AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2023:W280.2267673.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Wolfgang Bont über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX .1974, Staatsangehörigkeit Russische Föderation, vertreten durch RA Dr. Gregor KLAMMER, Goldschmiedgasse 6/6, 1010 Wien, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl betreffend den am XXXX 02.2022 gestellten Antrag auf internationalen Schutz nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.05.2023 zu Recht:
A)
I. Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom XXXX 02.2022 wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziffer 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) abgewiesen.
II. Der Antrag auf internationalen Schutz wird bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG 2005 abgewiesen.
III. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt.
IV. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wird gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist.
V. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. 1. Die Beschwerdeführer (in weiterer Folge als BF bezeichnet), ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und der Volksgruppe der Russen zugehörig, stellte am XXXX .02.2022 bei der Einreisekontrolle durch die Grenzpolizei am Flughafen XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz. Ein Visum für die Einreise in das Bundesgebiet konnte der BF nicht vorweisen. 1.2. Am darauffolgenden Tag wurde der BF im Rahmen des Flughafenverfahrens hierzu erstbefragt. Hinsichtlich seines Fluchtgrundes gab der BF an, dass er seit seinem 12. Lebensjahr eine bisexuelle Orientierung habe. Diesbezüglich habe er seit dem Jahr 2000 ernsthafte Probleme mit kriminellen Personen. Er sei mehrmals vergewaltigt worden. Seine sexuelle Verfolgung sei immer schlimmer geworden. Er habe sich einige Male an die Polizei gewandt, doch habe diese nichts zu seinem Schutz unternommen. Deshalb habe er entschieden sein Land zu verlassen. Bei einer Rückkehr habe er die Befürchtung, dass es sein könne, dass er umgebracht werde.
1.3. Im Zuge der am XXXX .02.2022 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (nachfolgend abgekürzt als BFA bezeichnet) durchgeführten niederschriftlichen Einvernahme im Zulassungsverfahren gab der BF zu seinen Fluchtgründen befragt zusammengefasst an, dass er Russland wegen seiner bisexuellen Orientierung verlassen habe, da er angegriffen worden sei.
199 XXXX sei er erstmals Schikanen ausgesetzt gewesen, doch habe er dies erst am XXXX .202 XXXX ernstgenommen, als Privatpersonen versucht hätten ihn zu überfahren. Davor sei er mit einem Metallrohr zusammengeschlagen worden, 10 Minuten später, als er versucht habe nach Hause zu komme, habe man versucht ihn mit einem Auto zu überfahren. Er sei in die Höhe gesprungen, über das Auto gerollt und sodann hinter dem Auto liegen geblieben. Zwei Personen seien sodann aus dem Auto ausgestiegen, hätten ihm Fußtritte verpasst und auch versucht ihn in das Auto zu zerren. Er habe sich gewehrt, sei auf dem Boden gelegen und mit Fäusten geschlagen worden. Hinter diesem Angriff stehe eine kriminelle Organisation, die ihn schon länger kenne. Bereits im Jahr 200 XXXX sei er von anderen Personen dieser Organisation mit dem Messer am After verletzt worden und hätten diese Leute nunmehr versucht ihm die Kleider vom Leib zu ziehen um zu schauen ob dies stimme. Ein Nachbar habe dies geschehen, habe geschrien und sei ihm zu Hilfe geeilt. Er könne stundenlang erzählen, welchen Schikanen und Misshandlungen er ausgesetzt gewesen sei.
Über Nachfrage, ob dies alle Fluchtgründe für seinen Antrag auf internationalen Schutz seien, verwies der BF darauf, dass es sich um eine kriminelle Organisation handle, die von den russischen Behörden geduldet werde. Darum habe er seine Heimat aus Sicherheitsgründen verlassen.
Des Weiteren gab der BF nachgefragt an, dass diese kriminelle Organisation deshalb von seiner Bisexualität wisse, weil er im Jahr 200 XXXX , als er mit seinem Mann zusammengelebt habe, von einem Mitglied dieser Organisation beim Sex beobachtet worden sei.
Ende Juli 200 XXXX sei er von mehreren Männern vergewaltigt worden. Auch sei er am 26 XXXX .200 XXXX unter Drogen gesetzt und verschleppt worden. Dann sei er mit einer Rasierklinge geschnitten worden.
In weiterer Folge habe es mehrere kleine, unwesentliche Zwischenfälle gegeben, weil er sich in Russland herumgetrieben habe. Der nächste größere Zwischenfall sei sodann der zuvor geschilderte gewesen, der sich am XXXX .05.202 XXXX zugetragen habe.
Er habe sich in beiden Fällen an die Polizei gewandt, die ihm geraten habe die Stadt zu verlassen. Weder habe er Unterlagen über die Anzeigen noch sei ihm im Krankenhaus ein Befund ausgestellt worden. Auch nach dem Vorfall am XXXX .05.202 XXXX habe er bei der Polizei in seiner Heimatstadt Anzeige erstattet. Er sei drei Mal einvernommen worden, habe jedoch keine Bestätigung der Anzeige erhalten. Auch die Beratung durch einen Rechtsanwalt habe nichts gebracht, da dieser ihm gesagt habe, dass es zu gefährlich sei. Den langen Zeitraum von 21 Jahren zwischen den Ereignissen im Jahr 200 XXXX und jenem von 202 XXXX erklärte der BF damit, dass er sich in XXXX und in XXXX aufgehalten habe. Über Nachfrage schränkte der BF sodann ein, dass er in Russland nirgendwo sicher sei, da diese Organisation ihn irgendwann finden werde.
1.4. Als Ergebnis der niederschriftlichen Befragung wurde dem BF im Rahmen derselben vom BFA mitgeteilt, dass ihm die Einreise in das Bundesgebiet gestattet und sein Asylverfahren im Inland weitergeführt werde.
1.5. Am XXXX .02.2023 erhob der BF durch seinen gewillkürten Vertreter Säumnisbeschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG mit der Begründung, dass der BF am XXXX .02.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Trotz Ablauf der sechsmonatigen Entscheidungspflicht sei über diesen Antrag nach wie vor nicht entschieden worden, weshalb er den Antrag stelle, dass das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung in Stattgebung der Säumnisbeschwerde in der Sache selbst erkenne und dem von ihm gestellten Antrag stattgebe.
1.6. Die gegenständliche Säumnisbeschwerde wurde dem BVwG seitens des BFA am XXXX .02.2023 einlangend mit dem dazugehörenden Verwaltungsakt vorgelegt.
1.7. Am 24.05.2023 wurde vor dem BVwG mit dem BF und seinem gewillkürten Vertreter eine mündliche Verhandlung durchgeführt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu den persönlichen Verhältnissen:
1.1.1. Der BF, dessen Identität feststeht, wurde am XXXX .1974 in XXXX in der westsibirischen Oblast XXXX geboren und ist Russischer Staatsbürger. Er ist Angehöriger der Volksgruppe der Russen und bekennt sich zum christlich-orthodoxen Glauben. Der BF weist neben seiner russischen Muttersprache äußerst einfache Kenntnisse der deutschen Sprache auf. Der BF ist bisexuell.
1.1.2. Der BF besuchte in seinem Herkunftsstaat 11 Jahre die Grund- und Mittelschule und anschließend vier Jahre lang ein College zur Ausbildung als XXXX Seinen Lebensunterhalt erwirtschaftete er sich in weiterer Folge durch Arbeit im Bauwesen sowie als Inhaber eines eigenen Unternehmens in der Bau- und Sanierungsbranche. Mit diesen Tätigkeiten waren auch umfangreiche berufliche Reisen in andere Landesteile der Russischen Föderation verbunden. Von 202 XXXX , als er seine berufliche Tätigkeit beendete, bis zu seiner Ausreise aus der Russischen Föderation am XXXX .02.2022 lebte der BF von Ersparnissen.
1.1.3. Die Eltern des BF sowie sein Bruder sind bereits verstorben. Der zweifach geschiedene BF war im Zeitraum von 199 XXXX bis 199 XXXX erstmals für 2 Jahre verheiratet. Der aus dieser Beziehung stammende und 199 XXXX geborene Sohn lebt in Moskau. Der BF steht nach wie vor in Kontakt zu seinem Sohn und der Mutter desselben und beabsichtigt der BF das Haus seiner, vor einem halben Jahr verstorbenen, Mutter in XXXX diesen zu vererben.
Seine zweite Ehe dauerte sodann von 200 XXXX bis 200 XXXX , wobei er mit dieser zweiten Frau zuvor schon 2 ½ bis 3 Jahre zusammenlebte. Die Scheidung dieser Ehe erfolgte auf Betreiben seiner, nunmehr in XXXX lebenden, Frau.
In seinem Herkunftsort verfügt der BF über eine Tante und Neffen mütterlicherseits. Weitere, entferntere Verwandte, zu denen seit längerem kein Kontakt besteht, leben in anderen Teilen der Region XXXX .
1.1.4. Der BF pflegte in seiner Heimat soziale Kontakte und hatte in XXXX einen Freundeskreis sowie die letzten acht Jahre bis zu seiner Ausreise aus der Russischen Föderation eine Lebensgefährtin.
1.1.5. Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen:
1.2.1. Festgestellt wird, dass der BF im Jahr 200 XXXX bei zwei unterschiedlichen Ereignissen unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln mehrfach vergewaltigt und am Körper verletzt worden ist.
1.2.2. Festgestellt wird, dass es am XXXX 05.202 XXXX zu einem tätlichen Angriff auf den BF gekommen ist, bei dem der BF mit einer Eisenstange attackiert, von einem Fahrzeug angefahren und in weiterer Folge durch Faustschläge und Fußtritte am Körper verletzt wurde.
1.2.3. Der BF hat bei den drei festgestellten Vorfällen gegen seine körperliche Integrität erfolglos versucht Anzeige bei den jeweiligen Polizeidienststellen zu erstatten. Er hat sich weder bei den vorgesetzten Polizeidienststellen, noch bei der zuständigen Staatsanwaltschaft oder bei Gericht hierüber beschwert.
1.2.4. Festgestellt wird, dass es sich bei dem vom BF vor Gericht geschilderten, zeitlich zwischen den Jahren 200 XXXX und 202 XXXX angesiedelten Vorfällen in XXXX , bei welchem dem BF von XXXX eine Droge verabreicht wurde und diesem sodann ein Brett in den Rücken gestoßen wurde, als auch bei der Schlägerei in XXXX , in deren Nachhang es zu einer Gegenüberstellung bei der Polizei gekommen ist, die Anzeige jedoch eingestellt wurde, um Ereignisse handelt, die in keinem Zusammenhang mit dessen sexueller Orientierung stehen.
Ebenfalls festgestellt wird, dass der BF zwischen den von ihm geschilderten Ereignissen im Jahr 200 XXXX und dem tätlichen Angriff im Mai 202 XXXX sich wegen seiner sexuellen Orientierung unbehelligt in der Russischen Föderation aufhalten konnte.
1.2.5. Er hatte in seinem Herkunftsstaat bislang nie anderweitige Probleme mit staatlichen Behörden aufgrund seiner sexuellen Orientierung und wurde dieser deswegen nie angehalten oder festgenommen.
Der BF hat sich in der Russischen Föderation niemals öffentlich zu seiner Bisexualität geäußert oder Werbung für Beziehungen zu Menschen betrieben, die nicht den traditionellen sexuellen Beziehungen zuzurechnen sind oder Videos, Zeitschriften oder anderweitige Materialien, aus denen seine sexuelle Orientierung ersichtlich ist, öffentlich verbreitet.
Es wird weiters festgestellt, dass im Herkunftsstaat des BF (außerhalb des Nordkaukasus) keine individuelle und konkrete Gefahr für den BF besteht, Opfer von Verfolgungshandlungen im Zusammenhang mit seiner sexuellen Orientierung zu werden oder sonst aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden.
1.2.6. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre. Der BF liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
1.3. Zu einer möglichen Rückkehr in den Herkunftsstaat:
1.3.1. Im Falle einer Rückkehr in das Herkunftsland besteht für den BF keine reale Bedrohung für sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit. Er liefe ferner nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Es wäre dem BF jedenfalls möglich und zumutbar, sich im Falle seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat in , oder einem andere urbanen Gebiet der Russischen Föderation niederzulassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen.
1.4. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Russischen Föderation vom 03.02.2023, Version 11:
COVID-19-Situation
Letzte Änderung: 01.09.2022
In Teilen der Russischen Föderation bestehen aufgrund der Regionalisierung von COVID-19-Schutzmaßnahmen noch Einschränkungen (AA 5.8.2022; vgl. RAD 15.2.2021). Die Hygienemaßnahmen wurden großteils zurückgenommen (WKO 25.7.2022). Für öffentlich zugängliche Räume ist das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes empfohlen (AA 5.8.2022; vgl. RFE/RL 1.7.2022). In Einzelfällen bestehen noch Zugangsvoraussetzungen (mit QR-Code) für Restaurants oder Hotels (AA 5.8.2022). Es müssen keine verpflichtenden Temperaturmessungen oder COVID-Tests am Arbeitsplatz mehr durchgeführt werden. Auch die teilweise Fernarbeitspflicht ist beendet (WKO 25.7.2022).
Zu den Impfstoffen, welche in der Russischen Föderation entwickelt wurden und dort eingesetzt werden, zählen: Gam-COVID-Vac (Sputnik V), EpiVacCorona, Sputnik Light, EpiVacCorona-N, Covivac, Salnavac, Konwasel und Ad5-nCoV (CWRR o.D.b). Vollständig geimpft sind 89.423.801 Personen (CWRR 12.8.2022). COVID-Impfungen sind ab einem Alter von 12 Jahren möglich (RFE/RL 9.2.2022; vgl. CWRR o.D.a) und für russische Staatsbürger kostenlos (Iswestija 1.7.2022; vgl. ÖB 30.6.2021). Für die Einreise nach Russland wird grundsätzlich ein COVID-19-Testergebnis (PCR) benötigt. Russische Staatsbürger, die mit einem in Russland zugelassenen Impfstoff geimpft sind, sowie genesene russische Staatsbürger dürfen ohne PCR-Test und Quarantäne nach Russland einreisen. Impfnachweise dürfen max. 12 Monate alt sein und Genesungsnachweise max. 6 Monate (WKO 25.7.2022). Der europäische Impfnachweis wird nicht anerkannt (AA 5.8.2022).
Moskau:
In der Hauptstadt Moskau sowie im Moskauer Gebiet wurden die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske auf öffentlichen Plätzen sowie die Abstandsregelungen abgeschafft (Russland-Analysen 11.4.2022).
Tschetschenien:
In Tschetschenien wurden alle COVID-Beschränkungen aufgehoben (Ria.ru 11.3.2022).
Dagestan:
Das Tragen einer Maske wird empfohlen. An öffentlichen Orten gilt Maskenpflicht für Personen über 60 Jahren, chronisch Kranke und Ungeimpfte. Es wird empfohlen, die Teilnehmeranzahl bei Veranstaltungen in geschlossenen Räumen auf 500 Personen zu beschränken (KK 13.8.2022). Die Verpflichtung zur Durchführung einer Desinfektion besteht weiterhin (KK 7.6.2022). Insgesamt wurden in Dagestan bislang 1.576.793 Personen (50,19 % der Gesamtbevölkerung) geimpft (E-dag.ru 25.7.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.8.2022): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederationsicherheit/201536 , Zugriff 19.8.2022
CWRR – COVID-19-Webseite der Regierung [Russland] (12.8.2022): Вакцинация от COVID-19 [COVID-19-Impfung], https://стопкоронавирус.рф/information/, Zugriff 19.8.2022
CWRR – COVID-19-Webseite der Regierung [Russland] (o.D.a): Часто задаваемые вопросы [FAQ], https://стопкоронавирус.рф/faq/, Zugriff 19.8.2022
CWRR – COVID-19-Webseite der Regierung [Russland] (o.D.b): Все о вакцинации против COVID-19 [Alles über die COVID-19-Impfung], https://вакцина.стопкоронавирус.рф/, Zugriff 19.8.2022
E-dag.ru – 'Mein Dagestan' (Moj Dagestan) / Offizielle Webseite Dagestans [Russland] (25.7.2022): Информация о проведении вакцинации населения Республики Дагестан против COVID-19 [Information über COVID-19-Impfung der Bevölkerung der Republik Dagestan], https://mydagestan.e-dag.ru/vaccination-against-covid-19/ , Zugriff 25.7.2022
Iswestija (1.7.2022): Минздрав продолжит оформлять сертификаты о вакцинации против COVID-19 [Gesundheitsministerium stellt weiterhin COVID-19-Impfzertifikate aus], https://iz.ru/1358412/2022-07-01/minzdrav-prodolzhit-oformliat-sertifikaty-o-vaktcinatcii-protiv-covid-19 , Zugriff 25.7.2022
KK – Kaukasischer Knoten (13.8.2022): Дагестанские активисты усомнились в необходимости ужесточения антиковидных мер [Aktivisten aus Dagestan bezweifelten Notwendigkeit der Verschärfung von Anti-COVID-Maßnahmen], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/380112/ , Zugriff 29.8.2022
KK – Kaukasischer Knoten (7.6.2022): Масочный режим отменен в Дагестане [Maskenpflicht in Dagestan gefallen], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/377927/ , Zugriff 25.7.2022
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2021): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2021 (Stand 30.6.2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 13.7.2022
RAD – Russian Analytical Digest (Nr. 263) (15.2.2021): Mitigating the Social Consequences of the COVID-19 Pandemic: Russia’s Social Policy Response, https://css.ethz.ch/content/dam/ethz/special-interest/gess/cis/center-for-securities-studies/pdfs/RAD263.pdf#page=12 , Zugriff 17.2.2022
RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (1.7.2022): Russia Ends All Public Anti-COVID Restrictions, https://www.rferl.org/a/russia-ends-all-covid-restrictions/31924567.html , Zugriff 25.7.2022
RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (9.2.2022): Russia’s Daily COVID-19 Infection Rate Hits Record Again, https://www.rferl.org/a/russia-covid-new-record/31694474.html , Zugriff 17.2.2022
Ria.ru – RIA Nowosti (11.3.2022): В Чечне сняли все ограничения по коронавирусу [In Tschetschenien alle COVID-Beschränkungen aufgehoben], https://ria.ru/20220311/chechnya-1777599119.html , Zugriff 25.7.2022
Russland-Analysen (Nr. 418) (11.4.2022): Chronik 14.-18.3.2022, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/418/RusslandAnalysen418.pdf , Zugriff 25.7.2022
WKO – Wirtschaftskammer Österreich (25.7.2022): Coronavirus: Situation in Russland, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-russland.html , Zugriff 25.7.2022 Politische Lage
Letzte Änderung: 06.10.2022
Russland ist eine Präsidialrepublik mit föderativem Staatsaufbau (AA 1.10.2021a). Das Regierungssystem Russlands wird als undemokratisch (autokratisch) bzw. autoritär eingestuft (BS 2022; vgl. Economist 9.2.2022, UG 3.2022, FH o.D., Russland-Analysen 1.10.2021a). Der in der Verfassung vorgesehenen Gewaltenteilung steht in der Praxis die alle Bereiche dominierende zentrale Rolle des Staatspräsidenten gegenüber. Dieser kann die Regierung entlassen und hat weitreichende Vollmachten in der Außen- und Sicherheitspolitik (AA 1.10.2021b). Der Staatspräsident ernennt (nach Bestätigung durch die Staatsduma) den Vorsitzenden der Regierung und entlässt ihn. Der Präsident leitet den Sicherheitsrat der Russischen Föderation und schlägt dem Föderationsrat die neuen Mitglieder der Höchstgerichte sowie anderer Gerichtshöfe vor. Der Präsident ernennt nach Beratung mit dem Föderationsrat den Generalstaatsanwalt und Staatsanwälte und entlässt sie. Darüber hinaus ernennt und entlässt er die Vertreter im Föderationsrat, bringt Gesetzesentwürfe ein, löst die Staatsduma auf und ruft den Kriegszustand aus (RI 4.7.2020). Seit dem Jahr 2000 wird das Präsidentenamt (mit einer Unterbrechung von 2008 bis 2012) von Wladimir Putin bekleidet (BS 2022). Der Präsident der Russischen Föderation wird für eine Amtszeit von 6 Jahren von den Bürgern direkt gewählt (RI 4.7.2020). Die letzte Präsidentschaftswahl fand am 18.3.2018 statt. Ein echter Wettbewerb fehlte. Auf kritische Stimmen wurde Druck ausgeübt (OSZE 6.6.2018). Putins einflussreicher Rivale Alexej Nawalnyj durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Nawalnyj war zuvor in einem als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden (FH 28.2.2022). Es wurden Transparenzmängel bei der Präsidentenwahl 2018 festgestellt (OSZE 6.6.2018). Die Geldquellen für Putins Wahlkampagne waren undurchsichtig (FH 28.2.2022). Auch kam es zu Unregelmäßigkeiten hinsichtlich der Einhaltung des Wahlgeheimnisses. Die Wahlbeteiligung lag laut der Zentralen Wahlkommission bei 67,47 %. Als Sieger der Präsidentenwahl 2018 ging Putin mit 76,69 % der abgegebenen Stimmen hervor (OSZE 6.6.2018). Regierungsvorsitzender sowie Stellvertreter des Staatsoberhaupts ist Michail Mischustin (AA 1.10.2021a).
Die Verfassung der Russischen Föderation wurde per Referendum am 12.12.1993 angenommen. Am 1.7.2020 fand eine Volksabstimmung über eine Verfassungsreform statt (RI 4.7.2020). Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65 % der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78 % für und mehr als 21 % gegen die Verfassungsänderungen (KAS 7.2020; vgl. BPB 2.7.2020). Die Verfassungsänderungen ermöglichen Putin, für zwei weitere Amtsperioden als Präsident zu kandidieren. Diese Regelung gilt nur für Putin und nicht für andere zukünftige Präsidenten (FH 28.2.2022). Unter anderem erhält durch die jüngste Verfassungsreform das russische Recht Vorrang vor internationalem Recht. Weitere Verfassungsänderungen betreffen beispielsweise Betonung traditioneller Familienwerte sowie die Definition Russlands als Sozialstaat. Dies verleiht der Verfassung einen sozial-konservativen Anstrich. Die Verfassungsreform und der Verlauf der Volksabstimmung sorgten in Russland und international für Kritik (KAS 7.2020; vgl. BPB 2.7.2020, RI 4.7.2020).
Der Einfluss des Zweikammerparlaments, bestehend aus der Staatsduma (Unterhaus) und dem Föderationsrat (Oberhaus), ist beschränkt (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022, RI 4.7.2020). Die Mitglieder des Föderationsrates werden normalerweise für eine Amtszeit von 6 Jahren ernannt (mit Ausnahme der auf Lebenszeit ernannten Mitglieder). Zu den Kompetenzen des Föderationsrats gehören: Bestätigung des präsidentiellen Erlasses (Ukas) über die Verhängung des Ausnahmezustands und des Kriegszustands; Amtsenthebung des Präsidenten (RI 4.7.2020). Die 450 Mitglieder der Duma werden für eine Amtszeit von 5 Jahren direkt gewählt (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022, RI 4.7.2020). Es gibt eine Fünfprozenthürde (OSZE 25.6.2021; vgl. Ria.ru 6.10.2021). Duma-Wahlen beruhen auf einem gemischten Wahlsystem. Die Hälfte der Duma-Mitglieder wird durch Verhältniswahlsystem (Parteilisten), die andere Hälfte durch Einerwahlkreise (Direktmandat) gewählt (FH 28.2.2022; vgl. Russland-Analysen 1.10.2021a, KAS 21.9.2021). Die letzten Dumawahlen fanden im September 2021 statt und waren laut Wahlbeobachtern und unabhängigen Medien von beträchtlichen Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet, darunter Stimmenkauf, Fälschung von Wahlprotokollen und Druck auf Wähler (FH 28.2.2022; vgl. SWP 14.10.2021, Russland-Analysen 1.10.2021a, KAS 21.9.2021). Im Allgemeinen ist Wahlbetrug weitverbreitet, was insbesondere im Nordkaukasus deutlich wird (BS 2022). Laut der Zentralen Wahlkommission betrug die Wahlbeteiligung 52 % (FH 28.2.2022; vgl. Russland-Analysen 1.10.2021a, Ria.ru 6.10.2021). Mit großem Vorsprung gewann die Regierungspartei Einiges Russland die Wahl, so das offizielle Wahlergebnis (FH 28.2.2022). Einiges Russland verfügt über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, welche erforderlich ist, um Verfassungsänderungen durchzusetzen. Vier weiteren Parteien gelang der Einzug ins Parlament, welche allesamt als kremltreue 'System-Opposition' bezeichnet werden (SWP 14.10.2021). Viele regimekritische Kandidaten waren von der Wahl ausgeschlossen worden (SWP 14.10.2021; vgl. Russland-Analysen 1.10.2021a). Anti-System-Oppositionsbewegungen wurden verboten bzw. zur Selbstauflösung gezwungen (KAS 21.9.2021). Aktuell sieht die Sitzverteilung der Parteien in der Staatsduma folgendermaßen aus (Duma o.D.):
Einiges Russland (Edinaja Rossija): 325 Sitze (Parteivorsitzender Wladimir Wasilew)
Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF): 57 Sitze (Parteivorsitzender Gennadij Sjuganow)
sozialistische Partei 'Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit' (Sprawedliwaja Rossija - Patrioty - Sa Prawdu): 28 Sitze (Parteivorsitzender Sergej Mironow)
Liberal-Demokratische Partei Russlands (LDPR): 23 Sitze (Parteivorsitzender Leonid Sluzkij)
Neue Leute (Nowye Ljudi): 15 Sitze (Parteivorsitzender Aleksej Netschaew)
2 Duma-Abgeordnete gehören keiner Fraktion an (Duma o.D.).
Die LDPR ist antiliberal-nationalistisch-rechtspopulistisch ausgerichtet (SWP 14.10.2021; vgl. KAS 21.9.2021). Die Partei Neue Leute wurde im Jahr 2020 gegründet und ist eine liberale Mitte-Rechts-Partei. Die Partei 'Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit' vertritt sozialpatriotische Inhalte (KAS 21.9.2021).
Die föderale Struktur der Russischen Föderation ist in der russischen Verfassung festgeschrieben. Der Status von Föderationssubjekten kann in beiderseitigem Einvernehmen zwischen der Russischen Föderation und dem betreffenden Föderationssubjekt im Einklang mit dem föderalen Verfassungsgesetz geändert werden (Art. 66 der Verfassung) (RI 4.7.2020). Russland besteht aus 83 Föderationssubjekten. Föderationssubjekte verfügen über eine eigene Legislative und Exekutive, sind aber weitgehend vom föderalen Zentrum abhängig (AA 1.10.2021b). Es besteht ein Trend der zunehmenden Zentralisierung des russischen Staates. Moskau sichert sich die Unterstützung der regionalen Eliten durch gezielte Zugeständnisse (ZOIS 3.11.2021). Im September 2021 fanden parallel zur Parlamentswahl regionale Wahlen statt. Die Bürger wählten Gouverneure von neun Subjekten sowie 39 Regionalparlamente (Russland-Analysen 1.10.2021b; vgl. Tass 20.9.2021).
