OGH 8Ob71/15x

OGH8Ob71/15x30.7.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn und die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Außerstreitsache des Antragstellers S*****, vertreten durch die Pacher & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Graz, gegen die Antragsgegner 1) U***** O*****, und 2) K***** G*****, beide vertreten durch Semlitsch & Klobassa, Rechtsanwälte in Voitsberg, 3) G***** T*****, vertreten durch Mag. Gerald Planner, Rechtsanwalt in Voitsberg, sowie 4) L***** W*****, 5) I***** H*****, und 6) K***** H*****, ebendort, diese vertreten durch Mag. Werner Prettenthaler, Rechtsanwalt in Bärnbach, wegen Einräumung eines Notwegs, über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 23. April 2015, GZ 3 R 238/14p‑58, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Voitsberg vom 6. Oktober 2014, GZ 1 Nc 70/11g‑52, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0080OB00071.15X.0730.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Antragsteller ist schuldig, den Erst‑ und Zweitantragsgegnern einerseits sowie den Viert‑ bis Sechstantragsgegnern andererseits die jeweils mit 247,37 EUR (darin enthalten 41,23 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Dem Antragsteller wurde die Liegenschaft EZ ***** GB ***** nach dem Tod von J***** L***** an Zahlungs statt gemäß § 154 AußStrG überlassen. Das Eigentumsrecht des Antragstellers ist im Grundbuch nicht einverleibt. Die in Rede stehende Liegenschaft ist im Jahr 1939 aufgrund der Parzellierung einer größeren Gesamtfläche entstanden. Die Liegenschaft verfügt über einen Zugang zum öffentlichen Straßennetz. Eine Zufahrtsmöglichkeit bestünde (unter anderem) über das Grundstück ***** GB *****. Die Errichtung dieser Zufahrt wäre mit einem geringen baulichen Aufwand möglich.

Der Antragsteller begehrte die Einräumung eines Notwegerechts primär an der Liegenschaft der Erst‑ und Zweitantragsgegner EZ ***** GB *****, in eventu, an der Liegenschaft der Drittantragsgegnerin EZ ***** GB *****, in eventu, an der Liegenschaft der Viertantragsgegnerin EZ ***** GB ***** in Verbindung mit der Liegenschaft der Fünft‑ und Sechstantragsgegner EZ ***** GB *****. Dazu brachte der Antragsteller vor, dass er aufgrund des rechtskräftigen Beschlusses vom 27. 2. 2006 außerbücherlicher Alleineigentümer des notbedürftigen Grundstücks 1/2 in EZ ***** GB ***** sei. Dieses Grundstück verfüge zwar über einen Anschluss an das öffentliche Gut. Dieser sei jedoch nur 2,5 m breit und könne nur begangen werden. Eine Zufahrt mit Fahrzeugen sei nicht möglich. Die Voreigentümerin treffe keine auffallende Sorglosigkeit. Eine solche habe der Antragsteller auch nicht zu vertreten.

Die Antragsgegner sprachen sich gegen die Einräumung eines Notwegs jeweils über ihre Grundstücke aus. Sie beriefen sich auf das Vorliegen eingefriedeter Hofzufahrten und Gartenflächen, weiters auf die erhebliche Belastung ihrer Grundstücke und die auffallende Sorglosigkeit der Voreigentümerin der notleidenden Liegenschaft, die die Zufahrtsprobleme selbst herbeigeführt habe.

Das Erstgericht wies sowohl das Hauptbegehren als auch die Eventualbegehren ab. Nach den Feststellungen bestehe über das Grundstück ***** GB ***** eine geeignete Möglichkeit für die Herstellung einer Zufahrt zur Liegenschaft des Antragstellers. Diese Wegvariante habe der Antragsteller allerdings nicht in sein Begehren aufgenommen. Außerdem seien die Liegenschaften der Erst‑ und Zweitantragsgegner sowie der Drittantragsgegnerin eingefriedet.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Gemäß § 9 Abs 1 NWG sei das Verfahren auf Einräumung eines Notwegs auf Antrag des Eigentümers der notleidenden Liegenschaft einzuleiten. Zur Antragstellung seien nach Rechtsprechung und Lehre nur der Eigentümer und der Bauberechtigte der notleidenden Liegenschaft, nicht jedoch auch sonstige dinglich oder obligatorisch Berechtigte legitimiert. Dies gelte auch für den bloß vorgemerkten Eigentümer. Ein Antrag könne daher nur vom verbücherten, nicht aber auch vom potenziellen Eigentümer gestellt werden. Die Überlassung an Zahlungs statt bilde nur einen Erwerbstitel für den Gläubiger zum Erwerb des Eigentums. Bei Liegenschaften sei auch in diesem Fall eine Einverleibung im Grundbuch erforderlich. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage ob auch derjenige, dem eine Liegenschaft gemäß § 154 AußStrG an Zahlungs statt überlassen wurde, für einen Antrag auf Einräumung eines Notwegs antragslegitimiert sei, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Antragstellers, der auf eine Stattgebung seines Antrags abzielt.

