OGH 2Ob26/95

OGH2Ob26/956.4.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anna H*****, vertreten durch Dr.Gudrun Petsch-Lindmayr, Rechtsanwalt in Kapfenberg, wider die beklagte Partei G*****-GmbH, ***** vertreten durch Dr.Robert Obermann, Rechtsanwalt in Kapfenberg, wegen Zahlung von S 138.405,-

s. A. und Feststellung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 23. November 1994, GZ 8 R 14/94-23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben vom 30.März 1994, GZ 7 Cg 182/93-17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Am 14.1.1992 zog sich die Klägerin, als sie ihre Tochter besuchen wollte, auf einer vereisten, der beklagten Partei gehörigen Fläche durch einen Sturz schwere Verletzungen zu.

Sie begehrt aus dem Titel des Schadenersatzes von der beklagten Partei die Zahlung von S 138.405,- samt Zinsen und die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle künftigen nachteiligen Folgen aus den Unfall vom 14.1.1992. Sie brachte vor, die beklagte Partei habe die ihr obliegende Streupflicht verletzt.

Die beklagte Partei wendete ein, es sei auf der Fläche, auf der die Klägerin zum Sturz kam, das Abstellen von PKW ausdrücklich untersagt worden. Die beklagte Partei bestritt auch einen mangelhaften Zustand der von der Klägerin benützten Fläche und führte aus, ihren Verkehrssicherungspflichten in ausreichender Weise nachgekommen zu sein. Eine Bestreuung der Unfallsfläche sei wegen ihrer Verstellung mit Fahrzeugen - auch bei Schneefall - nicht möglich; eine allenfalls bestehende Streupflicht sei an die Mieter übertragen worden. Die Klägerin treffe auch ein Mitverschulden, weil sie erkennen konnte, daß sie auf eine Eisfläche trat und die nötige Aufmerksamkeit und Vorsicht unterließ. Die Eisbildung sei erkennbar gewesen; die Klägerin hätte sich entsprechend vorsichtig bewegen müssen, wodurch der Sturz vermieden worden wäre.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren kostenpflichtig ab, wobei es - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - folgende Feststellungen traf:

Die beklagte Partei ist Eigentümerin zahlreicher mehrstöckiger Siedlungshäuser in K*****, die zusammen ein Siedlungsgebiet ergeben. Die Häuser sind von Hof- und Parkflächen umgeben, die an Gemeindestraßen anschließen. Die Fläche, auf der die Klägerin zu Sturz kam liegt vor dem Haus ***** M*****straße 9 in einem der oben angeführten Siedlungsgebiete in K*****. In diesem Haus wohnt die Tochter der Klägerin als Mieterin der beklagten Partei. Bei dieser Fläche handelt es sich um einen Liegenschaftsteil, der den Mietern zur Verfügung gestellt wurde und zwar unter anderem dazu, ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Fahrzeuge abseits von der öffentlichen Verkehrsfläche abzustellen. Die Fläche erstreckt sich entlang der 100 m langen Hausfront, in der sich der Eingang zur Wohnung der Tochter der Klägerin befindet; sie ist 7 m breit, asphaltiert und hatte am Unfallstag keine optischen Trennungsmerkmale gegenüber der asphaltierten Fläche der ***** M*****straße. Diese Straße muß überquert werden, um zu den Müllcontainern für das genannte Haus zu gelangen, die dort in einer Ausbuchtung der Straße stehen. Die beklagte Partei trifft auf der Fläche keine Streu- und Räummaßnahmen, sie stellt lediglich Streugutcontainer auf. Sie hat eine "Haus- und Wohnordnung" erlassen und in dieser die Reinigung, Schneeräumung und Streuung der Hof- und Zugangswege den Mietern überbunden. Die Mietverträge selbst sehen eine Verpflichtung der Mieter vor, die vor dem Mietgegenstand liegenden Gehsteige instandzuhalten, zu reinigen und erforderlichenfalls zu bestreuen.

Im November 1991 erfolgte eine Änderung der Haus- und Wohnordnung in der abweichend von dem bis dahin eingeführten jährlichen Turnus für die Reinigung - jedes Jahr ein anderer Mieter - ein wöchentlicher Turnus erstellt wurde.

In der Woche vom 13.1. bis 19.1.1992 war turnusmäßig Gernot W***** als Mieter eines im Parterre des genannten Hauses gelegenen Friseurgeschäftes für die Räumung zuständig. Er brachte am Montag den 13.1.1992 Streugut entlang der Längsseiten des genannten Hauses in einer Breite von 1 bis 1,5 m an, zusätzlich bestreute er einen rund 1 m breiten Weg zu den Müllcontainern. Am 14.1.1992 traf er keine weiteren Streumaßnahmen. Die übrige Hoffläche, insbesonders jene, wo üblicherweise die Bewohner ihre Fahrzeuge abstellten und wo die Klägerin stürzte, blieb unbestreut. Der Sturz der Klägerin war die Folge einer starken Vereisung. Er ereignete sich 4 m vor den Stufen des Hauseinganges, ungefähr zwei Schritte nach dem Aussteigen aus einem PKW, in dem sie ein Verwandter ihrer Tochter vor das genannte Haus gebracht hatte. Der Sturz trat ein, obwohl die Klägerin Winterstiefel mit Gummisohlen trug.

