OGH 8ObA79/15y

OGH8ObA79/15y25.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johanna Biereder und Mag. Matthias Schachner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei G***** P*****, vertreten durch Dr. Christine Ulm, Rechtsanwältin in Graz, gegen die beklagte Partei Holding G***** GmbH, *****, vertreten durch die Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 17. September 2015, GZ 6 Ra 54/15f‑35, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:008OBA00079.15Y.1125.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt ‑ wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat ‑ nicht vor.

Eine Überraschungsentscheidung besteht nicht schon dann, wenn eine Partei eine andere Entscheidung des Gerichts erwartet hat. Vielmehr darf das Gericht die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die sie übersehen oder für unerheblich gehalten haben (RIS‑Justiz RS0037300). Das Gericht ist allerdings nicht zur Erörterung eines Vorbringens gehalten, dessen Schwächen bzw Ergänzungsbedürftigkeit bereits der Prozessgegner aufgezeigt hat (RIS‑Justiz RS0122365).

Der Kläger hat unter anderem vorgebracht, dass seine Krankenstände kein sachliches Kriterium für die Verweigerung der angestrebten höheren Einstufung sei. Die Beklagte hat dazu eingewendet, der Kläger habe hohe Krankenstände aufgewiesen und zwei Anträge auf Zuerkennung einer Invaliditätspension gestellt. Die sachliche Rechtfertigung für die nicht erfolgte höhere Einstufung liege darin, dass der Kläger vor seiner Position als Remisenfahrer im „Pool“ tätig gewesen sei. Die Beklagte hat somit selbst die Krankenstände und die Poolzugehörigkeit des Klägers mit der Nichtvornahme der höheren Einstufung in Verbindung gebracht. Warum ihr in dieser Hinsicht die Möglichkeit genommen worden sein soll, weitere rechtserhebliche Tatumstände vorzutragen (vgl 8 Ob 71/15x), ist nicht ersichtlich.

2.1 Im Allgemeinen ist für die Einstufungsmodelle der Kollektivverträge die Tätigkeit des Arbeitnehmers maßgebend. Außer auf die vorwiegend ausgeübte Tätigkeit des Arbeitnehmers stellen die Kollektivverträge häufig auch auf die facheinschlägige Ausbildung ab. Darüber hinaus gibt es eine Reihe anderer geeigneter Einstufungsmerkmale, wie etwa die Art der ausgeübten Funktion oder die Innehabung einer bestimmten Position im Unternehmen (8 ObA 6/13k; vgl auch 8 ObA 72/12i).

2.2 Für die Einstufung bei der Beklagten ist § 10 des Kollektivvertrags für DienstnehmerInnen der Beklagten maßgebend. In den Regelungen zu den einzelnen Lohngruppen unterscheidet der Kollektivvertrag im gegebenen Zusammenhang zwischen LenkerInnen, FahrerInnen und SchaffnerInnen. Lenker sind vor allem Autobus‑, PKW‑ und LKW‑Lenker. Daneben gibt es Straßenbahnfahrer und Remisenfahrer. Zudem wird im Kollektivvertrag eine Unterscheidung zwischen Fahrdienst und Verkehrsdienst vorgenommen. Zum Verkehrsdienst gehören die Verkehrsbediensteten nach § 69 KV. Nach dieser Bestimmung knüpft der Verkehrsdienst an den (gewöhnlichen) Betrieb der Straßenbahn und der Autobusse an und meint Straßenbahnfahrer und Buslenker im Rahmen des Personenverkehrs.

2.3 Grundsätzlich sind die genannten Berufsgruppen der Lenker und Fahrer nach dem Kollektivvertrag in die Lohngruppe 5 einzustufen. Nach zehnjähriger einschlägiger Verwendung im Fahrdienst erfolgt eine Einstufung in die Lohngruppe 4. Für eine (vom Kläger angestrebte) Einstufung in die Lohngruppe 3 ist im gegebenen Zusammenhang (für übrige Verkehrsbedienstete nach § 69 KV) eine 20‑jährige einschlägige Verwendung im Verkehrsdienst maßgebend.

3.1 Grundsätzlich sind die Parteien des Kollektivvertrags frei, über die Voraussetzungen der Einstufung zu entscheiden. Sie müssen dabei die allgemeinen gesetzlichen Schranken, den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz und den ihnen zur Verfügung stehenden Gestaltungsspielraum beachten (8 ObA 6/13k; vgl auch 9 ObA 9/13h).

3.2 Die Regelungen des zugrunde liegenden Kollektivvertrags werden vom Kläger nicht angegriffen. Er stützt sich aber auf eine unsachliche Schlechterstellung durch seine Einstufung in die Lohngruppe 4.

Könnte sich die Beklagte auf eine strikte Einhaltung der Regelungen des Kollektivvertrags berufen, so käme eine Verletzung des allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgebots nicht in Betracht. Derartige Überlegungen scheitern allerdings schon daran, dass der Kollektivvertrag für eine höhere Einstufung in die Lohngruppe 3 eine 20‑jährige einschlägige Verwendung im Verkehrsdienst vorsieht. Bei den relevanten Vergleichspersonen ‑ dabei handelt es sich um jene der zum Stichtag 1. Juli 2014 bei der Beklagten als Remisenfahrer beschäftigten Dienstnehmer, die eine 20‑jährige Dienstzeit zunächst als Straßenbahnfahrer und dann als Remisenfahrer aufweisen ‑ ist diese Voraussetzung (mit einer Ausnahme) allerdings nicht gegeben.

