OGH 8ObA72/12i

OGH8ObA72/12i27.11.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martina Rosenmayr-Khoshideh und Susanne Jonak als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei DI S***** K*****, vertreten durch die Freimüller Obereder Pilz & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei f***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Jürgen Dorner, Rechtsanwalt in Wien, wegen 6.066,46 EUR brutto sA und Dienstzeugnis (750 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Juli 2012, GZ 8 Ra 56/12g-12, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 9. Jänner 2012, GZ 29 Cga 114/11p-8, teilweise abgeändert wurde (Revisionsinteresse 1.492,18 EUR brutto sA), in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts (abgesehen von der Kostenentscheidung) wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.949,42 EUR (darin enthalten 279,74 EUR USt und 271 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit 814,27 EUR (darin enthalten 135,71 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 530,82 EUR (darin enthalten 56,14 EUR USt und 194 EUR Pauschalgebühren) bestimmten Kosten der Revision binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 6. 1. 2010 bis 31. 8. 2010 als bautechnische Zeichnerin bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis, das durch Kündigung der Klägerin endete, gelangte der Kollektivvertrag für Angestellte von Architekten und Ingenieurkonsulenten zur Anwendung. Vor ihrer Tätigkeit bei der Beklagten beendete die Klägerin ihr Architekturstudium und absolvierte ein dreimonatiges Praktikum in einem Architekturbüro. Bei der Beklagten bewarb sich die Klägerin auf die Stelle einer Hochbautechnikerin für Entwurf, Einreichung, Ausführung und Polierplanung. Sie arbeitete als bautechnische Zeichnerin, wobei sie mit Polierplanungen und Detailplanungen befasst war und zudem Bebauungsstudien machte. Sie arbeitete eigenverantwortlich und konnte die ihr übertragenen Aufgaben erledigen. Die jeweiligen Projekte wurden mit der Klägerin besprochen; die von ihr fertiggestellten Planungen wurden kontrolliert. Täglich wurden die Arbeitsfortschritte und Probleme bei einer „Kaffeerunde“ besprochen.

Die Klägerin begehrte restliches Gehalt, Sonderzahlungen, Urlaubsersatzleistung samt Sonderzahlungen sowie Überstundenentgelt samt Zuschlägen. Nach dem anzuwendenden Kollektivvertrag hätte sie in der Verwendungsgruppe 4, Beschäftigungsgruppe 1, einen Anspruch auf 1.787 EUR brutto 14 x jährlich gehabt. Tatsächlich habe sie nicht nur den Dienstnehmeranteil, sondern ebenso den Dienstgeberanteil tragen müssen. Sie habe fixe Arbeitszeiten einhalten müssen. Die geleisteten Arbeitsstunden habe sie aufgezeichnet und den konsumierten Zeitausgleich abgezogen.

Die Beklagte entgegnete, dass der festgesetzte Stundenbetrag von 13,75 EUR vereinbarungsgemäß sowohl die Dienstnehmerbeiträge als auch die Dienstgeberbeiträge zur Sozialversicherung beinhaltet habe. Das Entgelt habe daher nur 8,40 EUR brutto pro Stunde betragen. Mangels persönlicher Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit der Klägerin habe kein echter Arbeitsvertrag bestanden. Jedenfalls sei sie aber nicht in die Beschäftigungsgruppe 4 des Kollektivvertrags einzuordnen, weil diese neben einem Universitätsabschluss auch praktische Erfahrungen voraussetze. Ein Urlaubsanspruch sei mit der Klägerin nicht vereinbart gewesen. Sämtliche von der Klägerin geleisteten Stunden seien ordnungsgemäß abgegolten worden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren - abgesehen von der Abweisung eines Teilbetrags von 514,72 EUR sA - statt. Nach dem anzuwendenden Kollektivvertrag sei die Klägerin in die Beschäftigungsgruppe 4, Verwendungsgruppe 1, einzuordnen, weil sie die ihr übertragenen Arbeiten, nämlich Polier- und Detailplanungen, selbständig erledigt habe. Eine Einordnung in die Beschäftigungsgruppe 3 sei nicht geboten, weil es sich bei der Beschäftigungsgruppe 4 um die erste Beschäftigungsgruppe handle, für die ein Universitätsabschluss gefordert werde. Die berechtigten Ansprüche der Klägerin errechneten sich mit 5.551,74 EUR brutto. Zudem sei die Beklagte zur Ausstellung des Dienstzeugnisses verpflichtet.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 4.059,56 EUR brutto sA. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts sei die Klägerin nicht in die Beschäftigungsgruppe 4, sondern in die Beschäftigungsgruppe 3 einzuordnen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass es sich bei der Tätigkeit als bautechnische Zeichnerin um schwierige Arbeiten handle, die weitgehend selbständig ausgeführt würden. Auch könnten der Klägerin keine besonderen praktischen Erfahrungen angerechnet werden, weil ein dreimonatiges Praktikum in einem Architekturbüro dafür nicht ausreiche. Ausgehend vom geringeren Kollektivvertragsgehalt errechne sich der offene Gehaltsanspruch der Klägerin mit 4.059,56 EUR brutto. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage der Abgrenzung der Beschäftigungsgruppen im Kollektivvertrag für Angestellte bei Architekten und Ingenieurkonsulenten höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen den (nicht rechtskräftigen) abweisenden Teil dieser Entscheidung (2.006,90 EUR minus 514,72 EUR) richtet sich die Revision der Klägerin, die auf die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts abzielt.

Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, dem Rechtsmittel der Gegenseite den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Im Anlassfall ist zu klären, welche Einstufungsmerkmale für die Abgrenzung der einzelnen Beschäftigungsgruppen im Kollektivvertrag für Angestellte von Architekten und Ingenieurkonsulenten maßgebend sind. Es geht somit um eine allgemeine Auslegungsfrage hinsichtlich des anzuwendenden Kollektivvertrags und nicht lediglich um die Einstufung anhand der konkreten Tätigkeiten. Die Revision ist damit zulässig. Sie ist auch berechtigt.

1.1 Nach ständiger Rechtsprechung ist der normative Teil eines Kollektivvertrags nach den Auslegungsregeln der §§ 6, 7 ABGB auszulegen (RIS-Justiz RS0008807; RS0010088). Im Zweifel ist zu unterstellen, dass die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten (RIS-Justiz RS0008828; RS0008897).

1.2 Grundsätzlich sind die Parteien des Kollektivvertrags frei, über die Voraussetzungen der Einstufung zu entscheiden. Sie müssen dabei nur die allgemeinen gesetzlichen Schranken, den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz und den ihnen zur Verfügung stehenden Gestaltungsspielraum beachten (vgl 9 ObA 80/11x). Im Allgemeinen ist für die Einstufungsmodelle der Kollektivverträge die Tätigkeit des Arbeitnehmers zentral, weil aus ihr die Wertschöpfung für den Arbeitgeber und damit seine eigentliche Motivation für den Beginn des Arbeitsverhältnisses gelegen ist. Außer auf die tatsächlich vorwiegend ausgeübte Tätigkeit des Arbeitnehmers stellen die Kollektivverträge häufig auch auf die facheinschlägige Ausbildung ab (8 ObA 20/09p; 9 ObA 80/11x).

2.1 § 15 des zugrunde liegenden Kollektivvertrags enthält eine allgemeine Beschreibung der Voraussetzungen für die Gehaltseinstufung. Nach Abs 4 richten sich die konkreten Voraussetzungen für die Zuordnung zu den einzelnen Beschäftigungsgruppen nach „den Beschreibungen der verschiedenen Beschäftigungsgruppen“ in § 18 des Kollektivvertrags.

§ 15 dient demnach als Interpretationshilfe. § 15 Abs 2 lit a lassen sich als Einstufungsmerkmale eine bestimmte Berufstätigkeit einerseits sowie eine fachliche Ausbildung (Schulbildung bzw Berufsausbildung samt Prüfung) oder eine diese Ausbildung ersetzende einschlägige Praxis andererseits entnehmen.

2.2 § 15 Abs 2 lit c fordert eine zumindest überwiegende (tatsächliche) Beschäftigung mit den für die Beschäftigungsgruppe kennzeichnenden Arbeiten. Dadurch werden zwei Anforderungen an das Merkmal der Berufstätigkeit konkretisiert, und zwar in Bezug auf den Umfang und die Art der ausgeübten Tätigkeiten. Daraus ist abzuleiten, dass § 15 Abs 2 lit a die grundsätzliche Anordnung darstellt und lit b bis d Konkretisierungen dazu enthalten.

Dem Berufungsgericht ist durchaus darin zuzustimmen, dass die für die vorwiegende kennzeichnende Tätigkeit erforderlichen theoretischen Kenntnisse und praktischen Fähigkeiten vorliegen müssen (§ 15 Abs 2 lit b). Diese sind aber nicht im Einzelfall gesondert zu überprüfen, sondern werden nach der grundsätzlichen Anordnung in § 15 Abs 2 lit a des Kollektivvertrags entweder durch die besondere fachliche Ausbildung oder durch eine diese Ausbildung ersetzende Praxis nachgewiesen.

2.3 Nach dem zugrunde liegenden Kollektivvertrag bestehen somit zwei Einstufungsmerkmale. Das Hauptkriterium ist nach § 15 die vorwiegend (vgl auch Abs 7) ausgeübte Tätigkeit, die den kennzeichnenden Verrichtungen bzw Aufgaben (vgl auch Abs 5) entsprechen muss. Zudem muss eine bestimmte fachliche Ausbildung bestehen, die gegebenenfalls durch eine entsprechende Praxis ersetzt werden kann.

