AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:W250.2249626.1.00
Spruch:
Schriftliche Ausfertigung des am 03.10.2022 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.10.2021, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und es wird XXXX , geboren am XXXX , gemäß § 3 Abs. 1 und 4 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , geboren am XXXX , damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Syriens, stellte am 23.07.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Am 24.07.2021 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er in Syrien zum Militärdienst einberufen worden sei. Bei einer Rückkehr befürchte er festgenommen und erneut zum Militärdienst einberufen zu werden. Bei einer Rückkehr werde er vor das Militärgericht gestellt und bekomme eine Haftstrafe (AS 19 f.).
3. Der Beschwerdeführer legte im Verfahren seinen syrischen Reisepass mit Ausstellungsdatum vom 13.08.2017, gültig bis 12.08.2019, ausgestellt vom syrischen Konsulat in Dubai, vor. Die Kopien befinden sich im Akt (AS 25 sowie 43 bis 46). Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Weiteren bezeichnet als BFA bzw. belangte Behörde) ließ eine urkundentechnische Prüfung des vorgelegten Reisepasses durchführen. Mit Bericht über die Dokumentenprüfung vom 24.07.2021 (AS 37) stellte die zuständige Landespolizeidirektion fest, dass die urkundentechnische Prüfung des Reisepasses keine Hinweise auf Fälschung ergab.
4. Am 22.09.2021 fand eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA statt. Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er Syrien im Jahr 2010 verlassen habe da er vor dem Militär geflüchtet sei. Danach habe er im Libanon gelebt. Er habe den Grundwehrdienst in Syrien nicht abgeleistet, er habe mehrmals die Regierung bestochen um einen Aufschub zu erhalten (AS 149 – AS 158). Der Beschwerdeführer legte ein Konvolut an Unterlagen im Original vor: seine Heiratsurkunde, die Geburtsurkunden seiner zwei Kinder, Auszüge aus dem Familienbuch vom XXXX in Aleppo ausgestellt, einen Identitätsnachweis, eine syrische Reisepass-Kopie seiner Kinder, eine syrische Reisepass-Kopie seiner Ehefrau, sowie sein Militärbuch auszugsweise in Kopie (AS 154).
5. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 21.10.2021, zugestellt am 15.11.2021, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 23.07.2021 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.). Ihm wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung die Länderinformation der Staatendokumentation zu Syrien, Stand 31.08.2021, zugrunde und führte begründend im Wesentlichen aus, es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Syrien einer konkret gegen ihn gerichteten asylrelevanten Verfolgung seiner Person im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt wäre. Es könne zudem nicht eindeutig festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer seinen Grundwehrdienst noch nicht abgeleistet habe, da er nur die erste Seite seines Wehrdienstbuches vorgelegt habe. Da der Beschwerdeführer nur für ortsfeste Verwendung vorgesehen wäre, sei in seinem Fall von keiner besonderen militärischen Qualifikation für Kampfeinsätze auszugehen und es erscheine unwahrscheinlich, dass er im Falle einer Rückkehr mit XXXX Jahren erstmalig zum Wehrdienst herangezogen werde (vgl. Seite 11 f. sowie 122 f. des angefochtenen Bescheides vom 21.10.2021, AS 171 f.).
6. Mit Schreiben vom 09.12.2021, eingelangt am 10.12.2021, erhob der Beschwerdeführer durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter, fristgerecht Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des obengenannten Bescheides vom 21.10.2021. Darin beantragte er eine mündliche Verhandlung durchzuführen, den Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides zu beheben und dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid hinsichtlich des ersten Spruchpunktes zu beheben und an das Bundesamt zurückzuverweisen.
In der Beschwerde brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, ihm drohe aufgrund der Asylantragstellung in Österreich, bei einer Rückkehr nach Syrien entsprechend den UNHCR Berichten aufgrund unterstellter oppositioneller Einstellung Verfolgung. Zudem drohe ihm Verfolgung aufgrund seiner Ausreise im wehrpflichtigen Alter und dem noch nicht abgeleisteten Grundwehrdienst. Darüber hinaus bestehe die Gefahr, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr zum Wehrdienst einberufen werde, was dieser ablehne. (AS 347 f.; Seite 2 f. der Beschwerde vom 09.12.2021).
7. Am 20.12.2021 langte die Beschwerdevorlage beim Bundesverwaltungsgericht ein. Mit der Beschwerdevorlage wurde gleichzeitig eine Stellungnahme abgegeben in der das BFA im Wesentlichen vorbrachte, beim Beschwerdeführer handle es sich nicht um einen jungen syrischen wehrpflichtigen Mann (vgl. Seite 2 f. der Stellungnahme vom 13.12.2021 in OZ/1).
8. Am 03.10.2022 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch und der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers statt, bei welcher der Beschwerdeführer einvernommen wurde. Ein Vertreter der belangten Behörde ist entschuldigt (OZ/3) nicht erschienen.
Im Rahmen der Verhandlung wurde der Beschwerdeführer insbesondere ausführlich zu seiner Identität, seiner Herkunft, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seinen Familienverhältnissen und seinem Leben in Syrien, seinen Fluchtgründen sowie seinem Leben in Österreich befragt. Das erkennende Gericht brachte neben dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Version 7 vom 10.08.2022, weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in das Verfahren ein: die UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen 6. aktualisierte Fassung vom März 2021, sowie den EASO Leitfaden Syrien vom November 2021. Dem Beschwerdeführer wurde die Möglichkeit gegeben, in diese herkunftsstaatsbezogenen Berichte Einsicht zu nehmen sowie zu den dargelegten Feststellungen eine Stellungnahme abzugeben. Der Beschwerdeführervertreter verwies insbesondere auf die ACCORD Anfragebeantwortung Nr:11948 vom 01.09.2022.
In Ergänzung der bereits vorgelegten Unterlagen wurde vom Beschwerdeführer sein syrisches Wehrdienstbuch im Original vorgelegt. Von diesem wurden auszugsweise Kopien angefertigt und als Beilage der Niederschrift angeschlossen (Beilage ./A in OZ/4).
9. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 03.10.2022 erfolgte eine mündliche Verkündung gemäß § 29 Abs. 2 VwGVG. Im Anschluss übermittelt das Bundesverwaltungsgericht die Niederschrift der Verhandlung samt der mündlichen Verkündung und der wesentlichen Gründe der Entscheidung sowie der Belehrung gemäß § 29 Abs. 2a VwGVG und der Kopien des vom Beschwerdeführer in der Verhandlung vorgelegten Wehrdienstbuches an die belangte Behörde (vgl. Schreiben vom 03.10.2022 in OZ/5).
10. Am 04.10.2022 stellte das BFA einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses (OZ/6).
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1. Zum Beschwerdeführer:
1.1.1. Zu seiner Person:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , seine Identität steht fest. Der Beschwerdeführer wurde am XXXX in Aleppo geboren. Er ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum muslimischen Glauben. Der Beschwerdeführer spricht Arabisch als Muttersprache. Er ist verheiratet und hat zwei minderjährige Kinder (AS 19 f., AS 152 f., Syrischer Reisepass im Original AS 43, OZ/4 Seite 5, 7 = Verhandlungsprotokoll vom 03.10.2022).
Der Beschwerdeführer besuchte in Syrien sechs Jahre lang die Schule und arbeitete als Goldschmied (AS 149 f., OZ/4 Seite 6).
Die Ehefrau sowie die Kinder des Beschwerdeführers halten sich in Syrien auf (AS 19 f., AS 152 f., OZ/4 Seite 6).
Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er nimmt keine Medikamente ein. Der Beschwerdeführer leidet an einer Sehschwäche und ist Brillenträger (AS 152, OZ/4 Seite 6).
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer bezieht seit 22.11.2021 keine Grundversorgung mehr.
1.1.2. Zur befürchteten Verfolgung in Syrien:
1.1.2.1. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers in Syrien:
Der Beschwerdeführer ist XXXX Jahre alt.
Der Beschwerdeführer wurde seit seinem 18 Lebensjahr immer wieder vom syrischen Regime zum Militärdienst aufgefordert, hat diesen aber bisher nicht abgeleistet, weil er sich vorwiegend außerhalb Syriens in den Ländern Libanon, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten aufgehalten hat und durch Schmiergeldzahlungen mehrmals einen Aufschub seines Wehrdienstes erwirken konnte (AS 149 f., OZ/4; S. 8).
Im Jahr 2001 versuchte der Beschwerdeführer sich im Alter von XXXX Jahren vom Wehrdienst freizukaufen, dies scheiterte aber (vgl. den Eintrag im Wehrdienstbuch sowie OZ/4; S. 9).
Im Jahr 2010 kehrte der Beschwerdeführer im Alter von XXXX Jahren erneut nach Syrien zurück in der Hoffnung sich durch Schmiergeldzahlungen vom Wehrdienst freikaufen zu können. Auch dieser Versuch war erfolglos (OZ/4; S. 8).
Der Beschwerdeführer hat seinen Wehrdienst in Syrien nicht abgeleistet (AS 149 f., OZ/4; S. 7).
Für männliche syrische Staatsangehörige zwischen 18 und 42 Jahren ist die Ableistung des Wehrdienstes in Syrien gesetzlich verpflichtend. Der BF hat durch seine endgültige Ausreise aus Syrien im Jahr 2011, im Alter von XXXX Jahren die Ableistung des Militärdienstes verweigert.
Der Beschwerdeführer hat sich durch seine Ausreise seinem Militärdienst entzogen und würde daher bei einer Rückkehr als Regimegegner angesehen werden. Er lehnt einen Militärdienst bei der syrischen Armee ab.
Der Beschwerdeführer verließ Syrien im Jahr 2011 endgültig und stellte am 24.07.2021 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, unter anderem weil er nicht im Militär des syrischen Regimes kämpfen will (AS 149 f., OZ/4; S. 9).
1.1.2.2. Zur Bedrohung bei einer Rückkehr:
Die Ausreise des Beschwerdeführers und die dadurch bewirkte Entziehung vor seinem Militärdienst, wird vom syrischen Regime als Ausdruck einer oppositionellen Gesinnung gesehen. Der Beschwerdeführer lehnt einen Militärdienst bei der syrischen Armee klar ab.
Im Falle einer Rückkehr besteht für den Beschwerdeführer daher die Gefahr, am Grenzkontrollposten verhaftet und wegen der Ausreise und damit einhergehenden Wehrdienstverweigerung verhaftet zu werden und zumindest mit einer Gefängnisstrafe bestraft zu werden, die mit der Anwendung von Folter verbunden wäre.
Die syrische Regierung betrachtet Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen. Auch die Ausreise des Beschwerdeführers und die dadurch bewirkte Entziehung von der Ableistung des Wehrdienstes wird vom syrischen Regime als Ausdruck einer oppositionellen Gesinnung gesehen.
Es besteht zudem die Gefahr, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr, trotz seines Alters von mittlerweile XXXX Jahren, und trotz seiner Sehschwäche (er ist Brillenträger) zum Militärdienst bei der syrischen Armee eingezogen wird, was er ablehnt. Dem Beschwerdeführer geht es abgesehen von seiner Sehschwäche gesundheitlich gut, es ist daher sehr wahrscheinlich, dass eine Befreiung aufgrund des gesundheitlichen Zustandes nicht erfolgen wird. Der Beschwerdeführer hat seinen Wehrdienst bis dato nicht abgeleistet und eine Einziehung zum Wehrdienst trotz Überschreitung des 42. Lebensjahres ist angesichts des willkürlichen Verhaltens der syrischen Behörden und des Bedarfs an kampfähigen Soldaten sehr wahrscheinlich.
Der Beschwerdeführer kann nur über die Grenzübergänge, die in der Hand des syrischen Regimes sind (insbesondere über den Flughafen von Damaskus) sicher und legal nach Syrien zurückkehren.
Die Bedrohung geht vom syrischen Regime, somit vom Staat selbst, aus.
Bei einer Rückkehr nach Syrien läuft der Beschwerdeführer Gefahr, Gewalthandlungen, erheblichen Eingriffen in seine Unversehrtheit und/oder gravierenden Bedrohungen durch das syrische Regime ausgesetzt zu sein.
Die Bedrohung des Beschwerdeführers ist aktuell.
Dem Beschwerdeführer steht eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative nicht zur Verfügung.
Gründe, nach denen ein Ausschluss des Beschwerdeführers hinsichtlich der Asylgewährung zu erfolgen hat, liegen im Verfahren nicht vor.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:
Im Verfahren wurden folgende Quellen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers herangezogen:
Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, aus dem Country of Origin - Content Management System (COI-CMS) - Syrien, Version 7 vom 10.08.2022
Die UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen 6. aktualisierte Fassung, März 2021
Der EASO Leitfaden Syrien, November 2021
ACCORD Anfragebeantwortung A-11948, vom 01.09.2022
Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, Version 7 vom 10.08.2022, wiedergegeben:
1.2.1. Politische Lage
„Letzte Änderung: 05.08.2022
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC 25.2.2019). Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein komplexes Gefüge aus ba'athistischer Ideologie, Repression, Anreize für wirtschaftliche Eliten und der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten (USCIRF 4.2021). Obwohl das Regime oft als alawitisch und als Beschützer anderer religiöser Minderheiten bezeichnet wird, stellt die Regierung kein wirkliches Instrument für die politischen Interessen der Minderheiten dar (FH 3.4.2020).
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Baʿath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen ("Shabiha"). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).
Die syrische Verfassung sieht die Baʿath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungsgremien und Vereinigungen der Bevölkerung wie Arbeiter- und Frauenorganisationen hat (USDOS 30.3.2021). Die Verfassungsreform von 2012 lockerte die Regelungen bezüglich der politischen Partizipation anderer Parteien. In der Praxis unterhält die Regierung jedoch noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernst zu nehmenden Konkurrenten der Regierung Assads entwickeln könnten (FH 4.3.2020). Der Präsident stützt seine Herrschaft insbesondere auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Nachrichtendienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen. So hat sich in Syrien ein politisches System etabliert, in dem viele Institutionen und Personen miteinander um Macht konkurrieren und dabei kaum durch Verfassung und bestehenden Rechtsrahmen kontrolliert werden, sondern v. a. durch den Präsidenten und seinen engsten Kreis. Trotz gelegentlicher interner Machtkämpfe stehen Assad dabei keine ernst zu nehmenden Kontrahenten gegenüber. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle seither verteidigt oder sogar weiter ausgebaut und profitieren durch Schmuggel und Korruption wirtschaftlich erheblich. Durch diese Entwicklungen der letzten Jahre sind die Schutzmöglichkeiten des Individuums vor staatlicher Gewalt und Willkür – welche immer schon begrenzt waren – weiterhin deutlich verringert worden (AA 29.11.2021).
Ausländische Akteure wie Russland, der Iran und die libanesische schiitische Miliz Hizbullah üben aufgrund ihrer Beteiligung am Krieg und ihrer materiellen Unterstützung für die Regierung ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den vom Regime kontrollierten Gebieten aus (FH 4.3.2020).
Zu den Machtverhältnissen in den Gebieten außerhalb der Regimekontrolle siehe die jeweiligen Abschnitte im Kapitel Sicherheitslage.
Wahlen
Wahlen in Syrien dienen nicht dem Finden von Entscheidungsträgern, sondern der Aufrechterhaltung der Fassade von demokratischen Prozessen durch den Staat nach Außen. Sie fungieren als Möglichkeit, relevante Personen in Syrien zu "managen" und Loyalisten dazu zu zwingen, ihre Hingabe zum Regime zu demonstrieren. Entscheidungen werden von den Sicherheitsdiensten oder dem Präsidenten auf Basis ihrer Notwendigkeiten getroffen - nicht durch gewählte Personen (BS 23.2.2022). Im Juli 2020 fanden nach zweimaligem Verschieben des Wahltermins aufgrund der COVID-19-Pandemie die dritten Parlamentswahlen seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs statt. Vom Urnengang ausgeschlossen waren Syrer, die außerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete im Nordwesten und Nordosten Syriens lebten (COAR 27.7.2020). Die Wahlbeteiligung lag bei 33,7 % (BS 23.2.2022). Die herrschende Ba'ath-Partei von Präsident Bashar al-Assad gewann wie erwartet die Mehrheit. Die Baʿath-Partei und deren Verbündete schlossen sich zum Bündnis der "Nationalen Einheit" zusammen (DS 21.7.2020) und erhielten 70% der Parlamentssitze (Duclos 31.7.2020). Die übrigen Sitze gingen an Parteien, die mit der Baʿath-Partei verbündet sind, und an nominell unabhängige Kandidaten mit Verbindungen zu Präsident Assad (COAR 27.7.2020).
Es gab Vorwürfe des Betrugs, der Wahlfälschung und der politischen Einflussnahme. Kandidaten wurden in letzter Minute von den Wahllisten gestrichen und durch vom Regime bevorzugte Kandidaten ersetzt, darunter Kriegsprofiteure, Warlords und Schmuggler, welche das Regime im Zuge des Konflikts unterstützten (TWP 22.7.2020). Der Wahlprozess soll so strukturiert sein, dass eine Manipulation des Regimes möglich ist. Syrische Bürger können überall innerhalb der vom Regime kontrollierten Gebiete wählen, und es gibt kein Al-Jumhuriya.net Liste der registrierten Wähler in den Wahllokalen und somit keinen Mechanismus zur Überprüfung, ob Personen an verschiedenen Wahllokalen mehrfach gewählt haben. Aufgrund der Vorschriften bei Reihungen auf Wahllisten sind alternative KandidatInnen standardmäßig nur ein Zusatz zu den Kandidaten der Baʿath-Partei (AAN/MEI 24.7.2020). Somit ist die Reihung auf der Liste durch das Regime und die Nachrichtendienste wichtiger als die Unterstützung durch die Bevölkerung oder Stimmen (BS 23.2.2022).
Im Mai 2021 wurden in den von der Regierung kontrollierten Gebieten sowie in einigen syrischen Botschaften Präsidentschaftswahlen abgehalten, bei denen Bashar al-Assad mit 95,1 % (78 % Wahlbeteiligung, ÖB 1.10.2021) gewann und damit für eine weitere Amtsperiode von sieben Jahren wiedergewählt wurde. Zwei kaum bekannte Personen waren als Gegenkandidaten angetreten und erhielten 1,5 % und 3,3 % der Stimmen (DS 28.5.2021; vgl. Reuters 28.5.2021). Politiker der Exilopposition waren von der Wahl ausgeschlossen. Die Europäische Union erkennt die Wahl nicht an, westliche Regierungen bezeichnen sie als "weder frei noch fair" und als "betrügerisch", und die Opposition nannte sie eine "Farce" (DS 28.5.2021).
Der politische Prozess gemäß UN-Sicherheitsratsresolution 2254 unter Ägide der Vereinten Nationen stagniert, nicht zuletzt aufgrund der anhaltenden Blockadehaltung des jegliche Zugeständnisse verweigernden Regimes. Dieser Stillstand betrifft neben den Verhandlungen in Genf auch die von Russland zusammen mit der Türkei und dem Iran ins Leben gerufenen Gesprächen im sogenannten "Astana-Format" (AA 29.11.2021).
Gebietskontrolle
Durch massive syrische und russische Luftangriffe und das Eingreifen Irans bzw. durch Iran unterstützter Milizen hat das syrische Regime mittlerweile alle Landesteile außer Teile des Nordwestens, Nordens und Nordostens von der bewaffneten Opposition zurückerobert. Die Anzahl der Kampfhandlungen ist nach Rückeroberung weiter Landesteile zurückgegangen, jedoch besteht die Absicht des syrischen Regimes, das gesamte Staatsgebiet zurückerobern und "terroristische" Kräfte vernichten zu wollen, unverändert fort. Trotz der großen Gebietsgewinne durch das Regime besteht die Fragmentierung des Landes in Gebiete, in denen die territoriale Kontrolle von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt wird, fort. Dies gilt insbesondere für den Nordwesten und Nordosten des Landes (AA 4.12.2020). [Anm.: Nähere Informationen finden sich im Kapitel "Sicherheitslage".] Die Präsenz ausländischer Streitkräfte, die ihren politischen Willen geltend machen, untergräbt weiterhin die staatliche Souveränität, und Zusammenstöße zwischen bewaffneten regimefreundlichen Gruppen deuten darauf hin, dass die Regierung nicht in der Lage ist, die Akteure vor Ort zu kontrollieren. Darüber hinaus hat eine aufstrebende Klasse wohlhabender Kriegsprofiteure begonnen, ihren wirtschaftlichen Einfluss und den Einfluss von ihnen finanzierter Milizen zu nutzen, und innerhalb der staatlichen Strukturen nach legitimen Positionen zu streben (BS 29.4.2020). Das Regime hat zwei Lehren aus dem Konflikt gezogen: Widerspruch mit allen Mitteln niederzuschlagen und verschiedene Akteure gegeneinander auszuspielen, um an der Macht zu bleiben. Aber diese Taktik bringt nicht wirkliche Stabilität oder Sicherheit. Ein permanenter Kampf um ein Minimum an Kontrolle inmitten eines sich verschlechternden sozioökonomischen Umfelds, in dem seine Souveränität von internen und externen Akteuren infrage gestellt wird, ist die Folge (BS 23.2.2022).
Extremistische Rebellengruppierungen, darunter vor allem Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), haben die Vorherrschaft in Idlib (BS 29.4.2020). Die dortigen Lokalräte werden von bewaffneten Gruppen beherrscht oder von diesen umgangen (BS 23.2.2022). - Für mehr Informationen siehe insbesondere Unterkapitel "Nordwest-Syrien" im Kapitel "Sicherheitslage".
