BVwG W191 2101460-4

BVwGW191 2101460-414.1.2019

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §55
AsylG-DV 2005 §4
AsylG-DV 2005 §8
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W191.2101460.4.00

 

Spruch:

W191 2101460-4/5E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Indien, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Klaus Schimik, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.09.2018, Zahl 830901304-171335814, zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 10, 55 Asylgesetz 2005, §§ 46, 52, 53 Fremdenpolizeigesetz 2005 und §§ 4, 8 Asylgesetz-Durchführungsverordnung 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

1. Verfahrensgang:

 

1.1. Vorverfahren:

 

1.1.1. Die Beschwerdeführer (in der Folge BF), XXXX, geboren amXXXX (BF1), und ihr Lebensgefährte XXXX, geboren am XXXX (BF2), sind indische Staatsangehörige und versuchten am 27.06.2013 - unter anderen Identitäten -, am Flughafen Schwechat in Österreich einzureisen. Nach Verweigerung der Einreise stellten sie am 28.06.2013 beim Bundesasylamt (in der Folge BAA) jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

 

1.1.2. In ihrer Erstbefragung am 28.06.2013 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes des Stadtpolizeikommando Schwechat, Sondertransit, gaben die BF im Wesentlichen an, sie stammten aus angegebenen Orten im Bundesstaat Punjab, Indien, seien Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Sikhs und am 26.06.2013 gemeinsam mit dem Flugzeug von Delhi aus mit einem kurzen Zwischenstopp nach Österreich geflogen.

 

Als Fluchtgrund gaben sie an, dass sie heiraten hätten wollen, die Familie der BF1 jedoch aufgrund der Kasten-Unterschiede dagegen gewesen wäre. Man hätte sie töten wollen, weshalb sie beschlossen hätten, das Land zu verlassen.

 

Die BF1 wäre zuhause eingesperrt und geschlagen worden. Man hätte von ihr verlangt, jemand anderen zu heiraten, was sie jedoch abgelehnt hätte. Es wäre ihr gelungen, von zuhause zu flüchten, woraufhin sie gemeinsam das Land verlassen hätten.

 

1.1.3. Zulassungsverfahren:

 

Das Zulassungsverfahren wurde in der Erstaufnahmestelle (EAST) Flughafen geführt (Flughafenverfahren).

 

Laut Aktenvermerk des Sicherheitspolizeikommando Schwechat, Grenzkontrolle, vom 27.06.2013 konnte in Erfahrung gebracht werden, dass zwei Passagiere, welche am 27.06.2013 mit Flug OS 636 aus Larnaca (Zypern) nach Wien angereist waren, nämlich die BF1 und der BF2, ihre Flüge OS 033 nach Delhi nicht angetreten hatten. Mit Kamerarückverfolgung hätte die Einreise der BF mit diesem Flug wahrgenommen werden können.

 

Am 02.07.2013 wurden die BF vom BAA, EAST Flughafen, einvernommen.

 

Dabei gab der BF2 an, dass er von Delhi nach Zürich geflogen wäre. Das hätte ihm jedenfalls der Schlepper so erzählt, er selbst wisse nicht, wo sie zwischengelandet wären. Auf Vorhalt, dass er von Zypern kommend mit einem indischen Reisepass, lautend auf XXXX, geboren am XXXX (wobei im Einvernahmeprotokoll irrtümlicherweise der XXXX angegeben wurde), eingereist wäre, entgegnete der BF2, dass dies der Schlepper organisiert hätte. In Zypern wäre er jedenfalls nicht gewesen.

 

Die BF1 gab an, dass sie vom Flug nicht viel mitbekommen hätte, da ihr schlecht gewesen wäre. Auf Vorhalt, dass sie von Zypern kommend mit einem indischen Reisepass, lautend auf XXXX, geboren am XXXX, eingereist wäre, entgegnete die BF1, dass sie dazu nichts angeben könne. Auch kenne sie keinen XXXX.

 

Der im Rahmen von Konsultationen gemäß Dublin-Übereinkommen (betreffend die Zuständigkeit für das Asylverfahren der BF) um Aufnahme ersuchte Mitgliedsstaat Zypern erteilte am 19.07.2013 seine Zustimmung dazu.

 

1.1.4. Mit Bescheiden vom 23.07.2013 wies das BAA die Anträge der BF auf internationalen Schutz vom 28.06.2013, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück und sprach aus, dass für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-Verordnung Zypern zuständig sei.

 

1.1.5. Gegen diese Bescheide brachten die BF fristgerecht Beschwerde beim Asylgerichtshof ein.

 

Dabei legte der BF2 eine Bestätigung des Bürgermeisters von XXXXvom 10.05.2011 (im Bescheid als Geburtsurkunde bezeichnet) vor, derzufolge er Einwohner dieser Gemeinde sei und nichts Nachteiliges gegen ihn vorliege.

 

1.1.6. In der Folge wurde den BF nach einer telefonischen Auskunft seitens des Asylgerichtshofes, wonach den Beschwerden stattgegeben werden würde, am 08.08.2013 die Einreise gestattet.

 

1.1.7. Mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 27.12.2013, Zahlen S2 436.897-1/2013/6E und S2 436.898-1/2013/6E, wurde den angeführten Beschwerden stattgegeben und die bekämpften Bescheide behoben.

 

Daraufhin wurden die BF wurde unter Ausfolgung von Aufenthaltsberechtigungskarten gemäß § 51 AsylG zum Asylverfahren zugelassen.

 

1.1.8. Bei ihrer Einvernahme am 16.09.2014 vor dem nunmehr zuständigen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA), Regionaldirektion Niederösterreich, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Punjabi, führten die BF im Wesentlichen ihr Fluchtvorbringen aus der Erstbefragung etwas näher aus, wobei sie an den zuerst angegebenen - und nicht den aktuellen - Identitäten (Namen und Geburtsdaten) festhielten.

 

Sie hätten sich im Jahr 2010 bei einer Hochzeitsfeier kennengelernt und heiraten wollen, doch die Eltern der BF1 seien wegen der unterschiedlichen Kastenzugehörigkeit dagegen gewesen. Sie sei geschlagen und bedroht worden. Die BF1 gab weiters an, sie sei schwanger gewesen und habe ihr Kind verloren, sie sei bei einer namentlich genannten medizinischen Einrichtung und im AKH [Wien] gewesen, jetzt gehe es ihr gesundheitlich wieder gut. Sie habe am 20.06.2013 von zu Hause flüchten können, nachdem sie ca. sechs Wochen lang zu Hause eingesperrt gewesen sei. All ihre Dokumente habe sie dem BF2 schon zu Beginn ihrer Beziehung gegeben. Jetzt habe sie nur mehr die Kopie ihrer Geburtsurkunde, den Rest habe ihr der Schlepper abgenommen.

 

Dem BF2, der angegeben hatte, er verteile Werbematerial von Restaurants, wurde vorgehalten, dass er ohne arbeitsmarktrechtliche Bewilligung als Fahrer für einen Landsmann tätig gewesen sei, wozu er angab, er sei lediglich mitgefahren.

 

Abschließend wurden den BF Länderfeststellungen zu Indien ausgehändigt und ihnen eine Frist für eine schriftliche Stellungnahme eingeräumt.

 

1.1.9. Zu den ihnen bei der Einvernahme ausgefolgten Länderberichten zu Indien brachten die BF am 17.10.2014 ein Konvolut an Berichten betreffend die Lage der Frauen in Indien bzw. zu Beziehungen, die gegen den Willen der Familie geschlossen werden, ein und legten eine handschriftlich in Hindi verfasste Stellungnahme vor, die auf amtliche Veranlassung ins Deutsche übersetzt wurde.

 

Darin wurde das Fluchtvorbringen der BF im Wesentlichen wiederholt und vorgebracht, dass es zu Bedrohungen durch die Familie der BF1 gekommen wäre. Die Familienmitglieder wären mit der Dorfgemeinde gekommen und hätten vom BF2 verlangt, die BF1 zu verlassen, ansonsten würden sie alle umgebracht werden. Der Hauptgrund für das Verlassen der Heimat sei "Khap Panchayat". Dies sei ein einflussreiches Komitee in Haryana, gegen welches weder die Regierung noch die Polizei etwas unternehmen könne. Es sei ein Sondergemeinderat, und man müsse dessen Entscheidungen akzeptieren. Von diesem Rat würden Heiraten zwischen Angehörigen verschiedener Kasten nicht zugelassen werden. Hätten die BF das Land nicht verlassen, so wären sie womöglich nicht mehr am Leben. Zwar hätten sie sich vor ihren Familien verstecken können, die Leute des "Khap Panchayat" hätten sie jedoch gefunden und getötet.

 

1.1.10. In der Folge wurden vom BFA bei einem Ländersachverständigen Ermittlungen an den vom BF2 sowie seiner Lebensgefährtin behaupteten Herkunftsorten in Auftrag gegeben. Diese Recherchen ergaben, dass die Angaben der BF in keiner Weise verifiziert werden konnten. Sie waren dort unbekannt.

 

Auch die von der BF1 angegebene Inanspruchnahme einer medizinischen Einrichtung stellte sich nach Überprüfung als unzutreffend dar. Die BF1 war dort nicht bekannt.

 

1.1.11. Bei ihrer weiteren Einvernahme am 19.01.2015 vor dem BFA, Regionaldirektion Niederösterreich, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Punjabi, wurden die BF mit dem Ergebnis der Ermittlungen konfrontiert, wozu sie sich nicht konkret äußerten.

 

1.1.12. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit im Wesentlichen gleichlautenden Bescheiden vom 29.01.2015, Zahlen 830901304-1679079 und 830901609-1679044, die Anträge der BF auf internationalen Schutz vom 28.06.2013 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihnen den Status von Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidungen (in Spruchpunkt III.) gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge FPG). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 oder 55 AsylG wurden ihnen nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebungen der BF nach Indien gemäß § 46 FPG zulässig seien. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise der BF "zwei Wochen" [Anmerkung: richtig 14 Tage] ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

 

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person der BF und zur Lage in ihrem Herkunftsstaat.

 

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG lägen nicht vor, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe ihr Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen, und es komme daher auch die Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß § 55 AsylG nicht in Betracht.

 

Das BFA beurteilte das Fluchtvorbringen der BF als unstimmig und tatsachenwidrig. Es stehe in grobem Widerspruch zu den Ergebnissen einer Recherche vor Ort in Indien und in Österreich.