Mit ihren Revisionsrekursbeantwortungen beantragen sowohl die Erst‑ und Zweitantragsgegner als auch die Viert‑ bis Sechstantragsgegner, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil zur Antragslegitimation nach § 9 Abs 1 NWG eine Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof geboten erscheint. Der Revisionsrekurs ist aber nicht berechtigt.

1.1  Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt ‑ wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat ‑ nicht vor.

Es ist zwar richtig, dass auch im Verfahren Außerstreitsachen das Verbot von Überraschungs-entscheidungen besteht (8 Ob 46/11i). Demnach darf das Gericht die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer (Rechts‑)Auffassung überraschen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie das Gericht nicht aufmerksam gemacht hat (RIS‑Justiz RS0037300). Dafür ist allerdings vorausgesetzt, dass das Gericht der betroffenen Partei die Möglichkeit genommen hat, rechtserhebliche Tatumstände und Rechtsansichten zu ergänzen bzw zu präzisieren, die sie ohne Hinweis auf die Rechtsauffassung des Gerichts erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat (vgl RIS‑Justiz RS0037300 [T20]). Der Partei muss aber nicht Gelegenheit gegeben werden, ein Vorbringen zu erstatten, das sie bislang nicht einmal angedeutet hat (T23). Schon gar nicht muss der Partei die Möglichkeit eingeräumt werden, ihr Begehren zu ändern oder nachträglich eine prozessuale Voraussetzung zu schaffen, um ihren Anspruch durchsetzen zu können. Schließlich hat der Rechtsmittelwerber in einer Verfahrensrüge wegen Verletzung der Pflichten nach §§ 182, 182a ZPO (hier iVm § 14 AußStrG) darzulegen, welches zusätzliche oder andere Vorbringen er aufgrund der von ihm nicht beachteten neuen Rechtsansicht erstattet hätte (T48).

Zur Begründung des geltend gemachten Verfahrensmangels führt der Antragsteller aus, dass er ‑ bei Erörterung der Frage der Aktivlegitimation ‑ die Möglichkeit gehabt hätte, sein Eigentum im Grundbuch einverleiben zu lassen. Dabei handelt es sich um eine außerprozessuale Maßnahme, zu deren Vornahme eine Entscheidung nicht aufgehoben werden kann.

1.2 § 5 AußStrG betrifft die parteibezogenen Verfahrensvoraussetzungen als Prozessvoraussetzungen. Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist diese Bestimmung im gegebenen Zusammenhang nicht, auch nicht analog, anzuwenden. Überlegungen zur Verfahrensökonomie können nicht fehlende materielle Voraussetzungen für die Durchsetzung eines Anspruchs ersetzen.

2.1  Nach § 1 NWG kann der Eigentümer einer notleidenden Liegenschaft die gerichtliche Einräumung eines Notwegs über fremde Liegenschaften begehren. Nach § 9 Abs 1 NWG ist das Verfahren auf Einräumung eines Notwegs auf Antrag des Eigentümers der notleidenden Liegenschaft einzuleiten.

2.2 Nach allgemeinen Grundsätzen stellt beim Eigentumserwerb von Liegenschaften die Eintragung im Grundbuch den Modus dar (§ 431 ABGB; § 4 GBG; RIS‑Justiz RS0011117). Das Gesetz hat Ausnahmen vom Eintragungsgrundsatz normiert; außerhalb dieses Bereichs ist kein Platz für sogenanntes „außerbücherliches Eigentum“. Soweit der Eintragungsgrundsatz herrscht, bewirkt die Übergabe der Liegenschaft in Verbindung mit einem schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäft nur einen auf Erwerb des dinglichen Rechts gerichteten Titel, nicht jedoch das dingliche Recht selbst (8 Ob 109/03t; 5 Ob 91/13p).

