OGH 7Ob140/16p

OGH7Ob140/16p31.8.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** R*****, vertreten durch Mag. Helmut Gruber, Rechtsanwalt in St. Jakob in Haus, gegen die beklagte Partei A***** SE *****, vertreten durch die Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 16. Februar 2016, GZ 60 R 77/15a‑21, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 22. September 2015, GZ 6 C 713/14t‑17, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00140.16P.0831.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil lautet:

„1. Die beklagte Partei hat der klagenden Partei aufgrund und im Umfang des zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Versicherungsvertrags aus der Sparte Rechtsschutzversicherung, Polizzennummer *****, für den Schadenfall mit der Schadennummer ***** des Inhalts 'Klage gegen Dr. G***** K***** aufgrund unrichtigen Gutachtens' für die Klage ***** des Bezirksgerichts Salzburg Deckungsschutz zu gewähren.

2. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 8.247,83 EUR (darin 848,21 EUR USt und 3.157 EUR Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

 

Entscheidungsgründe:

Zwischen den Parteien besteht ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz‑Versicherung (ARB 2003) zugrunde liegen. Die ARB 2003 lauten auszugsweise:

Artikel 8

Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten? (Obliegenheiten)

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet,

1.1. den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen;

Artikel 9

Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen?

1. Der Versicherer hat binnen zwei Wochen nach Geltendmachung des Deckungsanspruches durch den Versicherungsnehmer und Erhalt der zur Prüfung dieses Anspruches notwendigen Unterlagen und Informationen dem Versicherungsnehmer gegenüber schriftlich den Versicherungsschutz grundsätzlich zu bestätigen oder begründet abzulehnen.

Der Versicherer ist innerhalb der in Absatz 1 genannten Frist berechtigt, diese durch einseitige Erklärung um weitere zwei Wochen zu verlängern.

2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts‑ und Beweislage zum Ergebnis,

2.1. dass hinreichende Aussicht besteht, in einem Verfahren im angestrebten Umfang zu obsiegen, hat er sich zur Übernahme aller Kosten nach Maßgabe des Artikels 6 (Versicherungsleistungen) bereit zu erklären;

2.2. dass diese Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend, d.h. ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen, ist er berechtigt, die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abzulehnen;

2.3. dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen.

...“

Der Kläger verletzte im November 2008 seinen rechten Daumen beim Öffnen einer Weinflasche. Er hatte zum damaligen Zeitpunkt vier Unfallversicherungsverträge abgeschlossen, unter anderem mit der B***** Versicherungs‑AG und der R***** Versicherungs‑AG. Seine Ansprüche aus diesen Verträgen wurden zum Rechtsschutzversicherungsfall bei der Beklagten. Der Kläger hatte ein Privatgutachten eingeholt, das ihm eine 50%ige Invalidität des Daumens bescheinigte. Das von den Versicherern beauftragte Gutachten schätzte die Invalidität mit 25 % ein.

Im Prozess gegen die R***** Versicherungs‑AG gelangte der dort bestellte Sachverständige aus dem Fachgebiet Neurochirurgie zum Ergebnis einer 25%igen Invalidität des Daumens. Das die Klage abweisende Urteil erwuchs nach bestätigender Entscheidung durch das zuständige Oberlandesgericht „spätestens am 5. 10. 2011“ in Rechtskraft.

Im Prozess des Klägers gegen die B***** Versicherungs‑AG wurde ein Gutachten eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet Neurologie und Psychiatrie eingeholt, welches die Gesamtinvalidität des rechten Daumens mit 50 % einschätzte. Dieses Gutachten wurde dem Vertreter des Klägers am 17. 2. 2011 zugestellt und in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 24. 5. 2011 erörtert. Der dortige Sachverständige erklärte, die Beurteilung von Sensibilitätsstörungen und die Begutachtung von bleibenden Schädigungen der Nerven seien an sich dem neurologischen Fachbereich zuzuordnen; dem Bereich der Neurochirurgie verbleibe die Beurteilung der therapeutischen Maßnahmen. Das Landesgericht sprach mit Urteil vom 25. 11. 2013 dem Kläger eine Gebrauchsminderung des rechten Daumens von 45 % zu; das zuständige Oberlandesgericht bestätigte diese Entscheidung mit Urteil vom 10. 6. 2014.