 

1.1.13. Gegen diese Bescheide brachten die BF mit undatierten Schreiben ihres gewillkürten Vertreters vom 17.02.2015 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein, mit dem die Bescheide gesamtinhaltlich angefochten wurden.

 

Die BF hätten ein ausreichend ausführliches und glaubwürdiges Vorbringen erstattet, welches Asylrelevanz entfalte. Sie hätten genaue chronologische, örtliche und personelle Angaben machen können sowie genaue Aussagen zu den bisherigen Lebensläufen und den Lebensverhältnissen getätigt. Unbeschadet der Frage der Glaubwürdigkeit der Identität hätte sich die Erstbehörde mit dem Kern des Vorbringens beschäftigen und daran die Asylrelevanz messen müssen. Ein staatlicher Schutz bestehe nicht, ebenso keine Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative.

 

Die BF seien arbeitsame, freundliche und integrationswillige Menschen und hätten das Erlernen der deutschen Sprache bereits in Angriff genommen. Durch das Wohlverhalten und den demonstrativen Willen zur Integration am Arbeitsmarkt könne eine äußerst günstige Prognose zum weiteren Aufenthalt in Österreich getroffen werden.

 

1.1.14. Mit im Wesentlichen gleichlautenden Erkenntnissen vom 01.06.2015, W191 2101459-1/4E (BF1) und W191 2101460-1/E3 (BF2), wies das BVwG diese Beschwerden gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 Z 1, 10 Abs. 1 Z 3, 55 und 57 AsylG sowie §§ 52 und 55 FPG als unbegründet ab.

 

In der Erkenntnisbegründung stellte das BVwG fest, die Identität, die genaue Herkunftsregion und die Familienverhältnisse der BF in Indien stehe nicht fest. Sie seien jung, im erwerbsfähigen Alter, bei guter Gesundheit und arbeitsfähig und hätten in Indien jedenfalls ein Fortkommen.

 

Die vorgebrachte Fluchtgeschichte habe das BFA - wie auch die Identität der BF - nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens - insbesondere der Recherche vor Ort - zu Recht als nicht glaubhaft gemacht beurteilt.

 

1.1.15. Am 27.09.2016 wurden die BF vor dem BFA, Regionaldirektion Wien, im Beisein ihres damaligen anwaltlichen Vertreters, niederschriftlich einvernommen und auf ihre Ausreisepflicht hingewiesen.

 

1.1.16. Die BF stellten am 15.10.2015 und 16.12.2016 jeweils Folgeanträge auf internationalen Schutz und brachten in diesen Verfahren im Wesentlichen dasselbe vor, das sie schon im o.a. Verfahren angegeben hatten.

 

Zwischenzeitlich schon einmal gestellte Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln wurden mit 14.02.2017 wegen neuerlicher Stellung von Anträgen auf internationalen Schutz wieder zurückgezogen.

 

Diese Anträge auf internationalen Schutz wurden jeweils mit Bescheiden des BFA vom 17.12.2015 - jeweils bestätigt mit Erkenntnissen des BVwG vom 24.03.2016, W202 21014659-2/4E und W202 2101460-2/4E - sowie mit Bescheiden des BFA vom 10.09.2017 - jeweils bestätigt mit Erkenntnissen des BVwG vom 25.10.2017, W169 2101460-3/2E und W169 2101459-3/2E - gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache als unzulässig zurückgewiesen. Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG wurden nicht erteilt.

 

Mit letzteren Entscheidungen wurden Rückkehrentscheidungen gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 in Verbindung mit § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und war lediglich die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln und die Erlassung von Rückkehrentscheidungen beim BVwG angefochten geworden.

 

Höchstgerichte des öffentlichen Rechts wurden gegen all diese Entscheidungen nicht angerufen.

 

1.2. Gegenständliche Verfahren:

 

1.2.1. Mit Schreiben ihres nunmehrigen anwaltlichen gewillkürten Vertreters vom 24.11.2017 bzw. mit (teilweise) ausgefüllten Formularen (Schreibfehler im Original): "Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK, Aufrechterhaltung des Privat und Familienlebens", angekreuzt "a) gemäß § 55 Abs. 1 AsylG: Aufenthaltsberechtigung plus wenn [...] Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt", datiert mit und persönlich abgegeben am 30.11.2017, stellten die BF Anträge auf Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG. Dem Schreiben des Vertreters waren ein Mietvertrag, ein GISA-Auszug sowie ein Werkvertrag bezüglich Erwerbstätigkeiten, Meldebestätigungen, E-Card-Kopien sowie Sprachzertifikate A2 beigelegt.

 

1.2.2. Mit Schreiben des BFA vom 30.11.2017 (Verbesserungsauftrag) wurden die BF aufgefordert, binnen vier Wochen ein "gültiges Reisedokument (Original und Kopie und Übersetzung)" sowie eine "Geburtsurkunde (Original und Kopie und Übersetzung) oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument (Original und Kopie und Übersetzung)" vorzulegen oder einen begründeten Antrag auf Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV unter Nachweis, dass die Beschaffung nicht möglich oder nicht zumutbar sei, einzubringen.

 

1.2.3. Die BF teilten mit Schreiben ihres Vertreters dazu mit, dass die Ausstellung der geforderten Geburtsurkunden und Reisedokumente bereits beantragt worden sei. Die Dokumente müssten erst in Indien ausgefertigt werden. Diesbezüglich werde ersucht, die gesetzte Frist bis 28.02.2018 zu erstrecken.

 

1.2.4. Bei ihrer gemeinsamen Einvernahme am 01.02.2018 vor dem BFA, Regionaldirektion Wien, in deutscher Sprache, im Beisein ihres Vertreters, wurde der bisherige Verfahrensablauf kurz zusammengefasst niederschriftlich festgehalten.

 

Die BF gaben an, sie hätten einen Reisepass bei der Botschaft beantragt, diesbezüglich fehle aber noch eine Geburtsurkunde.

 

Den BF wurde eine Frist von drei Monaten zur Beibringung der fehlenden Unterlagen - Reisepass, Geburtsurkunde (mit beglaubigter Übersetzung), Bestätigung der Krankenversicherung und ÖSD-Prüfungszeugnis - gewährt. Sollten die genannten Urkunden beigebracht werden, könnten die BF mit der Ausstellung einer Aufenthaltsberechtigung rechnen, ansonsten sei eine Abweisung der Anträge zu erwarten, zumal die BF auch keine familiären und sozialen Bindungen zu Österreich vorweisen könnten.

 

Sollten sie die Unterlagen nicht beibringen, wurden die BF auch aufgefordert, die Formulare zur Erlangung von Heimreisezertifikaten, die dem Vertreter übergeben wurden, ausgefüllt vorzulegen.

 

1.2.5. Mit Schreiben ihres Vertreters vom 07.05.2018 legten die BF die Kopie des indischen Führerscheins der BF1 und zwei Empfehlungsschreiben österreichischer Bekannter vor. Zum Reisepass wurde bekanntgegeben, dass ein solcher durch die Botschaft Indiens in Österreich derzeit nicht, sondern erst nach Erteilung des entsprechenden Aufenthaltstitels ausgestellt werde.

 

Es werde daher beantragt, "die Frist zur Vorlage des Reisepasses bis nach Erteilung des Aufenthaltstitels zu erstrecken" bzw. von der Verpflichtung zur Vorlage eines Reisepasses abzusehen.

 

1.2.6. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 25.06.2018, 13 U 97/18a, wurde der BF2 wegen § 223 Abs. 2 StGB (Strafgesetzbuch, Urkundenfälschung, Verwendung eines gefälschten indischen Führerscheins am 26.07.2017 in 1030 Wien) rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen a 4 Euro verurteilt.

 

1.2.7. Mit gegenständlich angefochtenen, im Wesentlichen gleichlautenden Bescheiden vom 17.09.2018 wies das BFA nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens die Anträge der BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) vom 30.11.2017 gemäß § 55 AsylG ab (Spruchpunkt I.) und erließ gegen sie gemäß § 10 AsylG in Spruchpunkt II. Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 3 FPG. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF nach Indien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). In Spruchpunkt IV. wurde einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

 

In Spruchpunkt V. wurde gegen die BF gemäß § 53 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 FPG ein auf die Dauer von 18 Monaten befristetes Einreiseverbot erlassen. In Spruchpunkt VI. wurden die Anträge der BF auf Mängelheilung vom 07.05.2018 gemäß § 4 Abs.1 in Verbindung mit § 8 AsylG-DV 2005 abgewiesen.

 

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person der BF und zur Lage in ihrem Herkunftsstaat. Die Identität der BF stehe nicht fest, eine gesundheitliche Beeinträchtigung liege nicht vor. Der Aufenthalt der BF in Österreich sei unrechtmäßig.

 

Es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung der BF nach Indien. Im Falle der Rückkehr drohe ihnen keine existenzgefährdende Gefahr. Der Erlassung von Rückkehrentscheidungen stehe ihr Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Die BF hätten zwar Aktivitäten zur Integration im Bundesgebiet gesetzt (Sprache, Wohnung, Erwerbstätigkeit), im Hinblick auf die kurze Zeit ihres Aufenthaltes in Österreich könne aber "von einer Integration, bezogen auf die österreichische Kultur und österreichische Gesellschaft [...] hier nicht ausgegangen werden".

 

Eine Abwägung der öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen und dessen Beachtung mit den Interessen der BF, die mehrfach negativ beschiedene Anträge gestellt und mehrfach eingeräumte Fristen zur Nachbringung diverser Unterlagen nicht genützt hätten, ergebe ein Überwiegen der öffentlichen Interessen an einer Beendigung des Aufenthaltes der BF im Bundesgebiet.

 

Die Erlassung der Rückkehrentscheidungen sei im Hinblick auf die Zurückweisung der gegenständlichen Anträge vorzunehmen gewesen. Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diese sei aufgrund des Fehlverhaltens und des beharrlichen illegalen Verbleibens im Bundesgebiet und damit verbundenen Missachtens der behördlichen Entscheidungen abzuerkennen gewesen. Aus diesen Gründen seien auch Einreiseverbote im angeführten Ausmaß festzusetzen gewesen, um der massiven Bedrohung der öffentlichen Ordnung durch das wissentliche und absichtliche Agieren der BF entgegen den Vorschriften der österreichischen Rechtsordnung entgegenzuwirken.

