BVwG L502 1438285-1

BVwGL502 1438285-127.7.2018

AsylG 2005 §10 Abs1
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z2
AsylG 2005 §6 Abs1 Z2
AsylG 2005 §6 Abs2
AsylG 2005 §75 Abs19
AsylG 2005 §75 Abs20
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs3a
AsylG 2005 §9 Abs2 Z1
BFA-VG §9 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:L502.1438285.1.00

 

Spruch:

L502 1438285-1/69E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, StA. Türkei, vertreten durch RAe Dellasega & Kapferer, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.09.2013, FZ. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.05.2016 und 02.11.2017, zu Recht erkannt:

 

A)

 

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I abgewiesen mit der Maßgabe, dass dieser zu lauten hat:

 

"Der Antrag auf internationalen Schutz von XXXX wird bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 3 Z. 2 iVm § 6 Abs. 1 Z. 2 und Abs. 2 AsylG abgewiesen."

 

II. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II abgewiesen mit der Maßgabe, dass dieser zu lauten hat:

 

"Der Antrag auf internationalen Schutz von XXXX wird bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 Z. 1 AsylG abgewiesen."

 

III. In Erledigung der Beschwerde wird Spruchpunkt III behoben und das Verfahren gemäß

 

§ 75 Abs. 19 und 20 AsylG zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte im Gefolge seiner illegalen Einreise aus Italien in das österr. Bundesgebiet am 25.05.2012 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

2. Er wurde am selben Tag einer Erstbefragung unterzogen, anläßlich der er einen türkischen Personalausweis vorlegte, der auf seine Echtheit überprüft wurde.

 

3. Ein Rückübernahmeersuchen des Bundesasylamtes (BAA) an Italien gemäß der Verordnung EG Nr. 343/2003 des Rates blieb erfolglos.

 

4. Mit 25.06.2012 wurde das Verfahren gemäß § 24 Abs. 2 AsylG eingestellt, da der Aufenthaltsort des BF nicht bekannt war. Gleichzeitig wurde gegen ihn ein Festnahmeauftrag gemäß § 26 Abs. 1 AsylG erlassen, da er sich dem Verfahren entzogen hatte.

 

5. Am 11.02.2013 wurde er aus Schweden gemäß der Verordnung EG Nr. 343/2003 des Rates rückübernommen.

 

6. Am 12.02.2013 wurde er in der EAST Ost des BAA in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die kurdische Sprache einvernommen.

 

Er legte dabei als Beweismittel unter anderem eine Ablichtung eines Urteils eines türkischen Strafgerichts vor.

 

7. Am 25.04.2013 wurde der BF nochmals vor dem BAA niederschriftlich einvernommen.

 

Er legte dabei als Beweismittel diverse medizinische Unterlagen, eine Ablichtung einer weiteren türkischen Gerichtsentscheidung und eine Anklageschrift der türkischen Staatsanwaltschaft gegen seinen Bruder vor.

 

8. Am 08.05.2013 langte eine Stellungnahme des BF zu den ihm mit Schreiben der belangten Behörde vom 25.04.2013 zum Parteigehör übermittelten Länderinformationen ein.

 

Im Hinblick auf die Aufforderung des BAA an ihn, Beweismittel zu den Strafverfahren in der Türkei gegen ihn vorzulegen, legte er einen Auszug aus der Internetseite des türkischen Justizministeriums vor, aus dem hervorging, dass ein (zweites) Urteil gegen ihn erlassen worden sei.

 

Sowohl dieser Internetausdruck als auch das bereits zuvor vorgelegte Urteil wurden vom BAA einer Übersetzung in die deutsche Sprache zugeführt.

 

9. Mit Schreiben des BAA vom 17.06.2013 wurde dem BF unter Bezugnahme auf den vorgelegten Internetausdruck des türkischen Justizministeriums und den dort aufscheinenden türkischen Anwalt aufgetragen, die bisher gegen ihn ergangenen Urteile vorzulegen.

 

10. Mit Schreiben vom 01.07.2013 teilt der BF mit, dass es ihm nicht möglich sei die Urteile vorzulegen, da sowohl sein bisheriger Anwalt als auch ein weiterer von ihm bevollmächtigter Anwalt in der Türkei festgenommen worden seien. Zum Beweis für die Behauptung der Festnahme der Anwälte legte er Internetausdrucke vor.

 

11. Mit Schreiben des BAA vom 25.07.2013 wurde der BF aufgefordert, der belangten Behörde eine notariell beglaubigte Vollmacht zur Akteneinsicht durch türkische Rechtsanwälte in der Türkei auszustellen, damit das BAA selbst die Gerichtsurteile beischaffen und in die Entscheidungsfindung miteinbeziehen könne.

 

12. Mit Schreiben vom 09.08.2013 lehnte der BF eine Vollmachtserteilung mit der Begründung ab, dass mit dieser ihm unbekannte Rechtsanwälte in der Türkei bevollmächtigt werden könnten und so die Gefahr eines nicht einschätzbaren Kostenrisikos entstehe. Überdies könnte das betreffende türkische Gericht auf diese Weise von seinem Aufenthaltsort erfahren, er wolle aber jeden Kontakt zu türkischen Behörden oder Gerichten vermeiden.

 

Unter einem wurde von ihm ein neurologischer Befundbericht vorgelegt.

 

13. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des BAA vom 20.09.2013 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (Spruchpunkt I.) als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei gemäß § 8 Abs. 1 AsylG idgF abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 AsylG idgF wurde seine Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgesprochen (Spruchpunkt III.).

 

14. Mit Verfahrensanordnung des BAA vom 20.09.2013 wurde ihm von Amts wegen ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Asylgerichtshof (AsylGH) zur Seite gestellt.

 

15. Gegen den ihm durch Hinterlegung mit Wirksamkeit vom 26.09.2013 zugestellten Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 08.10.2013 innerhalb offener Frist in vollem Umfang Beschwerde erhoben.

 

Als weitere Beweismittel vorgelegt wurden eine ärztliche Bestätigung sowie ein weiterer Ausdruck einer Internetseite zu einem der Verfahren gegen ihn in der Türkei.

 

16. Die Beschwerdevorlage des BAA an den AsylGH erfolgte mit 15.10.2013. Mit Einrichtung des BVwG per 1.1.2014 wurde das Verfahren der Gerichtsabteilung L515 des BVwG zugewiesen.

 

17. Mit Schreiben einer Beratungsorganisation vom 04.11.2013 wurde eine Bestätigung über eine seit 13.08.2013 erfolgende psychotherapeutische Behandlung des BF vorgelegt.

 

18. Mit Schreiben des BVwG vom 19.08.2014 wurde dieser aufgefordert alle ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel vorzulegen, die Auskunft über den aktuellen Stand eines Strafverfahrens gegen ihn in der Türkei geben können.

 

19. Er legte in der Folge eine Entscheidung des türkischen Kassationsgerichtshofs vom 15.01.2014, ein Gerichtsurteil vom 30.04.2014, ein Protokoll über die Anberaumung einer Verhandlung und ein solches über die Vertagung derselben und mehrere Rechtskraftbestätigungen vor. Zugleich wurden von ihm die Kontaktdaten des zuletzt bevollmächtigten türkischen Anwaltes bekannt gegeben und ersucht nötigenfalls Informationen über diesen einzuholen.

 

20. In weiterer Folge übermittelte das BVwG die vorliegenden Gerichtsunterlagen des BF einer länderkundlichen Sachverständigen mit dem Ersuchen zu klären, hinsichtlich welcher Delikte der BF tatsächlich verurteilt wurde, welche Rechtsfolgen ihn erwarten, ob die Untersuchungshaft auf die Haftstrafe angerechnet worden und welche medizinische Behandlung in türkischen Gefängnissen zu erwarten wären.

 

Im Gefolge einer Urgenz im Mai 2015 kam hervor, dass diese Sachverständige den angenommenen Auftrag zurückgelegt hatte und mit einer Erledigung nicht mehr gerechnet werden konnte.

