Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 3.623,04 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 603,84 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am 8.5.1992 verstorbene Gattin des Klägers war bei der beklagten Partei bis 28.2.1979 als Arbeiterin beschäftigt. Sie erhielt von der beklagten Partei bis zu ihrem Tod eine Pensionszulage von (zuletzt) 2.705,90 S brutto monatlich aufgrund des am 1.7.1974 in Kraft getretenen, als Betriebsvereinbarung zu qualifizierenden neuen Pensionsstatuts der beklagten Partei. Die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 17.8.1992 ab 1.6.1992 eine Witwerpension von 2.778,-- S brutto.
Das Pensionsstatut der beklagten Partei enthält unter anderem folgende Bestimmungen:
"§ 2 Leistungen.
Die Pensionen der Arbeiter bestehen aus den Leistungen der gesetzlichen Pensionsversicherung der Arbeiter (Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenpensionen) nach den jeweils geltenden Vorschriften des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes und den Zulagen des Unternehmens. Außerdem gebührt eine Kinderzulage, eine Ehezulage und ein Sterbegeld nach diesem Statut.
§ 6 Witwenzulage.
(1): Anspruchsberechtigt sind die Witwe und jene Frau, deren Ehe mit dem Verstorbenen für nichtig erklärt, aufgehoben oder geschieden worden ist, wenn sie gemäß § 258 Abs.4 ASVG eine Witwenpension erhält.
(2): Die Zulage an die Witwe beträgt 60 % der Zulagen, auf die der Gatte bei seinem Ableben Anspruch gehabt hat oder gehabt hätte.
(3): Die Zulage an die Frau, deren Ehe mit dem Verstorbenen für nichtig erklärt, aufgehoben oder geschieden wurde, darf die Differenz zwischen der Witwenpension nach dem ASVG und dem Unterhalt, den der Verstorbene zum Zeitpunkt seines Todes geleistet hat, nicht überschreiten."
Der Kläger begehrt von der beklagten Partei die Gewährung einer im Sinne des § 108h ASVG wertgesicherten Pensionszulage von 1.623,54 S monatlich. Die vom Verfassungsgerichtshof festgestellte Gleichheitswidrigkeit der einschlägigen sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen wirke sich auch auf die vorliegende Betriebsvereinbarung aus, nach der Witwer und Witwe ohne sachliche Gründe ungleich behandelt würden. Auf den vorliegenden Fall sei auch das Gleichbehandlungsgesetz anwendbar, weil der Kläger die seit dem 8.5.1992 entstandenen Ansprüche geltend mache. Nicht entscheidend sei, wann das Dienstverhältnis der Gattin des Klägers zur beklagten Partei aufgelöst worden sei.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Das Dienstverhältnis der Gattin des Klägers habe am 28.2.1979 und damit vor dem Inkrafttreten des Gleichbehandlungsgesetzes am 1.7.1979 geendet; auch das Gleichbehandlungsgebot des § 18 Abs 3 BPG sei nur auf Anwartschaften anzuwenden, die nach dessen Inkrafttreten erworben worden seien.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die im Erkenntnis VfSlg 8871/1980 angestellten Überlegungen zum verfassungsrechtlichen Gleichheitsgebot seien im Wege der mittelbaren Wirkung der Grundrechte durch Konkretisierung der Generalklausel des § 879 Abs 1 ABGB auch im vorliegenden Fall zu berücksichtigen. Die Regelung der Witwenzulage im neuen Pensionsstatut habe daher von Anfang an gegen § 879 Abs.1 ABGB verstoßen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge, änderte das Ersturteil unter Bestätigung des Zuspruches einer Pensionszulage von 1.082,36 S brutto monatlich im Sinne einer Abweisung des Mehrbegehrens ab und sprach ( - was wegen § 46 Abs 4 ASGG nicht erforderlich war - ) aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 50.000,-- S übersteigt. Mit dem Erkenntnis VfSlg 8871/1980 seien jene Regelungen des § 259 Abs.1 ASVG, die für den Anspruch auf Witwerpension besondere Voraussetzungen (überwiegende Bestreitung des Lebensunterhaltes durch die Ehegattin, Erwerbsunfähigkeit oder Bedürftigkeit des Witwers) vorgesehen hätten, als verfassungswidrig aufgehoben worden. Die für dieses Erkenntnis maßgeblichen Erwägungen, vor allem die im Familienrecht vollzogene Abkehr vom Modell der Hausfrauenehe, hätten zweifellos auch schon im Zeitpunkt der Beendigung des Dienstverhältnisses der Gattin des Klägers zugetroffen. Daraus, daß das Pensionsstatut - anders als das ASVG - überhaupt keine Regelung über die Witwerpension enthalte, sei für die beklagte Partei nichts zu gewinnen, da damit noch massiver gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen werde als mit der immerhin eine Witwerpension vorsehenden, vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Bestimmung des § 259 Abs 1 ASVG.