 

Die Abweisung der Mängelheilungsanträge begründete die belangte Behörde damit, dass es den BF zumutbar sei, die Ausstellung von Reisedokumenten bei der indischen Botschaft zu beantragen, zumal es ihr bekannt sei, dass diese gewillt sei, Reisedokumente für ihre Staatsangehörigen auszustellen.

 

1.2.8. Gegen diese Bescheide brachten die BF mit Schreiben ihres Vertreters vom 18.10.2018 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim BVwG wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtigen sowie unvollständigen Tatsachenfeststellungen sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung ein, und die Anberaumung einer Beschwerdeverhandlung beantragt.

 

In der Beschwerdebegründung wurde im Wesentlichen - neben einer kurzen Wiederholung bereits gemachter Aussagen - lediglich moniert, dass die Ausführungen in der Bescheidbegründung bezüglich Aktualität der E-Card und bezüglich der strafgerichtlichen Verurteilung des BF2 nicht zutreffend seien.

 

1.2.9. Am 26.11.2018 langte beim BVwG eine Mitteilung der Landespolizeidirektion Wien ein, wonach über den BF am 04.06.2018 wegen Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung, darunter Lenken eines KFZ ohne gültige Lenkberechtigung mit Strafverfügung vom 17.08.2018 eine Geldstrafe von 439 Euro verhängt worden war.

 

2. Beweisaufnahme:

 

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

 

* Einsicht in die dem BVwG vorliegenden Gerichtsakten sowie Verwaltungsakten und Vorakten des BAA bzw. des BFA, beinhaltend insbesondere die Niederschriften der Einvernahmen der BF, die gegenständlich angefochtenen Bescheide des BFA vom 17.09.2018 sowie die gegenständlichen Beschwerden vom 18.10.2018

 

* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat der BF im erstbehördlichen Verfahren (offenbar Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Seiten 6 bis 47 im Bescheid betreffend die BF1)

 

Die BF haben seit ihrem Aufenthalt im Österreich im Jahr 2013 den Behörden keine unbedenklichen Dokumente bezüglich ihrer Identität vorgelegt.

 

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

 

Das BVwG geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen, glaubhaft gemachten Sachverhalt aus:

 

3.1. Zur Person der BF:

 

Die BF führen in Österreich seit einigen Jahren (vorher hatten sie andere Identitäten angegeben) die Namen XXXX, geboren am XXXX (BF1), undXXXX, geboren am XXXX (BF2). Ihre Identitäten stehen nicht fest.

 

Die BF sind indische Staatsangehörige, stammen nach ihren Angaben aus dem Bundesstaat Punjab, bekennen sich zur Religionsgemeinschaft der Sikhs und sind ledig.

 

Sie leben im gemeinsamen Haushalt und beabsichtigen nach eigenen Angaben, miteinander die Ehe zu schließen. Sie haben - wenn auch nicht hinreichend belegt - Grundkenntnisse der deutschen Sprache erworben und sind selbständig erwerbstätig und sozialversichert.

 

Die BF haben Empfehlungsschreiben von Bekannten vorgelegt.

 

Eine Integration der BF in Österreich in besonderem Ausmaß liegt nicht vor.

 

Die BF verfügen über keine Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet.

 

3.2. Zu einer möglichen Rückkehr der BF in den Herkunftsstaat:

 

Den BF würde derzeit bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat Indien kein unzulässiger Eingriff in ihre Rechte gemäß Art. 2 und 3 EMRK (körperliche Unversehrtheit) oder in ihre Rechte gemäß Art. 8 EMRK (Schutz des Privat- und Familienlebens) drohen.

 

3.3. Zur Lage im Herkunftsstaat der BF:

 

Zur allgemeinen Lage in Indien bzw. im Bundesstaat Punjab (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA vom 09.01.2017, Schreibfehler teilweise korrigiert):

 

Überblick über die politische Lage:

 

Indien ist mit über 1,2 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA Factbook 12.12.2016; vgl. auch: AA 16.08.2016, BBC 27.09.2016). Die - auch sprachliche - Vielfalt Indiens wird auch in seinem föderalen politischen System reflektiert, in welchem die Macht von der Zentralregierung und den Bundesstaaten geteilt wird (BBC 27.09.2016). Die Zentralregierung hat deutlich größere Kompetenzen als die Regierungen der Bundesstaaten (AA 9 .2016a). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 13.04.2016). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 9 .2016a).

 

Die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung entspricht britischem Muster (AA 16.08.2016), der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist durchgesetzt (AA 9 .2016a). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit, die über einen dreistufigen Instanzenzug verfügt, ist verfassungsmäßig garantiert (AA 16.08.2016).

 

Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 13.04.2016). Die Legislative besteht aus einer Volkskammer (Lok Sabha) und einer Staatenkammer (Rajya Sabha). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Bundesstaatsebene (AA 16.08.2016).

 

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister Leiter der Regierung ist (USDOS 13.04.2016). Das Präsidentenamt bringt vor allem repräsentative Aufgaben mit sich, im Krisenfall verfügt der Präsident aber über weitreichende Befugnisse. Seit Juli 2012 ist Präsident Pranab Kumar Mukherjee indisches Staatsoberhaupt (AA 9 .2016a). Das wichtigste Amt innerhalb der Exekutive bekleidet aber der Premierminister (GIZ 11.2016).

 

Die seit 2014 im Amt befindliche neue Regierung will nicht nur den marktwirtschaftlichen Kurs fortsetzen, sondern ihn noch intensivieren, indem bürokratische Hemmnisse beseitigt und der Protektionismus verringert werden soll. Ausländische Investoren sollen verstärkt aktiv werden (GIZ 12.2016).

 

Sicherheitslage:

 

Indien ist reich an Spannungen entlang von Ethnien, Religionen, Kasten und auch Lebensperspektiven. Widersprüche, Gegensätze oder Konflikte entladen sich in den gesellschaftlichen Arenen und werden von der Politik aufgegriffen, verarbeitet und teilweise instrumentalisiert (GIZ 11.2016). Blutige Terroranschläge haben in den vergangenen Jahren in Indiens Millionen-Metropolen wiederholt Todesopfer gefordert (Eurasisches Magazin 24.5.2014). Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (GIZ 11.2016). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt (AA 16.08.2016).

 

Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011 Mumbai, September 2011 New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 Chennai und Dezember 2014 Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt, und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.04.2015). Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2011 1.073 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt, für das Jahr 2012 803, für das Jahr 2013 885, für das Jahr 2014 976, für das Jahr 2015 722 und für das Jahr 2016 835 [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 09.01.2017).

 

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Ermordungen und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer) zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People's Liberation Front etc.). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, vielmehr als "communal violence" bezeichnet (ÖB 12.2016).

 

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 16.08.2016).

 

Justiz:

 

In Indien sind viele Grundrechte und -freiheiten verfassungsmäßig verbrieft, und die verfassungsmäßig garantierte unabhängige indische Justiz bleibt vielmals wichtiger Rechtegarant. Die häufig lange Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie verbreitete Korruption, vor allem im Strafverfahren, schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (AA 16.08.2016; vgl. auch:

USDOS 13.04.2016). Eine generell diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption (AA 24.04.2015).

 

Das Gerichtswesen ist auch weiterhin überlastet, und der Rückstau bei Gericht führt zu langen Verzögerungen oder der Vorenthaltung von Rechtsprechung. Eine Analyse des Justizministeriums ergab mit 01.08.2015 eine Vakanz von 34% der Richterstellen an den Obergerichten (USDOS 13.04.2016). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre. Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft. Dies führt dazu, dass Zeugen vor Gericht häufig nicht frei aussagen, da sie bestochen oder bedroht worden sind (AA 16.08.2016; vgl. auch: USDOS 13.04.2016).

 

Sicherheitsbehörden:

 

Die indische Polizei (Indian Police Service) ist keine direkte Strafverfolgungs- oder Vollzugsbehörde (BICC 6.2016) und untersteht den Bundesstaaten (AA 16.08.2016). Sie fungiert vielmehr als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten. Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert. Die einzelnen Einheiten haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreicher nationaler Strafrechte und der zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus. Innerhalb der Polizei gibt es eine Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department - CID), in die wiederum eine Sondereinheit (Special Branch) integriert ist. Während erstere mit nationalen und bundesstaatenübergreifenden Verbrechen betraut ist, hat die Sondereinheit Informationsbeschaffung und Überwachung jeglicher subversiver Elemente und Personen zur Aufgabe. In fast allen Bundesstaaten sind spezielle Polizeieinheiten aufgestellt worden, die sich mit Frauen und Kindern beschäftigen. Kontrolliert wird ein Großteil der Strafverfolgungsbehörden vom Innenministerium (Ministry of Home Affairs) (BICC 6.2016).

 

Ein Mangel an Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Polizei entsteht neben den strukturellen Defiziten auch durch häufige Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie Folter, außergerichtliche Tötungen und Drohungen, die mutmaßlich durch die Polizei verübt wurden (BICC 6.2016; vgl. auch: USDOS 13.04.2016). Die Polizei bleibt weiterhin überlastet, unterbezahlt und politischem Druck ausgesetzt, was in einigen Fällen zu Korruption führt. (USDOS 13.04.2016). Versprochene Polizeireformen verzögerten sich 2015 erneut (HRW 27.01.2016).

 

Die Effektivität der Strafverfolgung und der Sicherheitskräfte ist im gesamten Land sehr unterschiedlich ausgeprägt. Während es einerseits Fälle von Polizisten/Beamten gibt, die auf allen Ebenen ungestraft handeln, so gab es andererseits auch Fälle, in denen Sicherheitsbeamte für ihre illegalen Handlungen zur Verantwortung gezogen wurden (USDOS 13.04.2016).

 

Das indische Militär ist der zivilen Verwaltung unterstellt und hat in der Vergangenheit wenig Interesse an einer politischen Rolle gezeigt. Der Oberbefehl obliegt dem Präsidenten. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Armee zwar die "Beschützerin der Nation", aber nur im militärischen Sinne (BICC 6.2016). Das Militär kann im Inland eingesetzt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit notwendig ist (AA 16.08.2016; vgl. auch: BICC 6.2016), wie etwa beim Kampf gegen bewaffnete Aufständische, der Unterstützung der Polizei und der paramilitärischen Einheiten sowie dem Einsatz bei Naturkatastrophen (BICC 6.2016).

