OGH 9ObA146/12d

OGH9ObA146/12d19.3.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald Fuchs und Mag. Matthias Schachner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei J***** L*****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl Rechtsanwaltgesellschaft mbH in Graz, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt *****, 1031 Wien, Ghegastraße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen 2.595,66 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 4. Oktober 2012, GZ 6 Ra 59/12m‑41, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 3. April 2012, GZ 38 Cga 39/11i‑36, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass zur Frage der Zulässigkeit einer Differenzierung zwischen Akademikern und Nichtakademikern bei den Pensionsbestimmungen der DO.A eine unmittelbare oberstgerichtliche Rechtsprechung nicht vorliege und davon ausgegangen werden müsse, dass insoweit kein bloßer Einzelfall vorliege. Der Revisionswerber brachte zur Zulässigkeit der Revision, mit Ausnahme, dass es tausende Personen, darunter eine Vielzahl von Akademikern gebe, die unter die DO.A fielen, nichts Näheres vor. Die Revisionsgegnerin erstattete zur Zulässigkeit kein Vorbringen.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den diesbezüglichen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Gemäß § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Dies ist hier nicht der Fall. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision konnte sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Gegenstand des Verfahrens ist eine vom Kläger als Bezieher einer DO.A‑Zusatzpension begehrte Differenzleistung, die er als Nichtakademiker darauf gründet, dass er von der Beklagten gegenüber Akademikern unsachlich benachteiligt werde. Dies kann nur unter Beachtung der beim Kläger gegebenen konkreten Umstände entschieden werden. Solche Einzelfallentscheidungen sind aber ‑ von Fällen krasser Fehlbeurteilung der zweiten Instanz abgesehen ‑ mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht revisibel (vgl 9 ObA 2/01m; 9 ObA 78/10a).

Die Dienstordnung A für die Angestellten bei den Sozialversicherungsträgern Österreich (DO.A) ist ein Kollektivvertrag (RIS‑Justiz RS0054394). Die Gerichte haben die Kollektivverträge dahin zu überprüfen, ob sie gegen höherrangiges Recht, also die Verfassung, Unionsrecht, zwingendes Gesetzesrecht, die guten Sitten oder tragende Grundsätze des Arbeitsrechts verstoßen (8 ObA 30/00w; 9 ObA 80/11x). Kollektivvertragliche Rechtsansprüche sind zwar in jede Richtung regelbar. Die Gestaltungsfreiheit der Kollektivvertragsparteien findet jedoch ihre Schranke in der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte, vor allem in der Konkretisierung der wertausfüllungsbedürftigen Generalklauseln des Zivilrechts (insbesondere § 879 ABGB; vgl 8 ObA 20/09p; 9 ObA 80/11x; RIS‑Justiz RS0018063). Die Kollektivvertragsparteien sind bei der Gestaltung des Kollektivvertrags insbesondere auch an den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz gebunden (RIS‑Justiz RS0038765), wenngleich in Anbetracht ihrer Interessenwahrungspflicht von einer sogenannten „abgeschwächten“ Grundrechtsbindung auszugehen ist (8 ObA 30/00w; 9 ObA 229/02w; 9 ObA 80/11x ua). Der Gleichheitssatz besagt, dass an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen sind bzw unterschiedliche Regelungen, die nicht in den entsprechenden Unterschieden im Tatsächlichen ihre Grundlage haben, gleichheitswidrig sind (RIS‑Justiz RS0053509). Sachliche Differenzierungen sind somit zulässig, die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs ist bei kollektivvertraglicher Regelung grundsätzlich anzunehmen (RIS‑Justiz RS0038552). Bei der Prüfung, ob eine Kollektivvertragsbestimmung gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz verstößt, darf insbesondere auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass den Kollektivvertragsparteien ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum sowohl hinsichtlich der angestrebten Ziele als auch der zur Zielerreichung eingesetzten Mittel zusteht (8 ObA 19/06m mwN; 8 ObA 32/11f). Es ist auch zulässig, dass die Normgeber bei einer Regelung von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen und auf den Regelfall abstellen; dass dabei Härtefälle entstehen, macht die Regelung nicht gleichheitswidrig (8 ObA 30/00w; 9 ObA 195/99p mwN).

Bei der Ermittlung der fiktiven gesetzlichen Pension, die gemäß § 97 DO.A anzurechnen und daher bei der konkreten Pensionsberechnung nach der DO.A in Abzug zu bringen ist, sind die gemäß § 17 Abs 1 bis 3 DO.A für die Pensionsbemessung anzurechnenden Zeiten ohne Rücksicht auf die zeitliche Lagerung bis zum Höchstausmaß von 420 Monaten ‑ bei Angestellten mit einem abgeschlossenen Diplom‑ oder Doktorratsstudium im Sinne des UniStG, die aufgrund der dauernden Verwendung in eine der Gehaltsgruppen E bis G bzw P1 oder P2 (§ 36 DO.A) eingereiht sind, von 360 Monaten ‑ in Steigerungspunkte umzurechnen (§ 137 Abs 2 DO.A). Dies bedeutet, dass der Abzug wegen der fiktiven ASVG‑Pension beim Kläger als Nichtakademiker 64,5 %, bei einem Akademiker jedoch nur 57 % beträgt. Wäre die Pension des Klägers nach den Regelungen für Akademiker berechnet worden, hätte sich für den Zeitraum September 2010 bis Mai 2011 unter Berücksichtigung zweier Sonderzahlungen eine um den Klagsbetrag höhere Bruttopension ergeben.

Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, diese Differenzierung zwischen Akademikern und Nichtakademikern widerspräche nicht dem verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz, sondern sei vielmehr sachlich gerechtfertigt, ist nicht zu beanstanden. Danach entspreche die Differenz von 60 Monaten bei der Umrechnung in Steigerungspunkte einem Zeitraum von 5 Jahren. Damit sollten ‑ ausgehend von einer Durchschnittsbetrachtung ‑ die vom Akademiker für sein Studium aufgewendeten Mühen abgegolten werden, zumal während des Studiums kein Einkommen erzielt werden könnte. Diese Pensionsregelungen, die gemäß § 78a Abs 1 DO.A ohnedies nur für Angestellte, die vor dem 1. Jänner 1996 in den Dienst eines österreichischen Sozialversicherungsträgers eingetreten seien, anzuwenden seien, hätten auch den Zweck, die Attraktivität einer Stelle bei einem Sozialversicherungsträger für Akademiker zu erhöhen und dadurch im Interesse der Sozialversicherungsträger einen höheren Akademikeranteil zu erzielen. Es stehe den Kollektivvertragsparteien frei, auch eine höhere oder auch nur andere Ausbildung entsprechend zu honorieren. Schließlich würden aufgrund der unterschiedlichen Berufslaufbahnen zwischen Akademiker und Nichtakademiker von einem Akademiker aufgrund seines höheren Anfangsgehalts auch höhere Pensionsbeiträge einbezahlt werden. Im Vergleich zum Kläger hätte ein fiktiver Akademiker an Pensionsbeiträgen 956,30 EUR mehr geleistet.

Eine vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung vermag der Kläger insoweit nicht aufzuzeigen. Inwieweit die gegenständliche Pensionsregelung tatsächlich den Eintritt von Akademikern bei der Beklagten fördert, braucht hier nicht näher untersucht zu werden, weil diese Regelung jedenfalls für arbeitssuchende Akademiker ein Anreiz sein kann (also nicht jedenfalls ungeeignet ist), ein Beschäftigungsverhältnis mit der Beklagten einzugehen.

Soweit sich der Kläger auch in seiner Revision wieder auf Art 157 AEUV stützt, so hat bereits das Berufungsgericht zutreffend darauf verwiesen, dass diese Bestimmung den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit enthält, also eine geschlechterspezifische Diskriminierung bei Entgelt anspricht (vgl 9 ObA 58/11m). Dass der Kläger von der Beklagten aufgrund des Geschlechts benachteiligt wurde, macht er aber gar nicht geltend. Im Übrigen hat der EuGH (zu ex Art 119 EGV) bereits ausgesprochen, dass eine unterschiedliche Berufsausbildung auch einen Faktor darstellen kann, der eine unterschiedliche Vergütung für Arbeitnehmer, die die gleiche Arbeit verrichten, objektiv rechtfertigen kann (EuGH C‑309/97, WrGKK, Rz 19; vgl 8 ObA 96/11t; 8 ObA 98/11m).

Auch der vom Kläger ins Treffen geführte Art 14 EMRK verbietet nicht jegliche, sondern nur die diskriminierend unterschiedliche Behandlung. Eine Diskriminierung liegt vor, wenn Rechtssubjekte, die sich in ähnlicher Situation befinden, ohne objektive vernünftige Rechtfertigung ungleich behandelt werden ‑ wenn also ein „legitimes Ziel“ fehlt ‑ und wenn das Mittel im Hinblick auf das angestrebte Ziel unverhältnismäßig ist (RIS‑Justiz RS0124747). Ein Verstoß gegen diese Bestimmung liegt aufgrund obiger Erwägungen nicht vor.

Schließlich bietet auch die vom Kläger angeführte Bestimmung des § 18 BPG keine taugliche Grundlage für sein Begehren. Das Gleichbehandlungsgebot des § 18 Abs 1 BPG richtet sich an den Arbeitgeber (Schrammel, BPG 194). Bei Eingriff durch einen Kollektivvertrag (oder einer Betriebsvereinbarung) ist im Wege des § 879 ABGB der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz (auch auf nach dem 1. 7. 1990 erworbene Anwartschaften) anzuwenden (RIS‑Justiz RS0052705; Resch in Zellkomm² § 18 BPG Rz 4). Mit § 18 BPG wurde der von der Judikatur herausgebildete arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz festgeschrieben (9 ObA 133/93 mit zahlreichen Literaturnachweisen). Das Gleichbehandlungsgebot des § 18 Abs 2 BPG richtet sich an den Arbeitgeber und an die Pensionskasse bzw das Versicherungsunternehmen (Resch aaO § 18 BPG Rz 11), verwehrt aber dem Arbeitgeber auch nicht, einzelnen Arbeitnehmergruppen Leistungszusagen zu machen, wenn diese Arbeitnehmergruppen nach sachlichen Kriterien abgegrenzt sind (Resch aaO § 18 BPG Rz 12). Auch insoweit wird keine unvertretbare Beurteilung aufgezeigt.

Nach der Lage des Falls ist keine „völlig unverhältnismäßige“ Behandlung des Klägers erkennbar. Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage ist die Revision des Klägers zurückzuweisen (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

Die Kosten der Revisionsbeantwortung sind nicht zuzusprechen, weil die Revisionsgegnerin auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen hat (RIS‑Justiz RS0035962). Dass sie in der Revisionsbeantwortung ohne jede Begründung beantragte, der Revision, „so diese zugelassen werde“, nicht Folge zu geben, stellt keinen derartigen Hinweis dar (vgl 9 ObA 2/01m; RIS‑Justiz RS0035979 [T2, T12]).

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