 

21. Das BVwG stellte am 27.05.2015 die gleiche Anfrage an die Österreichische Botschaft (ÖB) in Ankara.

 

22. Mit Eingabe vom 21.11.2015 legte der BF eine Deutschkursteilnahmebestätigung, einen neurologischen Befundbericht sowie die Ablichtung einer türkischen Urkunde vor, die einer nachfolgend von Amts wegen veranlassten Übersetzung zufolge eine Anklageschrift betreffend seinen Sohn wegen des Vorwurfs des Hausfriedensbruchs, der Sachbeschädigung und des Einbruchsdiebstahls darstellte.

 

23. Am 22.03.2016 langte beim BVwG eine am 25.02.2016 bei der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) veranlasste Anfragebeantwortung zur Möglichkeit von Strafnachlässen in der Türkei ein.

 

24. Nach wiederholten Urgenzen langte am 25.04.2016 beim BVwG die Anfragebeantwortung der ÖB in Ankara ein, der zufolge der BF wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft bei einer terroristischen Organisation zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 3 Monaten verurteilt wurde, er wegen des Vorwurfs der Propaganda für eine Terrororganisation weder freigesprochen noch verurteilt worden sei bzw. es hierzu keinen Urteilsspruch gäbe, eine vorherige Untersuchungshaft dem BF auf die Haftdauer angerechnet werden würde und er in der Haft Zugang zu medizinischer Versorgung, auch zur Behandlung einer psychischen Erkrankung, hätte.

 

25. Am 02.05.2016 führte das BVwG eine mündliche Verhandlung durch, in der mit dem BF auch die Ergebnisse der zuletzt erfolgten Beweisaufnahmen erörtert wurden.

 

26. Mit Erkenntnis des BVwG vom 12.05.2016, GZ. XXXX, wurde die Beschwerde des BF gegen den Bescheid des BAA vom 20.09.2013 hinsichtlich der Spruchpunkte I und II gemäß §§ 3 und 8 AsylG als unbegründet abgewiesen, unter einem wurde der Spruchpunkt III behoben und das Verfahren gemäß § 75 Abs. 19 und 20 AsylG zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurückverwiesen.

 

27. In Stattgebung einer vom BF dagegen eingebrachten a.o. Revision wurde diese Entscheidung mit Erkenntnis des VwGH vom 20.12.2016, Zl. XXXX, aufgehoben.

 

Begründend wurde dargelegt, es seien insbesondere für die Beurteilung der Asylrelevanz einer staatlichen Strafverfolgung die Feststellungen erforderlich, aufgrund welchen von den türkischen Gerichten als erwiesen angenommenen tatsächlichen Verhaltens das türkische Strafgericht von der Erfüllung welcher Straftatbestände (einschließlich ihrer Strafdrohung) ausging und welche Sanktion dafür jeweils verhängt wurde. Erst diese Feststellungen können eine Grundlage für die Beurteilung, ob den verhängten Sanktionen für die verwirklichten Straftatbestände jede Verhältnismäßigkeit fehlte, darstellen. Entsprechende Feststellungen habe das BVwG nicht getroffen.

 

28. Aufgrund einer Unzuständigkeitseinrede wurde das gegenständliche Verfahren der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung L 502 zugewiesen.

 

29. Mit Schreiben des BVwG vom 06.02.2017 wurde der BF aufgefordert einen aktuellen türkischen Strafregisterauszug seine Person betreffend vorzulegen.

 

30. Die nunmehrige rechtsfreundliche Vertretung des BF legte am 22.02.2017 eine Verfahrensvollmacht vor und erstattete eine Stellungnahme zur Aufforderung vom 06.02.2017, der zufolge dieser versuche über Familie und Bekannte einen Strafregisterauszug beizuschaffen, wofür um eine unbefristete Erstreckung der Frist zur Vorlage gebeten wurde. Überdies wurde angeregt einen Strafregisterauszug im Wege einer österr. Vertretungsbehörde einzuholen bzw. ohne diesen eine Entscheidung zu treffen.

 

31. Mit Urkundenvorlage vom 21.03.2017 teilte der Rechtsbeistand des BF in der Türkei mit Schreiben vom 03.03.2017 mit, dass dieser angesichts eines in Rechtskraft erwachsenen Urteils aus dem Jahr 2011 eine Haftstrafe von 6 Jahren und 3 Monaten zu verbüßen habe, für deren Vollstreckung auch ein Haftbefehl gegen ihn bestehe, andere geringfügigere Verurteilungen seien behoben und zurückverwiesen worden bzw. die diesbezügliche Strafverfolgung verjährt.

 

32. Mit Schreiben des BVwG vom 03.04.2017 wurde der BF aufgefordert, das Schreiben seines Anwalts im Original vorzulegen, über diesen Anwalt den behaupteter Weise gegen ihn bestehenden Haftbefehl vorzulegen, Nachweise für die Behauptung beizubringen, dass die beiden den BF vertretenden Anwälte in der Türkei selbst inhaftiert wurden, Quellen für die Behauptung offen zulegen, dass Richter und Staatsanwälte des Sondergerichts, welches mehrere Strafen gegen den BF aufgehoben habe, nach dem Putsch entlassen und inhaftiert wurden, und einen Strafregisterauszug beizuschaffen.

 

33. Am 24.04.2017 langte eine Befangenheitsanzeige gegen den Leiter der Gerichtsabteilung L 502 samt Stellungnahme der rechtsfreundlichen Vertretung des BF ein.

 

34. Mit Schreiben vom 27.04.2017 wurde den Vertretern des BF dargelegt, aus welchen Gründen das BVwG die Besorgung eines Strafregisterauszuges als zulässig erachtet.

 

35. Das BVwG richtete mit 27.04.2017 ein Erhebungsersuchen an den Verbindungsbeamten der ÖB in Ankara zur Feststellung der Erreichbarkeit des türkischen Rechtsanwalts des BF, dessen Vertretungsbefugnis sowie zu einem etwaig gegen den BF bestehenden Haftbefehl.

 

Eine Anfragebeantwortung, der zufolge der Anwalt des BF nach wie vor als solcher praktiziere, die Vertretung für den BF in der Türkei innehabe und einen gegen den BF bestehenden Haftbefehl bestätigt habe, langte am 05.05.2017 beim BVwG ein.

 

36. Mit Schreiben vom 31.05.2017 teilte die Vertretung des BF im gg. Verfahren dem BVwG mit, dass dessen türkischer Anwalt nunmehr erreicht werden konnte und dieser mitgeteilt habe, dass bereits von einem Mitarbeiter der österr. Botschaft in der Sache des BF mit ihm Kontakt aufgenommen worden sei.

 

37. Das BVwG teilte dem BF mit Schreiben vom 07.06.2017 mit, dass Erhebungen über die ÖB ergeben hätten, dass gegen ihn ein Haftbefehl bestehe, und wurde er erneut aufgefordert, im Wege seines türkischen Anwaltes einen aktuellen Strafregisterauszug vorzulegen, dem alle abgeschlossenen sowie allenfalls beim Kassationsgerichtshof noch anhängigen Verfahren zu entnehmen sind.

 

38. Mit Schreiben vom 10.07.2017 teilte der BF über seine Vertretung dem BVwG mit, dass dem Auftrag nicht nachgekommen werden könne, da der türkische Anwalt nicht zu erreichen sei. Einer Information seiner Verwandten zufolge, die sich vergeblich mit dem Anwalt in Kontakt zu setzen versucht hätten, sei der türkische Anwalt vermutlich der letzten Verhaftungswelle in der Türkei zum Opfer gefallen. Andere Anwälte fürchteten um ihr Leben und hätten den Verwandten verboten ihre Namen weiterzugeben.

 

39. Ein neuerliches, inhaltlich wie die Anfrage vom 27.04.2017 gestaltetes Rechtshilfeersuchen des BVwG vom 13.07.2017 an die ÖB in Ankara ergab, dass der türkische Anwalt zwar mehrmals kurzfristig inhaftiert war, jedoch nach wie vor den BF anwaltlich vertrete. Bekräftigt wurde, dass der BF zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden sei und daher ein aufrechter Haftbefehl gegen ihn bestehe.