 

Für den Einsatz von Streitkräften - vor allem von Landstreitkräften - in Unruhegebieten und gegen Terroristen wird als Rechtsgrundlage der "Armed Forces Special Powers Act" (AFSPA) herangezogen. Der AFSPA gibt den Streitkräften weitgehende Befugnisse zum Gebrauch tödlicher Gewalt, zu Festnahmen ohne Haftbefehl und Durchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl. Bei ihren Aktionen genießen die Handelnden der Streitkräfte weitgehend Immunität vor Strafverfolgung. Der AFSPA kommt zur Anwendung, nachdem Regierungen der Bundesstaaten ihre Bundesstaaten oder nur Teile davon auf der Basis des "Disturbed Areas Act" zu "Unruhegebieten" erklären. Als Unruhegebiete gelten zurzeit der Bundesstaat Jammu und Kaschmir und die nordöstlichen Bundesstaaten Arunachal Pradesh, Assam, Meghalaya, Manipur, Mizoram und Nagaland (AA 16.08.2016 vgl. USDOS 25.06.2015).

 

Die unter anderem auch in den von linksextremistischen Gruppen (sog. Naxaliten) betroffenen Bundesstaaten Zentralindiens eingesetzten paramilitärischen Einheiten Indiens unterstehen zu weiten Teilen dem Innenministerium (AA 16.08.2016). Dazu zählen insbesondere die National Security Guard (Nationale Sicherheitspolizei NSG), eine aus Angehörigen des Heeres und der Polizei zusammengestellte Spezialtruppe für Personenschutz, auch als "Black Cat" bekannt, die Rahtriya Rifles, eine Spezialtruppe zum Schutz der Verkehrs- und Nachrichtenverbindungen bei inneren Unruhen und zur Bekämpfung von bewaffneten Rebellionen, die Central Reserve Police Force (CRPF) - die Bundesreservepolizei, eine militärisch ausgerüstete Polizeitruppe für Sondereinsätze -, die Border Security Force (BSF - Bundesgrenzschutz), als größte und am besten ausgestattete Miliz zum Schutz der Grenzen zu Pakistan, Bangladesh und Myanmar. Sie wird aber auch zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in anderen Landesteilen eingesetzt. Weiters zählen die Assam Rifles - zuständig für Grenzverteidigung im Nordosten -, die Indo-Tibetan Border Force (ITBP) als Indo-Tibetische Grenzpolizei sowie die Küstenwache, die Railway Protective Force zum Schutz der nationalen Eisenbahn und die Central Industrial Security Force, zum Werkschutz der Staatsbetriebe dazu (ÖB 12.2016). Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 16.08.2016).

 

Die Grenzspezialkräfte ("Special Frontier Force)" unterstehen dem Büro des Premierministers. Die sogenannten Grenzspezialkräfte sind eine Eliteeinheit, die an sensiblen Abschnitten der Grenze zu China eingesetzt werden. Auch für das Handeln der Geheimdienste, das sogenannte Aufklärungsbüro ("Intelligence Bureau" - Inlandsgeheimdienst) und den Forschungs- und Analyseflügel ("Research and Analysis Wing" - Auslandsgeheimdienst), bestehen gesetzliche Grundlagen (AA 24.04.2015; vgl. auch USDOS 25.06.2015).

 

Der "Unlawful Activities (Prevention) Act" (UAPA) wurde verschärft. Die Änderungen beinhalten u.a. eine erweiterte Terrorismusdefinition und in Fällen mit Bezug zu Terrorismus die Möglichkeit zur Ausweitung der Untersuchungshaft ohne Anklage von 90 auf 180 Tage und erleichterte Regeln für den Beweis der Täterschaft eines Angeklagten (die faktisch einer Beweislastumkehr nahekommen) (AA 24.04.2015).

 

Allgemeine Menschenrechtslage:

 

Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 16.08.2016). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt. Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB 12.2016). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet (AA 16.08.2016). Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien, z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, aber ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u. a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt.

 

Die wichtigsten Menschenrechtsprobleme sind Missbrauch durch Polizei und Sicherheitskräfte einschließlich außergerichtlicher Hinrichtungen, Folter und Vergewaltigung. Korruption bleibt weit verbreitet und trägt zur ineffektiven Verbrechensbekämpfung, insbesondere auch von Verbrechen gegen Frauen, Kinder und Mitglieder registrierter Kasten und Stämme sowie auch gesellschaftlicher Gewalt aufgrund von Geschlechts-, Religions-, Kasten- oder Stammeszugehörigkeit bei (USDOS 13.04.2016).

 

Die Menschenrechtslage ist in Indien regional sehr unterschiedlich (BICC 6.2016), eine verallgemeinernde Bewertung kaum möglich:

Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt (AA 16.08.2016). Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen in Indien bleiben tiefverwurzelte soziale Praktiken wie nicht zuletzt das Kastenwesen (AA 16.08.2016). Frauen, Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten sowie niedriger Kasten werden systematisch diskriminiert (BICC 6.2016). Während die Bürger- und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in den Regionen dort, wo es interne Konflikte gibt, teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu. Den Sicherheitskräften, aber auch den nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen, seien es separatistische Organisationen oder regierungstreue Milizen, werden massive Menschenrechtsverletzungen angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entführungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hinrichtungen vorgeworfen. Insbesondere hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu Tausenden von Todesfällen führten, wird den Sicherheitskräften Parteilichkeit vorgeworfen Die Stimmung wird durch hindunationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 6.2016).

 

Separatistische Rebellen und Terroristen in Jammu und Kaschmir, den nordöstlichen Bundesstaaten und im Maoistengürtel begehen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, darunter Morde an Zivilisten, Polizisten, Streitkräften und Regierungsbeamten. Aufständische sind für zahlreiche Fälle von Entführung, Folter, Vergewaltigung, Erpressung und den Einsatz von Kindersoldaten verantwortlich (USDOS 13.04.2016).

 

Die Behörden verstoßen auch weiterhin gegen die Privatsphäre der Bürger. In manchen Bundesstaaten schränkt das Gesetz die religiöse Konversion ein, und es gibt Berichte von Verhaftungen, aber keine Verurteilungen nach diesem Gesetz. Manche Einschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit dauern an (USDOS 13.04.2016).

 

Im Oktober 1993 wurde die Nationale Menschenrechtskommission (National Human Rights Commission - NHRC) gegründet. Ihre Satzung beinhaltet den Schutz des Menschenrechtgesetzes aus dem Jahre 1993. Die Kommission verkörpert das Anliegen Indiens für den Schutz der Menschenrechte. Sie ist unabhängig und wurde durch ein Umsetzungsgesetz des Parlaments gegründet. Die NHRC hat die Befugnis eines Zivilgerichtes (NHRC o.D.). Die NHRC empfiehlt, dass das Kriminalermittlungsbüro alle Morde, in denen die angeblichen Verdächtigen während ihrer Anklage, Verhaftung, oder bei ihrem Fluchtversuch getötet wurden, untersucht. Viele Bundesstaaten sind diesem unverbindlichen Rat nicht gefolgt und führten interne Revisionen im Ermessen der Vorgesetzten durch. Die NHRC-Richtlinien weisen die Bundesstaatenregierungen an, alle Fälle von Tod durch Polizeihandlung binnen 48 Stunden an die NHRC zu melden, jedoch hielten sich viele Bundesstaatenregierungen nicht an diese Richtlinien. Die NHRC forderte von den Bundesstaatenregierungen, den Familien von Opfern eine finanzielle Kompensation zu bieten, aber die Bundesstaatenregierungen erfüllten diese Richtlinien nicht konsequent. Die Behörden haben die Streitkräfte nicht dazu aufgefordert, Todesfälle während der Haft an die NHRC zu melden (USDOS 13.04.2016).

 

Bewegungsfreiheit:

 

Das Gesetz gewährt landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 13.04.2016). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt. Abgesehen davon ist Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes gewährleistet (AA 16.08.2016).

 

Die Regierung lockerte Einschränkungen in Bezug auf Reisen nach Arunachal Pradesh, Nagaland, Mizoram, Manipur und Teilen von Jammu und Kaschmir, außer für Ausländer aus Pakistan, China und Burma. Das Innenministerium und die Bundesstaatenregierungen verlangen, vor Reiseantritt von den Bürgern spezielle Genehmigungen einzuholen, um in bestimmte gesperrte Regionen bzw. Sperrzonen zu reisen. Die Sicherheitskräfte untersuchen Wagen und deren Inhaber bei Checkpoints im Kaschmirtal, vor öffentlichen Veranstaltungen in Neu Delhi oder nach großen terroristischen Angriffen (USDOS 13.04.2016).

 

Die Regierung darf die legale Ausstellung eines Passes an einen Anwärter, von dem geglaubt wird, dass er in Aktivitäten außerhalb des Landes verwickelt ist, die "schädlich für die Souveränität und Integrität der Nation" sind, verweigern. Bürger von Jammu und Kaschmir sind auch weiterhin mit massiven Verzögerungen bei der Ausstellung eines Passes konfrontiert, oft dauert es bis zu zwei Jahre, bis ihnen das Außenministerium einen Pass ausstellt oder erneuert. Die Regierung setzt Antragsteller - geboren in Jammu und Kaschmir -, darunter auch Kinder von Militäroffizieren, Berichten zufolge zusätzlichen Kontrollen aus, bevor sie einen Pass erhalten (USDOS 16.08.2016).

 

Mit dem geplanten Datenverbundsystem für die zentralen Sicherheitsbehörden und die Unionsstaaten, Crime and Criminal Tracking Network System (CCTNS), soll künftig ein Informationsaustausch auf allen Ebenen gewährleistet sein. Für 2012 war eine Anbindung von 15.000 Polizeistationen und 6.000 übergeordneten Stellen vorgesehen. Die Umsetzung des ambitionierten Vorhabens liegt jedoch weit hinter dem ursprünglichen Zeitplan (AA 03.03.2014).