Der sogenannte Islamische Staat (IS) wurde im März 2019 aus seinem Gebiet in Syrien zurückgedrängt, nachdem kurdische Kräfte seine letzte Hochburg erobert hatten (FH 4.3.2020). Im Nordosten aber auch in anderen Teilen des Landes verlegt sich der IS verstärkt auf Methoden der asymmetrischen Kriegsführung. Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee (ÖB 1.10.2021).[…]“
1.2.2. Sicherheitslage
„Letzte Änderung: 09.08.2022
Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen (ICG o.D.). Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Dynamiken, wie durch die letzte türkischen Offensive im Nordosten ausgelöst, verlässliche grundsätzliche Aussagen respektive die Einschätzung von Trends schwierig machen. Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt (ÖB 1.10.2021).
Die folgende Karte zeigt Kontroll- und Einflussgebiete unterschiedlicher Akteure in Syrien mit Stand 5.8.2022
Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention Irans in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018b). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt (Reuters 13.4.2016). Militärisch kontrolliert das syrische Regime den Großteil des Landes mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens. Ein wesentlicher Grund hierfür ist die andauernde und massive militärische Unterstützung durch die russische Luftwaffe und Einheiten des Irans bzw. durch Iran unterstützte Milizen einschließlich Hisbollah, der bewaffnete oppositionelle Kräfte wenig entgegensetzen können. Die Streitkräfte des Regimes selbst sind mit Ausnahme einiger Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben. Das Kampfgeschehen konzentriert sich insbesondere auf den Nordwesten (Gouvernements Idlib sowie Teile von Lattakia, Hama und Aleppo) sowie im Berichtszeitraum auch auf den Südwesten des Landes (Gouvernement Dara’a). (AA 29.11.2021). Das Wiederaufflammen der Kämpfe und die Rückkehr der Gewalt in den letzten Monaten geben laut UNHRC (UN Human Rights Council) jedoch Anlass zur Sorge. Kämpfe und Gewalt nahmen sowohl im Nordwesten als auch im Nordosten und Süden des Landes zu (UNHRC 14.9.2021). Türkische Militäroperationen gegen die PKK umfassten auch gelegentliche Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze. Am 2.2.2022 fand eine Luftwaffenoperation mit simultanen Angriffen auf die syrische Stadt Derik sowie die Gebiete Sinjar und Makhmour im Irak statt (ICG 2.2022).
(…)
Mittlerweile leben 66 % der Bevölkerung wieder in den von der Regierung kontrollierten Territorien (ÖB 1.10.2021). Mehr als zwei Drittel der im Land verbliebenen Bevölkerung lebt in Gebieten unter Kontrolle des syrischen Regimes. Auch wenn die militärische Rückeroberung des gesamten Staatsgebietes erklärtes Ziel des Regimes bleibt, zeichnet sich eine Rückeroberung weiterer Landesteile durch das Regime derzeit nicht ab. Im Nordwesten des Landes werden Teile der Gouvernements Lattakia, Idlib und Aleppo durch die von den Vereinten Nationen als Terrororganisation eingestufte Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) sowie Türkei-nahe bewaffnete Gruppierungen kontrolliert. Die Gebiete im Norden und Nordosten entlang der Grenze zur Türkei stehen in Teilen unter Kontrolle der Türkei und ihr nahestehender bewaffneter Gruppierungen in Teilen unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF), punktuell auch des syrischen Regimes. Auch in formal vom Regime kontrollierten Gebieten sind die Machtverhältnisse mitunter komplex, die tatsächliche Kontrolle liegt häufig bei lokalen bewaffneten Akteuren (AA 29.11.2021).
Human Rights Watch kategorisiert einige Angriffe des syrisch-russischen Bündnisses als Kriegsverbrechen, die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten. In Idlib mit seinen über drei Milllionen Zivilbevölkerung kommt es trotz eines wackeligen Waffenstillstandes demnach weiterhin zu verbotenen Angriffen durch das Bündnis. Auch die von den USA angeführte Koalition gegen des Islamischen Staat (IS) verletzte internationales Recht durch unterschiedslose Luftschläge in Nordostsyrien, welche zivile Todesopfer und Zerstörung verursachten (HRW 13.1.2022).
Die Konfliktintensität hat weiter abgenommen; die Sicherheitslage stellt sich jedoch nach wie vor volatil und instabil dar. Dies trifft auch auf die von der Regierung kontrollierten Gebiete zu (ÖB 1.10.2021). Auch in Landesteilen, in denen Kampfhandlungen mittlerweile abgenommen haben, besteht weiterhin ein hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Übergriffen zu werden (AA 29.11.2021).
In weiten Teilen des Landeseine besteht eine dauerhafte und anhaltende Bedrohung durch Kampfmittel. Laut der CoI gab es in Afrin und Ra's al-'Ayn zwischen Juli 2020 und Juni 2021 zahlreiche Sicherheitsvorfälle durch Sprengkörper und Sprengfallen (u.a. IEDs), die häufig an belebten Orten detonieren und bei denen mindestens 243 Zivilisten ums Leben kamen. Laut dem UN Humanitarian Needs Overview von 2020 sind in Syrien 11,5 Mio. Menschen der Gefahr durch Minen und Fundmunition ausgesetzt. 43 % der besiedelten Gebiete Syriens gelten als kontaminiert. Ca. 25 % der dokumentierten Opfer durch Minenexplosionen waren Kinder. UNMAS (United Nations Mine Action Service) hat insgesamt bislang mehr als 12.000 Opfer erfasst. Die Großstädte Aleppo, Raqqa, Homs, Dara‘a und Deir ez-Zor sowie zahlreiche Vororte von Damaskus sind hiervon nach wie vor besonders stark betroffen. Erhebliche Teile dieser Städte sind auch mittel- bis langfristig nicht bewohnbar. Bei einem Drittel der besonders betroffenen Gebiete handelt es sich um landwirtschaftliche Flächen. Dies hat auch gravierende Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion, die nicht nur die Nahrungs-, sondern auch die Lebensgrundlage für die in den ländlichen Teilen Syriens lebenden Menschen darstellt. Trotz eines Memorandum of Understanding zwischen der zuständigen UNMAS und Syrien behindert das Regime durch Restriktionen, Nicht-Erteilung notwendiger Visa und Vorgaben weiterhin die Arbeit von UNMAS sowie zahlreicher, auf Minenaufklärung und -Räumung spezialisierter internationaler NGOs in unter seiner Kontrolle befindlichen Gebieten (AA 29.11.2021).
Der sogenannte Islamische Staat (IS) kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghouz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen Syrian Democratic Forces (SDF) erobert (DZ 24.3.2019). Im Oktober 2019 wurde der Gründer und Anführer des IS, Abu Bakr Al-Baghdadi, bei einem U.S.-Spezialkräfteeinsatz in Nordwest-Syrien getötet (AA 19.5.2020). Sein Nachfolger Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurayshi starb mutmaßlich durch Selbstsprengung bei einem US-Angriff auf ihn in Syrien. Sein Nachfolger ist Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi (DS 10.3.2022). Der IS ist zwar zerschlagen, verfügt aber noch immer über militärische Einheiten, die sich in den Wüstengebieten Syriens und des Irak versteckt halten (DZ 24.3.2019), und ist im Untergrund aktiv (AA 4.12.2020). Nach dem Verlust der territorialen Kontrolle verlagerte der IS seine Strategie hin zu aufständischen Methoden, wie gezielte Angriffe, u.a. Autobomben, Überfälle, und Attentate (DIS 29.6.2020). Generell nimmt die Präsenz des IS in Syrien wieder zu, auch in Landesteilen unter Regimekontrolle. IS-Anschläge blieben auch im Jahr 2021 auf konstant hohem Niveau. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt weiterhin im Nordosten des Landes. Seit Anfang 2020 hat der IS Anschläge in fast allen Landesteilen durchgeführt und ist weiterhin grundsätzlich in der Lage, dies landesweit zu tun. Es sind zudem Berichte über zunehmende Anschläge in Regimegebieten, insbesondere der zentralsyrischen Wüsten- und Bergregion, in Hama und Homs, bekannt geworden. Mehrere Tausend IS-Kämpfer sowie deren Angehörige befinden sich in Gefängnissen und Lagern in Nordostsyrien in Gewahrsam der SDF. Der IS verfügt jedoch weiter über Rückzugsgebiete im syrisch-irakischen Grenzgebiet sowie in Zentralsyrien, bleibt damit als asymmetrischer Akteur präsent, baut Untergrundstrukturen aus und erreicht damit sogar erneut temporäre und punktuelle Gebietskontrolle (AA 29.11.2021). Der IS ist im Regimegebiet stärker, weil die syrische Armee weniger kompetent bei Anti-Terror-Operationen auftritt als die SDF. Deshalb zieht es der IS laut Fabrice Balanche vor, im Regimegebiet zu agieren. Der Schätzung des "Institute for the Study of War" zufolge verfügt der IS über bis zu 15.000 Kämpfer in Syrien und dem Irak. Der Organisation gelingt es, eine neue Generation zu rekrutieren, die frustriert ist, ohne Hoffnung, ohne Zukunft und ohne Arbeit (Zenith 11.2.2022).
Mitte 2020 gehörten zu den Zielpersonen des IS vor allem lokale Behörden und Personen, die mit den Behörden, Kräften und Gruppen, die gegen den IS kämpfen, zusammenarbeiten oder als mit ihnen kooperierend wahrgenommen werden (DIS 29.6.2020). Der IS profitierte von einem Sicherheitsvakuum, das dadurch entstand, dass die verschiedenen militärischen Kräfte ihre Aktivitäten aufgrund der COVID-19-Pandemie reduzierten (USDOS 30.3.2021).
Die NGO Syrian Network for Human Rights (SNHR) versucht die Zahlen ziviler Todesopfer zu erfassen. Getötete Kämpfer werden in dem Bericht nicht berücksichtigt, außer in der Zahl der aufgrund von Folter getöteten Personen, welche Zivilisten wie auch Kämpfer berücksichtigt. Betont wird außerdem, dass die Organisation in vielen Fällen Vorkommnisse nicht dokumentieren konnte, besonders im Fall von "Massakern", bei denen Städte und Dörfer komplett abgeriegelt wurden. Die hohe Zahl solcher Berichte lässt darauf schließen, dass die eigentlichen Zahlen ziviler Opfer weit höher als die unten angegebenen sind. Zudem sind die Möglichkeiten zur Dokumentation von zivilen Opfern auch von der jeweiligen Konfliktpartei, die ein Gebiet kontrolliert, abhängig (SNHR 1.1.2020; vgl. SNHR 1.1.2021).
[…]“
1.2.2.1. Nordwest-Syrien
„Letzte Änderung: 09.08.2022
Im Nordwesten Syriens gilt das Gebiet Idlib, das Teile des Gouvernements Idlib, Nord-Hama, Nord-Lattakia und West-Aleppo umfasst, als letzte verbleibende Hochburg der bewaffneten regierungsfeindlichen Gruppen (BBC 18.2.2020). Während die syrische Regierung die gesamte Provinz zurückerobern will, versucht Ankara zu verhindern, dass Idlib an Damaskus fällt, und daraufhin noch mehr Syrer in die Türkei flüchten (ORF 14.3.2021). Idlib ist seit den Anfängen des Konfliktes eine Oppositionshochburg. Im März 2015 übernahmen oppositionelle Gruppierungen die Kontrolle über die Provinz (CRS 2.1.2019). Im Mai 2017 wurden durch eine Vereinbarung in Astana zwischen Russland und Iran (als Verbündete des syrischen Regimes) einerseits, und der Türkei (als Unterstützer der Rebellen) andererseits, vier Deeskalationszonen eingerichtet, die unter anderem ganz Idlib sowie auch Teile der Provinzen Lattakia, Aleppo und Hama umfasste. Einheiten der syrischen Regierung führen jedoch trotz dieser Vereinbarung militärische Operationen in diesem Gebiet durch und eroberten bis Mitte 2018 etwa die Hälfte der Deeskalationszone im Nordwesten zurück (CRS 2.1.2019; vgl. KAS 6.2020). Mitte September 2018 einigten sich die Türkei und Russland auf die Schaffung einer entmilitarisierten Zone in Idlib (Reuters 26.10.2018; vgl. UNHRC 31.1.2019).
Im 2. Quartal 2022 gab es 434 Konfliktereignisse zwischen den Kräften der syrischen Regierung und ihren Verbündeten einerseits und bewaffneten Oppositionsgruppen andererseits - ein Rückgang von 602 derartigen Vorfällen im vorhergehenden Quartal. Darunter fielen 348 Ereignisse mit Granatbeschuss, 26 Luftangriffe und 59 Zusammenstöße. Im April fanden 142 dieser sicherheitsrelevanten Ereignisse statt, im Mai 169 und im Juni ging die Zahl auf 123 Vorfälle zurück. Der Anstieg auf Vorfälle zwischen den Gruppen der SNA auf 51 im Vergleich zu elf Ereignissen im 1. Quartal 2022 geht auf Spaltungen innerhalb der SNA zurück (CC 5.8.2022).
Im Dezember 2021 kontrollierten HTS und andere regierungsfeindliche Gruppen den Nordwesten des Gouvernorats Idlib, während das Regime die Regionen im Süden des Gouvernorats kontrollierte, inklusive der M5-Autobahn (Liveuamap 10.3.2022; vgl. ISW 25.3.2021). Es wurde von weiteren Spaltungen innerhalb der verschiedenen HTS-Fraktionen berichtet (AM 22.12.2021). HTS geht aktuell gegen den IS und al-Qaida vor und reguliert nun die Anwesenheit ausländischer Jihadisten mittels Ausgabe von Identitätsausweisen für EinwohnerInnen von Idlib, ohne welche z.B. das Passieren von HTS-Checkpoints verunmöglicht wird. HTS versucht demnach so, das Stigma der eigenen Vergangenheit sowie Spekulationen bezüglich des Umstandes, dass die letzten beiden IS-Anführer in Idlib zu Tode kamen, zu beseitigen (COAR 28.2.2022)
Viele IS-Kämpfer übersiedelten nach dem Fall von Raqqa 2017 nach Idlib - großteils Ausländer, die für den Dschihad nach Syrien gekommen waren, und beschlossen, sich anderen islamistischen Gruppen wie der Nusra-Front anzuschließen, heute als Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) bekannt. Meistens geschah das über persönliche Kontakte, aber ihre Lage ist nicht abgesichert. Ausreichend Geld und die richtigen Kontaktleute ermöglichen derartige Transfers über die Frontlinie (Zenith 11.2.2022). Anfang Januar 2019 drängte die jihadistische Allianz HTS die pro-türkische National Liberation Front (NLF) zurück (DZ 8.3.2019) und übernahm die Kontrolle über die Provinz Idlib und die Randgebiete angrenzender Provinzen (DP 10.1.2019). Laut Schätzungen befinden sich mit Stand April 2020 insgesamt etwa 70.000 oppositionelle Kämpfer in Idlib. Auch al-Qaida und der sogenannte Islamische Staat (IS) sollen dort Netzwerke unterhalten (KAS 4.2020). Insbesondere ist HTS präsent, ehemals al-Nusra und affiliiert mit al-Qaida. Unter den Kämpfern befinden sich auch zahlreiche ausländische Kämpfer (Uiguren, Tschetschenen, Usbeken) (ÖB 1.10.2021) und viele Kämpfer aus anderen Gebieten Syriens, wie Ost-Ghouta und Dara'a, die nach der Eroberung durch das Regime nach Idlib flohen (KAS 6.2020).
Im Jahr 2019 eskalierte die Regierung von Syrien die Militäroperationen in Idlib, die in den ersten Monaten 2020 fortgesetzt wurden (USCRS 27.7.2020). Im Februar 2019 kam es zu Luftangriffen der syrischen Regierung im Großraum Idlib (ISW 7.3.2019) und im März 2019 wieder zu russischen Luftangriffen auf die Provinz (DS 14.3.2019). Im Mai 2019 weiteten die russische Luftwaffe und syrische Regierungstruppen ihre Boden- und Luftangriffe auf Idlib und Nord-Hama massiv aus (DS 8.5.2019). Im Dezember 2019 intensivierten das Regime und seine Unterstützer die Militäroffensive deutlich. Luftangriffe auf zivile Infrastruktur wie Schulen, Krankenhäuser, Märkte und Flüchtlingslager führten laut den Vereinten Nationen (UN) zur größten humanitären Katastrophe im Verlauf des Syrien-Konflikts (AA 4.12.2020). Im Februar 2020 begann die Türkei die sogenannte Militäroperation 'Spring Shield' mit Vergeltungsschlägen gegen das syrische Regime. Anfang März 2020 vereinbarten Russland und die Türkei dann ein zeitlich unbegrenztes Zusatzprotokoll zu dem in Kraft bleibenden Abkommen über die Deeskalationszone Idlib von 2018, das unter anderem eine Waffenruhe in Idlib, die Einrichtung eines Sicherheitskorridors nördlich und südlich der Fernstraße M4 sowie russisch-türkische Patrouillen vorsieht (AA 19.5.2020). Der Konflikt führte zu massiven humanitären Verwerfungen mit 2,7 Mio. Binnenvertriebenen (ÖB 1.10.2021). Die Offensive des syrischen Regimes auf das Gebiet von Idlib hatte eine hohe Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung zur Folge (UNSC 28.2.2020). Mehr als eine Million Menschen wurden alleine zwischen Dezember 2019 und Februar 2020 vertrieben, und es kam zu einer massiven humanitären Krise (UNOCHA 17.2.2020; vgl. OHCHR 18.2.2020). Entlang der M4 und M5 Autobahnen kam es u.a zu täglichem Beschuss, periodischen Luftangriffen und internen Machtkämpfen zwischen nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen. Der Beschuss betraf den Süden Idlibs. Luftangriffe erfolgten in von Zivilisten bewohnten Regionen in Nord-Idlib (UNOCHA 26.2.2021, 26.1.2021, 6.3.2021).
Ein nach einer neuerlichen Eskalation Ende Februar/Anfang März 2021 zwischen den Präsidenten Erdogan und Putin vereinbarter Waffenstillstand sorgte für eine Deeskalation. Es kommt aber immer wieder zu lokal begrenzten militärischen Gefechten zwischen den erwähnten Konfliktparteien. Die Türkei verstärkte ihre militärische Präsenz, u.a. in Form von Beobachtungsposten, dehnt die türkische Verwaltung auf die besetzten Gebiete in Syrien aus und errichtet auch zivile Strukturen. In den letzten Wochen [Anm.: Stand September 2021] war eine Zunahme russischer Luftangriffe und Angriffe der syrischen Regierung auf Nordwest-Syrien (ÖB 1.10.2021) bzw. eine Intensivierung der Gewalt in der Deeskalationszone von Idlib festzustellen (UNSC 21.10.2021). Die Artillerieangriffe zielten immer wieder im Lauf von 2021 auch auf die zivile Infrastruktur wie Schulen und Krankenhäuser ab (SN4HR 4.7.2021, 21.7.2021; vgl. HRW 8.12.2021, F24 7.3.2021). Im Herbst/Winter 2021 wurde ebenfalls von zivilen Opfern bei Kampfhandlungen in Nordwest-Syrien berichtet (MSF 13.12.2021; vgl. HRW 8.12.2021, ACLED 27.10.2021, BAMF 25.10.2021, II 10.2021). Anfang Jänner 2022 führten die russischen Sicherheitskräfte in Idlib Luftangriffe durch, bei denen unter anderem eine Pumpstation getroffen wurde, welche die Stadt Idlib und angrenzende Dörfer mit Wasser versorgt (RFE/RL 2.1.2022). Insgesamt nahmen die Gefechte, Luftschläge und Bombardierungen im vergangenen Jahr besonders im südlichen Idlib zu (BBC 15.3.2022).
Die von Präsident Erdogan ankündigte Militäroffensive der Türkei in Nordsyrien gegen das Selbstverwaltungsgebiet (auch Rojava) ist laut Einschätzung des IFK (Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement) "weiterhin möglich": "Im Gegensatz zu früheren Operationen (z.B. Afrin 2018) dürfte dieses Mal aber die Existenz „Rojavas“ auf dem Spiel stehen" (IFK 8.2022).