Im Juli 2014 beriet sich der Kläger mit seinem Versicherungsbüro. Nach Rechtsberatung mit seinen Rechtsvertretern entschloss er sich in Kenntnis der Berufungsentscheidung, gegen den Sachverständigen aus dem Fachgebiet Neurochirurgie gerichtlich vorzugehen. Seine Rechtsvertreter erstatteten am 26. 8. 2014 der Beklagten eine Schadensmeldung mit der Erklärung, den Kläger rechtsfreundlich gegen den Neurochirurgen zu vertreten, der durch Abgabe eines unrichtigen Gutachtens in einem Gerichtsverfahren dem Kläger einen Schaden zugefügt habe. Es wurden der Entwurf der Klage sowie die zugrunde liegenden Gutachten im Anhang übermittelt. Wörtlich heißt es: „Wir bitten um Deckungszusage aus der Rechtsschutzversicherung. Achtung Verjährung: Die Klage ist vor dem 29. 8. 2014 einzubringen. Wir bitten deshalb um rasche Beantwortung und entschuldigen uns für die knappe Übermittlung.“

Mit E‑Mail vom 28. 8. 2014 wurde der Deckungsanspruch unter Hinweis auf die Verjährung gemäß § 12 VersVG und wegen Verstoßes gegen die Obliegenheit nach Art 8.1.1. ARB 2003 abgelehnt; überdies seien weder Informationen noch Unterlagen übermittelt worden, woraus auf ein fehlerhaftes Gutachten geschlossen werden könne.

Der Kläger klagte am 29. 8. 2014 den Sachverständigen aus dem Fachgebiet Neurochirurgie auf Schadenersatz, weil dieser im Prozess des Klägers gegen die R***** Versicherungs‑AG rechtswidrig und schuldhaft ein unrichtiges Gutachten erstattet habe.

Der Kläger begehrt Deckungsschutz für diesen Prozess. Dazu brachte er zusammengefasst vor, der Hauptanspruch sei nicht verjährt, weil der Schaden (aus dem unrichtigen Sachverständigengutachten) frühestens mit Rechtskraft des Urteils im zugrunde liegenden Verfahren gegen die R***** Versicherungs‑AG am 30. 9. 2011 habe eintreten können. Daher sei auch keine Verjährung nach § 12 VersVG eingetreten. Der Einwand der mangelhaften Erfolgsaussicht des Prozesses gegen den Sachverständigen sei unberechtigt. Er habe keine Obliegenheiten verletzt.