 

Indien ist das siebtgrößte Land der Erde mit über einer Milliarde Einwohnern (ÖB 12.2016). Es ist davon auszugehen, dass Betroffene sich durch Flucht in einen anderen Landesteil jeglicher Art der privaten/halbstaatlichen Probleme entziehen können, da nicht davon auszugehen ist, dass über das Dorf hinaus Anwohner oder lokale Behörden Hinweise erhalten oder recherchieren können oder sich überhaupt dafür interessieren, was ein Zugezogener in der Vergangenheit gemacht haben könnte. Es fehlen jegliche zentrale Aktenführung oder Informationsaustausch. Es bedarf lediglich eines sehr einfachen, öffentlichen Namensänderungsverfahrens, um seine Identität zu verschleiern (AA 03.03.2014).

 

Es gibt kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem, so dass ein Großteil der Bevölkerung keinen Ausweis besitzt. Dies begünstigt die Niederlassung in einem anderen Landesteil im Falle von Verfolgung. Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich, ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss (AA 16.08.2016). Ob der Betreffende nach der Umsiedlung dort die Möglichkeit hat, sich ein wirtschaftliches Auskommen zu verschaffen, hängt ausschließlich von seiner Eigeninitiative ab (AA 03.03.2014).

 

In den großen Städten ist die Polizei jedoch personell und materiell besser ausgestattet, so dass die Möglichkeit, aufgespürt zu werden, dort größer ist. Bekannte Persönlichkeiten ("high profile" persons) können nicht durch einen Umzug in einen anderen Landesteil der Verfolgung entgehen, wohl aber weniger bekannte Personen ("low profile" people) (ÖB 12.2016).

 

Grundversorgung:

 

Etwa ein Viertel der Bevölkerung lebt unter dem Existenzminimum. Sofern es nicht zu außergewöhnlichen Naturkatastrophen kommt, ist jedoch eine für das Überleben ausreichende Nahrungsversorgung auch den schwächsten Teilen der Bevölkerung grundsätzlich sichergestellt. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz. Rückkehrer sind auf die Unterstützung der Familie oder Freunde angewiesen.

 

Vorübergehende Notlagen können durch Armenspeisungen im Tempel, insbesondere der Sikh-Tempel, die auch gegen kleinere Dienstleistungen Unterkunft gewähren, ausgeglichen werden (AA 16.08.2016).

 

Medizinische Versorgung:

 

Die Struktur von Indiens Gesundheitssystems ist vielseitig. Nach der indischen Verfassung haben die verschiedenen Staaten die Leitung über die meisten Aspekte des Gesundheitswesens, inklusive öffentlicher Gesundheit und Krankenhäuser. Rund 80% der Finanzierung des öffentlichen Gesundheitswesens kommt von den Staaten (BAMF 12.2015).

 

Die gesundheitliche Grundversorgung wird vom Staat kostenfrei gewährt. Sie ist aber durchweg unzureichend (AA 16.08.2016) und schließt keine kostenfreie Gesundheitsversorgung für die gesamte Bevölkerung ein (BAMF 8.2014). Staatliche Krankenhäuser bieten Gesundheitsversorgung kostenfrei oder zu sehr geringen Kosten (BAMF 12.2015).

 

Staatliche Gesundheitszentren bilden die Basis des öffentlichen Gesundheitswesens. Dies sind meist Ein-Mann-Kliniken, die auch kleine Operationen anbieten. Diese Zentren sind grundsätzlich in der Nähe aller Dörfer zu finden. Insgesamt gibt es mehr als 23.000 solcher Kliniken in Indien. Gemeindegesundheitszentren (Community Health Centres) sind als Basis des Gesundheitswesens in städtischen Gegenden verfügbar. Taluk Krankenhäuser werden von der Regierung und dem zuständigen Taluk [Anmerkung: Verwaltungseinheit] betrieben. Bezirkskrankenhäuser (District level hospitals) und spezialisierte Kliniken sind für alle möglichen Gesundheitsfragen ausgestattet (BAMF 12.2015).

 

Der private Sektor hat ebenfalls eine wesentliche Rolle bei der Gesundheitsversorgung (BAMF 12.2015), und da der Andrang auf Leistungen des staatlichen Sektors sehr stark ist, weichen viele für eine bessere oder schnellere Behandlung auf private Anbieter aus. Die privaten Gesundheitsträger genießen wegen der fortschrittlicheren Infrastruktur und des qualifizierteren Personals einen besseren Ruf. In allen größeren Städten gibt es medizinische Einrichtungen, in denen überlebensnotwendige Behandlungen durchgeführt werden können. Dies gilt mit den genannten Einschränkungen auch für den öffentlichen Bereich (AA 16.08.2016). Einige wenige private Krankenhäuser in den größten Städten gewährleisten einen Standard, der dem westlicher Industriestaaten vergleichbar ist. Im wirtschaftlich starken Punjab und in New Delhi ist die Gesundheitsversorgung im Verhältnis zu anderen Landesteilen gut (AA 16.08.2016). Private Gesundheitsversorgung ist vergleichbar teuer, und den Großteil der Kosten zahlen die Patienten und deren Familien selbst. Für den Zugang zu den Leistungen ist grundsätzlich ein gültiger Personenausweis nötig (Adhaar card, Voter ID, PAN, driving license) (BAMF 12.2015).

 

Mehrere Versicherungsgesellschaften bieten eine Krankenversicherung an, die bestimmte medizinische Kosten abdeckt, unter anderem auch stationären Krankenhausaufenthalt. Die Abdeckung variiert je nach Versicherungspolizze (BAMF 8.2014). Die staatliche Krankenversicherung (Universal Health Insurance Scheme) erfasst nur indische Staatsbürger unterhalb der Armutsgrenze. Für den Rest der Bevölkerung ist eine beitragspflichtige Krankenversicherung durch verschiedene private und staatliche Firmen zu unterschiedlichen Konditionen gegeben. Bekannte Versicherer sind General Insurance, Bharti AAA, HDFC ERGO, Bajaj, Religare, Apollo Munich, New India Assurance, Max Bupa etc. Zudem gibt es viele wohltätige Institutionen, die bezahlbare Behandlungen anbieten (BAMF 12.2015).

 

In Indien sind fast alle gängigen Medikamente auf dem Markt erhältlich (AA 16.08.2016). Medikamentenläden sind in Indien zahlreich und auch in entlegenen Städten vorhanden. (BAMF 12.2015). Die Einfuhr von Medikamenten aus dem Ausland ist möglich. Indien ist der weltweit größte Hersteller von Generika, und Medikamente kosten einen Bruchteil der Preise in Europa (AA 16.08.2016). Die Kosten für die notwendigsten Medikamente sind staatlich kontrolliert, sodass diese weitreichend erhältlich sind (BAMF 12.2015).

 

Behandlung nach Rückkehr:

 

Allein die Tatsache, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, führt nicht zu nachteiligen Konsequenzen nach der Abschiebung. In den letzten Jahren hatten indische Asylbewerber, die in ihr Heimatland abgeschoben wurden, grundsätzlich - abgesehen von einer intensiven Prüfung der (Ersatz-) Reisedokumente und einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden - keine Probleme. Polizeilich gesuchte Personen müssen allerdings bei Einreise mit Verhaftung und Übergabe an die Sicherheitsbehörden rechnen (AA 16.08.2016). Die indische Regierung hat kein Reintegrationsprogramm und bietet auch sonst keine finanzielle oder administrative Unterstützung für Rückkehrer (BAMF 12.2015).

 

Dokumente:

 

Echtheit der Dokumente:

 

Der Zugang zu gefälschten Dokumenten oder echten Dokumenten falschen Inhalts ist leicht. Gegen entsprechende Zahlungen sind viele Dokumente zu erhalten. Erleichtert wird der Zugang überdies durch die Möglichkeit, Namen ohne größeren Aufwand zu ändern. Angesichts der Unzuverlässigkeit des Urkundenwesens werden indische öffentliche Urkunden seit dem Jahr 2000 von den deutschen Auslandsvertretungen nicht mehr legalisiert (AA 16.08.2016).

 

Echte Dokumente unwahren Inhalts:

 

Echte Dokumente unwahren Inhalts sind problemlos (gegen entsprechende Zahlungen oder als Gefälligkeit) erhältlich. Bei Personenstandsurkunden handelt es sich dabei um echte Urkunden falschen Inhalts, bei Gerichtsentscheidungen (z.B. Scheidung, Sorge) um echte Urteile, die jedoch aufgrund erfundener Sachverhalte und ohne Einhaltung grundlegender Verfahrenserfordernisse (rechtliches Gehör, Interessenabwägung, Begründung) ergehen (AA 16.08.2016).

 

Zugang zu gefälschten Dokumenten:

 

Der deutschen Botschaft New Delhi werden im Rahmen laufender Asylverfahren nur sehr selten Unterlagen zur Überprüfung vorgelegt. In der Vergangenheit haben sich Dokumente im Zusammenhang mit Strafsachen und Fahndung sowie dazugehörige Eidesstattliche Versicherungen (affidavits) auch als falsch oder gefälscht herausgestellt. Die Überprüfung der Echtheit von Haftbefehlen gestaltet sich schwierig. Vorgelegte Dokumente ("Warrant of Arrest", "First Investigation Report", Bestätigungsschreiben von Rechtsanwälten, "Affidavits" von Dorfvorstehern oder Angehörigen) stellen sich bei Überprüfung häufig als gefälscht heraus. Überprüfungen im Asylverfahren ergeben häufig, dass weder der Sachvortrag noch die Identität des Betreffenden bestätigt werden kann (AA 16.08.2016).

 

Adhaar/Identifizierungsbehörde:

 

Als Teil einer Armutsbekämpfungsinitiative wurde seit 2010 Millionen indischer Bürger eine Aadhaar ID Nummer ausgestellt. Obwohl diese nicht verpflichtend ist, gaben Beamte an, dass der Nichtbesitz den Zugang zur Staatshilfe limitieren werden könnte (FH 03.10.2013). Die unverwechselbare Identitätsnummer ermöglicht es beispielsweise, dass staatliche Zuschüsse direkt an den Verbraucher übermittelt werden. Anstatt diese auf ein Bankkonto zu senden, wird sie an die unverwechselbare Identitätsnummer überwiesen, die mit der Bank verbunden ist und geht so an das entsprechende Bankkonto. 750 Mio. Inder haben derzeit eine derartige Identitätsnummer, ca. 130 Mio. haben diese auch mit ihrem Bankkonto verknüpft (International Business Times, 02.02.2015).