Die 2014 erfolgte Annexion der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol durch Russland ist international nicht anerkannt (AA 1.10.2021b). Am 21.2.2022 wurden die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete der ukrainischen Regionen Donezk und Lugansk von Putin als unabhängig anerkannt. Am 24.2.2022 startete Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine (EU-Rat 16.8.2022). Im September 2022 fanden in den beiden ukrainischen 'Volksrepubliken' Donezk und Lugansk sowie in den ukrainischen Regionen Cherson und Saporischschja 'Referenden' über den Beitritt zur Russischen Föderation statt. Laut den offiziellen Wahlergebnissen stimmten in der 'Volksrepublik' Donezk 99,23 % der Wähler für einen Beitritt, in der 'Volksrepublik' Lugansk 98,42 %, in Cherson 87,05 % und in Saporischschja 93,11 % (Lenta 27.9.2022). Die 'Referenden' in den vier von Russland besetzten ukrainischen Gebieten werden von den Vereinten Nationen als völkerrechtswidrig bezeichnet und international nicht anerkannt (UN 27.9.2022; vgl. Standard 30.9.2022). Die Abstimmung fand nicht nur in Wahllokalen statt, sondern prorussische De-facto-Behörden gingen außerdem mit den Wahlurnen und in Begleitung von Soldaten von Tür zu Tür (UN 27.9.2022). Die 'Stimmabgaben' erfolgten unter Zwang und unter Zeitdruck (Rat 28.9.2022). Demokratische Mindeststandards wurden nicht eingehalten (Standard 30.9.2022). Die 'Referenden' missachteten die ukrainische Verfassung sowie Gesetze und spiegeln nicht den Willen der Bevölkerung wider (UN 27.9.2022). Nach dem Ende der Scheinreferenden baten die Anführer der prorussischen Separatisten in den ukrainischen Regionen Lugansk und Cherson den russischen Präsidenten Putin um Annexion dieser Regionen (NDR/Tagesschau.de 28.9.2022). Am 29.9.2022 wurde die 'staatliche Souveränität' und 'Unabhängigkeit' der Regionen Cherson und Saporischschja von Putin per Erlass anerkannt (RI 30.9.2022a; vgl. RI 30.9.2022b). Im Kreml in Moskau fand am 30.9.2022 die Unterzeichnung der Verträge zum Russland-Beitritt der 'Volksrepubliken' Donezk und Lugansk sowie der Regionen Saporischschja und Cherson statt (Kremlin.ru 30.9.2022). Am 3. und 4.10.2022 stimmten die beiden russischen Parlamentskammern der Annexion zu (Tass 4.10.2022). International wird die Annexion dieser vier ukrainischen Gebiete nicht anerkannt (Standard 30.9.2022).
Russland begeht im Krieg gegen die Ukraine schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen gegen die ukrainische Zivilbevölkerung (OHCHR 5.7.2022; vgl. HRW 21.4.2022). Als Reaktion auf diese Vorgänge verhängte die EU Sanktionen gegen Russland, nämlich: Wirtschaftssanktionen; Aussetzung der Visaerleichterungen für russische Diplomaten sowie andere russische Beamte und Geschäftsleute; Sanktionen gegen Mitglieder der Staatsduma, gegen Putin, den Außenminister Sergej Lawrow, gegen Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrats und gegen weitere Personen (EU-Rat 16.8.2022). Sanktionen gegen Russland verhängten außerdem u. a. die USA, Kanada, Großbritannien, Japan (WZ 27.6.2022) und die Schweiz (SW 3.8.2022).
Quellen:
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ZOIS – Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (3.11.2021): Spotlight 39/2021: Russland auf dem Weg zum Zentralstaat?, https://www.zois-berlin.de/publikationen/zois-spotlight/russland-auf-dem-weg-zum-zentralstaat , Zugriff 5.8.2022
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 01.09.2022
Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern gezeigt haben, kann es in Russland (auch außerhalb der Kaukasus-Region) zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 5.8.2022). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Metro, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 4.5.2022).
Für die Russische Föderation stellen Terrorismusbekämpfung und der Umgang mit extremistischen islamischen Gruppen (darunter Gruppen mit Verbindung zum sogenannten Islamischen Staat (IS) sowie Kämpfer, die aus Syrien zurückkehren) eine Priorität dar (USDOS 16.12.2021). Seit November 2020 wurden wegen angeblicher Zugehörigkeit zu Hizb ut-Tahrir mindestens acht Personen verurteilt und mehrere Dutzend Personen festgenommen. Hizb ut-Tahrir ist eine islamistische Bewegung, welche gewaltlos ein Kalifat errichten will. Russland hat Hizb ut-Tahrir aufgrund von Terrorismusvorwürfen im Jahr 2003 verboten (HRW 13.1.2022). Gemäß dem aktuellen Globalen Terrorismus-Index (2022), welcher die Einwirkung von Terrorismus je nach Land misst, belegt Russland den 44. Rang von insgesamt 93 Rängen. Dies bedeutet, Russland befindet sich auf mittlerem Niveau, was den Einfluss von Terrorismus betrifft (IEP 3.2022). Russland ist ein Mitglied des Globalen Forums zur Terrorismusbekämpfung (Global Counterterrorism Forum) (USDOS 16.12.2021; vgl. GCTF o.D.).
Am 24.2.2022 begann Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine (Rat 16.8.2022). In russischen Regionen nahe der Ukraine kam es in letzter Zeit zu mehreren Vorfällen, darunter größere Brände in Belgorod und bei einem Öldepot in Brjansk im April 2022 (Gov.uk 25.8.2022). In fünf russischen Regionen nahe der Ukraine (Rostow, Krasnodar, Saratow, Woronesch und Wolgograd) wurde der Notstand ausgerufen (AA 5.8.2022). In der russischen Region Kursk, welche an die Ukraine grenzt, werden mehrere grenzüberschreitende Artilleriebeschüsse von ukrainischer und russischer Seite sowie Sabotageakte gegen Infrastruktureinrichtungen gemeldet. Die Situation in Kursk wird zunehmend volatil (ACLED 18.8.2022). Das Kriegsrecht wurde in Russland bislang nicht ausgerufen (MT 8.6.2022). Stattdessen spricht Russland von einer 'Spezialoperation' in der Ukraine (Presse 11.8.2022). Die folgenden zwei Karten stellen sicherheitsrelevante Ereignisse innerhalb Russlands im Zeitraum 24.2.-12.8.2022 dar, wobei hier zwei Kategorien angezeigt werden: Kampfhandlungen (schwarz) und Explosionen/Ferngewalt (rot).
Quellen:
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Gov.uk – Webseite der Regierung [Vereinigtes Königreich] (25.8.2022): Foreign travel advice Russia, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/russia , Zugriff 26.8.2022
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IEP – Institute for Economics & Peace (3.2022): Global Terrorism Index 2022: Measuring the Impact of Terrorism, https://www.economicsandpeace.org/wp-content/uploads/2022/03/GTI-2022-web-09062022.pdf , Zugriff 11.8.2022
MT – Moscow Times (8.6.2022): Russia's Interior Ministry Creates New Department to Enforce Martial Law, https://www.themoscowtimes.com/2022/06/08/russias-interior-ministry-creates-new-department-to-enforce-martial-law-a77932 , Zugriff 12.8.2022
Presse, Die (11.8.2022): Angriff auf der Krim: Ein schmerzhafter Schlag für Russland, https://www.diepresse.com/6176299/angriff-auf-der-krim-ein-schmerzhafter-schlag-fuer-russland , Zugriff 12.8.2022
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USDOS – US Department of State [USA] (16.12.2021): Country Report on Terrorism 2020 - Chapter 1 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2065361.html , Zugriff 11.8.2022
Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 21.04.2022
Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte für Verfassungs-, Zivil-, Verwaltungs- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR – Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EuR – Europäischer Rat) als auch nationale Organisationen (Ombudsperson, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 6.2021). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive, und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kremls gebunden (FH 3.3.2021). Auch Korruption ist im Justizsystem ein Problem (EASO 3.2017, BTI 2020).
Das russische Justizsystem ist institutionell abhängig von den Untersuchungsbeamten, die häufig die Urteile bestimmen. Politisch wichtige Fälle werden vom Kreml überwacht, und Richter haben nicht genug Autonomie, um den Ausgang zu bestimmen (ÖB Moskau 6.2021). Die Personalkommission des Präsidenten und die Vorsitzenden des Gerichts kontrollieren die Ernennung und Wiederernennung der Richter des Landes, die eher aus dem Justizsystem befördert werden, als unabhängige Erfahrungen als Anwälte zu sammeln. Änderungen der Verfassung, die im Jahr 2020 verabschiedet wurden, geben dem Präsidenten die Befugnis, mit Unterstützung des Föderationsrates, Richter am Verfassungsgericht und am Obersten Gerichtshof zu entfernen, was die ohnehin mangelnde Unabhängigkeit der Justiz weiter schädigt (FH 3.3.2021).
In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Am 1. Oktober 2019 trat eine Reform des russischen Gerichtswesens in Kraft, mit der eigene Gerichte für Berufungs- und Kassationsverfahren geschaffen wurden sowie die Möglichkeit von Sammelklagen eingeführt wurde. Wenngleich diese Reformen ein Schritt in die richtige Richtung sind, bleiben grundlegende Mängel des russischen Gerichtswesens bestehen (z.B. de facto 'Schuldvermutung' im Strafverfahren, informelle Einflussnahme auf die Richter etc.). Anwälte im Menschenrechtsbereich beklagen ungleiche Spielregeln in Gerichtsverfahren und steigenden Druck gegen die Anwälte selbst (ÖB Moskau 6.2021).
2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, sodass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das zur Untergrabung der Souveränität Russlands missbraucht werde (ÖB Moskau 6.2021). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021, USDOS 11.3.2020). Im Juli 2020 wurde diese Rechtsposition auch in der Verfassung verankert und dem russischen Verfassungsgerichtshof das Recht eingeräumt, Urteile zwischenstaatlicher Organe nicht umzusetzen, wenn diese in ihrer Auslegung der Bestimmungen zwischenstaatlicher Verträge nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021). Weiters wurde mit der Verfassungsänderung, die am 4.7.2020 in Kraft trat, das Recht des Föderationsrats, Richter des Verfassungsgerichtshofs auf Vorschlag des Präsidenten zu entlassen, verankert (ÖB Moskau 6.2021). Die Venedig-Kommission des Europarates gab eine Stellungnahme zu den damaligen Entwürfen für Verfassungsänderungen ab. Die Kommission bekräftigte ihre Ansicht, dass die Befugnis des Verfassungsgerichts, ein Urteil des EGMR für nicht vollstreckbar zu erklären, den Verpflichtungen Russlands aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) widerspricht (HRW 13.1.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Mit Ende 2020 waren beim EGMR 13.650 Anträge aus Russland anhängig. Im Jahr 2020 wurde die Russische Föderation in 173 Fällen wegen Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verurteilt. Besonders zahlreich sind Konventionsverstöße gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit, das Recht auf ein faires Verfahren und wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (ÖB Moskau 6.2021).
Wegen Russlands Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 hatte der Europarat Russlands Mitgliedschaft zunächst suspendiert. Russland gab kurz darauf seinen Austritt aus dem Europarat nach 26 Jahren Mitgliedschaft bekannt und kam damit einem Beschluss der übrigen Mitgliedsstaaten zuvor. Nach dem endgültigen Ausschluss Russlands aus dem Europarat hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) alle Verfahren gegen Russland vorerst ausgesetzt. Nach Angaben des Gerichts vom Jänner 2022 wurden 24 % der rund 70.000 beim EGMR anhängigen Verfahren von Russen und Russinnen angestrengt. Russland gehört nun nicht länger zu den Unterzeichnerstaaten der EMRK, und seine Bürger können sich nicht mehr an den EGMR wenden (ORF.at 17.3.2022).
Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer nicht genehmigten friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22.2.2017 überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an (AI 22.2.2018). Bei den Protesten im Zuge der Kommunal- und Regionalwahlen in Moskau im Juli und August 2019, bei denen mehr als 2.600 Menschen festgenommen wurden, wurde teils auf diesen Artikel (212.1) zurückgegriffen (AI 16.4.2020). Im Juli 2017 trat eine weitere neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der 'Absicht' angenommen haben, die 'Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen'. NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).
Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Es gibt jedoch Hinweise auf selektive Strafverfolgung, die auch sachfremd, etwa aus politischen Gründen oder wirtschaftlichen Interessen, motiviert sein kann. Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die vonseiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 2.2.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 23.3.2021
AI - Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff 23.3.2021
AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff 23.3.2021
BTI - Bertelsmann Transformation Index (2020): BTI 2020 Country Report – Russia, https://bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RUS.pdf , Zugriff 17.5.2021
EASO - European Asylum Support Office [EU] (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff 23.3.2021
FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 23.3.2021
HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 23.3.2021
ORF.at (17.3.2022): EGMR setzt Verfahren gegen Russland aus, https://orf.at/stories/3253923/ , Zugriff 20.4.2022
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 29.9.2021
US DOS - United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff 23.3.2021
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 01.09.2022
Das Innenministerium, der Föderale Sicherheitsdienst (FSB), das Untersuchungskomitee, die Generalstaatsanwaltschaft und die Nationalgarde sind für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Staatssicherheit, Spionageabwehr, Terrorismusbekämpfung, Korruptionsbekämpfung sowie Bekämpfung des organisierten Verbrechens befasst. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist für Verbrechensbekämpfung zuständig. Die Nationalgarde unterstützt den Grenzwachdienst des FSB bei der Grenzsicherung, ist für Waffenkontrolle sowie den Schutz der öffentlichen Ordnung verantwortlich, bekämpft Terrorismus und das organisierte Verbrechen und bewacht wichtige staatliche Einrichtungen. Weiters nimmt die Nationalgarde an der bewaffneten Verteidigung des Landes gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium teil (USDOS 12.4.2022). Koordiniert werden die Maßnahmen im Bereich Terrorismusbekämpfung vom Nationalen Anti-Terrorismus-Komitee (USDOS 16.12.2021). Zivilbehörden halten im Allgemeinen eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte aufrecht. Gegen Beamte, die missbräuchliche Handlungen setzen und in Korruption verwickelt sind, werden selten strafrechtliche Schritte unternommen, was zu einem Klima der Straflosigkeit führt (USDOS 12.4.2022). Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt (AA 21.5.2021).
Die Polizei wendet häufig übermäßige Gewalt an (FH 28.2.2022). Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen 'fremdländischen' Aussehens oft Opfer von Misshandlungen durch Mitarbeiter der Polizei und der Untersuchungsbehörden (AA 21.5.2021). Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamte gibt es nicht (ÖB 30.6.2021).
Laut gesetzlichen Vorgaben dürfen Verdächtige für die Dauer von maximal 48 Stunden ohne gerichtliche Genehmigung inhaftiert werden - vorausgesetzt, es gibt Beweise oder Zeugen. Anderenfalls ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete werden von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt, und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Inhaftierten muss die Möglichkeit gegeben werden, Angehörige telefonisch zu benachrichtigen, es sei denn, ein Staatsanwalt ordnet die Geheimhaltung der Inhaftierung an. Verhaftete müssen von der Polizei innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor haben sie das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu sehen. Spätestens 12 Stunden nach der Festnahme muss die Polizei den Staatsanwalt benachrichtigen. Die Polizei muss Festgenommene nach 48 Stunden gegen Kaution freilassen - es sei denn, ein Gericht beschließt in einer Anhörung, die Inhaftierungsdauer auszudehnen. Zuvor (mindestens acht Stunden vor Ablauf der 48-Stunden-Haftdauer) muss die Polizei einen diesbezüglichen Antrag eingereicht haben. Im Allgemeinen werden von den Behörden die rechtlichen Beschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus. Angeklagte und deren Rechtsvertreter müssen bei der Gerichtsverhandlung persönlich oder über einen Videolink anwesend sein (USDOS 12.4.2022).
Die Zivilbehörden auf nationaler Ebene üben bestenfalls eine begrenzte Kontrolle über die Sicherheitskräfte in der Republik Tschetschenien aus. Diese sind nur dem Republikoberhaupt Kadyrow gegenüber rechenschaftspflichtig (USDOS 12.4.2022; vgl. ÖB 30.6.2021). Mit den sogenannten Kadyrowzy verfügt Kadyrow über eine persönliche Armee (FPRI 15.6.2022). Bei den Kadyrowzy handelt es sich formal um Einheiten der tschetschenischen Nationalgarde, deren zahlenmäßige Stärke geheim ist. Russische Quellen nennen Zahlen zwischen 10.000 und 18.000 Soldaten (Heise 9.7.2022). Die tschetschenische Sondereinheit der Kadyrowzy existierte bereits unter Kadyrows Vater, der sich im Tschetschenienkrieg ab 1999 auf die Seite Russlands gegen die Separatisten gestellt hatte und im Jahr 2004 getötet worden war. Seit der Machtübernahme Kadyrows im Jahr 2007 werden die Kadyrowzy von Menschenrechtsorganisationen für zahlreiche Morde politischer Gegner sowie für Folter verantwortlich gemacht (Euronews 20.3.2022). Die Kadyrowzy kommen im Ukraine-Krieg zum Einsatz (Heise 9.7.2022). Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor dem langen Arm des Regimes von Republikoberhaupt Kadyrow nicht sicher. Sicherheitskräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind nach Aussagen von NGOs etwa auch in Moskau präsent. Sie berichten von Einzelfällen aus Tschetschenien, in denen entweder die Familien der Betroffenen oder tschetschenische Behörden (welche Zugriff auf russlandweite Informationssysteme haben) Flüchtende in andere Landesteile verfolgen, sowie von LGBTI-Personen, die gegen ihren Willen von anderen russischen Regionen nach Tschetschenien zurückgeholt worden sind (AA 21.5.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.5.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053304/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_21.05.2021.pdf , Zugriff 13.7.2022
Euronews (20.3.2022): 'Psychopath Kadyrow': Was machen die Kämpfer aus Tschetschenien in der Ukraine?, https://de.euronews.com/2022/03/20/psychopath-kadyrow-was-machen-die-kampfer-aus-tschetschenien-in-der-ukraine , Zugriff 10.8.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068627.html , Zugriff 3.8.2022
FPRI – Foreign Policy Research Institute (15.6.2022): The Shifting Political Hierarchy in the North Caucasus, https://www.fpri.org/article/2022/06/the-shifting-political-hierarchy-in-the-north-caucasus/ , Zugriff 10.8.2022
Heise (9.7.2022): Ukraine-Krieg: Wer will 'nach Berlin durchmarschieren'?, https://www.heise.de/tp/features/Ukraine-Krieg-Wer-will-nach-Berlin-durchmarschieren-7167389.html , Zugriff 10.8.2022
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2021): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2021 (Stand 30.6.2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 13.7.2022
USDOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071123.html , Zugriff 20.7.2022
USDOS – US Department of State [USA] (16.12.2021): Country Report on Terrorism 2020 - Chapter 1 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2065361.html , Zugriff 11.8.2022
Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 29.08.2022
Folter, Gewalt sowie unmenschliche bzw. grausame oder erniedrigende Behandlung und Strafen sind in Russland auf Basis des Art. 21 der Verfassung verboten (RI 4.7.2020). Die Konvention der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe wurde von Russland 1987 ratifiziert. Das Zusatzprotokoll hat Russland nicht unterzeichnet (OHCHR o.D.). Die Zufügung körperlicher oder seelischer Schmerzen durch systematische Gewaltanwendung wird gemäß § 117 Strafgesetzbuch mit Freiheitsbeschränkung von max. 3 Jahren oder Zwangsarbeit von max. 3 Jahren oder Freiheitsentzug von max. 3 Jahren bestraft. Wird dieselbe Tat beispielsweise von mehreren Personen begangen, ist das Opfer eine minderjährige Person, kommt Folter zur Anwendung oder wird die Tat aus politischen, ideologischen, religiösen usw. Motiven begangen, hat dies Freiheitsentzug von 3 - 7 Jahren zur Folge (RI 25.3.2022). Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamte gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der inneren Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten stützen, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein (ÖB 30.6.2021). Gemäß zahlreichen Berichten erzwingen Sicherheitsbeamte Geständnisse gewaltsam, durch Folter und Missbrauchshandlungen (USDOS 12.4.2022). Folter und andere Misshandlungen in Haftanstalten sind weitverbreitet und werden selten geahndet (AI 29.3.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Es kommt zu Todesfällen aufgrund von Folter. Gemäß Berichten kommt es außerdem vor, dass Journalisten und Aktivisten, welche über Folterfälle berichten, von Behörden strafrechtlich verfolgt werden (USDOS 12.4.2022). Betroffene, welche vor Gericht Foltervorwürfe erheben, werden zunehmend unter Druck gesetzt, beispielsweise durch Verleumdungsvorwürfe. Die Dauer von Gerichtsverfahren zur Überprüfung von Foltervorwürfen ist zwar kürzer (früher fünf bis sechs Jahre) geworden, Qualität und Aufklärungsquote sind jedoch nach wie vor niedrig (AA 21.5.2021).
Vor allem der Nordkaukasus ist von Gewalt betroffen. Diese richtet sich gegen Zivilisten, islamistische Aufständische, Bedienstete von Behörden usw. (FH 28.2.2022). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet das tschetschenische Republikoberhaupt Kadyrow unterschiedliche Formen von Gewalt an, wie beispielsweise Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 28.2.2022; vgl. AA 21.5.2021). Solche Handlungen finden manchmal auch außerhalb Russlands statt (FH 28.2.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.5.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053304/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_21.05.2021.pdf , Zugriff 13.7.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Russland 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070266.html , Zugriff 28.7.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068627.html , Zugriff 3.8.2022
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2021): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2021 (Stand 30.6.2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 13.7.2022
OHCHR – Office of the High Commissioner for Human Rights [UN] (o.D.): Russian Federation: Status of Ratification – Interactive Dashboard, https://indicators.ohchr.org/ , Zugriff 26.7.2022
RI – Rechtsinformationen (Официальный интернет-портал правовой информации) [Russland] (25.3.2022): Уголовный кодекс Российской Федерации [Strafgesetzbuch der Russischen Föderation] (Nr. 63-ФЗ), http://pravo.gov.ru/proxy/ips/?docbody&nd=102041891 , Zugriff 20.7.2022
RI – Rechtsinformationen (Официальный интернет-портал правовой информации) [Russland] (4.7.2020): Конституция Российской Федерации [Verfassung der Russischen Föderation], http://publication.pravo.gov.ru/File/GetFile/0001202007040001?type=pdf , Zugriff 13.7.2022
USDOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071123.html , Zugriff 20.7.2022
Korruption
Letzte Änderung: 03.02.2023
Korruption gilt in Russland als wichtiger Teil des gesellschaftlichen Systems. Obwohl Korruption in Russland endemisch ist, kann im Einzelfall nicht generalisiert werden. Zahlreiche persönliche Faktoren bezüglich Geber und Nehmer von informellen Zahlungen sind zu berücksichtigen, genauso wie strukturell vorgegebene Einflüsse der jeweiligen Region. Im alltäglichen Kontakt mit den Behörden fließen informelle Zahlungen, um widersprüchliche Bestimmungen zu umgehen und Dienstleistungen innerhalb nützlicher Frist zu erhalten. Korruption stellt eine zusätzliche Einnahmequelle von Staatsbeamten dar. Das Justizsystem und das Gesundheitswesen werden in der Bevölkerung als besonders korrupt wahrgenommen. Im Justizsystem ist zwischen stark politisierten Fällen, einschließlich solchen, die Geschäftsinteressen des Staates betreffen, und alltäglichen Rechtsgeschäften zu unterscheiden. Nicht alle Rechtsinstitutionen sind gleich anfällig für Korruption. Im Gesundheitswesen gehören informelle Zahlungen für offiziell kostenlose Dienstleistungen zum Alltag. Bezahlt wird für den Zugang zu Behandlungen oder für Behandlungen besserer Qualität. Es handelt sich generell um relativ kleine Beträge. Seit 2008 laufende Anti-Korruptionsmaßnahmen hatten bisher keinen Einfluss auf den endemischen Charakter der Korruption (SEM 15.7.2016).
Korruption ist sowohl im öffentlichen Leben als auch in der Geschäftswelt weit verbreitet, und ein zunehmender Mangel an Rechenschaftspflicht ermöglicht es Bürokraten, ungestraft Straftaten zu begehen. Analysten bezeichnen das politische System als Kleptokratie, in der die regierende Elite das öffentliche Vermögen plündert (FH 3.3.2021). Obwohl das Gesetz Strafen für Behördenkorruption vorsieht, bestätigt die Regierung, dass das Gesetz nicht effektiv umgesetzt wird und viele Beamte in korrupte Praktiken involviert sind (USDOS 11.3.2020; vgl. EASO 3.2017, BTI 2020). Korruption ist sowohl in der Exekutive als auch in der Legislative und Judikative auf allen hierarchischen Ebenen weit verbreitet (USDOS 11.3.2020; vgl. EASO 3.2017, BTI 2020). Die meisten Bemühungen zur Korruptionsbekämpfung sind oft nur symbolischer Natur. Korruptionsvorwürfe der politischen Elite gelten als Instrumente in Machtkämpfen (BTI 2020). Zu den Formen von Korruption zählen die Bestechung von Beamten, missbräuchliche Verwendung von Finanzmitteln, Diebstahl von öffentlichem Eigentum, Schmiergeldzahlungen im Beschaffungswesen, Erpressung und die missbräuchliche Verwendung der offiziellen Position, um an persönliche Begünstigungen zu kommen. Behördenkorruption ist zudem auch in anderen Bereichen weiterhin verbreitet: im Bildungswesen, beim Militärdienst, im Gesundheitswesen, im Handel, beim Wohnungswesen, bei Pensionen und Sozialhilfe, im Gesetzesvollzug und im Justizwesen (USDOS 11.3.2020).
Der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny dokumentiert regelmäßig Korruptionsfälle auf höchster politischer Ebene, ohne dass die staatlichen Strukturen darauf reagieren (BTI 2020). Eines der zentralen Themen der Modernisierungsagenda ist die Bekämpfung der Korruption und des Rechtsnihilismus. Im Zeichen des Rechtsstaats durchgeführte Reformen, wie die Einsetzung eines Richterrats, um die Selbstverwaltung der Richter zu fördern, die Verabschiedung neuer Prozessordnungen und die deutliche Erhöhung der Gehälter hatten jedoch wenig Wirkung auf die Abhängigkeit der Justiz von Weisungen der Exekutive und die dort herrschende Korruption. Im Februar 2012 erfolgte der Beitritt Russlands zur OECD-Konvention zur Korruptionsbekämpfung. 2020 nimmt Russland im Ranking des Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International den 129. Platz von 179 ein (GIZ 1.2021a).
Korruption ist auch in Tschetschenien nach wie vor weit verbreitet. Öffentliche Bedienstete müssen einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrows Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Wohltätigkeitsprojekte. Kritiker meinen jedoch, dass der Fonds auch der persönlichen Bereicherung Kadyrows und der ihm nahestehenden Gruppen diene. So bezeichnete die Zeitung 'Kommersant' den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 6.2021). Die Situation in Tschetschenien zeichnet sich dadurch aus, dass korrupte Praktiken erstens stärker verbreitet sind und zweitens offener ablaufen als im restlichen Russland (SEM 15.7.2016).
