VwGH Fr2015/03/0007

VwGHFr2015/03/000713.10.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Handstanger und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über den Fristsetzungsantrag des Dr. M G in W, vertreten durch Prof. Dipl. Ing. Mag. Andreas O. Rippel, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Maxingstraße 34, gegen das Verwaltungsgericht Wien wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Angelegenheit nach dem Waffengesetz (Ausstellung eines Waffenpasses), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §14 Abs5;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §62 Abs2;
B-VG Art133 Abs6 Z1;
VwGG §26 Abs1 Z1;
VwGG §26 Abs2;
VwGG §33 Abs1;
VwGG §38 Abs1;
VwGG §38 Abs4;
VwGG §38;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §29 Abs4;
VwGVG 2014 §29;
VwGVG 2014 §32 Abs1 Z4;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2015:FR2015030007.F00

 

Spruch:

 

Der Fristsetzungsantrag wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

Der Bund hat der antragstellenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 793,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Auf Grund des vom Verwaltungsgericht Wien vorgelegten Fristsetzungsantrags der antragstellenden Partei vom 12. Mai 2015 (beim Verwaltungsgerichtshof eingelangt am 27. Mai 2015) wurde das Verwaltungsgericht Wien im Wege einer verfahrensleitenden Anordnung des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Mai 2015 gemäß § 38 Abs 4 VwGG aufgefordert, binnen drei Monaten die Entscheidung (Erkenntnis/Beschluss) zu erlassen und dem Verwaltungsgerichtshof eine Ausfertigung, Abschrift oder Kopie desselben sowie eine Kopie des Nachweises über die Zustellung der Entscheidung (Erkenntnis/Beschluss) an die antragstellende Partei vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliege. Diese dreimonatige Frist endete mit 8. September 2015 (das war ein Dienstag).

2. Mit Schreiben vom 18. Juni 2015 übermittelte das Verwaltungsgericht Wien eine Kopie des Protokolls der in der Sache geführten mündlichen Verhandlung am 18. Juni 2015 und stellte eine schriftliche Ausfertigung seines bei der Verhandlung verkündeten Erkenntnisses längstens bis Ende Juli 2015 in Aussicht.

Bei der Verhandlung wurde die Beschwerde der antragstellenden Partei betreffend die Versagung der Ausstellung eines Waffenpasses abgewiesen (Spruchpunkt I.) und ferner ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision in dieser Rechtssache nicht zulässig ist (Spruchpunkt II.). Ferner wurde in Aussicht gestellt, dass die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses mit ausführlicher Begründung den Parteien zugestellt werden würde. Sowohl der Text des Spruches als auch der Ausfertigungshinweis ergeben sich aus dem Verhandlungsprotokoll. Bei dieser mündlichen Verhandlung war auch die antragstellende, revisionswerbende Partei samt ihrem Rechtsvertreter anwesend, das Protokoll wurde vom Verhandlungsleiter, von der revisionswerbenden Partei sowie von ihrem Rechtsvertreter unterschrieben.

3. Nach § 29 Abs 1 VwGVG sind vom Verwaltungsgericht die Erkenntnisse im Namen der Republik zu verkünden und auszufertigen. Sie sind zu begründen. Hat eine Verhandlung in Anwesenheit von Parteien stattgefunden, so hat in der Regel das Verwaltungsgericht gemäß § 29 Abs 2 leg cit das Erkenntnis mit den wesentlichen Entscheidungsgründen zu verkünden. Gemäß § 29 Abs 4 VwGVG ist den Parteien eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses zuzustellen.

4. Gemäß § 38 Abs 1 VwGG kann ein Fristsetzungsantrag erst gestellt werden, wenn das Verwaltungsgericht die Rechtssache nicht binnen sechs Monaten, wenn aber durch Bundes- oder Landesgesetz eine kürzere oder längere Frist bestimmt ist, nicht binnen dieser entschieden hat (VwGH vom 17. März 2015, Fr 2015/01/0005).

Das Ziel eines Fristsetzungsantrages ist es, ein Verwaltungsgericht, das seine Entscheidung nicht innerhalb der für die Entscheidung vorgesehenen Frist getroffen hat, zur Entscheidungsfällung zu veranlassen (VwGH vom 10. September 2014, Fr 2014/20/0022). Dieser Zweck ist schon dann erreicht, wenn das Verwaltungsgericht noch vor Einlangen des Fristsetzungsantrages entschieden hat, die Durchführung eines weiteren Verfahrens betreffend den Fristsetzungantrag, um den derart schon erreichten Zweck weiterhin zu verfolgen, geht dann ins Leere. Dafür reicht es aus, wenn (zumindest) einer Partei des Verfahrens eine schriftliche Ausfertigung der Entscheidung zugestellt wurde (VwGH vom 10. September 2014, Fr 2014/20/0022; VwGH vom 26. Jänner 2015, Fr 2014/19/0032; VwGH vom 12. November 2014, Fr 2014/20/0028). In diesem Sinn ist ein Fristsetzungsantrag gemäß § 38 VwGG bereits dann unzulässig, wenn das Verwaltungsgericht seine Entscheidung am letzten Tag des Einlangens des Fristsetzungsantrages bei ihm erlassen hat, wobei es dafür jedenfalls ausreicht, wenn die Entscheidung (zumindest) einer Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens an diesem Tag rechtswirksam zugestellt worden ist (VwGH vom 17. Dezember 2014, Fr 2014/18/0033).