 

40. Dem BF wurde mit Schreiben vom 24.08.2017 der Inhalt der letzten Anfragebeantwortung zur Kenntnis gebracht, verbunden mit dem Hinweis, dass dieser Sachverhalt sowie der Umstand, dass gegen ihn in der Türkei ein augenscheinlich rechtsstaatlichen Grundsätzen gehorchendes Strafverfahren durchgeführt wurde, dem Verfahren zugrunde zu legen seien, sofern der BF im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nicht Gegenteiliges durch Vorlage entsprechender Beweismittel glaubhaft darlege.

 

41. Am 13.09.2017 langte eine weitere Stellungnahme des Vertreters des BF beim BVwG ein, der zufolge der türkische Anwalt des BF wegen des Kontakts mit der ÖB verhaftet worden sei. Der BF selbst sei inzwischen in Österreich wegen seiner politischen Aktivitäten als Kurde von Dritten auf der Internet-Plattform Facebook bedroht worden, wofür als Beweis die Niederschrift einer Zeugeneinvernahme des BF im Zusammenhang mit diesen Drohungen vorgelegt wurde.

 

42. Mit Schreiben an das BVwG vom 30.10.2017 wurde mitgeteilt, dass der BF ohne seinen Vertreter an einer anberaumten Verhandlung teilnehmen werde.

 

43. Am 02.11.2017 führte das BVwG eine mündliche Verhandlung im Beisein des BF in türkischer Sprache durch, in der er zu seinem bisherigen Vorbringen gehört und ihm die Möglichkeit der Vorlage von Beweismitteln geboten wurde sowie vom Gericht ergänzende länderkundliche Informationen als Beweismittel herangezogen wurden. Der BF legte wiederum ein handschriftliches Schreiben eines Freundes vor, das die Drohungen gegen ihn über Facebook wiedergeben würde.

 

44. Am 17.11.2017 langte beim BVwG eine Stellungnahme der Vertretung des BF zu den ihm in der Verhandlung ausgehändigten Länderinformationen ein.

 

45. Mit Verständigung vom Ergebnis einer weiteren Beweisaufnahme vom 25.04.2018 wurde dem BF das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Stellungnahme übermittelt.

 

46. Am 11.05.2018 langte eine Stellungnahme des BF dazu ein.

 

47. Mit Urkundenvorlage vom 25.06.2018 wurde ein der Ehegattin des BF zugestelltes behördliches Schreiben samt einer Übersetzung in die deutsche Sprache vorgelegt.

 

48. Das BVwG erstellte abschließend aktuelle Auszüge aus dem Zentralen Melderegister, dem Strafregister und dem Grundversorgungsbetreuungsinformationssystem.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

 

Die Identität des BF steht fest. Er ist türkischer Staatsangehöriger, Moslem und gehört der Volksgruppe der Kurden an. Er stammt aus XXXX, Provinz XXXX, wo er bei seinen Eltern und Geschwistern aufwuchs. Er arbeitete in der Landwirtschaft, vorwiegend in der seiner Eltern. Im Jahr 1996 zog er nach XXXX, wo er als Näher und Hilfsarbeiter für seinen Lebensunterhalt sorgte. Er reiste im Mai 2012 auf illegale Weise aus Italienkommend nach Österreich ein, wo er sich seither - mit einer kurzen Unterbrechung im Gefolge der Einreise, als er sich nach Schweden begeben hatte - bis dato aufhält.

 

Die Ehegattin, zwei Söhne und drei Töchter des BF leben in XXXX. Darüber hinaus leben in der Türkei die Eltern, 9 Schwestern, 4 Brüder, die Schwiegereltern und weitere Verwandte des BF. Eine Schwester des BF sowie vier Onkel und ein Cousin leben in Schweden. Er steht in regelmäßigem Kontakt mit seinen Angehörigen in der Türkei. Er spricht Türkisch sowie Kurdisch.

 

In Österreich leben keine Verwandten des BF. Er bezieht Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und war - abgesehen von einem Tag gemeinnütziger Arbeit in einem Park - bisher nicht legal erwerbstätig. Er besucht regelmäßig einen alevitisch-kurdischen Verein sowie zeitweise eine Einrichtung der Grünen Partei. Er besuchte einen Sprachkurs und verfügt nur über rudimentäre Kenntnisse der deutschen Sprache und über keine nennenswerten sozialen Kontakte.

 

Der BF leidet an Schwerhörigkeit, HNO-Problemen, Gastritis und Schlafstörungen. Wegen seiner Gastritis nimmt er aktuell Tabletten zur Reduzierung der Magensäure ein. Bereits in der Türkei wurde ihm eine Niere entfernt und wurde er im Zusammenhang damit medizinisch betreut, in Österreich werden diesbezüglich Kontrolluntersuchungen durchgeführt, er leidet aber aktuell weder an Beschwerden noch erfährt er eine regelmäßige Behandlung. Er besuchte - wegen der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung - im Jahr 2013 sowie zwischen September 2015 und November 2017 eine Psychotherapie und nimmt Beruhigungsmittel ein.

 

1.2. Zu den Ausreisegründen des BF:

 

1.2.1. Mit Urteil des 14. XXXX vom 30.12.2011 wurde er

 

a) wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation gemäß §§ 220/6, 314/3, 314/2, 61, 53/1-3, 58/9, tStGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 3 Monaten

 

b) wegen Propaganda für eine Terrororganisation (in 4 Tathandlungen) gemäß § 61 tStGB iVm § 7/2 Gesetz Nr. 3713, §§ 62/1, 53/1-3 und 63 tStGB zu jeweils 10 Monaten Freiheitsstrafe

 

verurteilt.

 

Für vier weitere strafbare Handlungen erklärte sich das Gericht als unzuständig, von weiteren Anklagepunkten wurde er freigesprochen. Festgehalten wurde auch, dass die Untersuchungshaft von 12.08.2008 bis 20.05.2011 gemäß § 53 tStGB der Haftzeit angerechnet wird.

 

Laut Urteilsbegründung hat der BF am 04.02.2007 an einer Veranstaltung der (Anm.: pro-kurdischen Partei) DTP teilgenommen und dabei Parolen zu Gunsten der Terrororganisation (PKK) gerufen, bei einer von der Organisation DEM-DER organisierten illegalen Versammlung teilgenommen und die Gruppe angeleitet sowie Parolen zu Gunsten der PKK gerufen, an gewalttätigen Aktionen der Gruppe gegen die Polizei unter Verwendung von Molotowcocktails und Steinen teilgenommen und bei einer 1. Mai - Versammlung Symbole der PKK getragen und mit vermummten Gesicht Propaganda für die PKK gemacht. Am 11.11.2005 und am 20.11.2005 hat er eine Gruppe angeleitet, die im Auftrag der PKK eine Demonstration organisierte, bei der Flaggen der PKK und Bilder des PKK-Führers Öcalan getragen wurden, und gegen die Polizei Molotowcocktails, Schlagstöcke und Steine eingesetzt und eine Straßensperre errichtet hat.

 

Die Feststellungen stützten sich auf das Ergebnis umfangreicher Telefonabhörmaßnahmen, aus denen sich auch ergab, dass der BF aktiv und in führender Position an der Mitgliederanwerbung der PKK beteiligt war und "für die Umsetzung der bewaffneten Kämpfe der Partei zuständig" war. Er selbst bestritt im Rahmen des Beweisverfahrens sowohl die abgehörten Telefonate als auch den Umstand, dass er die auf den ihm vorgelegten Fotos von Versammlungen aufscheinende Person sei.

 

In einer Entscheidung des Kassationsgerichtshofs vom 15.01.2014 wurde das Urteil vom 30.12.2011 im Rechtsmittelweg überprüft. Dabei wurde festgestellt, dass die Tathandlungen der Propaganda für eine Terrororganisation teilweise bereits verjährt waren und wurde die erstinstanzliche Entscheidung in diesem Umfang aufgehoben, hinsichtlich dreier weiterer Tathandlungen in diesem Sinne wurde "für die Aufschiebung der Strafverfolgung" entschieden.

