OGH 9Ob5/02d

OGH9Ob5/02d13.3.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Baumeister E***** BaugesmbH, ***** vertreten durch Dr. Werner Russek, Rechtsanwalt in Spittal an der Drau, wider die beklagte Partei K***** Wohnbaugenossenschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Walter Suppan, Rechtsanwalt in Klagenfurt, und den Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei DI Hans M*****, Architekt, ***** vertreten durch Dr. Albin Ortner, Rechtsanwalt in Villach, wegen EUR 78.159,22 samt Nebengebühren, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 27. März 2001, GZ 5 R 142/00t-56, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei und des Nebenintervenienten das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 7. August 2000, GZ 27 Cg 37/98i-48, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Rekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Die beklagte Partei und der Nebenintervenient haben die Kosten ihrer Rekursbeantwortungen selbst zu tragen.

Text

Begründung

Nach Zustellung des Ergänzungsgutachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen Baumeister DI S*****(ON 26) erklärte der Nebenintervenient, den Sachverständigen als befangen abzulehnen, weil dieser nicht ausreichend auf objektive Abrechnungsgrundlagen Bedacht nehme, wesentliche objektive Unterlagen vernachlässige und auf außerhalb des Parteiwillens liegende Unterlagen abstelle. Der Sachverständige gab dazu die Äußerung ab, dass er sich keineswegs befangen fühle; die erhobenen Vorwürfe seien unrichtig. In der Folge zog das Erstgericht - ohne über den Ablehnungsantrag abzusprechen - den Sachverständigen auch dem weiteren Verfahren bei. Dabei ergänzte der Sachverständige über Antrag der Streitteile (ON 35) bzw des Nebenintervenienten (ON 41) sein Gutachten sowohl schriftlich als auch mündlich. Danach beantragten die beklagte Partei und der Nebenintervenient unter Hinweis auf das ihrer Auffassung nach unrichtige Gutachten des Sachverständigen die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen aus dem Baufach.

Das Erstgericht wies "sämtliche unerledigt gebliebene" Beweisanträge zurück und legte seinem Urteil das Gutachten des Sachverständigen DI S***** zu Grunde, das es als schlüssig und zutreffend ansah; auf die vom Nebenintervenienten behauptete Befangenheit des Sachverständigen ging es nicht ein. Bei Abweisung eines Mehrbegehrens von S 109.706,51 samt Zinsen wurde die beklagte Partei schuldig erkannt, der klagenden Partei S 1,075.494,32 samt Zinsen zu zahlen.

Infolge Berufung der beklagten Partei und des Nebenintervenienten gegen den klagestattgebenden Teil der erstgerichtlichen Entscheidung hob das Berufungsgericht das Urteil (ersichtlich nur im Umfang der Anfechtung) auf und verwies die Rechtssache zur Urteilsfällung nach allfälliger Verhandlung an das Erstgericht zurück. Es vertrat die Rechtsansicht, dass in der kommentarlosen Verwertung des Sachverständigengutachtens durch das Erstgericht keine schlüssige (negative) Entscheidung über den Ablehnungsantrag des Nebenintervenienten erblickt werden könne; nur wenn der Entscheidungswille des Gerichts im Einzelfall ganz unzweifelhaft sei, könne eine Entscheidung auch ohne einen ausdrücklichen Ausspruch des Gerichts erfolgen. Solange die behauptete Befangenheit des Sachverständigen nicht geklärt sei, dürfe sein Gutachten der gerichtlichen Entscheidung nicht zu Grunde gelegt werden. Die Berufungswerber hätten sich ihres Rechts, diesen Verfahrensmangel in der Berufung geltend zu machen, auch nicht durch das Unterlassen einer Verfahrensrüge nach § 196 ZPO begeben. Nach ständiger Rechtsprechung könnten Mängel, die die Stoffsammlung betreffen, auch bei Unterlassung einer Rüge in der Berufung geltend gemacht werden. Ein Rechtszug an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil oberstgerichtliche Judikatur zur Frage der Rügepflicht bei Unterlassung der Entscheidung über einen Ablehnungsantrag fehle und auch die in der Entscheidung 6 Ob 8/01x aufgestellten Grundsätze zur Zulässigkeit schlüssiger gerichtlicher Entscheidungen für einen Fall wie den vorliegenden allenfalls einer weiteren Ausformung durch den Obersten Gerichtshof zugänglich seien.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Rekurs der klagenden Partei erweist sich - ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO - als nicht zulässig, da eine erhebliche Rechtsfrage (des Verfahrensrechts) im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO weder vorliegt noch im Rekurs aufgezeigt wird (ÖBA 1998, 184 = RdW 1998, 454, JUS Z/2939).