5. Bezüglich der Erlassung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ist der Zustellung einer Entscheidung ihre mündliche Verkündung gleichzuhalten. Mit der mündlichen Verkündung wird die Entscheidung unabhängig von der in § 29 Abs 4 VwGVG geforderten Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung rechtlich existent (insofern einschlägig etwa VwGH vom 23. November 2009, 2009/05/0139).

Dies korrespondiert der Regelung des § 26 Abs 1 Z 1 VwGG, wonach die sechswöchige Revisionsfrist in den Fällen des Art 133 Abs 6 Z 1 B-VG dann, wenn das Erkenntnis dem Revisionswerber zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung beginnt, wenn das Erkenntnis dem Revisionswerber nur mündlich verkündet wurde, jedoch mit dem Tag der Verkündung.

In diesem Sinn hatder Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass vor dem Hintergrund des § 29 VwGVG keine Bedenken gegen die Möglichkeit der Anfechtung bereits des nur mündlich verkündeten Erkenntnisses bestehen (vgl VwGH 15. Dezember 2014, Ro 2014/04/0068, samt den dort verwiesenen Erkenntnissen vom 21. Jänner 2009, 2007/21/0404, und vom 11. November 2010, 2008/20/0448, mwH; vgl VfGH vom 20. Juni 2015, E 163/2014, unter Hinweis auf VwGH 15. Dezember 2014, Ro 2014/04/0068). Wird eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung nach der Verkündung schon vor Zustellung der Entscheidungsausfertigung beim Verwaltungsgerichtshof angefochten, ist das Revisionsrecht der revisionswerbenden Partei konsumiert und kann nach erfolgter Zustellung der Ausfertigung nicht nochmals ausgeübt werden (vgl idS VwGH 23. Februar 2000, 99/09/0240).

Für die Frage, ob und mit welchem Inhalt ein mündlicher Bescheid erlassen wurde, ist nicht die Ausfertigung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, sondern jene Urkunde entscheidend, die über den Entscheidungsinhalt und die Tatsache der Verkündung nach dem auch betreffend § 29 VwGVG einschlägigen § 62 Abs 2 AVG angefertigt wurde (vgl § 17 VwGVG; siehe dazu VwGH 26. Februar 2003, 2002/03/0158; VwGH 16. September 2009, 2008/09/0218, mwH). Dazu ist es insbesondere erforderlich, dass die gemäß § 62 Abs 2 AVG zu erstellende Niederschrift nach den Regelungen des § 14 Abs 5 AVG unterschrieben wird (vgl idS VwGH vom 30. September 2010, 2007/09/0315 (VwSlg 17.968A/2010)).

Das Fehlen der Wiedergabe der Begründung der Entscheidung im Protokoll hat auf die Rechtsgültigkeit ihrer (wenn auch inhaltlich fehlerhaften) Erlassung durch mündliche Verkündung keinen Einfluss (vgl VwGH 15. Dezember 2014, Ro 2014/04/0068, mwH; vgl idS etwa auch VwGH vom 19. September 2006, 2005/05/0258; VwGH vom 11. November 2010, 2008/20/0448). Enthält das verkündete Erkenntnis entgegen dem § 29 VwGVG keine Begründung (zur Begründungspflicht des Verwaltungsgerichtes vgl etwa VwGH vom 15. Dezember 2014, Ro 2014/04/0068, mwH), ist die davon betroffene Partei allerdings an der entsprechenden Geltendmachung ihrer Rechte vor dem Verwaltungsgerichtshof behindert, worin ein wesentlicher Mangel des vom Verwaltungsgericht geführten Verfahrens erblickt werden kann (vgl idS etwa VwGH vom 19. September 2006, 2005/05/0258); Gleiches gilt, wenn die Entscheidungsgründe im Verkündungsprotokoll bloß unter Verweis auf die schriftliche Ausfertigung bzw grob lückenhaft - dh insbesondere unter völliger Auslassung eines wesentlichen Begründungselementes (Feststellung des maßgebenden Sachverhalts, Beweiswürdigung, rechtliche Beurteilung, vgl etwa VwGH vom 18. Februar 2015, Ra 2014/03/0045, mwH) - dargestellt werden (vgl dazu VwGH vom 15. Dezember 2014, Ro 2014/04/0068). Mit der Verkündung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung steht einer neuerlichen im Wesentlichen gleichen Entscheidung der Einwand der entschiedenen Sache entgegen (vgl § 32 Abs 1 Z 4 VwGVG; vgl dazu auch VwGH 21. Jänner 1994, 93/09/0048). An die Verkündung dieser Entscheidung knüpft daher auch ihre Unwiderrufbarkeit an, weshalb die schriftliche Entscheidungsausfertigung nicht in einem wesentlichen Spruchelement von der verkündeten Entscheidung abweichen darf (vgl idS VwGH vom 18. November 1998, 98/03/0207 (VwSlg 15.026 A/1998), VwGH vom 16. September 2009, 2008/09/0218).