 

Mit Urteil des 16. Schwurgerichts Istanbul vom 30.04.2014 wurde hinsichtlich dieser drei Sachverhalte entschieden, dass der Strafaufschub unter Auflage einer Probezeit von drei Jahren gewährt wird.

 

Vor der 6. Kammer des Strafgerichts XXXX wurden am 27.06.2012 und am 08.02.2013 zwei Verhandlungen gegen den BF als Beschuldigten in Abwesenheit wegen der Vorwürfe der nicht bewaffneten Teilnahme an unerlaubten Versammlungen und Protestmärschen, des Nichtentfernens vom Ort trotz Verwarnung und der Teilnahme an Versammlungen und Protestmärschen mit einer Waffe oder anderen Mitteln durchgeführt. In einem hierzu vorgelegten Strafregisterauszug vom 08.05.2013 wurde zwar angeführt, dass ein "begründetes Urteil ergangen" sei, da der BF aber weder einen aktuellen Strafregisterauszug noch eine Urteilsabschrift vorlegte, konnten dazu keine weiteren Feststellungen getroffen werden.

 

1.2.2. Der BF verließ die Türkei im Jahre 2012 um einem möglichen zukünftigen Strafantritt im Hinblick auf seine zu diesem Zeitpunkt noch nicht rechtskräftige, weil einem Rechtsmittelverfahren unterliegende Verurteilung zu 6 Jahren und 3 Monaten unbedingter Haft wegen Mitgliedschaft in der terroristischen Organisation PKK zu entgehen.

 

1.2.3. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF im Zusammenhang mit den oben genannten strafgerichtlichen Verurteilungen einer nicht den Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens genügenden Verfahrensführung durch die türkischen Gerichte unterworfen war.

 

Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der BF von den zuständigen türkischen Gerichten einer unverhältnismäßigen Bestrafung wegen der ihm zur Last gelegten Straftaten unterworfen wurde.

 

Während seiner früheren Anhaltung in der Untersuchungshaft wurde der BF medizinisch versorgt und ist im Fall der Verbüßung seiner Haftstrafe davon auszugehen, dass er eine allenfalls notwendige medizinische Versorgung erhält.

 

1.3. Der gg. Entscheidung werden folgende länderkundliche Informationen zur allgemeinen Lage in der Türkei zugrunde gelegt:

 

1.3.1. Die Türkei ist eine parlamentarische Republik, deren rechtliche Grundlage auf der Verfassung von 1982 basiert. In dieser durch das Militär initiierten und vom Volk angenommenen Verfassung wird das rechtsstaatliche Prinzip der Gewaltenteilung verankert. Die Türkei ist laut Verfassung eine demokratische, laizistische, soziale und rechtsstaatliche Republik, welche die Menschenrechte achtet und sich dem Nationalismus Atatürks verbunden fühlt. Oberhaupt des Staates ist der Staatspräsident. Recep Tayyip Erdogan, der zuvor zwölf Jahre lang Premierminister war, gewann am 10.8.2014 die erstmalige direkte Präsidentschaftswahl, bei der auch zum ersten Mal im Ausland lebende türkische Staatsbürger an nationalen Wahlen teilnahmen. Neuer Ministerpräsident wurde Ende Mai Binali Yildirim, der sich durch eine besondere, selbstbekundete Loyalität zu Staatspräsident Erdogan auszeichnet.

 

Der Ministerpräsident und die auf seinen Vorschlag hin vom Staatspräsidenten ernannten Minister bzw. Staatsminister bilden den Ministerrat, der die Regierungsgeschäfte führt. Überdies ernennt der Staatspräsident 14 von 17 Mitgliedern des Verfassungsgerichtes für zwölf Jahre. In der Verfassung wird die Einheit des Staates festgeschrieben, wodurch die türkische Verwaltung zentralistisch aufgebaut ist. Es gibt mit den Provinzen, den Landkreisen und den Gemeinden (belediye/mahalle) drei Verwaltungsebenen. Die Gouverneure der 81 Provinzen werden vom Innenminister ernannt und vom Staatspräsidenten bestätigt. Den Landkreisen steht ein vom Innenminister ernannter Regierungsvertreter vor. Die Bürgermeister und Dorfvorsteher werden vom Volk direkt gewählt, doch ist die politische Autonomie auf der kommunalen Ebene stark eingeschränkt.

 

Das türkische Parlament, die Große Türkische Nationalversammlung, wird für vier Jahre gewählt. Gewählt wird nach dem Verhältniswahlrecht in 85 Wahlkreisen. Im Unterschied zu unabhängigen KandidatInnen gilt für politische Parteien landesweit eine Zehn-Prozent-Hürde.

 

2015 fanden zweimal Parlamentswahlen statt. Die Wahlen vom 7.6.2015 veränderten die bisherigen Machtverhältnisse in der Legislative. Die seit 2002 alleinregierende AKP (Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei) verlor zehn Prozent der Wählerstimmen und ihre bisherige absolute Mehrheit. Dies war auch auf den Einzug der pro-kurdischen HDP (Demokratische Partei der Völker) zurückzuführen, die deutlich die nötige Zehn-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament schaffte. Der Wahlkampf war überschattet von zahlreichen Attacken auf Parteilokale und physischen Übergriffen auch mit Todesopfern. Die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) kritisierte überdies den Druck auf regierungskritische Medien sowie die unausgewogene Berichterstattung, insbesondere des staatlichen Fernsehens zugunsten der regierenden AKP. Überdies hat Staatspräsident Erdogan im Wahlkampf eine aktive Rolle zugunsten seiner eigenen Partei eingenommen, obwohl die Verfassung den Staatspräsidenten zur Neutralität verpflichtet.

 

Die Parlamentswahlen vom 1.11.2015, die als Folge der gescheiterten Regierungsbildung abgehalten wurden, endeten mit einem unerwartet deutlichen Wahlsieg der seit 2002 alleinregierenden AKP. Die AKP gewann fast die Hälfte der abgegebenen Stimmen, was einen Zuwachs von rund neun Prozent im Vergleich zu den Juni-Wahlen bedeutete. Da die pro-kurdische HDP, zwar unter Verlusten, die nötige Zehn-Prozenthürde für den Einzug ins Parlament schaffte, verfehlte die AKP die Verfassungsmehrheit, um das von ihrem Vorsitzenden und gegenwärtigen Staatspräsident, Recep Tayyip Erdogan, angestrebte Präsidialsystem zu errichten.

 

Im 550-köpfigen Parlament sind vier Parteien vertreten: die islamisch-konservative AKP mit 49,5 Prozent der Wählerstimmen und 317 Mandaten (Juni 2015: 258), die sozialdemokratische CHP (Republikanische Volkspartei) mit 25,3 Prozent und 134 Sitzen (bislang 132), die rechts-nationalistische MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung) mit 11,9 Prozent und 40 Sitzen (bislang 80) sowie die pro-kurdische HDP mit 10,8 Prozent und 59 (bislang 80) Mandaten.

 

Der polarisierte Wahlkampf war überschattet von einer Gewalteskalation, insbesondere durch das Attentat vom 10.10.2015 in Ankara, bei welchem über 100 Menschen starben. Nebst Attacken vor allem auf Mitglieder und Parteilokale der pro-kurdischen HDP wurden mehrere HDP-Mitglieder festgenommen. Überdies wurden Mitglieder aller drei parlamentarischen Oppositionsparteien wegen Verunglimpfung von Amtsvertretern und Beleidigung des Staatspräsidenten angezeigt. Insbesondere im Südosten des Landes war infolge der verschlechterten Sicherheitslage und der darauf folgenden Errichtung von speziellen Sicherheitszonen und der Verhängung von Ausgangssperren ein freier Wahlkampf nicht möglich. Die zunehmende Anwendung von Bestimmungen des Anti-Terrorismus- und des Strafgesetzbuches während des Wahlkampfes führte dazu, dass gegen eine große Anzahl von Journalisten, Benutzern Sozialer- und Informationsmedien Untersuchungen wegen Verleumdung oder Terrorismusverdacht eingeleitet wurden. Zudem gab es Fälle von Gewalt gegen Medienhäuser und Journalisten.