Die Klägerin erlitt durch den Sturz einen Bruch der Speiche des linken Armes mit Ausbruch mehrerer Knochenteile, die teilweise in das Handgelenk ragten.

Eine von der Klägerin gegen Gernot W***** einbrachte Klage wurde abgewiesen, weil W***** eine Pflicht, die Stelle zu bestreuen, nicht treffe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren im wesentlichen mit der Begründung ab, der Beklagten falle kein Verstoß gegen § 93 StVO zur Last, weil sich der Unfall nicht auf einem der dort oder im § 2 StVO behandelten Gehwege oder Gehsteige ereignet habe. Eine Haftung nach § 1319a ABGB komme nicht zum Tragen, weil die Fläche, auf der die Klägerin zu Sturz kam, nicht der allgemeinen Benutzung zugänglich sei. Durch die Forderung, die strittige Fläche ständig zu beobachten und auf dieser Streumaßnahmen zu setzen, würde die Verkehrssicherungspflicht überspannt werden.

Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht änderte die angefochtene Entscheidung dahingehend ab, daß es dem Klagebegehren stattgab; die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt.

Das Berufungsgericht ging im Rahmen seiner Rechtsausführung davon aus, daß die Behauptung der beklagten Partei, der Aufenthalt der Klägerin auf der umstrittenen Fläche sei eine Folge des verbotswidrigen Abstellens eines Fahrzeuges gewesen, durch das Beweisverfahren widerlegt sei. Da die beklagte Partei ihren Mietern den asphaltierten Platz vor ihrem Haus für das Abstellen zur Verfügung gestellt habe, sei § 1096 ABGB anzuwenden. Es sei daher der Vermieter verpflichtet, eine gefahrlose Benutzung des Bestandgegenstandes zu ermöglichen (MietSlg 39.180 ua). Diese Verpflichtung bestehe - als Nebenpflicht des Mietvertrages - auch gegenüber dritten Personen, deren Kontakt mit der vertraglichen Hauptleistung bei Vertragsabschluß vorhersehbar war. Zu diesen dritten Personen gehörten auch die zu Besuch weilenden Angehörigen eines Mieters (MietSlg 35.243). Bestehe eine derartige Pflicht, werde bereits bei leichter Fahrlässigkeit gehaftet. Gemäß § 1298 ABGB habe der Eigentümer zu beweisen, daß er seine Pflichten erfüllt habe. Die Sicherungspflicht dürfe aber nicht überspannt werden, sie werde durch die Verkehrsbedürfnisse einerseits und die Zumutbarkeit der Streumaßnahmen andererseits begrenzt. Es bestünde auch die Möglichkeit, daß die Mieter den Vermieter von seiner vertraglichen Streupflicht entlasten.

Im vorliegenden Fall habe sich die Streupflicht der beklagten Partei auf den ganzen asphaltierten, 7 m breiten Platz vor dem Haus bezogen, weil der bestimmungsgemäße Gebrauch des ganzen Platzes darin bestand, mit Fahrzeugen auf diesem Platz zum Haus zuzufahren. Die beklagte Partei hafte daher für die Schäden der Klägerin, weil sie nicht einmal versucht habe, einem derartigen Unfall durch ausreichende Bestreuung vorzubeugen.

Das Berufungsgericht lehnte die Ansicht des Erstgerichtes, die Annahme einer Streupflicht würde zu einer Überspannung der Obliegenheiten der beklagten Partei führen, ab. Weder die Größe des Platzes noch eine Behinderung durch abgestellte Fahrzeuge lasse sich als Argument hiefür verwenden. Auch wer Vertragspartnern auf einer großen Fläche Rechte einräume, müsse dafür sorgen, daß deren Rechte auf der ganzen Fläche gewahrt werden. Die Schwierigkeiten durch abgestellte Autos könnten möglicherweise im Einzelfall hinsichtlich einiger Teilflächen zu einer milderen Bewertung des Verschuldens oder zu einem Entfall der Haftung führen, sie könnten aber keine Haftungsbefreiung bewirken, wenn - abgesehen von einem schmalen Weg

- Streumaßnahmen überhaupt unterblieben. Daß die Witterungsverhältnisse eine Streuung sinnlos gemacht hätten, sei weder vorgebracht noch festgestellt worden.

