OGH 14Os86/14z

OGH14Os86/14z11.9.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. September 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Anscheringer als Schriftführer in der Strafsache gegen Haimo S***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 und Abs 3 StGB idF BGBl I 2001/130 über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 13. März 2014, GZ 41 Hv 19/13d‑78, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0140OS00086.14Z.0911.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Haimo S***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 und Abs 3 (erster Fall) StGB idF BGBl I 2001/130 schuldig erkannt.

Danach hat er am 30. August 2003 im Waldgebiet zwischen D*****, E***** und U***** die am 8. Oktober 1988 geborene Patricia M***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er ihren Widerstand durch Einsatz von Körperkraft überwand und gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr an ihr vollzog, wobei die Tat eine schwere, mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung verbundene Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine Persönlichkeits-entwicklungsstörung mit emotional instabilen Persönlichkeitszügen, zur Folge hatte.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus den Gründen der Z 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Der Beantwortung der Mängelrüge (Z 5) ist vorauszuschicken, dass der zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen aufgrund des von diesem in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks führende kritisch-psychologische Vorgang als solcher der unternommenen Anfechtung entzogen ist (RIS‑Justiz RS0106588, RS0099419, RS0099649, RS0099668).

Die Beurteilung der Überzeugungskraft von Aussagen kann allerdings unter dem Gesichtspunkt von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) mangelhaft erscheinen, wenn sich das Gericht mit gegen die Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat. Der Bezugspunkt besteht jedoch nicht in der Sachverhaltsannahme der Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit, sondern ausschließlich in den Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 431 f).

Vorliegend ist weder der exakte Tatzeitpunkt für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage entscheidend (vgl dazu RIS‑Justiz RS0098557), noch sind es Fragen dazu, ob ursprünglich geplant war, einen Freund des Tatopfers (Christian N*****) auf die Fahrt zur U***** mitzunehmen, ob der Beschwerdeführer und Patricia M***** vor dem inkriminierten Vorfall in einem Lokal in D***** (Gasthaus G*****) alkoholische Getränke konsumierten, wie die Mutter des Tatopfers in den Besitz eines an sie addressierten Briefes ihrer Tochter gelangte oder die Detailgenauigkeit einer Schilderung des Vorfalls durch das Tatopfer gegenüber ihrem Freund Daniel Su*****.

Indem die Rüge ‑ mit dem Ziel, die Glaubwürdigkeit der Zeugin Patricia M***** zu erschüttern, die die Tatrichter aufgrund des (auch durch Vorführung der Bild- und Tonaufnahmen ihrer kontradiktorischen Vernehmung [ON 77 S 2]) von ihr gewonnenen persönlichen Eindrucks bejahten (US 15) ‑ ausschließlich unterlassene Erörterung (Z 5 zweiter Fall) von Zeugenaussagen kritisiert, die den Depositionen des Tatopfers zu den eben angesprochenen Themen entgegenstehen sollen (und dazu eigene Beweiswertüberlegungen anstellt), verfehlt sie den oben dargestellten Bezugspunkt.

Davon abgesehen hat sich das Erstgericht sowohl mit den Angaben des Zeugen Christian N***** (US 19) als auch ‑ deutlich genug ‑ pauschal mit sämtlichen Aussagen zur Tageszeit, an dem der Angeklagte üblicherweise die Alpe aufsuchte (US 19, 23), und zu den Usancen im Gasthaus G***** im Zusammenhang mit der Ausschank von Getränken an Gäste außerhalb der offiziellen Öffnungszeiten (US 19 f) auseinandergesetzt. Zu einer ausdrücklichen Erörterung einzelner ‑ in der Beschwerde großteils isoliert und sinnentstellt wiedergegebener ‑ Passagen dieser Aussagen bestand mit Blick auf das Gebot zu gedrängter Darstellung der Urteilsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) keine Verpflichtung (RIS‑Justiz RS0098377).

Mit ‑ den konkreten Vorfall betreffenden - Divergenzen zwischen den Depositionen der Zeugin Patricia M***** und deren Tagebuchaufzeichnungen haben sich die Tatrichter (von der Rüge prozessordnungswidrig ignoriert; RIS‑Justiz RS0119370) ebenfalls befasst und ‑ den Gesetzen logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen entsprechend ‑ dargelegt, aus welchen Gründen sie dennoch von deren Glaubwürdigkeit ausgingen (US 17 f). Soweit die Beschwerde auch in diesem Zusammenhang eigene Überlegungen zur Verlässlichkeit dieser Beweisperson anstellt, einzelne (großteils keine entscheidenden Tatsachen betreffenden) Passagen aus ihren Aussagen ‑ auf Basis spekulativer Überlegungen zu den Platzverhältnissen am Tatort und unter Hinweis auf nicht näher konkretisierte „Verfahrensergebnisse“ ‑ als unglaubwürdig und lebensfremd erachtet und die unterschiedliche Erinnerungsgenauigkeit des Opfers als „bezeichnend“ beurteilt, bekämpft sie bloß unzulässig die Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

