VwGH Ra 2019/09/0154

VwGHRa 2019/09/015426.2.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Doblinger, Dr. Hofbauer und Mag. Feiel und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Hotz, über die außerordentliche Revision des A B in C, vertreten durch Mag. Christoph Ulrich Kuhn, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19/1/1/30a, gegen das am 23. November 2016 mündlich verkündete und am 22. August 2019 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien, VGW- 171/090/4375/2015-73, betreffend Disziplinarstrafe der Geldstrafe nach der Wiener Dienstordnung 1994 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Disziplinarkommission der Stadt Wien), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56
AVG §58 Abs2
AVG §60
AVG §62 Abs2
AVG §67g Abs1
AVG §68 Abs1
B-VG Art133 Abs6 Z1
B-VG Art135 Abs2
B-VG Art135 Abs3
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art87 Abs3
VwGG §26 Abs1 Z1
VwGG §42 Abs2 Z3
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §29
VwGVG 2014 §29 Abs4
VwGVG 2014 §32 Abs1 Z4
VwGVG 2014 §48 Abs1
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019090154.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Stadt Wien hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von  1.346,40 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der 1961 geborene Revisionswerber steht in einem öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis zur Stadt Wien.

2 Mit Disziplinarerkenntnis der Disziplinarkommission der Stadt Wien vom 3. März 2015 wurde der Revisionswerber des Disziplinarvergehens gemäß § 18 Abs. 2 Wiener Dienstordnung 1994 (DO 1994) iVm §§ 7 und 8 Wiener Gleichbehandlungsgesetz (W-GBG) für schuldig erkannt, weil er eine Kollegin durch näher bezeichnete Äußerungen sexuell belästigt und sie damit aufgrund ihres Geschlechtes diskriminiert habe. Über den Revisionswerber wurde hierfür gemäß § 76 Abs. 1 Z 2 DO 1994 die Disziplinarstrafe der Geldstrafe in der Höhe des 1,5 fachen des Monatsbezuges unter Ausschluss der Kinderzulage verhängt.

3 In dem auf Grund der gegen diese Entscheidung vom Revisionswerber erhobenen Beschwerde beim Verwaltungsgericht Wien geführten Verfahren wurde in der Verhandlung am 23. November 2016 mit dem vom Vorsitzenden (des aus drei Berufs- und zwei Laienrichtern bestehenden Senates) verkündeten Erkenntnis die Beschwerde abgewiesen und das angefochtene Disziplinarerkenntnis bestätigt sowie die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig erklärt. Nach dem Verhandlungsprotokoll beinhaltete die Verkündung den Spruch des Erkenntnisses "samt den wesentlichen Entscheidungsgründen sowie der Rechtsmittelbelehrung". Weiters wurde im Protokoll festgehalten, dass die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses mit ausführlicher Begründung den Parteien zugestellt werde. 4 Mit Beschluss des Geschäftsverteilungsausschusses des Verwaltungsgerichtes Wien vom 16. Mai 2019 wurde dem als Berichter zuständigen Mitglied des Senates die vorliegende Rechtssache gemäß Punkt 2.1.7. der Geschäftsverteilung (Anmerkung: wegen mehrmonatiger Abwesenheit des Richters) mit 20. Mai 2019 abgenommen.

5 Die in der Folge ergangene, mit 22. August 2019 datierte schriftliche, vom Vorsitzenden unterfertigte Ausfertigung des Erkenntnisses umfasst neben dem wortgleichen Spruch zur verkündeten Fassung eine umfangreiche Darlegung der Entscheidungsgründe. Die Besetzung des im Kopf der Entscheidung ausgewiesenen Senates unterscheidet sich von jenem zum Zeitpunkt der Verkündung dadurch, dass darin drei andere Berufsrichter angeführt sind.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die Disziplinarkommission der Stadt Wien teilt mit, von einer Revisionsbeantwortung Abstand zu nehmen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Die Revision ist zulässig und es kommt ihr auch im Ergebnis Berechtigung zu, wenn im Zusammenhang mit der gerügten Änderung der Senatsbesetzung zwischen mündlicher Verkündung und Ausfertigung des angefochtenen Erkenntnisses auch Begründungsmängel aufgezeigt werden:

8 § 29 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG), in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 33/2013, lautet:

"Verkündung und Ausfertigung der Erkenntnisse

§ 29. (1) Die Erkenntnisse sind im Namen der Republik zu verkünden und auszufertigen. Sie sind zu begründen.

(2) Hat eine Verhandlung in Anwesenheit von Parteien stattgefunden, so hat in der Regel das Verwaltungsgericht das Erkenntnis mit den wesentlichen Entscheidungsgründen sogleich zu verkünden.

(3) Die Verkündung des Erkenntnisses entfällt, wenn

1. eine Verhandlung nicht durchgeführt (fortgesetzt) worden ist oder

2. das Erkenntnis nicht sogleich nach Schluss der mündlichen Verhandlung gefasst werden kann

und jedermann die Einsichtnahme in das Erkenntnis gewährleistet ist.