Die Beklagte wendete Verjährung ein. Die Verjährungsfrist des § 12 VersVG sei bereits durch das Gutachten des Sachverständigen aus dem Fachgebiet Neurologie und Psychiatrie vom 17. 2. 2011, spätestens am 24. 5. 2011 ausgelöst worden, als das Urteil im Prozess gegen die R***** Versicherungs‑AG zugestellt und der Vertreter des Klägers ihm empfohlen habe, dagegen Berufung zu erheben. Sie sei mangels Erfolgsaussichten nach Art 9.2.3. ARB 2003 leistungsfrei. Es sei kein nachvollziehbares Tatsachensubstrat vorgebracht worden, woraus dem Sachverständigen ein Kunstfehler oder eine Über‑ oder Unterschreitung des Gutachtensauftrags vorwerfbar sei. Der Kläger habe grob schuldhaft Auskunftsobliegenheiten nach Art 8.1.1. ARB 2003 verletzt, weil er nicht unverzüglich den Schaden gemeldet und keine nachvollziehbaren Argumente für die Haftung des Sachverständigen vorgebracht habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Im Zeitpunkt der Schadensmeldung am 26. 8. 2014 sei der Anspruch des Klägers gegen den Sachverständigen bereits verjährt gewesen, weshalb die Beklagte zu Recht die Deckung abgelehnt habe. Die Verjährungsfrist habe spätestens am 24. 5. 2011 mit der Erörterung des Gutachtens im Parallelprozess zu laufen begonnen, weil der Kläger ab dann ausreichend Kenntnis über ein Tatsachensubstrat gehabt habe, um erfolgreich Klage zu führen. Darüber hinaus habe der Kläger keinerlei Tatsachensubstrat geliefert, woraus ein erfolgversprechendes, Schadenersatz begründendes Verhalten des Sachverständigen ersichtlich gewesen sei. Schließlich habe er grob schuldhaft seine Obliegenheit zur unverzüglichen Schadensmeldung verletzt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Rechtlich führte es aus, für den Beginn der Verjährung des Schadenersatzanspruchs gegen den Sachverständigen komme es nicht auf die Erörterung eines anderen Gutachtens in einem Parallelprozess an, sondern auf die Rechtskraft der Entscheidung im Vorverfahren. Die Verjährung habe jedenfalls nicht vor Zustellung des Berufungsurteils des Oberlandesgerichts (dieses datiere vom 29. 8. 2011) zu laufen begonnen. Davor sei nämlich nicht unverrückbar festgestanden, dass der Schaden wegen des behaupteten unrichtigen Sachverständigengutachtens eingetreten sei. Der Kläger habe das erstinstanzliche Urteil mit Berufung bekämpft und darin unter anderem eine Mängelrüge wegen der unterbliebenen Einholung von Gutachten eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Unfallchirurgie sowie aus jenem der Neurologie und Psychiatrie geltend gemacht. Der Kläger begehre die Rechtsschutzdeckung für die Durchsetzung eines Schadenersatzanspruchs, der gemäß § 1489 Satz 1 ABGB nicht verjährt sei. Ebensowenig sei der Deckungsanspruch nach § 12 VersVG verjährt, weil auch hier die Verjährungsfrist nicht vor Rechtskraft des Urteils im Vorverfahren, jedenfalls nicht vor Zustellung der Berufungsentscheidung des Oberlandesgerichts, zu laufen begonnen habe.

Der Kläger habe in seiner – als Entwurf der Beklagten übermittelten – Klage gegen den Sachverständigen vorgebracht, dass dessen Gutachten „objektiv unrichtig sei. Die unrichtige Gutachtenserstattung erfolgte in rechtswidriger und schuldhafter Weise […] Bei richtiger Gutachtenserstattung hätte der Beklagte zum Ergebnis kommen müssen und wäre das Gericht zum Ergebnis gekommen, dass eine mindestens 45%ige Invalidität vorlag. ...“ Angesichts des schlüssigen Klagsvorbringens, der Tatsache, dass der Schadenersatzanspruch gegen den Sachverständigen nicht verjährt sei, und angesichts der divergierenden Gutachten sei im Zeitpunkt der Schadensmeldung die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht als offenbar aussichtslos zu qualifizieren; ein Fall des Art 9.2.3. ARB 2003 liege damit nicht vor.

Dem Kläger sei aber eine grob schuldhafte Verletzung der Auskunftsobliegenheit nach Art 8.1.1. ARB 2003 vorzuwerfen. Der behauptete Schaden durch das vom ihm als unrichtig bezeichnete Gutachten des Sachverständigen sei „spätestens am 5. 10. 2011“, mit Rechtskraft des Urteils im Vorprozess, eingetreten. In Kenntnis dieser Berufungsentscheidung habe er sich aber bereits Ende Juli 2014 zur Klagsführung gegen den Sachverständigen entschlossen. Dennoch habe er (erst) am 26. 8. 2014 Rechtsschutzdeckung für die bereits am 29. 8. 2014 einzubringende Klage begehrt, weil andernfalls Verjährung drohe. Durch dieses verzögerte Vorgehen sei die Beklagte gerade nicht in die Lage versetzt worden, eine sachgemäße Entscheidung zur Beurteilung des Versicherungsfalls zu treffen, selbst wenn der Kläger zugleich mit seinem Rechtsschutzbegehren der Beklagten eine vollständige Auskunft erteilt habe. Die Beklagte sei vielmehr vor nahezu vollendete Tatsachen gestellt worden, weil der Kläger bereits am 29. 8. 2014 die Klage gegen den Sachverständigen eingebracht habe. Er habe nicht einmal begründet, warum er gegenüber der Beklagten bis zum 26. 8. 2014 untätig geblieben sei und habe damit nicht beweisen können, dass die Obliegenheitsverletzung bloß auf leichter Fahrlässigkeit beruhe. Der Kausalitätsgegenbeweis sei vom Kläger nicht angetreten worden.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige, und erklärte nachträglich die ordentliche Revision gemäß § 508 Abs 3 ZPO für zulässig, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass bei der Verletzung der Obliegenheit nach Art 8.1.1. ARB 2003 grundsätzlich ein weniger strenger Maßstab für die Beurteilung der „unverzüglichen“ Aufklärung anzulegen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die – von der Beklagten beantwortete – Revision des Klägers ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist auch berechtigt.

