft geht der Rekurs überdies nicht von den Feststellungen aus, nach denen die Anzeige nicht von der Klägerin stammte und sich ihr Fortsetzungsantrag ausdrücklich nicht gegen den Beklagten persönlich richtete.
2.10. Auch bei Beschreiten des Rechtswegs gelten für Prozessbehauptungen die Grundsätze der gegenüber § 1295 ABGB spezielleren Norm des § 74 EheG. Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält sich auch insoweit im Rahmen der dazu bereits bestehenden Judikatur.
Die RICO‑Klage ist eine Besonderheit des US‑amerikanischen Rechts. Der Beklagte übergeht die Feststellung, dass sie die Klägerin über Beratung ihrer Anwälte einbrachte. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass eine gewisse Wortwahl der spezifischen Verfahrensart vor einem US-amerikanischen Gericht geschuldet und der Klägerin nicht vorzuwerfen ist, ist im vorliegenden Einzelfall im Rahmen der Judikatur vertretbar. Dass der Klägerin bewusst gewesen wäre, dass sie unrichtige Angaben gemacht hätte, steht nicht fest. Da es für beide Parteien um sehr viel Geld geht, ist es vertretbar der Klägerin keinen Vorwurf im Sinn einer Unterhaltsverwirkung zu machen, dass sie dieses Rechtsinstrument gewählt hat, selbst wenn dadurch mit einer gewissen Beeinträchtigung des Beklagten auf dem US‑amerikanischen Markt zu rechnen gewesen sein mag. Die Veröffentlichung einer solchen Klage ist im US‑amerikanischen Rechtsbereich die Regel, sodass die Vorinstanzen der Klägerin vertretbar nicht angelastet haben, dass sie nicht versucht hat, die Klage „under seal“ einzubringen, was einer gesonderten Bewilligung nach Ermessen des Richters bedarf, wobei die Erfolgsaussichten nicht abzusehen sind. Der Beklagte hat unstrittig überdies auch nicht versucht, eine mögliche Schwärzung nach Klagseinbringung zu erreichen.
2.11. Ausführungen zum nicht rechtskräftig entschiedenen Verfahren über die vom Beklagten erhobene Privatanklage sind unzulässige Neuerungen, worauf nicht weiter einzugehen ist.
2.12. Zur Medienberichterstattung in diesem Zusammenhang übergeht der Beklagte, dass gerade nicht feststeht, dass die Klägerin vorzeitig Informationen an Journalisten weitergegeben hat.
3. Zur Zurückweisung weiterer Schriftsätze:
Jeder Partei steht nur eine einzige Rechtsmittelschrift oder Rechtsmittelgegenschrift zu. Weitere Rechtsmittelschriften und Rechtsmittelgegenschriften, Nachträge oder Ergänzungen sind auch dann unzulässig, wenn sie innerhalb der gesetzlichen Frist eingebracht werden (RIS‑Justiz RS0041666).
4. Die Kostenentscheidung beruht jeweils auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.
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