Das gegenständliche Pensionsstatut sei eine Betriebsvereinbarung, die am 1.7.1974 - zugleich mit dem ArbVG - in Kraft getreten sei. Sie entfalte gemäß § 31 Abs 1 ArbVG Normwirkung ähnlich wie ein Kollektivvertrag. Ein Kollektivvertrag müsse wegen dieser Normwirkung unmittelbar an den Kriterien des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes gemessen werden. Dies gelte auch für den normativen Teil von Betriebsvereinbarungen. Da das Klagebegehren daher wegen Verletzung des verfassungsrechtlichen Gleichheitsgebotes berechtigt sei, sei es ohne Bedeutung, daß das Gleichbehandlungsgesetz und das Betriebspensionsgesetz im Zeitpunkt des Erwerbes der Anwartschaft durch die Gattin des Klägers noch nicht in Kraft gewesen seien.
Berechtigt sei nur der Hinweis der beklagten Partei auf die langfristigen gesetzlichen Übergangsbestimmungen des Art II Abs 8 der 36. ASVG-Novelle. Auch im Rahmen des Gleichheitsgrundsatzes könne vom Arbeitgeber nicht verlangt werden, bei der Gewährung der Witwerpension über das Maß hinauszugehen, mit dem der Gesetzgeber die Beachtung des Gleichheitsgebotes in die gesetzliche Sozialversicherung eingeführt habe. Dem Kläger seien daher derzeit nur 2/3 der begehrten Leistung zuzuerkennen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.
Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 9 Ob A 602/92 mwH (nur in den Leitsätzen veröffentlicht in RdW 1993, 81 mit im wesentlichen zustimmender Anmerkung von Runggaldier aaO 78 ff) ausgesprochen hat, trifft die Kollektivvertragsparteien - anders als den Arbeitgeber - nicht die Gleichbehandlungspflicht; sie sind aber bei der Gestaltung des Kollektivvertrages an die Grundrechte, insbesondere an den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz gebunden. Hiebei ist schon mangels Zugehörigkeit der normativen kollektivvertraglichen Rechtssetzung zur Hoheitsverwaltung lediglich von einer mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Wege der Konkretisierung der wertausfüllungsbedürftigen Generalklausel des Zivilrechtes (insbesondere § 879 ABGB) auszugehen. Da dem normativen Teil von Betriebsvereinbarungen aufgrund der § 11 Abs 1 ArbVG entsprechenden Regelung des § 31 Abs 1 ArbVG eine ähnliche Wirkung zukommt wie dem normativen Teil von Kollektivverträgen, treffen diese Erwägungen auch auf Betriebsvereinbarungen zu.
Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 6219/1970 ausgesprochen hatte, war eine auf die Grundsätze des Unterhaltsrechtes Bedacht nehmende und hiernach den Unterhaltspflichtigen begünstigende versorgungsrechtliche Regelung nicht unsachlich, wenn sie Mann und Frau verschieden behandelte, da die Hinterbliebenenpension die ausbleibenden Unterhaltsleistungen des verstorbenen Versicherten ersetzen sollte. Im Erkenntnis VfSlg 8871/1980 kam der Verfassungsgerichtshof aber zum Schluß, daß dieser Gesichtspunkt im Hinblick auf die Neuordnung der persönlichen Rechtswirkungen der Ehe durch das Gesetz BGBl 1975/412 im Zusammenhalt mit dem Ansteigen der Zahl der erwerbstätigen Frauen nicht mehr den krassen Unterschied in der Behandlung von Mann und Frau bezüglich der Hinterbliebenenversorgung rechtfertige.
Zufolge der mittelbaren Grundrechtsbindung auch der Betriebsparteien gelten diese Erwägungen auch für eine Prüfung der vorliegenden Betriebsvereinbarung nach § 879 Abs 1 ABGB. Hiebei ist den Vorinstanzen darin beizupflichten, daß eine sachlich nicht gerechtfertigte Schlechterstellung weiblicher Dienstnehmer, deren Ehegatten anders als den Ehegattinnen männlicher Dienstnehmer nach dem Pensionsstatut keinerlei Hinterbliebenenversorgung zugesichert ist, bereits vor Beendigung des Dienstverhältnisses der verstorbenen Ehegattin des Klägers infolge der Neuregelung des Unterhaltsrechtes und des Ansteigens der Zahl der erwerbstätigen Frauen anzunehmen war.
Mit der Erlassung des am 1.7.1979 in Kraft getretenen
Gleichbehandlungsgesetzes vom 23.2.1979 BGBl 1979/108 ging es dem
Gesetzgeber weniger darum, die Gleichbehandlungspflichten in die
Rechtsordnung einzuführen, als darum, auf größere Effektivität vor
allem der bestehenden Benachteilungsverbote hinzuwirken, insbesondere
durch striktere Normierung und institutionalisierte Verfahren (siehe
Mayer-Maly, Gleichbehandlungsgesetz 12 f sowie 18). Auch mit § 18 BPG
wurde lediglich der von der Judikatur herausgebildete
arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz festgeschrieben (siehe
Strasser, Betriebspension und Gleichbehandlung, 11 f; Schrammel BPG
195; Wöss in Farny-Wöss, Betriebspensionsgesetz-Pensionskassengesetz
173; derselbe, Das Gleichbehandlungsgebot nach § 18 BPG, DRdA 1991,
345 ff [346]; J.Eichinger, Zum Gleichbehandlungsgebot nach § 18 BPG,
ZAS 1991, 119 ff [122]; Eberhartinger, § 18 Betriebspensionsgesetz
und der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz, ecolex 1990,
700 [703]). Die Betriebsparteien waren daher schon vor Inkrafttreten
dieser Gesetze zufolge ihrer mittelbaren Bindung an den
verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz verpflichtet, die sachlich
nicht (mehr) gerechtfertigte Differenzierung in der Ausgestaltung der
Versorgung der Hinterbliebenen männlicher und weiblicher Dienstnehmer
zu beseitigen. Da die Berufung auf den Verstoß gegen die guten Sitten
nicht nur bewirken kann, daß ein "an sich" gegebenes Recht ignoriert,
sondern auch, daß "an sich" nicht bestehende Rechte zuerkannt werden
(siehe JBl. 1985, 103 = SZ 57/39; vgl ferner DRdA 1992/49 [zust
Wachter] = ZAS 1992/21 [zust Holzer-Reisner]; DRdA 1992/44 [zust
J.Eichinger]; zuletzt 9 Ob A 317/92) war entsprechend dem Schutzzweck
der verletzten Norm dem Kläger eine das Gleichheitsgebot nicht
verletzende Hinterbliebenenpension zuzuerkennen (vgl SZ 63/227 = EvBl
1991/60 = DRdA 1991/46 [teilweise krit Beck-Mannagetta] = ZAS 1991/20
[teilweise krit Sladecek]). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß nur die beklagte Partei Revision erhoben hat, so daß sich eine Stellungnahme zu der vor allem die Höhe der zuerkannten Witwerpension betreffenden Kritik erübrigt.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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