Einem Untersuchungsbericht zu Vorgängen im ersten Halbjahr 2020 zufolge hat die Syrian National Army (SNA) in Afrin und Umgebung möglicherweise Kriegsverbrechen, wie Geiselnahme, grausame Behandlung, Folter und Vergewaltigung begangen. In der gleichen Region wurden zahlreiche Zivilisten durch große improvisierte Sprengsätze sowie bei Granaten- und Raketenangriffen getötet und verstümmelt. Plünderungen und die Aneignung von Privatland durch die SNA waren weit verbreitet, insbesondere in den kurdischen Gebieten (UNHRC 15.9.2020). Im Juli 2021 erlebten die Orte in Nordwest-Syrien und in den Gebieten Ra's al-'Ayn and Tell Abyad die größte Eskalation seit Beginn des Waffenstillstands im März 2020. Durch Beschuss wurden im Juli 2021 mindestens 42 Zivilisten, davon sieben Frauen und 27 Kinder getötet und zumindest 89 Zivilisten (davon 15 Frauen und 36 Kinder) verletzt (UNOCHA 7.2021). In den Regionen Afrin und Ra's al-'Ayn in Aleppo werden improvisierte Sprengsätze an Fahrzeugen (VBIEDs) häufig in frequentierten zivilen Gebieten wie Märkten und belebten Straßen gezündet. Bei sieben derartigen Angriffen wurde die Tötung und Verstümmelung von mindestens 243 Frauen, Männern und Kindern dokumentiert - die Gesamtzahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung ist jedoch wesentlich höher (UNHRC 14.9.2021).“
1.2.2.2. Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien
„Letzte Änderung: 10.08.2022
Mit großer militärischer Unterstützung der russischen Luftwaffe und iranischer Bodentruppen hat das Assad-Regime mittlerweile etwa zwei Drittel des Landes wieder unter seine Kontrolle gebracht (KAS 8.2020; vgl. ÖB 1.10.2021). Im März 2021 kontrollierte die Regierung den größten Teil des Landes, darunter die Großstädte Damaskus, Aleppo, Homs und Hama sowie fast alle Hauptstädte der Gouvernements/Provinzen (ISW 26.4.2021). Ausländische Akteure und regierungstreue Milizen üben erheblichen Einfluss auf Teile des Gebiets aus, das nominell unter der Kontrolle der Regierung steht (AM 23.2.2021; SWP 3.2020; FP 15.3.2021; EUI 13.3.2020). Die syrische Regierung hat nur begrenzten Einfluss auf ausländische militärische oder paramilitärische Organisationen, die in Syrien operieren, darunter russische Streitkräfte, die libanesische Hizbullah, der iranischen Revolutionswächter (IRGC) und regierungsnahe Milizen wie die National Defence Force (NDF) (USDOS 30.3.2021). Auch in formal vom Regime kontrollierten Gebieten sind die Machtverhältnisse mitunter komplex. Die tatsächliche Kontrolle liegt häufig bei lokalen bewaffneten Akteuren. Für alle Gebiete gilt weiter, dass eine pauschale Lagebeurteilung nicht möglich ist. Auch innerhalb einzelner Regionen unterscheidet sich die Lage von Ort zu Ort und von Betroffenen zu Betroffenen (AA 29.11.2021).
Die Sicherheitslage zwischen militärischer Situation und Menschenrechtslage
Die Regierung ist nicht in der Lage, alle von ihr kontrollierten Gebiete zu verwalten und bedient sich verschiedener Milizen, um einige Gebiete und Kontrollpunkte in Aleppo, Lattakia, Tartus, Hama, Homs und Deir ez-Zour zu kontrollieren (DIS/DRC 2.2019). Gebiete in denen es viele Demonstrationen oder Rebellenaktivitäten gab, wie Ost-Ghouta, Damaskus oder Homs, werden nun auch verstärkt durch die Geheimdienste überwacht (Üngör 15.12.2021). Unabhängig von militärischen Entwicklungen kam es im Berichtszeitraum laut Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen zu massiven Menschenrechtsverletzungen durch verschiedene Akteure in allen Landesteilen, insbesondere auch in Gebieten unter Kontrolle des Regimes (AA 29.11.2021). Dazu gehören Verschwindenlassen, Entführungen und willkürliche Verhaftungen durch Sicherheitsdienste oder Milizen (AA 19.5.2020; vgl. UNHRC 14.8.2020). Regierungsnahe Milizen sind zwar nominell loyal gegenüber dem Regime, können aber die Bevölkerung in den von ihnen kontrollierten Gebieten oft frei ausbeuten (FH 16.9.2021). In ehemals vom IS kontrollierten Gebieten im Gouvernement Deir ez-Zour sollen sich Milizen an Kriminalität und Erpressung von Zivilisten beteiligt haben (AM 21.12.2020, ICG 13.2.2020). In Gebieten wie Daraʿa, der Stadt Deir ez-Zour und Teilen von Aleppo und Homs sind Rückkehrer mit ihre Macht missbrauchenden regimetreuen Milizen, Sicherheitsproblemen wie Angriffen des sogenannten IS, mit schweren Zerstörungen, oder einer Kombination aus allen drei Faktoren konfrontiert (ICG 13.2.2020). Seit Anfang 2020 hat der IS Anschläge in fast allen Landesteilen durchgeführt und ist weiterhin grundsätzlich in der Lage, dies landesweit zu tun (AA 29.11.2021).
Gleichzeitig stellt sich im Zentralraum, insbesondere in den größeren Städten und deren Einzugsgebieten wie Damaskus, Aleppo (allerdings nicht im Umland von Aleppo), Homs und Hama, die (militärische) Sicherheitslage als relativ stabil dar. Im Osten der Provinz Homs ist der IS aktiv; es kommt immer wieder zu Anschlägen und Überfällen auf Einheiten/Konvois der syrischen Armee (ÖB 1.10.2021). Der Westen des Landes, insbesondere Tartus und Lattakia, war im Verlauf des Konflikts vergleichsweise weniger von aktiven Kampfhandlungen betroffen (AA 19.5.2020; vgl. ÖB 1.10.2021). Im Hinterland von Lattakia kommt es immer wieder zu einem Übergreifen des Konflikts von Idlib aus (ÖB 1.10.2021). Die Streitkräfte des Regimes sind mit Ausnahme einiger Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben. Trotz des absoluten Rückgangs der Anzahl von Kampfhandlungen in Folge der Rückeroberung weiter Landesteile ist nicht von einer nachhaltigen Befriedung des Landes auszugehen (AA 29.11.2021).
Anfang des Jahres 2020 kam es in Damaskus und Damaskus-Umland zu wiederholten Anschlägen, bei denen bestimmte Personen (Zivilisten oder Militärpersonal) mittels Autobomben ins Visier genommen wurden (TSO 10.3.2020) und auch 2021 wurde von gelegentlichen Anschlägen berichtet (COAR 25.10.2021). Darunter war z.B. die Bombenexplosion eines Militärbusses am 20.10.2022 in einem dicht besiedelten Gebiet von Damaskus, bei welcher 14 Personen getötet wurden (HRW 13.1.2022).
Aktuell ist die russische Präsenz entgegen vorangegangener Spekulationen wegen des Ukraine-Kriegs weiterhin stark. Russland bemüht sich sogar dies durch Militäraktionen gegen den IS und gegen die von den USA geführte "International Coalition" zu demonstrieren. In Reaktion auf die türkische Androhung einer Offensive verstärkte Russland seine Präsenz im Nordosten. Parallel dazu betont die russische Führung ihre Unterstützung der Souveränität der syrischen Regierung über das gesamte Staatsgebiet Syriens - auch als Reaktion auf türkische Drohungen und regelmäßige israelische Luftschläge. Im Zuge von Gesprächen über ein eventuelles Abkommen zwischen Syrien und Russland wurde die Kooperation auch in den Bereichen Wirtschaft, Kultur, Soziales und Technik verstärkt. Auch nehmen scheinbar russische Wirtschaftsaktivitäten in Syrien zu, und zwar als Folge des iranischen Versuchs, die vermeintlich hauptsächliche Beschäftigung Russlands mit der Ukraine auszunützen (CC 5.8.2022). Rund 25 km von der Hafenstadt Lattakia entfernt liegt die russische Luftwaffenbasis Hmeymim [Khmeimim]. Russland verfügt außerdem über ein umfangreiches Marinekontingent, das im syrischen Hafen Tartus stationiert ist und die russischen Luft- und Bodenoperationen im Land unterstützt (RFE/RL 14.9.2021; vgl. JP 7.12.2021).
Israel führt immer wieder Luftangriffe auf Militärstützpunkte, die (auch) von den iranischen Revolutionsgarden und verbündeten Milizen genützt werden, durch. Die Luftangriffe wurden 2020 zunehmend auf Ziele in ganz Syrien ausgeweitet (ÖB 1.10.2021; vgl. AA 4.12.2020, UNHCR 14.8.2020). Im November 2021 wurde von zwei israelischen Angriffen auf Ziele in der Umgebung von Damaskus berichtet (NPA 3.11.2021). Im Dezember 2021 führte Israel zwei Luftschläge auf den Hafen von Lattakia durch, welche mutmaßlich Warenlager von Iran-nahen Milizen zum Ziel hatten und erhebliche Sachschäden verursachten (Times of Israel 28.12.2021; vgl. MEE 7.12.2021). Der Hafen von Latakia ist der wichtigste Hafen der syrischen Regierung (MEE 7.12.2021). Über ihn wird ein Großteil der syrischen Importe in das vom Krieg zerrüttete Land gebracht (Times of Israel 28.12.2021). Seit Beginn 2022 kam es zu israelischen Angriffen u.a. auf den Flughafen von Damaskus, wo sowohl zivile wie militärische Landebahnen getroffen wurden (JP 11.6.2022). Auch gab es am 5.7.2022 z.B. nahe der Stadt Tartous einen israelischen Angriff auf Luftabwehrsysteme (nach syrischer Darstellung Hühnerfarmen) (JP 5.7.2022). Israel hat bisher hunderte Luftschläge zugegeben, welche u.a. das Ziel haben, eine Verfestigung der iranischen Militärpräsenz in Syrien zu verhindern. Infolgedessen war der Iran laut israelischer Einschätzung zu 70% des Jahres 2021 nicht in der Lage, seine Luft-, See- und Landkorridore zu nutzen, während zusätzlich Unmengen an iranischen Waffen und Munition in Syrien zerstört wurden (JP 11.6.2022). […]“
1.2.3. Folter, Haftbedingungen und unmenschliche Behandlung
„Letzte Änderung: 05.08.2022
Das Gesetz verbietet Folter und andere grausame oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen, wobei das Strafgesetzbuch eine Strafe von maximal drei Jahren Gefängnis für Täter vorsieht. Menschenrechtsaktivisten, die Commission of Inquiry für Syrien der UN (COI) und lokale NGOs berichteten jedoch von Tausenden glaubwürdigen Fällen, in denen die Behörden des Regimes Folter, Missbrauch und Misshandlungen zur Bestrafung vermeintlicher Oppositioneller einsetzten, auch bei Verhören - eine systematische Praxis des Regimes, die während des gesamten Konflikts und sogar schon vor 2011 dokumentiert wurde. Das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte kam zu dem Schluss, dass Einzelpersonen zwar häufig gefoltert wurden, um Informationen zu erhalten, der Hauptzweck der Anwendung von Folter durch das Regime während der Verhöre jedoch darin bestand, die Gefangenen zu terrorisieren und zu demütigen (USDOS 30.3.2021). Willkürliche Festnahmen, Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sind in Syrien weit verbreitet (HRW 13.1.2021; vgl. AI 7.4.2021, USDOS 30.3.2021, AA 4.12.2020).
In jedem Dorf und jeder Stadt gibt es Haft- bzw. Verhörzentren für die ersten Befragungen und Untersuchungen nach einer Verhaftung. Diese werden von den Sicherheits- und Nachrichtendiensten oder auch regierungstreuen Milizen kontrolliert. Meist werden Festgenommene in ein größeres Untersuchungszentrum in der Provinz oder nach Damaskus und schließlich in ein Militär- oder ziviles Gefängnis gebracht. Im Zuge dieses Prozesses kommt es zu Folter und Todesfällen (SHRC 24.1.2019).
Das Auswärtige Amt fasst die Haftbedingungen in Syrien als "unverändert grausam und menschenverachtend" zusammen. Dies ist allgemein der Fall, gilt jedoch besonders für diejenigen Haftanstalten, in denen DissidentInnen und sonstige politische Gefangene festgehalten werden (AA 29.11.2021). Seit Ausbruch des Konflikts haben sich die Zustände danach aufgrund von Überfüllung und einer gestiegenen Gewaltbereitschaft der Sicherheitskräfte und Gefängnisbediensteten erheblich verschlechtert (AA 29.11.2021). NGOs berichten glaubhaft, dass die syrische Regierung und mit ihr verbündete Milizen physische Misshandlung, Bestrafung und Folter an oppositionellen Kämpfern und Zivilisten begehen (USDOS 30.3.2021; vgl. TWP 23.12.2018). Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und Minderjährigen sind weit verbreitet (USDOS 30.3.2021). Unter den von der UN Commission of Inquiry (COI) dokumentierten Fällen waren die jüngsten betroffenen Buben und Mädchen elf Jahre alt (HRW 13.1.2022). Die Regierung nimmt hierbei auch Personen ins Visier, denen Verbindungen zur Opposition vorgeworfen werden (USDOS 30.3.2021). Daneben sind zahllose Fälle dokumentiert, in denen Familienmitglieder, nicht selten Frauen oder Kinder, oder auch Nachbarn für vom Regime als vermeintliche Mitwisser oder für vermeintliche Verbrechen anderer inhaftiert und gefoltert werden. Solche Kollektivhaft wird Berichten zufolge in einigen Fällen auch angewendet, wenn vom Regime als feindlich angesehene Personen Zuflucht im Ausland gesucht haben. (AA 29.11.2021; vgl. bzgl. eines konkreten Falles Üngör 15.12.2021).
Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod von Insassen. Die Gefängnisse sind stark überfüllt, es mangelt an Nahrung, Trinkwasser, Hygiene und Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung. Diese Bedingungen waren so durchgängig, dass die Untersuchungskommission der Vereinten Nationen zu dem Schluss kam, diese seien Regierungspolitik (USDOS 30.3.2021). Laut Berichten von NGOs gibt es zahlreiche informelle Hafteinrichtungen in umgebauten Militärbasen, Schulen, Stadien und anderen unbekannten Lokalitäten. So sollen inhaftierte Demonstranten in leer stehenden Fabriken und Lagerhäusern ohne angemessene sanitäre Einrichtungen festgehalten werden (USDOS 30.3.2021; vgl. SHRC 24.1.2019). Die Regierung hält weiterhin Tausende Personen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt („incommunicado“) fest (USDOS 30.3.2021). SNHR schätzt die Gesamtzahl der verschwunden gelassenen Personen auf mindestens 100.000, hinter fast 85% dieser steckt das Regime (HRW 13.1.2022). Zehntausende Menschen sind weiterhin in willkürlicher Haft, darunter humanitäre Helfer, Anwälte, Journalisten und friedliche Aktivisten (AI 7.4.2021).
In Gebieten, die unter der Kontrolle der Opposition standen und von der Regierung zurückerobert wurden, darunter Ost-Ghouta, Dara'a und das südliche Damaskus, verhafteten die syrischen Sicherheitskräfte Hunderte von Aktivisten, ehemalige Oppositionsführer und ihre Familienangehörigen, obwohl sie alle Versöhnungsabkommen mit den Behörden unterzeichnet hatten, in denen garantiert wurde, dass sie nicht verhaftet würden (HRW 14.1.2020; vgl. ÖB 1.10.2021).
Zwischen März 2011 und Juni 2021 dokumentierte das Syrische Netzwerk für Menschenrechte (SNHR) den Tod von mindestens 14.565 Personen, darunter 181 Kinder und 93 (erwachsene) Frauen, durch Folter durch die Konfliktparteien und die kontrollierenden Kräfte in Syrien, wobei das syrische Regime für 98,6 % dieser Todesfälle verantwortlich ist (SNHR 14.6.2021). Im gesamten Jahr 2021 zählte SNHR insgesamt 104 Todesopfer aufgrund von Folter (SNHR 1.1.2022). Seit 2018 wurden von den Regierungsbehörden Sterberegister veröffentlicht, wodurch erstmals offiziell der Tod von 7.953 Menschen in Regierungsgewahrsam bestätigt wurde, wenn auch unter Angabe unspezifischer Todesursachen (Herzversagen, Schlaganfall etc.). Neben gewaltsamen Todesursachen ist jedoch eine hohe Anzahl der Todesfälle auf die desolaten Haftbedingungen zurückzuführen. (AA 29.11.2021). Die meisten der auch im Jahr 2020 bekannt gegebenen Todesfälle betreffen Inhaftierte aus den vergangenen neun Jahren, wobei das Regime ihre Familien erst in den Folgejahren über ihren Tod informiert, und diese nur nach und nach bekannt macht: Im Jahr 2020 lag die Rate bei etwa 17 Personen pro Monat. In den meisten Fällen werden die Familien der Opfer nicht direkt über ihren Tod informiert, weil der Sicherheitsapparat nur den Status der Inhaftierten im Zivilregister ändert. So müssen die Familien aktiv im Melderegister suchen, um den Verbleib ihrer Verwandten zu erfahren (SHRC 1.2021). Die syrische Regierung übergibt nicht die sterblichen Überreste der Verstorbenen an die Familien (HRW 14.1.2020).
Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Gefängnissen sind jedoch keine Neuerungen der Jahre seit Ausbruch des Konflikts, sondern waren bereits seit der Ära von Hafez al-Assad Routinepraxis verschiedener Geheimdienst- und Sicherheitsapparate in Syrien (SHRC 24.1.2019).
Am 4.11.2020 ließ die syrische Regierung 60 Personen aus Gefängnissen im südlichen Syrien und Damaskus frei (HRW 13.1.2022).
Von Familien von Häftlingen wird Geld verlangt, dafür dass die Gefangenen Nahrung erhalten und nicht mehr gefoltert werden, was dann jedoch nicht eingehalten wird. Große Summen werden gezahlt, um die Freilassung von Gefangenen zu erwirken (NMFA 7.2019). Laut Menschenrechtsorganisationen und Familien von Inhaftierten bzw. Verschwundenen nutzen das Regime und ein korruptes Gefängnispersonal die erheblichen Zugangsbeschränkungen und -erschwernisse in Haftanstalten, aber auch die schlechte Versorgungslage, nicht zuletzt auch als zusätzliche Einnahmequelle. Grundlegende Versorgungsleistungen sowie Auskünfte zum Schicksal von Betroffenen werden vom Justiz- und Gefängnispersonal häufig nur gegen Geldzahlungen gewährt. Zudem sei es in einigen Fällen möglich, gegen Geldzahlung das Strafmaß bzw. Strafvorwürfe nachträglich zu reduzieren und so von Amnestien zu profitieren. Ein im Dezember 2020 von der Association of Detainees and The Missing in Saydnaya Prison veröffentlichter Bericht quantifiziert anhand von Interviews mit Familienangehörigen von 508 Verschwundenen erstmals das wirtschaftliche Ausmaß dieses Systems. Anhand von Hochrechnungen auf Basis der dokumentierten Fälle geht ADMSP von Zahlungen in einer Gesamthöhe von mehr als 100 Mio. USD in Vermisstenfällen aus, bei Einberechnung aller erkauften Freilassungen von über 700 Mio. USD (AA 29.11.2021).
Auch die Rebellengruppierungen werden außergerichtlicher Tötungen, der Folter von Inhaftierten, Verschwindenlassen und willkürlicher Verhaftungen beschuldigt. Opfer sind vor allem Personen, die der Regimetreue verdächtigt werden, Kollaborateure und Mitglieder von regimetreuen Milizen oder rivalisierenden bewaffneten Gruppen. Berichte dazu betreffen u.a. HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham), IS (Islamischer Staat), SNA (Syrian National Army) und SDF (Syrian Democratic Forces) (USDOS 12.4.2022). […]“
1.2.4. Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen
„Letzte Änderung: 05.08.2022
Anmerkung: In den folgenden Kapiteln kann aufgrund der Vielzahl an bewaffneten Gruppen nur auf die Rekrutierungspraxis eines Teils der Organisationen eingegangen werden.
Darin wird der Begriff „Militärdienst“ als Überbegriff für Wehr- und Reservedienst verwendet. Wo es die Quellen zulassen, wird versucht, klar zwischen Wehr- und Reservedienst bzw. zwischen Desertion und Wehrdienstverweigerung zu unterscheiden.“
1.2.4.1. Die syrischen Streitkräfte – Wehr- und Reservedienst
„Letzte Änderung: 25.04.2022
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend (ÖB 29.9.2020). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.5.2007). Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt (AA 29.11.2021).
Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Insbesondere die Ausnahmen für Studenten können immer schwieriger in Anspruch genommen werden. Fallweise wurden auch Studenten eingezogen. In letzter Zeit mehren sich auch Berichte über die Einziehung von Männern, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Beobachtet wurde, dass die syrische Regierung Alawiten und Christen weniger stark in Anspruch nimmt. Die im März 2020 und Mai 2021 vom Präsidenten erlassenen Generalamnestien umfassten auch einen Straferlass für Vergehen gegen das Militärstrafgesetzbuch, darunter Fahnenflucht; die Verpflichtung zum Wehrdienst bleibt davon unberührt (ÖB 1.10.2021).
Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018). Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen. Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (AA 29.11.2021).
Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palästinensischen Befreiungsarmee (Palestinian Liberation Army - PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018).
Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten (CIA 17.8.2021; vgl. FIS 14.12.2018).
Die syrische Regierung arbeitet daran, Milizen zu demobilisieren oder sie in ihre regulären Streitkräfte zu integrieren, während sie gleichzeitig militärische Operationen durchführt (CIA 17.8.2021).
Die Umsetzung
Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet (DIS 5.2020). Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (STDOK 8.2017).
Rekrutierungskampagnen werden aus allen Gebieten unter Regimekontrolle gemeldet, besonders auch aus wiedereroberten Gebieten (EUAA 11.2021). Die Regierung hat in vormals unter der Kontrolle der Oppositionskräfte stehenden Gebieten, wie zum Beispiel Ost-Ghouta, Zweigstellen zur Rekrutierung geschaffen. Wehrdienstverweigerer und Deserteure können sich in diesen Rekrutierungszentren melden, um nicht länger von den Sicherheitskräften gesucht zu werden. In vormaligen Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt (DIS 5.2020).
Ein „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet (FIS 14.12.2018). In Homs führt die Militärpolizei beispielsweise stichprobenartig unvorhersehbare Straßenkontrollen durch. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden (EB 3.6.2020). Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden (DIS 5.2020). Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z.B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara‘a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden (DIS 5.2020; vgl. EB 3.6.2020), berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden(DIS 5.2020). Unbestätigten Berichten zufolge wird der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit informiert, wenn die Gründe für einen Aufschub nicht mehr gegeben sind, und diese werden auch digital überprüft. Früher mussten die Studenten den Status ihres Studiums selbst an das Militär melden, doch jetzt wird der Status der Studenten aktiv überwacht. Generell werden die Universitäten nun strenger überwacht und sind verpflichtet, das Militär über die An- oder Abwesenheit von Studenten zu informieren (STDOK 8.2017). Berichten zufolge wurden Studenten trotz einer Ausnahmegenehmigung gelegentlich an Kontrollpunkten rekrutiert (FIS 14.12.2018).
