OGH 9ObA124/15y

OGH9ObA124/15y27.1.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.

Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Claudia Gründel und Mag. Thomas Kallab als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R***** C*****, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz RechtsanwältInnen GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Ü***** D***** e.U., *****, vertreten durch Dr. Norbert Schopf, Rechtsanwalt in Wien, wegen 21.156,71 EUR brutto abzüglich 1.000 EUR netto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. August 2015, GZ 9 Ra 46/15y‑38, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 28. November 2014, GZ 26 Cga 103/13a‑29, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:009OBA00124.15Y.0127.000

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.189,44 EUR (darin 198,24 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war beim Beklagten (bzw dessen Rechtsvorgängerin) vom 27. 8. 2012 bis 1. 2. 2013 als Bäcker beschäftigt und verrichtete dort die Tätigkeiten eines Mischers und Ofenarbeiters. Der Kläger hat (unstrittig) keine Bäckerlehre abgeschlossen. Auf das Arbeitsverhältnis der Streitteile war der Kollektivvertrag für Arbeiter im österreichischen Bäckergewerbe (KV Bäcker) anzuwenden.

Der Kläger begehrt vom Beklagten auf Basis einer Entlohnung nach der Verwendungsgruppe 1 des KV Bäcker 21.156,71 EUR brutto abzüglich 1.000 EUR netto sA, bestehend aus Lohn für die Zeit von 1. 10. 2012 bis 1. 2. 2013, Entgelt für die in der Zeit von 1. 11. 2012 bis 1. 2. 2013 geleisteten Überstunden samt Zuschlägen, Entschädigung für nicht konsumierte Ersatzruhe sowie Urlaubszuschuss, Weihnachtsremuneration und Urlaubsersatzleistung für den gesamten Beschäftigungszeitraum. Bis auf einen für den Monat November 2012 erhaltenen Betrag von 1.000 EUR netto habe er kein Entgelt bezogen. Als Mischer und Ofenarbeiter wäre er richtig in die Verwendungsgruppe 1 des KV Bäcker einzustufen und dementsprechend zu entlohnen gewesen.

Der Beklagte bestritt das Klagebegehren und wandte ‑ soweit für das Revisionsverfahren relevant ‑ ein, dass der Kläger als qualifizierter Arbeiter in die Verwendungsgruppe 3 des KV Bäcker einzustufen sei, weil er über keinen Lehrabschluss verfüge.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze mit 20.156,71 EUR brutto sA statt. Der Kläger habe die Tätigkeit eines Mischers und Ofenarbeiters verrichtet und sei daher in die Verwendungsgruppe 1 des KV Bäcker einzustufen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Maßgabe, dass der Beklagte zur Zahlung von 21.156,71 EUR brutto abzüglich 1.000 EUR netto sA verpflichtet sei. Für die Einstufung in die Verwendungsgruppe 1 des KV Bäcker genüge die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit eines Mischers und Ofenarbeiters. Eine Gesellenprüfung setze der KV Bäcker dafür nicht voraus. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil die Einstufung in den Kollektivvertrag von den Umständen des Einzelfalls abhängig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten, mit der die gänzliche Abweisung des Klagebegehrens begehrt wird. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Der Kläger sei mangels einer Lehr- bzw Berufsausbildung nicht in die Verwendungsgruppe 1 des KV Bäcker einzustufen.

Mit seiner ‑ vom Obersten Gerichtshof freigestellten ‑ Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, die Revision des Beklagten zurück-, hilfsweise abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil der Auslegung von Kollektivverträgen regelmäßig ‑ von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen (RIS-Justiz RS0109942 [T6]) ‑ eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zukommt (RIS-Justiz RS0042819; RS0109942). Dies ist auch hier der Fall. Die Revision des Beklagten ist jedoch nicht berechtigt.

1. Nach Art V Punkt A) Z 27 KV Bäcker (Allgemeine Bestimmungen über das Entgelt) ist jeder Arbeitnehmer nach seiner überwiegenden Verwendung in die Verwendungsgruppe des Lohnvertrags einzustufen.

Die jeweiligen Mindestlöhne sind in Art II des Lohnvertrags festgehalten. Unter Punkt A. finden sich die MitarbeiterInnen in der Produktion (Verwendungsgruppen 1 bis 5) und unter Punkt B. die MitarbeiterInnen außerhalb der Produktion (Verwendungsgruppen 6 bis 10).