 

Die Identifizierungsbehörde Indiens wurde eingerichtet, um die rechtliche und technische Infrastruktur zu schaffen, die notwendig ist, um allen indischen Einwohnern eine 12-stellige Identitätsnummer (UID) auszustellen, die online überprüft werden können. Dieses Projekt soll gefälschte und doppelte Identitäten ausschließen. Das neue Identitätssystem wird mit Fotos, demographischen und biometrischen Details (Fingerabdrücke und Iris-Bild) verbunden. Der Erwerb einer UID ist freiwillig und kostenlos. Es gibt keine rechtliche Verpflichtung, sich registrieren zu lassen (UK Home Office 2.2015).

 

Da die im Rahmen des UID bzw. Aadhaar Projektes gesammelten Daten nicht in das nationale Bevölkerungsregister (NPR) integriert werden, stellt dieses jedoch nur eine bloße Auflistung von Namen und demographischen Details dar. Bisher wurden 1,04 Milliarden Aadhaar Nummern generiert, mit dem Plan der vollständigen Erfassung der Bevölkerung bis März 2017. Die zuständige Behörde für die einheitliche Identifikationsnummer weigert sich, die gesammelten Daten an das für das Bevölkerungsregister zuständige Innenministerium weiterzuleiten, da sie aufgrund des im Juli 2016 verabschiedeten Gesetzes von einem Datenaustausch ausgeschlossen ist (HAT 08.08.2016).

 

Punjab:

 

Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Millionen Sikhs 16 Millionen im Punjab (MoHA o.D.) und bilden dort die Mehrheit (USDOS 10.08.2016).

 

Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren aus anderen Unionsstaaten oder Pakistan. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 12.2016). Nichtstaatliche Kräfte, darunter organisierte Aufständische und Terroristen, begehen jedoch zahlreiche Morde und Bombenanschläge im Punjab und Konfliktregionen wie etwa Jammu und Kaschmir (USDOS 13.04.2016). Im Juli 2015 griffen Mitglieder einer bewaffneten Gruppe eine Polizeiwache und einen Busbahnhof in Gurdaspur im Bundesstaat Punjab an und töteten drei Zivilpersonen und vier Polizisten. 15 Personen wurden verletzt (USDOS 02.07.2016; vgl. auch: AI 24.02.2016). Es handelte sich dabei um den ersten größeren Anschlag seit den Aktivitäten militanter Sikhs in den 1980er und 1990er Jahren (USDOS 02.07.2016).

 

Im Oktober 2015 gab es in fünf Distrikten des Punjab weitverbreitete und gewalttätige Proteste der Sikhs gegen die Regierung in Punjab. Dabei hat die Polizei auf Protestanten geschossen und zwei Personen getötet sowie 80 Personen verletzt. Grund der Proteste waren Berichte, laut denen unbekannte Täter das heilige Buch der Sikhs entweiht hätten. Die Polizei hat ein Dutzend Protestanten wegen versuchten Mordes, Beschädigung öffentlichen Eigentums und des Tragens von illegalen Waffen festgenommen. Was die Aufarbeitung der Gewaltausbrüche im Jahr 1984, bei denen 3.000 Menschen, darunter hauptsächlich Sikhs, ums Leben gekommen seien betrifft, so kommen Gerichtsverfahren nur langsam voran. Zivilgesellschaftliche Aktivisten und Interessensverbände der Sikhs zeigen sich weiterhin besorgt, dass die Regierung die Verantwortlichen noch nicht zur Rechenschaft ziehen konnte (USDOS 10.08.2016).

 

Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in den indischen Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Im Mai 2007 wurden dem indischen Geheimdienst Pläne der ISI bekannt, die gemeinsam mit BKI und anderen militanten Sikh-Gruppierungen Anschläge auf Städte im Punjab (Jalandhar, Ludhiana, Pathankot) beabsichtigten. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der militanten Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 12.2016). In Jammu und Kaschmir, im Punjab und in Manipur haben die Behörden besondere Befugnisse, ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 13.04.2016; vgl. auch:

BBC 20.10.2015). Menschenrechtsberichten zufolge kommt es im Punjab regelmäßig zu Fällen von Menschenrechtsverletzungen insbesondere der Sicherheitsbehörden (extralegale Tötungen, willkürliche Festnahmen, Folter in Polizeigewahrsam, Todesfolge von Folter etc.) (ÖB 12.2016). Ehrenmorde stellen vor allem in den nördlichen Bundesstaaten Haryana und Punjab weiterhin ein Problem dar. Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass bis zu 10% aller Tötungen in diesen Staaten sogenannte Ehrenmorde sind (USDOS 13.04.2016).

 

Die Staatliche Menschenrechtskommission im Punjab hat in einer Reihe von schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte (Folter, Folter mit Todesfolge, extralegale Tötungen etc.) interveniert. In vielen Fällen wurde die Behörde zu Kompensationszahlungen verpflichtet. Die Menschenrechtskommission erhält täglich 200 bis 300 Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen und ist in ihrer Kapazität überfordert. Oft sind Unterkastige oder Kastenlose Opfer der polizeilichen Willkür (ÖB 12.2016).

 

Die Zugehörigkeit zur Sikh-Religion ist kein Kriterium für polizeiliche Willkürakte. Die Sikhs, 60% der Bevölkerung des Punjabs, stellen im Punjab einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 12.2016).

 

In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert; in manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit, sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben. Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International, müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 12.2016).

 

4. Beweiswürdigung:

 

Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zugrunde:

 

Der Verfahrensgang ergibt sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakten und Vorakten des BAA bzw. des BFA sowie des Asylgerichtshofes und des BVwG.

 

4.1. Zur Person der BF:

 

Die Feststellungen dazu ergeben sich aus den Angaben der BF vor dem BAA bzw. dem BFA in den Vorverfahren und im gegenständlichen Verfahren sowie in der gegenständlichen Beschwerde.

 

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Herkunft, insbesondere zu ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu den Lebensumständen der BF, stützen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben der BF im Verfahren und in den Vorverfahren vor dem BAA bzw. dem BFA und in der gegenständlichen Beschwerde sowie auf die Kenntnis und Verwendung der Sprachen Punjabi und Hindi und die Kenntnis der geografischen Gegebenheiten Indiens.

 

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität der BF (Name und Geburtsdatum) getroffen werden, gelten diese ausschließlich für die Identifizierung der Person der BF im gegenständlichen Verfahren.

 

Die Identität der BF konnte mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsdokumente oder anderer relevanter Bescheinigungsmittel nicht abschließend geklärt werden, zumal sie auch während ihres Aufenthaltes in Österreich divergierende Angaben gemacht haben.

 

Zur Individualisierung im Verfahren waren die zuletzt vorgebrachten Namen bzw. Geburtsdaten durchaus ausreichend.

 

4.2. Der Sachverhalt bezüglich der Entscheidung über die Abweisung der Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigenden Gründen sowie bezüglich der weiteren Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide - insbesondere die Feststellung der für die Interessenabwägung zwischen den öffentlichen Interessen an der Einhaltung asyl- und fremdenrechtlicher Vorschriften und persönlichen bzw. privaten Interessen der BF maßgeblichen Umstände - ergibt sich aus dem Inhalt der vorliegenden Akten, insbesondere aus den Niederschriften über die Befragungen und Einvernahmen der BF, aus den von ihnen vorgelegten Belegen und aus dem sonstigen Schriftverkehr zwischen dem BFA, den BF und weiteren Stellen (Gewerbebehörde u.a.) sowie Einsicht in behördliche Register (gerichtliche Strafen, Melderegister u.a.).

 

Der maßgebliche Sachverhalt steht nach Beurteilung des erkennenden Gerichts unzweifelhaft fest. Dass die BF trotz wiederholter negativer Entscheidungen über ihre Asylanträge - die sie auch nicht vor den Höchstgerichten des öffentlichen Rechts angefochten haben - entgegen erlassenen Rückkehrentscheidungen weiterhin im Bundesgebiet verblieben sind, ist evident. Dass die indische Vertretungsbehörde in Österreich nicht gewillt wäre, ihnen Personaldokumente auszustellen, haben die BF nur behauptet, aber in keiner Weise belegt oder sonst glaubhaft gemacht.

 

4.3. Zu einer möglichen Rückkehr der BF in den Herkunftsstaat sowie zur Lage in ihrem Herkunftsstaat:

 

Die diesem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderfeststellungen (siehe oben Punkt 3.3.) gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes und schlüssiges Gesamtbild der Situation in Indien ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Insoweit die belangte Behörde ihren Feststellungen Berichte älteren Datums zugrundegelegt hat, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem BVwG von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation fallrelevant nicht wesentlich geändert haben.

 

Dass sich seit der Erlassung der bekämpften Bescheide des BFA in Indien allgemein und für den gegenständlichen Fall relevant eine entscheidende Lageveränderung ergeben hätte, kann in diesem Fall verneint werden. Die Lage in Indien stellt sich diesbezüglich im Wesentlichen unverändert dar, wie sich das erkennende Gericht durch ständige Beachtung der aktuellen Quellenlage (u.a. durch Einschau etwa in das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation) versichert hat.

 

Die BF haben diese Feststellungen nicht substantiiert bestritten.

 

5. Rechtliche Beurteilung:

 

5.1. Anzuwendendes Recht:

 

Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG in der geltenden Fassung samt jenen Normen, auf welche das FPG und das AsylG verweisen, anzuwenden.

 

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das BVwG.

 

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

 

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

 

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

 

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

 

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

 

5.2. Rechtlich folgt daraus:

 

Zu Spruchteil A):

 

5.2.1. Die gegenständliche, zulässige und rechtzeitige Beschwerde wurde am 18.10.2018 beim BFA eingebracht und ist nach Vorlage am 29.10.2018 beim BVwG eingegangen. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des BVwG zuständigen Einzelrichter.

 

Mangels Eigenschaft eines BF als Familienangehöriger (gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat) liegt kein Familienverfahren gemäß § 34 ASylG vor. Die Verfahren wurden im Sinne der § 39 Abs. 2 AVG aus Zweckmäßigkeitsgründen verbunden und gemeinsam unter einem geführt. Beide BF erhalten eine Entscheidung mit einem sie konkret und individuell betreffenden Spruch und mit gleicher Begründung.

 

5.2.2. Das BVwG stellt weiters fest, dass das Verwaltungsverfahren in wesentlichen Punkten rechtmäßig durchgeführt wurde, wenngleich aufgefallen ist, dass die Seitennummerierung teilweise ungewöhnlich (gezählt wurde teilweise nur jede zweite Seite) erfolgte und das offenbar verwendete Länderinformationsblatt weder mit seiner Bezeichnung noch mit seinem Erstellungsdatum genannt wurde.