Reservedienst
Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden (TIMEP 22.8.2019; vgl. STDOK 8.2017). Es liegen einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis zu einem Alter von 27 Jahren ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise angehoben und auch Männer bis zu einem Alter von 55 oder sogar 62 Jahren, abhängig vom Rang, eingezogen, bzw. konnten Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen (ÖB 29.9.2020; vgl. FIS 14.12.2018, vgl. NMFA 5.2020). Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab als von allgemeinen Einberufungsregelungen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht (FIS 14.12.2018). Manche Quellen berichten, dass ihnen keine Fälle von Rekrutierungen über-42-Jähriger nach 2016 bzw. 2018 bekannt seien. Gemäß anderen Quellen soll es jedoch zu Einberufungen von über-42-jährigen Rückkehrern aus dem Libanon und Jordanien als Reservisten gekommen sein, wobei es sich nicht um Zwangsrekrutierungen handelte (DIS 5.2020).
Rekrutierungsbedarf und partielle Demobilisierung
Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch (AA 29.11.2021). Die syrische Regierung hat das syrische Militärdienstgesetz während des Konflikts mehrfach geändert, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen (DIS 10.2019). Glaubhaften Berichten zufolge gibt es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet (AA 4.12.2020).
Vor 2011 lag die Dauer der Wehrpflicht zwischen eineinhalb und zweieinhalb Jahren. Seit 2011 leisten die meisten Reservisten und Militärangehörigen ihren Dienst auf unbestimmte Zeit (NMFA 6.2021), nachdem die syrische Regierung die Abrüstung von Rekruten einstellte (DIS 5.2020; vgl. ÖB 7.2019). Nachdem die Regierung große Teile des Gebiets von bewaffneten Oppositionellen zurückerobert hatte, wurde mit der Entlassung der ältesten Rekrutenklassen begonnen, welche seit 2011 im Dienst waren (DIS 5.2020, vgl. NMFA 6.2021). Mitte Oktober 2018 berichteten regierungsnahe Medien, dass etwa 800.000 Männer nicht mehr für den Reservedienst benötigt werden. Eine Reihe Syrer kehrten daraufhin nach Syrien zurück, wobei manche über Beziehungen in der Heimat ihren Wehrdienststatus überprüfen ließen und sich versicherten, dass sie tatsächlich nicht mehr gesucht werden. Zumindest manche der Rückkehrer wurden wenige Wochen später eingezogen, nachdem das Verteidigungsministerium im Dezember 2018 neue Einberufungslisten für den Reservedienst veröffentlichte, und so die vorherige Entscheidung aufhob. Die Gründe für diese Verkettung von Ereignissen ist jedoch laut International Crisis Group schwer zu ermitteln (ICG 13.2.2020). Im November 2020 erließ die Armeeführung der syrischen Regierung zwei Verwaltungserlässe, mit denen der Militärdienst für bestimmte Kategorien von Offizieren und Ärzten, die bis Januar 2021 zwei, bzw. siebeneinhalb Jahre als Reservisten gedient haben, faktisch beendet wird (COAR 24.11.2020). Ende März 2020 beendeten zwei Erlässe mit 7. April 2020 den Militärdienst für bestimmte Kategorien von ehemals Wehrpflichtigen, welche nach dem Wehrdienst nicht abgerüstet worden waren, sowie von einberufenen Reservisten. Zwei weitere Erlässe - Berichten zufolge im November 2020 - beendeten den Einsatz und die Einberufung bestimmter Profile von Reservisten (EUAA 11.2021).
Zahlreiche Männer leisten ihren Wehrdienst jedoch weiterhin über den verpflichtenden Zeitraum hinaus ab (DIS 5.2020, vgl. NMFA 6.2021). Gleichzeitig werden Berichten aus dem Jahr 20201 zufolge weiterhin neue Rekruten und Reservisten eingezogen, und Rekrutierungskampagnen werden aus allen Gebieten unter Regimekontrolle gemeldet, besonders auch aus wiedereroberten Gebieten. Alle Eingezogenen können laut European Union Agency for Asylum (EUAA) potenziell an die Front abkommandiert werden. Ihr Einsatz hängt vom Bedarf der Armee für Truppen sowie von den individuellen Qualifikationen der Eingezogenen sowie ihrem Hintergrund oder ihrer Kampferfahrung ab. Eingezogene Männer aus "versöhnten" Gebieten werden disproportional oft kurz nach ihrer Einberufung mit minimaler Kampfausbildung als Bestrafung für ihre Disloyalität gegenüber dem Regime an die Front geschickt. Reservisten werden in (vergleichsweise) kleinerer Zahl an die Front geschickt (EUAA 11.2021). [Anm.: In welcher Relation die Zahl der Reservisten zu den Wehrpflichtigen steht, geht aus dem Bericht nicht hervor.] […]“
1.2.4.2. Befreiung, Aufschub, Befreiungsgebühren, Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdiensts
„Letzte Änderung: 09.08.2022
Das syrische Wehrdienstgesetz sieht vor, dass bestimmte Personengruppen, wie zum Beispiel der einzige Sohn einer Familie, aus medizinischen Gründen Untaugliche (DIS 5.2020; vgl. FIS 14.12.2018), manche Regierungsangestellte (FIS 14.12.2018) und Personen, welche eine Befreiungsgebühr bezahlen, vom Wehrdienst ausgenommen sind. Manche Studenten und Personen mit bestimmten Abschlüssen, wie auch Personen mit vorübergehenden Erkrankungen können den Wehrdienst aufschieben, wobei die Rückstellungen jedes Jahr erneuert werden müssen (DIS 5.2020). Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr Beschränkungen und es ist unklar, wie die entsprechenden Gesetze derzeit umgesetzt werden (FIS 14.12.2018). Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert (STDOK 8.2017; vgl. FIS 14.12.2018). Das Risiko der Willkür ist immer gegeben (STDOK 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017).
Die Asylagentur der Europäischen Union (European Union Agency for Asylum, EUAA) kommt in ihrem Bericht vom April 2021 zu dem Schluss, dass aufgrund der unklaren Maßstäbe, die von den medizinischen Ausschüssen für die Bewertungen verwendet werden, die tatsächliche Handhabung der Tauglichkeitskriterien schwer eruierbar ist (EUAA 4.2021).
Seit einer Änderung des Wehrpflichtgesetzes im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich und kann durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden (ÖB 29.9.2020). Es gibt Beispiele, wo Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis, sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt – manchmal sogar Jahre danach – trotzdem eingezogen zu werden (STDOK 8.2017). Auch berichtet eine Quelle, dass Grenzbeamte von Rückkehrern trotz entrichteter Befreiungsgebühr Bestechungsgelder verlangen könnten (DIS 5.2020).
Befreiungsgebühr für Syrer mit Wohnsitz im Ausland
Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt es syrischen Männern und registrierten Palästinensern aus Syrien im Militärdienstalter (18-42 Jahre) und mit Wohnsitz im Ausland, eine Gebühr ("badal an-naqdi") zu entrichten, um von der Wehrpflicht befreit und nicht wieder einberufen zu werden. Bis 2020 konnten Männer, die sich mindestens vier aufeinanderfolgende Jahre außerhalb Syriens aufgehalten haben, einen Betrag von 8.000 US-Dollar zahlen, um vom Militärdienst befreit zu werden (NMFA 6.2021; vgl. DIS 5.2020, vgl. EB 9.2.2019), wobei noch weitere Konsulargebühren anfallen (EB 9.2.2019). Im November 2020 wurde die Dauer des erforderlichen Auslandaufenthalts auf ein Jahr reduziert, und die Gebühr auf 10.000 USD erhöht. Wer zwei, drei, vier oder mehr Jahre im Ausland wohnhaft ist, muss 9.000, 8.000 bzw. 7.000 USD bezahlen, um befreit zu werden. Wer außerhalb Syriens lebt und als Reservist einberufen wird, kann eine Befreiung erhalten, indem er 5.000 USD bezahlt (NMFA 6.2021). Für außerhalb Syriens geborene Syrer im wehrpflichtigen Alter, welche bis zum 19. Lebensjahr im Ausland lebten, gilt bis zum Alter von 25 Jahren eine Befreiungsgebühr von 2.500 USD (DIS 5.2020; vgl. AA 13.11.2018). Ein Besuch von bis zu drei Monaten in Syrien wird dabei nicht als Unterbrechung des Aufenthalts einer Person in dem fremden Land gewertet. Für jedes Jahr, in welchem ein Wehrpflichtiger weder eine Befreiungsgebühr bezahlt, noch den Wehrdienst aufschiebt oder sich zu diesem meldet, fallen zusätzliche Gebühren an. Eine Quelle berichtet, dass auch Männer, die Syrien illegal verlassen haben, durch die Zahlung der Gebühr von 8.000 USD vom Militärdienst befreit werden können (DIS 5.2020). Diese müssen ihren rechtlichen Status allerdings zuvor bei einer syrischen Auslandsvertretung bereinigen (DIS 10.2019). Das deutsche Auswärtige Amt berichtet dagegen, dass nicht bekannt sei, ob diese Regelung auch für syrische Männer gilt, die seit Beginn des Bürgerkriegs ins Ausland geflüchtet sind (AA 13.11.2018).
Informationen über den Prozess der Kompensationszahlung können auf den Webseiten der syrischen Botschaften in Ländern wie Deutschland, Ägypten, Libanon und der Russischen Föderation aufgerufen werden. Bevor die Zahlung durchgeführt wird, kontaktiert die Botschaft das syrische Verteidigungsministerium, um eine Genehmigung zu erhalten. Dabei wird ermittelt, ob die antragstellende Person sich vom Wehrdienst freikaufen kann (NMFA 5.2020). Laut z.B. der syrischen Botschaft in Berlin müssen u.a. entweder ein Reisepass oder Personalausweis sowie eine Bestätigung des Ein- und Ausreise vorgelegt werden (SB Berlin o.D.). Offiziell ist dieser Prozess relativ einfach, jedoch dauert er in Wirklichkeit sehr lange, und es müssen viele zusätzliche Kosten aufgewendet werden, unter anderem Bestechungsgelder für die Bürokratie. Beispielsweise müssen junge Männer, die mit der Opposition in Verbindung standen, aber aus wohlhabenden Familien kommen, wahrscheinlich mehr bezahlen, um vorab ihre Akte zu bereinigen (Balanche 13.12.2021).
Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdiensts
Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in Syrischen Pfund leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2.000 USD oder das Äquivalent in Syrischen Pfund nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017, PAR 15.11.2017). Eine Änderung des syrischen Wehrpflichtgesetzes (Art. 97) ermöglicht es, das Vermögen von Männern zu beschlagnahmen, die sich bis zum Erreichen des 43. Lebensjahres (Altersgrenze zur Einberufung) der Wehrpflicht entzogen haben und sich weigern, ein Wehrersatzgeld in Höhe von 8.000 USD zu entrichten. Das Gesetz erlaubt die Beschlagnahme des Vermögens nicht nur von Männern, die nicht im Militär gedient haben, sondern auch von deren unmittelbaren Familienangehörigen, einschließlich Ehefrauen und Kindern. Im Februar 2021 veröffentlichte das Ministerium für Medien und Information ein Video des Chefs der Abteilung für die Befreiung vom Militärdienst der syrischen Armee, in dem dieser die sofortige Beschlagnahme von Vermögenswerten ohne vorherige Benachrichtigung ankündigte, sofern die Zahlung des Ersatzgeldes nicht bis spätestens drei Monate nach Vollendung des 43. Lebensjahres erfolge. Eine Möglichkeit, die Entscheidung anzufechten bzw. gerichtlich überprüfen zu lassen, fehlt laut Human Rights Watch. Außerdem wird dadurch ein zusätzliches Rückkehrhindernis geschaffen (AA 29.11.2021). […]“
1.2.4.3. Amnestien im Allgemeinen und im Zusammenhang mit folgendem Militärdienst
„Letzte Änderung: 09.08.2022
- Rechtssicherheit
In Syrien vorherrschend und von langer Tradition, besteht in der Praxis eine Diskrepanz zwischen dem geschriebenen Recht und der Implementierung der Gesetze. Die in den letzten Jahren noch zugenommene und weitverbreitete Korruption hat diese Diskrepanz noch zusätzlich verstärkt. Die Rechtsstaatlichkeit ist schwach ausgeprägt, wenn nicht mittlerweile gänzlich durch eine Situation der Straffreiheit untergraben, in der Angehörige von Sicherheitsdiensten ohne strafrechtliche Konsequenzen und ohne jegliche zivile Kontrolle operieren können (ÖB 1.10.2021).
- Amnestien allgemein
Seit 2011 hat der syrische Präsident für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen, Wehrdienstverweigerer und Deserteure eine Reihe von Amnestien erlassen, die Straffreiheit vorsahen, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Militärdienst melden (STDOK 8.2017; vgl. TIMEP 6.12.2018, SHRC 24.1.2019, AA 4.12.2020, DIS 5.2020). Über die Umsetzung und den Umfang der Amnestien für Wehrdienstverweigerer und Deserteure ist nur sehr wenig bekannt (DIS 5.2020). Menschenrechtsorganisationen und Beobachter haben die Amnestien wiederholt als intransparent und unzureichend kritisiert (STDOK 8.2017; vgl. EB 3.4.2020), sowie als bisher wirkungslos (AA 4.12.2020; vgl. DIS 5.2020) und als ein Propagandainstrument der Regierung (DIS 5.2020; vgl. EB 3.4.2020). Das Regime verlautbarte seit 2011 [Anm.: bis 2021] 18 Amnestien, aber die Dekrete resultierten im Allgemeinen nur in der Entlassung einer begrenzten Anzahl von gewöhnlichen Kriminellen. Diese Amnestien schlossen Gefangene, die nicht eines Verbrechens angeklagt wurden, aus. Im Juli 2021 berichtete SNHR von der Freilassung von 81 Gefangenen in den letzten zwei Monaten als Folge der Mai-Amnestie, während im selben Zeitraum die willkürliche Festnahme von 176 anderen Personen erfolgte. Eine begrenzte Anzahl von Gefangenen kam im Zuge lokaler Beilegungsabkommen mit dem Regime frei. Während des Jahres 2021 verletzten Regimekräfte vorherige Amnestieabkommen durch Razzien und Verhaftungskampagnen gegen Zivilisten und frühere Mitglieder der bewaffneten Oppositionsgruppen in Gebieten mit unterzeichneten Beilegungsabkommen mit dem Regime (USDOS 12.4.2022).
Es gibt auch Hinweise darauf, dass die Namen von Personen, die sich im Rahmen einer Amnestie gemeldet haben, fast sofort auf Listen gesetzt werden, um zum Militärdienst einberufen zu werden (DIS 5.2020; vgl. NMFA 6.2021). Einer Quelle zufolge respektiere die syrische Regierung Amnestien nun eher als früher (DIS 5.2020). Das Narrativ der Amnestie oder der milden Behandlung ist höchst zweifelhaft: Es spielt nicht nur eine Rolle, ob zum Beispiel Familienmitglieder für die FSA (Freie Syrische Armee) oder unter den Rebellen gekämpft haben, sondern das Regime hegt auch ein tiefes Misstrauen bezüglich des Herkunftsgebiets. Es spielt eine große Rolle, woher man kommt, ob man aus Gebieten mit vielen Demonstrationen oder Rebellenaktivitäten geflohen ist, zum Beispiel Ost-Ghouta, Damaskus oder Homs (Üngör 15.12.2021). Auch wenn Assad allen gesagt hat, dass es eine Amnestie geben wird, kann er nicht kontrollieren, was vor Ort passiert und Vergeltung ist ein weitverbreitetes Phänomen (Balanche 13.12.2021).
Am 2.5.2021 erließ Präsident Assad mit Gesetzesdekret Nr. 13/2021 erneut eine Generalamnestie, die für Verbrechen, die vor diesem Datum begangen wurden, gilt (SANA 2.5.2021a). Dabei handelt es sich bereits um die 18. Amnestie seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs im Frühjahr 2011 (SD 10.5.2021). Sie wurde kurz vor den syrischen Präsidentschaftswahlen Ende Mai 2021 erlassen (SD 10.5.2021; vgl. Reuters 11.5.2021). Das Dekret betrifft unterschiedliche Straftaten, darunter Straftaten in Zusammenhang mit der Anti-Terrorismus-Gesetzgebung von 2012, aber nicht jene "terroristischen" Straftaten, die Tote zur Folge hatten (MEE 2.5.2021; vgl. SANA 2.5.2021b). "Terrorismus" ist ein Begriff, mit dem die Regierung die Aktivitäten von Rebellen und oppositionellen Aktivisten beschreibt (MEE 2.5.2021). Straftäter im Bereich Drogenhandel und Schmuggel sowie Steuerhinterziehung können ebenfalls von der Amnestie profitieren. Auch Deserteure können die Amnestie nutzen, wenn sie sich innerhalb von drei Monaten bei Aufenthalt in Syrien und innerhalb von sechs Monaten bei Aufenthalt im Ausland stellen (MEE 2.5.2021; vgl. SANA 2.5.2021b). Durch das Dekret werden Strafen gänzlich oder teilweise erlassen, oder auch Haftstrafen durch eine Strafzahlung ersetzt (SD 10.5.2021). [Anm: Wehrdienstverweigerung und Überlaufen zum Feind werden von dem Dekret nicht erfasst. Die Verpflichtung zum Wehrdienst wird durch das Dekret nicht aufgehoben.]
Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutzt das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen (AA 29.11.2021). […]“
1.2.4.4. Wehrdienstverweigerung/ Desertion
„Letzte Änderung: 25.04.2022
Als der syrische Bürgerkrieg 2011 begann, hatte die syrische Regierung Probleme, Truppen bereitzustellen, um bewaffneten Rebellengruppen entgegentreten zu können. Die Zahl der Männer, die den Wehr- oder Reservedienst verweigerten, nahm deutlich zu. Eine große Zahl von Männern im wehrfähigen Alter floh entweder aus dem Land, schloss sich der bewaffneten Opposition an, oder tauchte unter (DIS 5.2020). Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt und relativ wenige werden derzeit deswegen verhaftet (Landinfo 3.1.2018).
In Syrien besteht keine Möglichkeit der legalen Wehrdienstverweigerung. Auch die Möglichkeit eines (zivilen) Ersatzdienstes gibt es nicht. Es gibt in Syrien keine reguläre oder gefahrlose Möglichkeit, sich dem Militärdienst durch Wegzug in andere Landesteile zu entziehen. Beim Versuch, sich dem Militärdienst durch Flucht in andere Landesteile, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen, zu entziehen, müssten Wehrpflichtige zahlreiche militärische und paramilitärische Kontrollstellen passieren, mit dem Risiko einer zwangsweisen Einziehung, entweder durch die syrischen Streitkräfte, Geheimdienste oder regimetreue Milizen. Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise verboten. Der Reisepass wird ihnen vorenthalten und Ausnahmen werden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros, welches bescheinigt, dass der Wehrdienst geleistet wurde, gewährt (AA 29.11.2021).
Rückkehrüberlegungen syrischer Männer werden auch durch ihren Militärdienststatus beeinflusst (DIS/DRC 2.2019). Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (AA 29.11.2021).
Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern
In dieser Frage gehen die Meinungen zum Teil auseinander: Manche Experten gehen davon aus, dass Wehrdienstverweigerung vom Regime als Nähe zur Opposition gesehen wird. Bereits vor 2011 war es ein Verbrechen, den Wehrdienst zu verweigern. Nachdem sich im Zuge des Konflikts der Bedarf an Soldaten erhöht hat, wird Wehrdienstverweigerung im besten Fall als Feigheit betrachtet und im schlimmsten im Rahmen des Militärverratsgesetzes (qanun al-khiana al-wataniya) behandelt. In letzterem Fall kann es zur Verurteilung vor einem Feldgericht und Exekution kommen oder zur Inhaftierung in einem Militärgefängnis. Ob die Entrichtung einer "Befreiungsgebühr" wirklich dazu führt, dass man nicht eingezogen wird, hängt vom Profil der Person ab. Dabei sind junge, sunnitische Männer im wehrfähigen Alter am stärksten im Verdacht der Behörden, aber sogar aus Regimesicht untadelige Personen wurden oft verhaftet (Üngör 15.12.2021). Loyalität ist hier ein entscheidender Faktor: Wer sich dem Wehrdienst entzogen hat, hat sich als illoyal erwiesen (Khaddour 24.12.2021). Fabrice Balanche sieht die Haltung des Regimes Wehrdienstverweigerern gegenüber als zweischneidig, weil es einerseits mit potenziell illoyalen Soldaten, die die Armee schwächen, nichts anfangen kann, und sie daher besser außer Landes sehen will, andererseits werden sie inoffiziell als Verräter gesehen, da sie sich ins Ausland gerettet haben, statt "ihr Land zu verteidigen". Wehrdienstverweigerung wird aber nicht unbedingt als oppositionsnahe gesehen. Das syrische Regime ist sich der Tatsache bewusst, dass viele junge Männer nach dem Studium das Land verlassen haben, einfach um nicht zu sterben. Daher wurde die Möglichkeit geschaffen, sich frei zu kaufen, damit die Regierung zumindest Geld in dieser Situation einnehmen kann (Balanche 13.12.2021).
