VfGH B1209/10

VfGHB1209/1028.9.2011

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch eine Entscheidung eines Unabhängigen Verwaltungssenates über eine Maßnahmenbeschwerde wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der festen Geschäftsverteilung; Maßgeblichkeit der Geschäftsverteilung in der zum Zeitpunkt des Einlangens des Rechtsmittels geltenden Fassung

Normen

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art129a Abs1 Z2
B-VG Art129b Abs2
Geschäftsverteilung 2009 UVS Kärnten
Geschäftsverteilung 2010 UVS Kärnten
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art129a Abs1 Z2
B-VG Art129b Abs2
Geschäftsverteilung 2009 UVS Kärnten
Geschäftsverteilung 2010 UVS Kärnten

 

Spruch:

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Das Land Kärnten ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.

1. Mit erstinstanzlichem Bescheid vom 20. August 2009 forderte der Bürgermeister von Klagenfurt den nunmehrigen Beschwerdeführer gemäß §57 Abs3 und 4 iVm §58 Kärntner Naturschutzgesetz auf, die von näher bezeichneten Grundstücken entfernten vierzehn Stahlträger (Spruchpunkt I), Metallteile undefinierbarer Herkunft (Spruchpunkt II) und sechs Stahlträger (Spruchpunkt III) binnen eines Monats bei einer näher bezeichneten Mülldeponie zu übernehmen, widrigenfalls der Verfall zu Gunsten der Gemeinde eintrete. Das vom Beschwerdeführer (damals ohne Vertretung) eingebrachte und als "Berufung" bezeichnete Rechtsmittel langte am 11. September 2009 beim Unabhängigen Verwaltungssenat für Kärnten (kurz: UVS Kärnten) ein, wurde zunächst von der belangten Behörde nur als Berufung gegen den oa. Bescheid gewertet und dem nach der Geschäftsverteilung des UVS Kärnten für das Jahr 2009 zuständigen Mitglied Dr. B. R.-K. zugewiesen.

2. In den in diesem Verfahren durchgeführten Berufungsverhandlungen vor dem UVS Kärnten am 30. Oktober 2009 bzw. 16. April 2010 brachte der Rechtsvertreter des nunmehrigen Beschwerdeführers vor, dass es sich bei dem von seinem Mandanten eingebrachten Rechtsmittel nicht nur um eine Berufung, sondern auch um eine Maßnahmenbeschwerde gemäß Art129a Abs1 Z2 B-VG gegen den Abtransport der Gegenstände von seinen Grundstücken handelt.

3. Aus dem Verwaltungsakt ergibt sich, dass das Mitglied des UVS Kärnten Dr. B. R.-K. im Anschluss an die zweite Berufungsverhandlung mit Schreiben an das Präsidium des UVS Kärnten vom 20. April 2010 ersucht, "entsprechend der Geschäftsverteilung den Akt dem zuständigen Senatsmitglied zu übermitteln", da "der Berufungsschriftsatz auch als Maßnahmenbeschwerde verstanden werden sollte." Weiter heißt es: "In der Berufungsverhandlung vom 16.04.2010 hielt der Rechtsvertreter des Berufungswerbers dieses rechtliche Vorbringen aufrecht, weshalb die Berufung als Maßnahmenbeschwerde eingebracht anzusehen ist."

Mit Schreiben des Präsidiums des UVS Kärnten vom 28. April 2010 wurde die Maßnahmenbeschwerde dem nach der Geschäftsverteilung für das Jahr 2010 zuständigen Senatsmitglied Dr. W. L. zugewiesen. Diese Beschwerde wurde mit Bescheid des UVS Kärnten (Senatsmitglied Dr. W. L.) vom 30. Juli 2010 als verspätet zurückgewiesen.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der u.a. die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird. Dazu führt der Beschwerdeführer Folgendes aus:

"Am 11.09.2009 langte der als 'Berufung' bezeichnete Schriftsatz aktenkundig bei der belangten Behörde ein und wurde [...] dem für Angelegenheiten des Naturschutzes, Buchstabe A-Z, nach der Geschäftsverteilung der belangten Behörde für das Jahr 2009 iVm §5 der Geschäftsordnung der belangten Behörde (GeO K-UVS vom 9. Juli 2007) zuständigen Senatsmitglied Dr. B. R.-K. zugewiesen.