Dagestan ist eine der ärmsten Regionen Russlands, bis zu 70 % des Budgets stammen aus Subventionen aus Moskau. Auch in Dagestan ist die Gesellschaft in Clans aufgebaut. Nirgendwo sonst in Russland ist der Clan so stark wie in Dagestan, weshalb systemische Korruption in dieser Republik nicht überrascht (WI 25.2.2018). Das staatliche Justizwesen ist in hohem Maße durch Ämterkauf und Bestechung geprägt (AA 2.2.2021). Zum ersten Mal in der Geschichte der Russischen Föderation wurden Anfang 2018 der Premierminister Dagestans, seine Stellvertreter und der ehemalige Bildungsminister wegen schwerer Korruptionsvorwürfe festgenommen und sofort nach Moskau ausgeflogen. Alle vier standen im Verdacht, Haushaltsmittel aus Sozialprogrammen in großem Umfang veruntreut zu haben (WI 25.2.2018). Wladimir Wassilews Ernennung [zum Republiksoberhaupt von 2018-2020] bekräftigt die Bedeutung von Dagestan für den russischen Staat und die Tatsache, dass Putin nicht länger bereit ist, die von den Subventionen abgezogenen Mittel zu ignorieren (PONARS Eurasia 11.2018). Der Nachfolger Wassilews ist Sergej Melikow. Dieser war davor Vertreter der Region Stawropol im Föderationsrat (BPB 26.10.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 16.3.2021
BPB - Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (26.10.2020): Chronik: 28. September – 10. Oktober 2020, https://www.bpb.de/internationales/europa/russland/analysen/317747/chronik-28-september-10-oktober-2020 , Zugriff 16.3.2021
BTI – Bertelsmann Transformation Index (2020): BTI 2020 Country Report – Russia, https://bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RUS.pdf , Zugriff 16.3.2021
EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff 16.3.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 16.3.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 16.3.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 29.9.2021
PONARS Eurasia (11.2018): The Kremlin’s New Man in Dagestan. Corruption Supplants Security as Moscow's Chief Concern, PONARS Eurasia Policy Memo No. 549, https://www.researchgate.net/publication/337674069_The_Kremlin%27s_New_Man_in_Dagestan_Corruption_Supplants_Security_as_Moscow%27s_Chief_Concern , Zugriff 16.3.2021
SEM – Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (15.7.2016): Focus Russland. Korruption im Alltag, insbesondere in Tschetschenien, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/europa-gus/rus/RUS-korruption-d.pdf , Zugriff 16.3.2021
USDOS – United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff 16.3.2021
WI – Warsaw Institute (25.2.2019): Federal clean-up in Dagestan, https://warsawinstitute.org/federal-clean-dagestan/ , Zugriff 16.3.2021
NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Letzte Änderung: 21.04.2022
Der russische Staat wünscht sich, dass NGOs vor allem im sozialen Bereich tätig sind. Das Engagement in Bezug auf andere, politische Aktivitäten, wird mit Misstrauen betrachtet (BTI 2020). Somit geraten NGOs zunehmend unter Druck. Auf Basis des sog. NGO-Gesetzes aus 2012 werden russische NGOs, die politisch aktiv sind und aus dem Ausland Finanzmittel erhalten, in ein vom Justizministerium geführtes Register 'ausländischer Agenten' eingetragen, was mit verstärkten Berichts- und Kennzeichnungspflichten und bürokratischer Kontrolle der Tätigkeit der NGO einhergeht (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021, FH 3.3.2021, BTI 2020). Die Bezeichnung als 'Agent' provoziert unter der russischen Bevölkerung eine negative Konnotation mit den Tätigkeiten dieser NGOs im Sinne von Spionagetätigkeiten (ÖB Moskau 6.2021; vgl. FH 3.3.2021). Organisationen, die sich nicht eintragen lassen, haben mit hohen Geldstrafen zu rechnen bzw. können aufgelöst werden. 2016 wurde die NGO Agora, eine Vereinigung von Menschenrechtsanwälten, als erste Organisation aufgrund von Nichtbefolgung des NGO-Gesetzes aufgelöst (ÖB Moskau 6.2020). Mit 1. März 2021 trat eine Verschärfung des Strafgesetzes in Kraft, wonach eine 'mutwillige Umgehung' der Verpflichtungen einer 'NGO, welche die Funktion eines ausländischen Agenten erfüllt', mit Strafen von 300.000 Rubel (ca. 3.310 Euro) bis zu Haftstrafen von zwei bis fünf Jahren geahndet werden kann (ÖB Moskau 6.2021). Die international bekannte NGO Memorial ist aktuell mit Geldstrafen in Höhe von 6,1 Mio Rubel (ca. 68.000 Euro) wegen fehlender Kennzeichnungen u.a. auf Social-Media-Kanälen konfrontiert (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AI 16.4.2020, HRW 13.1.2021). Ende Dezember 2021 hat das Oberste Gericht in Moskau entschieden, Memorial aufzulösen (Tagesschau.de 28.12.2021). Die Staatsanwaltschaft begründete ihre Schließungspläne mit mehrfachen Verstößen gegen das umstrittene Gesetz zu 'ausländischen Agenten' (Standard Online 25.11.2021). Das Oberste Gericht folgte dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die NGO Memorial habe in ihren Publikationen auf den Hinweis verzichtet, dass sie als 'ausländischer Agent' eingestuft wird (Arte.tv 29.12.2021). Memorial wurde in der Vergangenheit aus denselben Gründen bereits mehrfach zu teils hohen Geldstrafen verurteilt (Standard Online 25.11.2021). Mit Ende 2020 waren beim Justizministerium 75 NGOs als ausländische Agenten registriert (FH 3.3.2021). Ende 2019 wurde zudem die gesetzliche Möglichkeit geschaffen, auch natürliche Personen als 'ausländische Agenten' zu listen, sofern diese Medieninhalte von solchen verbreiten oder erarbeiten und dafür Geld erhalten (AA 2.2.2021; vgl. Standard Online 3.12.2019).
Um eine Alternative zu ausländischer Finanzierung russischer NGOs zu schaffen, werden seit 2017 sogenannte präsidentielle Subventionen vergeben, größtenteils an NGOs mit patriotischer bzw. sozialer Ausrichtung; in einigen Fällen erhielten auch als 'ausländische Agenten' deklarierte Einrichtungen staatliche Zuwendungen. Die Kehrseite der staatlichen Unterstützung ist, dass die Empfänger sich im Gegenzug einer intensiven behördlichen Kontrolle ihrer Geschäftstätigkeit unterwerfen müssen (ÖB Moskau 6.2021). In einem Bereich hat der Staat Interesse an Zusammenarbeit und Beratung gezeigt, insbesondere in ländlichen Regionen: Wenn Aktivitäten auf Sozialpolitik ausgerichtet sind, nicht auf politisches Engagement (BTI 2020).
Im Mai 2015 wurde ein Gesetz angenommen, um die Tätigkeit von ausländischen oder internationalen Nichtregierungsorganisationen, die eine Bedrohung für die verfassungsmäßigen Grundlagen, für die Verteidigungsfähigkeit des Landes oder die Sicherheit des Staates darstellen, auf dem Territorium der Russischen Föderation für unerwünscht zu erklären (ÖB Moskau 6.2021; vgl. BTI 2020, FH 3.3.2021). Die Klassifizierung als unerwünschte Organisation zieht ein Verbot der Gründung bzw. die Liquidierung bereits bestehender Strukturen der ausländischen NGO in Russland nach sich, sowie ein Verbot der Verteilung von Informationsmaterialien bzw. der Durchführung von Projekten. Weiters ist es russischen Banken verboten, Finanzoperationen durchzuführen, wenn ein Kunde als unerwünschte NGO eingestuft wurde (ÖB Moskau 6.2021). Die Verbote betreffen nicht nur die NGO selbst, sondern auch Personen, die sich an ihrer Tätigkeit beteiligen (ÖB Moskau 6.2021; vgl. FH 3.3.2021). Das Gesetz sieht Geldstrafen sowie bei wiederholter Verletzung auch Freiheitsstrafen von mehreren Jahren vor (ÖB Moskau 6.2021). Mit Ende 2020 gelten 29 ausländische NGOs als unerwünschte Organisationen, da sie die nationale Sicherheit gefährden würden. Die Bezeichnung gibt den Behörden die Möglichkeit, eine Bandbreite an Sanktionen gegen diese Gruppierungen zu verhängen (FH 3.3.2021). Russland verschärft im Zuge des Ukrainekriegs die Repression und schloss Anfang April 2022 15 ausländische NGOs. Betroffen sind neben Amnesty International und Human Rights Watch unter anderem alle politischen Stiftungen aus Deutschland. Zu den Gründen der Verbote wurde auf unbestimmte „Gesetzesverstöße“ verwiesen (FAZ 10.4.2022).
Die Gesetzeslage zu NGOs hat sich in den vergangenen Jahren signifikant verändert, mit dem Ergebnis, dass derzeit unpolitische bzw. Pro-Regierungs-NGOs, die etwa im sozialen Bereich tätig sind, eher unterstützt werden und im Gegensatz dazu kritische NGOs, Medien und Einzelpersonen, vor allem jene, die sich öffentlich kritisch zu Themen wie Menschenrechte, Umweltschutz und dergleichen äußern, mit Einschränkungen und Repression konfrontiert sind (ÖB Moskau 6.2021). In Dagestan können NGOs tätig werden, sich mit Opfern von Menschenrechtsverletzungen treffen, vor Ort recherchieren und sogar Verfahren gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte wegen Foltervorwürfen anstrengen. Die NGO 'Komitee zur Verhinderung von Folter' arbeitet mit den Sicherheitsbehörden in Dagestan im Rahmen des Strafvollzugs zusammen (AA 2.2.2021). Gemeinnützige Stiftungen sind in Dagestan der am weitesten entwickelte Teil der Zivilgesellschaft. Dies sind die stärksten, stabilsten und zahlreichsten NGOs in der Republik und umfassen Stiftungen wie 'Hope and Pure Heart'. Diese Organisationen sind äußerst professionell, verfügen über gut entwickelte IT-Plattformen und verwenden eine gemeinsam nutzbare Datenbank aller Bedürftigen in Dagestan, Tschetschenien und Inguschetien. Die Zielgruppen ihrer Aktivitäten sind alleinerziehende Mütter, Waisen und Senioren, die alleine leben. Da sie sich nicht mit politischen und bürgerrechtlichen Themen befassen, passt ihre Tätigkeit in den aktuellen politischen Kontext und die konservative Wertebasis und wird von den Behörden nicht kontrolliert. Dagestan hat die am weitesten entwickelte, vielfältigste und unabhängigste Zivilgesellschaft der drei nordkaukasischen Republiken (Tschetschenien, Inguschetien, Dagestan). Dagestan unterliegt nicht der erhöhten staatlichen Kontrolle und dem Druck Tschetscheniens oder dem Konservativismus und der traditionellen Lebensweise Inguschetiens. Stattdessen gibt es viele verschiedene Gruppen, die sich aktiv für ihre zivilgesellschaftlichen Positionen einsetzen. Dagestan ist auch die erste Region, die die Umwelt aktiv auf die öffentliche Tagesordnung setzt. Aufgrund regelmäßiger Machtwechsel auf Republiks- und lokaler Ebene hat sich in Dagestan kein ausschließliches Zentrum gebildet, das Unterdrückung und Kontrolle über NGOs und Basisinitiativen ausüben würde (CSIS 1.2020).
Unbestrafte und nicht untersuchte, grobe Menschenrechtsverletzungen und Druck auf Menschenrechtsorganisationen haben die Möglichkeiten für die Zivilgesellschaft in Tschetschenien stark eingeschränkt. Trotzdem konnten viele lokale NGOs dem Druck standhalten und sich an die neuen Regeln anpassen. Die Popularität von gemeinnützigen Aktivitäten und sozialen Projekten zur Unterstützung von einkommensschwachen und schutzbedürftigen Gruppen wächst, ebenso die Anzahl sozialer Initiativen für Kinder und Jugendliche. Auch das Thema Menschen mit Beeinträchtigungen wird de-stigmatisiert. Ein weiterer wichtiger positiver Trend ist, dass immer mehr junge Menschen an Freiwilligenarbeit interessiert sind. Die Reduzierung der Auslandsfinanzierung (nach Angaben des Justizministeriums erhalten derzeit nur 16 NGOs in Tschetschenien Geld aus dem Ausland) wird teilweise durch das Programm der Präsidentenzuschüsse kompensiert, von dem mehrere lokale NGOs profitieren. Insbesondere die Abteilungen für öffentliche Angelegenheiten und religiöse Organisationen arbeiten im Rahmen des Zuschussprogramms des Präsidenten eng zusammen (CSIS 1.2020).
Die NGO Memorial zählte Ende 2020 349 Menschen als politische (61) oder religiöse Gefangene (288). Darunter waren Teilnehmer der Moskauer Wahlproteste 2019, Menschenrechtsaktivisten und Anwälte ethnischer Minderheiten (FH 3.3.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation,https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 12.4.2021
AI - Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage 2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2038587.html , Zugriff 12.4.2021
Arte.tv (29.12.2021): Russische Justiz ordnet Auflösung der Menschenrechtsorganisation Memorial an, https://www.arte.tv/de/afp/neuigkeiten/russische-justiz-ordnet-aufloesung-der-menschenrechtsorganisation-memorial , Zugriff 29.12.2021
BTI - Bertelsmann Transformation Index (2020): BTI 2020 Country Report – Russia, https://bti-project.org/de/berichte/country-dashboard-RUS.html , Zugriff 12.4.2021
CSIS - Center for Strategic and International Studies (1.2020): Civil Society in the North Caucasus, https://csis-prod.s3.amazonaws.com/s3fs-public/publication/200124_North_Caucasus.pdf?jRQ1tgMAXDNlViIbws_LnEIEGLZPjfyX , Zugriff 12.4.2021
FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (10.4.2022): Russland schließt weitere NGOs und Stiftungen, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/ukraine-krieg-russland-schliesst-weitere-ngos-und-stiftungen-17949529.html , Zugriff 20.4.2022
FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 12.4.2021
HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 12.4.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 29.9.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_%C3%96B_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 12.4.2021
Standard Online (25.11.2021): Russlands wichtigste Menschenrechts-NGO steht vor der Schließung, https://www.derstandard.at/story/2000131442463/russische-ngo-steht-vor-der-schliessung , Zugriff 29.12.2021
Standard Online (3.12.2019): Putin billigt Gesetz zu Journalisten als 'ausländische Agenten', https://apps.derstandard.at/privacywall/story/2000111799282/putin-billigt-gesetz-zu-journalisten-als-auslaendische-agenten , Zugriff 12.4.2021
Tagesschau.de (28.12.2021): Empörung über Auflösung von Memorial, https://www.tagesschau.de/ausland/russland/memorial-russland-aufloesung-103.html , Zugriff 29.12.2021
Ombudsperson
Letzte Änderung: 28.05.2021
Für die Russische Föderation gibt es wie für jedes der Föderationssubjekte einen Menschenrechtsbeauftragten [Ombudsperson]. Die Amtsinhaberin Tatjana Moskalkowa (seit 2016), ehemalige Generalmajorin der Polizei, geht nicht ausreichend gegen die wichtigsten Fälle der Verletzung von Menschenrechten, insbesondere den Missbrauch staatlicher Macht, vor. In ihrem Jahresbericht vom April 2020 gibt sie gleichwohl an, dass die meisten Beschwerden das Verhalten von Polizei und Justiz betreffen. Andere wichtige Beschwerdegründe waren die Nicht-Genehmigung von Versammlungen und – mit großem Abstand – die Behandlung von Häftlingen (AA 2.2.2021). Die Effektivität der regionalen Ombudspersonen variiert erheblich, und lokale Behörden unterminieren manchmal die Unabhängigkeit (US DOS 11.3.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 26.3.2021
US DOS – United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff 26.3.2021
Wehrdienst und Rekrutierungen
Letzte Änderung: 02.02.2023
Gemäß § 22 des föderalen Gesetzes 'Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst' unterliegen männliche russische Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 27 Jahren der Einberufung zum Wehrdienst (RF 24.9.2022). Die Pflichtdienstzeit beträgt ein Jahr. Der Staatspräsident legt jährlich fest, wie viele der Stellungspflichtigen tatsächlich zum Wehrdienst eingezogen werden. In der Regel liegt die Quote bei etwa einem Drittel der jährlich ins wehrdienstpflichtige Alter kommenden jungen Männer. Über die regionale Aufteilung der Wehrpflichtigen entscheidet das Verteidigungsministerium (ÖB 30.6.2022). Es gibt in Russland zweimal jährlich eine Stellung. Im Frühling 2022 wurden russlandweit 134.500 Wehrpflichtige zum Militärdienst eingezogen. Ein Jahr zuvor waren 134.650 Personen eingezogen worden (Spiegel 31.3.2022). Für Herbst 2022 wurden 120.000 Wehrpflichtige zum Militärdienst eingezogen (Kreml 30.9.2022). Die Anzahl der aus Tschetschenien Einberufenen ist relativ gering, im Durchschnitt 500 Einberufene pro Einberufungsperiode (ÖB 25.1.2023). Die Zustellung von Einberufungsbefehlen hat gemäß § 31.2 des Gesetzes 'Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst' persönlich zu erfolgen (RF 24.9.2022; vgl. ÖB 9.1.2023).
Staatsangehörige, die aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Wehrdienst geeignet sind, werden als 'untauglich' von der Dienstpflicht befreit. Darüber hinaus kann ein Antrag auf Aufschub des Wehrdienstes gestellt werden, etwa durch Personen, welche ein Studium absolvieren oder einen nahen Verwandten pflegen müssen, oder durch Väter mehrerer Kinder. Auch Angehörige bestimmter Berufsgruppen können einen Aufschub des Wehrdienstes beantragen. Die Ableistung des Grundwehrdienstes ist Voraussetzung für bestimmte (v. a. staatliche) berufliche Laufbahnen (ÖB 30.6.2022).
Ab einem Alter von 16 Jahren ist der freiwillige Besuch einer Militärschule möglich (EBCO 21.3.2022). Frauen dürfen freiwillig Militärdienst leisten (CIA 24.1.2023). Nach dem Grundwehrdienst gibt es die Möglichkeit, freiwillig auf Basis eines Vertrags in der Armee zu dienen (ÖB 30.6.2022). Seit mehreren Jahren sind Bemühungen im Gang, die Armee in Richtung eines Berufsheeres umzugestalten (ISW 5.3.2022; vgl. SWP 7.12.2022, GS o.D.). Wie viele Zeit- bzw. Vertragssoldaten (Kontraktniki) es aktuell in Russland gibt, ist unklar (BBC 14.4.2022). Für 2020 wurde deren Anzahl offiziell mit 405.000 angegeben (SWP 7.12.2022). Damals plante man eine Aufstockung auf 500.000 Vertragssoldaten (BBC 14.4.2022). Bislang kamen als Vertragssoldaten russische Staatsbürger im Alter von 18-40 Jahren sowie Ausländer zwischen 18 und 30 Jahren infrage. Im Mai 2022 wurden diese Altersgrenzen bis zum Pensionsalter angehoben (Duma 25.5.2022; vgl. NZZ 25.5.2022).
Im Militärbereich ist Korruption weitverbreitet (USDOS 12.4.2022; vgl. SWP 7.12.2022). 2015 wurden die Aufgaben der Militärpolizei erheblich erweitert. Seitdem zählt hierzu ausdrücklich die Bekämpfung der Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte aller Dienstgrade sowie von Diebstählen innerhalb der Streitkräfte. Auch die sogenannte Dedowschtschina ('Herrschaft der Großväter') – ein System der Erniedrigung bis hin zur Vergewaltigung von sich ausgeliefert fühlenden Rekruten durch dienstältere Mannschaften in Verbindung mit abgelegenen Standorten und kein Ausgang bzw. kaum Urlaub - dürfte eine maßgebliche Ursache sein (AA 28.9.2022). Es ist zu vermuten, dass es nach wie vor zu Delikten kommt, jedoch nicht mehr in dem Ausmaß wie in der Vergangenheit (AA 28.9.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). NGOs gehen von Hunderten Gewaltverbrechen pro Jahr im Heer aus. Laut Menschenrechtsvertretern existiert Gewalt in den Kasernen zumindest in bestimmten Militäreinheiten als System und wird von den Befehlshabenden unterstützt bzw. geduldet (ÖB 30.6.2022). Gemäß einer Liste, welche der Föderale Sicherheitsdienst (FSB) im September 2021 veröffentlichte, werden Personen, die auf Straftaten in der Armee aufmerksam machen, als 'ausländische Agenten' eingestuft (AI 29.3.2022). Die Diskreditierung der Armee ist gemäß § 280.3 des Strafgesetzbuches strafbar (RF 29.12.2022a). Für Strafverfahren gegen Militärangehörige sind Militärgerichte zuständig, welche in die zivile Gerichtsbarkeit eingegliedert sind. Freiheitsstrafen wegen Militärvergehen sind ebenso wie übliche Freiheitsstrafen in Haftanstalten oder Arbeitskolonien zu verbüßen. Militärangehörige können jedoch bis zu zwei Jahre in Strafbataillone, die in der Regel zu Schwerstarbeit eingesetzt werden, abkommandiert werden (AA 28.9.2022).
Gemäß einem präsidentiellen Erlass vom 25.8.2022 ist mit 1.1.2023 die russische Armee auf einen Personalstand von 2.039.758 Bediensteten aufgestockt worden, davon 1.150.628 Militärbedienstete und der Rest Zivilpersonal wie Verwaltungsangestellte usw. (RI 25.8.2022; vgl. ORF 25.8.2022). Für den Zeitraum 2023-2026 ist eine Erhöhung der Anzahl der Militärbediensteten auf 1,5 Millionen geplant (Iswestija 17.1.2023). Im Jahr 2021 betrugen die Militärausgaben 4,1 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) (SIPRI o.D.). Gemäß Art. 87 der Verfassung ist der Präsident der Russischen Föderation Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Duma 6.10.2022).
Mobilmachung / Ukraine-Krieg
Gemäß rechtlicher Vorgaben müssen Wehrpflichtige eine mindestens viermonatige Ausbildung absolviert haben, um zu Kampfeinsätzen im Ausland entsandt werden zu können. Jedoch zu Kriegszeiten oder im Falle der Ausrufung des Kriegsrechts ist es möglich, Wehrpflichtige früher heranzuziehen. Innerhalb Russlands dürfen Wehrpflichtige sofort (auch unausgebildet) herangezogen werden (ISW 30.10.2022). Aktuell gibt es keine Hinweise auf eine Teilnahme Wehrpflichtiger an Kampfhandlungen in der Ukraine (EUAA 16.12.2022; vgl. ÖB 8.11.2022, ÖB 25.1.2023). Wehrpflichtige werden allerdings in Grenzregionen verbracht (beispielsweise nach Belgorod, Kursk, Brjansk, Rostow und Krasnodar) sowie auf die von Russland besetzte Krim (EUAA 16.12.2022). Es gab Berichte über Wehrpflichtige, welche unter Druck gesetzt wurden, ihre Dienstzeit durch Freiwilligenverträge zu verlängern (RFE/RL 14.7.2022).
Alle russischen Regionen wurden angewiesen, Freiwilligenbataillone für den Einsatz in der Ukraine zusammenzustellen (ÖB 30.6.2022). Mit der Rekrutierung Freiwilliger wurde im Juli/August 2022 begonnen. Das Verteidigungsministerium rekrutiert seit September 2022 Strafgefangene. Diesen wurden als Gegenleistung für einen Kampfeinsatz Geld und frühzeitige Entlassung aus dem Gefängnis angeboten (EUAA 16.12.2022).
Gemäß dem präsidentiellen Erlass (Ukas) vom 21.9.2022 werden mobilisierte Staatsbürger Vertragssoldaten gleichgestellt, auch hinsichtlich der Besoldung. Der Erlass enthält keine Angaben zur Anzahl der einzuberufenden Staatsbürger. [Anzumerken ist auch, dass der Punkt 7 des Erlasses nicht veröffentlicht wurde und dem 'Dienstgebrauch' dient. Sein Inhalt ist unbekannt. - Anm. der Staatendokumentation] Die Umsetzung der Mobilmachung obliegt den Regionen. Ausgenommen von der Mobilmachung sind gemäß dem Erlass ältere Personen, Personen, die wegen ihres Gesundheitszustands als untauglich eingestuft werden (RI 21.9.2022), außerdem Mitarbeiter im Banken- und Mobilfunksektor, IT-Bereich sowie Mitarbeiter von Massenmedien (Kommersant 23.9.2022). Ein Einberufungsaufschub gilt für Staatsbürger, welche im Verteidigungsindustriesektor arbeiten (RI 21.9.2022). Folgende Personengruppen sind ebenfalls von der Mobilmachung ausgenommen: pflegende Angehörige; Betreuer von Personen mit Behinderungen; kinderreiche Familien; Personen, deren Mütter alleinerziehend sind und mindestens vier Kinder unter acht Jahren haben; pensionierte Veteranen, welche nicht mehr im Militärregister aufscheinen; sowie Personen, welche nicht in Russland leben und nicht im Militärregister aufscheinen (Meduza 22.9.2022). Der Kreml räumte Fehler bei der Umsetzung der Teilmobilmachung ein. So wurden Personen einberufen, welche eigentlich von der Mobilmachung ausgenommen sind, beispielsweise Krebskranke (Kommersant 26.9.2022). Die Teilmobilmachung führte in Russland zu Protesten, Festnahmen (OWD-Info o.D.; vgl. Standard 22.9.2022) sowie zu einer Ausreisebewegung (WP 28.9.2022). Es wird berichtet, dass seit Verkündung der Teilmobilmachung Hunderttausende Männer Russland verließen (DW 6.10.2022). Bürger, welche im Militärregister aufscheinen, dürfen ab Verkündung einer Mobilmachung ihren Wohnort nur mit behördlicher Erlaubnis verlassen (§ 21 des Gesetzes 'Über die Mobilisierungsvorbereitung und die Mobilisierung in der Russischen Föderation') (RF 4.11.2022). Seit Kriegsbeginn bieten NGOs juristische Beratung für Grundwehrdiener und Soldaten an (ÖB 30.6.2022).
Am 28.10.2022 vermeldete der Verteidigungsminister an Präsident Putin den Abschluss der oben beschriebenen Teilmobilmachung (Tass 28.10.2022). Am 31.10.2022 bestätigte Putin mündlich das Ende der Teilmobilmachung (Kreml 31.10.2022). Gemäß einer schriftlichen Mitteilung der russischen Präsidialverwaltung vom Jänner 2023 ist der präsidentielle Erlass zur Einleitung der Teilmobilmachung (21.9.2022) nach wie vor in Kraft (ISW 20.1.2023; vgl. ÖB 25.1.2023). Im Rahmen der Teilmobilmachung wurden nach offiziellen Angaben 300.000 Reservisten einberufen (RG 21.9.2022). Als Reservist gilt jede männliche und weibliche Person, die ein Militärbuch besitzt (ÖB 19.10.2022). Prinzipiell erhalten alle Personen, welche den Wehrdienst abgeleistet haben, ein Militärbuch. Es häufen sich aber Aussagen, dass immer mehr Männer, die nie gedient haben, mit Vollendung des 25. Lebensjahres ein Militärbuch erhalten. Dieses besagt dann jedoch, dass sie nie dienten und daher auch nicht zur Reserve zählen (ÖB 25.1.2023). Ethnische Minderheiten aus weniger wohlhabenden Regionen waren überproportional von der Mobilisierungswelle betroffen (Standard 28.9.2022; vgl. ISW 17.10.2022). Es gibt Hinweise darauf, dass derzeit eine verdeckte Mobilisierung (im Gegensatz zu einer Massenmobilisierung) stattfindet. Beispielsweise gibt es Fälle von Personen, welche zu militärischen Schulungen einberufen werden (ISW 20.1.2023). Gemäß einer russischen Quelle werden derzeit Studierende an mehreren russischen Universitäten von den dortigen Mobilisierungsabteilungen aufgefordert, ihre Militärregistrierungsdaten offenzulegen (ISW 30.1.2023). Außerdem ermöglicht eine gesetzliche Neuregelung vom November 2022 die Mobilisierung von Schwerverbrechern. Davon ausgenommen sind u. a. Terroristen, Spione sowie Personen, die Minderjährige sexuell missbrauchten (RIA 4.11.2022; vgl. RF 4.11.2022).
