OGH 1Ob211/98f

OGH1Ob211/98f15.12.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Margot K*****, vertreten durch Dr. Ernst Dejaco, Rechtsanwalt in Feldkirch als Verfahrenshelfer, wider die beklagte Partei V***** Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr. Otmar Pfeifer und Dr. Günther Keckeis, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen Feststellung (Streitwert 793.541 S) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 8. April 1998, GZ 3 R 20/98k-11, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 10. Dezember 1997, GZ 5 Cg 266/97s-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der Ehegatte der heute 42jährigen Klägerin betrieb von 1981 bis 1992 eine Tischlerei und wollte im Herbst 1987 mit Hilfe der beklagten Bank eine Umschuldung vornehmen, weil seine damalige Hausbank die Kredite - für die die Klägerin als Bürgin haftete - fällig gestellt hatte. Da die Klägerin und ihr Ehegatte über kein Vermögen verfügten, verlangten die Mitarbeiter der beklagten Partei von der Klägerin eine Verpflichtungserklärung als Bürgin und Zahlerin für zwei zu gewährende Kredite. Nach Sichtung einer Zwischenbilanz von 1985 - aktuellere Bilanzen waren nicht vorhanden - gewährte die beklagte Partei dem Ehegatten der Klägerin einen Einmalbarkredit von 400.000 S und einen (Geschäfts)Kontokorrentkredit von 300.000 S. Die Klägerin und ihr Ehegatte unterfertigten die bereits vorbereiteten Urkunden in der Bankfiliale in Bludenz; danach übernahm die Klägerin für beide Kredite die Haftung als Bürgin und Zahlerin. Die Klägerin erwähnte nie, mit einer Bürgschaft nichts zu tun haben zu wollen, und las vor der Unterfertigung weder die Bürgschaftserklärungen noch das gesonderte Schriftstück über die Belehrung eines mithaftenden Ehegatten nach dem KSchG durch. Neben der Klägerin übernahm noch ein Lieferant für die beiden Kredite eine betragsmäßig mit 150.000 S beschränkte Bürgschaft.

Die Klägerin besuchte nach der Volksschule die Hauptschule und den Polytechnischen Lehrgang; über eine wirtschaftliche Aus- und Weiterbildung verfügt sie nicht. Sie erledigte im Betrieb Putzarbeiten und betreute fallweise das Kassabuch; sie war für das Kontokorrentkonto allein zeichnungsberechtigt und machte davon fallweise im Auftrag ihres Mannes Gebrauch, insbesondere um kleinere Überweisungen durchzuführen. Sie hatte aber auf wirtschaftliche Entscheidungen innerhalb des Tischlereibetriebs keinen Einfluß. Ohne die Bürgschaft der Klägerin wären ihrem Ehegatten die beiden Kredite zur Umschuldung nicht gewährt worden und er hätte Konkurs anmelden müssen. Die Klägerin war über die schlechte wirtschaftliche Situation des Tischlereibetriebs informiert und wußte von ihrem Ehegatten, daß im Fall einer Verweigerung ihrer Unterschrift die Fortführung des Betriebs auf dem Spiel stand. Die beklagte Partei gewährte die beiden Kredite, weil sie aufgrund der zur Verfügung stehenden Urkunden von einer positiven Entwicklung ausging. Ausschlaggebend war auch die Tatsache, daß durch die Mithilfe der Klägerin als geringfügig Beschäftigte die Personalkosten niedrig gehalten wurden. Der beklagten Partei war nicht bekannt, daß die frühere Hausbank des Ehegatten der Klägerin diesem sämtliche Kreditverbindlichkeiten fällig gestellt hatte; sie wußte allerdings, daß die vermögenslose Klägerin nur knapp 3.000 S als Entgelt für die Mitarbeit im Betrieb ihres Gatten bezog. Die beklagte Partei bestand trotz des geringen Einkommens der Klägerin auf einer Bürgschaftserklärung, weil es bei einer günstigen Geschäftsentwicklung zu Vermögensverschiebungen zugunsten der Klägerin hätte kommen können.

Der Betrieb wurde 1992 geschlossen, ein Konkursantrag mangels Masse abgewiesen. Heute ist die Klägerin Hausfrau und ihr Ehegatte arbeitslos. Die beiden Kredite haften mit 496.292 S und 297.249 S aus.

