Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidung des Rekursgerichts wird aufgehoben. Die Pflegschaftssache wird an das Rekursgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Text
Begründung
Der 1996 geborene Minderjährige erlitt bei seiner Geburt massive gesundheitliche Schädigungen und erhielt dafür Schmerzengeld von 100.000 EUR sowie eine Verunstaltungsentschädigung von 20.000 EUR. Das Pflegschaftsgericht genehmigte am 16. 8. 2004 über Wunsch der Eltern eine Veranlagung dieser Beträge in bestimmten Fonds und auch in einer Immobilienaktie, wobei es davon ausging, dass es sich um Anteilscheine an Kapitalfonds iSd § 5 Abs 6 Investmentfondsgesetzes handle, die als Wertpapiere nach § 230b ABGB zur Veranlagung geeignet seien. In weiterer Folge kaufte der Vater in den Jahren 2004 und 2005 für den Minderjährigen in sechs Tranchen für insgesamt 36.054,99 EUR diese Immobilienaktie. Deren Kurswert verfiel jedoch, sodass die erworbenen Aktien zum 31. 12. 2009 nur noch einen Wert von 12.775 EUR repräsentierten.
Mit der Behauptung, die Genehmigung durch das Pflegschaftsgericht sei rechtswidrig und grob fahrlässig erfolgt, begehrte der Minderjährige in einem Aufforderungsschreiben an die Finanzprokuratur Schadenersatz im Rahmen der Amtshaftung und in weiterer Folge die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Amtshaftungsklage.
Während des Genehmigungsverfahrens erhob der Minderjährige die Amtshaftungsklage und übermittelte diese dem Erstgericht. Er führte dazu aus, dass für ihn durch die Deckungszusage einer Rechtsschutzversicherung kein Prozessrisiko bestehe.
In der Amtshaftungsklage begehrt der Minderjährige primär die Zahlung von 36.054,99 EUR Zug um Zug gegen Übergabe der Immobilienaktien; mit einem Eventualbegehren begehrte er die Feststellung der Haftung aus der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung des Aktienankaufs. Im Laufe des Verfahrens über die Klage erhob der Kläger ein weiteres (nunmehr erstes) Eventualbegehren auf Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von 36.054,99 EUR sA, dies gegen Verrechnung mit den erworbenen Aktien. Das bisherige (nunmehr zweite) Eventualbegehren hielt er unverändert aufrecht. Im Klagevorbringen wird geltend gemacht, dass die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung grob fahrlässig und unvertretbar erfolgt sei. Es sei unzulässig, mehr als 10 % des Gesamtvermögens in einen Einzeltitel zu veranlagen. Auch sei die Verwaltung nicht sachkundig überwacht worden.
Das Erstgericht wies den Antrag des Minderjährigen auf Genehmigung der Klageführung im mit der Begründung „zurück“, dass es an der erforderlichen Zustimmung der Mutter zur Klagsführung gefehlt habe.
Das Rekursgericht gab dem gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurs des Minderjährigen keine Folge. Es erachtete zwar das erstgerichtliche Verfahren als mangelhaft, weil die fehlende Zustimmung des zweiten Elternteils hätte erörtert werden müssen. Mit der im Rekurs vorgelegten Zustimmungserklärung der Mutter seien aber insoweit die Voraussetzungen für den Antrag nachgewiesen.
Im Rahmen der inhaltlichen Prüfung der letztlich der Genehmigung zugrunde zu legenden Klageführung ging das Rekursgericht entsprechend der ständigen Rechtsprechung davon aus, dass eine abschließende Beurteilung der Tat- und Rechtsfrage im Rahmen des Genehmigungsverfahrens nicht zu erfolgen habe. Es sei vielmehr zu prüfen, ob ein verantwortungsbewusster gesetzlicher Vertreter in diesem Fall den Klagsweg beschreiten würde. Dabei seien insbesondere auch die Prozessrisken maßgeblich, wobei auch die allfällige Deckung der Prozessführung durch eine Rechtsschutzversicherung zu beachten sei. Sei diese gegeben, sei die Klage in der Regel schon bei geringen Erfolgsaussichten zu genehmigen. Hier sei die nur auf das erstinstanzliche Verfahren bezogene Deckungszusage auf die Kosten eines „ortsansässigen“ Anwalts eingeschränkt, sodass sie nicht die Kosten des tatsächlich einschreitenden Anwalts decke. Insoweit bestehe im Falle des Prozessverlusts ein gewisses Prozesskostenrisiko. Die beiden Hauptbegehren seien angesichts der einschlägigen Rechtsprechung schon nach ihrer Art als aussichtslos zu beurteilen. Das zweite Eventualbegehren sei zwar grundsätzlich möglich, ihm komme aber im Hinblick auf die konkreten Umstände ebenfalls nur eine geringe Erfolgsaussicht zu, sodass wegen der fehlenden umfassenden Abdeckung des Prozesskostenrisikos durch die Rechtsschutzversicherung und der damit drohenden Belastung des Minderjährigen mit Prozesskosten die Genehmigung der Klageführung zu versagen sei.