 

Laut dem Bericht der Europäischen Kommission vom November 2016 sind Fortschritte in der Anpassung des Gesetzesrahmens an die Europäischen Standards ausgeblieben. Weiterhin bedarf es einer umfassenden Reform des parlamentarischen Regelwerkes, um die Inklusion die Transparenz und die Qualität der Gesetzgebung sowie eine effektive Aufsicht der Exekutive zu verbessern. Die parlamentarische Aufsicht über die Exekutive blieb schwach. Wann immer das Parlament seine Instrumente der Befragung oder der Untersuchungsausschüsse anwandte, blieben weiterführende Maßnahmen der Regierung unzureichend. Die Fähigkeit des Parlaments seine Schlüsselfunktionen, nämlich die Gesetzgebung und Aufsicht der Exekutive, auszuüben, blieb bis zum 15.7.2016 von politischer Konfrontation überschattet. Die Gesetzgebung wurde oft ohne ausreichende Debatte im Parlament und ohne Konsultation der Beteiligten vorbereitet und verabschiedet. Nach der Erklärung des Ausnahmezustandes und seiner Ausweitung war die Rolle des Parlaments im Gesetzgebungsverfahren beschränkt. Es gab weder Fortschritte bei der Reform der parlamentarischen Regeln und Verfahren noch hinsichtlich der Wahl- und Parteiengesetzgebung nach Europäischen Standards. Der im Dezember 2013 zum Stillstand gekommene Verfassungsreformprozess wurde im Februar 2016 wiederbelebt. Allerdings brachen die Diskussionen im Vermittlungsausschuss des Parlaments bald zusammen, da es zur Blockade wegen des von der regierenden AKP vorgeschlagenen Präsidialsystems kam.

 

In der Nacht vom 15.7. auf den 16.7.2016 kam es zu einem versuchten Staatsstreich durch Teile der türkischen Armee. Insbesondere Istanbul und Ankara waren von bewaffneten Auseinandersetzungen betroffen. In Ankara kam es u.a. zu Angriffen auf die Geheimdienstzentrale und das Parlamentsgebäude. In Istanbul wurde der internationale Flughafen vorrübergehend besetzt. Der Putsch scheiterte jedoch. Kurz vor Mittag des 16.7.16 erklärte der türkische Ministerpräsident Yildirim, die Lage sei vollständig unter Kontrolle. Mehr als 300 Menschen kamen ums Leben. Sowohl die regierende islamisch-konservative Partei AKP als auch die drei im Parlament vertretenen Oppositionsparteien - CHP, MHP und die pro-kurdische HDP - hatten sich gegen den Putschversuch gestellt. Unmittelbar nach dem gescheiterten Putsch wurden 3.000 Militärangehörige festgenommen. Gegen 103 Generäle wurden Haftbefehle ausgestellt. Das Innenministerium suspendierte rund

8.800 Beamte, darunter 7.900 Polizisten, über 600 Gendarmen sowie 30 Provinz- und 47 Distriktgouverneure. Über 150 Höchstrichter und zwei Verfassungsrichter wurden festgenommen.

 

Staatspräsident Erdogan und die Regierung sahen den im US-amerikanischen Exil lebenden Führer der Hizmet-Bewegung, Fethullah Gülen, als Drahtzieher der Verschwörung und forderten dessen Auslieferung. Präsident Erdogan und Regierungschef Yildirim sprachen sich für die Wiedereinführung der 2004 abgeschafften Todesstrafe aus, so das Parlament zustimmt. Neben zahlreichen europäischen Politikern machte daraufhin auch die EU-Außenbeauftragte, Federica Mogherini, klar, dass eine EU-Mitgliedschaft der Türkei unvereinbar mit Einführung der Todesstrafe ist. Zudem sei die Türkei Mitglied des Europarates und somit an die europäische Menschrechtskonvention gebunden.

 

Die Erklärung des Ausnahmezustandes vom 20. Juli führte zu erheblichen Gesetzesänderungen, die durch Dekrete ohne vorherige Konsultation des Parlaments angenommen wurden, obwohl eine begrenzte Konsultation der Oppositionsparteien vorgenommen wurde. Im Einklang mit Artikel 120 der Verfassung werden die Erlasse im Rahmen des Ausnahmezustands innerhalb von 30 Tagen dem Parlament zur Genehmigung unterbreitet. Die Einrichtung einer parlamentarischen Kommission, die Vertreter aller vier Parteien einschließt und Stellungnahmen zu den Dekreten erhält, die während des Ausnahmezustands erlassen werden sollen, wird geprüft.

 

Gegen die Dekrete kann nicht vor dem Verfassungsgericht vorgegangen werden. Während des Ausnahmezustands können nach Artikel 15 Grundrechte eingeschränkt oder ausgesetzt werden. Auch dürfen Maßnahmen ergriffen werden, die von den Garantien in der Verfassung abweichen. Voraussetzung ist allerdings, dass Verpflichtungen nach internationalem Recht nicht verletzt werden. Unverletzlich bleibt das Recht auf Leben. Niemand darf zudem gezwungen werden, seine Religionszugehörigkeit, sein Gewissen, seine Gedanken oder seine Meinung zu offenbaren, oder deswegen bestraft werden. Strafen dürfen nicht rückwirkend verhängt werden. Auch im Ausnahmezustand gilt die Unschuldsvermutung.

 

Der nach dem Putschversuch verhängte Ausnahmezustand ist Anfang Jänner 2017 bis zum 19. April 2017 verlängert worden. Das Parlament in Ankara stimmte dem Antrag der Regierung auf Verlängerung um weitere drei Monate zu. Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus begründete dies unter anderem mit anhaltenden terroristischen Angriffen auf die Türkei.

 

Seit dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli wurden in der Türkei bereits mehr als 42.000 Menschen festgenommen und etwa 120.000 weitere entlassen oder vom Dienst suspendiert. Rund 600 Unternehmen von angeblich Gülen-nahen Geschäftsleuten wurden unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt. Das enteignete Firmenvermögen beläuft sich auf geschätzte zehn Mrd. US-Dollar. Laut "TurkeyPurge.com", einer Internetplattform, die aktuelle Informationen zur staatlichen Verfolgung von vermeintlichen Unterstützern des gescheiterten Putschen oder militanter Organisationen sammelt, waren mit Stand 5.2.2017 rund 124.000 Personen entlassen worden, davon fast 7.000 Akademiker sowie über

3.800 Richter und Staatsanwälte. Fast 91.000 Personen waren festgenommen worden, wovon über 44.500 inhaftiert wurden.

 

Am Vorabend des Jahrestages des gescheiterten Putschversuches vom 15.7.2016 verlautete das türkische Justizministerium, dass bis dato

50.510 Personen wegen Verbindungen zur Gülen-Bewegung inhaftiert wurden, darunter 7.267 Militärangehörige, 8.815 Angestellte der Polizei, rund 100 Gouverneure und deren Stellvertreter und über 2.000 MitarbeiterInnen der Justiz. 169.013 Personen hätten laut Ministerium noch rechtliche Verfahren zu erwarten und nach rund

8.100 wird wegen Verbindungen zur Gülen-Bewegung noch gefahndet. Über 43.000 Personen wurden nach vorläufiger Festnahme wieder entlassen. Mit der Notstandsverordnung vom 14.7.2017 wurden zusätzlich 7.395 öffentlich Bedienstete entlassen. Die regierungskritische Internetplattform "Turkey Purge" zählte mit Stand 19.7.2017 rund 145.700 Entlassungen, darunter über 4.400 Richter und Staatsanwälte, sowie 56.100 Inhaftierungen.