Der „Anhang zum Lohnvertrag betreffend die Verwendungsgruppen und die denselben zu verrichtenden Arbeiten“, der nach dem Kollektivvertrag einen integrierenden Bestandteil des Lohnvertrages bildet, beschreibt die Verwendungsgruppen 1 bis 5 wie folgt:

Verwendungsgruppe 1

a) Mischer/in:

Verantwortlich für die Herführung von Teigen, z.B. Brot, Gebäck und Feingebäck. Überwachung der Teigaufbereitung, Mitarbeit an der Tafel; Überwachung des gesamten Produktionsablaufes.

b) Ofenarbeiter/in:

Verantwortlich für die Ofenarbeit an den verschiedensten Ofentypen sowie Einschießen und Ausbacken; Überwachung der dazugehörigen Arbeiten, verantwortlich für die Gare, Mitarbeit an der Tafel; Überwachung des gesamten Produktionsablaufes.

Verwendungsgruppe 2

a) Vizemischer/in:

Unterstützung der/des Mischerin/Mischers durch Herrichten von Mehl und der verschiedenen Materialien (Zutaten), wenn erforderlich auch selbstständiges Mischen (Herführung von Teigen), Überwachung und Mitarbeit an der Tafel.

b) Tafelarbeiter/in:

Handformen von verschiedensten Brotsorten, Gebäck und Feingebäck. Bedienen und Arbeiten an den modernen Anlagen (wie Kleingebäckanlagen, Brot- und Semmelstraßen und andere Anlagen), die zur Herstellung von Backwaren angewendet werden.

Verwendungsgruppe 3

Qualifizierte Arbeitnehmer/innen in der Produktion:

ArbeitnehmerInnen, welche unter Aufsicht zu qualifizierten Tätigkeiten herangezogen werden. ArbeitnehmerInnen mit Lehrabschlussprüfung, wenn sie von einem anderen Betrieb kommen, für die Dauer von einem Jahr oder wenn sie im Betrieb gelernt haben, sechs Monate nach der Behaltefrist. Weiters ArbeitnehmerInnen mit abgeschlossener Lehre ohne Lehrabschlussprüfung, wenn sie nicht Tätigkeiten der Verwendungsgruppe 1 oder 2 ausüben.

Verwendungsgruppe 4

Arbeiter/in nach Beendigung der Lehrzeit während der Dauer der gesetzlichen Behaltepflicht.

Verwendungsgruppe 5

Sonstige Arbeitnehmer/innen in der Produktion

2. Bei der Auslegung von Kollektivverträgen ist in erster Linie der Wortsinn - auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen - zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0010089). Maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann. Denn die Normadressaten, denen nur der Text des Kollektivvertrags zur Verfügung steht, können die Vorstellungen, die die Kollektivvertragsparteien beim Abschluss vom Inhalt der Norm besessen haben, weder kennen noch feststellen. Eine von den Parteien mit einer Regelung verfolgte Absicht kann somit nur dann berücksichtigt werden, wenn sie im Text in hinreichender Weise ihren Niederschlag gefunden hat (8 ObA 46/12s; 9 ObA 81/13x; 9 ObA 97/14a; RIS‑Justiz RS0010089 [T17]; RS0010088 [T18] ua). Im Zweifel ist bei der Auslegung von kollektivvertraglichen Bestimmungen davon auszugehen, dass die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen wollten, verbunden mit einem gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen (RIS‑Justiz RS0008828; RS0008897).

3. Im Allgemeinen ist für die Einstufungsmodelle der Kollektivverträge die Tätigkeit des Arbeitnehmers zentral, weil aus ihr die Wertschöpfung für den Arbeitgeber folgt und darin seine eigentliche Motivation für den Beginn des Arbeitsverhältnisses gelegen ist. Für die Einstufung kommt es daher in der Regel auf die Tätigkeitsmerkmale, auf den Inhalt der Arbeit und auf die tatsächlich vorwiegend ausgeübte Tätigkeit an (8 ObA 20/09p; 9 ObA 80/11x; 8 ObA 72/12i; 8 ObA 6/13k; 9 ObA 63/14a; 8 ObA 79/15y ua; Resch , Die Einstufung im Kollektivvertrag, wbl 1999, 238). Außer auf die tatsächlich vorwiegend ausgeübte Tätigkeit des Arbeitnehmers können die Kollektivverträge aber auch auf die facheinschlägige Ausbildung, die Art der ausgeübten Funktion oder die Innehabung einer bestimmten Position im Unternehmen abstellen (8 ObA 72/12i; 8 ObA 6/13k; 9 ObA 63/14a; 8 ObA 79/15y ua).