Die Klägerin wurde von der beklagten Partei vorerst außergerichtlich als Bürgin in Anspruch genommen und begehrte nun, gestützt auf die Erwägungen in der Entscheidung des erkennenden Senats 1 Ob 544/95, die Feststellung, ihre Haftung als Bürgin und Zahlerin für die beiden näher genannten Kredite der beklagten Partei gegenüber sei rechtsunwirksam.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab; das Berufungsgericht erachtete dabei nach Beweisergänzung das Feststellungsinteresse der Klägerin nach § 228 ZPO als gegeben, weil sie als Bürgin und Zahlerin bereits von der beklagten Partei mit Widerklage auf Zahlung von 799.428 S sA gerichtlich in Anspruch genommen worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Die von der zweiten Instanz zugelassene Revision der Klägerin ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Gemäß § 508a Abs 1 ZPO ist der Oberste Gerichtshof bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an einen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden.

a) Die Bestimmungen der §§ 25b ff KSchG idF BGBl I 1997/6, womit der Gesetzgeber in der Frage der Haftung volljähriger Familienangehöriger ohne zulängliches Vermögen und Einkommen bei der Übernahme von Interzessionen eine von den Grundzügen der Leitentscheidung des erkennenden Senats 1 Ob 544/95 (= SZ 68/64 = JBl 1995, 651 [Mader] = ÖBA 1995, 804 [Graf, 776] = EvBl 1995/156 = ZIK 1995, 124 = ecolex 1995, 638 = ZVR 1996/31 = EFSlg 32/1) abweichende Regelung gefunden hat (vgl dazu auch Mader in Schwimann 2 , § 1346 ABGB Rz 12 und Marwan-Schlosser, Sittenwidrigkeit der Haftungsübernahme durch mittellose Angehörige, in RdW 1995, 373 ff), sind hier noch nicht maßgeblich, weil diese Regelung gemäß § 41a Abs 4 Z 2 KSchG nicht auf Verträge anzuwenden ist, die - wie der vorliegende - vor dem 1. Jänner 1997 geschlossen wurden.

b) Der Oberste Gerichtshof befaßte sich mit der Frage der Sittenwidrigkeit riskanter Bürgschaften erstmals in der obgenannten Entscheidung 1 Ob 544/95. Danach sind die Wertungen der deutschen Rechtsprechung bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit rechtsgeschäftlicher Haftungserklärungen volljähriger Familienangehöriger - wie hier der Klägerin - „ohne jedes oder jedenfalls ohne zulängliches Einkommen und Vermögen“ auch für den österreichischen Rechtsbereich von Bedeutung, weil das Prinzip der Privatautonomie, das jedermann auch risikoreiche, nur unter besonders günstigen Bedingungen erfüllbare Geschäfte erlaubt, durch die Bestimmung des § 879 ABGB begrenzt wird. Erst die Verbindung der strukturell ungleich größeren Verhandlungsstärke der Gläubigerbank gegenüber einem dem Hauptschuldner gutstehenden Angehörigen, dessen Verpflichtung seine gegenwärtigen und in absehbarer Zukunft zu erwartenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse bei weitem übersteigt, mit weiteren, in der Person des gutstehenden Angehörigen liegenden, seine Entscheidungsfreiheit weitgehend beeinträchtigenden und der Gläubigerbank zurechenbaren Umständen kann in sinngemäßer Anwendung der Grundsätze des Wucherverbots - in bloßen Ausnahmefällen - die Sittenwidrigkeit und damit die Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts wegen Vorliegens eines Ausbeutungstatbestands begründen. Dabei seien elf im einzelnen genannte, demonstrativ aufgezählte, für die Sittenwidrigkeitsfrage beachtliche Gesichtspunkte, deren Gesamtwürdigung auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen sei, maßgeblich. Der Rechtsprechung diente diese Leitentscheidung seither als Richtschnur zur Beurteilung der jeweiligen Einzelfälle (8 Ob 2315/96s = ÖBA 1997, 1027; 1 Ob 240/97v; 2 Ob 156/97y = JBl 1998, 36 = ÖBA 1998, 124 = RdW 1997, 659 = ZIK 1998, 35 = ecolex 1997, 921; 3 Ob 214/97k; 9 Ob 48/97t; 6 Ob 117/98v = ecolex 1998, 761 mwN; 6 Ob 43/98m = ecolex 1998, 471; 8 Ob 51/98b = ÖBA 1998, 723 = ecolex 1998, 687; RIS-Justiz RS0048300, RS0048309, RS0048312). Die Lehre stimmte dieser Leitentscheidung im wesentlichen zu (P.Bydlinski, Die Sittenwidrigkeit von Haftungsverpflichtungen in ZIK 1995, 135 ff, 136 ff; Graf, Verbesserter Schutz vor riskanten Bürgschaften in ÖBA 1995, 776; Mader in JBl 1995, 655 f [Glosse] und in Schwimann 2 § 1346 ABGB Rz 12; Rabl, Sittenwidrige Bürgschaften vermögensschwacher Angehöriger, in ecolex 1998, 8; Rehbein, Bürgschaften mittelloser Angehöriger, in ÖBA 1996, 25 ff, 33); zu einzelnen Kritikpunkten der Lehre hat der erkennende Senat jüngst in der Entscheidung 1 Ob 87/98w (= ecolex 1998, 762 = ÖBA 1998, 967 [Graf]) namentlich unter Hinweis auf die Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofs und Odersky, Ruinöse Bürgschaften - Rechtsethik und Zivilrecht in ZGR 1998, 169 ff, 176 f) im einzelnen eingehend Stellung genommen.