1. Prüfung der Erfolgsaussichten nach Art 9.2. ARB 2003

1.1. In der Rechtsschutzversicherung ist bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen. Die vorzunehmende Beurteilung, ob „keine oder nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg“ (vgl Art 9.2.2. und 9.2.3. ARB 2003) besteht, hat sich am Begriff „nicht als offenbar aussichtslos“ des die Bewilligung der Verfahrenshilfe regelnden § 63 ZPO zu orientieren (RIS‑Justiz RS0081929 [T1]). „Offenbar aussichtslos“ ist eine Prozessführung, die schon ohne nähere Prüfung der Angriffs- oder Verteidigungsmittel als erfolglos erkannt werden kann, insbesondere bei Unschlüssigkeit, aber auch bei unbehebbarem Beweisnotstand (RIS‑Justiz RS0116448; RS0117144). Die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist aufgrund einer Prognose – im Fall eines bereits laufenden Haftpflichtprozesses aufgrund einer nachträglichen Prognose – nach dem im Zeitpunkt vor Einleitung des Haftpflichtprozesses vorliegenden Erhebungsmaterial vorzunehmen, weil eine Beurteilung der Beweischancen durch antizipierte Beweiswürdigung nicht in Betracht kommt (RIS‑Justiz RS0124256 [T1]). Feststellungen im Deckungsprozess über Tatfragen, die Gegenstand des Haftpflichtprozesses sind, sind für den Haftpflichtprozess nicht bindend, daher überflüssig und, soweit sie getroffen werden, für die Frage der Deckungspflicht unbeachtlich. Eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung und des Ergebnisses des Haftpflichtprozesses kommt im Deckungsprozess bei Beurteilung der Erfolgsaussichten nicht in Betracht (RIS‑Justiz RS0081927). Ist der Sachverhaltsvortrag des Versicherungsnehmers nicht von vornherein unschlüssig oder offensichtlich unrichtig, so kann der Versicherer Versicherungsschutz nur ablehnen, wenn die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (RIS‑Justiz RS0082253 [T4]).

1.2. Zutreffend ging das Berufungsgericht davon aus, dass die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB für die Klage gegen den Sachverständigen nicht vor Zustellung des Berufungsurteils im Vorprozess zu laufen begann. Wird ein Sachverständiger wegen seines in einem gerichtlichen Verfahren erstatteten Gutachtens in Anspruch genommen, geht es nicht um die behauptete Schädigung durch das Gutachten an sich und damit auch nicht um die Kenntnis der Partei von diesem Gutachten, sondern um dessen Einfluss auf die gerichtliche Entscheidung. Der Oberste Gerichtshof hat demgemäß bereits ausgesprochen, dass das Ergebnis der gutachterlichen Tätigkeit eines Sachverständigen erst mit Abschluss des Verfahrens endgültig feststeht. Davor fehlt es an der wesentlichen Voraussetzung für eine „vorbeugende Feststellungsklage“, nämlich dass sich das schädigende Ereignis, das einen konkreten Schaden hätte auslösen können, bereits ereignet habe (RIS‑Justiz RS0040838 [T15]). Auch die Beurteilung einer Leistungspflicht wegen unrichtiger Gutachtenserstattung setzt den rechtskräftigen Abschluss des Vorverfahrens voraus. Davor fehlt es an einem dem Sachverständigen zurechenbaren schädigenden Ereignis. Die referierte Ansicht des Berufungsgerichts orientiert sich an der einhelligen Rechtsprechung, wonach die Verjährungsfrist nicht vor Eintritt des Schadens zu laufen beginnt und die Verjährung des Schadenersatzanspruchs gegen einen gerichtlich bestellten Sachverständigen wegen unrichtiger Gutachtenserstattung in einem Vorverfahren grundsätzlich erst mit rechtskräftigem Abschluss des Vorverfahrens zu laufen beginnt (1 Ob 203/11a mwN). Das Ergebnis seiner gutachterlichen Tätigkeit und somit dessen Einfluss auf die gerichtliche Entscheidung steht eben erst mit Abschluss des Vorverfahrens endgültig fest. Da die Berufungsentscheidung im Vorverfahren dem Rechtsvertreter des Klägers am 2. 9. 2011 zugestellt wurde, erwuchs diese Entscheidung am 1. 10. 2011 in Rechtskraft, sodass die dreijährige Verjährungsfrist am 1. 10. 2014 endete. Da der Kläger die Klage gegen den Sachverständigen vor diesem Zeitpunkt einbrachte, ist die Geltendmachung seiner Ansprüche nicht verjährt.