Der Beschwerdeführer durfte daher auf der Grundlage der im Jahr 2009 in Geltung stehenden Geschäftsverteilung davon ausgehen, dass sein Rechtsschutzbegehren von dem laut Geschäftsverteilung zuständigen Mitglied, dem der Geschäftsfall zur Entscheidung zugewiesen worden war, zur Gänze in Behandlung genommen und ihm nur im Falle seiner Behinderung abgenommen wird.

Für das Schreiben von Senatsmitglied Dr. R.-K. vom 20.04.2010 [...] findet sich keine Rechtsgrundlage. Das in einem 'zufällig' gewählten Zeitpunkt verfasste Schreiben kann keine im Jahr 2010 neu anfallende Rechtssache 'erschaffen', die einem Senatsmitglied auf der Grundlage der Geschäftsverteilung für das Jahr 2010 zur Entscheidung zuzuweisen wäre.

Die Zuweisung des Präsidenten der belangten Behörde mit Schreiben vom 28.04.2010, [...], an das Senatsmitglied Dr. W.L. unter Bezugnahme auf das Schreiben von Frau Dr. R.-K. führt das Recht des Beschwerdeführers auf eine Entscheidung durch den im Zeitpunkt des Anfalls seiner Rechtssache gemäß der Geschäftsverteilung zuständigen Organwalter ad absurdum. Es lag auch kein Fall der Behinderung von Frau Dr. R.-K. vor. Dieses Verwaltungshandeln hat keine gesetzliche Grundlage.

Hätte Frau Dr. R.-K. ihr Schreiben an das Präsidium nicht am 20.04.2010 sondern z.B. am 02.11.2009 - also dem der mündlichen Verhandlung über den ihr zugeteilten Geschäftsfall folgenden Werktag - verfasst, wäre nach der Geschäftsverteilung 2009 - bei gleicher Handhabung des Präsidenten - jedenfalls nicht Senatsmitglied Dr. W. L. sondern allenfalls das Senatsmitglied Dr. C. H. mit der Entscheidung der 'neuen' Rechtssache betraut worden.

Der Beschwerdeführer wird durch den hier bekämpften Bescheid, d. h. durch die Entscheidung von Senatsmitglied Dr. W. L. in seiner im Jahr 2009 angefallenen Rechtssache, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf eine Entscheidung durch den im Zeitpunkt seines Anbringens bei der belangten Behörde nach der Geschäftsverteilung zuständigen Organwalter verletzt."

5. Die belangte Behörde nahm von der Erstattung einer "Äußerung" Abstand und verweist auf ihre im hg. zu B654/10 protokollierten Verfahren erstattete Gegenschrift.

II.

1. Die "Verordnung der Vollversammlung des Unabhängigen Verwaltungssenates für Kärnten (KUVS), mit der die Geschäftsverteilung für das Jahr 2009 erlassen wird", lautet auszugsweise wie folgt:

"[...]

§1

[...]

1) bis 5) [...]

6) Dr. W. L.

Allgemeine Zuständigkeit:

'J' und 'U'

Materienzuständigkeit:

Angelegenheiten der Auftragsvergabe iSd §1 Abs2

Angelegenheiten des Arbeitnehmerschutzes:

'A' bis 'Z'

Angelegenheiten des Kraftfahrgesetzes (KFG) und des Führerscheingesetzes (FSG) in Verwaltungsstrafsachen:

'B' und 'M' bis 'R'

7) Dr. C. H.

Allgemeine Zuständigkeit:

'L', 'R' und 'W'

[...]

8) Dr. B. R.-K.

Allgemeine Zuständigkeit:

'D', 'K', 'X' und 'Y'

Materienzuständigkeit:

[...]

Angelegenheiten des Kärntner Naturschutzgesetzes:

'A' bis 'Z'

[...]"

2. Die "Verordnung der Vollversammlung des Unabhängigen Verwaltungssenates für Kärnten (KUVS), mit der die Geschäftsverteilung für das Jahr 2010 erlassen wird", lautet auszugsweise wie folgt:

"[...]

§1

[...]

1) bis 7) [...]

8) Dr. W. L.