Zu den Kämpfern in der Ukraine zählt u. a. die russische Söldner-Gruppe 'Wagner' (Deutschlandfunk 27.7.2022). Private Militärfirmen wie 'Wagner' sind formal illegal (SWP 7.12.2022). Auch syrische Söldner wurden zur Unterstützung Russlands für den Kampf in der Ukraine rekrutiert (Rat 22.7.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf , Zugriff 6.10.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Russland 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070266.html , Zugriff 28.7.2022
BBC – British Broadcasting Corporation (14.4.2022): 'Вы едете туда, где стреляют'. В России массово ищут военных-контрактников для отправки в Украину ['Ihr fahrt dorthin, wo geschossen wird'. In Russland werden massenhaft Vertragssoldaten für Entsendung in die Ukraine gesucht], https://www.bbc.com/russian/features-61101195 , Zugriff 13.7.2022
CIA – Central Intelligence Agency [USA] (24.1.2023): The World Factbook: Russia, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/russia/ , Zugriff 30.1.2023
Deutschlandfunk (27.7.2022): 'Wagner'-Söldner rücken offenbar im Donbass vor, https://www.deutschlandfunk.de/wagner-soeldner-ruecken-offenbar-im-donbass-vor-102.html , Zugriff 27.7.2022
Duma [Russland] (6.10.2022): Конституция РФ с изменениями 2022 года [Verfassung der RF mit den Änderungen des Jahres 2022], http://duma.gov.ru/news/55446/ , Zugriff 10.1.2023
Duma [Russland] (25.5.2022): Отменен верхний возрастной предел для желающих служить в армии по контракту [Obere Altersgrenze für Vertragssoldaten gekippt], http://duma.gov.ru/news/54395/ , Zugriff 13.7.2022
DW – Deutsche Welle (6.10.2022): Warum Mütter russischer Kriegsdienstverweigerer schweigen, https://www.dw.com/de/warum-m%C3%BCtter-russischer-kriegsdienstverweigerer-schweigen/a-63346061 , Zugriff 2.11.2022
EBCO – European Bureau for Conscientious Objection (21.3.2022): Annual Report on Conscientious Objection to Military Service in Europe 2021, https://ebco-beoc.org/sites/ebco-beoc.org/files/attachments/2022-03-21-EBCO_Annual_Report_2021.pdf , Zugriff 27.7.2022
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Iswestija (17.1.2023): Шойгу провел совещание по вопросам увеличения численности ВС РФ. Главное [Schojgu hielt Besprechung ab hinsichtlich Fragen der zahlenmäßigen Aufstockung der Streitkräfte der Russischen Föderation. Das Wichtigste], https://iz.ru/1455730/2023-01-17/shoigu-provel-soveshchanie-po-voprosam-uvelicheniia-chislennosti-vs-rf-glavnoe , Zugriff 23.1.2023
Kommersant (26.9.2022): Кремль рассчитывает на более активное устранение ошибок при мобилизации [Kreml hofft auf aktivere Beseitigung von Fehlern bei der Mobilmachung], https://www.kommersant.ru/doc/5581793 , Zugriff 29.9.2022
Kommersant (23.9.2022): Глава Минцифры поддержал отсрочку для сотрудников СМИ и IT-специалистов [Leiter des Ministeriums für digitale Entwicklung unterstützte Aufschub für Mitarbeiter im Bereich Massenmedien und für IT-Spezialisten], https://www.kommersant.ru/doc/5580490 , Zugriff 29.9.2022
Kreml [Russland] (31.10.2022): Ответы на вопросы журналистов [Antworten auf Fragen von Journalisten], http://kremlin.ru/events/president/news/69730 , Zugriff 31.1.2023
Kreml [Russland] (30.9.2022): Указ Президента Российской Федерации 'О призыве в ноябре – декабре 2022 г. граждан Российской Федерации на военную службу и об увольнении с военной службы граждан, проходящих военную службу по призыву' - № 691 [Erlass (Ukas) des Präsidenten der Russischen Föderation 'Über die Einberufung im November-Dezember 2022 von Bürgern der Russischen Föderation zum Militärdienst und über die Entlassung aus dem Militärdienst derjenigen Bürger, die nach der Einberufung den Militärdienst absolvieren'], http://static.kremlin.ru/media/events/files/ru/FbyhY9pFCCg5NNmdIjOVR3I9NyBvoOmn.pdf , Zugriff 2.11.2022
KU – Kawkasskij Usel (24.1.2023): Кадыров отчитался об отправке группы добровольцев в зону военной операции [Kadyrow informierte über Abreise einer Freiwilligengruppe in die Zone der Militäroperation], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/385250/ , Zugriff 30.1.2023
KU – Kawkasskij Usel (1.1.2023a): Чеченский контрактник осужден за оставление части [Tschetschenischer Vertragssoldat verurteilt wegen Verlassens der Truppe], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/384551 , Zugriff 25.1.2023
KU – Kawkasskij Usel (1.1.2023b): Кадыров отчитался об отправке на Украину очередной группы добровольцев [Kadyrow informierte wieder einmal über Abreise einer Freiwilligengruppe in die Ukraine], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/384555/ , Zugriff 16.1.2023
KU – Kawkasskij Usel (23.9.2022): Кадыров отменил мобилизацию в Чечне [Kadyrow sprach sich gegen Mobilisierung in Tschetschenien aus], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/381404/ , Zugriff 16.1.2023
KU – Kawkasskij Usel (25.8.2022): Кадыров приказал лишить соцпомощи семьи отказавшихся от службы [Kadyrow befahl Streichung von Sozialleistungen für Familien, welche den Dienst verweigern], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/380463/ , Zugriff 16.1.2023
KU – Kawkasskij Usel (17.7.2022): Набор в чеченские батальоны объявлен на фоне угроз Кадырова адом за отказ ехать на Украину [Anwerbung in tschetschenische Bataillone verkündet - Kadyrow droht jenen mit der Hölle, die nicht in die Ukraine wollen], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/379227/ , Zugriff 27.7.2022
Meduza (22.9.2022): Russia's not-so-partial 'partial mobilization' - More details emerge about the Kremlin’s draft, https://meduza.io/en/feature/2022/09/22/russia-s-partial-mobilization-continues-to-look-less-partial , Zugriff 7.10.2022
NZZ – Neue Zürcher Zeitung (25.5.2022): Russland braucht mehr Soldaten – nun sollen bis zu 65-Jährige dem Militär beitreten, https://www.nzz.ch/international/ukraine-krieg-russland-braucht-mehr-soldatenukraine-krieg-russland-braucht-mehr-soldaten-ld.1685894?reduced=true , Zugriff 13.7.2022
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (25.1.2023): Auskunft der Botschaft, per E-Mail
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (9.1.2023): Auskunft der Botschaft, per E-Mail
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (8.11.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (19.10.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf , Zugriff 10.1.2023
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (17.5.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail
ORF – Österreichischer Rundfunk (25.8.2022): Putin ordnet Vergrößerung der russischen Armee an, https://orf.at/stories/3282548/ , Zugriff 26.8.2022
OWD-Info (o.D.): 1310 задержаний на акциях против мобилизации 21 сентября 2022 [1310 Festnahmen bei Aktionen gegen die Mobilmachung am 21. September 2022], https://ovdinfo.org/ , Zugriff 22.9.2022
Rat – Rat der Europäischen Union (22.7.2022): Aggression Russlands gegen die Ukraine: EU verhängt Sanktionen gegen weitere 54 Personen und 10 Organisationen, https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2022/07/22/russia-s-aggression-against-ukraine-the-eu-targets-additional-54-individuals-and-10-entities/ , Zugriff 27.7.2022
RF – Russische Föderation [Russland] (29.12.2022a): "Уголовный кодекс Российской Федерации" от 13.06.1996 N 63-ФЗ (ред. от 29.12.2022) ['Strafgesetzbuch der Russischen Föderation' vom 13.06.1996 N 63-ФЗ (idF vom 29.12.2022)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_10699/ , Zugriff 10.1.2023
RF – Russische Föderation [Russland] (4.11.2022): Федеральный закон "О мобилизационной подготовке и мобилизации в Российской Федерации" от 26.02.1997 N 31-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über die Mobilisierungsvorbereitung und die Mobilisierung in der Russischen Föderation' vom 26.02.1997 N 31-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_13454/ , Zugriff 13.1.2023
RF – Russische Föderation [Russland] (24.9.2022): Федеральный закон "О воинской обязанности и военной службе" от 28.03.1998 N 53-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst' vom 28.03.1998 N 53-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_18260/ , Zugriff 10.1.2023
RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (10.11.2022): Authorities In Chechnya Use Aggressive Shaming To Boost Number Of Volunteers For Russia's Ukraine War, https://www.rferl.org/a/russia-chechnya-ukraine-war-recruitment-kadyrov-shaming/32124093.html , Zugriff 25.1.2023
RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (14.7.2022): 'The Orchestra Needs Musicians': Behind The Covert Mobilization To Reinforce Russian Troops In Ukraine, https://www.rferl.org/a/covert-mobilization-reinforce-russian-troops-ukraine/31943783.html , Zugriff 28.7.2022
RG – Rossijskaja Gaseta [Russland] (21.9.2022): Шойгу: В рамках мобилизации будут призваны 300 тысяч резервистов [Schojgu: Im Rahmen der Mobilmachung werden 300.000 Reservisten einberufen werden], https://rg.ru/2022/09/21/shojgu-v-ramkah-mobilizacii-budut-prizvany-300-tysiach-rezervistov.html , Zugriff 22.9.2022
RI – Rechtsinformationen [Russland] (21.9.2022): Указ Президента Российской Федерации 'Об объявлении частичной мобилизации в Российской Федерации' [Erlass (Ukas) des Präsidenten der Russischen Föderation 'Über die Verkündung der Teilmobilmachung in der Russischen Föderation'] (№ 647), http://publication.pravo.gov.ru/File/GetFile/0001202209210001?type=pdf , Zugriff 21.9.2022
RI – Rechtsinformationen [Russland] (25.8.2022): Указ Президента Российской Федерации 'Об установлении штатной численности Вооруженных Сил Российской Федерации' - № 575 [Erlass des Präsidenten der Russischen Föderation 'Über die Festlegung der Planstellenanzahl der Streitkräfte der Russischen Föderation'], http://publication.pravo.gov.ru/File/GetFile/0001202208250004?type=pdf , Zugriff 26.8.2022
RIA (4.11.2022): Путин подписал закон, позволяющий призывать граждан с неснятой судимостью [Putin unterzeichnete Gesetz zur Einberufung von Bürgern mit nicht erlassener Vorstrafe], https://ria.ru/20221104/mobilizatsiya-1829219710.html , Zugriff 24.1.2023
SIPRI – Stockholm International Peace Research Institute (o.D.): SIPRI Military Expenditure Database, https://milex.sipri.org/sipri , Zugriff 22.7.2022
Spiegel (31.3.2022): Krieg in der Ukraine: Russland beruft 134.500 Wehrpflichtige ein, https://www.spiegel.de/ausland/russland-beruft-134-500-wehrpflichtige-ein-a-55c10dfe-8846-4d77-a674-8ccb79108f82 , Zugriff 13.7.2022
Standard, Der (28.9.2022): Widerstand gegen Rekrutierung in russischer Republik Dagestan, https://www.derstandard.at/story/2000139477516/widerstand-gegen-rekrutierung-in-dagestan , Zugriff 2.11.2022
Standard, Der (22.9.2022): EU-Minister wollen weitere Sanktionen gegen Russland ausarbeiten, https://www.derstandard.at/jetzt/livebericht/2000139300207/eu-minister-einigen-sich-auf-verschaerfung-der-russland-sanktionenatomenergiebehoerde-fuehrt?responsive=false , Zugriff 22.9.2022
SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik / Margarete Klein, Nils Holger Schreiber (7.12.2022): SWP-Aktuell (Nr. 76): Der Angriff auf die Ukraine und die Militarisierung der russischen Außen- und Innenpolitik, https://www.swp-berlin.org/10.18449/2022A76/ , Zugriff 30.1.2023
Tass [Russland] (28.10.2022): Частичная мобилизация в России: 300 тыс. за 37 дней. Шойгу доложил Путину о завершении частичной мобилизации [Teilmobilmachung in Russland: 300.000 in 37 Tagen: Schojgu vermeldete an Putin Ende der Teilmobilmachung], https://tass.ru/armiya-i-opk/16189289 , Zugriff 2.11.2022
USDOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071123.html , Zugriff 20.7.2022
WP – Washington Post, The (28.9.2022): The Russian men fleeing mobilization, and leaving everything behind, https://www.washingtonpost.com/world/2022/09/28/russia-turkey-partial-mobilization-ukraine/ , Zugriff 4.10.2022
Wehrersatzdienst
Letzte Änderung: 02.02.2023
Das Recht auf einen zivilen Ersatzdienst (Zivildienst) aus Gewissens-, religiösen oder anderen Gründen wird durch Art. 59 der Verfassung garantiert (Duma 6.10.2022). Eine gesetzliche Grundlage stellt das Föderale Gesetz 'Über den alternativen Zivildienst' dar (RF 31.7.2020). Ein alternativer Zivildienst kann abgeleistet werden, falls der Wehrdienst gegen die persönliche (politische, pazifistische) Überzeugung bzw. Glaubensvorschriften einer Person spricht, oder falls diese Person zu einem indigenen Volk gehört, dessen traditionelle Lebensweise dem Wehrdienst widerspricht (ÖB 30.6.2022). Die Zivildienstzeit beträgt 18 Monate als ziviles Personal bei den russischen Streitkräften bzw. 21 Monate in anderen staatlichen Einrichtungen, wie beispielsweise Kliniken oder Feuerwehr (ÖB 30.6.2022; vgl. AA 28.9.2022). Jährlich wird eine Liste an Tätigkeiten, Berufen und Organisationen erstellt, in welchen die Ableistung eines alternativen Zivildiensts möglich ist (FAAB o.D.).
Anträge auf Ableistung des alternativen Zivildiensts sind beim Militärkommissariat spätestens sechs Monate vor den jährlichen Einberufungsterminen zu stellen und müssen eine Begründung enthalten (§ 11 des Gesetzes 'Über den alternativen Zivildienst'). Die Anträge werden laut § 10 von der Einberufungskommission geprüft (RF 31.7.2020). Wer bereits den Wehrdienst ableistet, darf keinen Antrag mehr auf Ableistung eines Wehrersatzdienstes stellen. Jährlich werden in etwa 2.000 Anträge auf Wehrersatzdienst gestellt, wovon geschätzt die Hälfte positiv beschieden wird (EUAA 16.12.2022). Zeugen Jehovas sind von Ablehnungen ihrer Anträge betroffen (NL-MFA 4.2021; vgl. WHJW 21.3.2022). Lehnt die Einberufungskommission den Antrag einer Person auf Ableistung des Zivildiensts ab, kann diese Entscheidung gerichtlich angefochten werden (§ 15 des Gesetzes 'Über den alternativen Zivildienst') (RF 31.7.2020). Mit Stand August 2022 absolvierten laut Angaben des Föderalen Amts für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) 1.166 russische Staatsbürger einen alternativen Zivildienst (FAAB 1.8.2022). Die Verweigerung der Ableistung des Zivildiensts zieht gemäß § 328 des Strafgesetzbuches folgende Strafen nach sich: Geldstrafen von bis zu RUB 80.000 [ca. EUR 1.038] oder in der Höhe von bis zu sechs Monatseinkommen, bis zu 480 Stunden Pflichttätigkeiten oder Arrest von bis zu sechs Monaten (RF 29.12.2022a).
Bei Verkündung einer Mobilmachung ist die Fortsetzung des zivilen Ersatzdienstes in Einrichtungen der russischen Streitkräfte sowie in anderen militärischen Einrichtungen gestattet. Staatsbürger, welche zu Zeiten einer Mobilmachung den zivilen Ersatzdienst in nichtmilitärischen Einrichtungen absolvieren, können als ziviles Personal in Einrichtungen der russischen Streitkräfte sowie in anderen militärischen Einrichtungen zum Einsatz kommen (§ 17.1 des Gesetzes 'Über die Mobilisierungsvorbereitung und die Mobilisierung in der Russischen Föderation') (RF 4.11.2022). Denjenigen Personen, welche [bereits] einen Einberufungsbefehl zur Mobilisierung erhalten haben, wurde nicht die Möglichkeit eines Wehrersatzdienstes eingeräumt (EUAA 16.12.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf , Zugriff 6.10.2022
Duma [Russland] (6.10.2022): Конституция РФ с изменениями 2022 года [Verfassung der RF mit den Änderungen des Jahres 2022], http://duma.gov.ru/news/55446/ , Zugriff 10.1.2023
EUAA – European Union Agency for Asylum (16.12.2022): The Russian Federation - Military service, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/publications/2022-12/2022_EUAA_COI_Russia_Military_Service.pdf , Zugriff 13.1.2023
FAAB – Föderales Amt für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) [Russland] (1.8.2022): Численность граждан, проходящих альтернативную гражданскую службу (по состоянию на 01.08.2022г.) [Anzahl von Bürgern, die alternativen Zivildienst leisten], https://rostrud.gov.ru/upload/iblock/b27/chislennost-na-01.08.2022-g.doc , Zugriff 2.11.2022
FAAB – Föderales Amt für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) [Russland] (o.D.): Альтернативная гражданская служба [Alternativer Zivildienst], https://rostrud.gov.ru/rostrud/deyatelnost/?CAT_ID=4580 , Zugriff 27.1.2023
NL-MFA – Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (4.2021): Country of origin information report for the Russian Federation, https://www.government.nl/binaries/government/documenten/reports/2021/04/12/general-country-of-origin-information-report-for-the-russian-federation-april-2021/General+Country+of+Origin+Information+Report+for+the+Russian+Federation+%28April+2021%29.pdf , Zugriff 27.7.2022
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf , Zugriff 10.1.2023
RF – Russische Föderation (29.12.2022a): "Уголовный кодекс Российской Федерации" от 13.06.1996 N 63-ФЗ (ред. от 29.12.2022) ['Strafgesetzbuch der Russischen Föderation' vom 13.06.1996 N 63-ФЗ (idF vom 29.12.2022)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_10699/ , Zugriff 10.1.2023
RF – Russische Föderation (4.11.2022): Федеральный закон "О мобилизационной подготовке и мобилизации в Российской Федерации" от 26.02.1997 N 31-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über die Mobilisierungsvorbereitung und die Mobilisierung in der Russischen Föderation' vom 26.02.1997 N 31-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_13454/ , Zugriff 13.1.2023
RF – Russische Föderation (31.7.2020): Федеральный закон "Об альтернативной гражданской службе" от 25.07.2002 N 113-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über den alternativen Zivildienst' vom 25.07.2002 N 113-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_37866/ , Zugriff 10.1.2023
WHJW – World Headquarters of Jehovah’s Witnesses / Office of Public Information (21.3.2022): INFORMATION ON CONSCIENTIOUS OBJECTION TO MILITARY SERVICE INVOLVING JEHOVAH’S WITNESSES - CONTRIBUTION FOR THE OHCHR QUADRENNIAL ANALYTICAL REPORT ON CONSCIENTIOUS OBJECTION TO MILITARY SERVICE, https://www.ohchr.org/sites/default/files/2022-05/OPIJW-HRC50.pdf , Zugriff 13.1.2023
Desertion/Wehrdienstverweigerung
Letzte Änderung: 02.02.2023
Desertion:
Gemäß § 338 StGB (Strafgesetzbuch) bedeutet Desertion das eigenmächtige Verlassen der militärischen Einheit oder des Dienstorts mit dem Ziel, dem Wehrdienst zu entgehen. Desertion wird laut § 338 mit einer Freiheitsstrafe von bis zu sieben Jahren geahndet. Ersttäter können sich der strafrechtlichen Verantwortung entziehen, wenn die Desertion Folge schwieriger Umstände war. Desertion mit einer Waffe sowie Desertion in einer Personengruppe werden mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren geahndet. Desertion während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, während bewaffneter Konflikte oder während Kampfhandlungen zieht eine Freiheitsstrafe von fünf bis fünfzehn Jahren nach sich (RF 29.12.2022a). In Bezug auf den Ukraine-Krieg vermeidet Russland den Begriff Krieg und spricht stattdessen von einer 'militärischen Spezialoperation' (RFE/RL 22.8.2022). Je länger eine Desertion zurückliegt, desto unwahrscheinlicher scheint eine Bestrafung. Deserteure während des Zweiten Weltkriegs, welche sich zwischen 1962 und 1995 stellten, gingen in bestimmten Fällen straffrei aus. Hingegen wurden beispielsweise Soldaten, die 1995 bzw. 2008 desertierten, später von Gerichten gemäß § 338 StGB zu Haftstrafen von zwei bzw. drei Jahren verurteilt. Um als Desertion im Sinne des Strafgesetzbuches gelten zu können, ist Vorsatz erforderlich. Begangen werden kann das Delikt der Desertion von Wehrdienstleistenden, Zeitsoldaten sowie von Reservisten. Reservisten können von Militärkommissariaten zu militärischen Übungen einberufen werden. Die bloße Ausreise eines Reservisten ohne Einberufungsbefehl stellt keine Desertion im Sinne des § 338 StGB dar (ÖB 17.3.2022). Gemäß § 10 des föderalen Gesetzes 'Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst' sind russische Staatsbürger jedoch verpflichtet, binnen zwei Wochen beim Militärkommissariat zu erscheinen, um sich entweder aus der Wehrkartei streichen zu lassen falls sie für mehr als sechs Monate aus der Russischen Föderation ausreisen, oder sich nach Einreise in die Russische Föderation registrieren zu lassen (RF 24.9.2022). Gemäß dem Kodex über Verwaltungsübertretungen (§ 21.5) stellt die Nichterfüllung dieser Verpflichtungen eine Verwaltungsübertretung dar und zieht eine Verwarnung oder Geldstrafe von RUB 500 bis 3.000 [ca. EUR 7 bis 39] nach sich (RF 29.12.2022b). Laut dem föderalen Gesetz 'Über den Ablauf der Aus- und Einreise in die Russische Föderation' (§ 15) kann das Ausreiserecht russischer Staatsbürger vorübergehend eingeschränkt werden, falls sie zum Wehr- oder Zivildienst einberufen wurden (bis zur Beendigung des Wehr- oder Zivildienstes) (RF 14.7.2022).
Bei einberufenen Reservisten ist Folgendes zu unterscheiden: Haben einberufene Reservisten an einer militärischen Übung noch nicht teilgenommen und erscheinen sie (ohne gerechtfertigten Grund) nicht zur Übung, so liegt keine Desertion vor, sondern eine Verwaltungsübertretung. Haben hingegen einberufene Reservisten an der militärischen Übung bereits teilgenommen und erscheinen sie nicht zum weiteren Dienst mit dem Vorsatz, sich auf Dauer dem Militär zu entziehen, liegt Desertion gemäß § 338 StGB vor (ÖB 17.3.2022).
Wehrdienstverweigerung:
Die Verweigerung der Einberufung zum Wehrdienst zieht folgende Strafen nach sich (§ 328 StGB): Geldstrafen von bis zu RUB 200.000 [ca. EUR 2.618] oder in der Höhe von bis zu 18 Monatseinkommen, Zwangsarbeit von bis zu zwei Jahren, Arrest von bis zu sechs Monaten oder Freiheitsentzug von bis zu zwei Jahren. § 337 StGB sieht u. a. Folgendes vor: Wehrpflichtige oder Vertragssoldaten, welche während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, während bewaffneter Konflikte oder während Kampfhandlungen die militärische Einheit oder den Dienstort eigenmächtig verlassen und für eine Dauer von mehr als zwei Tagen bis max. zehn Tagen ungerechtfertigt nicht zum Dienst erscheinen, werden mit Freiheitsentzug von bis zu fünf Jahren bestraft. Wehrpflichtige oder Vertragssoldaten, welche während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, während bewaffneter Konflikte oder während Kampfhandlungen die militärische Einheit oder den Dienstort eigenmächtig verlassen und für eine Dauer von mehr als einem Monat ungerechtfertigt nicht zum Dienst erscheinen, werden mit Freiheitsentzug von fünf bis zehn Jahren bestraft. Ersttäter können sich der strafrechtlichen Verantwortung entziehen, wenn die Tat Folge schwieriger Umstände war. Reservisten sind während Militärübungen strafrechtlich für Taten gemäß diesem Paragrafen (§ 337) verantwortlich (RF 29.12.2022a). Einem Bericht zufolge stieg im Vergleich zum Vorjahr die Anzahl der Anklagen nach § 337 StGB im Zeitraum Februar-August 2022 um 45 % (EUAA 16.12.2022).
Wer während des Kriegsrechts, zu Kriegszeiten, im Rahmen von Kampfhandlungen oder bewaffneten Konflikten den Befehl eines Vorgesetzten nicht befolgt und die Teilnahme an Kriegs- oder Kampfhandlungen verweigert, wird mit Freiheitsentzug von zwei bis drei Jahren bestraft (§ 332 StGB). Wenn diese Taten mit schwerwiegenden Folgen verbunden waren, zieht dies eine Freiheitsstrafe von drei bis zehn Jahren nach sich. Gemäß § 339 StGB wird die Verweigerung des Wehrdiensts durch Betrug (Vortäuschung einer Krankheit, Selbstverletzung, Selbstverstümmelung, Fälschung von Dokumenten usw.) folgendermaßen geahndet: Wehrdienstbeschränkung von bis zu einem Jahr, Arrest von bis zu sechs Monaten oder Disziplinarhaft (Inhaftierung in einer militärischen Disziplinareinheit) von bis zu einem Jahr. Dieselbe Tat (mit dem Ziel, sich gänzlich den militärischen Pflichten zu entziehen) zieht eine Freiheitsstrafe von bis zu sieben Jahren nach sich. Taten gemäß § 339 StGB, die während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, während bewaffneter Konflikte oder während Kampfhandlungen begangen wurden, ziehen eine Freiheitsstrafe von fünf bis zehn Jahren nach sich. Gemäß § 51 des Strafgesetzbuches bedeutet Wehrdienstbeschränkung eine verminderte Besoldung sowie das Aussetzen dienstlicher Beförderungen (RF 29.12.2022a).
Neu eingeführt wurde ins Strafgesetzbuch am 24.9.2022 ein Paragraf mit dem Titel 'Sich freiwillig in Kriegsgefangenschaft begeben' (RG 24.9.2022). Gemäß diesem § 352.1 wird eine solche Tat mit Freiheitsentzug von drei bis zehn Jahren bestraft. Ersttäter können sich der strafrechtlichen Verantwortung entziehen, wenn sie Maßnahmen für ihre Befreiung ergriffen, zu ihrer Truppe oder Dienstort zurückkehrten und wenn sie während der Kriegsgefangenschaft nicht andere Straftaten begingen (RF 29.12.2022a).
