OGH 5Ob2153/96w

OGH5Ob2153/96w24.9.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schwarz, Dr.Graf, Dr.Floßmann und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bernhard R*****, vertreten durch Dr. Kurt Hanusch und Dr.Heimo Jilek, Rechtsanwälte in Leoben, wider die beklagte Partei Gabriela S*****, vertreten durch Dr Willibald Rath und Dr.Manfred Rath, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 80.000,-- s.A. und Feststellung (Streitwert S 20.000,--) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Berufungsgericht vom 2.Mai 1996, GZ 1 R 16/96m-31, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Leoben vom (richtig:) 30.November 1995, GZ 6 C 24/94m-25, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verhandlung an das Gericht zweiter Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung

Der Kläger ist Mieter einer Wohnung im Haus N*****, das der Beklagten gehört. Der einzige Zugang zu diesem Haus führt über eine Böschung, die zwischen dem hauseigenen Parkplatz und dem tiefergelegenen Hauseingang auf einer horizontalen Wegstrecke von ca 1,5 m eine Höhendifferenz von ca 1,5 m überwindet. Ursprünglich hatte eine Zufahrtsmöglichkeit zum Haus bestanden, doch mußte im Zuge einer Grundstücksteilung der jetzt vorhandene Parkplatz mit dem beschriebenen Hauszugang angelegt werden. Die entsprechenden Bauarbeiten nahmen die Zeit vom 14.8.1993 bis zum 27.8.1993 in Anspruch.

Der Kläger behauptet, am 3.11.1993 auf der ungesicherten Böschung gestürzt zu sein und sich dabei einen Bruch des linken Oberarms mit Dauerfolgen zugezogen zu haben. Die Beklagte sei ihm dafür schadenersatzpflichtig, weil sie den ehemals sicheren Hauszugang geändert und damit gegen ihre Vertragspflichten als Vermieterin verstoßen habe. Die ca 45 Grad steile, mit Schotter und Split bedeckte Böschung stelle eine Gefahrenquelle für die Hausbewohner dar. Das Klagebegehren zielt in der Letztfasssung auf Zahlung von S 80.000,-- s.A. zur Abgeltung der unfallkausalen Schmerzen, sowie auf die Feststellung, daß die Beklagte dem Kläger für alle zukünftigen Schäden aus dem Sturz vom 3.11.1993 zu haften habe.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach und beantragte dessen Abweisung. Falls der Kläger überhaupt auf der fraglichen Böschung gestürzt sei, was ausdrücklich in Abrede gestellt werde, habe er dies der eigenen Unachtsamkeit zuzuschreiben. Eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten - auch vertraglicher Natur - scheide aus, weil die Böschung, die im Zuge der Grundteilung angelegt werden mußte, um den Hausbewohnern eine neue Park- und Zugangsmöglichkeit zu bieten, keinerlei Gefahrenquelle darstelle. Falls es dennoch zu einer Schadenshaftung der Beklagten kommen sollte, werde ein Mitverschulden des Klägers eingewendet.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei sich der von ihm festgestellte Sachverhalt wie folgt zusammenfassen läßt:

Während die Böschung heute 4 Stufen aufweise, hätten sich am 3.11.1993 nur zwei Stufen an ihrem unteren Ende befunden. Der verbleibende Höhenunterschied zum Parkplatz habe auf einem ca 20 Grad steilen, geschotterten Weg überwunden werden müssen. Ein Geländer sei nicht vorhanden gewesen.

Am 3.11.1993 habe der Kläger um etwa 18 Uhr seine Freundin von der Arbeit abgeholt und sie in seine Wohnung gebracht. Dann habe er wieder wegfahren wollen, sei jedoch umgekehrt, um einen vergessenen Gegenstand aus der Wohnung zu holen. Um dies zu tun, sei er in etwas schnellerem Gehtempo vom Parkplatz zum Hauseingang gegangen. Auf der Böschung sei der Kläger ins Rutschen gekommen, und zwar etwa in der Mitte zwischen dem Beginn der Neigung und der oberen der damals vorhandenen beiden Stufen. Er sei mit einem Fuß nach vorne weggerutscht. Beim Versuch, einen Sturz zu vermeiden, habe der Kläger überknöchelt, sei nach vorne auf die linke Schulter gestürzt und habe sich dadurch einen Bruch des linken Oberarms in Schultergelenksnähe zugezogen. Der bei ihm konstatierte "eingestauchte Bruch" komme überlicherweise durch das Abstützen des ganzen Körpers mit dem gestreckten linken Arm zustande.