 

Hinsichtlich einer allfälligen inhaltlichen Rechtswidrigkeit oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften ist auszuführen, dass im Verfahren vor dem BFA keine Anhaltspunkte dahingehend ersichtlich sind, dass die belangte Behörde willkürlich oder rechtswidrig entschieden hätte. Vielmehr wurden dem BF ausreichende Möglichkeiten eingeräumt, sein Vorbringen darzulegen, gegebenenfalls zu ergänzen beziehungsweise aufgetretene Unklarheiten oder Widersprüche zu beseitigen sowie allfällige Beweismittel vorzulegen. Die maßgebenden Erwägungen, von denen sich die belangte Behörde bei ihrer Begründung leiten ließ, sind im angefochtenen Bescheid in umfassender und übersichtlicher Art dargelegt. Für die in der Beschwerde geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Verfahrens ergeben sich aus der Sicht des BVwG keine Anhaltspunkte. Vielmehr wurde den in § 18 AsylG in Verbindung mit § 39 Abs. 2 und § 45 Abs. 2 AVG normierten Grundsätzen der Amtswegigkeit, der freien Beweiswürdigung und der Erforschung der materiellen Wahrheit und im Wesentlichen auch des Parteiengehörs entsprochen.

 

5.2.3. Zur Beschwerde:

 

Das Vorbringen in der Beschwerde war ebenfalls nicht geeignet, das Vorbringen der BF zu unterstützen. Es erschöpft sich im Wesentlichen in einer kurzen Wiederholung bereits gemachter Aussagen und in einer unsubstantiierten Kritik am Verfahren vor dem BFA.

 

Das BFA hat ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage schlüssig, klar und übersichtlich zusammengefasst. Diesen Ausführungen sind die BF in der Beschwerde auch nicht in geeigneter Weise entgegengetreten.

 

Den aktenwidrigen Behauptungen, dass die - für die Entscheidungsfindung im Übrigen nicht entscheidend maßgeblichen - Ausführungen in der Bescheidbegründung bezüglich Aktualität der E-Card und bezüglich der strafgerichtlichen Verurteilung des BF2 unzutreffend seien, war nicht zu folgen.

 

5.2.4. Zu den Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides:

 

5.2.4.1. Zu den Spruchpunkten I. bis III. des angefochtenen Bescheides (Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG, Rückkehrentscheidung):

 

5.2.4.1.1. Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

 

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

 

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird. Nach § 55 Abs. 2 AsylG ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

 

§ 10 AsylG mit der Überschrift: "Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme" lautet:

 

"§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

 

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

 

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

 

3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

 

5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

 

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

 

(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

 

(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt."

 

Gemäß § 52 Abs. 3 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

 

Im vorliegenden Verfahren erfolgte die Abweisung der Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß §§ 55 AsylG.

 

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

 

"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1).

 

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gegen Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration ist erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 ua. mwN). Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

 

Bei der Abwägung, die durch Art. 8 EMRK vorgeschrieben wird, stehen die Interessen des Fremden an seinem Verbleib im Inland, die durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützt sind, dem öffentlichen Interesse an der Beendigung seines Aufenthaltes gegenüber. Nach dem Erkenntnis des VfGH, VfSlg. 17.516/2005, das zur Vorgängerbestimmung des § 10 AsylG 2005 ergangen ist (nämlich zu § 8 Abs. 2 AsylG 1997), beabsichtigt der Gesetzgeber, "durch die zwingend vorgesehene Ausweisung von Asylwerbern eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung im Inland von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragstellung im Inland aufhalten durften, zu verhindern". Dem in § 37 FrG verankerten Ausweisungshindernis durfte nach der Rechtsprechung des VwGH nicht die Bedeutung unterstellt werden, "es wäre für Fremde zulässig, sich durch die Missachtung der für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden geltenden Vorschriften im Bundesgebiet ein Aufenthaltsrecht zu verschaffen" (VwGH 22.03.2002, 99/21/0082 mwN). Nichts anderes kann aber für die durch das AsylG 2005 vorgeschriebene Abwägung gelten, hat doch der VfGH (zu § 8 Abs. 2 AsylG 1997) ausgesprochen (VfSlg. 17.516/2005 [Punkt IV.3.2]): "§ 37 FrG legt [...] Kriterien fest, die sich auch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte [...] zu Art. 8 EMRK in Fällen der Außerlandesschaffung eines Fremden ergeben und die von den Asylbehörden bei Ausweisungen nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005, auch wenn sie dort nicht genannt sind, zu beachten sind."

 

Im Falle eines bloß auf die Stellung eines Asylantrags gestützten Aufenthalts wurde in der Entscheidung des EGMR (N. gegen United Kingdom vom 27.05.2008, Nr. 26565/05) auch ein Aufenthalt in der Dauer von zehn Jahren nicht als allfälliger Hinderungsgrund gegen eine Ausweisung unter dem Aspekt einer Verletzung von Art. 8 EMRK thematisiert.

 

In seiner davor erfolgten Entscheidung Nnyanzi gegen United Kingdom vom 08.04.2008 (Nr. 21878/06) kommt der EGMR zu dem Ergebnis, dass bei der vorzunehmenden Interessensabwägung zwischen dem Privatleben des Asylwerbers und dem staatlichen Interesse eine unterschiedliche Behandlung von Asylwerbern, denen der Aufenthalt bloß aufgrund ihres Status als Asylwerber zukommt, und Personen mit rechtmäßigem Aufenthalt gerechtfertigt sei, da der Aufenthalt eines Asylwerbers auch während eines jahrelangen Asylverfahrens nie sicher ist. So spricht der EGMR in dieser Entscheidung ausdrücklich davon, dass ein Asylweber nicht das garantierte Recht hat, in ein Land einzureisen und sich dort niederzulassen. Eine Abschiebung ist daher immer dann gerechtfertigt, wenn diese im Einklang mit dem Gesetz steht und auf einem in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten Grund beruht. Insbesondere ist nach Ansicht des EGMR das öffentliche Interesse jedes Staates an einer effektiven Einwanderungskontrolle jedenfalls höher als das Privatleben eines Asylwerbers zu werten; auch dann, wenn der Asylwerber im Aufnahmestaat ein Studium betreibt, sozial integriert ist und schon zehn Jahre im Aufnahmestaat lebte.

 

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der VfGH (Verfassungsgerichtshof) und der VwGH haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479).

 

5.2.4.1.2. Die BF reisten im Jahr 2013 irregulär nach Österreich ein und stellten wiederholt (jeweils dreimal) Anträge auf internationalen Schutz, die sich als unberechtigt erwiesen. Ihr Aufenthalt war bloß aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber rechtmäßig, was den BF bewusst gewesen sein musste. Das Gewicht eines zwischenzeitig entstandenen Privatlebens wird somit schon dadurch gemindert, dass sich die BF nicht darauf verlassen konnten, ihr Leben auch nach Beendigung des Asylverfahrens in Österreich fortzuführen, und sich zum Zeitpunkt, in dem das Privatleben entstanden ist, ihrer unsicheren aufenthaltsrechtlichen Stellung hätten bewusst sein müssen.

 

Die BF haben keine Verwandten oder sonstigen nahen Angehörigen in Österreich. Sie leben im gemeinsamen Haushalt. Auch weil die BF gemeinsam ausgewiesen werden, bilden die Rückkehrentscheidungen daher keinen unzulässigen Eingriff in das Recht der BF auf Schutz des Familienlebens.

 

Die BF üben in Österreich erlaubte Erwerbstätigkeiten aus und sind derzeit selbsterhaltungsfähig. Weitere ausgeprägte private und persönliche Interessen haben die BF im Verfahren nicht dargetan. Kenntnisse der deutschen Sprache haben sie nicht hinreichend belegt.

 

Die Schutzwürdigkeit ihres Privat- und Familienlebens in Österreich ist aufgrund des Umstandes, dass sie ihren Aufenthalt zum überwiegenden Teil nur auf einen im Ergebnis nicht berechtigte Asylanträge gestützt haben, bislang nur in geringem Maße gegeben. Im Hinblick auf den Umstand, dass die erwachsenen BF den bei weitem überwiegenden und prägenden Teil ihres Lebens im Herkunftsstaat Indien verbracht haben und dort sozialisiert wurden, hingegen die Dauer ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet im Vergleich zu ihrem Lebensalter als kurz zu bezeichnen ist, kann im vorliegenden Fall nicht angenommen werden, dass sie im Bundesgebiet nach etwa viereinhalb Jahren Aufenthalt derart verwurzelt wären, dass ihnen eine Rückkehr nach Indien nicht mehr zugemutet werden könne. Es ist davon auszugehen, dass anhaltende Bindungen zum Herkunftsstaat bestehen, zumal dort ihre Familienangehörigen leben und die BF auch eine Sprache des Herkunftsstaates als Muttersprache beherrschen.

 

Auch wenn sich die BF somit um ihre berufliche und sprachliche Integration bemüht zeigten, kommt ihren persönlichen Interessen an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet in einer Gesamtbetrachtung vor dem Hintergrund der angeführten Judikatur zum derzeitigen Zeitpunkt kein hinreichend großes Gewicht zu.

 

Der Umstand, dass die BF1 in Österreich bisher nicht straffällig geworden ist - der BF2 wurde wegen Urkundenfälschung (Verwendung eines gefälschten Führerscheins) mit einer strafgerichtlichen Geldstrafe belegt -, bewirkt keine relevante Erhöhung des Gewichtes der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Österreich, da das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen darstellen (VwGH 24.07.2002, 2002/18/0112).

 

Daher ist davon auszugehen, dass die Interessen der BF an einem Verbleib im Bundesgebiet kein hinreichendes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des VwGH ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund treten. Die Verfügung der Rückkehrentscheidungen war daher im vorliegenden Fall dringend geboten und erscheint auch nicht unverhältnismäßig.

 

5.2.4.1.3. Gemäß § 46 Abs. 1 FPG sind Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

 

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

 

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

 

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

 

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

 

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

Nach § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG).

 

Nach § 50 Abs. 3 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht.

 

Die Zulässigkeit der Abschiebung der BF in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den die Abweisung ihres Antrages auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.