Internationale und unabhängige russische Medien berichten über viele Fälle von Vertragssoldaten, welche die Entsendung in die Ukraine verweigern oder die Ukraine verlassen haben, um zu ihren Militäreinheiten in Russland zurückzukehren (EUAA 16.12.2022). In einigen Fällen desertieren Mobilgemachte während des Kampfeinsatzes in der Ukraine (ÖB 25.1.2023). Die genaue Anzahl von Soldaten, welche den Kampf in der Ukraine verweigern, ist unklar (Connection 2.10.2022). Die Regierung veröffentlicht keine Zahlen (AA 28.9.2022). Gemäß einem Bericht vom Dezember 2022 erfolgten bereits die ersten Urteile gemäß den Paragrafen 'Desertion' [§ 338] und 'eigenmächtiges Verlassen der Militäreinheit' [§ 337] während der Mobilisierung (Mediasona 16.12.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf , Zugriff 6.10.2022
BBC – British Broadcasting Corporation (3.6.2022): The Russian soldiers refusing to fight in Ukraine, https://www.bbc.com/news/world-europe-61607184 , Zugriff 27.6.2022
Connection e.V. / Rudi Friedrich (2.10.2022): Flucht vor der Beteiligung am Krieg – Zahlen zu Russland, Belarus und Ukraine, https://de.connection-ev.org/article-3608 , Zugriff 19.10.2022
EUAA – European Union Agency for Asylum (16.12.2022): The Russian Federation - Military service, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/publications/2022-12/2022_EUAA_COI_Russia_Military_Service.pdf , Zugriff 13.1.2023
Mediasona (16.12.2022): В России вынесли первые три приговора по статьям о дезертирстве и самовольном оставлении части в период мобилизации [In Russland erfolgten die ersten drei Urteile gemäß den Paragrafen 'Desertion' und 'eigenmächtiges Verlassen der Militäreinheit' während der Mobilisierung], https://zona.media/news/2022/12/16/tri_prigovora , Zugriff 30.1.2023
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (25.1.2023): Auskunft der Botschaft, per E-Mail
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (17.3.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail
RF – Russische Föderation [Russland] (29.12.2022a): "Уголовный кодекс Российской Федерации" от 13.06.1996 N 63-ФЗ (ред. от 29.12.2022) ['Strafgesetzbuch der Russischen Föderation' vom 13.06.1996 N 63-ФЗ (idF vom 29.12.2022)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_10699/ , Zugriff 10.1.2023
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RF – Russische Föderation [Russland] (24.9.2022): Федеральный закон "О воинской обязанности и военной службе" от 28.03.1998 N 53-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst' vom 28.03.1998 N 53-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_18260/ , Zugriff 10.1.2023
RF – Russische Föderation [Russland] (14.7.2022): Федеральный закон "О порядке выезда из Российской Федерации и въезда в Российскую Федерацию" от 15.08.1996 N 114-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über den Ablauf der Aus- und Einreise in die Russische Föderation' vom 15.08.1996 N 114-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_11376/ , Zugriff 11.1.2023
RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (22.8.2022): Russia's Wording On Ukraine Invasion Limits Its Coercive Powers, Says British Intelligence, https://www.rferl.org/a/russia-recruiting-soldiers-ukraine-invasion/31999227.html , Zugriff 26.8.2022
RG – Rossijskaja Gaseta [Russland] (24.9.2022): Путин подписал пакет поправок в УК о военной службе [Putin unterzeichnete ein Paket an Änderungen des StGB zum Thema Militärdienst], https://rg.ru/2022/09/24/putin-podpisal-paket-popravok-v-uk-o-voennoj-sluzhbe.html , Zugriff 30.9.2022
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 02.03.2022
Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegende Zahl der anhängigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Stärkung des Gerichtshofs (GIZ 1.2021a). Die Verfassung postuliert die Russische Föderation als Rechtsstaat. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Für die Russische Föderation gibt es, wie für jedes der Föderationssubjekte, einen Menschenrechtsbeauftragten. Die Amtsinhaberin Moskalkowa (seit 2016), ehemalige Generalmajorin der Polizei, geht nicht ausreichend gegen die wichtigsten Fälle der Verletzung von Menschenrechten, insbesondere den Missbrauch staatlicher Macht, vor. Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems. Russland hat folgende UN-Übereinkommen ratifiziert (AA 2.2.2021):
Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1969)
Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll (1991)
Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973)
Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und Zusatzprotokoll (2004)
Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1987)
Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001)
Behindertenrechtskonvention (AA 2.2.2021).
Der letzte Universal Periodic Review (UPR) des UN-Menschenrechtsrates zu Russland fand im Rahmen des dritten Überprüfungszirkels 2018 statt. Dabei wurden insgesamt 309 Empfehlungen in allen Bereichen der Menschenrechtsarbeit ausgesprochen. Russland hat 94 dieser Empfehlugen nicht angenommen und weitere 34 lediglich teilweise angenommen. Die nächste Sitzung für Russland im UPR-Verfahren wird im Mai 2023 stattfinden. Russland ist zudem Mitglied des Europarates und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Russland setzt einige, aber nicht alle Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) um; insbesondere werden EGMR-Entscheidungen zu Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte im Nordkaukasus nur selektiv implementiert. Finanzielle Entschädigungen werden üblicherweise gewährt, dem vom EGMR monierten Umstand aber nicht abgeholfen [Anm.: Zur mangelhaften Umsetzung von EGMR-Urteilen durch Russland vgl. Kapitel Rechtsschutz/Justizwesen] (AA 2.2.2021). Besorgnis wurde u.a. auch hinsichtlich der Missachtung der Urteile von internationalen Menschenrechtseinrichtungen (v.a. des EGMR), des fehlenden Zugangs von Menschenrechtsmechanismen zur Krim, der Medienfreiheit und des Schutzes von Journalisten, der Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und der Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und ethnischer Herkunft geäußert (ÖB Moskau 6.2021).
Durch eine zunehmende Einschränkung der Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit in Gesetzgebung und Praxis wurde die Menschenrechtsbilanz Russlands weiter verschlechtert. Wer versuchte, diese Rechte wahrzunehmen, musste mit Repressalien rechnen, die von Schikane bis hin zu Misshandlungen durch die Polizei, willkürlicher Festnahme, hohen Geldstrafen und in einigen Fällen auch Strafverfolgung und Inhaftierung reichten (AI 16.4.2020; vgl. ÖB Moskau 6.2021).
Einerseits wird in Russland soziales Engagement und freiwillige soziale Arbeit (etwa auch in Zeiten der COVID-19-Pandemie) begrüßt und unterstützt. Sogenannte 'Bürgerkammern' sollen als Dialogplattform zwischen der Bevölkerung und dem Staat dienen. Andererseits wurde der Freiraum für eine kritische Zivilgesellschaft seit den Protesten 2011/2012 immer weiter eingeschränkt. Im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet. Kritische inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Die Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt (ÖB Moskau 6.2021) und sehen sich in manchen Fällen sogar Bedrohungen oder tätlichen Angriffen bzw. strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt (ÖB Moskau 6.2021; vgl. FH 3.3.2021, HRW 13.1.2022). Der Einfluss des konsultativen 'Rats beim Präsidenten der Russischen Föderation für die Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte' unter dem Vorsitz von Waleri Fadejew ist begrenzt. Er befasst sich in der Regel nicht mit Einzelfällen, sondern mit grundsätzlichen Fragen wie Gesetzesentwürfen, und seine Stellungnahmen zu dem Verlauf von Demonstrationen im Sommer 2019 in Moskau blieben ohne Folge (AA 2.2.2021).
Rassismus und Xenophobie richten sich in Russland traditionell vor allem gegen Migranten aus Zentralasien, Personen aus dem Kaukasus und vermehrt auch gegen dunkelhäutige Personen. Weitere Opfer von Hassverbrechen sind ideologische Gegner (Angriffe v.a. der nationalistischen Gruppierung SERB), LGBTIQ-Personen und Obdachlose. Die Zahl rassistischer Morde und Gewaltverbrechen in den vergangenen Jahren ist gesunken, und insbesondere Angriffe durch Neonazi-Gruppierungen sind beträchtlich zurückgegangen. Anti-LGBTIQ-Rhetorik ist nunmehr eine der am weitesten verbreiteten Formen von Hassreden. Der Islam wird häufig mit Terrorismus in Verbindung gebracht. Die häufigsten Opfer rassistischer Gewalt sind Zentralasiaten, andere 'nicht-slawisch' aussehende Personen, Roma und dunkelhäutige Personen. Die Zahl der Opfer bei Hassverbrechen ist zwar klar geringer als noch vor 10 Jahren, dennoch aber nicht unbedeutend. Keinen Rückgang gab es bei Angriffen gegen Mitglieder oppositioneller Gruppierungen (ÖB Moskau 6.2021).
Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Den Hintergrund bilden in ihrem Ausmaß weiter rückläufige bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien und Inguschetien (AA 2.2.2021). Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. Die Opfer der Gewalt sind ganz überwiegend 'Aufständische' und Sicherheitskräfte (AA 13.2.2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf , Zugriff 12.3.2021
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 12.3.2021
AI – Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff 12.3.2021
FH – Freedom House (3.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 12.3.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021a): Russland Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 12.3.2021
HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2021 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066475.html , Zugriff 3.2.2022
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 30.9.2021
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 12.3.2021
AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff 11.3.2020
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048614.html , Zugriff 16.2.2022
BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (11.2019): Länderreport 21 Russische Föderation, LGBTI in Tschetschenien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/684671/685623/685628/6029277/21602088/Deutschland___Bundesamt_f%C3%Bcr_Migration_und_Fl%C3%Bcchtlinge%2C_L%C3%A4nderreport_21_%2D_Russische_F%C3%B6deration_%28Stand_November_2019%29%2C__November_2019.pdf?nodeid=21601757&vernum=-2 , Zugriff 12.3.2020
FH – Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 12.3.2021
HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2018 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002220.html , Zugriff 11.3.2020
Moscow Times (7.2.2020): Prominent Russian Journalist, Lawyer Attacked in Chechnya, https://www.themoscowtimes.com/2020/02/07/prominent-russian-journalist-lawyer-attacked-in-chechnya-a69199 , Zugriff 26.3.2020
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_%C3%96B_Bericht_2020_06.pdf#page=25&zoom=auto ,-259,684, Zugriff 12.3.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 30.9.2021
, Zugriff 15.3.2021
Meinungs- und Pressefreiheit, Internet
Letzte Änderung: 21.04.2022
Meinungs- und Pressefreiheit sind zwar verfassungsrechtlich garantiert (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2021), die Wahrnehmung ist in der Praxis jedoch durch ein ständig dichter werdendes Netz einschränkender und bestrafender Vorschriften begrenzt (AA 2.2.2021). Am 1. April 2020 wurde ein Gesetz aus dem Jahr 2019 geändert, das 'Falschinformationen' unter Strafe stellt. Die neuen Bestimmungen verbieten es, "wissentlich Falschinformationen über Ereignisse zu verbreiten, die eine Gefahr für das Leben und die Sicherheit der Bevölkerung darstellen, und/oder über Maßnahmen der Regierung zum Schutz der Bevölkerung". Einzelpersonen drohen bis zu fünf Jahre Haft, wenn die Verbreitung der Information zu einer Körperverletzung oder zum Tod eines Menschen führt, für Medien sind hohe Geldstrafen vorgesehen. Auf Grundlage dieses Gesetzes wurden Hunderte Menschen in Verwaltungsverfahren zu Geldstrafen verurteilt, und gegen mindestens 37 Personen wurden Strafverfahren eingeleitet. Bei den Betroffenen handelte es sich zumeist um zivilgesellschaftliche Aktivisten, Journalisten und Blogger. Gegen mindestens fünf Medienunternehmen wurden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Die Zeitung Nowaja Gazeta und ihr Chefredakteur wurden im August und im September 2020 wegen Berichten über COVID-19 zu Geldstrafen verurteilt und angewiesen, die entsprechenden Artikel im Internet zu löschen (AI 7.4.2021). Ein weiteres Mittel der staatlichen Behörden, gegen kritische Stimmen in der Medienlandschaft vorzugehen, ist die 2012 verabschiedete Gesetzgebung zum Extremismus (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021). Sie sollte ursprünglich dabei helfen, rassistische und terroristische Straftaten im Land einzudämmen, wird von den Behörden jedoch aufgrund ihrer vagen Formulierung häufig überschießend angewendet. Diese Einschränkung der Grundrechte führt zu einem schwindenden Raum für eine unabhängige Zivilgesellschaft und ist durch ein hartes Durchgreifen gegen unabhängige politische Stimmen gekennzeichnet (ÖB Moskau 6.2021). Auch die 'Bedrohung der nationalen Sicherheit' dient regelmäßig als Rechtfertigung für Eingriffe in die Pressefreiheit und andere Grundrechte. Selbst ein schlichtes 'liken' oder 'retweeten' eines Beitrags, den die Behörden als 'extremistisch' einstufen, kann zu Strafen führen (AA 2.2.2021), darunter z.B. Kommentare über die Illegalität der Annexion der Krim. Mehrere Personen, von denen viele politisch nicht aktiv waren, wurden unter dieser Anti-Extremismus-Gesetzgebung verurteilt (ÖB Moskau 6.2021). Das oben erwähnte Gesetz zur 'Verbreitung von Falschnachrichten' sanktioniert die Verbreitung von 'fake news', die eine Gefährdung für Leib und Leben der Bevölkerung darstellen. Es wurden zahlreiche Strafen verhängt und der Strafrahmen im März 2020 erhöht (höhere Geldstrafen; bis zu fünf Jahre Haft). Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurde diese Gesetzgebung noch ausgedehnt. Seit April 2020 ist auch die Verbreitung von 'fake news' zur Pandemie strafbar (AA 2.2.2021; vgl. HRW 13.1.2021, FH 14.10.2020). Nach einer Schätzung haben die Behörden innerhalb von drei Monaten mindestens 170 Verwaltungs- und 42 Strafverfahren wegen angeblicher Online-Verbreitung von Falschinformationen über Covid-19 eingeleitet (HRW 13.1.2021). Im Frühjahr 2020 setzte die Regierung auch Überwachungssysteme ein, angeblich um das COVID-19-Quarantäneregime durchzusetzen (FH 14.10.2020). 2021 traten neue Gesetzesänderungen in Kraft, die die freie Meinungsäußerung weiter einschränken. Eine Änderung könnte es den Behörden ermöglichen, ein Verfahren wegen Beleidigung ohne einen Kläger und ein Opfer einzuleiten. Durch andere Änderungen wurde die Definition des Straftatbestands der Verleumdung erweitert und eine Freiheitsstrafe als mögliche Strafe eingeführt (HRW 13.1.2022). Die staatliche Kontrolle von Internet und sozialen Medien wird zunehmend verschärft (AA 2.2.2021; vgl. HRW 13.1.2022, FH 14.10.2020).
Die russische Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor hat Ende Februar 2022 verboten, in der Berichterstattung über den Krieg gegen die Ukraine Begriffe wie „Angriff“, „Invasion“ und „Krieg“ zu nutzen (ZO 26.2.2022). Die staatlichen Zensoren bestehen auf dem Euphemismus einer "militärischen Spezialoperation" (BR 8.3.2022). Werden die verbotenen Worte dennoch benutzt, drohen den Medien die Liquidierung durch ein Gerichtsurteil oder hohe Geldstrafen (Tagesspiegel 3.3.2022). Bei der Verbreitung von "fake news" über die russischen Streitkräfte und allen, die öffentlich die Armee "verunglimpfen" drohen bis zu 15 Jahre Haft (BR 8.3.2022). Tausende Demonstranten, die sich gegen den Krieg in der Ukraine positionierten, wurden verhaftet, zum Teil nur deshalb, weil sie leere Schilder oder Schilder mit der wortwörtlichen Aufschrift "Zwei Wörter" gehalten haben (T-Online 15.3.2022).
Ein Großteil der staatlichen Fernseh- und Printmedien steht unter staatlicher oder staatsnaher Kontrolle. Die wenigen unabhängigen bzw. kritischen Medien (z.B. TV-Sender Doschd, Radiosender Echo Moskwy, Zeitung Nowaja Gazeta) werden mit administrativen und finanziellen Mitteln unter Druck gesetzt (ÖB Moskau 6.2021; vgl. GIZ 1.2021a, FH 3.3.2021). Mittlerweile wurden Doschd und Echo Moskwy gesperrt (ZO 1.3.2022), die Nowaja Gazeta hat beschlossen bis Kriegsende weder online, noch auf Papier Texte zu veröffentlichen (BR 28.3.2022). Kritische Journalisten sind in Russland mit Drohungen, physischer Gewalt und Verhaftungen konfrontiert (ÖB Moskau 6.2021; vgl. GIZ 1.2021a, FH 3.3.2021). Insbesondere kommt es auch im Nordkaukasus mitunter zu physischen Attacken und Verfolgung von Journalisten. Der Großteil dieser Fälle bleibt ungeklärt (ÖB Moskau 6.2021). Angriffe, Verhaftungen, Razzien in Büros und Drohungen gegen Journalisten sind weit verbreitet, und die Behörden richteten sich 2020 aktiv gegen Journalisten außerhalb Moskaus (FH 3.3.2021). Immer wieder gibt es Berichte über Angriffe auf Journalisten oder Todesfälle unter gewaltsamen Umständen. Journalisten werden manchmal auch infolge ihrer beruflichen Tätigkeit verhaftet und z.B. wegen angeblicher Drogenvergehen oder terrorismusbezogener Anklagen strafrechtlich verfolgt. Gegen die auf Tschetschenien spezialisierte Journalistin Jelena Milaschina wurden vonseiten des tschetschenischen Oberhaupts Ramsan Kadyrow im April 2020 Morddrohungen ausgesprochen (ÖB Moskau 6.2021).
Im Herbst 2017 wurde eine gesetzliche Grundlage zur Listung gewisser ausländischer Medien als ausländische Agenten geschaffen. Eine im November 2019 beschlossene Gesetzesnovelle ermöglicht es, auch natürliche Personen, die Nachrichten von Medien, welche bereits als ausländische Agenten eingetragen sind, verbreiten (z.B. Journalisten, Blogger, etc.), als ausländische Agenten zu qualifizieren. Ausländischen Personen bzw. Unternehmen ist es nach Änderungen im Gesetz über die Massenmedien seit 2014 verboten, mehr als 20% der Anteile an russischen Medien zu halten. Zahlreiche Internetseiten wurden aufgrund des Verdachts extremistischer Inhalte ohne vorhergehenden Gerichtsbeschluss von der Medienaufsichtsbehörde Roskomnadzor gesperrt (ÖB Moskau 6.2021). Im November 2020 wurde dem Parlament ein neuer Gesetzentwurf vorgelegt, der den Behörden die Befugnis geben soll, Webseiten zu blockieren, die russische staatliche Medieninhalte zensiert haben. Zu den genannten Webseiten zählen Twitter, Facebook und YouTube (HRW 13.1.2021). Dieses Gesetz trat 2021 in Kraft (HRW 13.1.2022). Facebook und Instagram sind mittlerweile in Russland gesperrt. Russische Behörden haben die Facebook-Mutter Meta als „extremistische Organisation“ bezeichnet, nachdem diese in neuen Richtlinien Drohungen gegen Präsident Putin und Russland unter bestimmten Umständen zugelassen hat (Standard.at 15.3.2022). Auch verschlüsselte E-Mail-Dienste wurden blockiert (FH 14.10.2020). 2021 trat ein weiteres Gesetz in Kraft, das Strafen für Hersteller vorsieht, die auf den in Russland verkauften Geräten keine bestimmte russische Software vorinstallieren. Auch verpflichten neue Bestimmungen beliebte ausländische Webseiten und Apps, Vertretungen in Russland zu eröffnen. Zu den Sanktionen bei Nichteinhaltung der Vorschriften gehören Geldstrafen, Werbeverbote und Sperrungen. Die Behörden verhängen weiterhin hohe Geldstrafen gegen Social-Media-Plattformen wegen Nichteinhaltung der Vorschriften. Auch verlangten die russischen Behörden 2021, dass YouTube Kanäle sperrt, die mit Nawalny-Gruppen verbunden sind, die als 'extremistisch' eingestuft wurden. Im August 2021 forderten sie Apple und Google auf, Nawalnys App aus ihren Stores zu entfernen. Die Unternehmen kamen der Aufforderung schließlich nach, aber Google stellte die App im Oktober wieder ein (HRW 13.1.2022).
Im Jänner 2019 trat eine Gesetzesänderung in Kraft, mit welcher der Paragraf 282 des Strafgesetzbuches über die Erregung von Hass aufgrund der Rasse, Religion oder anderer Merkmale (Volksverhetzung) abgeschwächt wurde. Nur wenn jemand innerhalb eines Jahres mehrmals 'extremistischen Inhalt' veröffentlicht oder verbreitet hat, kann ein Strafverfahren eröffnet werden. Passiert das zum ersten Mal, drohen statt mehrjähriger Gefängnisstrafen lediglich Bußgelder oder Arrest. Im Mai 2020 wurde eine neue Strategie zur Extremismusbekämpfung bis 2025 unterzeichnet. Darin wird Extremismus als eine der Hauptgefahren für die verfassungsmäßige Ordnung des Staates bezeichnet. Als Gefährdung der Stabilität der russischen Gesellschaft wird auch die Tätigkeit einzelner ausländischer NGOs im Zusammenhang mit der Verbreitung extremistischer Ideologien bezeichnet (ÖB Moskau 6.2021). Die Gesetze zu 'ausländischen Agenten' und 'unerwünschten Organisationen' wurden dazu genutzt, unabhängige NGOs zu verleumden, ihnen die Finanzmittel zu entziehen und ihre Mitglieder streng zu bestrafen. Nach weiteren drakonischen Gesetzesänderungen, die im Dezember 2020 in Kraft traten, können jetzt auch Mitarbeiter von NGOs, nicht registrierte Gruppen und Einzelpersonen als 'ausländische Agenten' eingestuft werden (AI 7.4.2021).
In den Internetmedien, die weiterhin beträchtliche Wachstumsraten aufweisen, hat sich eine erhebliche Dynamik entfaltet. 78% der erwachsenen russischen Bevölkerung nutzt das Internet. Die IT-Versorgung des Landes ist eine der Prioritäten der Regierung. Dennoch bleibt es vorerst ein großstädtisches Phänomen. Der Einfluss der Internetmedien und der Blogger-Szene (wie z.B. Projekt Snob, Alexej Nawalny), als Ventil für unabhängige und kritische Meinungsäußerungen, wächst (GIZ 1.2021a). Die Medienbehörde Roskomnadsor stellte ihre Bemühungen zur Schließung des verschlüsselten Nachrichtendienstes Telegram ein und hob das zwei Jahre alte Verbot der Plattform im Juni 2020 auf. Die Aufhebung des Verbotes hängt mit der Zusammenarbeit des Unternehmens in Terrorismusfällen zusammen (FH 3.3.2021).
In einem weltweiten Ranking zur Pressefreiheit 2020 nimmt die Russische Föderation derzeit den 149. Platz von 180 Ländern und Territorien ein (RoG 2020). Reporter ohne Grenzen veröffentlichte seine Liste der 20 schlimmsten 'digitalen Raubtiere' der Pressefreiheit im Jahr 2020 - 'Unternehmen und Regierungsbehörden, die digitale Technologie einsetzen, um Journalisten auszuspionieren und zu belästigen und damit unsere Fähigkeit zu gefährden, Nachrichten und Informationen zu erhalten'. Russland findet sich auf dieser Liste (RoG 12.3.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 24.3.2021
AI - Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048614.html , Zugriff 14.2.2022
BR - Bayrischer Rundfunk (28.3.2022): Russland: "Nowaja Gaseta" erscheint bis Kriegsende nicht mehr, https://www.br.de/nachrichten/kultur/oppositionsblatt-nowaja-gaseta-stellt-erscheinen-vorlaeufig-ein ,T1NPxjv, Zugriff 20.4.2022
BR - Bayrischer Rundfunk (8.3.2022): Wie russische Medien (nicht) über den Krieg berichten, https://www.br.de/kultur/wie-berichten-medien-in-russland-ueber-den-ukraine-krieg-100.html , Zugriff 20.4.2022
FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 24.3.2021
FH - Freedom House (14.10.2020): Bericht zur Freiheit digitaler Medien und des Internet (Berichtszeitraum Juni 2019 - Mai 2020) - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2039111.html , Zugriff 24.3.2021
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 24.3.2021
HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2021 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066475.html , Zugriff 4.2.2021
HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 24.3.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 1.10.2021
RoG - Reporter ohne Grenzen (12.3.2020): RSF unveils 20/2020 list of press freedom’s digital predators, https://rsf.org/en/news/rsf-unveils-202020-list-press-freedoms-digital-predators , Zugriff 24.3.2021
RoG - Reporter ohne Grenzen (2020): 2020 World Press Freedom Index, https://rsf.org/en/ranking_table , Zugriff 24.3.2021
Standard.at (15.3.2022): Instagram offline: Russische Influencer weinen vor der Kamera, https://www.derstandard.at/story/2000134119695/instagram-offline-russische-influencer-weinen-vor-der-kamera , Zugriff 20.4.2022
Tagesspiegel (3.3.2022): Das verbotene Wort, https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medien/zensur-in-russland-das-verbotene-wort/28128200.html , Zugriff 20.4.2022
T-Online (15.3.2022): Mit dieser Polizei-Reaktion hat die Putin-Unterstützerin nicht gerechnet, https://www.t-online.de/tv/nachrichten/panorama/id_91833654/mit-dieser-polizei-reaktion-hat-die-putin-unterstuetzerin-nicht-gerechnet.html , Zugriff 20.4.2022
ZO - Zeit Online (1.3.2022):Russlands Behörden sperren zwei unabhängige Medien, https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-03/russland-medien-doschd-echo-moskwy , Zugriff 20.4.2022
ZO - Zeit Online (26.2.2022): Russlands Medienaufsicht verbietet Begriffe wie "Invasion", https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-02/russland-medienaufsicht-verbot-begriffe-ukraine , Zugriff 20.4.2022
Relevante Bevölkerungsgruppen
Sexuelle Minderheiten
Letzte Änderung: 02.03.2022
Seit 1993 sind homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen in Russland legal. Dennoch werden Homosexualität und andere nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen von einem Großteil der Bevölkerung abgelehnt. Seit 2013 gilt in Russland das Gesetz zum Verbot der an Minderjährige gerichteten Propaganda von nicht-traditionellen sexuellen Beziehungen. Als Sanktionen sieht das Gesetz Geldstrafen sowie die temporäre Schließung von Medien, welche diese Propaganda verbreiten, vor (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021). Geldstrafen werden allerdings in der Praxis nur selten verhängt (AA 2.2.2021). Das Gesetz wird wiederholt zur Unterdrückung der freien Meinungsäußerung von LGBTIQ-Personen eingesetzt (AI 16.4.2020). Im September 2014 entschied der russische Verfassungsgerichtshof, dass das Gesetz nicht gegen die russische Verfassung verstößt. Die russischen Behörden kommen ihrer Verpflichtung, gegen homophobe Gewalt vorzugehen und diese zu ahnden, häufig nicht nach. Laut russischen LGBTIQ-Organisationen wird nur ein Bruchteil der Vorfälle zur Anzeige gebracht und wiederum nur in einem Bruchteil davon ein Strafverfahren eingeleitet. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) beurteilte das oben genannte Gesetz in einem Urteil vom Juni 2017 als willkürlich und diskriminierend. LGBTIQ-Eltern können mit Drohungen bezüglich Entzug oder Einschränkung des Sorgerechts konfrontiert sein. Besonders gefährdet, das Sorgerecht zu verlieren, sind Familien mit angenommenen/adoptierten Kindern und Transgender-Eltern (ÖB Moskau 6.2021). Mit einer Verfassungsänderung im Juli 2020 wurde die Ehe als Bund zwischen Mann und Frau in der russischen Verfassung festgeschrieben (ÖB Moskau 6.2021; vgl. FH 3.3.2021, AI 7.4.2021). Dadurch wurden die geltenden Einschränkungen für gleichgeschlechtliche Ehen und andere Beschränkungen verfestigt, die zum Beispiel die Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare betrafen (AI 7.4.2021). Die Situation für Homosexuelle ist regional sehr unterschiedlich. In St. Petersburg findet jährlich ein 'Queerfest' statt. 2019 gelang es seinen Organisatoren erstmals, Sponsoren aus der Privatwirtschaft zu gewinnen; die örtliche Ombudsperson für Menschenrechte unterstützte den Dialog der Organisatoren mit den Sicherheitsbehörden zur Gewährleistung der Sicherheit der Teilnehmer. Gegen das jährliche LGBTIQ-Filmfestival 'Side by Side' in St. Petersburg richteten sich jedoch zu Beginn Bombendrohungen, die den Verlauf erheblich beeinträchtigten. 2020 fand das Festival wegen der Pandemie online statt (AA 2.2.2021).
