VwGH 2007/09/0315

VwGH2007/09/031530.9.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des GZ in L, vertreten durch Dr. Elmar Kresbach, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottengasse 4/4/29, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 18. Oktober 2006, Zl. UVS- 07/A/29/77/2004/39, betreffend Bestrafung wegen Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (weitere Parteien: Bundesminister für Finanzen, Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §14 Abs5;
AVG §14;
AVG §56;
AVG §62 Abs2;
AVG §67g Abs1;
VStG §24;
VStG §51h Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §14 Abs5;
AVG §14;
AVG §56;
AVG §62 Abs2;
AVG §67g Abs1;
VStG §24;
VStG §51h Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem in Erledigung der am 24. Dezember 2003 bei der Behörde erster Instanz eingelangten Berufung des Beschwerdeführers im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 18. Oktober 2006 wurde der Beschwerdeführer mehrerer Übertretungen nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) für schuldig erkannt und über ihn mehrere Geldstrafen verhängt. Dieser Bescheid langte am 23. Oktober 2006 bei der Behörde erster Instanz ein.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, welche am 7. Dezember 2006 beim Verwaltungsgerichtshof einlangte.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte unter Absehen von der Erstattung einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verwaltungsstrafverfahren nach dem AuslBG steht nicht nur dem Beschuldigten das Recht der Berufung zu (§ 28a Abs. 1 AuslBG). Der Verfassungsgerichtshof hat mit dem Erkenntnis vom 6. November 2008, G 86, 87/08-15, die Wortfolge ", in dem nur dem Beschuldigten das Recht der Berufung zusteht," in § 51 Abs. 7 VStG, BGBl. Nr. 52/1991 idF BGBl. I Nr. 158/1998, als verfassungswidrig aufgehoben. Die Aufhebung trat mit Ablauf des 31. Oktober 2009 in Kraft.

Der Verfassungsgerichtshof hat des Weiteren ausgesprochen, dass die genannte Wortfolge auf die am 9. Oktober 2008 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Verfahren, denen ein Bescheid zu Grunde liegt, der nach Ablauf der fünfzehnmonatigen Frist des § 51 Abs. 7 VStG erlassen wurde (mit Ausnahme von Privatanklagesachen), nicht mehr anzuwenden ist.

Die nach dem zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes hier anzuwendende bereinigte Fassung des § 51 Abs. 7 erster Satz VStG lautet demnach:

"Sind in einem Verfahren seit dem Einlangen der Berufung gegen ein Straferkenntnis 15 Monate vergangen, so tritt das Straferkenntnis von Gesetzes wegen außer Kraft; das Verfahren ist einzustellen."

Nach der durch die Aufhebung der oben genannten Wortfolge durch den Verfassungsgerichtshof geschaffenen Fassung des § 51 Abs. 7 VStG ist eine Berufung gegen ein Straferkenntnis somit auch in jenen Fällen binnen 15 Monaten zu erledigen, in denen - wie im gegenständlichen Verfahren nach dem AuslBG - nicht nur der Beschuldigte ein Berufungsrecht hat.

Im gegenständlichen Fall langte die Berufung am 24. Dezember 2003 bei der Behörde erster Instanz ein. Die fünfzehnmonatige Frist des § 51 Abs. 7 VStG endete demnach mit Ablauf des 24. März 2005. Der angefochtene Bescheid wurde aber erst danach durch seine Zustellung an die Behörde erster Instanz am 23. Oktober 2006 erlassen.

§ 14 AVG in der im gegenständlichen Fall maßgeblichen Fassung

BGBl. I Nr. 10/2004 lautet:

"Niederschriften

§ 14. (1) Mündliche Anbringen von Beteiligten sind erforderlichenfalls ihrem wesentlichen Inhalt nach in einer Niederschrift festzuhalten. Niederschriften über Verhandlungen (Verhandlungsschriften) sind derart abzufassen, dass bei Weglassung alles nicht zur Sache Gehörigen der Verlauf und Inhalt der Verhandlung richtig und verständlich wiedergegeben wird.