Jedenfalls setzt ein Sittenwidrigkeitsurteil a) die inhaltliche Mißbilligung des Interzessionsvertrags, b) die Mißbilligung der Umstände seines Zustandekommens infolge verdünnter Entscheidungsfreiheit des Interzedenten und c) die Kenntnis bzw fahrlässige Unkenntnis dieser Faktoren durch den Kreditgeber voraus, wobei die Erfüllung aller drei Voraussetzungen - im Zeitpunkt der Haftungsübernahme - erforderlich ist, um eine in manchen Grundsätzen dem Wucherverbot nachgebildete Sittenwidrigkeit bejahen zu können (1 Ob 87/98w mwN). Damit ist die von der zweiten Instanz als Begründung der Zulässigkeit des Rechtsmittels als erhebliche angesehene Frage, ob alle oder ob bloß einzelne und bejahendenfalls, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, bereits geklärt worden. Das eine weitere Inhaltskontrolle auslösende krasse Mißverhältnis des Haftungsumfangs und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der klagenden Interzedentin im Zeitpunkt der Haftungsübernahme war im vorliegenden Fall unzweifelhaft gegeben und der beklagten Partei auch bekannt. Steht ein solches krasses Mißverhältnis als objektives Element fest, so bilden dann die für die Inhaltskontrolle sonst rechtserheblichen, in der Leitentscheidung demonstrativ aufgezählten und von Graf (ÖBA 1995, 776) abstrahierend gruppierten Gesichtspunkte ein bewegliches Beurteilungssystem, dessen Anwendung ein Sittenwidrigkeitsurteil dann erlaubt, wenn entsprechende Indikatoren im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in allen drei Systemelementen verwirklicht waren und diesen in der Gesamtschau - je nach den Umständen des Einzelfalls - erhebliches Gewicht beizumessen ist (1 Ob 87/98w).

Zwar bedarf die Sittenwidrigkeit von Interzessionsgeschäften einer näheren und konkreten Abgrenzung durch das „Herausbilden von einschlägigen Fallgruppen“. Während es aber in der Vorentscheidung 1 Ob 87/98w um die bis dahin noch nicht entschiedene Frage der Anwendung der dargestellten allgemeinen Grundsätze auf Geschwister ging, werfen hier die maßgeblichen Tatumstände keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf und geben keinen Anlaß zur Weiterentwicklung der vom erkennenden Senat eingeleiteten Rechtsprechung.

