OGH 7Ob5/12d

OGH7Ob5/12d18.2.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und durch die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** G*****, vertreten durch die Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Perg, gegen die beklagte Partei C***** GmbH, *****, vertreten durch die Scheerbaum Seebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 42.906,24 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 3. November 2011, GZ 4 R 57/11a-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 10. Februar 2011, GZ 45 Cg 76/10k-11, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Ausführungen in der Zulassungsbeschwerde stehen in Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung, wonach der Umstand allein, dass sich die hier zu beantwortenden Rechtsfragen auch in mehreren weiteren Parallelverfahren stellten und stellen, nicht die Erheblichkeit im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO bewirkt (RIS-Justiz RS0042816; 1 Ob 77/12y). Zudem war der auch hier zu beurteilende Erwerb von „Immobilienaktien“ (der I***** AG) bereits mehrfach Gegenstand von Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs, womit auch schon außerordentliche Revisionen von - wie hier - infolge Falschberatung ersatzpflichtigen Anlageberatern mangels erheblicher Rechtsfragen zurückgewiesen wurden (vgl jüngst: 3 Ob 220/12t und 4 Ob 19/12s).

Einen Anlageberater treffen nach der ständigen Rechtsprechung Schutz- und Sorgfaltspflichten. Er ist zur Aufklärung seiner Kunden über die Risikoträchtigkeit der in Aussicht genommenen Anlage verpflichtet. Welche Verhaltenspflichten ihn dabei im Einzelnen treffen, kann nur aufgrund der konkreten Umstände beurteilt werden. Stellt er beispielsweise ein typisches Risikogeschäft als sichere Anlageform hin und veranlasst er dadurch den Anleger zur Zeichnung einer solchen Beteiligung, haftet er für die fehlerhafte Beratung selbst dann, wenn auch er von der Seriosität des Anlagegeschäfts überzeugt gewesen sein sollte, weil er ein solches Geschäft nicht ohne weiteres als sichere Anlageform anpreisen darf (RIS-Justiz RS0108074; 6 Ob 139/12b).

Der - hier für die Pflichtverletzungen vor dem 1. 11. 2007 noch anzuwendende (vgl 1 Ob 48/12h) - § 13 Z 3 und 4 WAG (alt) hat die schon zuvor von Rechtsprechung und Lehre insbesondere aus culpa in contrahendo, positiver Forderungsverletzung und dem Beratungsvertragsverhältnis abgeleiteten Aufklärungs- und Beratungspflichten festgeschrieben (RIS-Justiz RS0119752). Mit § 15 WAG wurde eine ausdrückliche Haftungsnorm geschaffen, die auch im Gesetz einen zivilrechtlichen Charakter der Verhaltenspflichten eindeutig klarstellte. Sie bezweckte die grundsätzliche Sicherstellung der Haftung des Rechtsträgers bei Verletzung der Bestimmungen der §§ 13 und 14 WAG auch bei bereits leichter Fahrlässigkeit (RIS-Justiz RS0119753; 1 Ob 48/12h). Die Informationserteilung hat dem Gebot vollständiger, richtiger und rechtzeitiger Beratung zu genügen, durch die der Kunde in den Stand versetzt werden muss, die Auswirkungen seiner Anlageentscheidung zu erkennen (3 Ob 241/11d).

Die konkrete Ausgestaltung und der Umfang der Beratung sind einzelfallbezogen von einer Reihe von Faktoren abhängig, die sich einerseits auf die Person des Kunden und andererseits auf das Anlageprodukt beziehen (RIS-Justiz RS0119752 [T6]). Die Beratungs- und Aufklärungspflichten sind daher grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls. Gegenteiliges gilt nur dann, wenn eine grobe Fehlbeurteilung vorliegt, die im Interesse der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste (RIS-Justiz RS0029601 [T9]; RS0106373).

Eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung liegt nicht vor (3 Ob 241/11d; 6 Ob 139/12b) und auch die Verneinung eines Mitverschuldens durch die Vorinstanzen bedarf in diesem Einzelfall keiner Korrektur (vgl 10 Ob 7/12w, wonach ein Mitverschulden nicht allein mit dem Argument bejaht werden kann, dass die in den Unterlagen enthaltenen Warnhinweise ungelesen unterschrieben worden sind).