Den ordentlichen Revisionsrekurs erachtete das Rekursgericht als zulässig, da Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung einer Klageführung bei einer wie hier eingeschränkten Rechtsschutzdeckung fehle.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diesen Beschluss erhobene Revisionsrekurs des Minderjährigen ist zulässig und auch berechtigt.
Der Revisionsrekurs lässt die Rechtsansicht des Rekursgerichts über die Erfolgsaussichten der Klageführung und über den Gegenstand der Genehmigung unbekämpft. Er zeigt allerdings zutreffend auf, dass das Rekursgericht den Antragsteller mit seiner Rechtsansicht, die Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung sei nicht ausreichend, überrascht hat.
Bei der Prüfung der Genehmigungsfähigkeit einer Klage ist nicht der Zivilprozess vorwegzunehmen, sondern nur unter Einbeziehung aller Eventualitäten das Prozessrisiko abzuwägen und zu beurteilen, ob in vergleichbaren Fällen ein verantwortungsbewusster gesetzlicher Vertreter unter Berücksichtigung der Tatsachengrundlage und der Beweisbarkeit sowie der rechtlichen Rahmenbedingungen den Klageweg bestreiten würde (RIS-Justiz RS0108029; Tunhart in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang 3 § 154 Rz 46; Nademleinsky in Schwimann, ABGB3 § 154 Rz 25; vgl auch Stabentheiner in Rummel, ABGB3 §§ 154, 154a Rz 16). Dabei kommt naturgemäß auch der Frage erhebliche Bedeutung zu, ob das Prozesskostenrisiko schon durch das Vorhandensein einer Deckungszusage einer Rechtsschutzversicherung ausgeschlossen ist, weil dies im Regelfall für die Genehmigung der Prozessführung spricht (vgl dazu Tunhart aaO Rz 46; Nademleinsky aaO Rz 25). Nun hat der Antragsteller genau das, nämlich die Deckung der Prozessführung durch die Rechtsschutzversicherung, behauptet. Das Erstgericht hat dazu ausgehend von seiner Rechtsansicht, dass es schon an der Zustimmung des zweiten gesetzlichen Vertreters fehle, keine Feststellung getroffen. Das Rekursgericht hat dazu unter Zugrundelegung einer vom Antragsteller vorgelegten Bestätigung festgestellt, dass diese Deckungszusage einerseits nur für das Verfahren erster Instanz erfolgt und andererseits auf die Kosten eines ortsansässigen Rechtsanwalts eingeschränkt ist. Ausgehend von dieser Feststellung hat es seine Abweisung darauf gegründet, dass wegen der Einschränkung auf die Vertretung durch einen am Sitz des Prozessgerichts erster Instanz ansässigen Rechtsanwalt ein nicht unbeträchtliches Kostenrisiko für den Minderjährigen bestehe. All dies wurde aber niemals mit dem Antragsteller, der in seinem Vorbringen von einer ausreichenden Deckung ausgegangen war, erörtert.
Auch im Verfahren in Außerstreitsachen besteht das Verbot sogenannter „Überraschungsentscheidungen“, bestimmt doch § 14 AußStrG, dass die Bestimmungen der Zivilprozessordnung über die Anleitung und Belehrungspflicht - und dementsprechend auch die §§ 182 und 182a ZPO - anzuwenden sind. Danach darf das Gericht aber Parteien in seiner Entscheidung nicht mit seiner Auffassung überraschen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie das Gericht nicht aufmerksam gemacht hat (RIS-Justiz RS0037300). Genau dies ist aber hier erfolgt: Der Antragsteller hat behauptet, dass die Kosten durch die Deckungszusage umfassend gesichert seien; hingegen hat das Rekursgericht eine Deckungslücke angenommen, deren Vorliegen im Verfahren niemals erörtert wurde.
Dies belastet das Rekursverfahren mit einem Verfahrensmangel, der zur Zurückverweisung an das Rekursgericht zu führen hatte. Im fortgesetzten Verfahren wird daher das Rekursgericht den Antragsteller aufzufordern haben, entsprechende Erklärungen über die im (gesamten) Verfahren zu erwartenden Kosten und deren Deckung durch die Rechtsschutzversicherung abzugeben.
Dementsprechend war die Entscheidung des Rekursgerichts aufzuheben und das Verfahren zur ergänzenden Erörterung und neuerlichen Beschlussfassung an das Rekursgericht zurückzuverweisen. Sollte sich herausstellen, dass die (im Revisionsrekurs wiederholten) Behauptungen über eine umfassende Deckung der Prozessführung durch die Rechtsschutzversicherung zutreffen, besteht - zumal dann mit der Prozessführung keinerlei Prozessrisiko für den Minderjährigen verbunden ist - keine Veranlassung, die pflegschaftsbehördliche Genehmigung der auch vom Rekursgericht als teilweise nicht völlig aussichtslos erachteten Klageführung zu verweigern.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)