OGH 2Ob60/08z

OGH2Ob60/08z10.4.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hans Peter S*****, vertreten durch Mag. Thomas Burkowski, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagten Parteien 1.) Mag. Frank A*****, vertreten durch Dr. Christian Slana, Rechtsanwalt in Wien, 2.) C*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Mag. Harald Schuh und Mag. Christian Atzwanger, Rechtsanwälte in Linz, wegen 21.352,16 EUR sA und Feststellung (Streitwert 1.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 19.500 EUR und Feststellung) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 12. Dezember 2007, GZ 3 R 169/07d‑26, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 10. Juli 2007, GZ 1 Cg 139/06s‑20, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Erstgerichts wird mit der Maßgabe wiederhergestellt, dass es einschließlich seines rechtskräftigen Teils lautet:

„1. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei 19.500 EUR samt 4 % Zinsen seit 4. 7. 2005 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die beklagten Parteien der klagenden Partei für sämtliche zukünftige Folgen des Unfalls vom 31. 12. 2003 haften.

3. Das Mehrbegehren, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei 1.652,16 EUR samt 4 % Zinsen seit 4. 7. 2005 zu bezahlen, wird abgewiesen.

4. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei zu Handen des Klagevertreters die mit 7.738,10 EUR (darin enthalten 956,40 EUR USt und 1.999,70 EUR Barauslagen) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu bezahlen."

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei zu Handen des Klagevertreters die mit 1.721,94 EUR (darin enthalten 286,99 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die erstbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen des Klagevertreters die mit 2.425,48 EUR (darin enthalten 209,58 EUR USt und 1.168 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Der Erstbeklagte ist Eigentümer eines Hauses in Linz, in dem der Kläger vom 2. 10. 2001 bis 31. 3. 2004 eine Wohnung gemietet hatte. Der Erstbeklagte hat die Zweitbeklagte für die Saison 2003/2004 mit dem Winterdienst, insbesondere der Schneeräumung und Streuung (auch) des Gehsteigs vor dem Haus beauftragt. Am 31. 12. 2003 verließ der Kläger gegen 8.00 Uhr seine Wohnung, um zu seinem Auto zu gehen. Er trat durch die Haustür, wandte sich nach links und ging auf dem Gehsteig entlang des Hauses weiter, bis er einige Meter vom Eingang entfernt an der Hausecke auf dem schnee‑ und eisbedeckten Gehsteig stürzte und sich verletzte.

Der Kläger begehrt 21.352,16 EUR sA und Feststellung der Haftung der Beklagten für die (eindeutig gemeint: zukünftigen) Folgen seines Unfalls.

Die Haftung der Zweitbeklagten wegen Verletzung der Streupflicht (§ 93 Abs 1 iVm Abs 5 StVO) steht rechtskräftig fest. Im Revisionsverfahren ist nur mehr die Haftung des erstbeklagten Hauseigentümers strittig, die der Kläger aus der vertraglichen Verpflichtung des Vermieters, dem Mieter den gefahrlosen Zu- und Abgang zu gewährleisten, ableitet. Der Erstbeklagte vertritt im Gegensatz dazu den Standpunkt, eine allfällige vertragliche Nebenpflicht des Hauseigentümers könne sich nur auf Bereiche innerhalb des Mietgegenstands erstrecken, nicht aber auf den am Haus vorbeiführenden öffentlichen Gehsteig.

Das Erstgericht bejahte eine vertragliche Verpflichtung des Erstbeklagten, dem die schuldhafte Verletzung der Räum- und Streupflicht durch die Zweitbeklagte nach § 1313a ABGB zuzurechnen sei.

Das von beiden Beklagten angerufene Berufungsgericht gab nur der Berufung des Erstbeklagten Folge und wies das gegen ihn gerichtete Klagebegehren ab. Es teilte die Auffassung des Erstbeklagten, dass dessen vertragliche Nebenpflicht aus dem Bestandvertrag nur die Säuberung und Streuung des Gehsteigs unmittelbar vor dem Eingang des Hauses umfasse, nicht aber den außerhalb davon gelegenen öffentlichen Gehsteig. Verwiesen wurde auf vorvertragliche Schutz‑ und Verkehrssicherungspflichten eines Geschäftsinhabers gegenüber (potentiellen) Kunden durch Gewährleistung eines sicheren Zugangs zum Geschäftslokal, die auf den Eingang und den unmittelbar davor befindlichen Gehsteigbereich beschränkt seien. In der Entscheidung 2 Ob 181/02k habe der Oberste Gerichtshof eine Ausweitung der Vertragshaftung der Halterin eines mautpflichtigen Straßentunnels auf die Anschlussstrecken der mautpflichtigen Straße verneint, weil dies ein unzumutbares Ausufern der Haftung bedeute.

Den Ausspruch über die Zulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Berufungsgericht mit fehlender höchstgerichtlicher Judikatur zu der aus dem Mietvertrag abgeleiteten Verpflichtung des Vermieters, den öffentlichen Gehsteig entlang des gesamten Mietobjekts zu räumen und zu streuen.

Der Kläger beantragt in seiner Revision, das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Erstbeklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, das gegnerische Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil eine gesicherte, jüngere höchstgerichtliche Judikatur zur vertraglichen Haftung des Vermieters bei Verletzung der Räum- und Streupflicht auf dem öffentlichen Verkehr dienenden Flächen (§ 93 Abs 1 StVO) fehlt; sie ist auch berechtigt.

§ 1096 Abs 1 Satz 1 ABGB verpflichtet den Bestandgeber, das Bestandobjekt in brauchbarem Zustand zu erhalten und den Bestandnehmer im vereinbarten Gebrauch nicht zu stören. Die Instandhaltungspflicht des Vermieters umfasst nicht nur das eigentliche Bestandobjekt oder mitgemietete, außerhalb davon gelegene Räumlichkeiten oder Flächen, sondern auch die allgemeinen Teile des Hauses, die der Mieter nach Vertrag oder Verkehrsübung benutzen darf (Würth in Rummel3 § 1096 ABGB Rz 5; Binder in Schwimann, ABGB³ V, § 1096 Rz 1; RIS‑Justiz RS0106104; vgl 6 Ob 250/01k = RIS‑Justiz RS0115893).

Neben den in § 1096 Abs 1 Satz 1 ABGB angeführten Hauptleistungspflichten treffen den Vermieter gegenüber dem Mieter Schutz‑ und Sorgfaltspflichten, vor allem wenn es um Gefahrenquellen geht, die mit der Beschaffenheit des Bestandobjekts im Zusammenhang stehen. Der Vermieter hat dafür zu sorgen, dass der Mieter durch Gefahrenquellen, die mit dem Bestandobjekt, seiner Beschaffenheit bzw der Art des Gebrauchs zusammenhängen, nicht geschädigt wird (2 Ob 335/97x = JBl 1998, 655 = ZVR 1998/139; RIS‑Justiz RS0020884). Dies umfasst jedenfalls die Verpflichtung des Vermieters, eine Schädigung des Mieters durch unterlassene Erhaltungs- und Betreuungsmaßnahmen (wozu in weiterem Sinn auch die Schneeräumung und die Streupflicht gehören; Würth aaO) an allgemeinen Teilen der Liegenschaft zu verhindern (5 Ob 3/05k; 2 Ob 47/07m = RIS‑Justiz RS0020884 [T10]). Diese Säuberungs- und Streupflicht wird als vertragliche Nebenverpflichtung aus § 1096 ABGB abgeleitet (RIS‑Justiz RS0023235; RS0021318; 2 Ob 47/07m).

Unzweifelhaft ist somit die vertragliche Haftung des Vermieters für jene Unfälle von Mietern und geschützten Dritten wie Angehörigen (2 Ob 513/96; 2 Ob 335/97x; Binder aaO Rz 25) oder Arbeitnehmern des Mieters (2 Ob 216/03h), die sich auf nicht ordnungsgemäß geräumten oder gestreuten allgemeinen Teilen des Hauses ereigneten, zB in Innenhöfen (7 Ob 174/71 = ZVR 1973/6 = MietSlg 23.205 = RIS‑Justiz RS0023235 [T1]: Hof eines landwirtschaftlichen Gebäudes; 2 Ob 202/00w) oder auf Freiflächen innerhalb einer - aus mehreren Häusern bestehenden - Wohnhausanlage (2 Ob 26/95 = ZVR 1996/32; 2 Ob 47/07m).

