OGH 8Ob15/15m

OGH8Ob15/15m28.4.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn und die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. E*****, vertreten durch Mag. Dr. Stefan Rieder, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei H*****, vertreten durch Korn & Gärtner Rechtsanwälte OG in Salzburg, wegen 72.000 EUR sA und Feststellung (5.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 40.000 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 10. Dezember 2014, GZ 2 R 178/14f‑68, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Hat das Berufungsgericht die Frage einer allfälligen im erstinstanzlichen Verfahren unterlaufenen Nichtigkeit geprüft und eine solche verneint, so kann diese Nichtigkeit im Verfahren dritter Instanz nicht mehr wahrgenommen werden. Eine vom Berufungsgericht verneinte Nichtigkeit des Verfahrens erster Instanz ist nach ständiger Rechtsprechung eine den Obersten Gerichtshof bindende, nicht weiter anfechtbare Entscheidung (2 Ob 178/14m mit Hinweis auf RIS‑Justiz RS0042917, RS0042981 uva; Zechner in Fasching / Konecny ² IV/1 § 519 Rz 49 mwN; E. Kodek in Rechberger , ZPO 4 § 503 Rz 2 mwN).

Soweit der Beklagte daher aus dem von der Klägerin im Strafverfahren erreichten Privatbeteiligtenzuspruch einen Nichtigkeitsgrund ableiten will, ist darauf nicht einzugehen.

2.1 Nach herrschender Auffassung kann ein Geschädigter, der sich ‑ wie hier die Klägerin ‑ im Strafverfahren als Privatbeteiligter angeschlossen und einen Teil seines Schmerzengeldanspruchs eingefordert hat, im folgenden Zivilprozess weitere Schmerzengeldansprüche geltend machen, und zwar unabhängig davon, ob er sich im Strafverfahren die Geltendmachung weiterer Ansprüche vorbehalten hat oder nicht. Diese Ausnahme vom sonst geltenden Grundsatz der Globalbemessung (s dazu etwa 2 Ob 369/97x mwN) wird mit der Eigenheit des Adhäsionsverfahrens und mit der Bestimmung des § 372 StPO begründet ( Spenling in Fuchs/Ratz, WK‑StPO § 369 Rz 36; Danzl in Danzl/Gutiérrez-Lobos/Müller , Das Schmerzengeld in medizinischer und juristischer Sicht 10 , 256 ff; Fucik in Fasching/Konecny 2 , § 405 Rz 37; Kathrein, Anm zu ZVR 2008/153).

2.2 Davon abgesehen ist nach ständiger Rechtsprechung eine mehrmalige (ergänzende) Schmerzengeldbemessung dann zulässig, wenn Schmerzen in ihren Auswirkungen für den Verletzten zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz noch gar nicht oder noch nicht endgültig überschaubar erscheinen, so etwa, weil das Gesamtbild der physischen und psychischen Beeinträchtigungen noch nicht vorhersehbar ist (2 Ob 259/06m; 2 Ob 150/06g; 2 Ob 255/01s; 2 Ob 254/98m = ZVR 1999/63; RIS‑Justiz RS0031235, RS0031082). Die Frage, ob die Behauptungen für die Zulässigkeit einer Schmerzengeldnachforderung ausreichen, ist eine solche des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0042828).

2.3 Die angefochtene Entscheidung steht mit dieser Rechtsprechung im Einklang, zumal sich der Zuspruch im Strafverfahren auf damals als weitgehend abgeklungen eingeschätzte gesundheitliche Beeinträchtigungen der Klägerin bezogen hat, während sich ‑ auch für die Klägerin selbst ‑ erst nachträglich herausgestellt hat, dass dauerhafte und zusätzliche Folgen aus den Belastungen resultieren, die bei der Bemessung im Strafverfahren nicht berücksichtigt werden konnten.

3. Die Bemessungskriterien im Fall von seelischen Schmerzen sind als „bewegliches System“ zu verstehen, innerhalb dessen ein weiter Spielraum für die Ermessensausübung im Einzelfall besteht. Schmerzperioden dienen nur als Berechnungshilfe (RIS‑Justiz RS0122794). Das Schmerzengeld kann nur nach § 273 ZPO unter Berücksichtigung aller Umstände des einzelnen Falles, der körperlichen und seelischen Schmerzen sowie der Art und der Schwere der Verletzung nach freier Überzeugung des Richters festgesetzt werden (RIS‑Justiz RS0031415).

Ermessensentscheidungen kommt grundsätzlich keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Eine Revision wäre lediglich im Falle einer ‑ hier nicht gegebenen ‑ eklatanten Fehlbemessung, die völlig aus dem Rahmen der ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung fällt, zur Vermeidung einer gravierenden Ungleichbehandlung (und damit letztlich aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit) ausnahmsweise zulässig (RIS‑Justiz RS0042887 [T5]).

Der in der Revision genannten Entscheidung 7 Ob 160/09v lag ein dem vorliegenden Fall nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung vermag der Beklagte nicht aufzuzeigen.

4. Das Feststellungsinteresse der Klägerin iSd § 228 ZPO (dazu RIS‑Justiz RS0038920, RS0039018, RS0038976) kann ‑ entgegen der Ansicht des Beklagten ‑ nicht in Zweifel gezogen werden, weil hier bisher nicht berücksichtigte Spätfolgen oder Folgeschäden nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sind (2 Ob 162/05w; 2 Ob 232/06s mwN).

5. Die außerordentliche Revision war daher mangels einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

Stichworte