Syrische Männer im wehrpflichtigen Alter können sich nach syrischem Recht durch Zahlung eines sogenannten Wehrersatzgeldes von der Wehrpflicht freikaufen. Diese Regelung findet jedoch nur auf Syrer Anwendung, die außerhalb Syriens leben. Das Wehrersatzgeld ist nach einer Änderung des Wehrpflichtgesetzes im November 2020 gestaffelt nach der Anzahl der Jahre des Auslandsaufenthalts und beträgt 10.000 USD (ein Jahr), 9.000 USD (zwei Jahre), 8.000 USD (drei Jahre) bzw. 7.000 USD (vier Jahre). Bei einem Aufenthalt ab fünf Jahren kommen pro Jahr weitere 200 USD Strafgebühr hinzu. Laut der Einschätzung verschiedener Organisationen dient die Möglichkeit der Zahlung des Wehrersatzgeldes für Auslandssyrer maßgeblich der Generierung ausländischer Devisen (AA 29.11.2021).
Für nähere Informationen siehe auch das Unterkapitel "Befreiung, Aufschub, Befreiungsgebühren, Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdiensts".
Im Dezember 2019 trat eine Bestimmung in Kraft, wonach wehrfähige Männer, welche den Wehrdienst bis zu einem Alter von 42 Jahren nicht abgeleistet haben, eine Befreiungsgebühr von 8.000 USD bezahlen müssen, um einer Beschlagnahmung ihres Vermögens, bzw. des Vermögens ihrer Ehefrauen oder Kinder zu entgehen (DIS 5.2020, vgl. AA 29.11.2021).
Gesetzliche Lage und aktuelle Handhabung
Wehrdienstentzug wird gemäß dem Militärstrafgesetzbuch bestraft. In Art. 98-99 ist festgehalten, dass mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft wird, wer sich der Einberufung entzieht (AA 29.11.2021). Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit garantierter Folter und Todesurteil gleichsetzen (Landinfo 3.1.2018), sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden (DIS 5.2020; vgl. Landinfo 3.1.2018). Quellen berichten jedoch auch, dass gefasste Wehrdienstverweigerer riskieren, von den syrischen Behörden vor der Einberufung inhaftiert zu werden (DIS 5.2020). Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 5.2020). Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen (STDOK 8.2017).
Gemäß Art. 101 wird Desertion mit fünf Jahren Haft oder mit fünf bis zehn Jahren Haft bestraft, wenn der Deserteur das Land verlässt. Die Todesstrafe ist gemäß Art. 102 bei Überlaufen zum Feind und gemäß Art. 105 bei geplanter Desertion im Angesicht des Feindes vorgesehen (AA 29.11.2021). Eine Quelle berichtet, dass Deserteure zwar in früheren Phasen des Krieges exekutiert wurden, jedoch habe die syrische Regierung ihre Vorgehensweise in den vergangenen Jahren geändert und aufgrund des vorherrschenden Bedarfs an der Front festgenommene Deserteure zum Teil zu kurzen Haftstrafen verurteilt (DIS 5.2020). Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von "high profile"-Deserteuren der Fall sein, also z.B. solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 5.2020). Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie (DIS 5.2020). In ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten landeten zudem viele Deserteure und Überläufer, denen durch die "Versöhnungsabkommen" Amnestie gewährt werden sollte, in Haftanstalten oder sie starben in der Haft (DIS 5.2020).
Neben anderen Personengruppen sind regelmäßig auch Deserteure (DIS 5.2020) und Wehrdienstverweigerer Ziel des umfassenden Anti-Terror-Gesetzes (Dekret Nr. 19/2012) der syrischen Regierung (AA 4.12.2020; vgl. DIS 5.2020). Dazu kommen Ressentiments der in Syrien verbliebenen Bevölkerung gegenüber Wehrdienstverweigerern, die das Land verlassen haben und sich damit "gerettet" haben, während die verbliebenen jungen Männer im Krieg ihr Leben riskiert bzw. verloren haben (Balanche 13.12.2021).
Bzgl. Konfiszierungsmöglichkeiten im Rahmen des Anti-Terror-Gesetzes siehe Kapitel "Grundversorgung und Wirtschaft".
Im Rahmen sog. lokaler „Versöhnungsabkommen“ in den vom Regime zurückeroberten Gebieten sowie im Kontext lokaler Rückkehrinitiativen aus dem Libanon hat das Regime Männern im wehrpflichtigen Alter eine sechsmonatige Schonfrist zugesichert. Diese wurde jedoch in zahlreichen Fällen, auch nach der Einnahme des Südwestens, nicht eingehalten. Ein Monitoring durch VN oder andere Akteure zur Situation der Rückkehrer ist nicht möglich, da vielerorts kein Zugang für sie besteht; viele möchten darüber hinaus nicht als Flüchtlinge identifiziert werden. Sowohl in Ost- Ghouta als auch in den südlichen Gouvernements Dara‘a und Quneitra soll der Militärgeheimdienst dem Violations Documentation Center zufolge zahlreiche Razzien zur Verhaftung und zum anschließenden Einzug ins Militär durchgeführt haben. Neue Rekruten aus ehemaligen Oppositionsbastionen sollen in der Vergangenheit an die vorderste Front geschickt worden sein (AA 29.11.2021) Zudem sind in den "versöhnten Gebieten" Männer im entsprechenden Alter auch mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht den Regierungseinheiten beitreten (FIS 14.12.2018).
Zu den "Versöhnungsabkommen" siehe auch Abschnitt "Versöhnungsabkommen" im Kapitel "Sicherheitslage".
Die Informationslage bezüglich wehrpflichtiger Rückkehrer ist widersprüchlich: Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutze das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen. Amnesty International dokumentierte Fälle von Rückkehrern, die aufgrund der Wehrpflicht zunächst festgenommen und nach Freilassung unmittelbar in den Militärdienst eingezogen wurden (AA 29.11.2021). Einem Experten sind hingegen keine Berichte von Wehrdienstverweigerern bekannt, die aus dem Ausland in Gebiete unter Regierungskontrolle zurückgekehrt sind. Ihm zufolge kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, was in so einem Fall passieren würde. Laut einem Experten wäre es aber wahnsinnig, als Wehrdienstverweigerer aus Europa ohne Sicherheitsbestätigung und politische Kontakte zurückzukommen. Wenn keine "Befreiungsgebühr" bezahlt wurde, müssen zurückgekehrte Wehrdienstverweigerer ihren Wehrdienst ableisten. Wer die Befreiungsgebühr entrichtet hat und offiziell vom Wehrdienst befreit ist, wird nicht eingezogen. Es gibt verschiedene Meinungen darüber, ob Wehrdienstpflichtige zurzeit sofort eingezogen, oder zuerst inhaftiert und dann eingezogen werden: Laut Balanche ist der Bedarf an Soldaten weiterhin hoch genug, dass man wahrscheinlich nicht inhaftiert, sondern mit oder ohne mangelhaftem Training direkt an die Front geschickt wird (Balanche 13.12.2021). Die Strafe für das Sich-Entziehen vom Wehrdienst ist oft Haft und im Zuge dessen auch Folter. Während vor ein paar Jahren Wehrdienstverweigerer bei Checkpoints meist vor Ort verhaftet und zur Bestrafung direkt an die Front geschickt wurden (als "Kanonenfutter"), werden Wehrdienstverweigerer derzeit laut Uğur Üngör wahrscheinlich zuerst verhaftet. Seit die aktivsten Kampfgebiete sich beruhigt haben, kann das Regime es sich wieder leisten, Leute zu inhaftieren (Gefängnis bedeutet immer auch Folter, Wehrdienstverweigerer würden hier genauso behandelt wie andere Inhaftierte oder sogar schlechter). Selbst für privilegierte Leute mit guten Verbindungen zum Regime ist es nicht möglich, als Wehrdienstverweigerer nach Syrien zurückzukommen - es müsste erst jemand vom Geheimdienst seinen Namen von der Liste gesuchter Personen löschen. Auch nach der Einberufung ist davon auszugehen, dass Wehrdienstverweigerer in der Armee unmenschliche Behandlung erfahren werden (Üngör 15.12.2021). Laut Kheder Khaddour würde man als Wehrdienstverweigerer wahrscheinlich ein paar Wochen inhaftiert und danach in die Armee eingezogen (Khaddour 24.12.2021).“
1.2.5. Bewegungsfreiheit
„Ein- und Ausreise, Situation an Grenzübergängen
Letzte Änderung: 09.08.2022
Die syrische Regierung kann die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem von der Opposition dominierten geografischen Gebiet, verweigern. Die Kosten für einen Reisepass von 800 bis 2.000 USD macht diesen für viele unerschwinglich. Das syrische Regime hat zudem Erfordernisse für Ausreisegenehmigungen eingeführt. Die Regierung verbietet durchgängig die Ausreise von Mitgliedern der Opposition. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Berichten zufolge verhängt das Regime Reiseverbote ohne Erklärung oder explizite Nennung der Dauer (USDOS 12.4.2022). Flüchtlingsbewegungen finden in die angrenzenden Nachbarländer statt: Insbesondere in den Gouvernements Aleppo und Idlib ist die Lage weiterhin fragil, und es kommt nach wie vor zu teils intensiven Kampfhandlungen. Die Grenzen sind zum Teil für den Personenverkehr geschlossen, bzw. können ohne Vorankündigung kurzfristig geschlossen werden und eine Ausreise aus Syrien unmöglich machen (AA 31.3.2022).
Die Behandlung von Einreisenden nach Syrien ist stark vom Einzelfall abhängig, über den genauen Kenntnisstand der syrischen Behörden gibt es keine gesicherten Kenntnisse. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste über allfällige exilpolitische Tätigkeiten informiert sind, ebenso ist von vorhandenen „black lists“ betreffend Regimegegner immer wieder die Rede. Seit 1.8.2020 wurde – bedingt durch den Devisenmangel – bei Wiedereinreise ein Zwangsumtausch von 100 USD pro Person zu dem von der Regierung festgelegten Wechselkurs eingeführt (ÖB 1.10.2021). Das stellt ein weiteres Hindernis für eine Rückkehr dar. Fälle, bei denen Rückkehrende am Grenzübergang Nasib nicht den Betrag in syrischen Pfund ausgehändigt bekamen, sind von Human Rights Watch dokumentiert. Anfang April 2021 wurden Vertriebene von der Zahlung ausgenommen (HRW 20.10.2021).
Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden (STDOK 8.2017). Außerdem gibt es ein Gesetz, das Ehemännern erlaubt, ihren Ehefrauen das Reisen zu verbieten (USDOS 12.4.2022).
Einige in Syrien aufhältige Palästinenser brauchen für eine legale Ausreise aus Syrien eine Genehmigung und müssen sich zusätzlich einer weiteren Sicherheitskontrolle unterziehen. Dies hängt jedoch von ihrem rechtlichen Status in Syrien ab (STDOK 8.2017) [Anm.: Für weitere Informationen zu Einreisemöglichkeiten in Nachbarländer siehe Abschnitt „Bewegungsfreiheit“ und die jeweiligen LIBs zu Libanon und Jordanien, den einzigen Nachstaaten, welche ebenfalls Mandatsgebiet von UNRWA sind [Dort finden sich auch Informationen, aus denen hervorgeht, dass ein legale Umsiedlung von staatenlosen palästinensischen Flüchtlingen aus Syrien nicht vorgesehen ist, und auch eine etwaige UNRWA-Registrierung nicht zu einer Legalisierung des Aufenthalts oder etwa zu einem gesicherten, dauerhaften Aufenthaltsrecht führt, wie das seit Oktober 2012 geltende Einreiseverbot Jordaniens für Palästinenser illustriert].
Infolge der COVID-19-Pandemie verfügte Maßnahmen wurden bereits wieder sowohl für Reisen in das Ausland, als auch bei der Einreise nach Syrien gelockert. Der Flugbetrieb am internationalen Flughafen in Damaskus wurde wieder aufgenommen (BMEIA 19.8.2020), ist aber weiterhin reduziert (BMEIA 5.4.2022). Der Flughafen Damaskus und Grenzübergänge werden regelmäßig unter Angabe drohender Gewalt als Begründung geschlossen (USDOS 12.4.2022). […]“
1.2.6. Rückkehr
„Letzte Änderung: 10.08.2022
Gemäß Berichten von Menschenrechtsorganisationen kommt es zu systematischen, politisch motivierten Sicherheitsüberprüfungen von Rückkehrwilligen, Ablehnung zahlreicher Rückkehrwilliger und gezielten Menschenrechtsverletzungen gegen Rückkehrende sowie Verletzungen von im Rahmen lokaler Rückkehrinitiativen getroffenen Vereinbarungen (Einzug zum Militärdienst, Verhaftung, etc.) (AA 29.11.2021). Einem Bericht von Amnesty International zufolge betrachten die syrischen Behörden Personen, welche das Land verlassen haben, als illoyal gegenüber ihrem Land und als Unterstützer der Opposition und/oder bewaffneter Gruppen (AI 9.2021). Jeder, der geflohen ist und einen Flüchtlingsstatus hat, ist in den Augen des Regimes bereits verdächtig (Üngör 15.12.2021). Offiziell gibt der Staat zwar vor, Syrer zur Rückkehr zu ermutigen, aber insgeheim werden jene, die das Land verlassen haben, als "Verräter" angesehen. Aus Sicht des syrischen Staates ist es besser, wenn diese im Ausland bleiben, damit ihr Land und ihre Häuser umverteilt werden können, um Assads soziale Basis neu aufzubauen. Minderheiten wie Alawiten und Christen, reiche Geschäftsleute und Angehörige der Bourgeoisie sind hingegen für al-Assad willkommene Rückkehrer. Für arme Menschen aus den Vorstädten von Damaskus oder Aleppo hat der syrische Staat jedoch keine Verwendung (Balanche 13.12.2021). Das Regime will Rückkehrer mit Geld - nicht einfache Leute (Khaddour 24.12.2021).
Immer wieder sind Rückkehrende, insbesondere – aber nicht nur – solche, die als oppositionell oder regimekritisch bekannt sind oder auch nur als solche erachtet werden, erneuter Vertreibung, Sanktionen bzw. Repressionen, bis hin zu einer unmittelbaren Gefährdung für Leib und Leben ausgesetzt. Fehlende Rechtsstaatlichkeit und allgegenwärtige staatliche Willkür führen dazu, dass selbst regimenahe Personen Opfer von Repressionen werden können. Menschenrechtsorganisationen und Rückkehrende berichten von zahlreichen Fällen, in denen Rückkehrende verhaftet, gefoltert, oder eingeschüchtert wurden. Zuletzt dokumentierten Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW) unabhängig voneinander in ihren jeweiligen Berichten von September bzw. Oktober 2021 Einzelfälle schwerwiegendster Menschenrechtsverletzungen von Regimekräften gegenüber Rückkehrenden, die sich in verschiedenen Orten in den Regimegebieten, einschließlich der Hauptstadt Damaskus, ereignet haben sollen. Diese Berichte umfassten Fälle von sexualisierter Gewalt, willkürlichen und ungesetzlichen Inhaftierungen, Folter und Misshandlungen bis hin zu Verschwindenlassen und mutmaßlichen Tötungen von Inhaftierten. Die Dokumentation von Einzelfällen – insbesondere auch bei Rückkehrenden – zeigt, dass es trotz positiver Sicherheitsüberprüfung eines Dienstes jederzeit zur Verhaftung durch einen anderen Dienst kommen kann. Willkürliche Verhaftungen gehen primär von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen aus. Jeder Geheimdienst führt eigene Fahndungslisten, es findet keine zuverlässige und für Betroffene verlässliche Abstimmung und Zentralisierung statt (AA 29.11.2021).
Hindernisse für die Rückkehr
Laut einer Erhebung der Syrian Association for Citizen's Dignity (SACD) ist für 58 % aller befragten Flüchtlinge die Abschaffung der Zwangsrekrutierung die wichtigste Bedingung für die Rückkehr in ihre Heimat (AA 4.12.2020). Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutze das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen. Amnesty International dokumentierte Fälle von Rückkehrern, die aufgrund der Wehrpflicht zunächst festgenommen und nach Freilassung unmittelbar in den Militärdienst eingezogen wurden (AA 29.11.2021). […]“
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungs- und Gerichtsakt, durch die Befragung des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und den dabei gewonnenen persönlichen Eindruck und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden insbesondere das in der Verhandlung im Original vorgelegte syrische Wehrdienstbuch (Beilage ./A in OZ/4).
2.1. Zu den zum Beschwerdeführer getroffenen Feststellungen:
2.1.1. Zu seiner Person:
Die einzelnen Feststellungen beruhen auf den jeweils in der Klammer angeführten Beweismitteln.
Die Feststellungen zu Identität, Staatsangehörigkeit und dem Geburtsort des Beschwerdeführers stützten sich auf die im Verwaltungsakt erliegende Kopie des vom Beschwerdeführer im Original vorgelegten syrischen Reisepasses (AS 43). Auch die belangte Behörde traf dieselben Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Identität des Beschwerdeführers (vgl. Seite 180 des angefochtenen Bescheides). Im Verfahren vor der belangten Behörde legte der Beschwerdeführer seinen syrischen Reisepass ausgestellt am XXXX gültig bis XXXX , ausgestellt vom syrischen Konsulat in Dubai vor. Im Verfahren legte der Beschwerdeführer außerdem ein Konvolut an weiteren Unterlagen im Original vor: seine Heiratsurkunde, die Geburtsurkunden seiner zwei Kinder, Auszüge aus dem Familienbuch vom XXXX in Aleppo ausgestellt, einen Identitätsnachweis, eine syrische Reisepass-Kopie seiner Kinder, eine syrische Reisepass-Kopie seiner Ehefrau, sowie sein Militärbuch auszugsweise in Kopie (AS 154).
Die Feststellungen zur Herkunft, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seinem Familienstand und seiner Familie ergeben sich aus seinen nachvollziehbaren Ausführungen vor dem BFA (vgl. Niederschrift vom 22.09.2021, AS 149 f.) und den damit übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung am 03.10.2022 (OZ/4) sowie den vorgelegten Auszügen aus dem Familienbuch.
Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Syrien beruhen auf seinen detaillierten Ausführungen vor dem BFA (vgl. Niederschrift vom 22.09.2021, AS 149 f.) sowie in der mündlichen Verhandlung am 03.10.2022 (OZ/4). Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im Wesentlichen gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln. Auch die belangte Behörde traf dieselben Feststellungen über den Lebenslauf und die familiäre Situation des Beschwerdeführers.
Die Feststellungen zu den Verwandten des Beschwerdeführers in Syrien stützen sich auf seine diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben (OZ/4).
Die Feststellung zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers sind aus seinen Angaben vor dem BFA (vgl. Niederschrift vom 22.09.2021, AS 149 f.) und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 03.10.2022 (OZ/4) abzuleiten und stützen sich auf das gleichlautende Vorbringen des Beschwerdeführers.
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister (Strafregisterauszug vom 03.10.2022).
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer seit 22.11.2021 keine Grundversorgung mehr bezieht, ergibt sich aus einem Auszug des Betreuungsinformationssystems vom sowie dem Schreiben vom 03.12.2021 (AS 337).
2.1.2. Zur befürchteten Verfolgung in Syrien:
2.1.2.1. Zur Wehrpflicht des Beschwerdeführers in Syrien:
Das Alter des Beschwerdeführers ergibt sich aus seinen im Verfahren vorgelegten Dokumenten und seinen diesbezüglich durchwegs gleichlautenden Angaben. Auch die belangte Behörde stellte das Geburtsdatum des Beschwerdeführers nicht in Frage.
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer seit seinem 18 Lebensjahr immer wieder vom syrischen Regime zum Militärdienst aufgefordert worden ist, diesen aber bisher nicht abgeleistet hat, weil er sich vorwiegend außerhalb Syriens in den Ländern Libanon, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten aufgehalten hat und durch Schmiergeldzahlungen einen Aufschub seines Wehrdienstes erwirken konnte, ergibt sich aus den diesbezüglich gleichlautenden und glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren (vgl. AS 19 f., AS 149 f. sowie Niederschrift der Verhandlung am 03.10.2022 OZ/4; S. 8). Dieses Vorbringen stimmt auch mit den Länderinformationen überein: Seit einer Änderung des Wehrpflichtgesetzes im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls bis zum Alter von 37 Jahren möglich und kann durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden. Es gibt Beispiele, wo Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis, sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt – manchmal sogar Jahre danach – trotzdem eingezogen zu werden (vgl. II.1.2.4.2.). Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt es syrischen Männern und registrierten Palästinensern aus Syrien im Militärdienstalter (18-42 Jahre) und mit Wohnsitz im Ausland, eine Gebühr ("badal an-naqdi") zu entrichten, um von der Wehrpflicht befreit und nicht wieder einberufen zu werden. Bis 2020 konnten Männer, die sich mindestens vier aufeinanderfolgende Jahre außerhalb Syriens aufgehalten haben, einen Betrag von 8.000 US-Dollar zahlen, um vom Militärdienst befreit zu werden. Ein Besuch von bis zu drei Monaten in Syrien wird dabei nicht als Unterbrechung des Aufenthalts einer Person in dem fremden Land gewertet. Das deutsche Auswärtige Amt berichtet dagegen, dass nicht bekannt sei, ob diese Regelung auch für syrische Männer gilt, die seit Beginn des Bürgerkriegs ins Ausland geflüchtet sind (vgl. II.1.2.4.2.).
Der Beschwerdeführer brachte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung glaubhaft vor, sich bereits vor 2011 vermehrt im Ausland aufgehalten zu haben und 2010 bzw. 2011 für einen Monat nach Syrien zurückgekehrt zu sein, bevor er dann schließlich endgültig ausgereist ist (vgl. Niederschrift der Verhandlung am 03.10.2022 OZ/4; S. 7).
Dass der Beschwerdeführer im Jahr 2001 versuchte, sich vom Wehrdienst freizukaufen, dies aber scheiterte, ergibt sich aus der diesbezüglichen Eintragung über die medizinische Untersuchung im Jahr 2001 im Wehrbuch welches später im Jahr 2010 ausgestellt wurde und dem diesbezüglich glaubhaften Vorbringen in der mündlichen Verhandlung (vgl. den Eintrag im Wehrdienstbuch sowie die Niederschrift der Verhandlung am 03.10.2022 OZ/4; S. 9).
Dass der Beschwerdeführer im Jahr 2010 erneut nach Syrien zurückgekehrt ist, in der Hoffnung sich durch Schmiergeldzahlungen vom Wehrdienst befreien zu können, dies aber ebenfalls erfolglos blieb, ergibt sich aus seinem diesbezüglich glaubhaften Vorbringen in der mündlichen Verhandlung: „2010 bin ich als Auswanderer nach Syrien zu Besuch gekommen. Ich habe versucht das Wehrdienstbuch ausstellen zu lassen, in der Hoffnung eine Möglichkeit zu finden, um mich vom Wehrdienst zu befreien. Ich habe gehofft, dass ich den untersuchenden Arzt ein bisschen Geld geben kann und er für mich einen gesundheitlichen Grund zur Befreiung schreibt, aber das war leider nicht erfolgreich.“ (Niederschrift der Verhandlung am 03.10.2022 OZ/4; S. 8).
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer Syrien im Jahr 2011 endgültig verlassen hat, wurde bereits im angefochtenen Bescheid durch die belangte Behörde getroffen (vgl. Seite 10 des angefochtenen Bescheides AS 180) und auch vom Beschwerdeführer durchwegs gleichlautend vorgebracht. Der Beschwerdeführer hat Syrien somit im Alter von XXXX Jahren und somit im wehrpflichtigen Alter verlassen (AS 347 f.; Seite 2 f. der Beschwerde vom 09.12.2021). Der Beschwerdeführer verließ Syrien im Jahr 2011 und lebte fortan in den Ländern Libanon, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Zuletzt lebte er in den Vereinigten Arabischen Emiraten, von wo aus er nach Österreich reiste (vgl. Niederschrift der Verhandlung am 03.10.2022 OZ/4; S. 7).
Dass der Beschwerdeführer seinen Wehrdienst in Syrien noch nicht abgeleistet hat, ergibt sich aus seinen diesbezüglich durchwegs gleichlautenden und glaubhaften Angaben im Verfahren vor der belangten Behörde sowie in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht:
Bereits bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 22.09.2021 gab der Beschwerdeführer an, dass er Syrien im Alter von XXXX Jahren verlassen habe da er vor dem Militär geflüchtet sei. Er habe den Grundwehrdienst in Syrien nicht abgeleistet, er habe mehrmals die Regierung bestochen um einen Aufschub zu erhalten. Nachgefragt durch die belangte Behörde gab er an, ganz freigekauft vom Wehrdienst habe er sich nicht, sondern durch seine Zahlungen habe er immer nur einen Aufschub erwirkt (vgl. AS 149 – AS 158 sowie die Ausführungen in der Verhandlung am 03.10.2022 OZ/4; S. 7 f.). Der Beschwerdeführer wolle nicht nach Syrien zurückkehren und er wolle nicht zum Militär gehen um zu kämpfen (vgl. Seite 5 der Einvernahme vom 22.09.2021, AS 153). Er lehnt es ab für das syrische Regime zu kämpfen und wolle niemanden töten (AS 347 f.; Seite 2 f. der Beschwerde vom 09.12.2021 sowie die Angaben in der Verhandlung am 03.10.2022 OZ/4; S. 7).
Das BFA brachte im Verfahren vor, es bestehe die Möglichkeit, dass der Beschwerdeführer, für den die Wehrpflicht bereits XXXX begann, den Grundwehrdienst bereits abgeleistet habe (vgl. Seite 2 f. der Stellungnahme vom 13.12.2021 in OZ/1). Der Beschwerdeführer brachte diesbezüglich aber im Verfahren gleichlautend und glaubhaft vor, seinen Wehrdienst durch mehrfaches Bezahlen von Geld immer wieder aufgeschoben zu haben. So bereits in der Einvernahme vor dem BFA am 22.09.2021: „Ich habe jedes Mal bezahlt, damit der Wehrdienst aufgeschoben wurde.“ (AS 154 sowie vgl. Niederschrift der Verhandlung am 03.10.2022 OZ/4; S. 7). Nachgefragt durch das BFA in der Einvernahme, wie es dem Beschwerdeführer möglich gewesen sei, Syrien 2010 verlassen zu haben ohne den Wehrdienst abgeleistet zu haben, gab dieser glaubhaft an, Syrien damals legal verlassen zu haben und in den Libanon gereist zu sein, da man dort kein Visum brauche (vgl. Seite 7 der Einvernahme vom 22.09.2021, AS 155).
Die belangte Behörde stellte im angefochtenen Bescheid die Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers, er habe in Syrien den Wehrdienst noch nicht abgeleistet, in Frage und unterstellte ihm generell die Unwahrheit gesagt zu haben (vgl. Seite 11 f. sowie 121 f. des angefochtenen Bescheides vom 21.10.2021, AS 171 f.). So führte die Behörde am Beginn ihrer Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid aus, der Beschwerdeführer habe bewusst die Unwahrheit gesagt denn er habe über die Staaten, in denen er vor seiner Einreise nach Österreich gelebt habe, „diametrale Angaben“ gemacht (Seite 121 des angefochtenen Bescheides vom 21.10.2021, AS 291). Tatsächlich ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der Einvernahme am 22.09.2021, auf die das BFA seine diesbezügliche Aussage stützt, aber keinerlei Widersprüche. Der Beschwerdeführer gab an, Syrien 2010 bzw. 2011 verlassen zu haben, danach ein Jahr in Ägypten und drei Jahre im Libanon sowie anschließend bis Juni 2021 in den vereinigten Arabischen Emiraten gelebt zu haben. Dass die Ausstellung des Reisepasses 2017 in Dubai, wie vom BFA vorgebracht, mit diesen Angaben im Widerspruch stehen, ist für das erkennende Gericht nicht erkennbar.
Auch in der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer glaubhaft an, seinen Wehrdienst in Syrien noch nicht abgeleistet zu haben und Syrien deshalb verlassen zu haben, weil er dem syrischen Regime nicht dienen wolle (vgl. Niederschrift der Verhandlung am 03.10.2022 OZ/4; S. 7 bis 9). Er habe Syrien 2011 endgültig verlassen nachdem in Syrien der Krieg und Demonstrationen begonnen hätten und der Beschwerdeführer gefürchtet habe zum Wehrdienst einberufen zu werden. Zudem habe er nach der Teilnahme an einer Demonstration befürchtet, bestraft zu werden (vgl. Niederschrift der Verhandlung am 03.10.2022 OZ/4; S. 7 bis 9). Auch die Angaben in der Verhandlung zum Leben außerhalb Syriens decken sich mit den bisherigen Angaben des Beschwerdeführers (vgl. Niederschrift der Verhandlung am 03.10.2022 OZ/4; S. 7 bis 9).
Zudem brachte der Beschwerdeführer in der Verhandlung glaubhaft vor, bei einer Rückkehr Bestrafung aufgrund seiner Ausreise und des nicht absolvierten Wehrdienstes zu befürchten: „Mein Problem ist, dass ich den verpflichtenden Wehrdienst nicht abgeleistet habe und alle diesbezüglichen Dokumente auch verspätet ausstellen lassen habe. Im Fall einer Rückkehr würde ich sicher vor das Militärgericht gebracht, weil ich als Verräter des Landes bezeichnet werden würde. Ich weiß auch nicht, ob mein Name auf der Liste der gesuchten Personen bei der politischen Sicherheitsstelle steht.“ (Niederschrift der Verhandlung am 03.10.2022 OZ/4; S. 9).
Über das Verfahren hinweg (vgl. AS 19 f., AS 149 f. sowie AS 347 f. und OZ/4; S. 7 bis 9) brachte der Beschwerdeführer vor, in Syrien aufgrund seines Alters bereits ein Militärbuch bekommen zu haben. In Ergänzung der bereits vorgelegten Unterlagen wurde bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom Beschwerdeführer sein syrisches Wehrdienstbuch im Original und vollständig vorgelegt. Von diesem wurden auszugsweise Kopien angefertigt und als Beilagen der Niederschrift angeschlossen (Beilage ./A in OZ/4). Das Wehrbuch wurde in der mündlichen Verhandlung dem für die Sprache Arabisch anwesenden und beeideten Dolmetscher zur Übersetzung vorgelegt (vgl. Niederschrift der Verhandlung am 03.10.2022 OZ/4; S. 8 f.). Dem Wehrdienstbuch sind der Name, das Geburtsdatum, sowie die Eltern des Beschwerdeführers, die Rekrutierungsstelle, die Blutgruppe sowie der Ausstellungsort zu entnehmen, und dass der Beschwerdeführer verpflichtet sei, sich bei der Rekrutierungsstelle zu melden. Im Wehrbuch wurde auch eine Verweigerung des Beschwerdeführers, einzurücken, eingetragen. Die jeweiligen Datumsangaben im Wehrbuch waren unleserlich, jedoch war ersichtlich, dass im Jahr 2001 eine medizinische Untersuchung stattfand (vgl. Übersetzung des Wehrdienstbuches in der Niederschrift der Verhandlung am 03.10.2022 OZ/4; S. 8 f.). Aus dem Wehrdienstbuch, ergibt sich außerdem, dass der Beschwerdeführer noch keinen Wehrdienst abgeleistet hat: „Vermerkt wurde, dass der BF nicht eingerückt ist.“ (Übersetzung des Wehrdienstbuches in der Niederschrift der Verhandlung am 03.10.2022 OZ/4; S. 8 f.). Dies ist dem BFA entgegenzuhalten, welches im Verfahren vorbrachte, der Beschwerdeführer habe nur die erste Seite seines Wehrdienstbuches vorgezeigt, sich jedenfalls der Musterung unterzogen und vermutlich bereits seinen Wehrdienst abgeleistet. Entsprechend dem glaubhaften Vorbringen des Beschwerdeführers in der Verhandlung und dem Inhalt des Wehrbuches, wurde dem Beschwerdeführer das Wehrbuch 2010 ausgestellt, nachdem er sich einer Musterung unterzogen hat. Er hat bis heute keinen Wehrdienst abgeleistet (vgl. Niederschrift der Verhandlung am 03.10.2022 OZ/4; S. 7 bis 9).
Das BFA brachte vor, aus dem Wehrdienstbuch sei zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Sehschwäche lediglich für ortsfeste Verwendung wie beispielsweise Arbeiten in einem Büro vorgesehen sei. Für Kampfhandlungen sei er aufgrund seiner Sehschwäche nicht vorgesehen (vgl. Seite 2 f. der Stellungnahme vom 13.12.2021 in OZ/1 sowie Seite 122 des angefochtenen Bescheides vom 21.10.2021, AS 292).
Bereits bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 22.09.2021 gab der Beschwerdeführer an, dass er in Syrien untersucht worden sei und trotz seiner Augen für das Militär „genommen“ worden sei. Er habe als Wache dienen sollen. Zum Beweis legte der Beschwerdeführer bereits bei der Einvernahme sein Militärbuch auszugsweise in Kopie vor (AS 154). Dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Sehschwäche im Militär nur als Wache bzw. lediglich für ortsfeste Verwendung dienen sollte, bedeutet für das erkennende Gericht nicht, dass ihm bei einer jetzigen Rückkehr und einer Einberufung keine lebendbedrohliche Gefahr drohen würde. Die Einziehung zum syrischen Militär und der Einsatz an der Waffe erfolgt dermaßen willkürlich und durch Soldatenmangel gekennzeichnet, dass keinesfalls davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Sehschwäche (er ist Brillenträger) nicht zum Dienst an der Waffe eingesetzt werden würde (vgl. dazu unten genauer sowie unter II.1.2.4.). Auch die Asylagentur der Europäischen Union (EUAA) kommt in ihrem Bericht vom April 2021 zu dem Schluss, dass aufgrund der unklaren Maßstäbe, die von den medizinischen Ausschüssen für die Bewertungen verwendet werden, die tatsächliche Handhabung der Tauglichkeitskriterien schwer eruierbar ist (vgl. II.1.2.4.2.).
Die belangte Behörde stellte die generelle Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers in Frage und brachte im Verfahren vor, der Beschwerdeführer habe Inhalte aus seinem vorgelegten Reisepass nachträglich entfernt, weswegen Anzeige wegen Urkundenfälschung erstattet worden sei (vgl. Seite 2 f. der Stellungnahme vom 13.12.2021 in OZ/1). Dazu findet sich im Verfahrensakt ein Aktenvermerk (AS 163) auf dem vermerkt wurde, dass sich auf Seite 11 des Reisepasses des Beschwerdeführers Kleberückstände von einem Visum befänden und die Überprüfung des Dokumentes ergeben habe, dass dieses bedenklich sei. Im wegen Urkundenfälschung gegen den Beschwerdeführer eingeleitetem Verfahren gab dieser an, sein Schlepper von Albanien nach Serbien habe seinen Reisepass durchgeblättert und das Visum aus Dubai herausgerissen, da er gemeint habe, dieses würde dem Beschwerdeführer Probleme bereiten (AS 315). Ein Untersuchungsbericht der zuständigen Landespolizeidirektion vom 09.10.2021 hat ergeben, dass sich auf dem echten syrischen Reisepass des Beschwerdeführers Reste eines Klebeetikettes befinden (AS 329). Dies entspricht den Angaben des Beschwerdeführers zu dem in Dubai ausgestellten Visum. Die Kleberrückstände auf dem Reisepass des Beschwerdeführers stellen insgesamt keinesfalls seine Glaubwürdigkeit in Frage.
Die belangte Behörde brachte im Verfahren außerdem vor, wäre die syrische Regierung tatsächlich am Beschwerdeführer interessiert, hätte das syrische Konsulat in Dubai dem Beschwerdeführer keinen Reisepass ausgestellt und hätte seine Frau nicht, wie von ihm vorgebracht, zur Geburt der Kinder vom Libanon nach Syrien reisen können. Der Beschwerdeführer habe sich außerdem während des Bürgerkriegs und des IS Terrors bereits im Libanon, in Ägypten und in Dubai aufgehalten (vgl. Seite 2 f. der Stellungnahme vom 13.12.2021 in OZ/1 sowie Seite 131 des angefochtenen Bescheides vom 21.10.2021, AS 301). Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 22.09.2021 gab der Beschwerdeführer an, er habe seine Frau durch eine Vollmacht für seinen Bruder in Syrien im Jahr 2015 geheiratet und sie sei danach zu ihm in den Libanon gekommen. Vor der Geburt beider Kinder sei sie zurück nach Syrien gereist und habe dort die Kinder zur Welt gebracht, weil die Kosten einer Geburt im Libanon zu hoch gewesen seien. Er gab an, seine Frau und seine Kinder würden momentan in Aleppo im umkämpften Kriegsgebiet in Syrien, versteckt im Keller leben (vgl. Seite 5 der Einvernahme vom 22.09.2021, AS 153). Nur weil die Frau des Beschwerdeführers zur Geburt ihrer Kinder nach Syrien gereist ist, ergibt sich daraus für das erkennende Gericht nicht, dass der Beschwerdeführer bei einer heutigen Rückkehr nicht aktuell aufgrund drohender Wehrpflicht gefährdet wäre. Dies stellt auch das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht in Frage. Zudem brachte der Beschwerdeführer im Verfahren glaubhaft vor, er habe mit seiner Frau aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung nicht nach Syrien zurückkehren können (AS 348 f.; Seite 4 der Beschwerde vom 09.12.2021).
Auch das Argument der belangten Behörde, die Ausstellung eines syrischen Reisepasses im Jahr 2017 im syrischen Konsulat in Dubai stehe im Widerspruch zu einer unterstellten oppositionellen Gesinnung des Beschwerdeführers (vgl. Seite 131 des angefochtenen Bescheides vom 21.10.2021, AS 301), deckt sich nicht mit den Länderinformationen (vgl. II.1.2.). Entsprechend den Angaben des Beschwerdeführers war die Ausstellung des Reisepasses möglich, weil seine Ehefrau Rechtsanwältin sei und gute Kontakte habe (vgl. Niederschrift vom 22.09.2021; AS 149 f.). Auch in der mündlichen Verhandlung brachte er diesbezüglich glaubhaft vor, dass die Passausstellung im Jahr 2017 problemlos funktioniert habe, ihm jedoch nur für zwei Jahre ein Pass ausgestellt worden sei (vgl. Niederschrift der Verhandlung am 03.10.2022; OZ/4; S. 9). Dass dem Beschwerdeführer im Jahr 2017 im syrischen Konsulat in Dubai ein Reisepass ausgestellt wurde, hat nichts mit der aktuell ihm gegenüber drohenden Gefahr bei einer heutigen Rückkehr zu tun, diese Ausstellung liegt außerdem bereits fünf Jahre zurück.
Der Beschwerdeführer brachte im Verfahren glaubhaft und gleichlautend vor, einen Militärdienst bei der syrischen Armee abzulehnen (AS 347 f.; Seite 2 f. der Beschwerde vom 09.12.2021 sowie Niederschrift der Verhandlung am 03.10.2022; OZ/4; S. 9). Er brachte im Verfahren insgesamt glaubhaft und widerspruchsfrei vor, nicht im Militär des syrischen Regimes kämpfen zu wollen. So brachte er zum Ausdruck, dass er den Umgang des syrischen Militärs mit Zivilpersonen sowie die vom syrischen Militär verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit ablehnt und sich deshalb weigert, an den Kämpfen des syrischen Militärs teilzunehmen (AS 368.; Seite 24 der Beschwerde vom 09.12.2021, sowie Niederschrift der Verhandlung am 03.10.2022; OZ/4; S. 9).
Die belangte Behörde brachte im Verfahren vor, die bestehenden Kampfhandlungen in Syrien würden hauptsächlich an den festgefahrenen Fronten zu den Kurdengebieten stattfinden und den Medien sei zu entnehmen, dass die syrische Armee kaum militärische Operationen durchführe und der Krieg in Syrien längst vom Bürgerkrieg zu einem räumlich begrenzten Stellvertreterkrieg geworden sei (vgl. Seite 2 f. der Stellungnahme vom 13.12.2021 in OZ/1). Die belangte Behörde stellt damit die aktuelle Situation in Syrien in Frage, obwohl sie selbst aufgrund der aktuellen Situation und basierend auf den Länderinformationen dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt hat. Der Argumentation des BFA, die syrische Armee würde kaum militärische Operationen durchführen sind die aktuellen Länderfeststellungen entgegenzuhalten (vgl. II.1.2.4.):
Der Beschwerdeführer stammt aus Aleppo, einer Stadt im Norden Syriens. Sie ist Hauptstadt des gleichnamigen Gouvernements Aleppo. Aus den Länderinformationen ergibt sich, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend eine drohende Einberufung zum Wehrdienst bei einer Rückkehr in seine Heimatprovinz Aleppo glaubhaft ist. Die Stadt Aleppo befindet sich unter Regierungskontrolle. Jedoch gilt im Nordwesten Syriens das Gebiet Idlib, das Teile des Gouvernements Idlib, Nord-Hama, Nord-Lattakia und West-Aleppo umfasst, als letzte verbleibende Hochburg der bewaffneten regierungsfeindlichen Gruppen. Im nördlichen, an die Türkei grenzenden Gebiet der Provinz Aleppo haben die SDF/GoS sowie die Türkei und die HTS die Überhand. Während die syrische Regierung die gesamte Provinz zurückerobern will, versucht Ankara zu verhindern, dass Idlib an Damaskus fällt, und daraufhin noch mehr Syrer in die Türkei flüchten. Im Mai 2017 wurden durch eine Vereinbarung in Astana zwischen Russland und Iran (als Verbündete des syrischen Regimes) einerseits, und der Türkei (als Unterstützer der Rebellen) andererseits, vier Deeskalationszonen eingerichtet, die unter anderem ganz Idlib sowie auch Teile der Provinzen Lattakia, Aleppo und Hama umfasste. Einheiten der syrischen Regierung führen jedoch trotz dieser Vereinbarung militärische Operationen in diesem Gebiet durch und eroberten bis Mitte 2018 etwa die Hälfte der Deeskalationszone im Nordwesten zurück. Nach wie vor sind die nördlichen Teile der Provinz Aleppo umkämpft. Im 2. Quartal 2022 gab es 434 Konfliktereignisse zwischen den Kräften der syrischen Regierung und ihren Verbündeten einerseits und bewaffneten Oppositionsgruppen andererseits. Darunter fielen 348 Ereignisse mit Granatbeschuss, 26 Luftangriffe und 59 Zusammenstöße. Im April fanden 142 dieser sicherheitsrelevanten Ereignisse statt, im Mai 169 und im Juni ging die Zahl auf 123 Vorfälle zurück. Der Anstieg auf Vorfälle zwischen den Gruppen der SNA auf 51 im Vergleich zu elf Ereignissen im 1. Quartal 2022 geht auf Spaltungen innerhalb der SNA zurück (vgl. II.1.2.2.1.). Das Vorbringen des Beschwerdeführers (AS 372, sowie Seite 28 der Beschwerde vom 09.12.2021) bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsort Aleppo drohe ihm Zwangsrekrutierung bzw. Bestrafung aufgrund seiner Ausreise im Wehrpflichtigen Alter von XXXX Jahren deckt sich somit mit den Länderinformationen wonach es in der Region zu Kampfhandlungen kommt und Bedarf an Soldaten besteht.
Insgesamt stellte sich das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend die Verfolgung in Syrien aufgrund der Wehrpflicht als widerspruchsfrei, nachvollziehbar und gleichlautend dar. So besteht für den Beschwerdeführer bei einer Rückkehr die Gefahr zum Wehrdienst einberufen zu werden, was dieser ablehnt. Der Beschwerdeführer, der bisher noch keinen Wehrdienst in Syrien abgeleistet hat, hat sich durch seine Ausreise einer sehr wahrscheinlichen Einberufung entzogen und würde bei einer Rückkehr daher als Regimegegner angesehen werden.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers über die aktuelle Bedrohung der Wehrdienstrekrutierung in seiner Herkunftsregion deckt sich auch mit den Länderinformationen zu Syrien (vgl. dazu genauer II.1.2.).
Der Beschwerdeführer hat insgesamt glaubhaft vorgebracht, bei einer Rückkehr eine Bestrafung aufgrund seiner Ausreise und der damit verbundenen Verweigerung des Wehrdienstes zu befürchten. Er brachte auch glaubhaft vor, eine Zwangsrekrutierung trotz seines fortgeschrittenen Alters, bei einer Rückkehr durch die Regierung zu befürchten, und aufgrund einer drohenden Einberufung zum Militärdienst im Jahr 2011 geflüchtet zu sein, sowie aufgrund einer drohenden aktuellen Einberufung nicht nach Syrien zurückkehren zu können.
Es entstand bei dem erkennenden Richter nicht der Eindruck, es könnte sich bei der Bedrohung aufgrund einer Einberufung um eine einstudierte Fluchtgeschichte handeln. Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers war aus den soeben angestellten Erwägungen insgesamt ausreichend substantiiert und schlüssig und hat sich auch vor dem Hintergrund der in den Länderfeststellungen zu Syrien enthaltenen Ausführungen (vgl. II.1.2. sowie sogleich II.2.1.2.2.) als nachvollziehbar und plausibel erwiesen. Zudem wurde vom Beschwerdeführer sein Wehrbuch im Verfahren vorgelegt.
2.1.2.2. Zur Bedrohung bei einer Rückkehr:
Der Beschwerdeführer brachte über das Verfahren hinweg gleichlautend und glaubhaft vor, bei einer Rückkehr nach Syrien eine Einberufung zum Wehrdienst und aufgrund seiner Ausreise ohne abgeleisteten Wehrdienst Bestrafung zu befürchten (vgl. bereits in der Erstbefragung am 24.07.2021; AS 19 f., sowie in der Einvernahme am 22.09.2021; AS 155, sowie in der mündlichen Verhandlung am 03.10.2022; OZ/4; S. 9). Nachgefragt warum er nicht nach Syrien zurückkehren könne gab der Beschwerdeführer bereits in der Einvernahme vor dem BFA an: „Wegen dem Militärdienst. Aus Sicht der syrischen Regierung habe ich mein Land betrogen und darf deshalb nicht mehr zurückkehren.“ (Seite 7 der Einvernahme am 22.09.2021 AS 155). Bei einer Rückkehr befürchte er aufgrund seiner Flucht aus Syrien im Jahr 2011 im Alter von XXXX Jahren als Wehrpflichtiger wegen der Entziehung vom Wehrdienst in Kriegszeiten mit einer unverhältnismäßig langen Freiheitsstrafe bestraft zu werden bzw. wegen unterstellter oppositioneller Gesinnung verfolgt zu werden (AS 366 Seite 22 der Beschwerde vom 09.12.2021 sowie Niederschrift der Verhandlung am 03.10.2022; OZ/4; S. 9).
Die belangte Behörde argumentiert im angefochtenen Bescheid, der Beschwerdeführer habe bei einer Rückkehr seitens des syrischen Regimes keine Bedrohung als regimefeindlich zu befürchten, da er legal ausgereist sei. Es könne zudem nicht eindeutig festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer seinen Grundwehrdienst noch nicht abgeleistet habe, da er nur die erste Seite seines Wehrdienstbuches vorgelegt habe. Da der Beschwerdeführer nur für ortsfeste Verwendung vorgesehen wäre, sei in seinem Fall von keiner besonderen militärischen Qualifikation für Kampfeinsätze auszugehen und es erscheine unwahrscheinlich, dass er im Falle einer Rückkehr mit XXXX Jahren erstmalig zum Wehrdienst herangezogen werde (vgl. Seite 11 f. sowie 122 f. des angefochtenen Bescheides vom 21.10.2021, AS 171 f.).
In der Beschwerde wurde vorgebracht (AS 352, Seite 8 der Beschwerde), dem Beschwerdeführer drohe aufgrund der Asylantragstellung in Österreich bei einer Rückkehr nach Syrien entsprechend den UNHCR Berichten aufgrund unterstellter oppositioneller Einstellung Verfolgung. Zudem drohe ihm Verfolgung aufgrund seiner Ausreise im wehrpflichtigen Alter und dem noch nicht abgeleisteten Grundwehrdienst. Darüber hinaus bestehe die Gefahr, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr zum Wehrdienst einberufen werde, was dieser ablehne.
Das erkennende Gericht kommt zu folgendem Ergebnis:
Das BFA argumentiert im angefochtenen Bescheid, beim Beschwerdeführer handle es sich um keinen Deserteur, weil eine Einberufung zum Grundwehrdienst nie erfolgt sei, er nie zwangsrekrutiert worden sei und er den Grundwehrdienst nie abgeleistet habe (vgl. Seite 124 des angefochtenen Bescheides vom 21.10.2021, AS 294). Dem ist entgegenzuhalten, dass sich der Beschwerdeführer, wie festgestellt im Jahr 2011 im Alter von XXXX Jahren als Wehrpflichtiger in Kriegszeiten vom Wehrdienst entzogen hat und durchaus als Deserteur anzusehen ist. Gerade aus dem Grund, weil der Beschwerdeführer den Grundwehrdienst bis dato nicht abgeleistet hat, seinen Militärdienst durch Zahlungen mehrmals aufgeschoben hat (vgl. dazu bereits oben II.2.1.2.1.) und er trotzdem aus Syrien ausgereist ist, handelt es sich bei dem Beschwerdeführer um einen Deserteur.
Da der Beschwerdeführer im Jahr 2011 aus Syrien ausgereist ist ohne seinen Wehrdienst abgeleistet zu haben, gilt er für das syrische Regime als Wehrdienstverweigerer. Der Beschwerdeführer hat sich durch Zahlungen von Schmiergeld bis zu seiner Ausreise dem Wehrdienst entzogen da er eine Aufschiebung dessen erwirken konnte. Er reiste aus Syrien aus, ohne den Wehrdienst abgeleistet zu haben und würde daher bei einer Rückkehr als Regimegegner angesehen werden. Der Beschwerdeführer lehnt einen Militärdienst bei der syrischen Armee ab.
Im Falle einer Rückkehr besteht für den Beschwerdeführer daher die Gefahr, am Grenzkontrollposten verhaftet und wegen seiner endgültigen Ausreise 2011 und der damit einhergehenden Wehrdienstverweigerung verhaftet zu werden und zumindest mit einer Gefängnisstrafe bestraft zu werden, die mit der Anwendung von Folter verbunden wäre.
Die syrische Regierung betrachtet Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen. Die Ausreise des Beschwerdeführers und die dadurch bewirkte Entziehung von der Ableistung des Wehrdienstes wird vom syrischen Regime als Ausdruck einer oppositionellen Gesinnung gesehen.
Bei einer Rückkehr nach Syrien läuft der Beschwerdeführer Gefahr, Gewalthandlungen, erheblichen Eingriffen in seine Unversehrtheit und/oder gravierenden Bedrohungen durch das syrische Regime ausgesetzt zu sein. Denn es ergibt sich aus den Länderfeststellungen (vgl. oben II.1.2.4.4.), dass dem Beschwerdeführer im Falle der Weigerung den Wehrdienst bzw. Reservedienst in der syrischen Armee abzuleisten, zumindest eine mit Folter verbundene Gefängnisstrafe droht. Neben anderen Personengruppen sind insbesondere auch Wehrdienstverweigerer bzw. Deserteure Ziel der umfassenden Anti-Terror-Gesetzgebung der syrischen Regierung.
Somit ergibt sich die Feststellung, dass die mit der Ausreise des Beschwerdeführers verbundene Wehrdienstentziehung und Asylantragstellung in Österreich vom syrischen Regime als Ausdruck oppositioneller Gesinnung gesehen wird.
Entsprechend dem Länderinformationsblatt (vgl. oben Punkt II.1.2.4.4.) werden Wehrdienstverweigerer in Syrien laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft [Anm.: die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort]. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (sogenannte „externe Desertion“), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes kann mit lebenslanger Haftstrafe bestraft werden und in schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt (vgl. oben Punkt II.1.2.4.4.).
Das BFA brachte im Verfahren als weiteren Punkt vor, beim Beschwerdeführer handle es sich nicht um einen jungen syrischen wehrpflichtigen Mann. Der Beschwerdeführer sei bereits XXXX Jahre alt und unterliege nicht mehr der syrischen gesetzlichen Wehrpflicht die von 18 bis 42 Jahren gelte (vgl. Seite 2 f. der Stellungnahme vom 13.12.2021 in OZ/1).
Bereits bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 22.09.2021 gab der Beschwerdeführer an, er befürchte bei einer Rückkehr nach Syrien trotz seines Alters von XXXX Jahren eingezogen zu werden, da in Syrien nach wie vor Krieg tobe und jeder auch bis zum 60 Lebensjahr in den Krieg ziehen müsse (AS 149 – AS 158).
Aus den Länderinformationen ergibt sich, dass der Beschwerdeführer trotz seines fortgeschrittenen Alters von mittlerweile XXXX Jahren gefährdet ist in Syrien zum Militär eingezogen zu werden. Dies vor allem deshalb, weil der Beschwerdeführer bisher noch keinen Wehrdienst geleistet hat, und es einen großen Bedarf an Soldaten gibt. Mit seinen XXXX Jahren liegt der Beschwerdeführer lediglich zwei Jahre über der gesetzlichen Wehrpflicht, wobei es Berichte dazu gibt, dass die Rekrutierungen willkürlich erfolgen und auch Personen über 42 Jahre regelmäßig rekrutiert wurden.
Es besteht die Gefahr, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr, trotz seines Alters von mittlerweile XXXX Jahren, gerade weil er seinen Wehrdienst in Syrien bisher noch nicht abgeleistet hat, zum Militärdienst bei der syrischen Armee eingezogen wird, was er ablehnt. Dem Beschwerdeführer geht es, bis auf eine Sehschwäche gesundheitlich gut, es ist daher sehr wahrscheinlich, dass ein Aufschub des Militärdienstes durch Schmiergeldzahlungen, wie vor der Ausreise 2011, nicht erfolgen wird. Der Beschwerdeführer verfügt zwar über kein Spezialwissen, eine Einziehung zum Wehrdienst trotz Überschreitung des 42. Lebensjahres ist angesichts des willkürlichen Verhaltens der syrischen Behörden und des Bedarfs an kampfähigen Soldaten trotzdem sehr wahrscheinlich. Länderinformationen darüber, dass ein Spezialwissen die Wahrscheinlichkeit eines Einzugs zum Militär erhöhen, liegen für Reservisten vor, nicht jedoch für Personen die den Wehrdienst noch gar nicht absolviert haben.
In Syrien besteht ein verpflichtender Wehrdienst für männliche Staatsbürger ab dem Alter von 18 Jahren. Syrische männliche Staatsangehörige können bis zum Alter von 42 Jahren und in Einzelfällen bei vorhandenem militärischen Spezialwissen bis zum Alter von über 50 Jahren zum Reservedienst eingezogen werden. Diese Feststellung traf bereits die belangte Behörde (vgl. Seite 126 des angefochtenen Bescheides vom 21.10.2021, AS 296).
Wenn die Behörde jedoch im angefochtenen Bescheid ausführt, „Da ihr vollständig abgeleisteter Wehrdienst bereits über 20 Jahre zurückliegt (..) ist nicht anzunehmen, dass Sie aus militärischem Blickwinkel betrachten von erheblichem Interesse für die syrischen Streitkräfte sind.“ (Seite 126 des angefochtenen Bescheides vom 21.10.2021, AS 296), übersieht sie, dass der Beschwerdeführer seinen Wehrdienst – wie oben beweiswürdigend festgestellt - noch nicht abgeleistet hat und vor zwölf Jahren ohne abgeleisteten Wehrdienst aus Syrien geflüchtet ist.
Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in Syrischen Pfund leisten müssen. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe (vgl. II.1.2.4.2.). Dass trotz Zahlung dieses Betrages von der Einberufung abgesehen wird ist nicht belegt. Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutzt das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen (vgl. II.1.2.4.3.).
Es ist festzuhalten, dass es für eine Bedrohung oder Verfolgung durch das syrische Regime nicht (unbedingt) darauf ankommt, ob eine Einberufung zum Militärdienst vor der Ausreise bereits erfolgt ist, ob eine behördliche Suche (wegen des Militärdienstes) bereits (vor der Ausreise) stattgefunden hat oder ob die Ausreise legal erfolgen konnte, sondern vielmehr darauf, mit welcher Wahrscheinlichkeit von einem Einsatz beim Militär (im Falle einer nunmehrigen Rückkehr/Wiedereinreise in den Herkunftsstaat) auszugehen ist, was anhand der Situation (hinsichtlich der Einberufung zum Militärdienst) im Herkunftsstaat und anhand des Profils der betroffenen Person zu beurteilen ist. Aus den Länderfeststellungen zu den Voraussetzungen/Kriterien einer Wehrdiensteinberufung in Syrien und dem persönlichen Profil des Beschwerdeführers ergibt sich, dass eine Person mit diesen formellen Voraussetzungen in Syrien angesichts des dortigen innerstaatlichen Konfliktes und des Mangels an Soldaten mit erheblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, zum Militärdienst eingezogen zu werden.
Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden. Es liegen einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat, das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung (vgl. II.1.2.4.1.). Eine solche besondere Qualifikation ist im Fall des Beschwerdeführers zwar nicht gegeben, jedoch ist er nicht als Reservist anzusehen, da er seinen verpflichtenden Grundwehrdienst noch nicht abgeleistet hat. Das Risiko, dass er bei einer Rückkehr zum Militärdienst eingezogen wird ist sehr groß. Den Länderinformationen zufolge wurden die Altersgrenzen fallweise angehoben und auch Männer bis zu einem Alter von 55 oder sogar 62 Jahren, abhängig vom Rang, erneut zum Reservedienst eingezogen, bzw. konnten Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen. Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab als von allgemeinen Einberufungsregelungen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht. Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt entsprechend der aktuellen Länderberichte aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch (vgl. II.1.2.4.1.).
Vor 2011 lag die Dauer der Wehrpflicht zwischen eineinhalb und zweieinhalb Jahren. Seit 2011 leisten die meisten Reservisten und Militärangehörigen ihren Dienst auf unbestimmte Zeit (vgl. II.1.2.4.1.).
Mitte Oktober 2018 berichteten – dem aktuellen Länderinformationsblatt zufolge – regierungsnahe Medien, dass etwa 800.000 Männer nicht mehr für den Reservedienst benötigt werden. Eine Reihe Syrer kehrten daraufhin nach Syrien zurück, wobei manche über Beziehungen in der Heimat ihren Wehrdienststatus überprüfen ließen und sich versicherten, dass sie tatsächlich nicht mehr gesucht werden. Zumindest manche der Rückkehrer wurden wenige Wochen später eingezogen, nachdem das Verteidigungsministerium im Dezember 2018 neue Einberufungslisten für den Reservedienst veröffentlichte, und so die vorherige Entscheidung aufhob (vgl. II.1.2.4.1.).
Eine Einberufung des Beschwerdeführers zum Wehrdienst ist bei einer Rückkehr somit sehr wahrscheinlich. Es ist aufgrund des willkürlichen Vorgehens des syrischen Regimes und des Mangels an Soldaten mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr zum Wehrdienst einberufen wird, was dieser ablehnt. Zumal es dem Beschwerdeführer gesundheitlich gut geht, er lediglich eine Sehschwäche hat, er arbeitsfähig ist und seinen verpflichtenden Grundwehrdienst noch nicht abgeleistet hat. Den Länderinformationen ist zu entnehmen, dass das syrische Wehrdienstgesetz zwar vorsieht, dass bestimmte Personengruppen, wie zum Beispiel aus medizinischen Gründen Untaugliche und Personen, welche eine Befreiungsgebühr bezahlen, vom Wehrdienst ausgenommen sind. Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr Beschränkungen und es ist unklar, wie die entsprechenden Gesetze derzeit umgesetzt werden. Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert. Das Risiko der Willkür ist immer gegeben (vgl. II.1.2.4.2.). Dass der Beschwerdeführer wie vor seiner Ausreise 2011 einen Aufschub erwirken könnte ist daher unwahrscheinlich.
Aufgrund dieser Umstände besteht die reale Gefahr, dass das syrische Regime den Beschwerdeführer bei Kontrollen oder Checkpoints verhaftet und er dem Dienst in der syrischen Armee zugeführt wird. Ein „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints ist entsprechend der Länderinformationen aktuell weit verbreitet (vgl. II.1.2.4.1.).
Dass eine hinsichtlich des Reiseweges zumutbare und legale Rückkehr nach Syrien nur über den Flughafen in Damaskus möglich ist, der sich in der Hand der Regierung befindet und dass einreisende Personen im Falle einer Abschiebung oder einer Rückkehr ohne Reisedokumente einer intensiven Überprüfung unterzogen werden, ergibt sich aus den Länderberichten (vgl. II.1.2.6.).
Gemäß Art. 101 wird Desertion mit fünf Jahren Haft oder mit fünf bis zehn Jahren Haft bestraft, wenn der Deserteur das Land verlässt. Die Todesstrafe ist gemäß Art. 102 bei Überlaufen zum Feind und gemäß Art. 105 bei geplanter Desertion im Angesicht des Feindes vorgesehen. Eine Quelle berichtet, dass Deserteure zwar in früheren Phasen des Krieges exekutiert wurden, jedoch habe die syrische Regierung ihre Vorgehensweise in den vergangenen Jahren geändert und aufgrund des vorherrschenden Bedarfs an der Front festgenommene Deserteure zum Teil zu kurzen Haftstrafen verurteilt. Amnesty International dokumentierte Fälle von Rückkehrern, die aufgrund der Wehrpflicht zunächst festgenommen und nach Freilassung unmittelbar in den Militärdienst eingezogen wurden (vgl. II.1.2.4.4.).
Das BFA brachte im Verfahren vor, da die Ableistung des Grundwehrdienstes verneint worden sei, könne der Beschwerdeführer nicht über spezielle militärische Kenntnisse verfügen aufgrund derer ein besonderes Interesse an der Rekrutierung des Beschwerdeführers auch im fortgeschrittenen Alter zu befürchten wäre (vgl. Seite 2 f. der Stellungnahme vom 13.12.2021 in OZ/1 sowie Seite 122 des angefochtenen Bescheides vom 21.10.2021, AS 292). Das BFA brachte hier im Wesentlichen vor, der Beschwerdeführer müsse aufgrund fehlendem Spezialwissen keine Rekrutierung im Alter von XXXX Jahren befürchten.
Das Vorliegen von Spezialwissen (wie ein Panzerführerschein oder ähnliches) ist wie bereits erläutert in Syrien aber nur ein Kriterium dafür, dass ein männlicher syrischer Staatsbürger, der bereits seinen Pflichtwehrdienst abgeleistet hat, erneut zum Reservedienst einberufen wird. Der Beschwerdeführer, der bisher noch nicht einmal seinen verpflichtenden zweijährigen Militärdienst abgeleistet hat, kann zum Militär einberufen werden, unabhängig davon ob er über Spezialwissen verfügt oder nicht (vgl. dazu genauer unten sowie Punkt II.1.2.4.).
Die Bedrohung des Beschwerdeführers zum Wehrdienst rekrutiert zu werden geht in diesem Fall vom syrischen Regime, somit vom Staat, gegen den Beschwerdeführer aus (siehe dazu oben II.1.2.4.4.). Aus den Länderinformationen ergibt sich, dass es im syrischen Bürgerkrieg zu - durch staatliche Stellen zu verantwortende - Menschenrechtsverletzungen kommt. Mitglieder aller Konfliktparteien in Syrien haben schwere Verletzungen im Bereich Menschenrechte und humanitäres Recht begangen. Alle Eingezogenen können laut European Union Agency for Asylum (EUAA) potenziell an die Front abkommandiert werden (vgl. II.1.2.4.1.).
Es besteht somit die Gefahr, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr, trotz seines Alters von mittlerweile XXXX Jahren, zum Militärdienst bei der syrischen Armee eingezogen wird, was er ablehnt.
Es ergibt sich aus den aktuellen Länderberichten (10.08.2022), dass dem Beschwerdeführer aktuell bei einer Rückkehr Gefahr droht, sodass seine begründete Furcht vor Verfolgung aktuell ist.
Das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative ist für den Beschwerdeführer nicht gegeben, da er über Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints in ganz Syrien, vor allem bei einer Einreise, durch das syrische Regime verhaftet und dem Dienst in der syrischen Armee zugeführt werden kann (vgl. dazu die spezifischen Länderfeststellungen zur Situation in Syrien oben Punkt II.1.2. sowie die rechtliche Beurteilung unter II.3.1.2.4.).
2.2. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen (vgl. oben II.1.2.), insbesondere auf das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, aus dem Country of Origin - Content Management System (COI-CMS) Syrien, Version 7 vom 10.08.2022. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zu A) I. Stattgabe der Beschwerde:
Die vorliegende Beschwerde vom 09.12.2021 ist rechtzeitig und zulässig, sie richtet sich gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides vom 21.10.2021 mit dem die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 23.07.2021 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen hat.
3.1.1. Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art 9 Statusrichtlinie [RL 2011/95/EU ] verweist.).
Gemäß § 3 Abs 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.
Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrages auf internationalen Schutz der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Flüchtling im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK (in der Fassung des Art 1 Abs 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) – deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben – ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen, oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (VwGH 09.03.1999, 98/01/0370; 19.12.2007, 2006/20/0771).
Aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ergibt sich zur Verfolgung (VwGH 31.07.2018, Ra 2018/20/0182): „Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen (Hinweis E vom 24. März 2011, 2008/23/1443, mwN). § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005 umschreibt ‚Verfolgung' als jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie, worunter - unter anderem - Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 MRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Art. 2 MRK geschützte Recht auf Leben und das in Art. 3 MRK niedergelegte Verbot der Folter."
Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 14.07.2021, Ra 2021/14/0066, VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr – Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung – bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (VwGH 18.04.1996, 95/20/0239; 16.02.2000, 99/01/0097), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können jedoch im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318).
Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie). Ob dies der Fall ist, haben die Asylbehörde bzw. das BVwG im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfende Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen (vgl. VwGH 16.12.2021, Ra 2021/18/0387, mwN).
Schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht. Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist also, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht (vgl. VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, mwN).
Die Beurteilung des rechtlichen Begriffs der Glaubhaftmachung ist auf der Grundlage positiv getroffener Feststellungen von Seiten des erkennenden VwG vorzunehmen, aber im Fall der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können derartige positive Feststellungen vom VwG nicht getroffen werden (vgl. VwGH 13.01.2022, Ra 2021/14/0386, mwN).
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass ein Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn der Asylwerber daher im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. – des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108, mwN).
Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233). Die Verfolgungsgefahr muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (VwGH 27.01.2000, 99/20/0519). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 23.07.1999, 99/20/0208; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen – würden sie von staatlichen Organen gesetzt – asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).
Von mangelnder Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht – unter dem Fehlen einer solchen ist nicht „zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht“ (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) –, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law² [1996] 73; weiters VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 20.09.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203).
Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat „nicht gewillt oder nicht in der Lage“ sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256; 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 10.04.2020, Ra 2019/19/0415, mwN).
Der Verwaltungsgerichtshof hat auch ausgesprochen, dass die Schutzfähigkeit und -willigkeit der staatlichen Behörden grundsätzlich daran zu messen ist, ob im Heimatland wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, vorhanden sind und ob die schutzsuchende Person Zugang zu diesem Schutz hat. Dabei muss auch bei Vorhandensein von Strafnormen und Strafverfolgungsbehörden im Einzelfall geprüft werden, ob die revisionswerbenden Parteien unter Berücksichtigung ihrer besonderen Umstände in der Lage sind, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (vgl. VwGH 14.04.2021, Ra 2020/18/0126, mwN).
Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (zB VwGH 24.03.1999, 98/01/0352 mwN; 15.03.2001, 99/20/0036). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen – mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates – im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwSlg. 16.482 A/2004). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer „internen Flucht- oder Schutzalternative“ (VwSlg. 16.482 A/2004) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, 29.03.2001, 2000/20/0539; 17.03.2009, 2007/19/0459).
Aufgrund der oben im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellten Erwägungen (vgl. Pkt. II.2.1.2.) ist es dem Beschwerdeführer gelungen, eine ihm drohende Verfolgung in seinem Herkunftsstaat glaubhaft zu machen:
3.1.2. Zur vorgebrachten Bedrohung: Wehrdienst
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt vor dem Hintergrund der oben festgestellten Berichtslage zur Situation in Syrien, dass der Beschwerdeführer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ist. Der im Beschwerdefall festgestellte Sachverhalt lässt erkennen, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers begründet ist.
Im gegenständlichen Fall handelt es sich bei der gegenüber dem Beschwerdeführer bestehenden Verfolgungsgefahr um eine solche aufgrund unterstellter oppositioneller Gesinnung.
3.1.2.1. Zur Verfolgung aufgrund unterstellter oppositioneller Gesinnung des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer ist XXXX Jahre alt.
Der Beschwerdeführer wurde seit seinem 18 Lebensjahr immer wieder vom syrischen Regime zum Militärdienst aufgefordert, hat diesen aber bisher nicht abgeleistet, weil er sich vorwiegend außerhalb Syriens in den Ländern Libanon, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten aufgehalten hat und durch Schmiergeldzahlungen einen Aufschub seines Wehrdienstes erwirken konnte (AS 149 f., OZ/4; S. 8).
Im Jahr 2001 versuchte der Beschwerdeführer sich im Alter von XXXX Jahren vom Wehrdienst freizukaufen, dies scheiterte aber (vgl. den Eintrag im Wehrdienstbuch sowie OZ/4; S. 9).
Im Jahr 2010 kehrte der Beschwerdeführer im Alter von XXXX Jahren erneut nach Syrien zurück in der Hoffnung sich durch Schmiergeldzahlungen vom Wehrdienst freikaufen zu können. Auch dieser Versuch war erfolglos (OZ/4; S. 8).
Der Beschwerdeführer hat seinen Wehrdienst in Syrien nicht abgeleistet (AS 149 f., OZ/4; S. 7).
Für männliche syrische Staatsangehörige zwischen 18 und 42 Jahren ist die Ableistung des Wehrdienstes in Syrien gesetzlich verpflichtend. Der BF hat durch seine endgültige Ausreise im Jahr 2011, im Alter von XXXX Jahren die Ableistung des Militärdienstes verweigert.
Der Beschwerdeführer hat sich durch seine Ausreise seinem Militärdienst entzogen und würde daher bei einer Rückkehr als Regimegegner angesehen werden. Er lehnt einen Militärdienst bei der syrischen Armee ab.
Der Beschwerdeführer verließ Syrien im Jahr 2011 endgültig und stellte am 24.07.2021 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, unter anderem weil er nicht im Militär des syrischen Regimes kämpfen will (AS 149 f., OZ/4; S. 9).
In der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wird ausgeführt, dass drohende Bestrafung wegen der Weigerung der Teilnahme an einem von der Völkergemeinschaft verurteilten Kriegseinsatz dann zur Asylgewährung führen könne, wenn dem jeweiligen Asylwerber eine feindliche politische Gesinnung unterstellt werde (siehe etwa VwGH 21.12.2000, 2000/01/0072). Der Verwaltungsgerichtshof vertritt darüber hinaus ausdrücklich die Auffassung, dass unter dem Gesichtspunkt des Zwangs zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen – etwa gegen die Zivilbevölkerung – auch eine bloße Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung darstellen kann (VwGH 25.03.2003, 2001/01/0009). Dies ist auch in Art. 9 Abs. 2 lit e der Richtlinie 2011/95/EU ausdrücklich festgehalten. Daher wäre eine (drohende) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 der genannten Richtlinie fallen, eine (drohende) asylrelevante Verfolgung.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen. Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt (vgl. VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, Rn. 19, mwN). Würde der Wehrdienst dazu zwingen, an völkerrechtswidrigen Militäraktionen teilzunehmen, kann auch schon eine Bestrafung mit einer „bloßen“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (VwGH 13.11.2019, Ra 2019/18/0274).
Ist Letzteres der Fall, so kann dies aber auch auf der - generellen - Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung beruhen, womit unabhängig von einer der Wehrdienstverweigerung bzw. Desertion im konkreten Fall wirklich zugrundeliegenden religiösen oder politischen Überzeugung der erforderliche Zusammenhang zu einem Konventionsgrund gegeben wäre (vgl. VwGH 14.09.2016, Ra 2016/18/0085; 14.12.2004, 2001/20/0692).
Damit liegt im Hinblick auf die dem Beschwerdeführer zukünftig drohende Bestrafung wegen "Wehrdienstverweigerung" als (drohender) Eingriff von erheblicher Intensität eine asylrelevante Verfolgung vor, weil die Bestrafung in Zusammenhang mit einem Konventionsgrund, nämlich mit dem der (zumindest unterstellten) "politischen Gesinnung", steht.
Für den Beschwerdeführer besteht im Falle einer Rückkehr aufgrund seiner Ausreise und der damit Verbundenen Verweigerung einer Einberufung zum Militärdienst asylrelevante Verfolgungsgefahr, weil er sich durch seine Ausreise dem syrischen Militärdienst, in dessen Rahmen er zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen (wie Angriffen auf die Zivilbevölkerung) gezwungen und bei Weigerung mit Haft und Folter bedroht werden würde, entzogen hat und somit als politischer Gegner des syrischen Regimes angesehen werden würde.
Zudem erfüllt der Beschwerdeführer auch ein ausdrückliches Risikoprofil (Wehrpflichtverweigerer und daraus resultierende unterstellte Gesinnung) der Erwägungen des UNHCR zum Schutzbedarf von Personen, die aus Syrien fliehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Richtlinien von UNHCR Indizwirkung zu bzw. ist ihnen besondere Beachtung zu schenken (vgl. vgl. VwGH 01.02.2022, Ra 2021/19/0056, Rn. 13, VwGH 05.03.2020, Ra 2018/19/0686; VwGH 13.02.2020, Ra 2019/19/0278).
Die Ausreise des Beschwerdeführers und die dadurch bewirkte Entziehung vor seinem Militärdienst, wird vom syrischen Regime als Ausdruck einer oppositionellen Gesinnung gesehen. Der Beschwerdeführer lehnt einen Militärdienst bei der syrischen Armee klar ab.
Im Falle einer Rückkehr besteht für den Beschwerdeführer daher die Gefahr, am Grenzkontrollposten verhaftet und wegen der Ausreise und der damit einhergehenden Wehrdienstverweigerung verhaftet zu werden und zumindest mit einer Gefängnisstrafe bestraft zu werden, die mit der Anwendung von Folter verbunden wäre.
Die syrische Regierung betrachtet Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen. Die Ausreise des Beschwerdeführers und die dadurch bewirkte Entziehung von der Ableistung des Wehrdienstes wird vom syrischen Regime als Ausdruck einer oppositionellen Gesinnung gesehen.
Es besteht zudem die Gefahr, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr, trotz seines Alters von mittlerweile XXXX Jahren, und trotz seiner Sehschwäche (er ist Brillenträger) zum Militärdienst bei der syrischen Armee eingezogen wird, was er ablehnt. Dem Beschwerdeführer geht es abgesehen von seiner Sehschwäche gesundheitlich gut, es ist daher sehr wahrscheinlich, dass eine Befreiung aufgrund des gesundheitlichen Zustandes nicht erfolgen wird. Der Beschwerdeführer hat seinen Wehrdienst bis dato nicht abgeleistet und eine Einziehung zum Wehrdienst trotz Überschreitung des 42. Lebensjahres ist angesichts des willkürlichen Verhaltens der syrischen Behörden und des Bedarfs an kampfähigen Soldaten sehr wahrscheinlich.
Es kann somit nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr und Einreise nach Syrien nicht mehr dem Wehrdienst zugeführt werden würde (vgl. dazu oben II.2.1.2.2.). Beachtlich ist dabei auch die Rechtsprechung des VwGH (vgl. VwGH 19.06.2019, Ra 2018/18/0548) wonach es für die Frage eines möglichen Asylanspruchs entscheidend ist, ob einem Beschwerdeführer bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat angesichts des in den Länderfeststellungen ausgewiesenen erhöhten Rekrutierungsdrucks der syrischen Armee und der besonderen Gefährdung von einreisenden Männern im wehrfähigen Alter mit maßgebender Wahrscheinlichkeit eine Einziehung zum Wehrdienst droht; siehe zuletzt auch EuGH 19.11.2020, C-238/19, wonach im Kontext des Bürgerkriegs in Syrien eine starke Vermutung dafür spricht, dass die Weigerung, dort Militärdienst zu leisten, mit einem Grund in Zusammenhang steht, der einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründen kann.
Angesichts dessen kann dem Beschwerdeführer nicht entgegengehalten werden, dass seine Furcht vor Verfolgung nicht wohlbegründet wäre. Vielmehr würde sich eine Person in der Situation des Beschwerdeführers, der sich einer drohenden Einberufung zum Militärdienst im Jahr 2011 im Alter von XXXX Jahren durch Ausreise aus Syrien entzogen hat, auch noch nach dem vollendeten 42. Lebensjahr vor einer Rückkehr nach Syrien und der Einreise - verbunden mit einem drohenden Kontakt zu dem syrischen Regime - fürchten. Bei einer Rückkehr wird der Beschwerdeführer von der syrischen Regierung als Deserteur betrachtet. Er ist bereits vor seiner Ausreise, im Jahr 2011 mehrfach aufgefordert worden, den Militärdienst abzuleisten und er ist so bereits ins Blickfeld der syrischen Regierung gekommen. Seinen Militärdienst hat er bis heute nicht abgeleistet. Auf Grundlage der Sehschwäche des Beschwerdeführers kann, in Anbetracht des willkürlichen Vorgehens der syrischen Regierung bei der Rekrutierung (vgl. II.1.2.4.) und dem guten Gesundheitszustand des Beschwerdeführers, nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer nicht zum Militärdienst einberufen wird. Angesichts seiner Ausreise aus Syrien und der damit verbundenen endgültigen Verweigerung des Wehrdienstes droht dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr als politisch oppositionelle Person verfolgt zu werden. Auch auf Grund seiner Weigerung bei einer Rückkehr einer Einberufung Folge zu leisten, droht dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr als politisch oppositionelle Person verfolgt zu werden.
Aus dem aktuellen Länderinformationsblatt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl geht hervor, dass Wehrdienstverweigerung in Kriegszeiten mit Gefängnisstrafen von bis zu 5 Jahren bestraft wird. Bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichsetzen, sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab. Zudem betrachtet die syrische Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck politischen Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen. Wehrdienstverweigerung kann Konsequenzen bis hin zu Folter oder Tod haben, auch eine sofortige Einziehung ist möglich. Die Regierung wird zudem beschuldigt, völkerrechtswidrige Militäraktionen, wie etwa willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten, durchzuführen. Wenn syrische Armeeangehörige Befehle nicht befolgen, werden sie erschossen, gefoltert, geschlagen und inhaftiert (vgl. dazu genauer oben II.1.2.4.).
Die Tatsache, dass die syrische Regierung Wehrdienstverweigerung als Ausdruck politischen Dissens betrachtet (auch in Kombination mit den, den Betroffenen drohenden, völlig unverhältnismäßigen Sanktionen), kann nicht anders als dahingehend beurteilt werden, als dass sie dem Betroffenen wegen seiner Wehrdienstverweigerung eine oppositionelle Gesinnung (zumindest) unterstellt.
Bei einer Rückkehr nach Syrien läuft der Beschwerdeführer somit Gefahr, Gewalthandlungen, erheblichen Eingriffen in seine Unversehrtheit und/ oder gravierenden Bedrohungen durch das syrische Regime ausgesetzt zu sein.
Es ist somit glaubhaft, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner (zumindest unterstellten) politischen Gesinnung Verfolgung iSd Art. A Abschnitt A Z 2 GFK droht.
3.1.2.2. Zur Aktualität der Verfolgung
Die Befürchtungen des Beschwerdeführers stellen sich schon aufgrund der, dieser Entscheidung zugrundeliegenden, aktuellen Länderinformationen vom 10.08.2022 als aktuell dar.
Das BFA brachte im Verfahren zwar vor, der Beschwerdeführer habe Syrien bereits 2010 also rund ein Jahr vor Beginn des Bürgerkriegs verlassen und seinen Antrag auf internationalen Schutz erst elf Jahre später gestellt. Es fehle klar am zeitlichen Zusammenhang zwischen fluchtauslösendem Ereignis und Antragstellung (vgl. Seite 7 der Einvernahme vom 22.09.2021 AS 155, sowie Seite 2 f. der Stellungnahme vom 13.12.2021 in OZ/1). Dem ist entgegen zu halten, dass die wohlbegründete Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung zum aktuellen Zeitpunkt zu bewerten ist (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233). Es müssen dafür nicht bereits Verfolgungshandlungen im Heimatland stattgefunden haben. Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr – Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung – bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (VwGH 18.04.1996, 95/20/0239; 16.02.2000, 99/01/0097), sondern erfordert eine Prognose.
Auch kürzlich stellte der VwGH fest, dass sich das BVwG mit der zum Entscheidungszeitpunkt herrschenden Einberufungssituation in Syrien auseinandersetzen muss. Dies im Hinblick auf das - mit den oben auszugsweise wiedergegebenen Länderfeststellungen übereinstimmende - Vorbringen, wonach der Bedarf an Kämpfern in Syrien hoch ist, das Regime wehrdienstfähige Männer verstärkt bei Sicherheitskontrollen und Checkpoints einzieht und es frühere Befreiungstatbestände nicht mehr zu berücksichtigen scheint (vgl. VwGH 03.05.2022, Ra 2021/18/0250-8).
Fallgegenständlich war somit zu bewerten, ob dem Beschwerdeführer aktuell bei einer Rückkehr Gefahr droht. Dass er seinen Asylantrag erst elf Jahre nach seiner Ausreise aus dem Heimatland gestellt hat tut dabei nichts zu Sache. Hierbei ist zu beachten, dass der Beschwerdeführer Syrien letztendlich im Jahr 2011 bereits aufgrund des drohenden Militärdienstes verließ, und er auch aufgrund dieser Bedrohung seither nicht nach Syrien zurückgekehrt ist.
3.1.2.3. Zur mangelnden Schutzfähigkeit des Staates
Eine Inanspruchnahme des Schutzes durch den syrischen Staat ist für den Beschwerdeführer schon deswegen auszuschließen, weil die Verfolgung gerade von diesem (dem syrischen Regime) ausgeht. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen kann, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa bei Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwangs zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. VwGH 21.2.2017, Ra 2016/18/0203, mwN).
3.1.2.4. Zum Nichtbestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative
Bei der vorliegenden Konstellation kann im gegenständlichen Fall auch nicht mit der erforderlichen maßgeblichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass der Beschwerdeführer über die Möglichkeit verfügen würde, sich in Syrien in einer anderen Region niederzulassen. Eine abschließende Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative kann jedoch insbesondere auch vor dem Hintergrund entfallen, dass die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehen würde, weil § 11 AsylG 2005 die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).
Schon die rechtskräftige Gewährung von subsidiärem Schutz durch die belangte Behörde steht mangels einer diesbezüglichen relevanten Änderung der Rechts- oder Tatsachenlage somit einer Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative entgegen (VwGH 23.11.2016, Ra 2016/18/0054).
Da die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Hinblick auf das ihr u.a. innewohnende Zumutbarkeitskalkül die sichere und legale Erreichbarkeit des ins Auge gefassten Gebietes erfordert (VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063) und eine sichere und legale Rückkehr des Beschwerdeführers nach Syrien nur über den Flughafen von Damaskus oder Grenzübergänge, die in der Hand des Regimes bzw. der kurdischen Kräfte liegen, möglich wäre, kommt eine innerstaatliche Fluchtalternative auch aus diesem Grund nicht in Betracht.
Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht für den Beschwerdeführer somit nicht, da nicht angenommen werden kann, dass er in bestimmten Landesteilen Syriens sicher wäre. Er könnte über Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints in ganz Syrien, vor allem bei einer Einreise, durch das syrische Regime verhaftet und dem Dienst in der syrischen Armee zugeführt oder für seine Wehrpflichtverweigerung festgenommen und bestraft werden.
3.1.3. Ergebnis
Im Beschwerdefall ist es somit insgesamt glaubhaft, dass dem Beschwerdeführer aktuell in Syrien Verfolgung im Sinne der GFK droht (§ 3 Abs. 1 AsylG 2005). Im Verfahren hat sich gezeigt, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht, aufgrund unterstellter oppositioneller Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen, da die Bedrohung vom Staat selbst ausgeht (Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK) bzw. ihn der Staat nicht schützen kann. Bei einer Rückkehr nach Syrien läuft der Beschwerdeführer Gefahr, Gewalthandlungen, erheblichen Eingriffen in seine Unversehrtheit und/oder gravierenden Bedrohungen durch das syrische Regime ausgesetzt zu sein.
Angesichts dieses Ergebnisses kann dahin gestellt bleiben, ob dem BF auch Verfolgung aus anderen in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention festgelegten Gründen droht.
Ein Abweisungsgrund gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 liegt im konkreten Fall nicht vor, da dem Beschwerdeführer – wie gezeigt – keine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht und dieser keinen Asylausschlussgrund gesetzt hat.
Der Beschwerde war daher stattzugeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.
3.2. Zu A) II. Feststellung der Flüchtlingseigenschaft:
Diese Entscheidung war gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz nach dem 15.11.2015 gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 24/2016 („Asyl auf Zeit“) gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall bereits Anwendung finden.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 kommt einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung zu. Diese Aufenthaltsberechtigung verlängert sich kraft Gesetzes nach Ablauf dieser Zeit auf eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Aberkennungsverfahrens nicht vorliegen oder ein Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Dementsprechend verfügt der Beschwerdeführer nun über eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung.
3.3. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
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