Eine vertragliche Verkehrssicherungspflicht (Nebenleistungsverpflichtung aus dem Bestandvertrag) trifft den Vermieter auch insofern, als er den Zugang zu einem vermieteten Objekt während der gesamten Bestandzeit in sicherem Zustand zu erhalten hat (Iro in KBB2 § 1096 ABGB Rz 15; vgl Würth aaO mwN; Binder aaO Rz 22; 5 Ob 2153/96w; 1 Ob 279/01p; RIS‑Justiz RS0104241; RS0024556: ordungsgemäße Stiegenbeleuchtung; RS0024566: schadhafter Hausgang). Für die vertragliche Haftung des Vermieters ist nicht erforderlich, dass dieser Zugang ausschließlich über eine im Eigentum des Vermieters stehende Fläche führt (vgl 1 Ob 279/01p: Sturz der Mieterin auf einem vereisten Weg zwischen Parkplatz und Haus).

Nicht explizit beantwortet wurde in der jüngeren höchstgerichtlichen Judikatur, in welchem Ausmaß (also über den unmittelbaren Zugangsbereich hinaus) eine vertragliche Räumungs‑ und Streupflicht des Vermieters auf öffentlichen Verkehrsflächen besteht.

Die in § 93 Abs 1 StVO geregelte Verpflichtung der Anrainer bezieht sich ausschließlich auf Flächen, die dem öffentlichen Verkehr dienen: zu säubern und zu bestreuen sind die entlang der Liegenschaft vorhandenen, dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteige und Gehwege einschließlich der in ihrem Zuge befindlichen Stiegenanlagen sowie mangels eines Gehsteigs (Gehwegs) der Straßenrand in einer Breite von 1 m. Diese Säuberungs- und Streupflicht ist eine gegenüber der Allgemeinheit bestehende (gesetzliche) Obliegenheit zur Verkehrssicherung (RIS‑Justiz RS0021318 [T1]). Zu dem - auch hier zu beurteilenden - Verhältnis des Bestandgebers zum Bestandnehmer hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 3 Ob 569/81 = ZVR 1982/261 ausgesprochen, dass der Vermieter für den Sturz eines Mieters am Straßenrand, der mangels eines Gehsteigs vom Vermieter zu räumen war, vertraglich aus dem Grund des § 1096 ABGB haftet.

Das Berufungsgericht hat die Einschränkung der aus § 1096 ABGB abgeleiteten vertraglichen Verkehrssicherungspflicht des Vermieters auf den unmittelbaren Eingangsbereich mit jener höchstgerichtlichen Judikatur gerechtfertigt, die den Inhaber eines Geschäftslokals aufgrund vorvertraglicher Schutz‑ und Verkehrssicherungspflichten gegenüber (potentiellen) Kunden verpflichtet, den Eingang und den unmittelbar davor befindlichen Gehsteigbereich zu säubern und zu bestreuen (SZ 52/135; 9 Ob 162/00i; vgl 1 Ob 152/05t; 2 Ob 158/06h). Dieser Vergleich ist nach Auffassung des erkennenden Senats nicht überzeugend: Benutzt der Inhaber eines Geschäftslokals dieses (wie in vielen Fällen) aufgrund eines Mietvertrags, beschränkt sich sein Einflussbereich auf das ihm ausschließlich zur Benutzung überlassene Objekt. Die in der Judikatur bejahte Verpflichtung zur Sicherung des Eingangsbereichs bedeutet nichts anderes, als die vertragliche Verpflichtung des Geschäftsinhabers, die Sicherheit seiner Kunden im Inneren des Objekts zu gewährleisten, räumlich auf den Außenbereich und zwar in zumutbarem Ausmaß auszudehnen. Diese räumliche Beschränkung trägt dem allgemeinen Grundsatz, dass (auch vertragliche) Verkehrssicherungspflichten nicht überspannt werden sollen (vgl RIS‑Justiz RS0023487; vgl RS0023950; 2 Ob 265/06v) und eine Verkehrssicherungspflicht Verfügungsmacht und Einflussnahme auf den Gefahrenbereich voraussetzt (RIS‑Justiz RS0023355 [T28]), Rechnung. In diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof in der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 2 Ob 181/02k eine Ausweitung der vertraglichen Haftung des Betreibers eines Mauttunnels auf die (ca 31 km langen) Anschlussstrecken mit dem Argument abgelehnt, diese bedeute ein unzumutbares Ausufern.

Anders stellt sich die Situation beim Hauseigentümer dar, an dessen Objekt eine öffentliche Verkehrsfläche (hier Gehsteig) vorbeiführt und den - im Gegensatz zum Geschäftsinhaber - gegenüber der Allgemeinheit nach § 93 Abs 1 StVO eine Verkehrssicherungspflicht trifft. Im Fall des bereits mit Verkehrssicherungspflichten belasteten Vermieters und Anrainers liegt eine unzumutbare Ausweitung von Verkehrssicherungspflichten nicht vor, wenn die Nebenverpflichtung gegenüber dem Mieter auf den gesamten nach § 93 Abs 1 StVO von der Streu‑ und Räumpflicht erfassten öffentlichen Gehsteig ausgedehnt wird.

Überzeugend ist das Argument des Revisionswerbers, in dem er auf die Verpflichtung der Mieter verweist, die Kosten der Schneeräumung als Betriebskosten zu tragen. In den taxativ aufgezählten (E. M. Hausmann in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht, § 21 MRG Rz 6) Betriebskostenkatalog des § 21 Abs 1 MRG fallen die angemessene Versicherung des Hauses gegen die gesetzliche Haftpflicht des Hauseigentümers (Z 5) und die in § 23 MRG bestimmten angemessenen Aufwendungen für die Hausbetreuung (Z 8 idF der WRN 2000). § 23 Abs 1 MRG idF der WRN 2000 zählt zu den zu ersetzenden Aufwendungen für die Hausbetreuung auch die Reinhaltung der in die Betreuungspflicht des Liegenschaftseigentümers fallenden Gehsteige einschließlich der Schneeräumung.

Außerhalb des Vollanwendungsbereichs des MRG bestimmt sich die Verpflichtung des Mieters zur Tragung der Betriebskosten nach der mit dem Vermieter getroffenen Vereinbarung. Regelt diese Überwälzungsvereinbarung die vom Mieter zu tragenden Kosten nicht ausdrücklich, sind idR die im MRG aufgezählten Betriebskosten gemeint (E. M. Hausmann aaO Rz 5).

Der Mieter leistet daher im Rahmen der ihm vorgeschriebenen anteiligen Betriebskosten seinen Beitrag zu den Kosten des mit dem Winterdienst beauftragten Unternehmens. Die Haftpflichtversicherung, deren Prämien ebenfalls auf die Mieter überwälzt werden, deckt auch Schadenersatzansprüche Dritter ab, welche infolge Verletzung der Streu‑ und Räumungspflicht (§ 93 Abs 1 StVO) entstehen.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten:

Die vertragliche Räumungs‑ und Streupflicht des Bestandgebers erstreckt sich im Verhältnis zu Bestandnehmern oder dritten, ebenfalls vom Schutzbereich des Mietvertrags umfassten Personen jedenfalls auf den gesamten Bereich, den der Bestandgeber nach § 93 Abs 1 StVO zu säubern und zu bestreuen hat (so auch Binder aaO Rz 21). Die mietvertragliche Verkehrssicherungspflicht des Liegenschaftseigentümers bleibt also in ihrem Umfang nicht hinter seiner deliktsrechtlichen zurück.

Das erstgerichtliche Urteil, das eine vertragliche Haftung des Erstbeklagten bejaht hat, war daher wiederherzustellen. Beim Feststellungsbegehren war allerdings die Haftung auf zukünftige Schäden zu begrenzen, weil ein rechtliches Interesse nur an der Feststellung jener Schadenersatzansprüche besteht, die im Zeitpunkt der Einbringung der Feststellungsklage noch nicht fällig waren (RIS‑Justiz RS0037422 [T6]; RS0038817 [T2]; 2 Ob 6/06f). Insoweit bedarf es einer klarstellenden Maßgabe.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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