Daß der beklagten Bank die schlechte wirtschaftliche Lage des Hauptschuldners und Ehegatten der Klägerin bekannt war, steht gerade nicht fest. Eine der Gläubigerbank zurechenbare Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit der Klägerin wurde von der zweiten Instanz in vertretbarer Weise verneint. Allein im Verlangen der Gläubigerbank, einen Kredit nur gegen Übernahme von Bürgschaften zu gewähren, liegt noch keine zu mißbilligende Einflußnahme (1 Ob 87/98w mwN). Von einer Verharmlosung des Risikos einer Mithaftung der Klägerin durch Bankmitarbeiter oder gar von einer Überrumpelung kann nach dem festgestellten Sachverhalt keine Rede sein. Die Klägerin war auch nicht geschäftsunerfahren, hatte sie doch schon für den vorherigen und nun von der beklagten Partei umzuschuldenden Kredit ihres Ehegatten gebürgt, was dem Einwand der Geschäftsunerfahrenheit den Boden entzieht (ÖBA 1997, 1027; 6 Ob 117/98v), und im gewissen Umfang im Betrieb mitgearbeitet. Auch das Eigeninteresse der Klägerin an der Kreditaufnahme kann nicht verneint werden, weil das für die Übernahme der Bürgschaften zweifellos vorhandene familiäre Motiv mit dem weiteren Interesse verknüpft war, mit der Kreditaufnahme zur Umschuldung den Weiterbestand des Tischlereibetriebs als beruflicher Existenz- und Lebensgrundlage beider Ehegatten zu sichern. Wenn das Berufungsgericht bei Abwägung aller subjektiven Umstände des hier vorliegenden Einzelfalls unter Bedachtnahme auf die nach der Rechtsprechung als relevant angesehenen Umstände die Haftung der Klägerin ungeachtet des krassen Mißverhältnisses des Haftungsumfangs und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der klagenden Interzedentin nicht als sittenwidrig iSd § 879 ABGB beurteilte, kann darin eine der Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürftige Fehlbeurteilung und eine darin liegende erhebliche Rechtsfrage nicht erblickt werden.

Die weiters von der zweiten Instanz als erheblich beurteilte Rechtsfrage, ob die Bejahung der Sittenwidrigkeit den gänzlichen Wegfall der Haftung des Interzedenten oder bloß eine Mäßigung des Umfangs bzw der Dauer der Haftung zur Folge habe (vgl dazu Rabl aaO), erweist sich hier als nicht präjudiziell (1 Ob 39/94 ua; Kodek in Rechberger, § 508a ZPO Rz 1) und schon deshalb als nicht erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO.

c) Die behauptete Irreführung der Klägerin durch Angestellte der beklagten Partei blieb unbewiesen, ist es doch nicht feststellbar, daß die Unterzeichnung der Bürgschaftserklärungen durch die Klägerin von den Angestellten der beklagten Partei als bloße Formsache abgetan worden wäre.

d) Auf den erstmals von der zweiten Instanz von Amts wegen erörterten (und verneinten) Verstoß gegen die §§ 3 f KautSchG, BGBl 1937/229 ist nicht weiter einzugehen, weil von keiner der Parteien entsprechende Behauptungen im Verfahren erster Instanz aufgestellt wurden, insbesondere; dahin, daß der Weiterbestand des Dienstverhältnisses der Klägerin bei ihrem Ehegatten von diesem von der Übernahme der hier zu beurteilenden Bürgschaften abhängig gemacht worden wäre. Eine Pflicht des Erstrichters, die Klägerin zu einem Vorbringen in dieser Richtung anzuleiten, bestand nicht. Der von der Klägerin gerügte Verfahrensmangel der zweiten Instanz, diese habe die Klägerin nicht mit Rechtsausführungen zum KautSchG überraschen dürfen, ist mangels entsprechenden Vorbringens unerheblich. Es kann sich daher bei dieser Sachlage mangels Präjudizialität auch nicht die von der zweiten Instanz als erheblich beurteilte Rechtsfrage stellen, ob ein bürgender Dienstnehmer dem Gläubiger Nichtigkeit nach § 4 KautSchG auch dann einwenden kann, wenn der Gläubiger von den für die Nichtigkeit maßgebenden Umständen keine Kenntnis hat (verneinend EvBl 1982/92 mwN).

Mangels erheblicher Rechtsfragen ist die Revision zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung fußt auf den §§ 40, 41 und 50 Abs 1 ZPO. Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen, weil sie auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels der klagenden Partei nicht hinwies und keinen Zurückweisungsantrag stellte. Dieser Kostenaufwand war daher für eine zweckentsprechende Rechtsverteidigung nicht erforderlich.

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