Allgemeine Zuständigkeit:

'C', 'J', 'R' und 'U'

[...]

§3

Vertretungsregelung:

Im Rahmen der Einzelzuständigkeit/Berichterstatterzuständigkeit werden (ausgenommen besondere Regelung in Auftragsvergabesachen, Administrativverfahren nach dem FSG und KFG sowie Administrativverfahren betreffend Betriebsanlagen nach der GewO) vertreten:

[...]Dr. C. H.vonMag. C. P.

Dr. W. L.

[...]

[...]"

III.

1. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Der Beschwerdeführer ist mit seinem Vorwurf, durch den angefochtenen Bescheid des UVS Kärnten in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein, im Recht:

1.2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

1.3. Der dem Art87 Abs3 B-VG, der für die (ordentliche) Gerichtsbarkeit gilt, nachgebildete Art129b Abs2 zweiter Satz B-VG statuiert auch für die Unabhängigen Verwaltungssenate den "Grundsatz der festen Geschäftsverteilung". Hier wie dort dient dieses Rechtsinstitut in erster Linie der Stärkung der Unabhängigkeit der davon betroffenen staatlichen Organe. Darüber hinaus steht diese Einrichtung aber auch in engem Zusammenhang mit dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter im Sinne des Art83 Abs2 B-VG, worunter nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes - über die Gerichtsbarkeit hinaus - ganz allgemein ein "auf den Schutz und die Wahrung der gesetzlich begründeten Behördenzuständigkeit" gerichtetes Recht (VfSlg. 2536/1953) zu verstehen ist. Im Geltungsbereich des verfassungsgesetzlich geregelten Prinzips der festen Geschäftsverteilung bedeutet diese Garantie darüber hinaus auch das Recht auf eine Entscheidung durch den gemäß der Geschäftsverteilung zuständigen Organwalter; in diesem Sinne handelt es sich bei der Geschäftsverteilung um eine - zuständigkeitsbegründende - Rechtsvorschrift (vgl. VfSlg. 14.985/1997).

1.4. Gemäß Art129b Abs2 B-VG sind die den Unabhängigen Verwaltungssenaten gemäß Art129a B-VG zukommenden Geschäfte auf deren Mitglieder für die landesgesetzlich bestimmte Zeit im Voraus zu verteilen; eine nach dieser Einteilung einem Mitglied eines Unabhängigen Verwaltungssenates zufallende Sache darf ihm nur im Falle der Behinderung durch Verfügung des Vorsitzenden abgenommen werden.

2. Die Zuweisung einer am 11. September 2009 beim UVS Kärnten eingelangten und - wie sich aus der Verhandlungsschrift vom 30. Oktober 2009 ergibt - spätestens zu diesem letztgenannten Zeitpunkt als "Beschwerde im Sinne des Art129 B-VG" bezeichneten Rechtssache an das Mitglied des UVS Kärnten Dr. W. L. nach der Geschäftsverteilung für das Jahr 2010 widerspricht dem Grundsatz der festen Geschäftsverteilung, dies selbst dann, wenn diese Zuweisung erst nach Ablauf des Jahres 2009, nämlich am 28. April 2010 erfolgte. Das Mitglied des UVS Kärnten war zwar nach der Geschäftsverteilung des UVS Kärnten für das Jahr 2010, nicht aber nach jener für das Jahr 2009 für Beschwerden nach Art129a Abs1 Z2 B-VG ("Allgemeine Zuständigkeit") eines Beschwerdeführers mit dem Anfangsbuchstaben des Familiennamens "R" zuständig. Für die Zuweisung einer Rechtssache an ein Mitglied des Unabhängigen Verwaltungssenates durch den gemäß der Geschäftsverteilung zuständigen Organwalter ist die Geschäftsverteilung in jener Fassung maßgeblich, die zum Zeitpunkt des Einlangens des Rechtsmittels bei der belangten Behörde gegolten hat. Jede andere Sichtweise würde dem Zweck des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der festen Geschäftsverteilung (Art129b Abs2 B-VG) zuwiderlaufen, nämlich verpönte Einflussnahmen auf die Zuteilung von Rechtssachen auszuschließen (vgl. VfSlg. 18.594/2008).

3. Der Beschwerdeführer ist somit durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

IV.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,-- enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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