 

In der Türkei nahm am 17.7.2017 eine von der Regierung eingerichtete Kommission ihre Arbeit auf, die Beschwerden gegen Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst im Zusammenhang mit dem Putschversuch prüfen soll. Betroffene hätten nun zwei Monate Zeit, ihre Beschwerden einzureichen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat sich bislang nicht mit den Entlassungen beschäftigt, sondern Kläger aus der Türkei aufgefordert, sich zunächst an die neue Kommission zu wenden.

 

Die Kommission zur Untersuchung der Notstandsmaßnahmen (the Commission on Examination of the State of Emergency Procedures), die am 23.1.2017 gegründet wurde, hat am 17.7.2017 begonnen, Einsprüche von aufgrund der Notstandsdekrete entlassenen Personen, Vereine und Firmen entgegenzunehmen. Innerhalb von drei Wochen [Stand 7.8.2017] wurden bislang rund 38.500 Beschwerden bei der Kommission eingereicht. Das Verfassungsgericht hatte zuvor rund 70.800 Individualbeschwerden in Zusammenhang mit Handlungen auf der Basis der Notstandsdekrete zurückgewiesen, da die Beschwerden nicht der Kommission zur Untersuchung der Notstandsmaßnahmen vorgelegt, und somit nicht alle Rechtsmittel ausgeschöpft wurden. Nebst den direkt bei der Kommission eingereichten Beschwerden werden auch jene, die vor der Gründung der Kommission bei den Verwaltungsgerichten und beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eingereicht wurden, übernommen. Der EGMR hatte zuvor 24.000 Beschwerden abgelehnt. Negative Bescheide der Kommission können bei den Verwaltungsgerichten beeinsprucht werden.

 

Sowohl die türkische Regierung, Staatspräsident Erdogan als auch die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) erklärten Ende Juli 2015 angesichts der bewaffneten Auseinandersetzungen den seit März 2013 bestehenden Waffenstillstand bzw. Friedensprozess für beendet.

 

Die Europäische Kommission bekräftigt das Recht der Türkei die Kurdische Arbeiterpartei (PKK), die weiterhin in der EU als Terrororganisation gilt, zu bekämpfen. Allerdings müssten die Anti-Terrormaßnahmen angemessen sein und die Menschenrechte geachtet werden. Die Lösung der Kurdenfrage durch einen politischen Prozess ist laut EK der einzige Weg, Versöhnung und Wiederaufbau müssten ebenfalls von der Regierung angegangen werden. Die Gesetzesänderung, welche die Aufhebung der Immunität einer großen Zahl von Parlamentariern bewirkte sowie die darauf folgende Festnahme und Inhaftierung mehrerer Abgeordneter der [pro-kurdischen] HDP Anfang November 2016, die beiden Ko-Vorsitzenden eingeschlossen, werden mit großer Sorge gesehen.

 

Die von Staatschef Erdogan angestrebte Verfassungsreform für ein Präsidialsystem in der Türkei ist vom Parlament am 21.1.2017 verabschiedet worden. Für das von der regierenden AKP vorgelegte Reformpaket aus 18 Artikeln stimmten 339 Abgeordneten, 142 waren dagegen. Die notwendige Drei-Fünftel-Mehrheit von mindestens 330 Stimmen wurde auch mit Hilfe von Abgeordneten aus der ultranationalistischen Oppositionspartei MHP erzielt. Die Umsetzung der Verfassungsreform soll schrittweise erfolgen und bis Ende 2019 vollständig abgeschlossen sein. Das Präsidialsystem würde Staatspräsident Erdogan deutlich mehr Macht verleihen und das Parlament schwächen. Der Präsident würde zugleich als Staats- und Regierungschef amtieren und könnte weitgehend per Dekret regieren. Sein Einfluss auf die Justiz würde weiter zunehmen. Die besagten Dekrete treten mit Veröffentlichung im Amtsanzeiger in Kraft. Eine nachträgliche Zustimmung durch das Parlament (wie im derzeit geltenden Ausnahmezustand) ist nicht vorgesehen. Die Dekrete werden nur dann unwirksam, falls das Parlament zum Thema des jeweiligen Erlasses ein Gesetz verabschiedet. Per Dekret kann der Präsident auch Ministerien errichten, abschaffen oder umorganisieren. Obwohl Präsidentschaftsdekrete einer Überprüfung durch das Verfassungsgericht unterliegen, dürfte das Gericht nicht mehr unabhängig und unparteiisch genug sein. Nach der Verfassungsänderung hätte das Verfassungsgericht 15 Mitglieder, die meisten direkt oder indirekt vom Präsidenten ernannt. Darüber hinaus wird der Präsident auch eine wichtige Rolle bei der Formierung des Obersten Rates der Richter und Staatsanwälte (HSYK) spielen.

 

Am 16.4.2017 stimmten nach vorläufigen Ergebnissen bei einer Wahlbeteiligung von 84% 51,3% der türkischen Wählerschaft für die von der regierenden AKP initiierte und von der rechtsnationalistischen "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP) unterstützte Verfassungsänderung, welche ein exekutives Präsidialsystem vorsieht.

 

Die gemeinsame Beobachtungsmisson der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte in einer Stellungnahme am 17.4.2017 sowohl die Kampagne als auch die Mängel des Referendums. Das Referendum sei unter ungleichen Wettbewerbsbedingungen von statten gegangen. Der Staat habe nicht garantiert, dass die WählerInnen unparteiisch und ausgewogen informiert wurden. Zivilgesellschaftliche Organisationen konnten an der Beobachtung des Referendums nicht teilhaben. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des bestehenden Ausnahmezustands hätten negative Auswirkungen gehabt. Cezar Florin Preda, der Leiter der PACE-Delegation sagte, dass das Referendum nicht die Standards des Europarates erfüllte und die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht adäquat für die Durchführung eines genuinen demokratischen Prozesses waren. Laut OSZE wurden im Vorfeld des Referendums Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terrorsympathisanten oder Unterstützer des Putschversuchens vom Juli 2016 gleich. Noch während des Referendums entschied die Oberste Wahlbehörde überraschend, auch von ihr nicht gekennzeichnete Stimmzettel und Umschläge gelten zu lassen. Die Beobachtungsmission der OSZE und des Europarates bezeichneten dies als Verstoß gegen das Wahlgesetz, wodurch Schutzvorkehrungen gegen Wahlbetrug beseitigt wurden.

 

Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) und die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) legten bei der Obersten Wahlkommission Beschwerde ein, wonach 2,5 Millionen Wahlzettel ohne amtliches Siegel verwendet wurden. Die Kommission wies die Beschwerde zurück. Gegner der Verfassungsänderung demonstrierten in den größeren Städten des Landes gegen die vermeintlichen Manipulationen. Der Vize-Vorsitzende der CHP, Bülent Tezcan bezeichnete das Referendum als "organisierten Diebstahl" und kündigte an, den Fall vor das türkische Verfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen, so nötig. Die EU-Kommission hat die türkische Regierung aufgefordert, die mutmaßlichen Unregelmäßigkeiten zu untersuchen. Die OSZE kritisiert eine fehlende Bereitschaft der türkischen Regierung zur Klärung von Manipulationsvorwürfen, denn laut Michael Georg Link, Direktor des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte stand fest, dass die Entscheidung der Wahlkommission, falsch oder gar nicht gestempelte Wahlzettel als gültig zu werten, ein Verstoß gegen türkisches Recht darstellte. Daraufhin kündigte die Oberste Wahlkommission eine Prüfung der Vorwürfe an.

 

1.3.2. Als Reaktion auf den gescheiterten Putsch vom 15.7.2016 hat der türkische Präsident am 20.7.2016 den Notstand ausgerufen. Dieser berechtigt die Regierung, verschiedene Einschränkungen der Grundrechte wie der Versammlungs- oder der Pressefreiheit zu verfügen. Auf der Basis des Ausnahmezustandes können u. a. Ausgangssperren kurzfristig verhängt, Durchsuchungen vorgenommen und allgemeine Personenkontrollen jederzeit durchgeführt werden. Personen, gegen die türkische Behörden strafrechtlich vorgehen (etwa im Nachgang des Putschversuchs oder bei Verdacht auf Verbindungen zur sogenannten Gülen-Bewegung), kann die Ausreise untersagt werden.