Bei einer Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Levada Zentrum vom April 2019 gaben 3% der Befragten an, sie hätten eine positive Einstellung zu Homosexuellen, 39% äußerten eine neutrale Einstellung und 56% eine negative. 47% der Befragten befürworteten eine Gleichstellung Homosexueller mit anderen Bürgern (zum Vergleich: 2013: 39%, 2012: 46%, 2010: 45%, 2005: 51%). Bei der Anzahl von Gewaltverbrechen gegen Homosexuelle verzeichnet die Menschenrechtsorganisation Sova für das Jahr 2019 einen leichten Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Von einer hohen Dunkelziffer ist jedoch auszugehen. LGBTIQ-Personen können im Alltag Diskriminierungen ausgesetzt sein, angefangen von sogenannten Mikro-Aggressionen bis hin zu physischen Übergriffen. Am stärksten gefährdet sind Transgender-Personen, die aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes von der Öffentlichkeit als männlich wahrgenommen werden, sich aber entsprechend ihrer sexuellen Identität feminin kleiden und z.B. schminken, und Personen, die sich öffentlich für Rechte von LGBTIQ-Personen einsetzen. 2019 zirkulierten im Internet erneut Listen von LGBTIQ-Aktivisten, gegen die homophobe Gruppierungen Drohungen aussprachen. Im Juli 2019 wurde die Aktivistin Jelena Grigorjewa, die auf einer solchen Liste stand, getötet. Die Strafverfolgungsbehörden gehen nicht von einem homophoben Motiv aus (AA 13.2.2019). Der staatliche Schutz vor solchen Übergriffen Dritter ist unzureichend (AA 2.2.2021). Die Regierung setzt ihren Kurs der Diskriminierung von LGBTIQ-Personen fort, und Untersuchungen von Drohungen und Angriffen werden oft unterlassen (HRW 13.1.2022). Homosexuelle können sich nicht überall darauf verlassen, dass Polizeikräfte sie bei Veranstaltungen oder Demonstration vor Übergriffen Dritter schützen. Laut glaubhaften Aussagen von NGOs bringen Opfer von homophoben Straftaten diese häufig nicht zur Anzeige. Wird dennoch Anzeige erstattet, weigert sich die Polizei häufig, diese aufzunehmen, wenn das Opfer den homophoben Hintergrund der Tat benennt. Eine Ahndung der Tat durch die Justiz ist dann nur möglich, wenn das Tatopfer Beschwerde bei der vorgesetzten Polizeidienststelle, der Staatsanwaltschaft oder bei Gericht einlegt (AA 2.2.2021).
Als besonders gravierend gilt die Lage sexueller Minderheiten im Nordkaukasus (ÖB Moskau 6.2021; vgl. FH 3.3.2021). Homosexuelle müssen mit Verfolgung durch lokale Behörden rechnen (AA 2.2.2021). Im April 2017 berichtete die Nowaja Gazeta über die massive Verfolgung Homosexueller in Tschetschenien (ÖB Moskau 6.2021; vgl. BAMF 11.2019). Über 100 Homosexuelle wurden durch tschetschenische Sicherheitskräfte festgenommen und gefoltert. In mindestens sechs Fällen sind die Opfer ermordet worden. Andere haben nach ihrer Freilassung Tschetschenien verlassen. Mehrere NGOs berichteten, dass homosexuelle Frauen und Männer bei ihnen in anderen Landesteilen Schutz gesucht haben. Als Reaktion auf die Berichte haben mehrere Staaten Opfer aufgenommen, die über die Menschenrechtsorganisation LGBTIQ-Netzwerk vermittelt wurden. Staatspräsident Putin hat eine Untersuchung der Vorfälle angeordnet, die bisher zu keinen Ergebnissen geführt hat. Eine Mitte September 2018 durchgeführte Reise der Ombudsfrau Tatjana Moskalkowa nach Grosny versuchten tschetschenische Behörden zu nutzen, (Presse-)Berichte über verschollene Personen als falsch darzustellen (AA 2.2.2021). Nachdem die russischen Behörden im Rahmen der OSZE keine substanzielle Antwort gegeben hatten, wurde der 'Moskauer Mechanismus' ausgelöst (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Im diesbezüglichen Bericht vom Dezember 2018 werden die Vorwürfe weitgehend bestätigt bzw. als glaubhaft bezeichnet. Bisher ist Russland nicht substanziell auf die Empfehlungen des OSZE-Berichts eingegangen (AA 2.2.2021). Medienberichte, denen zufolge in Tschetschenien Anfang 2019 über 40 LGBTIQ-Personen (AA 2.2.2021; vgl. FH 3.3.2021, BAMF 11.2019) festgenommen und zwei zu Tode gefoltert worden seien (AA 2.2.2021), wurden von russischen Behörden dementiert. Lokale Behördenvertreter sagten einem Beauftragten der Parlamentarischen Versammlung des Europarats 2019 (AA 2.2.2021), dass in Tschetschenien (sinngemäß) weder Homosexuelle noch Menschenrechtsverletzungen existieren. Nach glaubhaften NGO-Berichten wurden 2018/2019 auch lesbische Frauen Ziel von Verfolgung. Anders als bei homosexuellen Männern spielt hier jedoch nicht primär die staatliche Verfolgung, sondern Zwangsverheiratung und andere Maßnahmen durch das familiäre Umfeld eine Rolle (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2021). 2018 hat es beinahe monatlich einzelne Fälle von Gewalt und Anhaltungen von LGBTIQ-Vertretern durch die Polizei gegeben. Ein mögliches Motiv für die Anhaltungen könnte auch in der Erpressung von Lösegeld (es werden Summen in der Höhe von 13.000 Euro genannt) liegen. Die Gewalt gegen LGBTIQ-Personen geht dabei nicht nur von staatlichen Strukturen aus, sondern auch von Angehörigen, wobei hier die Gruppe der lesbischen und bisexuellen Frauen als besonders vulnerabel gilt (ÖB Moskau 6.2021). Die sich häufenden Beweise für die Entführung, Folterung und Tötung homosexueller Männer in Tschetschenien durch die Polizei in den vergangenen Jahren werden von den Behörden der Russischen Föderation ignoriert (AI 16.4.2020).
Seit der Veröffentlichung des Zeitungsberichtes zur Verfolgung Homosexueller in Tschetschenien im April 2017 durch die Zeitung Nowaja Gazeta konnte das russische LGBTIQ-Netzwerk mehr als 150 Personen aus Tschetschenien evakuieren. Davon sind mehr als 140 LGBTIQ-Personen in europäische Länder und nach Kanada emigriert. Der Menschenrechtsorganisation zufolge waren die Evakuierungen schwierig, da sie hierbei teilweise von den Behörden und Familien der Betroffenen behindert wurden. Auch in anderen Teilen Russlands außerhalb Tschetscheniens waren die Betroffenen teilweise nicht in Sicherheit, in einigen Fällen kam es zu Entführungen, bei denen die Geflüchteten zu ihren Familien nach Tschetschenien zurückgebracht wurden (BAMF 11.2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 25.2.2021
AI – Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff 25.2.2021
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048614.html , Zugriff 16.2.2022
BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (11.2019): Länderreport 21 Russische Föderation, LGBTI in Tschetschenien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/684671/685623/685628/6029277/21602088/Deutschland___Bundesamt_f%C3%Bcr_Migration_und_Fl%C3%Bcchtlinge%2C_L%C3%A4nderreport_21_%2D_Russische_F%C3%B6deration_%28Stand_November_2019%29%2C__November_2019.pdf?nodeid=21601757&vernum=-2 , Zugriff 12.3.2020
FH – Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 5.3.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2021 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066475.html , Zugriff 4.2.2022
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 14.10.2021
Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 29.08.2022
In der Russischen Föderation herrscht laut gesetzlichen Vorgaben Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung. In einigen Fällen schränken die Behörden diese Rechte ein. Verschuldeten Personen kann die Ausreise verweigert werden. Auch Millionen Regierungsbedienstete sind von Ausreisebeschränkungen betroffen, darunter Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft, des Innen- und des Verteidigungsministeriums (USDOS 12.4.2022). Im Zuge von Grenzkontrollen kommt es zu Befragungen Ausreisender durch Grenzkontrollorgane (ÖB 4.4.2022). Es liegen Hinweise vor, dass die Sicherheitsdienste einige Personen bei Ein- und Ausreisen überwachen (AA 21.5.2021).
Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, wonach Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort [temporäre Registrierung] und ihren Wohnsitz [permanente Registrierung] melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses. Wer über Immobilienbesitz verfügt, bleibt dort ständig registriert, mit Eintragung im Inlandspass. Mieter benötigen eine Bescheinigung des Vermieters und werden damit vorläufig registriert. In diesen Fällen erfolgt keine Eintragung in den Inlandspass (AA 21.5.2021). Einige regionale Behörden schränken die Wohnsitzregistrierung vor allem bei ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien ein (FH 28.2.2022). Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich in andere Teile der Russischen Föderation reisen (AA 21.5.2021). Tschetschenen steht, genauso wie allen russischen Staatsbürgern, das in der Verfassung verankerte Recht auf freie Wahl des Wohnsitzes und auf Aufenthalt in der Russischen Föderation zu (AA 21.5.2021; vgl. ÖB 30.6.2021, RI 4.7.2020). Die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten ist stark angewachsen. 200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben. Sie treffen allerdings auf anti-kaukasische Einstellungen (AA 21.5.2021).
Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses, Inlandspasses (wie Personalausweis) oder anerkannten Passersatzdokuments wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine Verwaltungsstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 21.5.2021).
Als Reaktion auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine setzte die EU Visaerleichterungen für russische Diplomaten sowie für andere russische Beamte und Geschäftsleute aus (Europäischer Rat 16.8.2022). Auch die USA verhängten Visabeschränkungen, diese gelten für ca. 900 russische Amtsträger, darunter Mitglieder des Föderationsrats und des russischen Militärs (USDOS 2.8.2022). Mehrere Länder (die baltischen Staaten, Tschechien, Niederlande) haben die Visavergabe an russische Staatsbürger eingeschränkt (DW 22.8.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.5.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053304/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_21.05.2021.pdf , Zugriff 13.7.2022
DW – Deutsche Welle (22.8.2022): Folgen des Ukraine-Kriegs: Keine EU-Visa mehr für russische Touristen?, https://www.dw.com/de/keine-eu-visa-mehr-f%C3%BCr-russische-touristen/a-62890546 , Zugriff 23.8.2022
Europäischer Rat (16.8.2022): Russische Invasion in die Ukraine: Reaktion der EU, https://www.consilium.europa.eu/de/policies/eu-response-ukraine-invasion/ , Zugriff 23.8.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068627.html , Zugriff 3.8.2022
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (4.4.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2021): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2021 (Stand 30.6.2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 13.7.2022
RI – Rechtsinformationen (Официальный интернет-портал правовой информации) [Russland] (4.7.2020): Конституция Российской Федерации [Verfassung der Russischen Föderation], http://publication.pravo.gov.ru/File/GetFile/0001202007040001?type=pdf , Zugriff 13.7.2022
USDOS – US Department of State [USA] (2.8.2022): Imposing Additional Costs on Russia for Its Continued War Against Ukraine, https://www.state.gov/imposing-additional-costs-on-russia-for-its-continued-war-against-ukraine/ , Zugriff 8.8.2022
USDOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071123.html , Zugriff 20.7.2022
Meldewesen
Letzte Änderung: 16.11.2021
Laut Gesetz müssen sich Bürger der Russischen Föderation an ihrem permanenten und temporären Wohnort registrieren (EASO 8.2018; vgl. AA 2.2.2021, US DOS 11.3.2020). Die Registrierung ist nichts anderes als eine Benachrichtigung für die Behörde, wo eine Person wohnt, und funktioniert relativ problemlos (DIS 1.2015; vgl. EASO 8.2018). Die Registrierung des Wohnsitzes erfolgt entweder in einer lokalen Niederlassung des Innenministeriums (MVD), über das Onlineportal für öffentliche Dienstleistungen Gosuslugi oder per E-Mail (nur für die temporäre Registrierung). Man kann neben einer permanenten Registrierung auch eine temporäre Registrierung haben, z.B. in einem Hotel, in einer medizinischen Einrichtung, in einem Gefängnis, in einer Wohnung, etc. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, den Hauptwohnsitz zu ändern. Hierzu muss man die permanente Registrierung innerhalb von sieben Tagen ändern. Um sich zu registrieren, braucht man einen Pass, einen Antrag auf Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man berechtigt ist, sich an einer bestimmten Adresse zu registrieren, wie z.B. einen Mietvertrag. Die permanente Registrierung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt. Die Beendigung einer permanenten Registrierung muss von der jeweiligen Person veranlasst werden. Dies muss aber nicht bei den Behörden an der alten Adresse geschehen, sondern kann von der neuen Adresse aus beantragt werden. Auch die Beendigung einer Registrierung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt (EASO 8.2018).
Wenn eine Person vorübergehend an einer anderen Adresse als dem Hauptwohnsitz (permanente Registrierung) wohnt, muss eine temporäre Registrierung vorgenommen werden, wenn der Aufenthalt länger als 90 Tage dauert. Die Registrierung einer temporären Adresse beeinflusst die permanente Registrierung nicht. Für die temporäre Registrierung braucht man einen Pass, einen Antrag auf temporäre Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man zur Registrierung berechtigt ist. Nach der Registrierung bekommt man ein Dokument, das die temporäre Registrierung bestätigt. Die temporäre Registrierung endet automatisch mit dem Datum, das man bei der Registrierung angegeben hat. Eine temporäre Registrierung in Hotels, auf Camping-Plätzen und in medizinischen Einrichtungen endet automatisch, wenn die Person die Einrichtung verlässt. Wenn eine Person früher als geplant den temporären Wohnsitz verlässt, sollten die Behörden darüber in Kenntnis gesetzt werden (EASO 8.2018).
Eine Registrierung ist für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe (Arbeitslosengeld, Pension, etc.) und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt (BAA 12.2011; vgl. ÖB Moskau 6.2021).
Es kann für alle Bürger der Russischen Föderation zu Problemen beim Registrierungsprozess kommen. Es ist möglich, dass Migranten aus dem Kaukasus zusätzlich kontrolliert werden (ADC Memorial, CrimeaSOS, Sova Center for Information and Analysis, FIDH 2017). In der Regel ist die Registrierung aber auch für Tschetschenen kein Problem, auch wenn es möglicherweise zu Diskriminierung oder korruptem Verhalten seitens der Beamten kommen kann. Im Endeffekt bekommen sie die Registrierung (DIS 1.2015; vgl. EASO 8.2018).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 6.4.2021
ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH (International Federation for Human Rights) (2017): Racism, Discrimination and Fight Against Extremism in Contemporary Russia and its Controlled Territories. Alternative Report on the Implementation of the UN Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination by the Russian Federation, https://www.fidh.org/IMG/pdf/cerdengen.pdf , Zugriff 6.4.2021
BAA Staatendokumentation [Österreich] (12.2011): Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation. Bericht zum Forschungsaufenthalt Russische Föderation – Republik Tschetschenien
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, https://www.ecoi.net/en/file/local/1215362/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 6.4.2021
EASO – European Asylum Support Office [EU] (8.2018): Country of Origin Information Report Russian Federation. The situation for Chechens in Russia, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/Plib/Chechens_in_RF.pdf , Zugriff 6.4.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 1.10.2021
US DOS – United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff 6.4.2021
Grundversorgung und Wirtschaft
Letzte Änderung: 13.09.2022
Wirtschaft:
Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine führte zu verschärften Sanktionen des Westens gegen Russland. Der Zugang Russlands zu den Kapital- und Finanzmärkten in der EU wurde beschränkt. Für alle russischen Flugzeuge ist der Luftraum der EU geschlossen. Ebenso sind EU-Häfen für alle russischen Schiffe geschlossen. Transaktionen mit der russischen Zentralbank sind verboten. Mehrere russische Banken wurden aus dem SWIFT-System ausgeschlossen. Neue Investitionen in den russischen Energiesektor wurden verboten. Es gilt ein Einfuhrverbot für Eisen und Stahl aus Russland in die EU sowie ein Einfuhrverbot für Kohle, Holz, Zement, Gold, Rohöl und raffinierte Erdölerzeugnisse (Rat 16.8.2022). Sanktionen gegen Russland verhängten außerdem u. a. die USA, Kanada, Großbritannien, Japan (WZ 27.6.2022) und die Schweiz (SW 3.8.2022). Die wirtschaftliche Entwicklung ist durch die Sanktionen des Westens beeinträchtigt (WIIW o.D.). Die Sanktionen haben zu einem Braindrain und einer Kapitalflucht geführt (HF o.D.). Eine Einschätzung der wirtschaftlichen Situation in Russland ist derzeit schwierig (NDR/Tagesschau.de 2.8.2022).
Gemäß vorläufigen Daten des Föderalen Diensts für Staatliche Statistik (Rosstat) ist das Bruttoinlandsprodukt im 2. Quartal 2022 gegenüber dem Vorjahr um 4 % gesunken (Reuters 12.8.2022; vgl. FAZ 28.7.2022). Die Inflation betrug im August 2022 15 % (Interfax 10.8.2022). Der Rubel wurde durch Maßnahmen der Zentralbank (Erhöhung der Zinssätze usw.) stabilisiert (FT 19.8.2022; vgl. WIIW o.D.). Der Finanzsektor wird von staatlich kontrollierten Banken beherrscht (HF o.D.).
Korruption ist weit verbreitet (BS 2022; vgl. HF o.D.). Eine Herausforderung für den Staat stellt die Schattenwirtschaft dar (BS 2022). Nach staatlichen Angaben betrug die Arbeitslosenrate im Juni 2022 3,9 % (Rosstat o.D.; vgl. Tass 27.7.2022). Russland zählt zu den weltweit größten Weizenexporteuren (WZ 9.6.2022). Die Wirtschaft ist wenig diversifiziert (BS 2022) und stark von Öl- und Gasexporten abhängig (HF o.D.). Exporte von Öl und Gas machen traditionell mehr als zwei Drittel der russischen Ausfuhren aus (WKO 4.2022). Im Jahr 2022 ist der Ölpreis infolge der russischen Invasion in der Ukraine stark gestiegen (HB 7.7.2022). Es gelten Exportbeschränkungen für Holzwaren und Agrarprodukte (WKO 4.2022). Um die sinkenden Exporte in die Europäische Union auszugleichen, handelt Russland verstärkt mit China, Indien und der Türkei (FT 19.8.2022).
Die meisten Hilfsprogramme zur Bekämpfung der Folgen der COVID-Pandemie sind Ende 2020 ausgelaufen (WKO 25.7.2022). Laut einem Bericht der Menschenrechts-Ombudsperson haben 4,5 Millionen kleine und mittlere Unternehmen während der Pandemie aufgehört zu existieren (ÖB 30.6.2021).
Grundversorgung:
Die Anzahl derjenigen Russen, welche in Armut leben, stieg gemäß der russischen Regierung zwischen dem vierten Quartal 2021 und dem ersten Quartal 2022 um 8,5 Millionen (ERev 3.7.2022). Im Jahr 2021 betrug der Anteil der Russen unter der Armutsgrenze 11 % (Rosstat 27.4.2022). Als besonders armutsgefährdet gelten Familien mit Kindern (v. a. Großfamilien), Alleinerziehende, Pensionisten und Menschen mit Beeinträchtigungen. Weiters gibt es regionale Unterschiede. In den wirtschaftlichen Zentren Moskau und St. Petersburg ist die Armutsquote halb so hoch wie im Landesdurchschnitt. Prinzipiell ist die Armutsgefährdung auf dem Land höher als in den Städten (Russland-Analysen 21.2.2020a).
Gemäß der Weltbank hatten im Jahr 2020 (aktuellste verfügbare Daten) 76 % der Bevölkerung Russlands Zugang zu sicher verwalteten Trinkwasserdiensten (WB o.D.a). Im Jahr 2021 wurden mehr als 450 Trinkwasserversorgungseinrichtungen und Wasseraufbereitungsanlagen errichtet und modernisiert. Dadurch erhöhte sich der Anteil derjenigen Bürger, welche mit hochwertigem Trinkwasser versorgt werden, auf 86 % (NP o.D.). Gemäß der Weltbank hatten im Jahr 2020 (aktuellste verfügbare Daten) 89 % der Bevölkerung Russlands Zugang zu einer (zumindest) Basisversorgung im Bereich Hygiene (WB o.D.b). Ein Problem stellt die Versorgung mit angemessenem Wohnraum dar. Eigentums- oder angemessene Mietwohnungen sind für große Teile der Bevölkerung unbezahlbar (AA 21.5.2021). Mietkosten variieren je nach Region (IOM 7.2022).
Russische Staatsbürger haben überall im Land Zugang zum Arbeitsmarkt (IOM 7.2022). Der Mindestlohn darf das Existenzminimum nicht unterschreiten (Ria.ru 27.6.2022). Das Existenzminimum wird per Verordnung bestimmt (AA 21.5.2021). Im Juni 2022 betrug das Existenzminimum für die erwerbsfähige Bevölkerung pro Kopf RUB 15.172 [ca. EUR 251], für Kinder RUB 13.501 [ca. EUR 223] und für Pensionisten RUB 11.970 [ca. EUR 198] (Rosstat 22.6.2022). Der Mindestlohn beträgt seit 1.6.2022 RUB 15.279 [ca. EUR 251] und kann in jeder Region durch regionale Abkommen individuell festgelegt werden. Jedoch darf die Höhe des regionalen Mindestlohns nicht niedriger als der national festgelegte Mindestlohn sein. In der Stadt Moskau beträgt der Mindestlohn RUB 23.508 [ca. EUR 386] (Ria.ru 27.6.2022). Die primäre Versorgungsquelle der Russen bleibt ihr Einkommen (AA 21.5.2021). Trotz der wiederholten Anhebungen der durchschnittlichen Bruttolöhne sind die real zur Verfügung stehenden Einkommen seit mehreren Jahren rückläufig. Expertenschätzungen zufolge gibt es derzeit mindestens 25 Mio. illegal Beschäftigte. Die Verarmungsentwicklung wird vorwiegend durch niedrige Löhne verursacht, die insbesondere eine Folge der auf die Schonung der öffentlichen Haushalte zielenden Lohnpolitik sind (zwei Drittel aller Einkommen werden von staatlichen Unternehmen oder vom Staat bezahlt, der die Löhne niedrig hält). Ein weiteres Spezifikum der russischen Lohnpolitik ist der durchschnittliche Lohnverlust von 15 - 20 % für abhängig Beschäftigte ab dem 45. Lebensjahr. Sie gelten in den Augen der Arbeitgeber aufgrund fehlender Fortbildungen als unqualifiziert und werden bei den Sonderzahlungen und Lohnanpassungen nicht berücksichtigt. Dieser Effekt wird durch eine hohe Arbeitslosenquote bei den über 50-Jährigen verstärkt (AA 21.5.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.5.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053304/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_21.05.2021.pdf , Zugriff 13.7.2022
BS – Bertelsmann Stiftung (2022): BTI (Bertelsmann Transformation Index) 2022 Country Report: Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069600/country_report_2022_RUS.pdf , Zugriff 25.7.2022
ERev – Eurasia Review (3.7.2022): Putin’s War Economy Leading To Decline In Russians’ Standard Of Living – OpEd, https://www.eurasiareview.com/03072022-putins-war-economy-leading-to-decline-in-russians-standard-of-living-oped/ , Zugriff 30.8.2022
FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (28.7.2022): Russlands Wirtschaft schrumpft stark, https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/russlands-wirtschaft-schrumpft-im-zweiten-quartal-18204774.html , Zugriff 19.8.2022
FT – Financial Times (19.8.2022): Russia’s economy is staggering, but still on its feet, https://www.ft.com/content/eebc166b-0ab3-4a69-b61c-62908ee984e5 , Zugriff 19.8.2022
HB – Handelsblatt (7.7.2022): Ölpreis könnte bis Ende 2023 um 50 Prozent einbrechen, https://www.handelsblatt.com/finanzen/maerkte/devisen-rohstoffe/rezessionsaengste-oelpreis-koennte-bis-ende-2023-um-50-prozent-einbrechen/28482722.html , Zugriff 1.9.2022
HF – Heritage Foundation, The (o.D.): 2022 Index of Economic Freedom: Russia, https://www.heritage.org/index/country/russia , Zugriff 26.8.2022
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NP – Nationale Projekte [Russland] (o.D.): Проекты/Жилье и городская среда/Инициативы: Чистая вода [Projekte/Unterkünfte und Städte/Initiativen: sauberes Wasser], https://национальныепроекты.рф/projects/zhile-i-gorodskaya-sreda/chistaya_voda, Zugriff 26.8.2022
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Ria.ru – RIA Nowosti (27.6.2022): МРОТ в 2022 году: на сколько вырос, как рассчитывается и на что влияет [Mindestlohn im Jahr 2022: um wie viel er anstieg, wie er berechnet wird und was er beeinflusst], https://ria.ru/20220627/mrot-1798493712.html , Zugriff 30.8.2022
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WKO – Wirtschaftskammer Österreich (4.2022): Wirtschaftsbericht Russische Föderation, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/russische-foederation-wirtschaftsbericht.pdf , Zugriff 25.7.2022
WZ – Wiener Zeitung (27.6.2022): Sanktionen: G7 verschärfen Kurs gegen Russland erheblich, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/welt/2152420-G7-verschaerfen-Kurs-gegen-Russland-erheblich.html , Zugriff 8.8.2022
WZ – Wiener Zeitung (9.6.2022): Ukraine war 2021 weltweit fünftgrößter Weizenexporteur, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wirtschaft/international/2150303-Ukraine-war-2021-weltweit-fuenftgroesster-Weizenexporteur.html , Zugriff 30.8.2022
Sozialbeihilfen
Letzte Änderung: 16.11.2021
Die Russische Föderation hat ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem. Dieses bietet bedürftigen Personen Hilfe an (IOM 2020). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Pensionsfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Pensionsfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Alterspensionen gezahlt. Das Pensionsalter beträgt 60 Jahre bei Männern und 55 Jahre bei Frauen. Da dieses Modell aktuell die Pensionen nicht vollständig finanzieren kann, steigen die Zuschüsse des staatlichen Pensionsfonds an. Eine erneute Pensionsreform wurde seit 2012 immer wieder diskutiert. Die Regierung hat am 14.6.2018 einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, womit das Pensionseintrittsalter für Frauen bis zum Jahr 2034 schrittweise auf 63 Jahre und für Männer auf 65 angehoben werden soll. Die Pläne der Regierung stießen auf Protest: Mehr als 2,5 Millionen Menschen unterzeichneten eine Petition dagegen, in zahlreichen Städten fanden Demonstrationen gegen die geplante Pensionsreform statt. Präsident Putin reagierte auf die Proteste und gab eine Abschwächung der Reform bekannt. Das Pensionseintrittsalter für Frauen erhöht sich um fünf anstatt acht Jahre; Frauen mit drei oder mehr Kindern dürfen außerdem früher in Pension gehen (GIZ 1.2021c).
Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 1.2021c).
