OGH 1Ob39/94

OGH1Ob39/9427.3.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Christa N*****, vertreten durch Dr.Hella Ranner und Dr.Franz Krainer, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen S 2,289.533 sA (Revisionsinteresse S 1,400.643,-) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 8.Juli 1994, GZ 4a R 4/94-76, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 17.März 1994, GZ 40 Cg 47/93-70, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision wegen einer - nach seiner Ansicht - im vorliegenden Fall zu lösenden Verjährungsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zu. Es schloß sich nämlich nicht der vom erkennenden Senat in der Entscheidung 1 Ob

601/93 (= JBl 1994,753 [Riedler] = EvBl 1994/109 = RdW 1994, 311 =

ecolex 1994, 616 [Wilhelm] = NRsp 1994/129) vertretenen Auffassung

an, daß jedenfalls die kurze Verjährung eines Schadenersatzanspruches nicht vor dem tatsächlichen Eintritt eines Schadens zu laufen beginnen könne, sondern es hält die bis zu diesem Erkenntnis ergangene ganz überwiegend gegenteilige Rechtsprechung "nach wie vor für vertretbar".

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 508a Abs 1 ZPO ist der Oberste Gerichtshof bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an einen Ausspruch des Berufungsgerichtes nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden. Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinnne des § 502 Abs 1 ZPO liegt dann vor, wenn die Entscheidung gerade von der Lösung dieser Rechtsfrage abhängt. Die angeschnittene Rechtsfrage muß also präjudiziell sein (Kodek in Rechberger, Kommentar zur ZPO Rz 1 zu § 508a). Zu klären ist demnach, ob diese Voraussetzung im vorliegenden Fall erfüllt ist. Als Beurteilungsgrundlage dient folgender, kurz zusammengefaßter Sachverhalt:

Die am 23.August 1988 verstorbene Großmutter der am 25.Februar 1961 geborenen Klägerin traf die Rechtspflicht, ihr gehörende Liegenschaften der Klägerin "entweder zu Lebzeiten zu übergeben oder von Todes wegen zu hinterlassen". Zur Sicherung dieses Anwartschaftsrechtes der Klägerin bestand für deren Großmutter auch die Verpflichtung, die bücherliche Einverleibung von Belastungs- und Veräußerungsverboten zugunsten der Klägerin zu erwirken. Eine solche Einverleibung unterblieb. Ohne Zustimmung der Klägerin veräußerte deren Großmutter im Zeitraum vom 16.Dezember 1969 bis 17.Juni 1980 alle an sich für die Klägerin gebundenen Liegenschaften. Das Pflegschaftsgericht hatte während der Minderjährigkeit der Klägerin nichts zur Sicherung ihres Anwartschaftsrechtes unternommen. Unter Anführung aller von ihrer Großmutter veräußerten Liegenschaften forderte die Klägerin die Finanzprokuratur mit Schreiben vom 10. Jänner 1985 zur Anerkennung eines Schadens von S 1,672.461 (Wert der veräußerten Liegenschaften) auf. Dieser Schaden sei durch "das Verschulden des Pflegschaftsgerichtes" infolge "Vereitelung, in den Besitz der bereits veräußerten Liegenschaften zu kommen," entstanden. Da die beklagte Partei die Schadenersatzansprüche der Klägerin nicht anerkannt hatte, brachte diese am 19.September 1986 die Klage auf Zahlung eines Betrages von S 888.890 sA ein. Diesem Klagebegehren legte die Klägerin nur den Wert eines Teiles der von ihrer Großmutter veräußerten Liegenschaften zugrunde und behielt sich im übrigen die Geltendmachung weiterer Ersatzansprüche vor. Mit den Schriftsätzen vom 2.Juli 1991 - bei Gericht eingelangt am 5.Juli 1991 - und vom 7. April 1992 - bei Gericht eingelangt am 9.April 1992 - dehnte die Klägerin ihr Begehren um die Ersatzbeträge für jene Liegenschaften aus, die nicht bereits Gegenstand ihrer Klage waren. Sie trug diese Schriftsätze in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 20. Dezember 1993 vor. Die Klägerin hatte am 2.März 1982 vollständige Kenntnis vom Abverkauf der durch ihr Anwartschaftsrecht gebundenen Liegenschaften und von den dafür ursächlichen und schuldhaften Unterlassungen von Organen der beklagten Partei erlangt.

Der Schadensbegriff des § 1293 ABGB ist sehr weit gefaßt. Er umfaßt jeden rechtlich als Nachteil zu beurteilenden Zustand, an dem ein geringeres rechtliches Interesse besteht als am bisherigen Zustand. Nachteil am Vermögen ist somit jede Minderung im Vermögen, der kein volles Äquivalent gegenübersteht (JBl 1992, 720; JBl 1994, 753).