1.3. Zutreffend argumentierte das Berufungs-gericht auch, dass der Kläger gegenüber der Beklagten nachvollziehbar darlegte, inwieweit dem Sachverständigen schuldhaft ein Fehler unterlaufen ist. Er erhob ein schlüssiges Klagsvorbringen, das angesichts der divergierenden Gutachten im Zeitpunkt der Schadensmeldung die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht als offenbar aussichtslos erscheinen ließ. Der Kläger hatte zwei Gutachten für sich, die gegen das vom belangten Sachverständigen erstellte Gutachten sprechen.

Damit liegen die Voraussetzungen für die Übernahme der Kosten nach Art 9.2.1. ARB 2003 vor.

2. Zur Obliegenheit nach Art 8.1.1. ARB 2003

2.1. Bei der Bestimmung des Art 8.1.1. ARB 2003 handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung um eine auf die Bedürfnisse des Rechtsschutzversicherers zugeschnittene Ausformung der allgemeinen Auskunftsobliegenheit des § 34 Abs 1 VersVG, wobei der Versicherungsschutz begehrende Versicherungsnehmer diese Auskünfte von sich aus, spontan und ohne konkretes Verlangen des Versicherers zu geben hat (RIS‑Justiz RS0105784 [T2]). Durch die Aufklärung soll der Versicherer in die Lage versetzt werden, sachgemäße Entscheidungen über die Behandlung des Versicherungsfalls zu treffen. Es genügt, dass die begehrte Auskunft abstrakt zur Aufklärung der Schadenereignisse geeignet ist (RIS‑Justiz RS0080203 [T1, T2]; RS0080205 [T1, T2]; RS0080833 [T2, T6, T7]).

2.2. Die in § 33 Abs 1 VersVG normierte Obliegenheit zur unverzüglichen Anzeige eines Versicherungsfalls gilt für die Rechtsschutzversicherung nur eingeschränkt, weil der Versicherungsnehmer den Versicherer nicht nach jedem Versicherungsfall, sondern nur dann zu unterrichten hat, wenn er aufgrund eines Versicherungsfalls Versicherungsschutz „begehrt“ (7 Ob 6/97a; 7 Ob 41/04m = SZ 2004/104).

Art 8.1.1. ARB 2003 normiert für den Fall, dass der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz verlangt, seine Verpflichtung, den Versicherungsfall dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen und enthält damit auch eine Anzeigepflicht (7 Ob 144/14y). Nach dieser Bestimmung steht es nicht im Belieben des Versicherungsnehmers, durch die Inanspruchnahme der Rechtsschutzversicherung die Informationsobliegenheit zeitlich hinauszuschieben, sie dadurch zeitlich außer Kraft zu setzen und dem Versicherer erst eine nachträgliche Prüfung zu ermöglichen (7 Ob 40/14d). Der Oberste Gerichtshof erkannte in diesem Fall einen Verstoß gegen Art 8.1.1. ARB 1998, wenn das Begehren auf Rechtsschutzdeckung erst gut drei Jahre nach dem bereits eingeleiteten arbeitsgerichtlichen Verfahren erhoben wird und der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz nachträglich für die von ihm bereits davor wahrgenommenen rechtlichen Interessen begehrt.