(4) Den Parteien ist eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses zuzustellen. Eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses ist in den in Art. 132 Abs. 1 Z 2 B-VG genannten Rechtssachen auch dem zuständigen Bundesminister zuzustellen."

9 Gemäß Art. 135 Abs. 2 B-VG sind die vom Verwaltungsgericht zu besorgenden Geschäfte durch die Vollversammlung oder einen aus ihrer Mitte zu wählenden Ausschuss, der aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten und einer gesetzlich zu bestimmenden Zahl von sonstigen Mitgliedern des Verwaltungsgerichtes zu bestehen hat, auf die Einzelrichter und die Senate für die gesetzlich bestimmte Zeit im Voraus zu verteilen. Eine nach der Geschäftsverteilung einem Mitglied zufallende Sache darf ihm nur durch das gemäß Abs. 2 zuständige Organ und nur im Fall seiner Verhinderung oder dann abgenommen werden, wenn es wegen des Umfangs seiner Aufgaben an deren Erledigung innerhalb einer angemessenen Frist gehindert ist (Art. 135 Abs. 3 B-VG).

10 Der dem (für die "ordentliche" Gerichtsbarkeit geltenden) Art. 87 Abs. 3 B-VG nachgebildete Art. 135 Abs. 3 B-VG statuiert auch für die Verwaltungsgerichte den "Grundsatz der festen Geschäftsverteilung". Diese Einrichtung steht (u.a.) auch im engen Zusammenhang mit dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter iSd Art. 83 Abs. 2 B-VG. Im Geltungsbereich des verfassungsgesetzlich geregelten Prinzips der festen Geschäftsverteilung bedeutet diese Garantie auch das Recht auf eine Entscheidung durch den gemäß der Geschäftsverteilung zuständigen Organwalter; in diesem Sinne handelt es sich bei der Geschäftsverteilung um eine zuständigkeitsbegründende Rechtsvorschrift (vgl. VfGH 29.11.2011, U 1913/10 u.a., VfSlg. 19556; VfGH 28.9.2011, B 1209/10, VfSlg. 19514; VfGH 27.6.2013, B 823/2012, VfSlg. 19764; VwGH 30.10.2019, Ra 2019/14/0494).

11 So hat auch der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass ein Gerichtshof nur dann nicht gehörig besetzt ist, wenn seinen Mitgliedern die für das Richteramt vorgeschriebene Befähigung (Qualifikation) abgeht, wenn sie nicht in der gesetzlich bestimmten Zahl an der Hauptverhandlung teilnehmen oder wenn die Beiziehung eines Protokollführers unterblieben ist. Der Verfassungsgrundsatz, dass niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf, besagt nur, dass die gesetzlich festgelegte Zuständigkeit der Gerichte nicht im einzelnen Fall durch eine Verfügung der Organe der Regierung willkürlich abgeändert werden darf (vgl. u.a. OGH 9.11.1959, 8 Os 137/59, RS0053622).