Die in der Zulassungsbeschwerde angesprochenen Fragen stellen sich zum Teil schon deshalb nicht, weil hier nicht vom Wunschsachverhalt der Rechtsmittelausführungen auszugehen ist (wonach dem Kläger ohnehin das Produkt vermittelt worden sei, „das er wollte“), sondern die - im Revisionsverfahren nicht angreifbaren - Feststellungen der Tatsacheninstanzen zugrunde zu legen sind:

Demnach wurde der Kläger vom Anlageberater nicht (ausreichend deutlich) darauf hingewiesen, dass es auch zu einem (nahezu) Totalverlust kommen könne. Wären diese Möglichkeit oder jene eines längerfristigen Abwärtstrends auch als realistische Möglichkeiten dargestellt worden, hätte der Kläger weder seine gesamten Ersparnisse in I***** Aktien investiert (sondern „konservativer“ veranlagt, noch seinen (Fremdwährungskredit-)Tilgungsträger gewechselt. Der Kläger hatte aufgrund der gesamten Beratung nicht den Eindruck, dass die Anlageform ein erhöhtes Risiko mit sich bringe, und das Gefühl, das Risiko liege etwas über jenem eines Bausparvertrags.

Von dieser Tatsachengrundlage entfernt sich die Revision und beruft sich daher zu Unrecht auf ein Abweichen von der Rechtsprechung und fehlende Judikatur:

Der Oberste Gerichtshof hat bereits festgehalten, dass nach den Wohlverhaltensregeln des WAG 1997 die Beratung und Aufklärung nicht vom Kunden nachzufragen, sondern von den in § 11 WAG (alt) genannten Rechtsträgern anzubieten sind (RIS-Justiz RS0119752 [T14] = RS0123046 [T4]).

Nach ständiger Rechtsprechung steht einem schuldhaft fehlberatenen Erwerber eines in Wahrheit nicht gewollten Anlageprodukts der Anspruch zu, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn ihn der Anlageberater pflichtgemäß aufgeklärt hätte. Hätte der Anleger - wie hier - in diesem Fall das Finanzprodukt nicht gekauft, kann er den rechnerischen Schaden ersetzt verlangen, der sich aus dem Stand seines Vermögens nach der Fehlberatung und dem hypothetischen Stand bei richtiger Beratung (allenfalls, sofern geltend gemacht, unter Berücksichtigung der Wertentwicklung einer Alternativanlage) ergibt (8 Ob 39/12m).

Wenn sich der Geschädigte dazu entschloss, die unerwünschte Anlage vorläufig noch zu behalten, bestand ein vereinfacht als „Naturalrestitution“ bezeichneter Anspruch, der auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen einen Bereicherungsausgleich durch Übertragung des noch vorhandenen Finanzprodukts an den Schädiger gerichtet ist (8 Ob 39/12m mwN unter Hinweis auf Kleteckas Anm zu 7 Ob 253/97z in ÖBA 1999/787; sowie auf Brenn/Leupold, Feststellungsbegehren versus „Naturalrestitution“, ÖJZ 2012/109, 762 und Prückner, Zum Feststellungsanspruch des geschädigten Anlegers: Feststellungsklage trotz möglicher Leistungsklage?, Zak 2012, 327).

Da der Schaden des Anlegers bereits im Erwerb des ungewollten Finanzprodukts lag, ist der Ersatzanspruch grundsätzlich nicht von dessen späterer Kursentwicklung abhängig, die Herausgabe der Wertpapiere ist nur eine Form des Bereicherungsausgleichs, wobei diese Variante des Begehrens auch gegenüber dem bloßen Anlageberater, von dem - wie im vorliegenden Fall - die Finanzprodukte nicht erworben wurden, zusteht (8 Ob 39/12m mwN).

Auch wenn man davon ausgeht, dass der Schaden des Klägers schon im Erwerb des ungewollten, „spekulativen“ Finanzprodukts lag, ist die Verneinung der Verjährung dieses Ersatzanspruchs ebenfalls nicht zu beanstanden, weil die subjektive Schadenskenntnis keinesfalls vor August 2007 anzunehmen ist. Bis dahin war noch keine Abweichung der empfohlenen Veranlagung in „Immobilienaktien“ von den durch den Berater - sorgfaltswidrig - erteilten Informationen erkennbar (wonach dies eine „gute Sparform“, nämlich eine stabile, als „mündelsicher“ angesehene, Veranlagungsform für das Geld minderjähriger Kinder, „damit es erhalten bleibe“, sei, wobei er auf angeblich vorhandene Immobilien, als „etwas zum Angreifen“, verwiesen hatte), weil die Aktien erst im dritten und ab dem vierten Quartal des Jahres 2007 die - der Beratung offenkundig widersprechenden - Risikoklassen R 4 (hohes Risiko) und R 5 (sehr hohes Risiko) erreichten. Bei der Klagseinbringung (19. 2. 2010) war die dreijährige Frist für die Verjährung von Schadenersatzansprüchen somit noch nicht abgelaufen.

Mangels erheblicher Rechtsfragen (§ 502 Abs 1 ZPO) ist die Revision zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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