4.1 Das Klagebegehren ist demnach dann berechtigt, wenn die Beklagte durch ihre Entlohnungspraktik gegen das allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgebot verstoßen hat. Nach diesem Grundsatz ist der Arbeitgeber verpflichtet, einzelne Arbeitnehmer nicht willkürlich, also ohne sachliche Rechtfertigung, schlechter zu behandeln als die übrigen. Die Rechtsprechung stellt dabei die Prüfung in den Vordergrund, ob der Behandlung bessergestellter Arbeitnehmer ein erkennbares generalisierendes Prinzip ‑ bei dessen Bestimmung der Arbeitgeber grundsätzlich im gesetzlichen und kollektivvertraglichen Rahmen frei ist ‑ zugrunde liegt, von dem der Arbeitgeber im Einzelfall willkürlich oder ohne sachlichen Grund abgewichen ist und dem Einzelnen das vorenthält, was er anderen zubilligt (9 ObA 135/11k; vgl auch 9 ObA 9/13h).

4.2 Nach den Feststellungen sind die relevanten Vergleichspersonen bei der Beklagten als Straßenbahnfahrer eingetreten und haben sich nach einer mehrjährigen (mindestens siebenjährigen) Tätigkeit als Straßenbahnfahrer auf eine ausgeschriebene Stelle als Remisenfahrer beworben. Nach einer insgesamt 20‑jährigen Dienstzeit zunächst als Straßenbahn- und dann als Remisenfahrer wurden sie automatisch in die Lohngruppe 3 höhergestuft.

Auch der Kläger hat weit mehr als sieben Jahre als Straßenbahnfahrer dem Verkehrsdienst angehört. Mit dieser Tätigkeit hat er bereits ein halbes Jahr nach Eintritt bei der Beklagten als Schaffner begonnen. Der Unterschied zu den Vergleichspersonen besteht darin, dass sich der Kläger nicht als aktiver Straßenbahnfahrer freiwillig auf eine Stelle eines Remisenfahrers beworben hat, sondern wegen langer Krankenstände der Organisationseinheit „Pool“ zugewiesen wurde und vom Poolverantwortlichen als Remisenfahrer eingesetzt wurde, weiters er nicht nur Tätigkeiten als Straßenbahnfahrer und Remisenfahrer aufweist, sondern auch als Hilfsarbeiter und Portier, und er nach Ablauf der 20‑jährigen Dienstzeit nicht schon Remisenfahrer, sondern Hilfsarbeiter war.

Der zur Rechtfertigung herangezogene Hinweis der Beklagten auf eine weniger umfassende Ausbildung des Klägers und die geringere Qualifikation als Remisenfahrer geht fehl, weil der Kläger mehrere Jahre auch Straßenbahnfahrer war. In der „früher ausgeübten höheren Tätigkeit als Straßenbahnfahrer“ besteht somit kein relevanter Unterschied zu den Vergleichspersonen. Die Ausbildung zum Remisenfahrer musste der Kläger wegen der relevanten Fahrunterbrechung machen. Gleich wie der Kläger müssten auch die übrigen Remisenfahrer ‑ nach einjähriger Unterbrechung der Tätigkeit als Straßenbahnfahrer ‑ die gesamte Schulung als Straßenbahnfahrer wiederholen. Warum der von der Beklagten ins Treffen geführten „Flexibilität der Vergleichspersonen in puncto Einsetzbarkeit als Straßenbahnfahrer“ eine Bedeutung zukommen soll, vermag die Beklagte nicht näher darzulegen. Die Vergleichspersonen sind seit mehreren Jahren unverändert auf der Stelle eines Remisenfahrers eingesetzt. Eine in absehbarer Zukunft zu erwartende Änderung dieser Verwendung hat die Beklagte nicht behauptet.

4.3 Die Abweichung von dem der höheren Einstufung zugrunde liegenden generalisierenden Prinzip bezieht sich somit auf den Umstand, dass der Kläger aus seiner Poolzugehörigkeit heraus als Remisenfahrer eingesetzt wurde. Er weist hingegen ‑ so wie die Vergleichspersonen ‑ eine 20‑jährige Dienstzeit als Straßenbahn- und Remisenfahrer auf.

Die Frage der richtigen Einstufung nach den Regelungen eines Kollektivvertrags ist eine solche des jeweiligen Einzelfalls und begründet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage (9 ObA 79/12a; 9 ObA 156/13a).

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Kläger dieselbe Ausbildung wie die übrigen Remisenfahrer aufweise, keine unterschiedlichen Qualifikationen gegeben seien und die Beklagte keine leistungsbezogene Differenzierung ins Treffen führen könne, sowie weiters dass das zugrunde liegende Unterscheidungskriterium der Zugehörigkeit zum „Pool“ eine unterschiedliche Behandlung nicht rechtfertigen könne, steht mit den dargelegten Grundsätzen im Einklang und stellt keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar.

5. Die Fassung des Urteilsbegehrens und die vom Berufungsgericht dazu angestellten Überlegungen werden von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen.

6. Insgesamt gelingt es der Beklagten nicht, mit ihren Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.

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