Vor allem auch zur Förderung einer stabileren demografischen Entwicklung gibt es ein umfangreiches Programm zur Unterstützung von Familien, vor allem mit Kindern unter drei Jahren: z.B. eine Aufstockung des Existenzminimums ab 2020 bis auf das Zweifache, das sogenannte Mutterschaftskapital in Form einer bargeldlosen, zweckgebundenen Leistung sowie besondere Leistungen zur Corona-Krise wie etwa eine einmalige Auszahlung an Kinder im Alter von drei bis 16 Jahre in Höhe von 10.000 Rubel [ca. 111 €], monatliche Auszahlungen an Kinder bis drei Jahre in Höhe von 5.000 Rubel [ca. 55 €] (dreimal für April, Mai und Juni ausgezahlt), monatliche Auszahlungen in Höhe von 3.000 Rubel [ca. 33 €] an Kinder bis 18 Jahre, deren Eltern offiziell als arbeitslos gemeldet sind (AA 2.2.2021).
Personen im Pensionsalter mit mindestens fünfjährigen Versicherungszahlungen haben das Recht auf eine Alterspension. Rückkehrende müssen für mindestens 10 Jahre Pensionsversicherungsbeiträge eingezahlt haben. Begünstigte müssen sich bei der lokalen Pensionskasse melden und erhalten dort, nach einer ersten Beratung, weitere Informationen zu den Verfahrensschritten. Informationen zu den erforderlichen Dokumenten erhält man ebenfalls bei der ersten Beratung. Eine finanzielle Beteiligung ist nicht notwendig. Leistungen hängen von der spezifischen Situation der Personen ab (IOM 2020). Seit dem Jahr 2010 werden Pensionen, die geringer als das Existenzminimum für Pensionisten sind, aufgestockt – insofern sind sie vor existenzieller Armut geschützt (Russland Analysen 21.2.2020a). Die Pensionen der nicht arbeitenden Pensionisten werden seit 2019 vor der jährlichen Indexierung auf die Höhe des Existenzminimums angehoben. Zum 1. Jänner 2020 lag die Durchschnittspension in Russland bei 14.904 Rubel [ca. 165 €] (AA 2.2.2021).
Zum Kreis der schutzbedürftigen Personen zählen Familien mit mehr als drei Kindern, Menschen mit Beeinträchtigungen sowie ältere Menschen (IOM 2020). Das von EASO betriebene europäische Projekt MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, welchen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:
Kinder (unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen für Familien mit Kindern);
Großfamilien (Ausstellung einer Großfamilienkarte, unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen, Rückerstattung von Nebenkosten [Wasser, Gas, Elektrizität, etc.]);
Familien mit geringem Einkommen;
Studierende, Arbeitslose, Pensionisten, Angestellte spezialisierter Institutionen und Jungfamilien (BDA 31.3.2015). 2018 profitierten von diesen Leistungen für bestimmte Kategorien von Bürgern auf föderaler Ebene 15,2 Millionen Menschen. In den Regionen könnte die Zahl noch höher liegen, da die Föderationssubjekte für den größten Teil der monatlichen Geldleistungen aufkommen (Russland Analysen 21.2.2020a).
Familienbeihilfe
Monatliche Zahlungen im Falle von einem Kind liegen bei 3.142 Rubel (ca. 43 €). Beim zweiten Kind sowie bei weiteren Kindern liegt der Betrag bei 6.284 Rubel (ca. 86 €). Der maximale Betrag liegt bei 26.152 Rubel (ca. 358 €) (IOM 2020). Seit 2018 gibt es für einkommensschwache Familien für Kleinkinder (bis 1,5 Jahre) monetäre Unterstützung in Höhe des regionalen Existenzminimums (Russland Analysen 21.2.2020a).
Arbeitslosenunterstützung
Personen können sich bei den Arbeitsagenturen der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Daraufhin bietet die Arbeitsagentur innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz an. Sollte dies nicht möglich sein, wird der Person ein Arbeitlosenstatus zuerkannt. Mit diesem erhält die Person monatlich eine Unterstützung. Arbeitsämter gibt es überall im Land. Arbeitslosengeld wird auf Grundlage des durchschnittlichen Gehalts des letzten Beschäftigungsverhältnisses kalkuliert (IOM 2020). Die Mindestarbeitslosenunterstützung pro Monat beträgt 1.500 Rubel (ca. 21 €) und die Maximalunterstützung 11.280 Rubel (ca. 141 €) (IOM 2020; vgl. ÖB Moskau 6.2020). Gelder werden monatlich ausgezahlt. Die Voraussetzung ist jedoch die notwendige Neubewertung (normalerweise zwei Mal im Monat) der Bedingungen durch die Arbeitsagenturen. Außerdem darf die Person nicht in eine andere Region ziehen. Sollte die Person Fortbildungen zur Selbstständigkeit besuchen oder eine Rente beziehen, ist die Person von diesen Vorteilen ausgeschlossen. Arbeitssuchende, die sich bei der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung registriert haben, haben das Recht, an kostenlosen Fortbildungen teilzunehmen und so ihre Qualifikationen zu verbessern. Ebenfalls bieten private Schulen, Trainingszentren und Institute Schulungen an. Diese sind jedoch nicht kostenlos (IOM 2020).
Wohnmöglichkeiten und Sozialwohnungen
Ein weiteres Problem stellt die Versorgung mit angemessenem Wohnraum dar. Eigentums- oder angemessene Mietwohnungen sind für große Teile der Bevölkerung unbezahlbar (AA 2.2.2021). Personen ohne Unterkunft oder mit einer unzumutbaren Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Wohnungen beantragen. Dennoch ist dabei mit Wartezeiten von einigen Jahren zu rechnen. Informationen über die jeweiligen Kategorien zur Qualifizierung für eine kostenlose Unterkunft sowie die dazu notwendigen Dokumente erhält man bei den kommunalen Stadtverwaltungen. Es gibt in der Russischen Föderation keine Zuschüsse für Wohnungen. Einige Banken bieten jedoch für einen Wohnungskauf niedrige Kredite an. Junge Familien mit vielen Kindern können staatliche Zuschüsse (Mutterschaftszulagen) für wohnungswirtschaftliche Zwecke beantragen. Die Wohnungskosten sind regionenabhängig. Die durchschnittlichen monatlichen Nebenkosten liegen derzeit bei ca 3.200 Rubel (ca. 44 €) (IOM 2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 24.2.2021
BDA – Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI
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IOM – International Organisation for Migration (2020): Länderinformationsblatt Russische Föderation, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698619/18364377/-/Russische_F%C3%B6deration_%2D_Country_Fact_Sheets_2020%2C_Deutsch.pdf?nodeid=22619450&vernum=-2 , Zugriff 14.10.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 14.10.2021
RBTH – Russia beyond the Headlines (22.4.2017): Gratis-Studium und Steuerbefreiung: Russlands Wege aus der Geburtenkrise, https://de.rbth.com/gesellschaft/2017/04/22/gratis-studium-und-steuerbefreiung-russlands-wege-aus-der-geburtenkrise_747881 , Zugriff 18.3.2020
Russland Analysen/ Brand, Martin (21.2.2020a): Armutsbekämpfung in Russland, in: Russland Analysen Nr. 382, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen382.pdf , Zugriff 4.2.2020
Russland Analysen/ Hornke, Theresa (21.2.2020b): Russlands Familienpolitik, in: Russland Analysen Nr. 382, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen382.pdf , Zugriff 4.2.2020
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 16.11.2021
Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger der Russischen Föderation ist in der Verfassung verankert (GIZ 1.2021c; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Voraussetzung ist lediglich eine Registrierung des Wohnsitzes im Land [bitte vergleichen Sie hierzu die Kapitel zu Bewegungsfreiheit, insbesondere Meldewesen]. Am Meldeamt nur temporär registrierte Personen haben Zugang zu medizinischer Notversorgung, während eine permanente Registrierung stationäre medizinische Versorgung ermöglicht. Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß dem 'Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung' garantierten Umfang (ÖB Moskau 6.2021). Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der 'Nationalen Projekte', die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert. Seit 2002 ist die Lebenserwartung in Russland stetig gestiegen (GIZ 1.2021c).
Medizinische Versorgung wird von staatlichen und privaten Einrichtungen zur Verfügung gestellt. Staatsbürger haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu einer kostenlosen medizinischen Versorgung (IOM 2020; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Alle russischen Staatsbürger, egal ob sie einer Arbeit nachgehen oder nicht, sind von der Pflichtversicherung erfasst (ÖB Moskau 6.2021). Dies gilt somit auch für Rückkehrer, daher kann jeder russische Staatsbürger bei Vorlage eines Passes oder einer Geburtsurkunde (für Kinder bis 14) eine OMS-Karte erhalten. Diese muss bei der nächstliegenden Krankenversicherung eingereicht werden (IOM 2020). An staatlichen wie auch an privaten Kliniken sind medizinische Dienstleistungen verfügbar, für die man direkt bezahlen kann (im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung – Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 2020). Durch die Zusatzversicherung sind einige gebührenpflichtige Leistungen in einigen staatlichen Krankenhäusern abgedeckt. Für Leistungen privater Krankenhäuser müssen die Kosten selbst getragen werden (ÖB Moskau 6.2021).
Die kostenfreie Versorgung umfasst Notfallbehandlung, Vorsorge, Diagnose undambulante sowie stationäre Behandlung und teilweise kostenlose Medikamente. Behandlungen innerhalb der OMS sind kostenlos. Für die zahlungspflichtigen Dienstleistungen gibt es Preislisten auf den jeweiligen Webseiten der öffentlichen und privaten Kliniken (IOM 2020; vgl. ÖB Moskau 6.2021), die zum Teil auch mit OMS abrechnen (GTAI 27.11.2018). Immer mehr russische Staatsbürger wenden sich an Privatkliniken (GTAI 27.11.2018; vgl. Ostexperte 22.9.2017). Das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt ineffektiv. Trotz der schrittweisen Anhebung der Honorare sind die Einkommen der Ärzte und des medizinischen Personals noch immer niedrig (GIZ 1.2021c). Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (GIZ 1.2021c; vgl. AA 2.2.2021). Kostenpflichtig sind einerseits Sonderleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind) (ÖB Moskau 6.2021).
Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Einrichtung und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken geleistet wird, haben Personen das Recht, die medizinische Einrichtung nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. Dies bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen als dem 'zuständigen' Krankenhaus, bzw. bei einem anderen als dem 'zuständigen' Arzt, kostenpflichtig ist. In der ausgewählten Einrichtung können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Einrichtung durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbstständig, falls mehrere medizinische Einrichtungen zur Auswahl stehen. Abgesehen von den oben stehenden Ausnahmen sind Selbstbehalte nicht vorgesehen (ÖB Moskau 6.2021).
Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise erwartet wird (ÖB Moskau 6.2021). Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes (DIS 1.2015). Auch Leistungen, die vom Staat für eine bestimmte Personengruppe, wie z.B. Personen mit Beeinträchtigungen, bestimmt wurden, sind gedeckt. Eine kostenfreie 24-Stunden-Versorgung steht allen Patienten im OMS-System zu (IOM 2020). Weiters wird berichtet, dass die Qualität der medizinischen Versorgung hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ausstattung von Krankenhäusern und der Qualifizierung der Ärzte landesweit variieren kann. Der Staat hat viele Finanzierungspflichten auf die Regionen abgewälzt, die in manchen Fällen nicht ausreichend Budget haben, weshalb die Zustände in manchen Krankenhäusern schlecht sind, medizinische Ausrüstungen veraltet und die Ärzte überlastet und unterbezahlt. Probleme gibt es deshalb mitunter bei der Diagnose und Behandlung von Patienten mit besonders seltenen Krankheiten in der Russischen Föderation, da meist die finanziellen Mittel für die teuren Medikamente und Behandlungen in den Regionen nicht ausreichen (ÖB Moskau 6.2021). Das Wissen und die technischen Möglichkeiten für anspruchsvollere Behandlungen sind meistens nur in den Großstädten vorhanden. Die Wege zu einer medizinischen Einrichtung auf dem Land können mehrere Hundert Kilometer betragen. Hauptprobleme stellen jedoch die strukturelle Unterfinanzierung des Gesundheitssystems und die damit verbundenen schlechten Arbeitsbedingungen dar. Sie führen zu einem großen Mangel an Ärzten und Pflegekräften. Die vom Staat vorgegebenen Wartezeiten auf eine Behandlung werden um das Mehrfache überschritten und können sogar mehrere Monate betragen. In vielen Regionen wie bspw. Tschetschenien wurden moderne Krankenhäuser und Behandlungszentren aufgebaut. Ihr Betrieb ist jedoch aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal oft erschwert (AA 2.2.2021).
Durch jüngste Reformen und Gesetze erfolgte eine Minderung der Dominanz staatlicher Anbieter sozialer Dienstleistungen. Die Anzahl nicht-staatlicher Träger, wie z.B. NGOs, nimmt tendenziell zu, wobei in den einzelnen Regionen unterschiedliche Entwicklungen zu verzeichnen sind. So werden in einigen Regionen Sozialleistungen fast ausschließlich von staatlichen Trägern übernommen, in anderen agieren vermehrt auch nicht-staatliche Einrichtungen in diesem Bereich (ÖB Moskau 6.2021).
Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land ist es für alle Bürger der Russischen Föderation möglich, bei Krankheiten, die in einzelnen Teilrepubliken nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) (vgl. dazu die Kapitel Bewegungsfreiheit und Meldewesen) (DIS 1.2015).
Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung im Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist (ÖB Moskau 6.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 24.2.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 17.2.2021
GTAI – German Trade and Invest (27.11.2018): Russlands Privatkliniken glänzen mit hohem Wachstum, https://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Maerkte/suche ,t=russlands-privatkliniken-glaenzen-mit-hohem-wachstum,did=2183416.html, Zugriff 17.2.2021
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 17.2.2021
IOM – International Organisation of Migration (2020): Länderinformationsblatt Russische Föderation, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698619/18364377/-/Russische_F%C3%B6deration_%2D_Country_Fact_Sheets_2020%2C_Deutsch.pdf?nodeid=22619450&vernum=-2 , Zugriff 14.10.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 14.10.2021
Ostexperte.de (22.9.2017): Privatkliniken in Russland immer beliebter, https://ostexperte.de/russland-privatkliniken/ , Zugriff 17.2.2021
Rückkehr
Letzte Änderung: 02.02.2023
Gemäß Art. 27 der Verfassung und im Einklang mit gesetzlichen Vorgaben haben russische Staatsbürger das Recht, ungehindert in die Russische Föderation zurückzukehren (Duma 6.10.2022; vgl. RF 14.7.2022, ÖB 4.4.2022). Jedoch kommt es de facto beispielsweise im Zuge von Grenzkontrollen zu Befragungen Einreisender durch Grenzkontrollorgane (ÖB 4.4.2022). Es liegen Hinweise vor, dass die Sicherheitsdienste einige Personen bei Ein- und Ausreisen überwachen. Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel, die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses, Inlandspasses (wie Personalausweis) oder anerkannten Passersatzdokuments nach Russland einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine Verwaltungsstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen beim Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 28.9.2022). Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (ÖB 30.6.2022; vgl. EUR-Lex 17.5.2007). Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach welchem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden (ÖB 30.6.2022).
Rückkehrende haben wie alle anderen russischen Staatsbürger Anspruch auf Teilhabe am Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem, solange sie die jeweiligen Bedingungen erfüllen (IOM 7.2022). Von Rückkehrern aus Europa wird manchmal die Zahlung von Bestechungsgeldern für grundsätzlich kostenlose Dienstleistungen (medizinische Untersuchungen, Schulanmeldungen) erwartet. Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können nicht als spezifische Probleme von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, vor allem für junge Mädchen, wenn diese in einem westlichen Umfeld aufgewachsen sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf eine mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt (ÖB 30.6.2022).
Es sind keine Fälle bekannt, in welchen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten (AA 28.9.2022). Eine erhöhte Gefährdung kann sich nach einem Asylantrag im Ausland bei Rückkehr nach Tschetschenien für diejenigen Personen ergeben, welche bereits vor der Ausreise Probleme mit den Sicherheitskräften hatten (ÖB 30.6.2022). Der Kontrolldruck der Sicherheitsbehörden gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. NGOs berichten von willkürlichem Vorgehen der Polizei bei Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen. Letztere finden vor allem in Tschetschenien auch ohne Durchsuchungsbefehle statt (AA 28.9.2022).
Sollte ein Einberufungsbefehl ergangen sein, ist diesem bei Rückkehr Folge zu leisten (ÖB 12.12.2022). Wenn ein Einberufungsbefehl vorliegt, dann werden russische Staatsangehörige aus Tschetschenien – wie auch andere Bürger - nach Rückkehr in die Russische Föderation eingezogen und nach einer Ausbildung im Ukraine-Krieg eingesetzt (ÖB 25.1.2023).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf , Zugriff 6.10.2022
Duma [Russland] (6.10.2022): Конституция РФ с изменениями 2022 года [Verfassung der RF mit den Änderungen des Jahres 2022], http://duma.gov.ru/news/55446/ , Zugriff 10.1.2023
EUR-Lex (EU-Rechtsdatenbank) (17.5.2007): Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme - Gemeinsame Erklärungen (ABl. L 129 vom 17.5.2007), https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=uriserv%3AOJ.L_.2007.129.01.0040.01.DEU&toc=OJ%3AL%3A2007%3A129%3ATOC , Zugriff 29.7.2022
IOM – Internationale Organisation für Migration (7.2022): Russische Föderation: Länderinformationsblatt 2021, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2021_Russia_DE.pdf , Zugriff 23.8.2022
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (25.1.2023): Auskunft der Botschaft, per E-Mail
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (12.12.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf , Zugriff 10.1.2023
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (4.4.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail
RF – Russische Föderation [Russland] (14.7.2022): Федеральный закон "О порядке выезда из Российской Федерации и въезда в Российскую Федерацию" от 15.08.1996 N 114-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz ’Über den Ablauf der Aus- und Einreise in die Russische Föderation' vom 15.08.1996 N 114-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_11376/ , Zugriff 1.2.2023
Dokumente
Letzte Änderung: 29.08.2022
Die von den staatlichen Behörden ausgestellten Dokumente sind in der Regel echt und inhaltlich richtig. Dokumente russischer Staatsangehöriger aus den russischen Kaukasusrepubliken (insbesondere Reisedokumente) enthalten hingegen nicht selten unrichtige Angaben. Gründe hierfür liegen häufig in mittelbarer Falschbeurkundung und unterschiedlichen Schreibweisen von beispielsweise Namen oder Orten. In Russland ist es möglich, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie beispielsweise Staatsangehörigkeitsnachweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle und Gerichtsurteile. Es gibt Fälschungen, die auf Originalvordrucken professionell hergestellt werden (AA 21.5.2021). Das niederländische Außenministerium berichtet über manche gefälschte europäische Visa in echten russischen Reisepässen. In der Vergangenheit traten einerseits Fälle gefälschter Einreisestempel in echten russischen Reisepässen auf und andererseits echte russische Reisepässe, welche im Besitz anderer Personen waren (NL-MFA 4.2021).
Weder die Staatendokumentation, noch der Verbindungsbeamte oder die Österreichische Botschaft können die Bedeutung von Reisepassnummern, welche sich auf die ausstellenden Behörden beziehen, nachvollziehen (VB 4.3.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.5.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053304/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_21.05.2021.pdf , Zugriff 13.7.2022
NL-MFA – Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (4.2021): Country of origin information report for the Russian Federation, https://www.government.nl/binaries/government/documenten/reports/2021/04/12/general-country-of-origin-information-report-for-the-russian-federation-april-2021/General+Country+of+Origin+Information+Report+for+the+Russian+Federation+%28April+2021%29.pdf , Zugriff 27.7.2022
VB – Verbindungsbeamter für die Russische Föderation [Österreich] (4.3.2021): Auskunft per E-Mail
2. Beweiswürdigung:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG sowie durch die Einsichtnahme in den vorgelegten Verfahrensakt des BFA, den Gerichtsakt sowie in die diesem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderberichte. Ergänzend wurden Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister, der Grundversorgung, dem Zentralen Fremdenregister, ein Sozialversicherungsdatenauszug, zum vorliegenden Akt eingeholt.
2.1. Zu den persönlichen Verhältnissen des BF:
2.1.1. Die Feststellungen zu den Personalien, der Staatsangehörigkeit und der Volksgruppen- sowie Religionszugehörigkeit des BF ergeben sich aus seinen gleichbleibenden Angaben im Verfahren (AS XXXX und AS XXXX , Verhandlungsprotokoll [VHP] S. XXXX ). Soweit Feststellungen zu seinen Sprachkenntnissen getroffen werden, so beruhen diese gleichfalls auf seinen Angaben bei der Erstbefragung (AS XXXX ) sowie auf seinen Angaben vor dem BVwG (VHP XXXX ). Die sexuelle Orientierung des BF gründet in seinen diesbezüglich gleichbleibenden und glaubhaften Angaben im Verfahren vor dem BFA als auch seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG (AS XXXX und VHP S. XXXX ).
2.1.2. Die Feststellungen zur schulischen und beruflichen Ausbildung des BF sowie dessen Erwerbstätigkeit gründen auf seinen überwiegend gleichbleibenden Angaben bei der Erstbefragung (AS XXXX ) und dem BFA (AS XXXX ) sowie seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG (VHP S. XXXX ). Dass dieser hierbei aus beruflichen Gründen Reisen in andere Landesteile der Russischen unternommen ergibt sich ebenfalls aus seinen diesbezüglichen Angaben (VHP S. XXXX ).
2.1.3. Soweit Feststellungen zu Angehörigen und Verwandten getroffen werden, so beruhen diese auf seine überwiegend gleichlautenden Angaben im Verfahren (AS XXXX und VHP S. XXXX ). Als wahr unterstellt wird der Umstand, dass seine Mutter zwischenzeitig, d.h. nach seiner Einreise in das Bundesgebiet, verstorben ist (AS XXXX vs. VHP S. XXXX ). Die Feststellungen zu seinen bisherigen Ehen und deren Scheidung, sowie zu seinem Sohn gründen auf seinen diesbezüglichen Angaben im Verfahren (AS XXXX und VHP S XXXX
2.1.4. Dass der BF in seinem Herkunftsstaat als auch in seinem Herkunftsort soziale Kontakte pflegte und einen Freundeskreis besaß, ergibt sich aus seinen Angaben bei Gericht. Ebenfalls, dass der BF die letzten acht Jahre vor seiner Ausreise eine weitere (dritte) Beziehung zu einer Frau hatte (VHP S. XXXX und AS XXXX )).
2.1.5. Aufgrund des Umstandes, dass der BF den überwiegenden Teil seines Lebens nach Abschluss der Schule einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist und dieser auch in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, in Österreich eine Arbeit anzustreben (VHP S. XXXX ), ist von einer beim BF bestehenden Arbeitsfähigkeit auszugehen. Dass dieser strafrechtlich unbescholten ist, gründet auf einer Abfrage der zum Strafregister gespeicherten Daten.
2.2. Zu den Fluchtgründen:
2.2.1. Als Fluchtgrund brachte der BF im Wesentlichen vor, dass er im Jahre 2000 unter dem Einfluss von betäubenden Substanzen vergewaltigt und am Körper verletzt worden sei. Des Weiteren sei am XXXX .05.202 XXXX ein tätlicher Angriff auf ihn verübt worden, der im Zusammenhang mit jenen Ereignissen im Jahre 200 XXXX gestanden sei. In beiden Fällen habe er erfolglos versucht bei der Polizei Anzeige gegen die Täter zu erstatten. Dass diese Ereignisse im Jahr 200 XXXX bzw. jenes im Jahr 202 XXXX tatsächlich stattgefunden haben ergibt sich aus der glaubhaften, an Realkennzeichen reichen, Schilderung des BF derselben vor Gericht (VHP S. XXXX ).
2.2.2. Die Schilderungen des BF, wonach die Polizeidienststellen bei denen er Anzeigen erstattet hat, diesen nicht nachgegangen seien, erscheint ausweislich der Länderberichte dahingehend glaubhaft, wonach der staatliche Schutz von Opfern von Straftaten mit homophoben Hintergrund unzureichend ist und die Polizei sich häufig weigert diesbezügliche Anzeigen aufzunehmen (s.o. Pkt. 1.4, S.40, „Sexuelle Minderheiten“).
2.2.3. Dass der BF sich weder bei den vorgesetzten Polizeidienststellen noch bei der Staatsanwaltschaft oder einem Gericht hierüber beschwert hat, ergibt sich aus den diesbezüglich bestätigenden Aussagen des BF vor dem BVwG (VHP S. XXXX ).
2.2.4. Dass die nachfolgenden, vom BF in der mündlichen Verhandlung geschilderten, Vorfälle in XXXX bzw. in XXXX , in keinem Zusammenhang mit seiner sexuellen Orientierung stehen beruht auf nachfolgenden Erwägungen:
Hinsichtlich des Vorfalls in XXXX , bei welchem dem BF von drei usbekischen Mitbewohnern eine „nationale“ Droge verabreicht und ihm sodann ein Brett in den Rücken gestoßen worden waren sei, war für den erkennenden Richter kein Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung des BF ersichtlich. Auch der BF selbst räumte über diesbezügliche Nachfrage ein, dies nicht zu wissen (VHP S. XXXX ), weshalb in Ermangelung entsprechender Anhaltspunkte eine negative Feststellung zu treffen war.
Auch aus der vom BF geschilderten Schlägerei in einem Kaffeehaus in XXXX , wo dieser geschlagen wurde und es folglich zu einer Gegenüberstellung bei der Polizei gekommen ist, sind für das erkennende Gericht keine Verfolgungshandlungen aufgrund der sexuellen Orientierung des BF – sei es, dass solche der Schlägerei zugrunde lagen, noch, dass die Polizei aus diesem Grund die Anzeige nicht weiterverfolgt hätte – erkennbar. Dass die vom BF getätigte Anzeige folglich von der Polizei eingestellt wurde scheint offensichtlich im Zusammenhang mit dem nachfolgenden Tod des bei der Gegenüberstellung vom BF identifizierten XXXX . in Zusammenhang zu stehen (VHP S. XXXX ), weshalb in diesem Fall nicht von einer Untätigkeit der Polizei gesprochen werden kann.
2.2.5. Dass der BF zwischen den beiden Ereignissen im Jahr 200 XXXX und dem Angriff im Mai 202 XXXX wegen seiner sexuellen Orientierung sich unbehelligt in seinem Herkunftsstaat aufhalten konnte gründet einerseits in den beiden zuvor getroffenen Negativfeststellungen und wird zudem durch die Aussage des BF bei seiner niederschriftlichen Befragung durch das BFA gestützt (AS XXXX ). So gab der BF auf die Frage, weshalb sich die nach seinen Angaben hinter den im Jahr 200 XXXX stattgefunden Vergewaltigungen und dem tätlichen Angriff im Mai 202 XXXX stehende kriminelle Organisation 21 Jahre bis zu Letzterem verstreichen habe lassen an, dass er sich in XXXX und XXXX aufgehalten habe. Der über Nachfrage vom BF getätigten Relativierung seiner Aussage kann seitens des Richters keine Relevanz zugemessen werden, diente diese sichtlich einer Relativierung seiner zuvor getroffenen und zwei Mal bekräftigten Angabe, wonach er von dieser (Organisation) sicher gewesen sei (AS XXXX ).
