OGH 7Ob40/14d

OGH7Ob40/14d22.4.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. M***** L*****, vertreten durch Schmid & Horn Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 22. Oktober 2013, GZ 6 R 167/13t‑90, womit das Urteil des Bezirksgerichts Graz‑West vom 28. Mai 2013, GZ 4 C 546/11a‑86, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0070OB00040.14D.0422.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 447,98 EUR (darin enthalten 74,66 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken. Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Revision an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO).

1.1 Der Umstand, dass das Berufungsgericht die im Ersturteil disloziert (bei den Tatsachenfeststellungen) enthaltenen Rechtsausführungen, wonach „die Feststellungen eindeutig auf die Stellung der Klägerin als Angestellte und nicht als Handelsvertreterin hinweisen“ und „eine Obliegenheitsverletzung durch die verspätete Deckungsanfrage nicht vorliegt“, (zutreffend) nicht als Feststellungen angesehen und nicht übernommen hat, begründet keine Nichtigkeit gemäß § 477 Abs 1 Z 9 ZPO.

1.2 Da das Berufungsgericht ‑ entgegen der Ansicht der Klägerin ‑ nicht von den erstgerichtlichen Feststellungen abwich, liegt auch der geltend gemachte Verfahrensmangel des Unterbleibens einer Beweiswiederholung nicht vor.

2. Die Beklagte erhob im Schriftsatz vom 8. 8. 2011, den sie in der Tagsatzung vom 15. 10. 2011 vortrug, den Einwand, wegen der Verletzung der Obliegenheit nach Art 8.1.1. ARB 1998 durch die Klägerin leistungsfrei zu sein. Daraus, dass die Beklagte diesen Einwand in ihrem Schriftsatz vom 11. 11. 2011 nicht wiederholte, lässt sich nicht ableiten, dass sie ihn „schlüssig fallen gelassen hat“. Damit geht auch der Vorwurf, das Berufungsgericht habe gegen § 482 ZPO verstoßen, ins Leere.

3. Da die Frage der Verletzung der Obliegenheit durch die Klägerin bereits Gegenstand von Einwänden im Verfahren erster Instanz war, kann die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts für die Klägerin nicht in unzulässiger Weise überraschend sein (RIS‑Justiz RS0122365). Ein Verstoß gegen das Verbot der Überraschungsentscheidung und damit eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wird nicht aufgezeigt.

4. Im erstgerichtlichen Verfahren hat die Klägerin weder vorgebracht, dass der Beklagten der Schadensfall bereits bei Einleitung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens durch die Klägerin im Juli 2007 bekanntgegeben worden sei, noch dass die Beklagte gegen Art 9.1. ARB 1998 verstoßen habe. Die nunmehr in der Revision erhobenen Behauptungen verstoßen gegen das Neuerungsverbot.

Abgesehen davon wurde die nach den Feststellungen einzige Deckungsanfrage der Klägerin vom 30. 3. 2011 mit Mail vom 4. 5. 2011 ohnedies abgelehnt.

5.1 Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall dienen dem Zweck, den Versicherer vor vermeidbaren Belastungen und ungerechtfertigten Ansprüchen zu schützen. Die Drohung mit dem Anspruchsverlust soll den Versicherungsnehmer motivieren, die Verhaltensregeln ordnungsgemäß zu erfüllen; ihr kommt eine generalpräventive Funktion zu (RIS‑Justiz RS0116978). Entgegen der Ansicht der Klägerin kann der Rechtsschutzversicherer auch noch im Deckungsprozess weitere Ablehnungsgründe nachtragen. Er unterliegt hier keiner Eventualmaxime (7 Ob 252/99f mwN). Den Versicherer trifft die Beweislast für das Vorliegen des objektiven Tatbestands einer Obliegenheitsverletzung. Im Fall des Nachweises einer Obliegenheitsverletzung ist es dann Sache des Versicherungsnehmers, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen hat (RIS‑Justiz RS0081313). Eine leichte Fahrlässigkeit bleibt demnach ohne Sanktion (RIS‑Justiz RS0043728). Gelingt dem Versicherungsnehmer der Beweis der leichten Fahrlässigkeit nicht, so steht ihm nach § 6 Abs 3 VersVG auch bei „schlicht“ vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung der Kausalitätsgegenbeweis offen. Unter Kausalitätsgegenbeweis ist der Nachweis zu verstehen, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Festellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluss gehabt hat (RIS‑Justiz RS0116979).

5.2 Bei der Bestimmung des Art 8.1.1. ARB 1998 handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung um eine auf die Bedürfnisse des Rechtsschutzversicherers zugeschnittene Ausformung der allgemeinen Auskunftsobliegenheit des § 34 Abs 1 VersVG, wobei der Versicherungsschutz begehrende Versicherungsnehmer diese Auskünfte von sich aus, spontan und ohne konkretes Verlangen des Versicherers zu geben hat (RIS‑Justiz RS0105784). Durch die Aufklärung soll der Versicherer in die Lage versetzt werden, sachgemäße Entscheidungen über die Behandlung des Versicherungsfalls zu treffen. Es genügt, dass die begehrte Auskunft abstrakt zur Aufklärung des Schadensereignisses geeignet ist (RIS‑Justiz RS0080833, RS0080205, RS0080203).

5.3 Die Klägerin legt Art 8.1.1. ARB 1998 dahin aus, dass die Informationspflicht erst zu dem Zeitpunkt greift, zu dem der Versicherungsnehmer tatsächlich Versicherungsschutz verlangt. Selbst wenn man diesem Auslegungsergebnis der Klägerin folgte ‑ was dahingestellt bleiben kann ‑ wäre für ihren Rechtsstandpunkt nichts gewonnen.

5.4 Es steht nämlich jedenfalls nicht im Belieben des Versicherungsnehmers durch die Inanspruchnahme der Rechtsschutzversicherung die Informationsobliegenheit zeitlich hinauszuschieben, sie dadurch zeitweise außer Kraft zu setzen und dem Versicherer erst eine nachträgliche Prüfung zu ermöglichen. Nach den Feststellungen verlangte die Klägerin erstmals mit Schreiben vom 30. 3. 2011 Versicherungsschutz für das von ihr bereits 2007 eingeleitete arbeitsgerichtliche Verfahren. Soweit sie Versicherungsschutz nachträglich für die von ihr bereits davor wahrgenommenen rechtlichen Interessen begehrt, verstieß sie jedenfalls gegen Art 8.1.1. ARB 1998.

5.5 Dadurch, dass sie die Beklagte bei Geltendmachung des Versicherungsschutzes nach dem Akteninhalt lediglich über die bereits eingebrachte Klage informierte, es aber offenbar verabsäumte, die Beklagte darüber hinaus über den Inhalt der nachfolgenden Klagsänderung und die umfangreichen Klagsausdehnungen zu informieren, verletzte sie auch ihre Auskunftspflicht betreffend den Versicherungsschutz für das weitergeführte Verfahren. Für die Feststellung und den Umfang der Leistungspflicht ist es wesentlich, von beabsichtigten Klagsänderungen und Klagsausdehnungen informiert zu werden.

5.6 Den Beweis des fehlenden Vorsatzes und groben Verschuldens hat die Klägerin ebenso wenig angetreten wie den Kausalitätsgegenbeweis.

5.7 Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach die Beklagte infolge der Verletzung der Obliegenheit des Art 8.1.1. ARB 1998 durch die Klägerin leistungsfrei sei, bedarf keiner Korrektur.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO; die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Stichworte