(2) Jede Niederschrift hat außerdem zu enthalten:

1. Ort, Zeit und Gegenstand der Amtshandlung und, wenn

schon frühere darauf bezügliche Amtshandlungen vorliegen,

erforderlichenfalls eine kurze Darstellung des Standes der Sache;

2. Die Bezeichnung der Behörde und die Namen des

Leiters der Amtshandlung und der sonst mitwirkenden amtlichen Organe, der anwesenden Beteiligten und ihrer Vertreter sowie der etwa vernommenen Zeugen und Sachverständigen;

3. die Beurkundung (§ 18 Abs. 2) durch den Leiter der Amtshandlung.

(3) Die Niederschrift ist den vernommenen oder sonst beigezogenen Personen, wenn sie nicht darauf verzichten, zur Durchsicht vorzulegen oder vorzulesen; wenn ein technisches Hilfsmittel verwendet wurde (Abs. 7), kann ihr Inhalt auch auf andere Weise wiedergegeben werden. Der Leiter der Amtshandlung kann auch ohne Verzicht von einer Wiedergabe absehen; die beigezogenen Personen können diesfalls bis zum Schluss der Amtshandlung die Zustellung einer Ausfertigung verlangen und binnen zwei Wochen ab Zustellung Einwendungen wegen behaupteter Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit der Niederschrift erheben.

(4) In dem einmal Niedergeschriebenen darf nichts Erhebliches ausgelöscht, zugesetzt oder verändert werden. Durchgestrichene Stellen sollen noch lesbar bleiben. Erhebliche Zusätze oder Einwendungen der beigezogenen Personen wegen behaupteter Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit der Niederschrift sind in einen Nachtrag aufzunehmen und gesondert zu unterfertigen.

(5) Die Niederschrift ist von den beigezogenen Personen durch Beisetzung ihrer eigenhändigen Unterschrift zu bestätigen; dies ist nicht erforderlich, wenn der Amtshandlung mehr als 20 Personen beigezogen wurden oder wenn die Niederschrift elektronisch erstellt wurde und an Ort und Stelle nicht ausgedruckt werden kann. Unterbleibt die Unterfertigung der Niederschrift durch eine beigezogene Person, so ist dies unter Angabe des dafür maßgebenden Grundes in der Niederschrift festzuhalten.

(6) Den beigezogenen Personen ist auf Verlangen eine Ausfertigung der Niederschrift auszufolgen oder zuzustellen.

(7) Die Niederschrift oder Teile davon können unter Verwendung eines technischen Hilfsmittels oder in Kurzschrift aufgenommen werden. Die Angaben gemäß Abs. 2, die Feststellung, dass für die übrigen Teile der Niederschrift ein technisches Hilfsmittel verwendet wird, und die Tatsache der Verkündung eines mündlichen Bescheides sind in Vollschrift festzuhalten. Die Aufzeichnung und die in Kurzschrift aufgenommenen Teile der Niederschrift sind unverzüglich in Vollschrift zu übertragen. Die beigezogenen Personen können bis zum Schluss der Amtshandlung die Zustellung einer Ausfertigung der Übertragung verlangen und binnen zwei Wochen ab Zustellung Einwendungen wegen behaupteter Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit der Übertragung erheben. Wird eine solche Zustellung beantragt, so darf die Aufzeichnung frühestens einen Monat nach Ablauf der Einwendungsfrist, ansonsten frühestens einen Monat nach erfolgter Übertragung gelöscht werden."

Eine gültige Erlassung des angefochtenen Bescheides durch seine Verkündung in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom 26. Mai 2004 kann im Hinblick darauf nicht angenommen werden, dass das Protokoll der mündlichen Verhandlung der belangten Behörde zwar vom Vorsitzenden und den beiden weiteren Mitgliedern der belangten Behörde, aber von keiner Partei des Verfahrens unterfertigt ist und entgegen § 14 Abs. 5 AVG auch keinen Hinweis betreffend deren Unterbleiben enthält. Dem - von den Parteien nicht unterfertigten - Protokoll ist insoferne bloß die Ankündigung zu entnehmen, dass die schriftliche Ausfertigung des Berufungsbescheides mit ausführlicher Begründung den Parteien zugestellt werde.