6. Da vor diesem Hintergrund eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung bereits im Wege ihrer Verkündung erlassen wird, wird mit dieser Form der Erlassung der Entscheidung auch die behördliche Entscheidungsfrist gewahrt (VwGH vom 23. Juni 2015, Ro 2015/05/0011, mwH; vgl VfGH vom 30. Juni 2015, E 1629/2014).

7. Nach § 29 Abs 4 VwGVG ist jedenfalls eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtes zuzustellen. Damit besteht ein Anspruch der Partei auf Zustellung einer solchen Ausfertigung. Wird eine mündlich verkündete Entscheidung nicht innerhalb der Revisionsfrist beim Verwaltungsgerichtshof bekämpft, steht dies der Erhebung einer Revision gegen die später zugestellte Ausfertigung nicht entgegen, zumal (wie erwähnt) die sechswöchige Revisionsfrist in den Fällen des Art 133 Abs 6 Z 1 B-VG dann, wenn das Erkenntnis dem Revisionswerber zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung beginnt (vgl etwa VwGH vom 8. Mai 2008, 2006/06/0266, mwH).

8. Gemäß § 38 Abs 4 VwGG ist auf Fristsetzungsanträge der § 33 Abs 1 VwGG sinngemäß anzuwenden.

Nach § 33 Abs 1 leg cit ist somit auch ein Fristsetzungsantrag in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen, wenn der Fristsetzungsantrag in irgendeiner Lage des Verfahrens zurückgezogen wurde (vgl VwGH vom 20. Mai 2015, Fr 2015/10/0004).

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof schon ausgesprochen, dass dann, wenn das versäumte Erkenntnis nach Einbringung des Fristsetzungsantrages beim Verwaltungsgericht, aber nach dessen Vorlage an den Verwaltungsgerichtshof nachgeholt wurde, gemäß § 33 Abs 1 erster Satz VwGG in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen (VwGH vom 24. März 2015, Fr 2015/21/0001).

Die "sinngemäß" verwiesene Bestimmung des § 33 Abs 1 VwGG darf im Übrigen nicht wörtlich, sondern nur in der Form der bei der Anwendung vorzunehmenden Anpassung dieser Bestimmungen an den vorliegenden Kontext des VwGG zum Tragen gebracht werden (vgl idS etwa VwGH vom 19. Mai 2015, Ko 2014/03/0001, mwH). Wurde eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung nach der dargestellten Rechtslage erlassen und derart der Erfüllung der Entscheidungspflicht klar Genüge getan, ist eine diesbezügliche Anhörung der fristsetzungsantragstellenden Partei, wie sie § 33 Abs 1 VwGG für den Fall der Klaglosstellung normiert, von der sinngemäßen Anwendung dieser Bestimmung im Rahmen des Fristsetzungsregelung des § 38 Abs 4 VwGG nicht erfasst und somit entbehrlich.

9. Da - wie dargestellt - das Verwaltungsgericht die Entscheidung, auf deren Erlassung der vorliegende Fristsetzungsantrag gerichtet ist, im Wege der mündlichen Verkündung (wenn auch in der diesbezüglichen Niederschrift die Begründung iSd § 29 VwGVG fehlt) rechtswirksam erlassen hat, wurde die antragstellende Partei dadurch iSd § 33 Abs 1 VwGG klaglos gestellt, weshalb der vorliegende Fristsetzungsantrag schon deshalb in nichtöffentlicher Sitzung als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen war.

10. Mit Schreiben vom 10. September 2015 (eingelangt am 15. September dJ) legte das Verwaltungsgericht dem Verwaltungsgerichtshof die schriftliche Ausfertigung seines Erkenntnisses vom 29. Juni 2015 in der vorliegenden Angelegenheit vor; nach den übermittelten Rückscheinen wurde diese der revisionswerbenden Partei am 1. Juli 2015 zugestellt. Diese Entscheidungsausfertigung vermag nach dem Gesagten nichts daran zu ändern, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes schon mit ihrer Verkündung rechtswirksam erlassen worden war.

11. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 56 zweiter Satz leg cit, iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 13. Oktober 2015

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