Durch Ruhigstellung sei es zu einem guten Ausheilen des Oberarmbruchs gekommen. Ein solcher Oberarmbruch mache vorerst starke Schmerzen, die dann in mittelstarke übergingen und in leichte ausklängen. Leichte Schmerzen würden während der Gilchristtragezeit und während der Physiko-Therapie bis zum Erreichen einer guten Funktion andauern und meist nach zwei Monaten abklingen. Ein Belastungsschmerz und ein Berührungsschmerz könne noch einige Jahre dauern und gehe üblicherweise in Gewöhnung über. Alle unfallkausalen vom Kläger bereits erlittenen und zukünftigen Schmerzen würden bei Komprimierung auf den 24-Stunden-Tag 4 Tage starke Schmerzen, 8 Tage mittelstarke Schmerzen und 42 Tage leichte Schmerzen ergeben.

Als Dauerfolge sei dem Kläger eine Funktionsstörrung und ein Reiben der Schulter geblieben. Mit einer Besserung dieser Funktion sei nicht zu rechnen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit betrage etwa 10 %.

Rechtlich begründete das Erstgericht die Klagsabweisung damit, daß eine Böschung mit einer Neigung von etwa 20 Grad bei objektiver Betrachtung nicht unbedingt als Gefahrenquelle zu erkennen sei. Im übrigen habe diese Gefahrenquelle beim fraglichen Vorfall schon etwa 2,5 Monate bestanden, und dem Beklagten sei das Vorhandsein der Böschung durchaus bekannt gewesen. Selbst wenn man in dieser Böschung eine Gefahrenquelle sähe, hätte sich der Kläger auf sie leicht einstellen können und eben die Böschung vorsichtiger begehen müssen. Fraglich sei auch, durch welche zumutbare Maßnahmen die Gefahr hätte beseitigt werden sollen, um den gegenständlichen Vorfall zu verhindern. Die Anbringung eines Geländers wäre zwar zumutbar und möglich gewesen, hätte aber die Möglichkeit des gegenständlichen Vorfalls bei weitem nicht ausgeschlossen. Die Beklagte habe daher ihre Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt bzw habe es sich bei der gegenständlichen Böschung - objektiv gesehen - um gar keine Gefahrenquelle gehandelt.

Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, ohne auf die von der Beklagten in ihrer Berufungsbeantwortung vorsichtshalber gegen die festgestellte Unfallmechanik und die festgestellten Unfallfolgen (insbesondere gegen die Dauer und Intensität der Schmerzen) vorgebrachten Argumente einzugehen. Es führte aus:

Richtig sei, daß die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Vermieterin für einen gefahrlosen Zugang zu ihrem Haus hätte sorgen müssen. Entgegen der Ansicht des Klägers bilde jedoch die fragliche Böschung bei objektiver Betrachtung keine Gefahrenquelle. Die Böschung könne zwar ordnungsgemäß nur mit entsprechender Vorsicht und Aufmerksamkeit begangen werden, doch sei das für jeden Benützer bei durchschnittlicher Aufmerksamkeit leicht erkennbar. Es müsse erwartet werden, daß ein Fußgänger der einzuhaltenden Wegstrecke entsprechende Aufmerksamkeit widmet. Darauf habe die Beklagte vertrauen dürfen. Sie habe keine Vorkehrungen treffen müssen, um ihre Mieter bzw sonstige Benützer des Weges von allen nur irgendwie denkbaren und möglichen Gefahren zu schützen. Der Kläger, der es am Unfallstag offensichtlich eilig gehabt hatte und schnell gegangen sei, habe damals die erforderliche Aufmerksamkeit außer acht gelassen und sei daher gestürzt. Dies könne er nicht der Beklagten anlasten. Sein Sturz sei auf seine Unaufmerksamkeit zurückzuführen. Ob die Böschung eine Neigung von 20 Grad - wie festgestellt - oder 30 Grad - wie vom Kläger in der Berufung geltend gemacht - hatte, ob früher ein anderer - gefahrloser - Zugang existierte, ob schon früher einmal jemand über die Böschung stürzte, und ob die Mutter eines Zeugen über die Böschung getragen werden mußte, sei belanglos. Aus diesen Umständen könnte lediglich abgeleitet werden, daß die Böschung zwar ein Hindernis, nicht aber eine Gefahr für Benützer bilde, welche die erforderliche Aufmerksamkeit beim Begehen der Böschung anwenden.