12 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird eine Entscheidung mit der mündlichen Verkündung unabhängig von der in § 29 Abs. 4 VwGVG geforderten Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung rechtlich existent. Für die Frage, ob und mit welchem Inhalt eine mündliche Entscheidung erlassen wurde, ist nicht die Ausfertigung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, sondern jene Urkunde entscheidend, die über den Entscheidungsinhalt und die Tatsache der Verkündung nach dem auch betreffend § 29 VwGVG einschlägigen § 62 Abs. 2 AVG angefertigt wurde. Das Fehlen der Wiedergabe der Begründung der Entscheidung im Protokoll hat auf die Rechtsgültigkeit ihrer (wenn auch inhaltlich fehlerhaften) Erlassung durch mündliche Verkündung keinen Einfluss (vgl. VwGH 15.12.2014, Ro 2014/04/0068, mwH; vgl. idS etwa auch VwGH 19.9.2006, 2005/05/0258; 11.11.2010, 2008/20/0448). Enthält das verkündete Erkenntnis entgegen dem § 29 VwGVG keine Begründung (zur Begründungspflicht des Verwaltungsgerichtes vgl. etwa VwGH 15.12.2014, Ro 2014/04/0068, mwN), ist die davon betroffene Partei allerdings an der entsprechenden Geltendmachung ihrer Rechte vor dem Verwaltungsgerichtshof behindert, worin ein wesentlicher Mangel des vom Verwaltungsgericht geführten Verfahrens erblickt werden kann (vgl. idS etwa VwGH 19.9.2006, 2005/05/0258). Gleiches gilt, wenn die Entscheidungsgründe im Verkündungsprotokoll bloß unter Verweis auf die schriftliche Ausfertigung bzw. grob lückenhaft - d.h. insbesondere unter völliger Auslassung eines wesentlichen Begründungselementes (Feststellung des maßgebenden Sachverhalts, Beweiswürdigung, rechtliche Beurteilung, vgl. etwa VwGH 18.2.2015, Ra 2014/03/0045, mwH) - dargestellt werden (vgl. dazu VwGH 15.12.2014, Ro 2014/04/0068). Mit der Verkündung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung steht einer neuerlichen im Wesentlichen gleichen Entscheidung der Einwand der entschiedenen Sache entgegen (vgl. § 32 Abs. 1 Z 4 VwGVG; vgl. dazu auch VwGH 21.1.1994, 93/09/0048). An die Verkündung dieser Entscheidung knüpft daher auch ihre Unwiderrufbarkeit an, weshalb die schriftliche Entscheidungsausfertigung nicht in einem wesentlichen Spruchelement von der verkündeten Entscheidung abweichen darf (vgl. idS VwGH 18.11.1998, 98/03/0207, VwSlg. 15.026 A/1998; 16.9.2009, 2008/09/0218; 13.10.2015, Fr 2015/03/0007). 13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 67g Abs. 1 AVG kann ein Begründungsmangel, der geeignet ist, die Überprüfung des mündlich verkündeten Bescheides auf seine Rechtmäßigkeit zu hindern, auch dann vorliegen, wenn die schriftliche Begründung von der verkündeten wesentlichen Begründung abweicht (vgl. VwGH 28.2.2002, 2002/02/0222). Diese Rechtsprechung ist auf die Verkündung und Ausfertigung der Erkenntnisse durch das Verwaltungsgericht (§ 29 VwGVG) zu übertragen: weicht die Begründung der schriftlichen Ausfertigung in einem wesentlichen Punkt von jener ab, die in der Niederschrift zur mündlichen Verkündung dokumentiert ist (vgl. VwGH 13.10.2015, Fr 2015/03/0007), sodass nicht nachvollzogen werden kann, welche tragenden Überlegungen tatsächlich für die getroffene Entscheidung ausschlaggebend waren, so liegt ein Begründungsmangel der angefochtenen Entscheidung vor (VwGH 3.10.2016, Ra 2016/02/0160). 14 Solange in der Ausfertigung einer mündlich verkündeten Entscheidung somit neben dem Spruch auch die wesentlichen Begründungelemente deckungsgleich sind, sind durch einen nach der Geschäftsverteilung vorgesehenen (Ausnahme)Fall eines Richterwechsels nach der Verkündung einer Entscheidung nicht Verfahrensmängel indiziert; anders ist der Fall gelagert, wenn der die schriftliche Ausfertigung unterfertigende ("neue") Richter zusätzliche Begründungselemente anführt, die ohne seine Teilnahme an der Verhandlung auch einen Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz gemäß § 48 Abs. 1 VwGVG bedeuten würden (vgl. dazu auch VwGH 24.4.2003, 2000/09/0167).

15 Nach der ebenso ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bildet die mündliche Verkündigung eines Bescheides mit seiner schriftlichen Ausfertigung eine Einheit (vgl. VwGH 29.5.1996, 93/13/0255; 22.3.2012, 2009/09/0257). Es spricht kein Grund dagegen, diese Rechtsprechung auch auf verkündete Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte zu übertragen. 16 Im vorliegenden Fall wurde mit Beschluss des Geschäftsverteilungsausschusses des Verwaltungsgerichtes Wien dem als Berichter zuständigen Mitglied des Senates die gegenständliche Beschwerdesache, welche im Verfahren vor einem Senat durch mündliche Verkündung am 23. November 2016 bereits entschieden, jedoch zur Erstellung der schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung noch offen war, abgenommen und in der Folge einem anderen Richter zugewiesen. Dass diese (etwa drei Jahre nach der mündlichen Verkündung der Entscheidung) erfolgte Abnahme bzw. (Neu‑) Zuteilung der Rechtssache und die daraus resultierende Senatsbesetzung in der schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung am 22. August 2019 nicht der Geschäftsverteilung entsprochen hätte, wurde vom Revisionswerber nicht behauptet.

17 Nach der zuvor dargelegten Judikatur ist für den Inhalt der mündlich verkündeten Entscheidung nicht die Ausfertigung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung sondern jene Urkunde entscheidend, die über den Entscheidungsinhalt und die Tatsache der Verkündung angefertigt wurde, also hier das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 23. November 2016. Dieses Protokoll beinhaltet zwar den Spruch der Entscheidung und die Verneinung der Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Revision beim Verwaltungsgerichtshof, es fehlt aber darin jegliche Darstellung der Entscheidungsgründe.

18 Wenn das Abweichen der Begründung der schriftlichen Ausfertigung in einem wesentlichen Punkt von jener, die in der Niederschrift zur mündlichen Verkündung dokumentiert ist, einen Begründungsmangel darstellt (vgl. nochmals VwGH 3.10.2016, Ra 2016/02/0160), so muss dies umso mehr für den Fall gelten, dass - wie hier - die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung keinerlei Begründung enthält und damit nicht einmal ansatzweise nachvollzogen werden kann, welche tragenden Überlegungen für die getroffene Entscheidung ausschlaggebend waren.

19 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.

20 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. 21 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte schon gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 5 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 26. Februar 2020

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte