BVwG W220 1412007-2

BVwGW220 1412007-219.3.2019

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §74
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §17

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W220.1412007.2.00

 

Spruch:

W220 1412007-2/6E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Daniela UNTERER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, vertreten durch Dr. XXXX , XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.02.2017, Zl. 800132106-150993827, zu Recht:

 

A)

 

I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

II. Das Kostenbegehren des Beschwerdeführers wird gemäß § 17 VwGVG iVm. § 74 AVG als unzulässig zurückgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1.1. Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, reiste unrechtmäßig und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellte am 13.02.2010 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Der Beschwerdeführer wurde am 19.02.2010 vor dem Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen.

 

1.2. Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 22.02.2010, Zl. 10 01.321-BAT, den Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 AsylG ab und wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG nach Indien aus.

 

1.3. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 22.03.2010, Zl. C11 412.007-1, als unbegründet ab.

 

2.1. Am 03.08.2015 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen" gem. § 56 Abs. 1 AsylG.

 

2.2. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 10.12.2015 informierte die belangte Behörde den Beschwerdeführer darüber, dass er einen Antrag gem. § 56 Abs. 1 AsylG gestellt habe und er nach dem derzeitigen Ermittlungsstand die Voraussetzungen nicht erfülle.

 

2.3. Am 29.12.2015 langte eine Stellungnahme samt Urkundenvorlage ein.

 

2.4. Mit Verfahrensanordnung vom 11.01.2016 wurde der Beschwerdeführer über die Notwendigkeit der Vorlage von Urkunden gem. § 8 Abs. 1 AsylG-DV in Kenntnis gesetzt.

 

Am 27.01.2016 legte der Beschwerdeführer seine Geburtsurkunde im Original vor.

 

Im Weiteren brachte er ein u.a. Schreiben der indischen Botschaft in Wien vom 25.02.2016 bei, wonach er am 25.02.2016 die Botschaft in Zusammenhang mit Konsulatstätigkeiten (Reisepass Anfrage) besucht habe.

 

2.5. Am 26.08.2016 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag gem. § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV.

 

3.1. Mit Schriftsatz vom 07.12.2016, eingelangt am 13.12.2016, zog der Beschwerdeführer den Antrag gem. § 56 Abs. 1 AsylG zurück und stellte unter einem den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 55 Abs. 1 Z 1 und 2 AsylG.

 

3.2. Der Beschwerdeführer wurde am 14.12.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.

 

3.3. Mit Bescheid des BFA vom 25.02.2017, Zl. 800132106-150993827, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 55 Abs. 1 AsylG gem. § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG als unzulässig zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Gem. § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 3 FPG erlassen und gem. § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Indien zulässig ist (Spruchpunkt II.). Gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III.). Der Antrag auf Heilung eines Mangels nach § 8 Abs. 1 Z 1 und 2 AsylG-DV wurde gem. § 4 Abs. 1 Z 2 und 3 leg.cit. abgewiesen (Spruchpunkt IV.).

 

Zur allgemeinen Lage in Indien traf das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nachstehende Feststellungen:

 

"1. Politische Lage

 

Indien ist mit über 1,2 Milliarden Menschen der bevölkerungsreichste demokratische Staat der Welt (CIA Factbook 28.10.2015; vgl. AA 24.4.2015). Mit seinen vielen Sprachen ist Indien besonders vielfältig, was sich auch in seinem föderalen politischen System reflektiert, in welchem die Macht von der Zentralregierung und den Bundesstaaten geteilt wird (BBC 28.10.2015). Indien hat seit dem 2.6.2014 29 Bundesstaaten und sieben Unionsstaaten (CIA Factbook 28.10.2015; vgl. AA 10 .2015a). Es ist laut Verfassung eine säkulare, demokratische und föderale Republik. Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus. Die Zentralregierung hat deutlich größere Kompetenzen als die Regierungen der Bundesstaaten und kann im Fall interner Probleme einen Bundesstaat für einen begrenzten Zeitraum unter direkte zentralstaatliche Verwaltung stellen (AA 10 .2015a).

 

Indien hat nach der Unabhängigkeit von Großbritannien (1947) den Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative durchgesetzt. Die Entscheidungen der staatlichen Verwaltung (Bürokratie, Militär, Polizei) unterliegen überdies der Kontrolle durch die freie Presse des Landes, die nicht nur in den landesweiten Amtssprachen Hindi und Englisch, sondern auch in vielen der Regionalsprachen publiziert wird. Indien hat zudem eine lebendige Zivilgesellschaft, die mit vielfältigen Initiativen an der Gestaltung der Politik mitwirkt (AA 10 .2015a). Seit Juli 2012 ist Präsident Pranab Kumar Mukherjee indisches Staatsoberhaupt (AA 10 .2015a). Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister Leiter der Regierung ist (USDOS 25.6.2015). Das Amt bringt vor allem repräsentative Aufgaben mit sich, im Krisenfall verfügt der Präsident aber über weitreichende Befugnisse (AA 10 .2015a). Das wichtigste Amt innerhalb der Exekutive bekleidet aber der Premierminister, der seit 26.5.2014 Narendra Modi heißt (GIZ 11.2015).

 

Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 25.6.2015). Die Legislative besteht aus einer Volkskammer (Lok Sabha) und einer Staatenkammer (Rajya Sabha). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Bundesstaatsebene. Das oberste Gericht in New Delhi steht an der Spitze der Judikative (GIZ 11.2015; vgl. AA 24.4.2015).

 

Die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung entspricht britischem Muster. In Indien gibt es eine verfassungsmäßig garantierte, unabhängige Gerichtsbarkeit mit dreistufigem Instanzenzug (AA 24.4.2015).

 

In den letzten Jahrzehnten erlebte Indien einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung, der zur Bildung einer neuen Mittelschicht führte. Doch das uralte Kastensystem Indiens, eine marode Infrastruktur auf dem Land, die starke Umweltverschmutzung und religiöse Konflikte zwischen Hindus und Muslimen stellen das Land weiterhin vor große Probleme (FAZ 16.5.2014). Die seit 2014 im Amt befindliche neue Regierung will nicht nur den marktwirtschaftlichen Kurs fortsetzen, sondern ihn noch intensivieren, indem bürokratische Hemmnisse beseitigt und der Protektionismus verringert werden soll. Ausländische Investoren sollen verstärkt aktiv werden (GIZ 8.2015).

 

Wahlen 2014:

 

Die letzten landesweiten Wahlen fanden im April/Mai 2014 statt (AA 24.4.2015). Am 7.4.2014 begann die Wahl zur 16. Lok Sabha, dem indischen Unterhaus (GIZ 11.2015). 814 Millionen Wählerinnen und Wähler waren aufgerufen, an mehr als 930.000 Wahlurnen und 1,5 Millionen elektronischen Wahlmaschinen ihre Stimmen abzugeben (Eurasisches Magazin 24.5.2014), darunter etwa 120 Millionen Erstwähler (GIZ 11.2015).

 

Bei der Wahl standen sich drei große Parteienbündnisse gegenüber:

Die United Progressive Alliance (UPA) unter Führung der Kongresspartei, die National Democratic Alliance (NDA) unter Führung der BJP und die so genannte Dritte Front, die aus elf Regional- und Linksparteien besteht. Mit besonderem Interesse wurde das Abschneiden der aus einem Teil der India-Against-Corruption-Bewegung hervorgegangenen Aam Aadmi Party (AAP) begleitet. Der AAP gelang es 2013 bei der Wahl in Delhi 28 von 70 Sitzen zu erringen. Das Ergebnis 2014: Landesweit errang die AAP nur vier Sitze (GIZ 11.2015; vgl. FAZ 16.5.2014).

 

Seit dem 16.5.2014 steht der Wahlsieger offiziell fest: Narendra Modi von der Oppositionspartei Bharatiya Janata Party (BJP), die sich mit 282 von 543 Mandaten eine absolute Mehrheit sichern konnte. Hohe Verluste hingegen für die seit 2004 regierende Kongress-geführte Koalition unter Manmohan Singh. Sonia Gandhi und Sohn Rahul rücken nun auf die Oppositionsbank (Eurasisches Magazin 24.5.2014; vgl. FAZ 16.5.2014, GIZ 11.2015). Neuer Regierungschef ist der bisherige Chief Minister des Bundesstaates Gujarat, Narendra Modi. Damit erhält auch die Angst vor einem Aufflammen des Kommunalismus neue Nahrung (GIZ 11.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2. Sicherheitslage

 

Indien ist reich an Spannungen entlang von Ethnien, Religionen, Kasten und auch Lebensperspektiven. Widersprüche, Gegensätze oder Konflikte entladen sich in den gesellschaftlichen Arenen und werden von der Politik aufgegriffen, verarbeitet und teilweise instrumentalisiert (GIZ 11.2015). Blutige Terroranschläge haben in den vergangenen Jahren in Indiens Millionen-Metropolen wiederholt Todesopfer gefordert (Eurasisches Magazin 24.5.2014). Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (GIZ 11.2015). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt (AA 24.4.2015).

 

Indien ist mit einer Reihe von Sicherheitsproblemen konfrontiert. Es gibt landesweit mehrere linksorientierte bewaffnete Gruppen (Maoisten). Nach einem Anstieg der Aktivitäten von aufständischen Gruppen in den Jahren 2003 bis 2010 nahmen diese Aktivitäten aufgrund von internen Machtkämpfen, einer eingeschränkten Unterstützung in den Stammesgemeinden und von effektiven Operationen gegen deren Führerschaft durch die Sicherheitskräfte ab. Im Jahr 2013 haben etwa 76 der mehr als 600 Bezirke Indiens irgendeine Art maoistischer Gewalt erfahren. Aufständische Gruppen aus Pakistan haben ihre Fähigkeit gezeigt, Angriffe (über das von Indien administrierte Kaschmir,) im Zentrum von Indien, durchzuführen. Erwähnenswert sind die Angriffe im Dezember 2001 auf das indische Parlament und die Angriffe in Mumbai im Juli 2006 und November 2008. Pakistanische Gruppen dürften bei den Angriffen im Jahr 2006 indischen Terrorzellen Unterstützung geboten haben. Die Angriffe im Jahr 2008 waren aus Pakistan geplant, unterstützt und geführt. Einheimische Rebellengruppen - sowohl hinduistische als auch islamistische - waren in eine Serie terroristischer Angriffe auf indische Schlüsselstädte verwickelt. Die Sicherheitslage in den Gegenden Kaschmir, Nordosten und speziell in Assam ist labil und es kommt immer wieder zu Aufständen. Ein weiteres Sicherheitsproblem ist die kommunale Gewalt zwischen der hinduistischen Mehrheit und der muslimischen Minderheit. Darüber hinaus ist das organisierte Verbrechen in den Hauptstädten ein Problem, allerdings nicht für ausländische Firmen. Es gibt Entführungen mit Lösegeldforderungen, aber diese sind auf die lokale Bevölkerung begrenzt. Die schlechte Straßensicherheit im Land ist ein signifikantes Problem. Die größte unmittelbare externe Sicherheitsbedrohung ist Pakistan, speziell in Bezug auf den langjährigen Kaschmirdisput (IHS- Jane's Sentinel Security 1.7.2014).

 

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor, insbesondere sobald die innere Sicherheit als gefährdet angesehen wird. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, ist die Regierung in der Regel zu Verhandlungen über ihre Forderungen bereit. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 24.4.2015). Trotz zahlreicher und zum Teil dramatischer Erfolge durch Indiens Sicherheits- und Geheimdienstbehörden, die immer wieder unter starken Ressourcenproblem zu leiden haben, ist es in der Realität so, dass der Sicherheitsapparat weiterhin leicht angreifbar ist (South Asia Terrorism Portal 30.10.2015).

 

Pakistan und Indien

 

Die Beziehungen zum gleichfalls nuklear gerüsteten Nachbarn Pakistan bleiben kompliziert. Phasen des Dialogs und Spannungen bis hin zur kriegerischen Auseinandersetzung haben einander in den Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit abgelöst (AA 10 .2015c). Größtes Hindernis für eine Verbesserung der Beziehungen ist weiterhin das Kaschmirproblem (AA 10 .2015c). Seit 1947 gab es bereits drei Kriege, davon zwei aufgrund des umstrittenen Kaschmirgebiets. Friedensgespräche, die 2004 begannen, wurden trotz Spannungen wegen der Kaschmirregion und sich immer wieder ereignenden schweren Bombenaschlägen bis zu den von Islamisten durchgeführten Anschlägen in Mumbai 2008, fortgesetzt (BBC 28.10.2015). Indien wirft Pakistan vor, Infiltrationen von Terroristen auf indisches Staatsgebiet zumindest zu dulden, wenn nicht zu befördern (AA 10 .2015c).

 

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2011 1.073 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt, für das Jahr 2012 803, für das Jahr 2013 885, für das Jahr 2014 976 und für das Jahr 2015 (bis 25.10.2015) 608 [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (South Asia Terrorism Portal 30.10.2015).

 

2013 kam es zu weiteren schweren Zwischenfällen an der "Line of Control". Bei einem Treffen in New York Ende September 2013 vereinbarten die Premierminister Singh und Sharif lediglich, den Waffenstillstand künftig besser einhalten zu wollen (GIZ 11.2015). Auch in jüngster Zeit gab es immer wieder Schusswechsel zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Grenzlinie zwischen beiden Teilen Kaschmirs und nach indischen Angaben auch vereitelte Eindringungsversuche von extremistischen Kämpfern auf indisches Territorium (AA 10 .2015c).

 

Bei den beiderseitigen Versuchen, das bilaterale Verhältnis dauerhaft auf eine gemeinsame politische Grundlage zu stellen, konnte noch kein Durchbruch erzielt werden (AA 10 .2015c). Bei seiner Amtseinführung lud Modi alle benachbarten Staatsoberhäupter - einschließlich Pakistans - ein, um sein Engagement, engere Beziehungen in der Region aufzubauen, anzuzeigen (HRW 29.1.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2.1. Jammu und Kaschmir

 

Erhebliches Unruhepotential besteht weiterhin im Bundesstaat Jammu & Kaschmir, wo Angriffe eindringender Militanter, der ungeklärte Konflikt zwischen Indien und Pakistan um die Region, die Unzufriedenheit der mehrheitlich muslimischen kaschmirischen Bevölkerung und teils drakonische Sonderrechte indischer Sicherheitskräfte ein Klima des Misstrauens und der Angst schaffen (AA 10 .2015c).

 

Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs zu Indien nicht zur Disposition steht (AA 10 .2015c).

 

Es gab einige hochrangige Angriffe auf Sicherheitskräfte und einige Mitglieder der Dorfräte wurden getötet. In den letzten Jahren hat sich der nun schon zwei Jahrzehnte lang dauernde Aufstand gegen die indische Herrschaft in Kaschmir, unterstützt von Pakistan, abgeschwächt. Es scheint als ob die Aufständischen sich neu ordnen und versuchen die Militanz wiederzubeleben. In der letzten Dekade haben Delhi und Islamabad an vertrauensbildenden Maßnahmen gearbeitet, indem sie Visarestriktionen gelockert haben und den Handel, sowie einen kleinen Grenzverkehr erlaubt haben. Auch ein wöchentlicher Busservice zwischen Poonch und der pakistanischen Stadt Rawalakot wurde eingeführt (BBC 23.9.2013).

 

Militante Gruppen in Jammu und Kaschmir kämpfen weiterhin gegen Sicherheitskräfte, kaschmirische Einrichtungen und lokale Politiker, die sie für "Statthalter" und "Kollaborateure" der indischen Zentralregierung halten. Überläufer zur Regierungsseite und deren Familien werden besonders grausam "bestraft". Die Zahl der terroristischen Vorfälle ist jedoch tendenziell weiter rückläufig (AA 24.4.2015).

 

Es gibt Berichte vom Verschwindenlassen durch Sicherheitskräfte in Kaschmir, viele der Hinterbliebenen Frauen halten Kampagnen im Rahmen der APDP (Association of the Parents of Disappeared Persons) ab (BBC 11.12.2013).

 

Aufkeimende Hoffnungen im bilateralen Verhältnis werden immer wieder von Rückschlägen zunichte gemacht. Im August 2014 vorgesehene bilaterale Gespräche auf Staatssekretärsebene wurden von Indien abgesagt, nachdem der pakistanische Botschafter in Delhi kaschmirische Separatisten traf. Am Rande des SCO-Gipfels am 10.7.2015 in Ufa vereinbarten PM Modi und sein pakistanischer Amtskollege Sharif u.a., eine Gesprächsrunde zum Thema Terrorismus auf Ebene der Nationalen Sicherheitsberater abzuhalten. Die für den 24.8.2015 in Delhi vorgesehenen Gespräche waren zwar beiderseits bestätigt, sind aber wegen unterschiedlicher Auffassung über die Gesprächsagenda und ein geplantes Treffen des pakistanischen Sicherheitsberaters mit kaschmirischen Separatisten zwei Tage zuvor von Pakistan abgesagt worden (AA 10 .2015c). Pakistanische Streitkräfte haben das Waffenstillstandsabkommen allein im August 2014 16mal verletzt. Berichten zufolge waren Aufständische jedoch nicht in der Lage, die internationale Grenze zu überschreiten (FH 28.1.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

2.2. Naxaliten

 

Bihar ist, unter mehreren Bundesstaaten in Zentral- und Ostindien, eine Hochburg für Rebellen. Der maoistische Aufstand, der im östlichen Bundestaat Westbengal in den späten 1960ern begann, hat sich in mehr als einem Drittel der mehr als 600 Bezirke Indiens ausgeweitet (BBC 3.12.2013).

 

Gewalttätige, sogenannte sozialrevolutionär-maoistische Gruppen ("Naxaliten") stellen derzeit die größte innenpolitische Herausforderung für die indische Regierung dar. Sie operieren in weiten Teilen des östlichen Kernindiens, vor allem im ländlichen Raum. In Chhattisgarh, Jharkhand, Bihar, Madhya Pradesh, Westbengalen, Odisha und Andhra Pradesh ist es den Naxaliten in zahlreichen Distrikten gelungen, eigene Herrschaftsstrukturen zu errichten. Die Naxaliten verfolgen eine Doppelstrategie: Auf der einen Seite stehen soziales Engagement, Arbeitsbeschaffung und die Verteidigung der Armen und Schwachen, auf der anderen Seite brutale Gewalt, Guerillaaktionen, Einschüchterung und Erpressung gegen echte und vermeintliche, auch zivile Gegner. Mordkommandos vor allem gegen Polizeieinheiten sind nicht selten (AA 24.4.2015).

 

In den letzten Jahren haben große Militär- und Polizeioffensiven die Rebellen zurück in ihre Hochburgen gedrängt. Dennoch kommt es häufig zu Angriffen, bei denen jährlich hunderte Menschen getötet werden (BBC 3.12.2013). Im Allgemeinen sind die Überfälle der Naxaliten von

1.415 im Jahr 2012 auf 1.129 in Jahr 2013 und die Tötungen von 415 auf 394 im gleichen Zeitraum gesunken; von den 394 landesweit registrierten Toten, waren 115 Sicherheitskräfte und 279 Zivilisten. Unter den betroffenen Bundesstaaten gab es in Jharkhand im Jahr 2013 mit 383 Vorfällen und 150 Toten die häufigsten Anschläge, eine geringere Zahl im Vergleich zu 2012. Der Bundesstatt Chhattisgarh war mit insgesamt 353 Vorfällen und 110 Tötungen im Jahr 2013 am zweit häufigsten von terroristischen Aktivitäten betroffen. Bihar, welches seit Kurzem der Zentralregierung aufgrund der Anti-Naxaliten Haltung Grund zur Sorge bereitet, war der einzige Bundesstaat, in dem die Extremismusaktivitäten zunahmen. In Bezug auf die anderen Bundesstaaten (Odisha, Maharashtra, Andhra Pradesh) die von Anschlägen linksgerichteter Extremisten betroffen waren, gab es im Jahr 2013 insgesamt weniger Vorfälle als im Vergleich zum Vorjahr (ToI 27.1.2014).

 

Auch der Bundesstaat Chhattisgarh ist vom bewaffneten Konflikt zwischen den Maoisten und den Sicherheitskräften gekennzeichnet. Um die Guerillabewegung einzudämmen, hat die Regierung beachtliche paramilitärische Kräfte eingesetzt (AHRC 11.1.2014).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

3. Rechtsschutz/Justizwesen

 

In Indien gibt es eine verfassungsmäßig garantierte, unabhängige Gerichtsbarkeit mit dreistufigem Instanzenzug (AA 24.4.2015). Das Gesetz garantiert ein unabhängiges Gerichtswesen, aber Korruption war im Gerichtswesen weit verbreitet (USDOS 25.6.2015).

 

Die Gerichte führen Strafprozesse in richterlicher Unabhängigkeit. Eine generell diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption. Der frühere Chief Justice Katju hatte mit einer Äußerung im Herbst 2014 eine öffentlich ausgetragene Kontroverse ausgelöst, als er Korruption unter den Richtern öffentlich machte und außerdem in einem Fall staatliche Einflussnahme auf eine Richterbenennung offenlegte (AA 24.4.2015).

 

Das Gerichtswesen war auch weiterhin überlastet und der Rückstau bei Gericht führte zu langen Verzögerungen oder der Vorenthaltung von Rechtsprechung (USDOS 25.6.2015). Im August 2013 gab der Justizminister bekannt, dass im Supreme Court drei und in den hohen Gerichten 275 Positionen zu besetzen seien. Alarmierend war auch die Zahl der offenen Position in den untergeordneten Richterschaften, mit mehr als 3.700 Positionen, die zu besetzen waren. Der Justizminister führte langwierige Verspätungen in den Gerichten auf die offenen Stellen zurück (USDOS 27.2.2014). Eine Analyse des Justizministeriums ergab mit 1.8.2014 eine Vakanz von 34% der Richter an den Obergerichten (USDOS 25.6.2015).

 

Sehr problematisch ist die sehr lange Verfahrensdauer. Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahren. Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft. Dies führt dazu, dass Zeugen vor Gericht häufig nicht frei aussagen, da sie bestochen oder bedroht worden sind (AA 24.4.2015).

 

Das Gerichtswesen ist von der Exekutive getrennt. Richter zeigten einen beträchtlichen Einsatz in der Bearbeitung von "Public Interest Litigation" (Klagen im öffentlichen Interesse). Jedoch eröffneten in den letzten Jahren auch Richter Verfahren wegen ungebührlichem Verhalten vor Gericht gegen Aktivisten und Journalisten, die gegen Korruption in der Richterschaft vorgingen oder Urteile anzweifelten. In den unteren Ebenen des Gerichtswesens ist Berichten zufolge Korruption weit verbreitet. Viele Bürger haben Schwierigkeiten, Recht durch die Gerichte durchzusetzen (FH 28.1.2015). Das System hat einen starken Arbeitsrückstand und ist unterbesetzt. Dies führt häufig zu einer überlangen Untersuchungshaft für viele Verdächtige, die oft länger dauert als der eigentliche Strafrahmen wäre (FH 28.1.2015; vgl. FH 19.5.2014). Die Errichtung von verschiedenen Fast-Track-Gerichten zwecks Abarbeitung anhängiger Gerichtsfälle führte dazu, dass das Recht auf ein faires Verfahren in einigen Fällen nicht eingehalten wird (FH 19.5.2014).

 

In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, Art. 21) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 24.4.2015). Die Untersuchungshaft dauert sehr lang. Außer bei von Todstrafe bedrohten Delikten soll der Haftrichter nach Ablauf der Hälfte der drohenden Höchststrafe eine Haftprüfung anordnen und eine Freilassung auf Kaution anordnen Allerdings nimmt der Betroffene mit einem solchen Antrag in Kauf, dass der Fall über lange Zeit gar nicht weiterverfolgt wird. Mittlerweile sind ca. 70% aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge, viele wegen geringfügiger Taten, denen die Mittel für eine Kautionsstellung fehlen (AA 24.4.2015).

 

Das Strafgesetz sieht öffentliche Verhandlungen vor, außer in Verfahren, in denen die Aussagen Staatsgeheimnisse oder die Staatssicherheit betreffen können. Es gibt kostenfreie Rechtsberatung für bedürftige Angeklagte, aber in der Praxis ist der Zugang zu kompetenter Beratung oft begrenzt. Alle gegen einen Angeklagten vorgebrachten Beweise müssen diesem zugänglich sein und Verurteilungen veröffentlicht werden (USDOS 25.6.2015). Das Gesetz erlaubt den Angeklagten in den meisten Zivil- und Kriminalfällen den Zugang zu relevanten Regierungsbeweisen, aber die Regierung behält sich das Recht vor, Informationen zurückzuhalten und tut dies auch in Fällen, die sie für heikel erachtet. Die Angeklagten haben das Recht Zeugen zu befragen, unterprivilegierte Angeklagte genießen aufgrund des Mangels von ordentlicher Rechtsvertretung manchmal dieses Recht nicht. Das Gericht ist verpflichtet Urteile öffentlich zu verkünden und es gibt effektive Wege der Berufung auf beinahe allen Ebenen der Justiz (USDOS 25.6.2015).

 

Im ländlichen Indien gibt es auch informelle Ratssitzungen, deren Entscheidungen manchmal zu Gewalt gegen Personen führt, die soziale Regeln brechen - besonders Frauen und Angehörige unterer Kasten (FH 28.1.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

4. Sicherheitsbehörden

 

Die Polizei handelt aufgrund von Polizeigesetzen der einzelnen Bundesstaaten (AA 24.4.2015). Die indische Polizei (Indian Police Service) ist keine direkte Strafverfolgungs- oder Vollzugsbehörde. Sie fungiert vielmehr als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten. Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert. Die einzelnen Einheiten sind zwar dezentral organisiert, haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreichen nationalen Strafrechten und der oben beschrieben zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus (BICC 6.2015). Daneben bestehen zum Großteil dem Innenministerium unterstehende paramilitärische Einheiten (AA 24.4.2015).

 

Das indische Militär ist der zivilen Verwaltung unterstellt und hat in der Vergangenheit wenig Interesse an einer politischen Rolle gezeigt. Der Oberbefehl obliegt dem Präsidenten. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Armee zwar die "Beschützerin der Nation", aber nur im militärischen Sinne (BICC 6.2015). Auch das Militär kann im Inland tätig werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit notwendig ist (AA 24.4.2015; vgl. BICC 6.2015), wie etwa beim Kampf gegen bewaffnete Aufständische, der Unterstützung der Polizei und der paramilitärischen Einheiten sowie dem Einsatz bei Naturkatastrophen (BICC 6.2015).

 

Ein Mangel an Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Polizei entsteht neben den strukturellen Defiziten auch durch häufige Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie Folter und außergerichtliche Tötungen und Drohungen, die mutmaßlich durch die Polizei verübt wurden (BICC 6.2015; vgl. USDOS 25.6.2015; vgl. HRW 29.1.2015). Der Polizei werden schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen, wie außergerichtliche Tötungen, Folter und Vergewaltigungen (USDOS 25.6.2015). Die Polizei bleibt weiterhin überlastet, unterbezahlt und politischem Druck ausgesetzt. Politische Forderungen, Täter möglichst schnell nach Terrorangriffen und Vergewaltigungen zu ermitteln, führt oft zu widerrechtlichen Verhaftungen (USDOS 25.6.2015).

 

Die Grenzspezialkräfte ("Special Frontier Force)" unterstehen dem Büro des Premierministers. Die sog. Grenzspezialkräfte sind eine Eliteeinheit, die an sensiblen Abschnitten der Grenze zu China eingesetzt werden. Auch für das Handeln der Geheimdienste, das sog. Aufklärungsbüro ("Intelligence Bureau" - Inlandsgeheimdienst) und den Forschungs- und Analyseflügel ("Research and Analysis Wing" - Auslandsgeheimdienst), bestehen gesetzliche Grundlagen. Für den Einsatz von Streitkräften - vor allem von Landstreitkräften - in Unruhegebieten und gegen Terroristen wird als Rechtsgrundlage der "Armed Forces Special Powers Act" (AFSPA) herangezogen. Der AFSPA gibt den Streitkräften weitgehende Befugnisse zum Gebrauch tödlicher Gewalt, zu Festnahmen ohne Haftbefehl und Durchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl. Bei ihren Aktionen genießen die Handelnden der Streitkräfte weitgehend Immunität vor Strafverfolgung. Der AFSPA kommt zur Anwendung, nachdem Regierungen der Bundesstaaten ihre Bundesstaaten oder nur Teile davon auf der Basis des "Disturbed Areas Act" zu "Unruhegebieten" erklären. Als Unruhegebiete gelten zurzeit der Bundesstaat Jammu und Kaschmir und die nordöstlichen Bundesstaaten Arunachal Pradesh, Assam, Meghalaya, Manipur, Mizoram, Nagaland und Tripura (AA 24.4.2015 vgl. USDOS 25.6.2015).

 

Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011

 

Mumbai, September 2011 New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 Chennai und Dezember 2014 Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt. Der "Unlawful Activities (Prevention) Act" (UAPA) wurde verschärft. Die Änderungen beinhalten u.a. eine erweiterte Terrorismusdefinition und in Fällen mit Bezug zu Terrorismus die Möglichkeit zur Ausweitung der Untersuchungshaft ohne Anklage von 90 auf 180 Tage und erleichterte Regeln für den Beweis der Täterschaft eines Angeklagten (die faktisch einer Beweislastumkehr nahekommen) (AA 24.4.2015).

 

Es gab auch weiterhin Berichte über Vergewaltigungen von Häftlingen durch die Polizei. Manche Vergewaltigungsopfer hatten Angst, aufgrund des drohenden sozialen Stigmas und möglichen Vergeltungshandlungen, sich zu melden und das Verbrechen anzuzeigen, speziell dann, wenn der Täter ein Polizist oder ein anderer Beamter war. Die Nationale Menschenrechtskommission (NHRC) hat das Mandat Vergewaltigungsfälle in denen Polizisten involviert sind zu untersuchen. Die NHRC ist gesetzlich befugt, Informationen über Mitglieder des Militärs und den paramilitärischen Streitkräften zu verlangen, jedoch hat sie kein Mandant, um Fälle zu untersuchen in denen diese Einheiten verwickelt sind (USDOS 25.6.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

5. Allgemeine Menschenrechtslage

 

Die Menschenrechtslage ist in Indien regional sehr unterschiedlich (BICC 6.2015). Wesentliche Grundrechte sind in der indischen Verfassung garantiert. Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien aber ein (AA 24.4.2015). Während die Bürger- und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in den Regionen, wo es interne Konflikte gibt, teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu. Den Sicherheitskräften, aber auch den nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen, seien es separatistische Organisationen oder regierungstreue Milizen, werden massive Menschenrechtsverletzungen angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entführungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hinrichtungen vorgeworfen. Es gibt Befürchtungen, dass die neue, drakonische Anti-Terror-Gesetzgebung die Menschenrechtslage verschlimmern wird und dass diese Gesetze gegen politische Gegner missbraucht werden. Frauen, Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten sowie niedriger Kasten werden systematisch diskriminiert. Den Sicherheitskräften wird Parteilichkeit vorgeworfen, besonders hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu Tausenden von Todesfällen führten. Die Stimmung wird durch hindunationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 6.2015).

 

Die Behörden verstoßen auch weiterhin gegen die Privatsphäre der BürgerInnen. In manchen Bundesstaaten schränkt das Gesetz die religiöse Konversion ein und es gibt Berichte von Verhaftungen, aber keine Verurteilungen nach diesem Gesetz. Manche Einschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit dauern an (USDOS 25.6.2015).

 

Im Oktober 1993 wurde die Nationale Menschenrechtskommission (NHRC) gegründet. Ihre Satzung beinhaltet den Schutz des Menschenrechtgesetzes aus dem Jahre 1993. Die Kommission verkörpert das Anliegen Indiens für den Schutz der Menschenrechte. Sie ist unabhängig und wurde durch ein Umsetzungsgesetz des Parlaments gegründet. Die NHRC hat die Befugnis eines Zivilgerichtes (NHRC o. D.). Die NHRC empfiehlt, dass das Kriminalermittlungsbüro alle Morde, in denen die angeblichen Verdächtigen während ihrer Anklage, Verhaftung, oder bei ihrem Fluchtversuch getötet wurden, untersucht. Viele Bundesstaaten sind diesem unverbindlichen Rat nicht gefolgt und führten interne Revisionen im Ermessen der Vorgesetzten durch. Die NHRC Richtlinien weisen die Bundesstaatenregierungen an, alle Fälle von Tod durch Polizeihandlung binnen 48 Stunden an die NHRC zu melden, jedoch hielten sich viele Bundesstaatenregierungen nicht an diese Richtlinien. Die NHRC wies die Bundesstaatenregierung an, den Familien von Opfern eine finanzielle Kompensation zu bieten, aber die Bundesstaatenregierungen erfüllten diese Richtlinien nicht konsequent. Die Sicherheitskräfte mussten Todesfälle während der Haft nicht an die NHRC melden (USDOS 25.6.2015).

 

Die Verfassungs- und Rechtsordnung enthalten Garantien für die grundlegenden Menschenrechte und Freiheiten. Die Umsetzung dieser Verfassungsziele ist nicht in vollem Umfang gewährleistet (AA 24.4.2015). In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z.B. das Recht auf ein faires Verfahren) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 24.4.2015).

 

23 der 29 Bundesstaaten haben Menschenrechtskommissionen, die eigenständige Untersuchungen durchführen, aber unter der Nationalen Menschenrechtskommission arbeiten. In sieben Bundesstaaten blieb die Position des Vorsitzenden nicht besetzt. Menschenrechtgruppen mutmaßten, dass die Menschenrechtskommissionen durch lokale Politik in ihrer Tätigkeit eingeschränkt waren (USDOS 25.6.2015).

 

Manche Menschenrechtsorganisationen behaupteten, dass rechtliche und institutionelle Schwächen die Arbeit der NHRC behinderten. Während die NHRC die Autorität besitzt: Untersuchungen und Beschwerden nachzugehen oder von der Bundesregierung die Veröffentlichung eines Bericht verlangen kann, hat sie weder die Verfügungsmacht um Anfragen durchzusetzen, Vorgänge für Strafverfolgungen zu initiieren, oder Interimskompensationen anzuweisen, noch ist es ihr möglich unabhängig Menschenrechtsverletzungen der Streitkräfte nachzugehen. Menschenrechtsorganisationen kritisierten die finanzielle Abhängigkeit der NHRC von der Regierung und ihren Grundsatz, Verstöße, die älter als ein Jahr sind, nicht zu untersuchen. Sie behaupteten, dass die NHRC nicht alle Verstöße registrierte, es verabsäumte Fälle gründlich zu untersuchen, Beschwerden wieder an den angeblichen Verursacher retourniere und Beschwerdeführer nicht adäquat schütze (USDOS 25.6.2015).

 

Die NHRC arbeitete gemeinsam mit verschiedenen NGOs. Auch hatten die NGOs mehrere Repräsentationen in mehreren NHRC Komitees. Menschenrechtsbeobachter in Jammu und Kaschmir war es möglich Menschenrechtsverstöße zu dokumentieren, sie wurden aber von Sicherheitskräften, der Polizei und Aufständischen in ihrer Arbeit behindert oder belästigt (USDOS 25.6.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

6. Bewegungsfreiheit

 

Das Gesetz gewährt interne/landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung; die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 25.6.2015).

 

Es gibt kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem, so dass ein Großteil der Bevölkerung keinen Ausweis besitzt. Dies begünstigt die Niederlassung in einem anderen Landesteil im Falle von Verfolgung. Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich, ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss (AA 24.4.2015).

 

Mit dem geplanten Datenverbundsystem für die zentralen Sicherheitsbehörden und die Unionsstaaten, Crime and Criminal Tracking Network System (CCTNS), soll künftig ein Informationsaustausch auf allen Ebenen gewährleistet sein. Für 2012 war eine Anbindung von 15.000 Polizeistationen und 6.000 übergeordneten Stellen vorgesehen. Die Umsetzung des ambitionierten Vorhabens liegt jedoch weit hinter dem ursprünglichen Zeitplan. Es ist davon auszugehen, dass Betroffene sich durch Flucht in einen anderen Landesteil jeglicher Art der privaten/halbstaatlichen Probleme entziehen können, da nicht davon auszugehen ist, dass über das Dorf hinaus Anwohner oder lokale Behörden Hinweise erhalten oder recherchieren können oder sich überhaupt dafür interessieren, was ein Zugezogener in der Vergangenheit gemacht haben könnte. Es fehlen jegliche zentrale Aktenführung oder Informationsaustausch. Es bedarf lediglich eines sehr einfachen, öffentlichen Namensänderungsverfahrens, um seine Identität zu verschleiern. Ob der Betreffende nach der Umsiedlung dort die Möglichkeit hat, sich ein wirtschaftliches Auskommen zu verschaffen, hängt ausschließlich von seiner Eigeninitiative ab. Vorübergehende Notlagen können durch Armenspeisungen im Tempel, insbesondere der Sikh-Tempel, die auch gegen kleinere Dienstleistungen Unterkunft gewähren, problemlos ausgeglichen werden (AA 3.3.2014).

 

Die Regierung darf die legale Ausstellung eines Passes, an einen Anwärter, von dem geglaubt wird, dass er in Aktivitäten außerhalb des Landes verwickelt ist, die "schädlich für die Souveränität und Integrität der Nation" sind, verweigern (USDOS 25.6.2015).

 

Die Regierung lockerte Einschränkungen in Bezug auf Reisen nach Arunachal Pradesh, Nagaland, Mizoram und Teilen von Jammu und Kaschmir, außer für Ausländer aus Pakistan, China und Burma. Die Bundesstaatenregierungen verlangen vor Reiseantritt von den Bürgern spezielle Genehmigungen einzuholen, um in diese Gegenden zu reisen. Die Sicherheitskräfte untersuchen Wagen und deren Inhaber bei Checkpoints im Kaschmirtal, vor öffentlichen Veranstaltungen in Neu Delhi oder nach großen terroristischen Angriffen (USDOS 25.6.2015).

 

Bürger von Jammu und Kaschmir sind auch weiterhin mit massiven Behinderungen konfrontiert, oft dauert es bis zu zwei Jahre, bis ihnen das Außenministerium einen Pass ausstellt oder erneuert. Die Regierung setzt Antragsteller - geboren in Jammu und Kaschmir -- zusätzlichen Kontrollen aus, bevor sie einen Pass erhalten (USDOS 25.6.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

7. Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge

 

Die Regierung kooperierte im Allgemeinen mit UNHCR und anderen humanitären Organisationen, in dem sie Schutz und Hilfe, für ausgewählte IDPs, Flüchtlinge, zurückkehrende Flüchtlinge, Asylwerber, staatlose Personen und andere betroffene Personen anbietet. Die Regierung erlaubte allgemein nur UNHCR die Unterstützung von Asylwerben und Flüchtlingen aus nicht benachbarten Ländern. Das Land beherbergt eine große Flüchtlingszahl, inklusive 150.000 tibetischer Flüchtlinge mit langem Aufenthalt, darunter auch den Dalai Lama (USDOS 25.6.2015).

 

Bezugnehmend auf Statistiken von IDMC (International Displacement Monitoring Centre) aus dem Jahre 2013, vertrieben regionale Konflikte mindestens 526.000 Personen, inklusive einiger tausend Hindus aus dem Kaschmir, die durch regierungsfeindliche Aufständische vertrieben wurden. Die Schätzung der genauen Zahl der Vertriebenen aufgrund von Konflikt oder Gewalt war schwierig, da keine Zentralregierungsbehörde verantwortlich für die Überwachung der Zahlen derer ist, die vertrieben worden sind. Humanitäre- und Menschenrechtsorganisationen haben eingeschränkten Zugang zu den Lagern und den betroffenen Regionen von Vertriebenen. Während die Bewohner von IDP Camps registriert wurden, hielt sich eine unbekannte Anzahl von IDPs außerhalb der Camps auf. Viele IDPs hatten unzureichenden Zugang zu Nahrung, sauberem Wasser, Unterkunft und Gesundheitsvorsorge (USDOS 25.6.2015). Schätzungen über die Anzahl der Eingeborenen, die aufgrund des Aufruhrs in Chhattisgarh vertrieben wurden, variieren. IDMC schätzte, dass 148.000 Personen von Chhattisgarh nach Andhra Pradesh migriert sind (USDOS 25.6.2015).

 

Indien ist ein wichtiges Aufenthaltsland, hat allerdings die VN-Konvention über die Anerkennung von Flüchtlingen von 1951 und das Protokoll von 1967 nicht unterzeichnet und gewährt ausländischen Flüchtlingen in der Regel keinen besonderen Status. Besondere Gesetze zum Status von Flüchtlingen gibt es nicht. Indien behandelt Flüchtlinge je nach Nationalität unterschiedlich. Es gewährt Tibetern und Tamilen aus Sri Lanka grundsätzlich Schutz (in der Regel durch indische Passersatzpapiere, Certificate of Identity, die mit einem dauernden Bleiberecht verbunden sind). Nepalesen können frei nach Indien einreisen und genießen mit Ausweispapieren nach dem Freundschaftsvertrag beider Länder von 1950 Rechte, die mit denen indischer Bürgervergleichbar sind. Nach einem 2007 aktualisierten Abkommen von 1949 mit Bhutan erhalten dessen Staatsangehörige eine Aufenthaltsberechtigung in Indien und viele Rechte, die indischen Staatsangehörigen zustehen. Als Asylberechtigte anerkannte myanmarische und afghanische Staatsangehörige erhalten ein UNHCR-Dokument, das sie als anerkannte Flüchtlinge ausweist, sowie eine indische Aufenthaltserlaubnis. Staatsangehörige anderer Nationen, die durch UNHCR als Asylberechtigte anerkannt werden, erhalten ebenfalls ein UNHCR-Dokument, das sie als Asylberechtigte ausweist, jedoch keine Aufenthaltserlaubnis. Hinduistische Afghanen mit mindestens 12-jähriger Aufenthaltsdauer in Indien wurden besonders ermutigt, die indische Staatsangehörigkeit anzunehmen. Eine größere Anzahl lebt gut integriert in der Hauptstadt. UNHCR hat keinen formalen Status in Indien. Zwar wird den UNHCR-Mitarbeitern Zugang zu

 

Flüchtlingen in den städtischen Gebieten gewährt, aber der weit wichtigere Zugang zu den staatlichen Flüchtlingslagern, außer in Tamil Nadu, wird ihnen verwehrt (AA 24.4.2015).Grundsätzlich kann jeder Flüchtling nach 12-jährigem Aufenthalt in Indien indischer Staatsangehöriger werden. Der Großteil der Tibeter lehnt dies jedoch als politisches Pro-Tibet- Statement ab, getragen von der Hoffnung, eines Tages in die Heimat zurückzukehren. Indien teilt den Flüchtlingen Siedlungsgebiete zu (große tibetische Siedlungen nicht nur in und um Dharamsala, sondern auch in Bylakuppe in Karnataka), Afghanen erhielten Land in Laxpat Nagar in Delhi. Schon aufgrund der religiösen Verwandtschaft werden diese Grundsätzlich kann jeder Flüchtling nach 12-jährigem Aufenthalt in Indien indischer Staatsangehöriger werden. Der Großteil der Tibeter lehnt dies jedoch, getragen von der Hoffnung, eines Tages in die Heimat zurückzukehren, ab. Indien teilt den Flüchtlingen Siedlungsgebiete zu, Afghanen erhielten Land in Laxpat Nagar in Delhi. Schon aufgrund der religiösen Verwandtschaft werden diese Flüchtlinge nicht nur toleriert sondern in die indische Gesellschaft integriert und dort akzeptiert. Gerade tibetische Flüchtlinge haben mit Hilfe der NROs (teils mit ausländischer Unterstützung) sowie Bemühungen der tibetischen Exilregierung und Institutionen Möglichkeiten zur Schul-/Berufsausbildung sowie Zugang zu Startkapital und sind dementsprechend wirtschaftlich aktiv (AA 24.4.2015).

 

Quellen:

 

 

 

8. Grundversorgung/Wirtschaft

 

Indiens Wirtschaft hat sich zuletzt erholt und an Dynamik gewonnen. Das Wirtschaftswachstum lag im Haushaltsjahr 2014/2015 bei 7,4%. Trotz struktureller Mängel zählt Indien damit nach wie vor zu den am stärksten expandierenden Volkswirtschaften der Welt. Im Vergleich zu anderen BRICS-Staaten kann Indien sich derzeit besser positionieren. Bei weiter wachsender Einwohnerzahl (derzeit 1,25 Mrd.) wird es bis zur Mitte des Jahrhunderts voraussichtlich nicht nur das bevölkerungsreichste Land der Erde sein, sondern auch mit seinem Bruttoinlandsprodukt nach China und USA an dritter Stelle liegen. (AA 10 .2015c).

 

Indien ist die drittgrößte Wirtschaft in Asien und ist durch eine hohe Inflation, einer schwachen Währung und einem Rückgang an ausländischen Investitionen belastet. Eine Flaute im Bergbau und Manufaktur, haben ihr restliches dazu beigetragen (BBC 31.1.2014).

 

Indien steht vor gewaltigen Herausforderungen bei der Armutsbekämpfung und in der Bildungs- und Infrastrukturentwicklung. Das durchschnittliche jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei 1100 Euro. Etwa 30 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze von 1 US-Dollar pro Kopf und Tag. Rund 70 Prozent haben weniger als 2 US-Dollar pro Tag zur Verfügung. Auf dem Human Development Index der UNDP steht Indien auf Platz 135 unter 187 erfassten Staaten. Während es weltweit die meisten Millionäre und Milliardäre beheimatet, liegt Indien bei vielen Sozialindikatoren deutlich unter den Durchschnittswerten von Subsahara-Afrika (AA 10 .2015c).

 

Das Land hat eine aufstrebende urbane Mittelschicht und hat große Fortschritte wie zum Beispiel im IT-Bereich gemach. Die große Zahl an Facharbeitskräften macht es zu einem beliebten Ziel für internationale Firmen, die versuchen ihre Arbeit auszulagern. Der Großteil der ländlichen Bevölkerung ist weiterhin arm, da deren Leben auch weiterhin durch das altertümliche Hindukastensystem beeinflusst wird, welches jeder Person einen Platz in der sozialen Hierarchie zuweist. Diskriminierungen auf Basis der Kaste sind gegenwärtig illegal und mehrere Maßnahmen wurden eingeführt um benachteiligte Gruppen zu stärken und ihnen Zugangsmöglichkeiten zu erleichtern - wie zum Beispiel Bildung und Arbeit (BBC 28.10.2015)

 

Das hohe Wachstum der Jahre bis 2011 hat die regionalen Entwicklungsunterschiede auf dem Subkontinent und das zunehmende Einkommensgefälle zwischen der expandierenden städtischen Mittelschicht und der überwiegend armen Bevölkerung auf dem Lande, wo noch knapp 70% aller Inder leben, schärfer hervortreten lassen. Die erhofften Beschäftigungseffekte des Wachstums sind bislang ausgeblieben. Premierminister Modi (BJP) errang seinen erdrutschartigen Wahlsieg 2014 mit dem Versprechen von mehr Wachstum, besseren Entwicklungschancen für die breite Masse der Bevölkerung und weniger Korruption. Die Erwartungshaltung war und ist entsprechend groß. Nach knapp einem Jahr Regierungszeit zeigen sich erste positive Tendenzen bei der Inflation, die von vorher knapp 10% zuletzt auf Werte um 6% sank. Das Haushaltsdefizit soll in den nächsten drei Jahren von aktuell 4,1% (2014/2015) auf 3% des BJP reduziert werden. Dafür bedarf es vor allem höherer Steuereinnahmen, z. B. über eine Reform des Steuerwesens. Große Hoffnungen liegen diesbezüglich in der kommenden "Goods and Services Tax", einer landesweit einheitlichen Umsatzsteuer, dein ein wichtiger Schritt zur Schaffung eines indienweiten Binnenmarkts ist. Zu Beginn ihrer Amtszeit hat sich die Regierung Modi zur Marktwirtschaft bekannt und eine Reformagenda angekündigt, die u.a. eine Erhöhung des Anteils ausländischer Direktinvestitionen in bestimmten Bereichen vorsieht. Ende September verkündete Premierminister Modi die "Make in India" Kampagne und rief ausländische Investoren dazu auf, in Indien bei verbesserten Investitionsbedingungen zu produzieren. Er will so den Anteil der Industrieproduktion am BIP von aktuell 17% bis 2025 auf 25% anheben. Zur Ankurbelung der weiteren Industrialisierung werden groß angelegte Infrastrukturprojekte verfolgt, die unter anderem den Ausbau von Industriekorridoren zwischen verschiedenen Knotenpunkten vorsehen (z.B. Delhi-Mumbai Industrial Corridor). Auch im Bereich Schiene, den Häfen und im Luftverkehr sind erhebliche Investitionen nötig und geplant (AA 10 .2015c).

 

Zu den Hauptcharakteristika der indischen Volkswirtschaft gehören das Missverhältnis zwischen BIP- und Beschäftigungsanteil bei Landwirtschaft und Dienstleistungen (mit umgekehrten Vorzeichen) und eine vergleichsweise geringe Bedeutung der verarbeitenden Industrie. Die überwiegende Mehrheit der indischen Bevölkerung lebt in ländlich-bäuerlichen Strukturen und bleibt wirtschaftlich benachteiligt. Der Anteil der Landwirtschaft an der indischen Wirtschaftsleistung sinkt seit Jahren kontinuierlich und beträgt nur noch etwa 17,6% (2014/15) der Gesamtwirtschaft, obgleich rund 50% (genau 49%) der indischen Arbeitskräfte in diesem Bereich tätig sind. Angesichts Kapitalmangels, zu kleiner Anbauflächen, stagnierender Erträge und fehlender Absatzstrukturen bleibt der Sektor Hauptsorge der indischen Regierung. Nur ca. 10% aller Beschäftigten stehen in einem vertraglich geregelten Arbeitsverhältnis. Die übrigen 90% werden dem sogenannten "informellen Sektor" zugerechnet - sie sind weder gegen Krankheit oder Arbeitsunfälle abgesichert, noch haben sie Anspruch auf soziale Leistungen oder Altersversorgung. Wachstum und Wohlstand verdankt Indien vor allem dem Dienstleistungssektor mit einem Anteil von über 60% am BIP. Hiervon profitiert aber bei einem Beschäftigungsanteil von etwa 30% nur ein kleiner Teil der Bevölkerung. Zur Überwindung der Massenarmut sollen neue Arbeitsplätze geschaffen werden, vor allem auch für nicht oder gering qualifizierte Kräfte. Dies könnte aus Sicht der Regierung am ehesten im Industriesektor (insbesondere im verarbeitenden Gewerbe) erfolgen (AA 10 .2015c).

 

Etwa ein Viertel der Bevölkerung lebt unter dem Existenzminimum. Sofern es nicht zu außergewöhnlichen Naturkatastrophen kommt, ist jedoch eine für das Überleben ausreichende Nahrungsversorgung auch den schwächsten Teilen der Bevölkerung grundsätzlich sichergestellt. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz. Rückkehrer sind auf die Unterstützung der Familie oder Freunde angewiesen. Vorübergehende Notlagen können durch Armenspeisungen im Tempel, insbesondere der Sikh-Tempel, die auch gegen kleinere Dienstleistungen Unterkunft gewähren, ausgeglichen werden (AA 24.4.2015).

 

Backsteinöfen sind ein wichtiger Bestandteil von Indiens wachsender Wirtschaft. Es gibt mehr als zwei Millionen ZiegelarbeiterInnen in Indien. Viele Ofenanlagen haben ArbeiterInnen, die unter fast sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten und höchstens £1.50 für einen 12 Stunden Tag verdienen. Viele leiden unter Krankheiten aufgrund des beizenden Rauches der Öfen und den rauen Arbeitsbedingungen (BBC 4.1.2014). Das Ausmaß von Zwangs- und Kinderarbeit in den Backsteinöfen in Indien nimmt epidemische Ausmaße an. Schwangere Frauen, Kinder und junge Mädchen arbeiten 12 - 18 Stunden pro Tag. Sie sind schlecht ernährt, es gibt kein sauberes Wasser und sie leben wie Sklaven (BBC 2.1.2014).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

8.1. Sozialbeihilfen

 

In Indien haben derzeit von 400 Mio. Arbeitskräften nur etwa 35 Mio. Zugang zum offiziellen Sozialen Sicherungssystem in Form einer Altersrentenabsicherung. Dies schließt Arbeiter des privaten Sektors, Beamte, Militärpersonal und Arbeitnehmer von Unternehmen des staatlich öffentlichen Sektors ein. Von diesen 35 Mio. sind 26 Mio. Arbeiter Mitglied der Organisation des Arbeitnehmervorsorgefonds ("EPFO"). Ein weiterer wichtiger Beitrag des EPF ist der Vorschlag zur Ausweitung der kritischen Lebensbeihilfen auf die Gewährung von Obdach. Der Shramik Awas Yojana zielt auf die Bereitstellung kostengünstiger Siedlungsprojekte ab. Dies geht einher mit einer Zusammenarbeit von Organisationen wie HUDCO, Wohnungsbauagenturen, der Regierung, Arbeitnehmern und "EPF"-Mitgliedern, wobei die "EPFO" eine Vermittlerrolle einnimmt. Die Investitionen fließen in die beschriebenen Sicherheiten und Portfolios nach einem durch das Finanzministerium vorgegebenen Muster ein (BAMF 8.2014).

 

Die Landes- und Staatenregierungen bieten verschiedene Sozialversicherungsprogramme an. Diese richten sich allerdings meist an unterprivilegierte Bevölkerungsschichten. Weitere Informationen zu den verschiedenen Programmen gibt es auf den Webseiten der Landes- und Staatenregierungen. Auf Dorfebene kann auch der Panchayat notwendige Informationen herausgeben (BAMF 8.2014).

 

Als Teil einer Armutsbekämpfungsinitiative wurde seit 2010 Millionen indischer Bürger eine Aadhaar ID Nummer ausgestellt. Obwohl diese nicht verpflichtend ist, gaben Beamte an, dass der Nichtbesitz den Zugang zur Staatshilfe limitieren könnte. Die Nummern ausstellenden Behörden pflegen eine Datenbank von Nummern, die mit persönlichen Informationen, inklusive biometrischer Daten, wie zum Beispiel Fingerabdrücke, verbunden werden (FH 3.10.2013). 110 Millionen Menschen waren im Jänner 2012 eingeschrieben und 60 Millionen Nummern wurden ausgestellt. Die Einschreibung ist freiwillig, wird aber stark beworben (The Independent 16.1.2012). Bald dürfte etwa 1 Milliarde Inder über eine unverwechselbare, mit biometrischen Identifikationen verknüpfte Identitätsnummern verfügen, welche es den Armen des Landes ungeachtet datenschutzrechtlicher Bedenken möglich macht, Zugang zu ihnen bisher verwehrten Finanzprodukten und Dienstleistungen zu erlangen (International Business Times, 2.2.2015). Die unverwechselbare Identitätsnummer ermöglicht es beispielsweise, dass staatliche Zuschüsse direkt an den Verbraucher übermittelt werden. Anstatt diese auf ein Bankkonto zu senden, wird sie an die unverwechselbare Identitätsnummer überwiesen, die mit der Bank verbunden ist und geht so an das entsprechende Bankkonto. 750 Millionen Inder haben derzeit eine derartige Identitätsnummer, ca. 130 Millionen haben diese auch mit ihrem Bankkonto verknüpft (International Business Times, 2.2.2015).

 

Die wichtigsten Gesetze der sozialen Sicherung in Indien:

 

(i) Das staatliche Arbeitnehmerversicherungsgesetz, 1948 ("ESI Act"), das Fabriken und Einrichtungen mit mehr als 10 Mitarbeitern umfasst und eine umfangreiche Versorgung der Mitarbeiter und ihrer Familien vorsieht, ebenso wie finanzielle Hilfen bei Krankheit und Mutterschaft und monatliche Zahlungen im Todesfall oder im Falle einer Behinderung.

 

(ii) Das Gesetz zum Arbeitnehmervorsorgefonds & sonstigem, 1952 ("EPF & MP Act"), das sich auf bestimmte Fabriken und Werke und Einrichtungen bezieht, die 20 oder mehr Arbeitnehmer beschäftigen, und das die abschließenden Leistungen des Vorsorgefonds, des Pensionsfonds und des Familienfonds im Todesfall während des Dienstverhältnisses regelt. Es existieren gesonderte Gesetze für vergleichbare Leistungen für Arbeiter in Kohleminen und auf Teeplantagen.

 

(iii) Das Arbeiterkompensationsgesetz, 1923 ("WC Act"), das im Falle von arbeitsbedingten Verletzungen, die tödlich verlaufen oder eine Behinderung nach sich ziehen, Kompensationszahlungen an den Arbeiter oder seine Familie verlangt.

 

(iv) Das Mutterschaftsleistungsgesetz, 1961 ("M.B. Act"), das 12 Wochengehälter während der Mutterschaft vorsieht, sowie bezahlten Urlaub bei anders gelagerten Eventualitäten.

 

(v) Gesetz zur Zahlung einer Abfindung, 1972 ("P.G. Act"), wonach Arbeitnehmern, die in einem Unternehmen mit mindestens 10 Mitarbeitern 5 oder mehr Jahre gearbeitet haben, 15 Tageslöhne für jedes Dienstjahr gezahlt werden (BAMF 8.2013)

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

9. Medizinische Versorgung

 

In Indien gibt es ein staatliches Gesundheitssystem, aber dieses schließt keine kostenfreie Gesundheitsversorgung für die gesamte Bevölkerung ein (BAMF 8.2014). Die gesundheitliche Grundversorgung wird jedoch vom Staat kostenfrei gewährt. Sie ist aber durchwegs unzureichend. Da der Andrang auf Leistungen des staatlichen Sektors sehr stark ist, weichen viele für eine bessere oder schnellere Behandlung auf private Anbieter aus. Die privaten Gesundheitsträger genießen wegen der fortschrittlicheren Infrastruktur und des qualifizierteren Personals einen besseren Ruf (AA 24.4.2015; vgl. BAMF 8.2014). Private Gesundheitsversorgung ist allerdings teurer als staatliche. Mehrere Versicherungsgesellschaften bieten Krankenversicherung an, die bestimmte medizinische Kosten abdeckt, u. a. auch stationäre Krankenhausaufenthalte. Die Abdeckung variiert je nach Versicherungspolice (BAMF 8.2014).

 

In allen größeren Städten gibt es medizinische Einrichtungen, in denen überlebensnotwendige Behandlungen durchgeführt werden können. Dies gilt mit den genannten Einschränkungen auch für den öffentlichen Bereich. Einige wenige private Krankenhäuser in den größten Städten gewährleisten einen Standard, der dem westlicher Industriestaaten vergleichbar ist. Im wirtschaftlich starken Punjab und in New Delhi ist die Gesundheitsversorgung im Verhältnis zu anderen Landesteilen gut. Fast alle gängigen Medikamente sind auf dem Markt erhältlich. Die Einfuhr von Medikamenten aus dem Ausland ist möglich. Indien ist der weltweit größte Hersteller von Generika; Medikamente kosten einen Bruchteil der Preise in Europa (AA 24.4.2015).

 

Nur 10%der heutigen indischen Bevölkerung verfügen über einen Krankenversicherungsschutz. 75% der Ausgaben für medizinische Versorgung müssen noch immer von Konsumenten selbst finanziert werden. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass dieser Industriezweig infolge des Markteintritts zahlreicher Privatinvestoren, in den nächsten Jahren enorm wachsen wird. 17 Versicherungsgesellschaften und 3 Krankenversicherungsunternehmen bieten derzeit Krankenversicherungen an. In Anbetracht der wachsenden Arzneimittelanwendungen und Gesundheitskosten steigt die Versicherungssummengrenze von 500.000 Rs. stetig an, so dass viele Unternehmen Policen in Höhe von 100.000 Rs. ausstellen. Max, Apollo Munich und Fortis sind die drei größten Gesellschaften. Royal Sundaram, Bharati AXA, ICICI Lombard etc. bieten Krankenversicherungen in Indien an (BAMF 8.2013).

 

In staatlichen Krankenhäusern, von denen einige zu den besten Krankenhäusern Indiens gehören, erfolgt die Behandlung zu Steuerzahlerkosten. Die privaten medizinischen Einrichtungen bieten hohe Qualitätsstandards zu hohen Kosten. Die Gesundheitskosten in Indien sind im Vergleich zu den entwickelten Teilen der Welt verhältnismäßig niedrig. Nachfolgend die Durchschnittskosten einiger Einrichtungen in US $:

 

Knochenmarkstransplantation - $70.000, Lebertransplantation - $70.000, kardiologischer Eingriff - $10.000, orthopädischer Eingriff - $8.000, Katarakt-OP $1.250, Zahnimplantation - $800 etc; (BAMF 8.2013).

 

Die Primären Gesundheitseinrichtungen ("PHC") sind die Eckpfeiler der ländlichen Gesundheitsversorgung. Die Primären Gesundheitszentren und ihre nachgeordneten Stellen sollen die medizinischen Versorgungsbedürfnisse der Landbevölkerung gerecht werden. Jedes primäre Gesundheitszentrum ist für 100.000 Menschen zuständig und auf etwa 100 Dörfer verteilt. Die notwendige Ausstattung zur Verrichtung kleinerer operativer Eingriffe ist vorhanden. Auf der Gebietsebene besteht die Gesundheitsverwaltung aus einer Vielzahl von Bediensteten und Ärzten, die durchschnittlich 10-15 Krankenhäuser, 30-60 Primäre Gesundheitszentren und 300-400 nachgeordnete Zentren betreuen. Jeder Bezirk hat zudem ein Zivilkrankenhaus, um den Bedürfnissen der dortigen Bevölkerung zu begegnen (BAMF 8.2013). Die Nationale Ländliche Gesundheitsmission "NRHM" ist ein Regierungsvorhaben zur landesweiten Bereitstellung nützlicher medizinischer Dienstleistungen in den Haushalten ländlicher Regionen. Im Fokus stehen vor allem die 18 Staaten Arunachal Pradesh, Assam, Bihar, Chhattisgarh, Himachal Pradesh, Jharkhand, Jammu and Kashmir, Manipur, Mizoram, Meghalaya, Madhya Pradesh, Nagaland, Odisha, Rajasthan, Sikkim, Tripura, Uttarkhand und Uttar Pradesh (BAMF 8.2013).

 

Es gibt regierungsgestützte Vorhaben und Programme für die Gesundheit und Wohlfahrt der Bürger, die von der Zentralregierung durchgeführt werden. Diese Programme streben einen verbesserten Gesundheitszustand der Bevölkerung sowie niedrigere Erkrankungszahlen und Todesfälle durch Krankheiten an. Die regierungsgestützten Programme umfassen Immunisierungsaktionen, besonderen Umgang mit Epidemien, Pläne zur Ausrottung gefährlicher Krankheiten und zahlreiche Bildungs- und Trainingsprogramme (BAMF 8.2013). Dank einer massiven Impfkampagne unter Beteiligung einer gewaltigen Armee von Helfern konnte die Kinderlähmung in Indien ausgerottet werden (DW 16.1.2014).

 

Die Durchimpfungsrate ist extrem gestiegen. Zum Beispiel ist die Diphtherie-Tetanus-Pertussis Impfung unter den 1-jährigen um 60 -70 Prozent gestiegen die von Hepatitis B hat sich von 68 Prozent im Jahr 2005 auf 91 Prozent im Jahr 2010 gesteigert. Nationale Programme haben erfolgreich die Erkennungs- und Heilraten für Tuberkulose und Leprose verbessert (IMS-Institute 6.2013).

 

Der Zugang zu öffentlichen oder privaten Gesundheitsvorsorgeeinrichtungen in den ländlichen Gebieten ist, im Gegensatz den Städten, weiterhin eine Herausforderung. Eine steigende Zahl der Bevölkerung verwendet private Gesundheitsvorsorgeeinrichtungen, sowohl für stationäre als auch ambulante Behandlungen. Lange Wartezeiten und das Fehlen von Diagnoseeinrichtungen sind mitunter die Hauptgründe warum private Gesundheitsvorsorgeeinrichtungen, statt den öffentlichen Zentren, für die stationäre Behandlung ausgewählt werden. Patienten sind oft gezwungen sich aufgrund von Entfernung der schlechten öffentlichen Gesundheitseinrichtungen an teurere Institute zu wenden. Wenngleich es Verbesserungen gab, gibt es auch weiterhin signifikante Herausforderungen im Bereich des Gesundheitsvorsorgezugangs für die indische Bevölkerung, speziell in ländlichen Gebieten (IMS-Institute 6.2013).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

10. Behandlung nach Rückkehr

 

Allein die Tatsache, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, führt nicht zu nachteiligen Konsequenzen nach der Abschiebung. In den letzten Jahren hatten indische Asylbewerber, die in ihr Heimatland abgeschoben wurden, grundsätzlich - abgesehen von einer intensiven Prüfung der (Ersatz-) Reisedokumente und einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden - keine Probleme. Polizeilich gesuchte Personen müssen allerdings bei Einreise mit Verhaftung und Übergabe an die Sicherheitsbehörden rechnen (AA 24.4.2015).

 

Quellen:

 

 

3.4. Gegen den am 02.03.2017 zugestellten Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 14.03.2017 fristgerecht Beschwerde und beantragte den Ersatz der Kosten des Beschwerdeverfahrens.

 

4. Aufgrund eines Fristsetzungsantrages des Beschwerdeführers forderte der Verwaltungsgerichtshof mit verfahrensleitender Anordnung vom 17.01.2019, Fr 2019/21/0002, das Bundesverwaltungsgericht auf, binnen drei Monaten die Entscheidung zu erlassen und eine Ausfertigung derselben sowie einen Zustellnachweis dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1. Der Beschwerdeführer führt den XXXX , geb. XXXX . Er ist Staatsangehöriger Indiens, stammt aus dem Punjab und gehört der Religion der Sikh an.

 

Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.

 

2. Der Beschwerdeführer besuchte in Indien acht Jahre lang die Schule und hat in der Landwirtschaft gearbeitet.

 

3. Die Eltern, die Schwester und ein Onkel des Beschwerdeführers leben in Indien.

 

4. Der Beschwerdeführer lebt seit Februar 2010, damit seit neun Jahren, durchgehend in Österreich. Der Beschwerdeführer wurde im März 2010 ausgewiesen, verblieb aber im österreichischen Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer hält sich seither (seit acht Jahren und etwa zehn Monaten) unrechtmäßig im österreichischen Bundesgebiet auf.

 

5. Der Beschwerdeführer hat am 16.06.2015 das ÖSD-Sprachzertifikat Deutsch A2 bestanden.

 

6. Der Beschwerdeführer hat am 11.08.2010 das Gewerbe der Güterbeförderung mit Kfz mit Anhängern, deren höchst zulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt, angemeldet. Er übt dieses Gewerbe seither aus und nimmt Essenszustellungen für Restaurants vor.

 

Der Beschwerdeführer war im Jahr 2015 als Zusteller auf Werksvertragsbasis für XXXX tätig. Gegen die Inhaberin von XXXX erging seitens der Finanzpolizei am 07.10.2015 ein Strafantrag wegen Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes. Für die Beschäftigung des Beschwerdeführers beantragte die Finanzbehörde wegen der unerlaubten Beschäftigung eines Ausländers eine Strafe iHv EUR 1200,-.

 

Der Beschwerdeführer war ab Dezember 2015 für XXXX bzw. für XXXX als Essenslieferant tätig, später war er für die XXXX tätig. Er verdiente dabei etwa zwischen EUR 1250,- und 1600,- monatlich.

 

Der Beschwerdeführer ist bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft versichert.

 

7. Der Beschwerdeführer verfügt über eine Einstellungszusage der Firma XXXX sowie der XXXX

 

8. Der Beschwerdeführer wurde am 08.02.2011 u.a. wegen §§ 120, 121 FPG angezeigt. Der Beschwerdeführer wurde am 22.12.2011, 29.04.2012, 10.01.2013 und 27.09.2013, wegen rechtswidrigen Aufenthalts gem. § 120 Abs. 1a FPG angezeigt.

 

9. In seiner Freizeit besucht der Beschwerdeführer Museen. Der Beschwerdeführer unterstützt die Johanniter mit Spenden.

 

Der Beschwerdeführer lebte ab Oktober 2016 in einer Wohngemeinschaft mit zwei anderen männlichen indischen Staatsangehörigen in einer 50,70 m2 großen Wohnung bei einer vom Beschwerdeführer zu entrichtenden Wohnungsmiete von EUR 120,-.

 

10. Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Verwandten. Er pflegt in Österreich soziale Kontakte, hat aber unter diesen zu niemandem in Österreich ein besonderes Naheverhältnis. Der Beschwerdeführer hat eine Freundin, die er seit Ende 2014 kennt, mit der er nicht zusammenlebt und zu der kein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis besteht.

 

11. Der Beschwerdeführer ist gesund.

 

12. Der Beschwerdeführer hat die indische Botschaft aufgesucht in Zusammenhang mit Konsulatstätigkeiten (Reisepass Anfrage). Der Beschwerdeführer legte dort nicht seine Geburtsurkunde im Original vor. Der Beschwerdeführer hat keinen Nachweis dafür erbracht, dass ihm die Beschaffung der notwendigen Urkunden nicht möglich war. Die Beschaffung war dem Beschwerdeführer zumutbar.

 

13. Der unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang wird der Entscheidung als Feststellung zugrunde gelegt.

 

14. Zum Herkunftsstaat wird auf die oben wiedergegebenen Feststellungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl verwiesen.

 

2. Beweiswürdigung:

 

1. Die Feststellungen zum vom Beschwerdeführer geführten Namen und Geburtsdatum, zur Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers und seinem Herkunftsort sowie seiner Religionszugehörigkeit beruhen auf seinen Angaben im Asylverfahren.

 

Das vorgelegte, als seine Geburtsurkunde bezeichnete Dokument, das schon mangels Lichtbildes nicht ohne weiteres ihm zugeordnet werden kann, reicht nicht hin, seine Identität zu beweisen. Es kann daher die Identität des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden, da weder seine Identitätsangaben noch die Richtigkeit des beigebrachten Dokuments verifiziert werden können.

 

2. Die Feststellungen zur Schulbildung und Tätigkeit in der Landwirtschaft beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers im Asylverfahren (AS 26).

 

3. Die Feststellungen zu seinen familiären Verhältnissen und dem Aufenthalt seiner Verwandten in Indien beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers im Asylverfahren (AS 126).

 

4. Die Feststellung zur Dauer seines Aufenthalts ergibt sich unstrittig aus dem Zeitraum seit Stellung des Asylantrages. Aus dem unstrittigen Ausgang des Asylverfahrens ergibt sich die seitherige Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts.

 

5. Das Bestehen einer Deutschprüfung auf dem Sprachniveau A2 ist durch das Zeugnis darüber belegt (AS 245).

 

6. Die Feststellungen zur Anmeldung und Ausübung des Gewerbes der Güterbeförderung ergeben sich aus dem vorgelegten Auszug aus dem Gewerberegister (AS 250) in Zusammenhalt mit dem diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers (vgl. etwa AS 275 und das Konvolut an Abrechnungen). Bereits die belangte Behörde hat darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer "aufgrund der fehlenden Voraussetzungen für die Erteilung einer Gewerbeberechtigung" dieses Gewerbe seit negativem Abschluss des Asylverfahrens nicht mehr hätte ausüben dürfen (AS 404). Da der Beschwerdeführer nach negativem Ausgang des Asylverfahrens bereits im März 2010 keine Aufenthaltsberechtigung mehr hatte, für die Ausübung eines Gewerbes aber grundsätzlich ein - diesen Aufenthaltszweck deckender - Aufenthaltstitel erforderlich ist, welcher durch die zuständige Behörde nach den nationalen fremdenrechtlichen Vorschriften zu erteilen ist (vgl. etwa VwGH 20. 10. 2004, 2004/04/0037), ist die Erwägung der belangten Behörde nicht zu besanstanden. Dies wurde in der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid auch nicht subsbtantiiert bestritten.

 

Die Feststellung zur Tätigkeit für XXXX beruht auf dem im Akt einliegenden Konvolut von Abrechnungen (AS 247ff), jene zur Anzeige der Finanzpolizei gegen die Inhaberin des Restaurants auf ebendieser (AS 255ff).

 

Die Feststellungen zu den weiteren Tätigkeiten fußen auf den entsprechenden Ausführungen des Beschwerdeführers und entsprechenden Abrechnungen, die er in Vorlage brachte (AS 275, AS 301ff, AS 330). Die Höhe seiner Einkünfte wurde auf Basis seiner Angaben in der Einvernahme vor der belangten Behörde (AS 334) in Zusammenschau mit den vorgelegten Honorarnoten festgestellt.

 

Die Feststellung zur Versicherung des Beschwerdeführers beruht auf den diesbezüglich vorgelegten, unbedenklichen Unterlagen (AS 285).

 

7. Die Feststellung zu den Einstellungszusagen beruht auf den im Akt einliegenden Schriftstücken (AS 308 und 383).

 

8. Die Anzahl und Grundlage der Anzeigen gegen den Beschwerdeführer fußt auf jenen im Akt einliegenden Anzeigen (AS 192, 212, 216, 223, 235).

 

9. Die Feststellungen zum Besuch von Museen und Unterstützung der Johanniter ergeben sich aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde (AS 334).

 

Die Feststellung zur Wohnsituation ab Oktober 2016 beruht auf den Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde (AS 334) in Zusammenhalt mit der vorgelegten Wohnrechtsvereinbarung (AS 342). Aus dem Fristsetzungsantrag vom 10.01.2019 ergibt sich eine neue Wohnadresse des Beschwerdeführers.

 

10. Dass der Beschwerdeführer keine Verwandten im Bundesgebiet hat, beruht auf seinen eigenen Angaben. Der Beschwerdeführer erwähnte in einer Stellungnahme, dass er "mit einer EU-Bürgerin liiert" sei (AS 289) und brachte in der Einvernahme vor der belangten Behörde vor, dass er eine Freundin habe, die Österreicherin sei und die er seit zwei Jahren kenne und heiraten wolle (AS 334). Vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer mit zwei anderen männlichen Indern zusammenwohnte, ergab sich, dass der Beschwerdeführer mit seiner Freundin nicht im gemeinsamen Haushalt lebt. Aufgrund des regelmäßigen und für die Selbsterhaltungsfähigkeit ausreichenden Einkommens des Beschwerdeführers war festzustellen, dass kein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis besteht.

 

Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte war hinsichtlich der übrigen Sozialkontakte festzustellen, dass zwischen ihnen keine über das normale Maß hinausgehende Beziehungsintensität zwischen Erwachsenen und damit kein besonderes Naheverhältnis herrscht.

 

11. Mangels Hinweises auf eine Erkrankung des Beschwerdeführers war festzustellen, dass er gesund ist.

 

12. Die Feststellung zum Besuch der indischen Botschaft beruht auf der vorgelegten Bestätigung (vgl. AS 306 und 311). Einen darüber hinausgehenden Informationsgehalt hat das Schreiben nicht (daraus lässt sich nicht einmal entnehmen, ob der Beschwerdeführer die Ausstellung eines Reisepasses beantragt hat), sodass damit auch nicht der Nachweis erbracht ist, dass die Beschaffung der erforderlichen Urkunden dem Beschwerdeführer nicht möglich war. Es haben sich auch keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass dem Beschwerdeführer die Beschaffung der erforderlichen Unterlagen nicht zumutbar gewesen wäre, sodass auch dies entsprechend festzustellen war.

 

13. Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem unstrittigen Akteninhalt.

 

14. Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat, welchen die Beschwerde nicht entgegentritt, stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der vom Bundesamt getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben, sodass sie auch gegenständlich als aktuell zu bewerten sind.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu A) I.:

 

3.1. Zur Zurückweisung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gem. § 55 AsylG (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides) und zur Abweisung des Heilungsantrages (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides):

 

3.1.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des AsylG, der AsylG-DV und des BFA-VG lauten:

 

ASylG:

 

Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK

 

"§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

 

----------

 

1.-dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

 

2.-der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

 

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

 

§ 58. [...]

 

(11) Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach, ist

 

1.-das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen oder

 

2.-der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen.

 

Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.

 

AsylG-DV:

 

Urkunden und Nachweise für Aufenthaltstitel

 

§ 8. (1) Folgende Urkunden und Nachweise sind - unbeschadet weiterer Urkunden und Nachweise nach den Abs. 2 und 3 - im amtswegigen Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels (§ 3) beizubringen oder dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels (§ 3) anzuschließen:

 

----------

 

1.-gültiges Reisedokument (§ 2 Abs. 1 Z 2 und 3 NAG);

 

2.-Geburtsurkunde oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument;

 

3.-Lichtbild des Antragstellers gemäß § 5;

 

4.-erforderlichenfalls Heiratsurkunde, Urkunde über die Ehescheidung, Partnerschaftsurkunde, Urkunde über die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft, Urkunde über die Annahme an Kindesstatt, Nachweis oder Urkunde über das Verwandtschaftsverhältnis, Sterbeurkunde.

 

[...]

 

Verfahren

 

§ 4. (1) Die Behörde kann auf begründeten Antrag von Drittstaatsangehörigen die Heilung eines Mangels nach § 8 und § 58 Abs. 5, 6 und 12 AsylG 2005 zulassen:

 

----------

 

1.-im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen zur Wahrung des Kindeswohls,

 

2.-zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK oder

 

3.-im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

 

(2) Beabsichtigt die Behörde den Antrag nach Abs. 1 zurück- oder abzuweisen, so hat die Behörde darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

 

BFA-VG

 

Schutz des Privat- und Familienlebens

 

"§ 9. (1) [...]

 

1. (2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) [...]"

 

3.1.2. Mit den mit Wirksamkeit ab 1. Jänner 2014 vom NAG 2005 in das AsylG 2005 transferierten Regelungen für "Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen" ist es insoweit der Sache nach lediglich zu einer Zusammenfassung der Abs. 4, 6 und 10 des § 19 NAG 2005 gekommen. Von Bedeutung ist allerdings, dass die unterbliebene Vorlage von Identitätsurkunden, wie etwa des Reisepasses, nunmehr einheitlich von § 58 Abs. 11 AsylG 2005 geregelt wird, sodass diesbezüglich im Antragsverfahren nicht auf § 13 Abs. 3 AVG zurückgegriffen werden muss. Im Übrigen bezieht sich aber auch § 58 Abs. 11 AsylG 2005 (sonst nur) auf Mitwirkungsverpflichtungen im Zusammenhang mit erkennungsdienstlichen Daten und mit der Zustelladresse des Fremden, nicht aber auf solche, die mit der Erhebung von inhaltlichen Erteilungsvoraussetzungen im Zusammenhang stehen (VwGH 14.04.2016, Ra 2016/21/0077; vgl. E 30. 06.2015, Ra 2015/21/0039).

 

Nach dem Heilungstatbestand des § 4 Abs. 1 Z 2 der AsylGDV 2005 "kann" die Behörde die Heilung eines Mangels (ua) nach § 8 der AsylGDV 2005 (unterbliebene Vorlage der dort genannten Urkunden) "auf begründeten Antrag" des Drittstaatsangehörigen zulassen, wenn das (gemeint: die Erteilung des Aufenthaltstitels) zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 MRK erforderlich ist. Letzteres ist freilich in jenen Konstellationen, in denen von Amts wegen ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen ist, schon voraussetzungsgemäß der Fall. Dann kann es aber weder auf das Vorliegen eines "begründeten Antrags" ankommen, noch stehen dem BFA andere Alternativen zur Verfügung als die an die Erteilung anschließende Ausfolgung des Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005. Vor diesem Hintergrund erwiese sich die Stellung eines Heilungsantrages als reiner Formalismus, was es nahe legt, die "Heilung" dann auch ohne einen solchen Antrag eintreten zu lassen (Hinweis E 14. April 2016, Ra 2016/21/0077).

 

Das - durch § 8 AsylGDV 2005 näher konkretisierte - Erfordernis der Klärung der Identität des Fremden wäre gegebenenfalls schon dann als erfüllt anzusehen, wenn (bloß) eine eindeutige "Verfahrensidentität" dergestalt besteht, dass es sich bei jener Person, der der Aufenthaltstitel erteilt bzw. ausgefolgt wird, mit Sicherheit um jene handelt, in Bezug auf die die dauerhafte Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung ausgesprochen wurde (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0187).

 

3.1.3. Der Beschwerdeführer hat dem in § 8 AsylG-DV normierten Erfordernis der Vorlage eines gültigen Reisedokuments unstrittig nicht entsprochen.

 

Der in Vorlage gebrachten Geburtsurkunde mangelt es, wie bereits in der Beweiswürdigung dargestellt, an der einwandfreien Zuordenbarkeit zur Person des Beschwerdeführers, da selbige Geburtsurkunde kein Lichtbild aufweist und auch sonst keine persönlichen biometrischen Merkmale enthält, welche eine eindeutige Zuordenbarkeit zu seiner natürlichen Person ermöglichen würden.

 

3.1.4. Zum Antrag auf Heilung gemäß § 4 AsylG-DV ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer im Verfahren vor der Behörde zu keinem Zeitpunkt glaubwürdig dargelegt hat, dass er sich um die Ausstellung eines Reisepasses oder eines sonstigen Ausweisdokuments durch seinen Herkunftsstaat überhaupt ernsthaft bemüht hätte. Er hat auch nicht begründet, weshalb ihm derartige Veranlassungen nicht zumutbar wären. Weder zu mangelnden Möglichkeit noch zur mangelnden Zumutbarkeit hat der Beschwerdeführer einen tragfähigen Nachweis erbracht, die vorgelegte Bestätigung pauschalen Inhalts reicht dafür nicht hin (vgl. dazu die Ausführungen in der Beweiswürdigung).

 

Damit ist der Tatbestand des § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV, wonach auf begründeten Antrag im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war, eine Heilung eintreten kann, nicht erfüllt.

 

3.1.5. Da der Beschwerdeführer unstrittig volljährig ist, konnte auch eine Heilung nach Abs. 1 Z 1 leg. cit nicht eintreten.

 

3.1.6.1. Zur Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylGDV 2005 hat der VwGH ausgesprochen, dass die Bedingung, wonach die Erteilung des Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 MRK erforderlich sein muss, in jenen Konstellationen, in denen von Amts wegen ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen ist, voraussetzungsgemäß erfüllt ist (vgl. E 15. September 2016, Ra 2016/21/0187). Auch im Fall eines Antrags auf Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels gilt, dass die Voraussetzungen für die verfahrensrechtliche Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylGDV 2005 die gleichen sind wie für die materielle Stattgabe des verfahrenseinleitenden Antrags. Die Prüfung, ob einem Heilungsantrag nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylGDV 2005 stattzugeben ist, unterscheidet sich also inhaltlich nicht von der Beurteilung, ob der Titel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen ist. Daraus folgt auch, dass bei einem Antrag nach § 55 AsylG 2005 in Bezug auf die Heilung nach § 4 Abs. 1 AsylGDV 2005 in erster Linie und vorrangig die Voraussetzungen der Z 2 der genannten Bestimmung zum Tragen kommen und dass es unzulässig ist, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 trotz Vorliegens der hierfür erforderlichen Voraussetzungen wegen Nichtvorlage von Identitätsdokumenten zurückzuweisen (vgl. B 17. November 2016, Ra 2016/21/0314) (VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0168).

 

3.1.6.2. Eine Heilung aufgrund § 4 Abs. 1 Z 2 leg. cit. (zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK) kann aufgrund folgender Erwägungen nicht eintreten:

 

3.6.1.3. Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zu Ausweisungen Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch könne in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, - je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse - variieren (vgl. z.B. EGMR 31.07.2008, 265/07, Darren Omoregie u.a. v. Norwegen).

 

Eine familiäre Beziehung unter Erwachsenen fällt - auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) - nur dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. dazu auch das Erk. des VfGH v. 9.6.2006, B 1277/04, unter Hinweis auf die Judikatur des EGMR; hg. Erk. v. 26.1.2006, 2002/20/0423 und Folgejudikatur, etwa die hg. Erk. v. 26.1.2006, 2002/20/0235, vom 8.6.2006, 2003/01/0600, vom 22.8.2006, 2004/01/0220 und vom 9.2.2007, 2005/20/0040; VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479 und VwGH 19.11.2010, 2008/19/0010, u.v.a.).

 

Nach der Judikatur des EGMR sind Beziehungen zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern, die wegen des Fehlens von über die üblichen Bindungen hinausgehenden Merkmalen der Abhängigkeit nicht (mehr) unter den Begriff des Familienlebens fallen, unter den Begriff des ebenfalls von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Privatlebens zu subsumieren (vgl. dazu die Urteile des EGMR vom 9. Oktober 2003, Slivenko gegen Lettland, Beschwerde Nr. 48321/99, Randnr. 97, vom 15. Juni 2006, Shevanova gegen Lettland, Beschwerde Nr. 58822/00, Randnr. 67, vom 22. Juni 2006, Kaftailova gegen Lettland, Beschwerde Nr. 59643/00, Randnr. 63, und vom 12. Jänner 2010, A. W. Khan gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 47486/06, Randnr. 31 ff) (VwGH 21.4.2011, 2011/01/0093).

 

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva u.a. gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Beschwerdeführer in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügt, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Im seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, ging der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte (vgl. idZ auch VwGH 20.12.2007, 2007/21/0437, zu § 66 Abs. 1 FPG, wonach der 6-jährigen Aufenthaltsdauer eines Fremden im Bundesgebiet, der Unbescholtenheit, eine feste soziale Integration, gute Deutschkenntnisse sowie einen großen Freundes- und Bekanntenkreis, jedoch keine Familienangehörigen geltend machen konnte, in einer Interessenabwägung keine derartige "verdichtete Integration" zugestanden wurde, da der Aufenthalt "letztlich nur auf einem unbegründeten Asylantrag fußte"; ähnlich auch die Erkenntnisse VwGH 25.02.2010, 2010/18/0026; VwGH 30.04.2009, 2009/21/0086; VwGH 08.07.2009, 2008/21/0533; VwGH 08.03.2005, 2004/18/0354). Außerdem ist auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch schon wiederholt darauf hingewiesen, dass die Aufenthaltsdauer nach § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien darstellt, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist (vgl. etwa VwGH vom 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058). Gleichzeitig betonte er aber, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (siehe das soeben zitierte Erkenntnis vom 30.07.2015).

 

Die Umstände eines gesicherten Unterhalts und, dass es zu keiner Straffälligkeit kam, bewirken keine relevante Verstärkung der persönlichen Interessen, vielmehr stellen das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme dar (vgl. VwGH 24.07.2002, 2002/18/0112).

 

Der VwGH geht davon aus, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält. Zu Lasten eines Fremden ins Gewicht fallen jedoch rechtskräftige Verurteilungen durch inländische Gerichte (vgl. Erk. d. VwGH vom 27.2.2007, 2006/21/0164, mwN, wo dieser zum wiederholten Male klarstellt, dass das Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung den öffentlichen Interessen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK eine besondere Gewichtung zukommen lässt).

 

Im Rahmen der Interessenabwägung unter dem Gesichtspunkt der Bindungen zum Heimatstaat (§ 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG) kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch der Frage, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann, eine Bedeutung zukommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 16. Dezember 2015, Ra 2015/21/0119 mwN).

 

Im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG ist es maßgeblich relativierend, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (VwGH 10.04.2017, Ra 2016/01/0175 mwN).

 

Bei der Beurteilung, ob im Falle der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in das durch Art. 8 MRK geschützte Privat- und Familienleben des oder der Fremden eingegriffen wird, ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt. Bei dieser Abwägung kommt auch dem Umstand Bedeutung zu, dass eine medizinische Behandlung in Österreich vorgenommen wird, die im Einzelfall zu einer maßgeblichen Verstärkung des persönlichen Interesses an einem Verbleib in Österreich führen kann (Hinweis Erkenntnisse vom 29. Februar 2012, 2010/21/0310 bis 0314 und 2010/21/0366, mwN).

 

3.1.6.4. Da der Beschwerdeführer über keine Familienangehörigen in Österreich verfügt, ist ein Eingriff in sein Recht auf Familienleben iSd Art. 8 EMRK auszuschließen.

 

Ausgehend davon, dass der Verwaltungsgerichtshof bei einem dreieinhalbjährigen Aufenthalt im Allgemeinen von einer eher kürzeren Aufenthaltsdauer ausgeht (vgl. Chvosta, ÖJZ 2007/74 unter Hinweis auf die VwGH 08.03.2005, 2004/18/0354; 27.03.2007, 2005/21/0378), und im Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, davon ausgeht, "dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte", ist die neunjährige Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers jedenfalls lang, sodass ihr ein entsprechend schweres Gewicht zugunsten des Beschwerdeführers zukommt.

 

Diese lange Aufenthaltsdauer ist aber dadurch stark relativiert, dass der Beschwerdeführer schon eineinhalb Monate nach Stellung des Asylantrages mit einer beschwerdeabweisenden Entscheidung des Asylgerichtshofes ausgewiesen wurde, er seiner Ausreiseverpflichtung aber nicht nachkam und seither - also etwa acht Jahre und zehn Monate - unrechtmäßig in Österreich lebt. Dabei missachtete der Beschwerdeführer fortlaufend die gegen ihn ergangene Ausweisung, die den Befehl an den Beschwerdeführer darstellte, das Bundesgebiet zu verlassen. Ein beharrliches illegales Verbleiben nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens stellt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen dar, sodass das Gewicht seiner Aufenthaltsdauer trotz ihrer Länge nur abgeschwächt zu Tragen kommt.

 

Die Verfahrensdauer der jeweiligen Verfahren - insbesondere die nur eineinhalbmonatige Dauer seines Asylverfahrens - ist jedenfalls angemessen, sodass diese nicht zugunsten des Beschwerdeführers gewichtet wird.

 

Der Beschwerdeführer begründete sein Privatleben beinahe ausschließlich in einem Zeitraum, als sein Aufenthalt unsicher war und er sowohl vom negativen Ausgang des Asylverfahrens als auch über die gegen ihn bestehende Ausweisung Bescheid wusste. Das Interesse des Beschwerdeführers an der Aufrechterhaltung seines Privatlebens ist daher dadurch geschwächt, dass er sich bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthaltsstatus bzw. später seines unrechtmäßigen Aufenthalts und damit auch der Vorläufigkeit der Integrationsschritte bewusst sein musste. Im Hinblick auf den unberechtigten Antrag auf internationalen Schutz und den bereits seit über acht Jahre und zehn Monate andauernden unrechtmäßigen Aufenthalt musste sich der Beschwerdeführer darüber im Klaren sein, dass er eingegangene Bindungen im Bundesgebiet nicht werde aufrechterhalten können.

 

Der Beschwerdeführer verfügt über Bindungen zum Herkunftsstaat: Er hat dort den weit überwiegenden Teil seines Lebens verbracht. Er wurde in Indien sozialisiert, spricht eine Landessprache als Muttersprache und durchlief dort eine Schul- und Berufsbildung. Auch war er in der Landwirtschaft erwerbstätig. Zudem halten sich nahe Familienangehörige von ihm in Indien auf. Wenn auch seine Bindung an Indien durch die lange Abwesenheit abgeschwächt ist, so besteht sie aufgrund dieser Faktoren fort. Es deutet daher nichts darauf hin, dass es dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren und sich eine Existenzgrundlage zu schaffen.

 

Unter Berücksichtigung der Feststellungen zur allgemeinen Lage in Indien ist festzuhalten, dass die Situation, die der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat vorfinden wird, sich hinsichtlich der öffentlichen Sicherheit, der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von den Verhältnissen in Österreich zwar unterscheidet, in Hinblick auf die persönliche Situation des Beschwerdeführers - er ist gesund, arbeitsfähig, verfügt über Berufserfahrung, zudem hat er durch seine Familie in Indien familiäre Anknüpfungspunkte - ist festzustellen, dass seine persönliche Situation im Herkunftsland nicht zu einer wesentlichen Verstärkung seiner Interessen am Verbleib in Österreich führt.

 

Dadurch, dass der Beschwerdeführer in Indien sozialisiert wurde, er dort über Anknüpfungspunkte verfügt und er durch Erwerbstätigkeit auch bei einer Rückkehr seine Existenz zu sichern imstande ist, kann die Rückkehrsituation zu keinem Überwiegen der Interessen an einem Verbleib in Österreich führen.

 

Zu Gunsten des Beschwerdeführers werden die von ihm erworbenen grundlegenden Deutschkenntnisse gewichtet.

 

Zu Gunsten des Beschwerdeführers wird zudem seine Selbsterhaltungsfähigkeit gewichtet: Der Beschwerdeführer ist imstande, dadurch für seine Lebensgrundlage aus eigenem aufzukommen, ohne irgendwelche Unterstützungsleistungen in Anspruch zu nehmen. Er ist darüber hinaus auch versichert. Gleichzeitig ist aber in Anschlag zu bringen, dass der Beschwerdeführer nach negativem Ausgang des Asylverfahrens bereits im März 2010 keine Aufenthaltsberechtigung mehr hatte, für die Ausübung eines Gewerbes aber grundsätzlich ein - diesen Aufenthaltszweck deckender - Aufenthaltstitel erforderlich ist, welcher durch die zuständige Behörde nach den nationalen fremdenrechtlichen Vorschriften zu erteilen ist (vgl. etwa VwGH 20. 10. 2004, 2004/04/0037). Der Beschwerdeführer hat einen solchen nicht inne.

 

Zu Gunsten des Beschwerdeführers werden auch die beiden Einstellungszusagen gewertet.

 

Bei der Beziehung zu seiner Freundin ist aufgrund der bereits längeren Dauer von einer stabilen Bindung auszugehen. Gleichzeitig leben die beiden aber nicht zusammen, führen keinen gemeinsamen Haushalt und besteht keine wirtschaftliche Abhängigkeit des Beschwerdeführers, der selbsterhaltungsfähig ist. Entsprechend der sich unter diesen Gesichtspunkten ergebenden Beziehungsintensität wird diese Beziehung als Verstärkung des Interesses des Beschwerdeführers am Verbleib gewichtet, wobei aufgrund der konkreten Faktoren (kein Zusammenleben, keine Abhängigkeitsverhältnisse) das Gewicht entsprechend bemessen ist.

 

Darüber hinaus sind keine wesentlichen sozialen Bindungen des Beschwerdeführers hervorgekommen. Auch wenn er in Österreich bereits soziale Kontakte geknüpft hat und hier typische Freizeitaktivitäten wie Museumsbesuche ausübt, ist eine besondere Intensität dieser sozialen Kontakte und Bindungen nicht hervorgekommen. Zugunsten des Beschwerdeführers wird sein soziales Engagement (Spenden an die Johanniter) gewertet.

 

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten, wobei dieser Aspekt neutral bewertet wird, da davon auszugehen ist, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält, als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält.

 

Zu Ungunsten des Beschwerdeführers werden die Anzeigen wegen unrechtmäßigen Aufenthalts gewertet.

 

Mangels Erkrankung des Beschwerdeführers oder Hervorkommens sonstiger entsprechend beachtenswerter Umstände sind keine zusätzlichen, für die Schutzwürdigkeit seines Privatlebens sprechenden Aspekte hervorgekommen.

 

Trotz der neunjährigen und damit langen Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers in Österreich und trotz der, sprachlich grundlegenden und in wirtschaftlicher Hinsicht ausreichend ausgeprägten, Integration und dem Führen einer Beziehung mit einer Österreicherin, stehen, wie oben unter Gewichtung sämtlicher Aspekte aufgezeigt, seinen persönlichen Interessen ein insbesondere durch seinen beharrlichen Verbleib, der das gegen seinen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gravierend verstärkt, entgegen und ist zudem seine Aufenthaltsdauer durch den ganz überwiegend unrechtmäßigen Aufenthalt sowie das Wissen um die Unsicherheit bzw. Unrechtmäßigkeit seines Aufenthalts während Entwicklung seines Privatlebens relativiert, sodass in einer Gesamtbetrachtung die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich nicht überwiegen, sondern die öffentlichen Interessen gewichtiger sind und die Aufenthaltsbeendigung verhältnismäßig ist.

 

3.1.6.4. Aufgrund dieser Abwägung besteht für die Annahme, es würden die Voraussetzungen für eine Mangelheilung nach § 4 Abs. 1 Z 1-3 AsylG-DV (zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK) vorliegen, kein Raum.

 

3.1.7. Da im gegenständlichen Fall die Voraussetzungen für die Mangelheilung nach allen Tatbeständen des § 4 Abs. 1 AsylG-DV nicht vorliegen, konnte eine Heilung des Mangels nicht eintreten.

 

3.1.8. Indem der Beschwerdeführer die erforderlichen, gültigen identitätsbezeugenden Dokumente nicht vorgelegt hat, ist er seiner gesetzlich normierten Mitwirkungspflicht im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten trotz diesbezüglich nachweislicher Aufforderung nicht ausreichend nachgekommen. Insgesamt hat der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren nicht im Sinne des § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG erkennbar und ausreichend mitgewirkt.

 

Da der Beschwerdeführer seiner ihn gem. § 58 Abs. 11 AsylG treffenden Mitwirkungspflicht nicht nachkam, ist die Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrages gem. Abs. 11 Z 2 leg.cit. (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids) nicht zu beanstanden und die dagegen erhobene Beschwerde abzuweisen.

 

3.1.9. Aufgrund dieser Erwägungen war auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides, mit dem bereits das BFA den Heilungsantrag abwies, gem. § 4 Abs. 1 AsylG-DV abzuweisen.

 

3.1.10. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass fallgegenständlich auch eine inhaltliche Behandlung des Antrages des Beschwerdeführers gemäß § 55 AsylG zu keinem für diesen günstigeren Ergebnis geführt hätte, zumal die vorgenommene Interessenabwägung - welche im Wesentlichen den gleichen Prüfgegenstand umfasst (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101; 24.5.2016, Ra 2016/21/0101-7) - wie eben dargestellt, kein Überwiegen der Interessen des Beschwerdeführers gemäß Artikel 8 EMRK an einem Verbleib im Bundesgebiet aufgezeigt hat.

 

3.2. Zur Abweisung der Beschwerde gegen den Erlass einer Rückkehrentscheidung und Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

 

3.2.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des AsylG, des FPG und des BFA-VG lauten:

 

AsylG

 

Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme

 

"§ 10 [...]

 

(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.

 

[...]

 

FPG

 

§52 [...]

 

(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

 

[...]

 

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

[...]

 

BFA-VG

 

Schutz des Privat- und Familienlebens

 

§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

[...]"

 

3.2.2. Aus § 10 Abs. 3 AsylG 2005 ergibt sich, dass dann, wenn kein Fall des § 58 Abs. 9 AsylG 2005 vorliegt, auch eine Antragszurückweisung mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden ist (vgl. auch VwGH 17.05.2017, Ra 2017/22/0059).

 

3.2.3. Hinsichtlich der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK wird auf die obigen Ausführungen (Punkt 3.1.6.1. bis 3.1.6.4.) verwiesen. Die bereits an dieser Stelle vorgenommene Interessenabwägung - welche im Wesentlichen den gleichen Prüfgegenstand umfasst (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101; 24.5.2016, Ra 2016/21/0101-7) - hat kein Überwiegen der Interessen des Beschwerdeführers gemäß Artikel 8 EMRK an einem Verbleib im Bundesgebiet aufgezeigt.

 

Nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG überwiegt, wie oben dargestellt, das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sein persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet und liegt daher eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vor. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall dringend geboten und ist auch nicht unverhältnismäßig.

 

Die Beschwerde gegen den Erlass einer Rückkehrentscheidung war daher abzuweisen.

 

3.3. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

 

Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

Nach § 50 Abs. 2 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

Nach § 50 Abs. 3 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

Die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach dem Ausgang des Verfahrens über seinen Antrag auf internationalen Schutz und den tragenden Erwägungen dieses Erkenntnisses keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde, zudem gibt es keine Empfehlung iSd Abs. 3 leg.cit.

 

Die Beschwerde gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung war daher abzuweisen.

 

3.4. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides (Frist für die freiwillige Ausreise):

 

Die festgelegte Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung entspricht § 55 Abs. 2 erster Satz FPG.

 

Dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, vorliegen und überwiegen würden, wurde nicht substantiiert vorgebracht. Für die in der Beschwerde beantragte Erstreckung der Frist für die freiwillige Ausreise um knapp eineinhalb Jahre (bis 31.08.2018, vgl. AS 421 links) ist keine ausreichende Rechtfertigung gegeben, da die genannten Veranlassungen auch binnen der 14-tägigen Frist zu bewerkstelligen sind. Es wird auf die bereits getroffenen Ausführungen zu den privaten Bindungen des Beschwerdeführers und der Vorhersehbarkeit der Verpflichtung zum Verlassen des Bundesgebietes verwiesen. Die eingeräumte Frist ist vielmehr angemessen, sodass die Beschwerde auch in diesem Umfang abzuweisen war.

 

Zu A) II.):

 

3.5. Den Ersatz von Verfahrenskosten sieht das VwGVG nur in den besonderen Fällen der Maßnahme- oder Verhaltensbeschwerde vor (§§ 35, 53 VwGVG). Das - in Ermangelung sonstiger Regelungen des VwGVG zum Kostenersatz anzuwendende - AVG (§ 17 VwGVG) normiert als Grundsatz, dass jeder Beteiligte seine Kosten selbst zu tragen hat (§ 74 Abs. 1 AVG). Dieser Grundsatz gilt für sämtliche Parteienkosten, also etwa Anwaltskosten, Kosten für Privatgutachten etc (VwSlg. 16.636 A/2005 mwN). Von diesem Grundsatz abweichende Regelungen können in den Verwaltungsvorschriften zwar vorgesehen sein (§ 74 Abs. 2 AVG), sind aber für die im Beschwerdefall strittige Materie nicht vorhanden. Das Kostenersatzbegehren (AS 308) ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

 

4. Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung

 

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

 

Gemäß § 24 Abs. 1 des VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

 

Nach Abs. 4 leg. cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (in der Folge GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010, S. 389, (2010/C 83/02) entgegenstehen.

 

Gemäß Art. 47 Abs. 1 GRC hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Zufolge des Abs. 2 leg. cit. hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.

 

Nach Art. 52 Abs. 1 GRC muss jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

 

Zur Frage der Verhandlungspflicht brachte der Verfassungsgerichtshof etwa in seinem Erkenntnis vom 14.03.2012, U 466/11, ua. zum Ausdruck, er hege vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichthofs für Menschenrechte (EGMR) zur Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung weder Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 41 Abs. 7 AsylG, noch könne er finden, dass der Asylgerichtshof der Bestimmung durch das Absehen von der Verhandlung einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt habe. Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergebe, dass das Vorbringen tatsachenwidrig sei, stehe im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden habe, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt worden sei.

 

Übertragen auf den vorliegenden Beschwerdefall erfordert ein Unterbleiben einer Verhandlung vor dem BVwG somit, dass aus dem Akteninhalt der belangten Behörde die Grundlage des bekämpften Bescheides unzweifelhaft nachvollziehbar ist.

 

Der VwGH hat zur Frage der Verhandlungspflicht mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 ausgesprochen, dass sich die bisher zu § 67d AVG ergangene Rechtsprechung auf das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten weitgehend übertragen lässt. Für den Anwendungsbereich der vom BFA-VG 2014 erfassten Verfahren ist primär § 21 Abs. 1 und subsidiär § 24 Abs. 4 VwGVG als maßgeblich heranzuziehen. Für die Auslegung der Wendung in § 21 Abs. 7 BFA-VG 2014, "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint", sind nunmehr folgende Kriterien beachtlich: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalte behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG 2014 festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

 

Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch die belangte Behörde vorangegangen. Für die in der Beschwerde behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens ergeben sich aus der Sicht des BVwG keine Anhaltspunkte. Vielmehr wurde den Grundsätzen der Amtswegigkeit, der freien Beweiswürdigung, der Erforschung der materiellen Wahrheit und des Parteiengehörs entsprochen. So ist die belangte Behörde ihrer Ermittlungspflicht durch detaillierte Befragung sowie mehrmalige Belehrung der beschwerdeführenden Partei über ihre Mitwirkungspflichten nachgekommen. Der Sachverhalt wurde nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der belangten Behörde festgestellt und es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet.

 

Mit der Beschwerde wurde daher auf der Sachverhaltsebene nichts Entscheidungsrelevantes mehr vorgebracht, sie beinhaltet ganz überwiegend rechtliche Ausführungen.

 

In der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid wurden die Feststellungen im angefochtenen Bescheid nicht bestritten. Das Bundesverwaltungsgericht legt im Wesentlichen alle von vom Beschwerdeführer zu seinen Gunsten ins Treffen geführten Umstände seiner Entscheidung zugrunde, sodass seinen Angaben gefolgt wurde, und berücksichtigt auch die inzwischen fortgeschrittene Aufenthaltsdauer.

 

In der Beschwerde wurden keine Integrationsaspekte dargetan, die nicht ohnehin der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt wurden, sodass auch insofern keine Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung bestand (vgl. in diesem Zusammenhang zur Nichtverletzung der Verhandlungspflicht VwGH Ra 2016/21/0277 vom 20.10.2016).

 

Dem Bundesverwaltungsgericht liegt sohin kein Beschwerdevorbringen vor, das mit dem Beschwerdeführer mündlich zu erörtern gewesen wäre.

 

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt ist, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung somit unterbleiben.

 

Zu Spruchpunkt B):

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. dazu die jeweils in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur, (insb. zur gewichtigen Gefährdung öffentlicher Interessen durch beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190). Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgekommen.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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