 

Am 17.7.2017 wurde der Ausnahmezustand ein viertes Mal verlängert. Eine Mehrheit im Parlament in Ankara stimmte dem Beschluss der Regierung über eine Verlängerung um weitere drei Monate zu. Damit gilt der nach dem Putschversuch im Juli vergangenen Jahres verhängte Ausnahmezustand mindestens bis zum 19.10.2017. Dies ermöglicht Staatspräsident Erdogan weiterhin per Dekret zu regieren. Die beiden größten Oppositionsparteien - die kemalistische CHP und die pro-kurdische HDP - forderten sofortige Aufhebung des Ausnahmezustandes, da dieser ansonsten drohe zum Dauerzustand zu werden.

 

Der stellvertretende Premierminister und Regierungssprecher Bekir Bozdag verkündete am 8.1.2018, dass der Ausnahmezustand verlängert werde. Die formale Zustimmung des Parlaments, in welchem die Regierungspartei AKP die absolute Mehrheit innehält, vorausgesetzt, wäre dies die sechste Verlängerung seit dem 21.7.2016.

 

Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage.

 

Mehr als 80 Prozent der Provinzen im Südosten des Landes waren von Gewalt betroffen. Sieben von neun Provinzen Südostanatoliens sowie zwölf von 14 Provinzen Ostanatoliens waren von Attentaten der PKK, der TAK und des sog. IS, Vergeltungsoperationen der Regierung und bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften betroffen.

 

Laut Parlamentarischer Versammlung des Europarates waren 1,6 Millionen Menschen in den städtischen Zentren von Sperrstunden betroffen und mindestens 355.000 Personen wurden vertrieben. Zahlreichen glaubwürdigen Berichten zufolge, die durch dokumentarische Beweise und Videoaufnahmen gesichert wurden, haben die türkischen Sicherheitskräfte in manchen Fällen schwere Waffen eingesetzt, darunter auch Artillerie und Mörser sowie Panzer und schwere Maschinengewehre. Mehre Städte in den südöstlichen Landesteilen wurden zum Teil schwer zerstört. Der Gouverneur von Diyarbakir schätzte, dass 50% der Häuser von sechs Stadtvierteln in der Altstadt von Sur nun völlig unbewohnbar wurden, und dass weitere 25% beschädigt wurden.

 

Bereits im März 2016 wurde von schweren Verwüstungen der Stadt Cizre berichtet. Vom Cudi-Viertel auf der linken Seite des Tigris waren nur noch die Ruinen eingestürzter Häuser übrig; ein Hinweis darauf, dass die Panzer mit ihren Granaten systematisch auf die Stützpfeiler der Wohnhäuser zielten. 80 Prozent der Wohngebiete in Cizre sollen zerstört worden sein. In Silopi wurden gemäß Regierungsberichten vom März 2016 6.694 Häuser und Wohnungen im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und PKK-nahen Guerillakämpfern beschädigt, wobei 27 komplett zerstört wurden. Lokale Quellen setzten die Zahl der betroffenen Wohnstätten wesentlich höher an. 241 Wohnobjekte, die im Regierungsbericht nicht aufscheinen, seien völlig zerstört worden.

 

Laut der Sicherheitsagentur "Verisk Maplecroft" wurden 2016 bei 269 Terroranschlägen 685 Menschen getötet und mehr als 2.000 verwundet. Das "Bipartisan Policy Center" zählte bis Dezember 2016 eine Verdoppelung der Opferzahlen im Vergleich zu 2015. Beinahe 300 Personen wurden 2016 bei den größeren Terroranschlägen der Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) und des sog. Islamischen Staates getötet. 2015 waren es weniger als 150. Bei einem Selbstmordanschlag auf eine Touristengruppe im Zentrum Istanbuls wurden im Jänner 2016 zwölf Deutsche getötet. Die Regierung gab dem IS die Schuld für den Anschlag. Am 28. Juni 2016 kamen bei einem Terroranschlag auf den Istanbuler Flughafen Atatürk über 40 Menschen ums Leben. Die Behörden gingen von einer Täterschaft des sog. Islamischen Staates (IS) aus. Am 20.8.2016 riss ein Selbstmordanschlag des sog. IS auf eine kurdische Hochzeit in Gaziantep mehr als 50 Menschen in den Tod. In einer Erklärung warf die HDP der Regierung vor, sie habe Warnungen vor Terroranschlägen durch den sog. IS ignoriert. Vielmehr habe die Regierungspartei AKP tatenlos zugesehen, wie sich die Terrormiliz IS gerade in der grenznahen Stadt Gaziantep ausgebreitet hat. Ein weiterer schwerer Terroranschlag des sog. IS erfolgte in der Silvesternacht 2016/17. Während eines Anschlags auf den Istanbuler Nachtclub Reina wurden 39 Menschen getötet, darunter 16 Ausländer.

 

Die PKK hat am 12.3.2016 eine Dachorganisation linker militanter Gruppen gegründet, um ihre eigenen Fähigkeiten auszuweiten und ihre Unterstützungsbasis jenseits der kurdischen Gemeinschaft auszudehnen. Die neue Gruppe, bekannt als die "Revolutionäre Bewegung der Völker" (HBDH), wird vom Chef der radikalsten linken Fraktion innerhalb der PKK, Duran Kalkan, geleitet. Erklärte Absicht der Gruppe, die den türkischen Staat und im Speziellen die herrschende AKP ablehnt, ist es, die politische Agenda voranzutreiben, wozu auch Terroranschläge u.a. gegen Ausländer gehören. Die Gruppe unterstrich zudem das Scheitern der kurdischen Parteien in der Türkei, auch der legalen HDP. Laut Berichten beabsichtigt die HBDH Propagandaaktionen durchzuführen, um auch die Unterstützung von türkischen Aleviten zu erhalten, und um "Selbstverteidigungsbüros" in den Vierteln der südlichen und südöstlichen Städte zu errichten. Die HBDH will auch Druck auf Dorfvorsteher und Beamte ausüben, die in Schulen und Gesundheitsdiensten arbeiten, damit diese entweder kündigen oder die Ortschaften verlassen. Neun verbotene Gruppen trafen sich auf Einladung der PKK am 23.2.2016 zur ihrer ersten Sitzung im syrischen Latakia, darunter die Türkische kommunistische Partei/ Marxistisch-Leninistisch (TKP/ML), die Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) [siehe 3.4.], die Revolutionäre Kommunistische Partei (DKP), die Türkische Kommunistische Arbeiterpartei/ Leninistin (TKEP/L), die Kommunistische Partei der Vereinten Nationen (MKP), die türkische Revolutionäre Kommunistenvereinigung (TIKB), das Revolutionshauptquartier und die Türkische Befreiungspartei-Front (THKP-C). Die HBDH sieht in der Türkei eine Ein-Parteien-Diktatur bzw. ein faschistisches Regime entstehen, dass u.a. auf der Feindschaft gegen die Kurden gründet.

 

1.3.3. Die sogen. Gülen- oder Hizmet-Bewegung ist eine gut organisierte Gemeinschaft - keine politische Partei - benannt nach dem in Pennsylvania, in den Vereinigten Staaten lebenden islamischen Geistlichen Fethullah Gülen. Die Bewegung definiert sich selbst folgendermaßen: "Die Gülen-Bewegung (Hizmet auf Türkisch) ist eine weltweite zivile Initiative, die in der geistigen und humanistischen Tradition des Islam verwurzelt ist und von den Ideen und dem Aktivismus des Herrn Fethullah Gülen inspiriert ist". Gülen wird von seinen Anhängern als spiritueller Führer betrachtet. Gülen fördert einen toleranten Islam, der Altruismus, Bescheidenheit, harte Arbeit und Bildung hervorhebt. Die Gülen-Bewegung betreibt Schulen rund um den Globus. In der Türkei soll es zahllose, möglicherweise Millionen Anhänger geben, oft in einflussreichen Positionen. Mit ihrem Fokus auf islamische Werte waren Gülen und seine Anhänger natürliche Verbündete Erdogans, als letzterer die Macht übernahm. Erdogan nutzte die bürokratische Expertise der Gülenisten, um das Land zu führen und dann, um das Militär aus der Politik zu drängen. Nachdem das Militär entmachtet war, begann der Machtkampf.