Durch die (mehrfach erfolgte) Berufung auf den Zweifelsgrundsatz (Art 6 Abs 2 MRK, § 14 StPO) wird ein aus Z 5 beachtlicher Mangel nicht geltend gemacht (RIS‑Justiz RS0102162; jüngst 13 Os 11/14p). Mit der Behauptung, zufolge unterlassener Anzeigeerstattung und medizinscher Untersuchung des Tatopfers unmittelbar nach dem Vorfall gebe es „keine objektiven Beweisergebnisse“, wird ein Begründungsmangel im Sinn des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes ebenfalls nicht angesprochen.

Soweit die Beschwerde letztlich nominell auch unvollständige (Z 5 zweiter Fall) Begründung der Urteilsannahmen zur Ursächlichkeit des Täterverhaltens für den Erfolg (einer schweren, mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung verbundenen Körperverletzung in Form einer Persönlichkeits-entwicklungsstörung mit emotional instabilen Persönlichkeitszügen) behauptet, dabei erneut das Fehlen „objektiver Anhaltspunkte für eine Vergewaltigung“ hervorhebt und daraus sowie aus ‑ ein weiteres Mal keine entscheidenden Tatsachen betreffenden - Verfahrens-ergebnissen (etwa den Aussagen der Zeuginnen Claudia und Heidi S*****, nach denen Patricia M***** eine „Draufgängerin“ gewesen sei, Drogen genommen, geraucht, getrunken und mit Männern verkehrt habe) eigene Schlüsse zur Glaubwürdigkeit des Tatopfers und zur Richtigkeit des ‑ den diesbezüglichen Feststellungen (auch) zugrunde gelegten ‑ psychiatrisch-neurologischen Gutachtens des Sachverständigen MR Dr. Wilhelm J***** zieht, erschöpft sie sich einmal mehr in einer unzulässigen Bekämpfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung nach Art einer Schuldberufung.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) vermag mit der Wiederholung der auch unter Berufung auf Z 5 vorgebrachten Argumente keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu wecken.

Die gegen die Annahme der Erfolgsqualifikation nach § 201 Abs 3 StGB idF BGBl I 2001/130 gerichtete (nominell verfehlt auf Z 9 lit a gestützte) Subsumtionsrüge (Z 10) vermisst pauschal Feststellungen dazu, „ob der Angeklagte in Bezug auf die schweren Folgen der Tat zumindest fahrlässig gehandelt hat“.

Sie übergeht dabei die ‑ mit Mängel‑ und Tatsachenrüge erfolglos bekämpften ‑ Urteilsannahmen, wonach die Vergewaltigung des knapp fünfzehnjährigen Mädchens unter Ausnützung eines Vertrauensverhältnisses (US 5) und mehrfachem Gewalteinsatz (US 6 ff) kausal für den eingetretenen Erfolg war (US 13), und legt nicht dar, welche darüber hinausgehenden Konstatierungen für die vorgenommene rechtliche Beurteilung erforderlich sein sollten (vgl dazu RIS‑Justiz RS0089555, RS0089151; 11 Os 168/11g; Burgstaller in WK² StGB § 7 Rz 21 ff). Ebensowenig bezieht sie sich ‑ wie es bei Geltendmachung eines Feststellungsmangels geboten wäre (RIS‑Justiz RS0118580) - auf ein in der Hauptverhandlung vorgekommenes Tatsachensubstrat (etwa Anhaltspunkte für einen atypischen Kausalverlauf oder die Annahme, der Beschwerdeführer wäre infolge seiner individuellen geistigen Verhältnisse zur Tatzeit nicht wie jedermann in der Lage gewesen, den durch das konstatierte Tatverhalten eingetretenen Erfolg und ‑ in den wesentlichen Zügen ‑ den zu ihm führenden Kausalverlauf zu erkennen), welches Negativfeststellungen zur Erfolgszurechnung indizieren würde (RIS‑Justiz RS0088955; RS0089230; RS0089253; zur objektiven und subjektiven Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts: 15 Os 166/12v).

Sie verfehlt damit insgesamt die prozessordnungskonforme Darstellung (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 581, 600 ff [zur negativen Tatbestandsvoraussetzung der Erfolgszurechnung bei Vorsatzdelikten: Rz 602]).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war demnach bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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