Diese Entscheidung enthält den Ausspruch, daß die ordentliche Revision mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen nicht zulässig sei.

In der jetzt vorliegenden außerordentlichen Revision macht der Kläger vor allem geltend, daß das Berufungsgericht den vertraglichen Sorgfaltspflichten der Beklagten zu wenig Beachtung geschenkt habe. Als Vermieterin habe sie dem Kläger einen Zugang zum Haus geschuldet, der sich in sicherem Zustand befindet und kein Hindernis aufweist. Da die Böschung zwischen Parkplatz und Hauseingang selbst nach Ansicht des Berufungsgerichtes ein "Hindernis" darstelle (das noch dazu durch eine Änderung der bei Abschluß des Mietvertrages vorgefundenen Verhältnisse geschaffen worden sei), habe die Beklagte den dadurch entstandenen Schaden des Klägers zu ersetzen. Das Hindernis hätte durch eine Geländer und zusätzliche Stufen entschärft werden können; den ihr gemäß § 1298 ABGB obligenden Entlastungsbeweis habe die Beklagte nicht erbracht. Die Annahme des Berufungsgerichtes, der Kläger habe den Unfall selbst verschuldet, weil er in offensichtlicher Eile schnell gegangen sei, sei durch die Aktenlage nicht gedeckt. Der Revisionsantrag geht dahin, das angefochtene Urteil entweder im Sinn einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern oder aber aufzuheben und einer der Vorinstanzen eine neue Entscheidung aufzutragen.

Der Beklagten wurde die Beantwortung der Revision freigestellt. Sie hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und beantragt, die Revision entweder als unzulässig zurückzuweisen oder ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht die vom Vermieter gegenüber dem Mieter wahrzunehmenden Sorgfaltspflichten sowie die daraus resultierenden Fragen der Beweislastverteilung verkannte, und sie erweist sich im Sinn ihres Aufhebungsbegehrens auch als berechtigt.