Schon das Berufungsgericht hat ganz zutreffend dargelegt, dass nicht nur im rechtsgeschäftlichen Verkehr bei der Beurteilung des Stillschweigens sowie von Unterlassungen ein strenger Maßstab anzulegen ist, sondern dass dies umso mehr für die Beurteilung schlüssiger Gerichtsentscheidungen gelten muss; insbesondere lässt die bloße Untätigkeit des Gerichts auf seinen Entscheidungswillen ohne Hinzutreten besonderer Umstände keine Schlüsse zu (zuletzt 6 Ob 8/01x). Die ZPO kennt grundsätzlich stillschweigende Prozesshandlungen und Entscheidungen nicht (SZ 45/19, SZ 66/178 ua). Nur ausnahmsweise kann von diesem Grundsatz abgegangen werden, und zwar dort, wo der Entscheidungswille aus einem positiven Verhalten des Gerichts ganz unzweifelhaft hervorgeht, wie etwa wenn im Einzelfall über einen Antrag nur in den Entscheidungsgründen, nicht aber im Spruch erkannt wird (6 Ob 113/98f ua). Entsprechendes wird auch für die Fälle einer sachlichen Erledigung eines geänderten Klagebegehrens ohne ausdrücklichen Ausspruch über die Zulässigkeit der Klageänderung bzw bei Verfahrensfortsetzung nach Verfahrensunterbrechung ohne förmlichen Aufnahmebeschluss (RIS-Justiz RS0036654) vertreten. All diesen Ausnahmefällen ist jedoch gemein, dass das Verhalten des Gerichts keinerlei Zweifel an seinem Entscheidungswillen offen lässt.

Gerade davon kann jedoch im vorliegenden Fall keine Rede sein, da das Erstgericht den Ablehnungsantrag des Nebenintervenienten in seinem Urteil gar nicht erwähnt, woraus der Schluss gezogen werden muss, dass es diesen bei seiner Entscheidungsfällung einfach übersehen hat; auch inhaltlich ist es auf die im Ablehnungsantrag erhobenen Vorwürfe nicht eingegangen. Nicht recht nachvollziehbar ist schließlich die Annahme der Rekurswerberin, die Zurückweisung "des Antrages auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen aus dem Baufach" könne nur als Verwerfung des Ablehnungsantrags gewertet werden. Abgesehen davon, dass das Erstgericht ganz generell alle "unerledigt gebliebenen" Beweisanträge zurückgewiesen hat, ist nicht zu erkennen, was der Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen aus dem Baufach mit der Ablehnung zu tun haben soll. Derartige Anträge werden ja häufig auch ohne Ablehnung des bereits bestellten Sachverständigen nur mit der Begründung gestellt, dass der betreffenden Partei das Sachverständigengutachten unschlüssig, unrichtig oder unvollständig erscheine. Schon deshalb kann sich ein Beschluss, mit dem die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen abgelehnt wird, nicht primär - oder zumindest unzweifelhaft auch - auf einen Ablehnungsantrag beziehen.

§ 196 Abs 1 ZPO, der - wie schon das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat - nach der überwiegenden Judikatur auf die Verletzung von die prozessuale Stoffsammlung regelnden Vorschriften nicht anzuwenden ist, kommt im vorliegenden Fall schon allein auf Grund seines Wortlauts nicht zur Anwendung. Danach kann ein Verfahrensmangel nur dann nicht mehr geltend gemacht werden, wenn sich die betreffende Partei in die weitere Verhandlung der Sache eingelassen hat, ohne diese Verletzung zu rügen, obwohl dieselbe ihr bekannt war oder bekannt sein musste. Damit, dass das Erstgericht das von dem vom Nebenintervenienten abgelehnten Sachverständigen erstattete Gutachten bei seiner Entscheidung verwerten würde, ohne vorher über den Befangenheitsantrag abzusprechen, mussten die Berufungswerber nicht rechnen, sodass von ihnen auch eine (weitere) Verfahrensrüge nicht zu verlangen war. Vor allem hat der Nebenintervenient schon mit seinem Ablehnungsantrag mit ausreichender Deutlichkeit zu erkennen gegeben, dass er sich gegen eine Verwertung des Sachverständigengutachtens ausspricht, weil er den Sachverständigen für befangen hält. Davon, dass er sich in die weitere Verhandlung eingelassen hätte, ohne darauf hinzuweisen, dass das Sachverständigengutachten seiner Ansicht nach nicht als Entscheidungsgrundlage herangezogen werden darf, kann daher nicht gesprochen werden. Ganz in diesem Sinne sind auch die vom Berufungsgericht zitierten Ausführungen von Fasching (Kommentar III1, Anm 1 zu § 355 ZPO) zu verstehen, dass die Heranziehung des Gutachtens eines abgelehnten Sachverständigen schon deshalb nicht gemäß § 196 ZPO gerügt werden muss, weil im vorangegangenen Ablehnungsantrag bereits eine entsprechende Stellungnahme liegt. Es ist tatsächlich nicht begründbar, warum man von einer Partei eine neuerliche ablehnende Äußerung verlangen sollte, wenn sich diese doch bloß in der Wiederholung der bisherigen Prozesserklärungen erschöpfen könnte.

Da sich somit die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts über das Vorliegen und die verfahrensrechtliche Zulässigkeit der Geltendmachung des behaupteten Verfahrensmangels als zutreffend erweist und dabei auch nicht von der klaren gesetzlichen Regelung bzw den in der Judikatur des Obersten Gerichtshofs entwickelten Grundsätzen abgegangen wurde, war der Rekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) als unzulässig zurückzuweisen (§ 528a ZPO iVm § 510 Abs 3 ZPO). Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50 und 40 ZPO. Da die beklagte Partei und der Nebenintervenient in ihren Rekursbeantwortungen auf die Unzulässigkeit des Rekurses nicht hingewiesen haben, sind ihre Schriftsätze nicht als zweckentsprechend (§ 41 ZPO) zu betrachten.

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