Ausgehend davon vertrat die Klägerin in ihrem Aufforderungsschreiben vom 10.Jänner 1985 und in der am 19.September 1986 eingebrachten Klage die richtige Ansicht, sie habe einen Vermögensschaden bereits durch den Verkauf jener Liegenschaften erlitten, die an sich infolge ihres Anwartschaftsrechtes auf Eigentumserwerb zu ihren Gunsten gebunden gewesen wären.

Gemäß § 6 Abs 1 AHG verjähren Ersatzansprüche nach § 1 Abs 1 AHG - abgesehen von einer im vorliegenden Fall nicht relevanten Ablaufhemmung - in drei Jahren nach Ablauf des Tages, an dem der Schaden dem Geschädigten bekannt geworden ist. Diese Frist beginnt allerdings erst in jenem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Geschädigte aufgrund der ihm bekannten Umstände zumutbarerweise ohne nennenswerte Mühe auf das Verschulden eines Organes des später beklagten Rechtsträgers schließen konnte (JBl 1991, 647; SZ 52/186). Mit der positiven Kenntnis des Schadenseintrittes infolge eines dem Rechtsträger zurechenbaren Organverschuldens beginnt sie aber auch schon dann zu laufen, wenn nur die Schadenshöhe noch nicht bezifferbar ist, weil in einem solchen Fall der Eintritt der Verjährung durch Feststellungsklage verhindert werden kann. Diesen Grundsatz hielt der erkennende Senat auch in der Entscheidung 1 Ob 601/93 aufrecht.

Selbst wenn also die Ansicht - anders als nach dem im Aufforderungsschreiben und in der Klage vertretenen Standpunkt - richtig wäre, der im Vermögen der Klägerin eingetretene Schaden sei erst mit dem Tod ihrer Großmutter bezifferbar geworden, wäre zur Vermeidung des Eintrittes der Anspruchsverjährung wegen des bereits durch den Verkauf der Liegenschaften eingetretenen Schadens die Einbringung einer Feststellungsklage erforderlich gewesen.

Das Berufungsgericht und - jetzt auch - die Klägerin meinen dagegen, vor dem Ableben der Großmutter habe nicht mit endgültiger Gewißheit von einer Vereitelung des Anwartschaftsrechtes der Klägerin ausgegangen werden können, weil es denkbar gewesen sei, daß ein von der Großmutter bereits ohne Zustimmung der Klägerin - auf welche Weise auch immer - getätigter Verkauf wieder rückgängig gemacht werden hätte können. Die Großmutter wäre also - rein theoretisch - in der Lage gewesen, sich das Eigentum an den strittigen Liegenschaften noch zu ihren Lebzeiten wieder zu verschaffen und diese bei ihrem Tode der Klägerin zu hinterlassen. Mit dieser Argumentation wird aber in Wahrheit nicht ein Schadenseintritt erst im Zeitpunkt des Todes der Großmutter der Klägerin dargetan, sondern lediglich eine theoretisch denkbar gewesene Möglichkeit zur Wiedergutmachung des bereits durch den Verkauf der Liegenschaften eingetretenen Schadens aufgezeigt. Das erkennt die Klägerin auch in ihrer Revision, spricht sie doch davon, es habe vor dem Tod ihrer Großmutter "keinesfalls in letztgültiger Weise davon ausgegangen werden" können, "daß nicht von dieser eine Schadenswiedergutmachung" erfolgen werde. Außerdem hebt die Revision auch als einen vom Berufungsgericht nicht erwähnten Gesichtspunkt hervor, es habe "naturgemäß auch die Möglichkeit bestanden, daß die Klägerin vor dem Tod der Großmutter von dieser für den eingetretenen Schaden bzw den ungerechtfertigten Verkauf der Liegenschaft in finanzieller Art und Weise schad- und klaglos gehalten worden wäre".

Da die Klägerin jedoch einen Vermögensschaden - wie schon ausgeführt - bereits mit dem Verkauf der ihrem Begehren zugrundeliegenden Liegenschaften erlitt, waren die aus den Klageerweiterungen vom 5. Juli 1991 und vom 9.April 1992 resultierenden Amtshaftungsansprüche im jeweiligen Ausdehnungszeitpunkt längst verjährt, hatte jene doch seit 2.März 1982 vollständige Kenntnis vom eingetretenen Schaden und dem dafür ursächlichen rechtswidrigen und schuldhaften Verhalten von Organen der beklagten Partei. Die Sachentscheidung hängt somit nicht von der Lösung jener Rechtsfrage ab, die dem Berufungsgericht Anlaß gab, die ordentliche Revision gegen seine Entscheidung zuzulassen.

Der beklagten Partei waren keine Kosten für die Revisionsbeantwortung zuzuerkennen, weil sie keinen Antrag auf Zurückweisung der Revision, sondern nur einen solchen, "die Berufungsentscheidung zu bestätigen", stellte. Ihre Revisionsbeantwortung diente somit nicht einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

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