Wie der Kläger in seiner Revision zutreffend ausführt, besteht eine mietvertragliche Nebenleistungsverpflichtung des Hauseigentümers darin, den Zugang zu einem vermieteten Objekt während der gesamten Bestandzeit in sicherem Zustand zu erhalten (Reischauer in Rummel2, Rz 20 zu § 1298 ABGB; vgl SZ 64/76mwN). Erleidet der Mieter durch die mangelhafte Beschaffenheit des Zugangs einen Schaden, ist ihm der Vermieter ersatzpflichtig, sofern er nicht nachweisen kann, daß ihn an an der Nichterfüllung seiner Erhaltungspflicht kein Verschulden trifft (§ 1298 ABGB). Im gegenständlichen Fall war die Böschung zwischen Parkplatz und Hauseingang, wie schon der streitgegenständliche Vorfall zeigt, gefährlich oder - wie das Berufungsgericht selbst als durchaus möglich einräumt - ein Hindernis auf dem Weg zum Haus. Ein solches Hindernis widerspricht jedenfalls dann dem vertraglich geschuldeten Zustand, wenn es die Benützung des Bestandobjektes erheblich erschwert oder gar gefährlich macht. Eine ungesicherte, ca 1,5 m hohe Böschung mit Schotterauflage, über die der einzige Zugang vom Parkplatz zum Haus führt, ist in diesem Sinn als Mangel anzusehen, für den der Vermieter einzustehen hat, weil der für solche Wege überlicherweise vorausgesetzte Sicherheitsstandard fehlt. Am 3.11.1993 hat sich die dem Mangel innewohnende Gefahr verwirklicht und - folgt man den erstgerichtlichen Feststellungen - zu einem Sturz des Klägers mit schweren Verletzungsfolgen geführt. Die Beklagte könnte sich daher von ihrer vertraglichen Haftung nur dann befreien, wenn sie nachweist, daß der gefährliche Zustand des Weges für sie nicht erkennbar (vgl SZ 25/336) oder mit zumutbaren Vorsichtsmaßnahmen nicht zu entschärfen war (vgl MietSlg 29.199; MietSlg 35.254; SZ 64/23 ua). Beides blieb unbewiesen oder läßt sich durch die Verfahrensergebnisse sogar widerlegen. Daß eine zumindest 20 Grad steile (nach den ungeprüft gebliebenen Behauptungen des Klägers noch steilere), nur mit Erdreich und Schotter bedeckte Böschung, die als ständig begangener Weg zwischen Parkplatz und Haus dient, eine eminente Gefahrenquelle darstellt, entspricht der Lebenserfahrung (siehe die Lichtbilder, auf die auch das Erstgericht verwiesen hat); als zumutbare Sicherungsmaßnahmen hätten sich - wie schon vom Erstgericht bemerkt - trittsichere Stufen und ein Geländer angeboten. Daß auch diese Maßnahmen den Unfall nicht verhindert hätten, steht keineswegs fest und entlastet somit - entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichtes - die Beklagte nicht (vgl Reischauer in Rummel2, Rz 8 zu § 1311 ABGB). Ebensowenig ließe sich für die Beklagte verwenden, sollte der Unfall des Klägers, wie sie behauptet, der erste auf dem umgebauten Weg gewesen sein. Daß sich eine latente Gefahr durch längere Zeit (hier: ca 2 Monate) nicht verwirklicht hat, nimmt nämlich der Belassung des als gefährlich erkennbaren und mit zumutbaren Maßnahmen zu beseitigenden Zustandes nicht die Eigenschaft der Fahrlässigkeit (ZVR 1984/280 ua).

Damit bleibt auf der Grundlage des vom Erstgericht festgestellten Sachverhalts nur zu prüfen, ob den Kläger, wie vom Berufungsgericht angenommen, ein Mitverschulden trifft. Auch das ist jedoch zu verneinen, weil ein "etwas schnelleres Gehtempo" auf einem routinemäßig begangenen Weg zwischen Parkplatz und Wohnhaus keine ins Gewicht fallende Sorglosigkeit iSd § 1304 ABGB indiziert. Daß es der Kläger an der erforderlichen Aufmerksamkeit habe fehlen lassen, sein Sturz also "auf Unachtsamkeit zurückzuführen sei", ist durch die Feststellungen über das Unfallgeschehen nicht gedeckt. Bleibt es beim festgestellten Sachverhalt, wird daher von einer unbeschränkten Haftung der Beklagten für die unfallkausalen Verletzungsfolgen des Klägers auszugehen sein. Wegen der nicht gebilligten Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, die eine Auseinandersetzung mit den in der Berufungsbeantwortung der Beklagten vorgebrachten Argumenten als entbehrlich erscheinen ließ, blieben allerdings Tatfragen zur Unfallmechanik sowie zu den Unfallfolgen, darunter Fragen der vom Kläger erlittenen bzw noch zu erwartenden Schmerzen, offen (vgl AS 158 ff). Vor endgültiger Klärung dieser Tatumstände verbietet sich eine endgültige Entscheidung über Grund und Höhe des Klagebegehrens. Die vom Revisionswerber mit an sich zutreffenden Argumenten geforderte Neubeurteilung des Streitfalls kann daher nicht zu einer Abänderung iS einer gänzlichen oder teilweisen Stattgebung des Klagebegehrens führen; sie zwingt zu einer Aufhebung, um dem Berufungsgericht die Möglichkeit zu geben, zur Tatsachenrüge der Beklagten Stellung zu nehmen. Ob es dazu einer weiteren mündlichen Verhandlung bedarf, ist dem pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichtes anheimgestellt.

Aus allen diesen Gründen war wie im Spruch zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 52 ZPO.

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