3.1 Diese Systematik lässt sich auch den für die Einstufung maßgebenden „Beschreibungen der verschiedenen Berufsgruppen“ in § 18 des Kollektivvertrags entnehmen.

Ab der Beschäftigungsgruppe 2 werden zunächst jeder Beschäftigungsgruppe die charakteristischen Tätigkeiten bzw Aufgaben vorangestellt. Als zusätzliche Voraussetzung wird sodann eine bestimmte Schulbildung bzw Berufsausbildung beschrieben, die durch die Ablegung einer bestimmten Prüfung nachzuweisen ist. In bestimmten Fällen kann diese Ausbildung durch eine einschlägige Praxis ersetzt werden; in anderen Fällen wird von vornherein eine Kombination zwischen einer bestimmten Ausbildung und einer bestimmten einschlägigen Berufspraxis verlangt. Zum Schluss werden für jede Beschäftigungsgruppe beispielhaft bestimmte typische Berufsbilder (Berufsbezeichnungen) genannt.

3.2 Diese Überlegungen gelten auch für die hier fragliche Berufsgruppe 4. Dementsprechend besteht das erste Einstufungskriterium in der vorwiegend ausgeübten Tätigkeit. Diese muss sich auf schwierige Arbeiten beziehen, die weitgehend selbständig ausgeführt werden.

Gleich wie in § 15 beziehen sich die bei der Beschäftigungsgruppe 4 erwähnten theoretischen Fachkenntnisse und praktischen Erfahrungen auf das Merkmal der zusätzlich erforderlichen Ausbildung samt Ablegung der jeweils genannten Prüfung. Nach lit a der Beschäftigungsgruppe 4 wird dieses Merkmal der Ausbildung durch ein ordnungsgemäß abgeschlossenes Universitätsstudium im Fachgebiet der Verwendung erfüllt.

3.3 Die Klägerin wurde bei der Beklagten als Hochbautechnikerin für Entwurf, Einreichung, Ausführung und Polierplanung eingestellt. Dementsprechend war sie als bautechnische Zeichnerin im Rahmen der Ausbildung zur Ziviltechnikerin mit Polierplanungen und Detailplanungen befasst und machte zusätzlich noch Bebauungsstudien. Sie arbeitete eigenverantwortlich und konnte die ihr übertragenen Aufgaben aufgrund ihrer Ausbildung auch erledigen.

Zu den Berufsbildern, die laut Kollektivvertrag der Berufsgruppe 4 zugeordnet werden, zählen nicht nur Diplomingenieure und Diplomingenieure Fachhochschule, sondern auch Ingenieure und Techniker für Entwurf. Damit ist klargestellt, dass die im Vordergrund stehenden Entwurfs- und Planungstätigkeiten der Klägerin schwierige Arbeiten im Sinn der Beschäftigungsgruppe 4 darstellen. Die Klägerin hat diese Arbeiten eigenverantwortlich und damit auch weitgehend selbständig ausgeführt. Die festgestellten Projektaufträge durch die Geschäftsführerin der Beklagten und die Projektleiter, die Arbeitsbesprechungen und die Kontrolle der fertiggestellten Pläne sind für einen arbeitsteiligen Prozess der Projektentwicklung typisch und ändern nichts an den fachspezifischen Tätigkeiten der Klägerin. Schließlich verfügt sie über die erforderliche Ausbildung in Form eines abgeschlossenen Universitätsstudiums. Dass ihr Architekturstudium genau das Fachgebiet ihrer Verwendung als bautechnische Zeichnerin betrifft, kann nicht zweifelhaft sein.

Damit erfüllte die Klägerin alle Voraussetzungen für eine Einstufung in die Beschäftigungsgruppe 4.

4.1 Zusammenfassend ergibt sich:

Für die Einstufung nach dem Kollektivvertrag für Angestellte von Architekten und Ingenieurkonsulenten sind nach den §§ 15 und 18 leg cit die Einstufungsmerkmale der vorwiegend ausgeübten Tätigkeit und der fachlichen Ausbildung (Schulbildung bzw Berufsausbildung samt Prüfung), die in bestimmten Fällen durch eine entsprechende Praxis ersetzt werden kann, maßgebend. Die bei der Beschäftigungsgruppe 4 erwähnten theoretischen Fachkenntnisse und praktischen Erfahrungen beziehen sich auf das Merkmal der Ausbildung.

4.2 Ausgehend von diesen Grundsätzen hält die Entscheidung des Berufungsgerichts der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof nicht stand. Dementsprechend war in Stattgebung der Revision die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen. Die Berechnung der Ansprüche der Klägerin durch das Erstgericht stieß auf keinen Widerspruch.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 43 Abs 2, 50 ZPO iVm § 2 ASGG. Im erstinstanzlichen Verfahren war der Schriftsatz der Klägerin vom 26. 9. 2011 entsprechend der Ausführungen des Berufungsgerichts nur nach TP 2 RATG zu honorieren. Das Revisionsinteresse hat nur 1.492,18 EUR betragen.

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