 

Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. bis III. der angefochtenen Bescheide gemäß §§ 10 und 55 AsylG sowie §§ 46, 52 und 55 FPG als unbegründet abzuweisen.

 

5.2.4.2. Zu Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides (Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung):

 

Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG hat das BVwG der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom BFA aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 18 Abs. 6 BFA-VG steht ein Ablauf der Frist nach § 18 Abs. 5 BFA-VG der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen.

 

Da die gegenständliche Beschwerde bereits hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides abgewiesen worden ist, war auf die Frage, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG vorliegen - was laut Aktenvermerken des BVwG vom 30.10.2018 zu verneinen war -, nicht weiter einzugehen und konnte ein Ausspruch über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

5.2.4.3. Zu Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides (Einreiseverbot):

 

Der mit "Einreiseverbot" betitelte § 53 FPG lautet auszugsweise:

 

"§ 53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

 

(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige [...]."

 

Das BFA stützte die Erlassung der Einreiseverbote nicht auf einen der in§ 52 Abs. 2 demonstrativ aufgezählten einzelnen Tatbestände, sondern allgemein darauf, dass der Aufenthalt der BF aufgrund ihres bisherigen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährde, und zitierte dazu auch Art. 11 Abs. 1 Z b der dem zugrundeliegenden Richtlinie 2008/115/EG vom 16.12.2008 (Rückführungsrichlinie).

 

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens war auch die Beschwerde gegen die erlassenen Einreiseverbote abzuweisen:

 

Die BF sind ihrer nach mehreren rechtskräftigen negativen Entscheidungen über ihre wiederholt (erstmals im Jahr 2013) gestellten Anträge auf internationalen Schutz bestehenden Ausreisepflicht bis heute nicht nachgekommen.

 

Die fremdenpolizeilichen Beurteilungen sind eigenständig und unabhängig von den Erwägungen des Strafgerichts betreffend die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs zu treffen (vgl. VwGH 06.07.2010, 2010/22/0096). Es obliegt daher dem erkennenden Gericht festzustellen, ob eine Gefährdung im Sinne des FPG vorliegt oder nicht. Es geht bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes/Einreiseverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung (vgl. VwGH 08.07.2004, 2001/21/0119).

 

Bei der gebotenen Prognosebeurteilung in Bezug auf strafgerichtliche Verurteilungen kommt es letztlich immer auf das zugrunde liegende Verhalten an. Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. dazu und zu den im FPG vorgesehenen Gefährdungsprognosen sowie deren "Rangordnung" das Erkenntnis des VwGH vom 20.11.2008, 2008/21/0603).

 

Unter Berücksichtigung der genannten Umstände und in Ansehung des bisherigen Fehlverhaltens und des sich daraus ergebenden Persönlichkeitsbildes der BF geht das erkennende Gericht davon aus, dass im Hinblick auf das beharrliche Negieren der fremden- und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen nach rechtskräftiger Abweisung (bzw. zweimaliger Zurückweisung wegen entschiedener Sache) ihrer Asylanträge über mehrere Jahre hindurch, unter Angabe verschiedener Identitäten (von der strafgerichtlichen Verurteilung des BF2 noch abgesehen), von den BF eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgeht, weshalb das Einreiseverbot nicht zu beheben war.

 

Die Gesamtbeurteilung des Verhaltens, der Lebensumstände sowie der familiären und privaten Anknüpfungspunkte der BF hat im Zuge der vorgenommenen Abwägungsentscheidung ergeben, dass die Erlassung der Einreiseverbote gerechtfertigt und notwendig ist, um die von den BF ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit (insbesondere Verhinderung des beharrlichen Nichteinhaltens asyl- und fremdenrechtlicher Bestimmungen) zu verhindern. Die Verhängung eines Einreiseverbotes im genannten Ausmaß erscheint zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele als angemessen und geboten.

 

5.2.4.4. Zu Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides (Abweisung des Antrages auf Mängelheilung gemäß § 4 AsylG-DV):

 

§ 4 Asylgesetz-Durchführungsverordnung 2005 (AsylG-DV), BGBl. II Nr. 448/2005 in der geltenden Fassung, lautet:

 

"§ 4. (1) Die Behörde kann auf begründeten Antrag von Drittstaatsangehörigen die Heilung eines Mangels nach § 8 und § 58 Abs. 5, 6 und 12 AsylG 2005 zulassen:

 

1. im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen zur Wahrung des Kindeswohls,

 

2. zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK oder

 

3. im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

 

(2) Beabsichtigt die Behörde den Antrag nach Abs. 1 zurück- oder abzuweisen, so hat die Behörde darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen."

 

Die BF legten keine Reisedokumente vor und führten auch auf Vorhalt keine stichhaltigen Gründe an, weshalb ihnen die Erlangung von Reisedokumenten unmöglich oder unzumutbar wäre, und legten auch keine Bestätigung darüber vor. Sie kamen somit ihrer Mitwirkungspflicht im Verfahren nicht im erforderlichen Ausmaß nach.

 

Ihr Antrag auf Heilung war daher abzuweisen.

 

5.2.5. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

 

Gemäß § 24 Abs. 1 des VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

 

Nach Abs. 4 leg. cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (in der Folge GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010, S. 389 (2010/C 83/02), entgegenstehen.

 

Gemäß Art. 47 Abs. 1 GRC hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Zufolge des Abs. 2 leg. cit. hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.

 

Nach Art. 52 Abs. 1 GRC muss jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

 

Zur Frage der Verhandlungspflicht brachte der VfGH etwa in seinem Erkenntnis vom 14.03.2012, U 466/11, u.a. zum Ausdruck, er hege vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR zur Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung weder Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 41 Abs. 7 AsylG, noch könne er finden, dass der Asylgerichtshof der Bestimmung durch das Absehen von der Verhandlung einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt habe. Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergebe, dass das Vorbringen tatsachenwidrig sei, stehe im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden habe, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt worden sei.

 

Übertragen auf den vorliegenden Beschwerdefall erfordert ein Unterbleiben einer Verhandlung vor dem BVwG somit, dass aus dem Akteninhalt die Grundlage des bekämpften Bescheides unzweifelhaft nachvollziehbar ist.

 

Der VwGH hat zur Frage der Verhandlungspflicht in Asylverfahren mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 ausgesprochen, dass sich die bisher zu § 67d AVG ergangene Rechtsprechung auf das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten weitgehend übertragen lässt. Für den Anwendungsbereich der vom BFA-VG erfassten Verfahren ist primär § 21 Abs. 1 und subsidiär § 24 Abs. 4 VwGVG als maßgeblich heranzuziehen. Für die Auslegung der Wendung in § 21 Abs. 7 BFA-VG, "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint", sind nunmehr folgende Kriterien beachtlich: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

 

Weiters hat der VwGH ausgesprochen (VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233):

 

"Bei seinen Ausführungen zur Verhandlungspflicht, die mit Judikaten des Verwaltungsgerichtshofes aus 2013 gestützt werden, lässt der Revisionswerber jedoch die am 1. Jänner 2014 in Kraft getretene Regelung des § 21 Abs. 7 BFA-VG außer Acht. Diese Bestimmung erlaubt das Unterbleiben einer Verhandlung selbst dann, wenn deren Durchführung in der Beschwerde ausdrücklich beantragt wurde, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Aus dieser Regelung, die im Übrigen im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC steht, ergibt sich, dass die Unterlassung einer Verhandlung nur dann einen relevanten, zur Aufhebung führenden Verfahrensmangel begründet, wenn ein entscheidungswesentlicher Sachverhalt klärungsbedürftig ist; dieser ist in der Revision darzutun (siehe zum Ganzen den hg. Beschluss vom 17. November 2016, Ra 2016/21/0316, Rz 7, mwN).

 

Richtig ist, dass der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang auch wiederholt darauf hingewiesen hat, bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen komme der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl in Bezug auf die (allenfalls erforderliche) Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2016, Ra 2016/21/0289, Rz 12, mwH).

 

Daraus ist aber - entgegen der Meinung in der Revision - noch keine "absolute" (generelle) Pflicht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich in dem zuletzt genannten Erkenntnis (Rz 15 iVm Rz 12) unter Bezugnahme auf in diesem Sinn ergangene Vorjudikatur dargelegt, dass in eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben kann."

 

Im gegenständlichen Fall ist den angefochtenen Bescheiden ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch das BFA vorangegangen. Für die in der Beschwerde behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens ergeben sich aus der Sicht des BVwG keine Anhaltspunkte. Vielmehr wurde im Wesentlichen den Grundsätzen der Amtswegigkeit, der freien Beweiswürdigung, der Erforschung der materiellen Wahrheit und des Parteiengehörs entsprochen. So ist die belangte Behörde ihrer Ermittlungspflicht durch detaillierte Befragung sowie mehrmalige Belehrung der BF über ihre Mitwirkungspflichten nachgekommen. Der Sachverhalt wurde nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung des BFA festgestellt, und es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet.

 

Aus dem Akteninhalt ist die Grundlage der bekämpften Bescheide unzweifelhaft nachvollziehbar. Mit der Beschwerde wurde nichts weiteres Entscheidungsrelevante vorgebracht.

 

Die knappen - zumal teilweise unzutreffenden - Ausführungen in der Beschwerde sind daher nicht geeignet, erheblich erscheinende neue Tatsachen oder Beweise (vergleiche § 10 VwGVG) darzustellen und eine Verhandlungspflicht auszulösen.

 

Dem BVwG liegt sohin kein Beschwerdevorbringen vor, das mit den BF mündlich zu erörtern gewesen wäre.

 

Da der entscheidungsrelevante Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG entgegen dem Parteienantrag eine mündliche Verhandlung somit unterbleiben.

 

Zu Spruchteil B):

 

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 in der geltenden Fassung, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

 

Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH zu Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG, zu den Voraussetzungen für die Erlassung von Rückkehrentscheidung - zumal die dabei vorzunehmende Interessenabwägung, soferne sie in einem ordnungsgemäßen Verfahren erfolgte, irreversibel ist - zur Frage der Voraussetzungen für die Erlassung von Einreiseverboten sowie für die Mängelheilung gemäß AsylG-DV auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

 

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind somit weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen sowie Interessenabwägungen maßgeblich für die zu treffende Entscheidung waren.

 

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zum Teil zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich weitestgehend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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