4. Der hier anzuwendende Kollektivvertrag für Arbeiter im österreichischen Bäckergewerbe sieht zunächst ganz allgemein eine Einstufung des Arbeitnehmers in die Verwendungsgruppen des Lohnvertrages nach dessen überwiegender Verwendung vor (Art V Punkt A) Z 27 KV Bäcker). In den einzeln aufgelisteten Verwendungsgruppen 1-9 werden die jeweiligen Verwendungsbezeichnungen aufgezählt, deren jeweilige Tätigkeitsbeschreibung im Anhang zum Lohnvertrag enthalten ist. Der vom Kläger angestrebten Verwendungsgruppe 1 unterfallen danach Arbeitnehmer, die die Tätigkeiten eines Mischers oder Ofenarbeiters verrichten. Ein sonstiges (zusätzliches) Erfordernis für die Zuordnung eines Mischers oder Ofenarbeiters in die Verwendungsgruppe 1, etwa eine abgeschlossene Lehre (mit oder ohne Lehrabschlussprüfung), schreibt der Kollektivvertrag für die Verwendungsgruppe 1 nicht vor. Da die Kollektivvertragsparteien demgegenüber der Einstufung von Arbeitnehmern in anderen Verwendungsgruppen (3, 4 und 9) dem Kriterium der abgeschlossenen Lehre ohne bzw mit Lehrabschlussprüfung eine ausdrückliche Bedeutung zugemessen haben, ist für die Normadressaten ersichtlich, dass es auch nach dem KV Bäcker in erster Linie auf die tatsächlich vom Arbeitnehmer verrichtete Tätigkeit ankommt und zusätzliche Kriterien für die Einstufung nur dort relevant sind, wo sie ausdrücklich in einzelnen Verwendungsgruppen genannt werden.

Bei der Verwendungsgruppe 1 wird ‑ nach dem Text des Kollektivvertrags ‑ (nur) auf die konkret verrichtete Tätigkeit des Arbeitnehmers und die damit verbundene besondere Verantwortung des Arbeitnehmers abgestellt. Dass schon alleine die Verrichtung der Tätigkeit eines Mischers oder Ofenarbeiters (ohne abgeschlossene Lehre) nach Ansicht der Kollektivvertragsparteien die höchste im Kollektivvertrag vorgesehene Entlohnung rechtfertigt, ist ‑ entgegen der Ansicht des Revisionswerbers ‑ auch nicht per se unsachlich, sondern liegt innerhalb des den Kollektivvertragsparteien zur Verfügung stehenden Gestaltungsspielraums (vgl 9 ObA 63/14a mwN), liegt doch in der konkreten vom Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeit auch die zentrale Motivation des Arbeitgebers für die Entlohnung des Arbeitnehmers. Dabei setzen die Kollektivvertragsparteien offensichtlich voraus, dass auch ein Arbeitnehmer ohne abgeschlossene Bäcker-Lehre (siehe zu deren Anforderungen die Bäcker/in-Ausbildungsordnung BGBl II 2010/192) die Tätigkeit eines Mischers oder Ofenarbeiters, etwa aufgrund einschlägiger Praxis (wie im Fall des Klägers, der angab, früher in der Bäckerei seines Vaters gearbeitet zu haben), in fachlicher Hinsicht genau so gut und ebenso verantwortungsvoll ausüben kann, wie ein Mischer oder Ofenarbeiter mit abgeschlossener Lehre. Der Revisionswerber stellt die einschlägige Verwendung des Klägers auch gar nicht in Frage, sondern argumentiert nur mit dem fehlenden Lehrabschluss des Klägers.

5. Zusammengefasst ist daher ein Arbeitnehmer, der die in der Verwendungsgruppe 1 des KV Bäcker näher beschriebenen Tätigkeiten eines Mischers oder Ofenarbeiters verrichtet, auch wenn er über keine abgeschlossene Lehre verfügt, in die Verwendungsgruppe 1 des KV Bäcker einzustufen und nach dem für diese Verwendungsgruppe im Lohnvertrag vorgesehenen Mindestlohn zu entlohnen.

Der unbegründeten Revision des Beklagten war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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