Die Revision an den Obersten Gerichtshof wurde für zulässig erklärt, weil die Frage, ob eine Streupflicht wegen der Größe des zu bestreuenden Platzes und der behindernd abgestellten PKW in der Weise überspannt wäre, daß für eine Bestreuung des ganzen Platzes nicht Sorge getragen zu werden brauche, bisher nicht entschieden worden sei.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der beklagten Partei nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist unzulässig, weil der in der

angefochtenen Entscheidung als erheblich bezeichneten Rechtsfrage

nicht die Bedeutung des § 502 Abs 1 ZPO zukommt - eine gegen §

502 Abs 1 ZPO verstoßende Zulassung, bindet den Obersten

Gerichtshof nicht (§ 508 a Abs 1 ZPO) - und andere erhebliche

Rechtsfragen im Rechtsmittel der beklagten Partei nicht aufgezeigt werden.

Die beklagte Partei vertritt in ihrem Rechtsmittel die Ansicht, das Berufungsverfahren sei mangelhaft geblieben, weil sich das Berufungsgericht mit dem Mitverschuldenseinwand nicht auseinandergesetzt habe.

Das Berufungsgericht hätte begründen müssen, weshalb es der Auffassung ist, daß kein Mitverschulden der Klägerin vorliege. Die Klägerin habe sich unaufmerksam und sorglos gegenüber den eigenen Gütern verhalten, sie hätte erkennen müssen, daß die von ihr benützte Fläche vereist war und "demgemäß eine entsprechende Vorsicht an den Tag legen müssen".

Weiters sei es der beklagten Partei praktisch vollkommen unmöglich alle in Betracht kommenden Flächen bei tausenden Häusern in K***** zur Winterszeit zu räumen und zu bestreuen. Die Annahme des Berufungsgerichtes würde geradezu ein "Heer" von Bediensteten erforderlich machen. Es gebe eine Unzahl von im Eigentum der beklagten Partei befindlichen Flächen und wäre es fast unmöglich, diese im Winter von Schnee zu säubern und laufend zu bestreuen. Ein derartiges Postulat ginge völlig an den realen Gegebenheiten und Tatsachen vorbei. Es müsse auch bedacht werden, daß witterungsbedingt zu völlig unterschiedlichen Tages- und Jahreszeiten Schneefälle und Eisbildung stattfinden. Überdies komme es zu einem laufenden Wechsel der abgestellten Fahrzeuge. Zu Recht habe daher das Erstgericht die Unzumutbarkeit derartiger Maßnahmen angenommen und die Haftung der beklagten Partei verneint.

Was die Frage der Zumutbarkeit der Streupflicht betrifft, handelt es sich um eine solche, die immer anhand der besonderen Umstände des Einzelfalles zu beurteilen ist, sodaß eine beispielgebende Entscheidung nicht zu erwarten ist. Die Ansicht des Berufungsgerichtes, es sei der Beklagten die Bestreuung einer Fläche, die sie ihren Mietern zur Benutzung mit Kraftfahrzeugen freistellte, zuzumuten, ist jedenfalls nicht unvertretbar. Daß bei der Prüfung der Zumutbarkeit der Streupflicht die übrigen Grundstücke der beklagten Partei nicht berücksichtigt werden können, ist evident. Die beklagte Partei kann sich doch ihrer Streupflicht nicht mit dem Hinweis darauf entziehen, daß sie Eigentümerin zahlreicher Häuser ist. Es können die Rechte des Mieters nicht davon abhängig sein, ob sich im Eigentum des Vermieters auch noch andere und wie viele Häuser befinden. Die Frage der Streupflicht unter einem abgestellten Fahrzeug bzw. nach dem Wegfahren eines Fahrzeuges stellt sich im vorliegenden Fall nicht, weil die von der Klägerin benützte Fläche mit Ausnahme eines schmalen Weges überhaupt nicht bestreut wurde.

Richtig ist zwar, daß sich die Entscheidung des Berufungsgerichtes mit dem Mitverschuldenseinwand nicht auseinandersetzt. Dieser Fehler des Berufungsgerichtes kann aber nicht zu grundlegenden Ausführungen des Obersten Gerichtshofes Anlaß bieten, es könnte ihm also nur dann erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zukommen, wenn er zu einer Fehlentscheidung des Berufungsgerichtes geführt hätte (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 3 zu § 502). Dies ist aber hier nicht der Fall. Festgestellt ist, daß die Klägerin Winterstiefel mit Gummisohlen trug und bereits ungefähr zwei Schritte nach dem Aussteigen aus dem Fahrzeug, das nicht von ihr gelenkt wurde, infolge der starken Vereisung stürzte. Wie sich die Klägerin bei dieser Situation "entsprechend vorsichtig" hätte bewegen müssen, ist nicht klar; mehr, als daß sie den Verhältnissen entsprechend bekleidet war und keine überflüssigen Wege oder Schritte machte, kann von ihr nicht verlangt werden. Welchen anderen Weg die Klägerin hätte benützen sollen, wurde von der beklagten Partei gar nicht dargelegt. Daß auch "bei entsprechender Vorsicht" bei starker Vereisung ein Sturz möglich ist, ist evident.

Die Revision der beklagten Partei war sohin mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO. Da die klagende Partei nicht auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels der beklagten Partei hingewiesen hat, hat sie die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Stichworte