Diesem Text fehlt somit - ungeachtet einer tatsächlich vorgenommenen Verkündung eines Straferkenntnisses - das von § 14 AVG geforderte notwendige Merkmal einer Niederschrift, weshalb in diesem Fall auch nicht vom Vorliegen einer Niederschrift im Sinne des § 62 Abs. 2 AVG gesprochen werden kann. Aus diesem Grunde kann - wegen der Wesentlichkeit einer gültigen Beurkundung der Verkündung - im Beschwerdefall auch nicht von der wirksamen Verkündung eines Straferkenntnisses gegen den Beschwerdeführer am 26. Mai 2004 und damit nicht von der Erlassung eines Straferkenntnisses gesprochen werden (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 20. März 1997, Zl. 95/20/0606, vom 20. März 2001, Zl. 2000/11/0285, vom 5. September 2002, Zl. 99/21/0247, und vom 29. Jänner 2009, Zl. 2006/09/0202, und Hengstschläger/Leeb, Kommentar zum Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz,

1. Teilband 2004, Rz 3 zu § 14 AVG).

Hinzuweisen ist auch darauf, dass für die mündliche Verkündung von Bescheiden eines unabhängigen Verwaltungssenates

§ 24 VStG zufolge auch im Verwaltungsstrafverfahren § 67g AVG anzuwenden ist.

§ 67g AVG idF BGBl. I Nr. 158/1998, lautet:

"Erlassung des Bescheides

§ 67g. (1) Der Bescheid und seine wesentliche Begründung sind auf Grund der Verhandlung, und zwar wenn möglich, sogleich nach deren Schluss zu beschließen und öffentlich zu verkünden. Die Verkündung des Bescheides ist von der Anwesenheit der Parteien unabhängig.

(2) Die Verkündung entfällt, wenn

1. eine Verhandlung nicht durchgeführt (fortgesetzt)

worden ist oder

2. der Bescheid nicht sogleich nach Schluss der

mündlichen Verhandlung beschlossen werden kann und jedermann die Einsichtnahme in den Bescheid gewährleistet ist.

(3) Den Parteien ist eine schriftliche Ausfertigung des Bescheides zuzustellen. (Bereinigung der Rechtschreibung durch den Verwaltungsgerichtshof)"

Die darin vorgesehene Möglichkeit der Verkündung des Bescheides lässt das Erfordernis einer ordnungsgemäßen Beurkundung als Voraussetzung der gültigen Erlassung unberührt. § 67g Abs. 1 AVG erlaubt nun zwar die rechtmäßige Verkündung eines Bescheides auch dann, wenn die - ordnungsgemäß geladenen - Parteien oder ihre Vertreter nicht anwesend sind, etwa weil sie sich während einer Verhandlung oder an deren Schluss entfernt haben. § 67g Abs. 1 AVG sieht die mündliche Verkündung des Berufungsbescheides nach dem Schluss der Verhandlung nämlich als Regelfall vor (vgl. Hengstschläger/Leeb, a.a.O., Rzlen 8 und 20 zu § 67g).

In der Niederschrift findet sich im vorliegenden Fall allerdings kein Hinweis darauf, dass die ausdrücklich als anwesend verzeichneten weiteren Personen, wie insbesondere der Beschwerdeführer sowie sein Vertreter, die in der Verhandlung auch Äußerungen abgegeben haben, sich vor Verkündung des Bescheides entfernt hätten.

Entscheidet die Berufungsbehörde über ein nach Ablauf der fünfzehnmonatigen Frist des § 51 Abs. 7 VStG als aufgehoben geltendes erstinstanzliches Straferkenntnis, so belastet sie dadurch ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes (vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze II, 2. Auflage 2000, Seite 1008, E 270 ff wiedergegebene ständige hg.

Rechtsprechung).

Der angefochtene Bescheid war deshalb wegen Rechtswidrigkeit

seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die

§§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 30. September 2010

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