Nach der Rechtsprechung findet eine Durchbrechung des § 21 GBG im Fall einer Zwangsversteigerung gegen den Ersteher ab Anmerkung des Zuschlags im Grundbuch, im Fall einer Verschmelzung von Gesellschaften sowie zugunsten des Erben statt, der durch die Rechtskraft der Einantwortung Eigentum erwirbt (5 Ob 91/13p mwN), weiters bei der Ersitzung (4 Ob 166/14m), bei einer Enteignung, bei der redlichen Bauführung oder nach § 14 WEG 2002.

2.3 Für den Eigentümer einer notleidenden Liegenschaft nach dem NWG gelten keine Besonderheiten. Dementsprechend wurde in der Entscheidung 7 Ob 504/92 (EvBl 1992/115) ausgesprochen, dass nach § 1 NWG der Eigentümer einer Liegenschaft, die einer für die Zwecke einer ordentlichen Bewirtschaftung oder Benützung nötigen Wegverbindung mit dem öffentlichen Wegenetz entbehre, die Einräumung eines Notwegs über fremde Liegenschaften begehren könne. Unter dem „Eigentümer“ sei hier sowohl nach dem Wortlaut als auch nach dem Zweck des Gesetzes nur derjenige zu verstehen, der sich auf einen unbedingten Rechtserwerb stützen könne (vgl auch RIS‑Justiz RS0071012). Dieser geschehe ‑ von den hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen ‑ durch die Einverleibung des Eigentumsrechts. Die Vormerkung des Eigentums verschaffe nur einen durch nachfolgende Rechtfertigung bedingten Rechtserwerb. Daher sei derjenige zur Antragstellung auf Einräumung eines Notwegs nicht berechtigt, dessen Eigentum an der notleidenden Liegenschaft nur vorgemerkt worden sei.

Es besteht kein Grund, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Auch im Schrifttum sind diese Grundsätze anerkannt (siehe dazu Höfle, Notwegerecht 132 mwN).

3. Bei der Überlassung einer Liegenschaft an Zahlungs statt ist zwar ‑ anders als bei der Vormerkung des Eigentums ‑ eine Rechtfertigung nicht erforderlich. Dies ändert jedoch nichts daran, dass nach dem (mit FamErbRÄG 2004, BGBl I 2004/58, eingefügten) § 798a ABGB (s auch § 154 AußStrG) der Überlassungsbeschluss für den Gläubiger nur einen Titel zum Erwerb (Eigentumserwerb) bildet. Mit Rechtskraft macht der Überlassungsbeschluss den Gläubiger als Einzelrechtsnachfolger zum Eigentümer der überlassenen Aktiva, wenn es auch der Erblasser war, dies allerdings nur in Verbindung mit der Übergabe (vgl Sailer in KBB4 § 798a ABGB Rz 1). Die Gesetzesmaterialien (RV 471 BlgNR 22. GP  31) führen zur rechtlichen Wirkung der Überlassung an Zahlungs statt (sinngemäß) aus, dass der ruhende Nachlass nicht weiter bestehe und der Rechtserwerb nicht erst auf originäre Weise (Ersitzung) erfolge. Vielmehr werde angeordnet, dass der Überlassungsbeschluss einen Erwerbstitel bilde. Der Überlassungsempfänger werde durch den (rechtskräftigen) Überlassungsbeschluss und durch Übergabe Eigentümer, wenn es auch der Erblasser gewesen sei.

Der rechtskräftige Überlassungsbeschluss verschafft somit noch nicht unmittelbar Eigentum an den überlassenen Sachen. Vielmehr bedarf es für den Eigentumserwerb noch der Übergabe der Sachen. Bei unbeweglichen Sachen ist dafür die Einverleibung im Grundbuch erforderlich. Der rechtskräftige Überlassungsbeschluss stellt damit (nur) eine taugliche öffentliche Titelurkunde für die Verbücherung im Sinn des § 33 Abs 1 lit d GBG dar.

4.1 Insgesamt ergibt sich, dass der Gläubiger, dem eine Liegenschaft an Zahlungs statt überlassen wurde, alleine aufgrund des rechtskräftigen Überlassungsbeschlusses nicht zur Antragstellung auf Einräumung eines Notwegs legitimiert ist (vgl zudem auch 9 Ob 139/06s).

4.2  Die Entscheidung des Rekursgerichts steht mit diesen Grundsätzen im Einklang. Dem Revisionsrekurs war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 25 NWG.

Stichworte