Wenn der BF angab, dass er im Jahr 200 XXXX in seinem Heimatort XXXX zusammen mit einem Mann zusammenwohnte und damals von einem Dritten beim Sex beobachtet worden sei – ein Umstand der angesichts der Kleinheit der Stadt sich rasch verbreitet hätte und allen bekannt gewesen sei (VHP S. XXXX ) – und der BF sich neben seinem Aufenthaltsort XXXX immer wieder, sohin sowohl während seiner Ehe mit seiner zweiten Frau als auch zuletzt von 202 XXXX bis 202 XXXX , dort aufgehalten hat (VHP S. XXXX ), so stützt dies ebenfalls die obige Annahme und steht im Widerspruch zu der vom BF beim BFA angeführten (AS XXXX ), als auch in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Behauptung, wonach ein Wohnsitzwechsel innerhalb der Russischen Föderation sofort bekannt würde und eine neuerliche Verfolgung durch diese kriminelle Organisation nach sich ziehen würde (VHP S. XXXX ).
In diesem Zusammenhang sei auch angemerkt, dass es dem BF bis zu seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat möglich war, entsprechend seiner sexuellen Orientierung ein Sexualleben zu führen. Dies ergibt sich aus seinen Angaben gegenüber dem BFA, wonach er in den letzten acht Jahren (Anm.: vor seiner Ausreise) in einer Lebensgemeinschaft mit einer Frau lebte, in dieser Zeit jedoch auch sexuelle Kontakte zu Männern pflegte, wobei die Frau von diesen nichts wusste (AS XXXX ).
2.2.6. Der BF konnte sohin nicht glaubhaft darlegen, dass er in der Russischen Föderation (außerhalb der Region des Nordkaukasus) Gefahr liefe, wegen seiner sexuellen Orientierung Verfolgungshandlungen durch staatliche Behörden ausgesetzt zu sein. Der BF wurde zu keinem Zeitpunkt von Behörden wegen seiner sexuellen Orientierung angehalten oder festgenommen und hatte dieser auch sonst niemals Probleme mit staatlichen Behörden (VHP S. XXXX ).
Aus den Länderberichten ergibt sich, dass homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen seit 1993 legal sind. Zwar besteht seit 2013 das Gesetz zum Verbot der an Minderjährige gerichteten Propaganda von nicht-traditionellen Beziehungen, welches als Sanktionen Geldstrafen sowie die temporäre Schließung von Medien, welche diese Propaganda verbreiten, vorsieht, doch hat der BF zu keinem Zeitpunkt behauptet, dass er gegen dieses Gesetz verstoßen habe.
Im Gegenteil, der BF brachte dazu befragt vor, dass er sich nicht öffentlich zu seiner sexuellen Orientierung geäußert oder diese gar beworben hätte, sohin diese im Verborgenen gehalten habe und gegenteiliges Handeln ja „Selbstmord“ wäre (VHP S. XXXX ).
Dass er seine Bisexualität verborgen hat, ist auch insofern glaubhaft, als seine zweite Ehefrau, mit der er von 200 XXXX bis 200 XXXX verheiratet war und mit der er bis 200 XXXX auch zusammenlebte (und mit welcher er bereits 2 ½ bis 3 Jahre vor der Eheschließung zusammengelebt hat) nach seinen Angaben nichts von seiner Bisexualität gewusst hat (VHP S. XXXX ).
Wie bereits oben zu Pkt.2.2.2. ausgeführt weigert sich die russische Polizei zwar häufig Anzeigen von LGBTIQ-Personen aufzunehmen, wenn das Opfer den homophoben Hintergrund der Tat benennt. Ausweislich der Länderinformationen, denen der BF nicht entgegengetreten ist, ist die Ahndung einer Straftat durch die Behörden jedoch nicht gänzlich ausgeschlossen, sondern bedarf eine solche jedoch (vielfach) einer Beschwerde bei der vorgesetzten Polizeidienststelle, der Staatsanwaltschaft oder bei Gericht. Der BF hat sich jedoch in keinem der von ihm geschilderten Übergriffe in Verfolg zur Anzeige bei der Polizei an eine solche übergeordnete Instanz gewandt (VHP S. XXXX ), was ihm jedoch zumutbar gewesen wäre.
2.2.7. Auch eine gegen den BF außerhalb seines Herkunftsortes XXXX drohende Verfolgungsgefahr von privater Seite, ist nicht wahrscheinlich.
Eine Bedrohung durch Angehörige der von ihm angeführten, namentlich nicht bezeichneten, kriminellen Organisation, hat über einen Zeitraum von 21 Jahren weder in seinem Heimatort noch in XXXX oder XXXX stattgefunden.
Aus den Länderberichten ergibt sich insgesamt, dass das belegte Vorkommen von Phänomenen homophober Gewalt und von Diskriminierung auch regional sehr unterschiedlich ist. Stellt sich die Lage für sexuelle Minderheiten im Nordkaukasus als besonders gravierend dar, so findet in hingegen jährlich ein Queerfest statt und zeigt dies, dass jedenfalls im urbanen Bereich homosexuellen Personen ein Leben in der russischen Föderation grundsätzlich möglich ist, wie dies auch der BF über lange Zeit auch selbst gezeigt hat.
Dass der BF in einer solchen Region der Russischen Föderation, wie eben beispielsweise St. Petersburg oder Moskau wegen seiner sexuellen Orientierung Verfolgung durch Mitglieder dieser Organisation zu gewärtigen hätte, ist bei einer Einwohnerzahl von ca. 5,4 bzw. 12,7 Millionen Einwohnern sohin mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit zu verneinen. Das widersprechende Vorbringen des BF, wonach es in jeder Stadt einen Oberaufseher gebe, der Menschen wie dem von ihm namentlich genannten örtlichen (Anm. in Bezug auf XXXX ) Verbrecher XXXX . berichten würden, wer sich neu ansiedle, ist mangels entsprechender Plausibilität und Substantiiertheit rein spekulativ und nicht glaubhaft.
Auch der Umstand, dass der BF seine Bisexualität im Herkunftsstaat nicht uneingeschränkt offen ausgelebt hat, sondern diese nicht nur für die Öffentlichkeit, sondern auch für nahe Angehörige im Verborgenen gehalten hat, belegt hinreichend, dass er sich jedenfalls bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland nicht zurücknehmen müsste und seine sexuelle Orientierung in einem für ihn ausreichenden Maß ausleben könnte. Der BF hat über Jahre trotz seiner sexuellen Orientierung im Familienverband gelebt und hat eine berufliche Tätigkeit ausgeübt, die ihn mit zahlreichen Personen täglich in Kontakt gebracht hat. Demnach ist seine sexuelle Orientierung niemandem aufgefallen.
2.3. Zu einer möglichen Rückkehr in den Herkunftsstaat:
Wie bereits erläutert, hat der BF im Herkunftsstaat keine Verfolgung zu befürchten. Sonstige Gründe, die einer Rückkehr entgegenstehen, wurden von ihm nicht substantiiert vorgebracht und sind auch anhand der Länderfeststellungen nicht objektivierbar.
Die Feststellung, wonach die Existenz des BF im Falle seiner Rückkehr nicht bedroht wäre, erschließt sich aus seinen individuellen Umständen.
Wie bereits dargelegt, befindet sich der BF im erwerbsfähigem Alter und ist gesund, weshalb es ihm möglich und zumutbar ist, eine Arbeit im Herkunftsstaat aufzunehmen und somit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Der BF spricht die Landessprache, verfügt über mehrjährige Schulbildung und einen Collegeabschluss. Er weist entsprechende Berufserfahrung auf und konnte im Herkunftsland über viele Jahre seinen Lebensunterhalt für sich – teilweise auch für seine Familie – sichern. Es sind somit keinerlei Gründe ersichtlich, warum der BF im Herkunftsstaat keiner Arbeit nachgehen könnte.
Wenngleich in der Russischen Föderation eine wirtschaftlich schwierigere Situation als in Österreich besteht, so ist in einer Gesamtbetrachtung, unter Berücksichtigung der individuellen Situation des BF festzuhalten, dass von einer lebensbedrohenden Notlage im Herkunftsstatt, welche bei einer Rückkehr die reale Gefahr einer unmenschlichen Behandlung iSd Art 3 EMRK indizieren würde, aus Sicht des erkennenden Gerichtes jedenfalls nicht gesprochen werden kann.
Auch im Hinblick auf die derzeitige Situation im Zusammenhang mit dem militärischen Konflikt zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine ergeben sich keine Gründe, die einer Rückkehr entgegenstehen. Wie sich aus den Länderberichten ergibt, beschränken sich die Kampfhandlungen in diesem Zusammenhang derzeit auf das Gebiet der Ukraine und ist somit auch in diesem Kontext kein Rückkehrhindernis erkennbar. Für den BF sind weder im Hinblick auf sein Alter noch auf seine Ausbildung beispielsweise Gründe annehmbar, die eine allfällige zukünftige erzwungene Teilnahme an Kampfhandlungen nach erfolgter Einberufung aufzeigen würden. Zudem ist die Ableistung eines Wehrersatzdienstes möglich.
Aus den Länderfeststellungen lässt sich auch keine derartige Situation im Herkunftsland ableiten, wonach der BF allein aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage ohne Hinzutreten individueller Faktoren in der Russischen Föderation aktuell und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit seiner Person drohen würde.
2.4. Zur maßgeblichen Lage im Herkunftsstaat:
Die maßgebliche Situation im Herkunftsstaat ergibt sich aus dem in den Feststellungen genannten Länderbericht und die darin zitierten Quellen. Bei den angeführten Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in der Russischen Föderation ergeben. Diesen wurde weder seitens des BF noch seitens der belangten Behörde substantiiert entgegengetreten.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht
Gemäß § 9 Abs. 2 FPG und § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.
Da sich die gegenständliche – zulässige und rechtzeitige – Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte (mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes) ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit .). Gemäß § 59 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen, Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
3.2. Zur Erhebung der Säumnisbeschwerde:
Gemäß § 8 Abs. 1 VwGVG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) erst erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn gesetzlich eine kürzere oder längere Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb dieser entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.
3.2.1. Im vorliegenden Fall stellte der BF am 01.02.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Schriftsatz vom 15.02.2023 erhob der Beschwerdeführer Säumnisbeschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG.
3.2.2. Zu prüfen bleibt, ob die gegenständliche Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des BFA abzuweisen ist, weil die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden des BFA zurückzuführen ist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in Fällen der Verletzung der Entscheidungspflicht zur Frage des überwiegenden Verschuldens der Behörde bereits festgehalten, dass der Begriff des Verschuldens der Behörde nach § 8 Abs. 1 VwGVG nicht im Sinn eines Verschuldens von Organwalter der Behörde, sondern insofern „objektiv“ zu verstehen ist, als ein solches „Verschulden“ dann anzunehmen ist, wenn die zur Entscheidung berufene Behörde nicht durch schuldhaftes Verhalten der Partei oder durch unüberwindliche Hindernisse an der Entscheidung gehindert war. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ein überwiegendes Verschulden der Behörde darin gesehen, dass diese die für die zügige Verfahrensführung notwendigen Schritte unterlässt oder mit diesen grundlos zuwartet (VwGH 22.06.2017, Ra 2017/20/0133; vgl. auch 24.05.2016, Ro 2016/01/0001, und vom 28.06.2016, Ra 2015/10/0107, jeweils mwN).
3.2.3. Wie sich aus der Beschwerdevorlage des BFA vom XXXX .02.2023, beim BVwG eingelangt am XXXX .02.2023, ergibt, hat das BFA trotz Setzung von Verfahrensschritten keinen, den Antrag auf internationalen Schutz betreffenden, das Verfahren inhaltlich abschließenden Bescheid erlassen. Das Versäumnis ist sohin mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ausschließlich der Behörde zuzurechnen.
3.2.4. Die Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht wurde sohin zu Recht erhoben, sodass die Zuständigkeit, über den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom XXXX .02.2022 zu entscheiden, auf das BVwG übergegangen ist.
Zu Spruchteil A):
3.3. Zur Nichtstattgabe des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.):
3.3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Nach Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
3.3.2. Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 idgF kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
Im Hinblick auf die Neufassung des § 3 AsylG 2005 im Vergleich zu § 7 AsylG 1997 als der die Asylgewährung regelnden Bestimmung wird festgehalten, dass die bisherige höchstgerichtliche Judikatur zu den Kriterien für die Asylgewährung in Anbetracht der identen Festlegung, dass als Maßstab die Feststellung einer Verfolgung iSd Artikel 1 Abschnitt A Z. 2 GFK gilt, nunmehr grundsätzlich auch auf § 3 Abs. 1 AsylG 2005 anzuwenden ist.
3.3.3. Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die "begründete Furcht vor Verfolgung". Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn objektiver Weise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen.
3.3.4. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet.
Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr. Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss.
Weiters muss sie sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen. Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen stellen im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr dar, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist. Anträge auf internationalen Schutz sind gemäß § 3 Abs. 3 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn den Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§11 AsylG) offen steht (Z.1) oder der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat (Z. 2).
Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG z.B. VwGH 15.3.2001, 99/20/0036; 15.3.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist - wie der Verwaltungsgerichtshof zur GFK judiziert, deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, 29.03.2001, 2000/-20/0539).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 27.06.1995, 94/20/0836; 23.07.1999, 99/20/0208; 21.09.2000, 99/20/0373; 26.02.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 12.09.2002, 99/20/0505; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 m.w.N.).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2 [1996] 73; weiters VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 20.09.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256; VwGH 13.11.2008, Zl. 2006/01/0191).
3.3.5. Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht gemäß § 3 AsylG 1991 setzt positiv getroffene Feststellungen von Seiten der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 11.06.1997, Zl. 95/01/0627). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt im Asylverfahren das Vorbringen des Asylwerbers die zentrale Entscheidungsgrundlage dar. Dabei genügen aber nicht bloße Behauptungen, sondern bedarf es, um eine Anerkennung als Flüchtling zu erwirken, hierfür einer entsprechenden Glaubhaftmachung durch den Asylwerber (vgl. VwGH 04.11.1992, Zl. 92/01/0560).
3.3.6. Im vorliegenden Fall gelangt das erkennende Gericht zum Schluss, dass es dem BF nicht gelungen ist, eine tatsächliche asylrelevante Bedrohung seiner Person glaubhaft darzulegen.
Wie beweiswürdigend bereits aufgezeigt, kommen die russischen Behörden aufgrund der weit verbreiteten Ablehnung von Homosexualität und anderer nicht traditioneller sexueller Beziehungen ihrer Verpflichtung gegen homophobe Gewalt vorzugehen und diese zu ahnden häufig nicht nach. Wenngleich die Polizei sich häufig weigert Anzeigen aufzunehmen, wenn das Opfer den homophoben Hintergrund der Tat benennt, so kann dennoch nicht von einem generellen Unwillen oder einer Unfähigkeit des russischen Staates gesprochen werden Opfern Schutz zu gewähren, zumal wie oben zu Pkt. 2.2.6. ausgeführt, die übergeordneten Instanzen - sofern diese befasst werden - sehr wohl willens sind entsprechende Schritte zu setzen. Angesichts der vom BF aufgezeigten, zeitlich weit auseinanderliegenden Übergriffe auf seine Person (Zeitraum von 21 Jahren), sowie des Umstandes, dass der BF in all diesen Fällen keine derartige Beschwerde an die erwähnten übergeordneten Stellen getätigt hat, kann nicht vom Vorliegen einer asylrelevanten Verfolgung, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann, gesprochen werden.
3.3.7. Unbeschadet hiervon bestünde für den BF eine zumutbare Fluchtalternative außerhalb seiner bisherigen Herkunftsregion, insbesondere in urbanen Gebieten wie
3.4. Zur Nichtstattgabe des Antrages auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.):
3.4.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1) oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 leg.cit. ist gemäß Abs. 2 leg.cit. mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 leg.cit. oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 leg.cit. zu verbinden.
Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Abs. 3 abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offensteht. Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung gemäß Abs. 3a auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.
Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. etwa VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus. Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582; 31.05.2005, 2005/20/0095).
Es obliegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (VwGH 20.09.2017, Ra 2017/19/0276; EGMR 09.01.2018, Fall X, Appl. 36.417/16, Z 50).
Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. zum Ganzen zuletzt VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153; 26.6.2019, Ra 2019/20/0050, jeweils mwN). Ziel des Refoulementschutzes ist es nicht, Menschen vor unangenehmen Lebenssituationen zu beschützen, sondern einzig und allein Schutz vor exzeptionellen Lebenssituationen zu geben.
3.4.2 Im gegenständlichen Fall ist aus den Länderberichten in der Russischen Föderation keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art, 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ersichtlich. Aus den Länderfeststellungen ergaben sich keine Umstände, wonach in der Russischen Föderation aktuell eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung iSd Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre. Wie sich aus den Feststellungen ergibt, ist die Situation in der Russischen Föderation auch nicht dergestalt, dass eine Rückkehr des BF für ihn als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.
Es kann somit im gegenständlichen Fall keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention für den Fall der Rückkehr des BF in die Russische Föderation erkannt werden. Weder aus den Angaben des BF zu den Rückkehrbefürchtungen, noch aus den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens ist im konkreten Fall ersichtlich, dass jene gemäß der Judikatur des EGMR geforderte Exzeptionalität der Umstände vorliegen würde, um die Außerlandesschaffung eines Fremden im Widerspruch zu Art. 3 EMRK erscheinen zu lassen:
3.4.3. Der BF ist gesund, arbeitsfähig. Und er verfügt über Berufserfahrung in seiner Heimat Zudem ist zu bedenken, dass er den Großteil seines Lebens im Herkunftsland gelebt und dort auch die Schule und ein College besucht hat, Arbeitserfahrung sammeln konnte, über soziale Kontakte verfügt und letztlich mit der Sprache, den örtlichen Gegebenheiten und den Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates umfassend vertraut ist.
3.4.4. Der BF könnte am Erwerbsleben teilnehmen und würde folglich nicht in eine existenzbedrohende Notlage geraten. Auch verfügt er zum gegenwärtigen Zeitpunkt über das von seiner Mutter geerbte Haus in XXXX .
Es wird nicht verkannt, dass sich die wirtschaftliche Situation bedingt durch die COVID-19-Pandemie und den Konflikt in der Ukraine verschlechtert hat, doch handelt es sich dabei um eine weltweite Problematik und ist der BF bei einer Rückkehr nicht speziell bzw. in einem außergewöhnlichen Maße betroffen. Wie bereits zuvor beweiswürdigend dargelegt, besuchte der BF im Herkunftsland eine Schule sowie ein College und ist einer Beschäftigung nachgegangen.
Es ist daher kein Grund ersichtlich, warum er nicht auch bei einer Rückkehr in eine andere Region seines Herkunftsstaats, insbesondere in urbanen Gebieten wie , in der Lage sein sollte, sich niederzulassen, eine Arbeit zu finden und die notdürftige Lebensgrundlage eigenständig zu bestreiten. Auch ohne Unterstützung durch Familienangehörige und Verwandte ist somit davon auszugehen, dass der BF nicht in eine existenzbedrohende Lage geraten würde.
Vor diesem Hintergrund sind keine exzeptionellen Umstände zu erkennen, die die Annahme, dass der BF im Falle einer Rückkehr eine den Schutzbereich des Art. 3 EMRK erreichende Notlage zu befürchten hätte, erkennen ließen.
Auch bei Betrachtung der gesundheitlichen Situation des BF ergibt sich keine andere Beurteilung. Er ist gesund und es wurde auch nicht vorgebracht, dass er derzeit an COVID-19 leiden oder einer besonderen Risikogruppe angehören würde.
3.4.5. Wie bereits ausgeführt, führt auch der derzeitige militärische Konflikt zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine nicht zu einer Lageänderung für den BF. Die Kampfhandlungen in Zusammenhang mit dem Russland-Ukraine-Krieg beschränken sich – wie oben erwähnt – derzeit (abgesehen von einigen sehr kleinen territorialen Übergriffen auf das russische Staatsgebiet im Grenzbereich zur Ukraine) lediglich auf das Staatsgebiet der Ukraine. Eine besorgniserregende Versorgungslage der russischen Bevölkerung etwa aufgrund wirtschaftlicher Sanktionen des Westens haben sich bis dato (noch) nicht bemerkbar gemacht.
3.4.6. Die Beschwerde ist daher als unbegründet abzuweisen, soweit sie sich gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides richtet.
3.5. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.):
Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Die formellen Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 sind allerdings nicht gegeben.
Indizien dafür, dass der BF einen Sachverhalt verwirklicht, bei dem ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) zu erteilen wäre, sind weder vorgebracht worden noch hervorgekommen: Weder war der Aufenthalt des BF seit mindestens einem Jahr iSd § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet, noch ist dieser zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig, noch ist der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG.
Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war dem BF daher nicht zuzuerkennen und die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 57 AsylG 2005 abzuweisen.
3.7. Zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung und Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung in die Russische Föderation (Spruchpunkt IV.):
Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
Der BF ist als Staatsangehöriger der Russischen Föderation kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu.
Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechtes ist gemäß Abs. 2 leg. cit. nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).
Der Begriff des Privatlebens iSd Art. 8 EMRK ist weit zu verstehen und umfasst das persönliche und berufliche Umfeld eines Menschen, in dem er mit anderen interagiert. Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR ist die Gesamtheit der sozialen Beziehungen zwischen einem ansässigen Migranten und der Gemeinschaft, in der er lebt, integraler Bestandteil des Begriffs des Privatlebens (EGMR 13.10.2011, 41548/06, Trabelsi/DE; EGMR [GK] 23.06.2008, 1638/03, Maslov/AT). Dazu zählen auch berufliche und geschäftliche Beziehungen. Wie stark das Privatleben ausgeprägt ist, hängt in erster Linie von der Dauer des Aufenthalts ab. Für die Annahme eines in den Schutzbereich von Art. 8 EMRK fallenden Privatlebens ist keine konkrete Mindestaufenthaltsdauer erforderlich. Die bereits in Österreich verbrachte Zeit und die dabei erfolgte Integration ist erst bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten (vgl. Peyerl/Czech in Abermann ua. (Hrsg), NAG § 11 Rz 38).
Einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren kommt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ohne Hinzutreten weiterer maßgeblicher Umstände noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zu (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0289 mwN).
Im Falle einer bloß auf die Stellung eines Asylantrags gestützten Aufenthalts wurde in der Entscheidung des EGMR (N. gegen United Kingdom vom 27.05.2008, Nr. 26565/05) auch ein Aufenthalt in der Dauer von zehn Jahren nicht als allfälliger Hinderungsgrund gegen eine Ausweisung unter dem Aspekt einer Verletzung von Art. 8 EMRK thematisiert.
In seiner davor erfolgten Entscheidung Nnyanzi gegen United Kingdom vom 08.04.2008 (Nr. 21878/06) kommt der EGMR zu dem Ergebnis, dass bei der vorzunehmenden Interessensabwägung zwischen dem Privatleben des Asylwerbers und dem staatlichen Interesse eine unterschiedliche Behandlung von Asylwerbern, denen der Aufenthalt bloß aufgrund ihres Status als Asylwerber zukommt, und Personen mit rechtmäßigem Aufenthalt gerechtfertigt sei, da der Aufenthalt eines Asylwerbers auch während eines jahrelangen Asylverfahrens nie sicher ist. So spricht der EGMR in dieser Entscheidung ausdrücklich davon, dass ein Asylweber nicht das garantierte Recht hat, in ein Land einzureisen und sich dort niederzulassen. Eine Abschiebung ist daher immer dann gerechtfertigt, wenn diese im Einklang mit dem Gesetz steht und auf einem in Art 8 Abs. 2 EMRK angeführten Grund beruht. Insbesondere ist nach Ansicht des EGMR das öffentliche Interesse jedes Staates an einer effektiven Einwanderungskontrolle jedenfalls höher als das Privatleben eines Asylwerbers; auch dann, wenn der Asylwerber im Aufnahmestaat ein Studium betreibt, sozial integriert ist und schon zehn Jahre im Aufnahmestaat lebte.
Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs. 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).
Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 02.09.2019, Ra 2019/20/0407 bis 0408, mwN).
Der BF hält sich seit XXXX .02.2022, sohin seit ca. 16 Monaten im Bundesgebiet auf. Die Aufenthaltsdauer entspricht einer solchen, der an sich – ohne das Hinzutreten weiterer maßgeblicher Umstände - noch keine maßgebliche Bedeutung für die Beurteilung der privaten Interessen des BF an einem Verbleib in Österreich zukommt. Derartige Umstände sind jedoch nicht erkennbar.
Der BF hat keine Familienangehörigen im Bundesgebiet. Ein schützenswertes Familienleben iSd. Art. 8 EMRK liegt daher nicht vor, sodass unter diesem Gesichtspunkt nichts für den Verbleib des BF in Österreich spricht.
Der BF kann weder hinreichend relevante Kenntnisse der deutschen Sprache noch eine relevante soziale Verfestigung vorweisen. Es sei nicht verkannt, dass der BF bemüht ist solche sozialen Kontakt aufzubauen, was dieser auch durch die Vorlage von drei Unterstützungsschreiben bescheinigen konnte. Diese erreichen jedoch nicht ein Ausmaß um von einer - in Bezug auf die Aufenthaltsdauer maßgeblichen - Relevanz zu sprechen. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er durch die Inanspruchnahme der Grundversorgung sowie durch Unterstützungsleistungen des Roten Kreuzes.
Das Gewicht der vom BF aufzuweisenden Integrationsbemühungen ist allerdings vor dem Hintergrund, dass ihm die Ungewissheit seines weiteren Verbleibes in Österreich bei all diesen Integrationsschritten bewusst sein musste, dadurch abgeschwächt, dass der BF zu keinem Zeitpunkt von einem sicheren Aufenthalt in Österreich ausgehen konnte und ihm das bewusst sein musste.
Demgegenüber hat der BF nach wie vor Bindungen an seinen Heimatstaat: Er ist dort umfassend sozialisiert, spricht muttersprachlich Russisch und pflegte bis zu seiner Ausreise soziale Kontakte. Es ist nicht ersichtlich, dass die Bindungen zum Heimatstaat des BF durch die 16-monatige Abwesenheit vollständig gelöst sind.
Es sind – unter der Schwelle des Art. 2 und 3 EMRK – auch die Verhältnisse im Herkunftsstaat unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens zu berücksichtigen, so sind etwa Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder Behandlungsmöglichkeiten bei medizinischen Problemen auch in die bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessensabwägung nach § 9 BFA-VG miteinzubeziehen (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119). Eine diesbezüglich besonders zu berücksichtigende Situation liegt gegenständlich im Falle des 49-jährigen, gesunden sowie erwerbsfähigen BF nicht vor.
Auf Basis der Bindungen zum Heimatstaat und der Rückkehrsituation ergibt sich in einer Gesamtbetrachtung nichts für das Interesse des Verbleibs am BF in Österreich Maßgebliches.
In Erwägung dieser öffentlichen Interessen und den gegenläufigen privaten Interessen des BF am Verbleib ergibt sich, dass eine Rückkehrentscheidung in Ansehung des Art. 8 EMRK verhältnismäßig ist.
Die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen sowie an der Verhinderung von (weiteren) strafbaren Handlungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, denen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, überwiegen die persönlichen Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet.
Die Erlassung der Rückkehrentscheidung war daher nicht zu beanstanden, erscheint auch nicht unverhältnismäßig und war demgemäß die Beschwerde auch gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.
Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
Nach § 50 Abs. 2 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).
Nach § 50 Abs. 3 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
Die Zulässigkeit der Abschiebung des BF in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde. Ausdrücklich ist in diesem Zusammenhang auch auf die vorstehenden Ausführungen zur Frage des Vorliegens subsidiären Schutzes zu verweisen.
3.8. Zur Festsetzung einer Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt V.):
3.8.1. Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt; die Frist beträgt gemäß § 55 Abs. 2 FPG vierzehn Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
3.8.2. Solches wurde nicht dargetan und liegen keine Anhaltspunkte vor, die in concreto für eine längere Frist sprächen. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides ist demnach als unbegründet abzuweisen.
3.3. Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zwar teilweise zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
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