Art 8.1.1. ARB 2003 beruht auf der Überlegung, dass der Versicherer kein Interesse daran haben kann, von jedem möglichen Schadenereignis oder Verstoß gegen vertragliche oder gesetzliche Rechtspflichten zu erfahren, ohne dass feststeht, dass dies zu einer kostenauslösenden Reaktion führen kann. Erst wenn sich kostenauslösende Maßnahmen abzeichnen, das heißt, wenn sich die rechtliche Auseinandersetzung so weit konkretisiert hat, dass der Versicherungsnehmer mit der Aufwendung von Rechtskosten rechnen muss und deshalb seinen Rechtsschutzversicherer in Anspruch nehmen will, entsteht für ihn die Obliegenheit, den Versicherer unverzüglich zu informieren und kostenauslösende Maßnahmen mit ihm abzustimmen. Dessen Unterrichtung hat spätestens in einem Stadium zu erfolgen, das dem Versicherer noch die Prüfung seiner Eintrittspflicht und die Abstimmung von Maßnahmen erlaubt. Insbesondere ist der Versicherer – abgesehen von eiligen Fällen – so zeitig zu unterrichten, dass er noch ausreichend Zeit hat, die Erfolgsaussichten der Prozessführung abzuklären (vgl Bauer in Harbauer, Rechtsschutzversicherung7 [2004] § 15 ARB 75 Rn 9; Schirmer, Die Obliegenheiten in der Rechtsschutzversicherung [Teil 2], r + s 1999, 45).

2.3. Betreffend die Nichterfüllung dieser den Versicherungsnehmer treffenden Obliegenheiten ist ihm das Verhalten jener, die er zur Abwicklung des Versicherungsverhältnisses bevollmächtigt hat, zuzurechnen (RIS‑Justiz RS0019473; 7 Ob 70/15t; vgl RS0105784 [T1]).

2.4. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen und der Beklagten ist dem Kläger keine Verletzung der (Anzeige- und) Auskunftsobliegenheit nach Art 8.1.1.1. ARB 2003 anzulasten, weil er sich bereits Ende Juli 2014 zur Klagsführung gegen den Sachverständigen entschlossen hatte, jedoch erst am 26. 8. 2014 Rechtsschutzdeckung für die einzubringende Klage begehrte. Es war der Beklagten möglich, am 28. 8. 2014 innerhalb der zweiwöchigen Frist des Art 9.1. ARB 2003 (§ 158n Abs 1 VersVG) die Deckung des Anspruchs mit näherer Begründung abzulehnen. Die Prüfung der Deckungsanfrage bestand bloß aus der Beurteilung der Gutachten und einer kurzen Mahnklage. Die Beklagte hatte offenkundig die benötigte Zeit, um ihre (nicht berechtigten) Argumente für die Ablehnung des Versicherungsschutzes zu formulieren. Jedenfalls war die Unterrichtung durch den Kläger so rechtzeitig, dass die Beklagte noch ausreichend Zeit hatte, um die Erfolgsaussichten der Prozessführung vor Klagseinbringung abzuklären.

3. Da somit kein Verstoß gegen die Anzeige‑ und Aufklärungsobliegenheit nach Art 8.1.1. ARB 2003 vorliegt, der Deckungsanspruch nach der zutreffenden Beurteilung des Berufungsgerichts, auf die gemäß § 510 Abs 3 ZPO verwiesen werden kann, auch nicht gemäß § 12 Abs 1 VersVG verjährt ist und auch die sonstigen Voraussetzungen für die Deckungspflicht der Beklagten gegeben sind, ist der Revision des Klägers Folge und – in Abänderung der Urteile der Vorinstanzen – dem Klagebegehren stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO. Entsprechend dem Einwand der Beklagten nach § 54 Abs 1a ZPO stehen dem Kläger die Kosten für die beiden Überweisungsanträge, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich waren, nicht zu. Der Kläger hätte bereits von Anfang an die Klage beim zuständigen Erstgericht einbringen können.

Stichworte