 

Wichtige Stationen dieser Entwicklung waren die Rede Erdogans in Davos 2009 und die Ereignisse rund um die Stürmung der türkischen Gaza-Flottille Mavi Marmara durch das israelische Militär 2010. Mit der Kritik Gülens am Versuch, mit der Mavi Marmara die israelische Blockade des Gaza-Streifens zu durchbrechen, brach der Streit zwischen Gülens Bewegung und Erdogans Partei dann offen aus und eskalierte im Dezember 2013, als Staatsanwälte, die Gülen nahgestanden sein sollen, gegen vier Minister der Regierung Erdogan Ermittlungen wegen Korruption einleiteten. Gleichzeitig tauchte eine Vielzahl von Mitschnitten abgehörter Telefonate im Internet auf, die den Verdacht nahelegten, dass auch der damalige Ministerpräsident Erdogan selbst in schwere Korruptionsfälle verstrickt war. Der Streit zwischen der Hizmet-Bewegung und der Partei entwickelte sich zum politischen Krieg: Die Regierung versetzte die an den Ermittlungen beteiligten Staatsanwälte, die deren Anweisungen ausführenden Polizisten und die zuständigen Richter.

 

Ein türkisches Gericht hatte im Dezember 2014 Haftbefehl gegen Gülen erlassen. Die Anklage beschuldigte die Hizmet-Bewegung, eine kriminelle Vereinigung zu sein. Zur gleichen Zeit ging die Polizei mit einer landesweiten Razzia gegen mutmaßliche Anhänger Gülens in den Medien vor. So wurde im ersten Halbjahr 2015 auch gegen Richter und Staatsanwälte ermittelt, die als mutmaßliche Gülen-Anhänger illegale Abhörmaßnahmen angeordnet haben sollen. Im Zuge der Auseinandersetzung zwischen den ehemaligen politischen Partnern AKP und Gülen-Bewegung zielte die Regierung auf die Eliminierung paralleler Strukturen der Gülen-Anhänger in der staatlichen Verwaltung ab. Der Schwerpunkt lag zu Beginn auf dem Polizei- und Justizbereich mit massenhaften Versetzungen und umstrittenen Gesetzesvorhaben. Nach einer Welle von Versetzungen sollten Gülen-Anhänger in der Justiz, die bis 2013 von der AKP-Regierung zu Tausenden als Gegengewicht zu der früher von den "Kemalisten" geprägten Justiz eingestellt worden waren, nunmehr gänzlich aus ihren Ämtern entfernt werden.

 

Am 27.5.2016 verkündigte Staatspräsident Erdogan, dass die Gülen-Bewegung auf der Basis einer Entscheidung des Nationalen Sicherheitsrates vom 26.5.2016 als terroristische Organisation registriert wird. In den offiziellen türkischen Quellen wird die "Gülenistische Bewegung" oder das "Netzwerk" nun als FETÖ/PDY, kurz:

FETÖ, (Fethullah Terror Organisation / Strukturen des Parallelstaates) bezeichnet. Die Behörden, die von einem breiten Konsens in der Gesellschaft unterstützt wurden, machten angesichts des Putschversuches vom 15.7.2016 unmittelbar die Gülen-Bewegung für dessen Organisation verantwortlich. Fethullah Gülen wies jegliche Involvierung von sich. Bislang verweigerten die Vereinigten Staaten die Auslieferung von Gülen.

 

Laut "TurkeyPurge" wurden (Stand 27.4.2017) seit dem Putschversuch vom 15.7.2016 über 134.000 Personen wegen vermeintlicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung entlassen, knapp über 100.000 festgenommen, und von letzteren 50.000 inhaftiert.

 

1.3.4. Terroristische Gruppierungen:

 

PKK - Partiya Karkerên Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans)

 

Ab Mitte der 1970er Jahre bildete sich eine breitere Front oppositioneller Kurden, die ein gemeinsames Ziel erreichen wollten:

mehr Freiheit und am Ende einen unabhängigen Staat. Als Hauptakteur kristallisierte sich die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) heraus, die 1978 von Abdullah Öcalan gegründet worden war. Neben dem Kampf gegen den türkischen Nationalismus war sie auch stark marxistisch-leninistisch beeinflusst und machte das kapitalistische und imperialistische System verantwortlich für die Situation der Kurden. Nach dem Militärputsch von 1980 rief Öcalan 1984 den bewaffneten Kampf aus. Die türkische Armee schlug mit voller Härte zurück. Über kurdische Provinzen wurde der Ausnahmezustand verhängt, die Armee brannte ganze Dörfer nieder, deren Bewohner unter dem Verdacht standen, mit der PKK zu sympathisieren. Das wiederum verschaffte der PKK Zulauf. Sie wuchs im Laufe der Jahre von einer Rebellengruppe in den Bergen zur wichtigsten politischen Vertretung aller Kurden. Heute teilen mindestens 80 Prozent der Kurden im Südosten der Türkei grundlegende Forderungen der PKK: Sie wollen Unterricht ihrer Kinder in der Muttersprache, lokale und regionale Autonomie vom türkischen Zentralstaat und eine Entschuldigung des Staates für die seit Anfang der Republik betriebene Politik der Leugnung kurdischer Sprache und Kultur, die gewaltsame Assimilationspolitik und die damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen.

 

1993 gab es das erste Waffenstillstandsangebot der PKK. Deren Führung verwarf in einer Erklärung das Ziel eines unabhängigen Kurdistans und strebte stattdessen kulturelle Autonomie und lokale Selbstverwaltung innerhalb der Türkei an. Doch die türkische Regierung war zu keinen Kompromissen bereit und verstärkte ihre Militäroffensive. Im Februar 1999 wurde Abdullah Öcalan festgenommen, was die Führung und Organisation der PKK empfindlich schwächte. Aus dem Gefängnis heraus warb er für eine friedliche Lösung des Konfliktes. Öcalan bezeichnete nach einem im September 1998 verkündeten einseitigen Waffenstillstand in einem am 3.8.1999 veröffentlichten Appell die Atmosphäre des bewaffneten Konflikts und der Gewalt als Hindernis für die Entwicklung der Menschenrechte und der Demokratie, weshalb es notwendig sei, diese auch im Sinne der Lösung des Kurdenproblems zu überwinden. Öcalan rief die PKK auf den bewaffneten Kampf zu beenden und ihre Kämpfer des Friedens willen aus der Türkei abzuziehen.

 

Nach über drei Jahrzehnten blutigen Konflikts zwischen türkischen Sicherheitskräften und kurdischen Nationalisten begann die Regierung Ende 2012 einen Dialogprozess mit dem inhaftierten PKK-Chef Öcalan und der bislang v.a. auf kurdische Anliegen fokussierten Partei HDP. Der seitdem andauernde "Lösungsprozess" führte Ende März 2013 zur Ausrufung einer von beiden Seiten respektierten Waffenruhe. Öcalan hatte zuletzt Ende Februar 2015 die Niederlegung der Waffen durch die PKK in der Türkei in Aussicht gestellt, abhängig von weiterer Bewegung der Regierung im Lösungsprozess. Der von der PKK gegenüber dem türkischen Staat angebotene Gewaltverzicht wurde im Sommer 2015 zurückgenommen. Auslöser für eine neuerliche Eskalation des militärischen Konflikts war ein der Terrormiliz Islamischer Staat zugerechneter Selbstmordanschlag am 20. Juli 2015 in der türkischen Grenzstadt Suruç, der über 30 Tote und etwa 100 Verletzte gefordert hatte. PKK-Guerillaeinheiten töteten daraufhin am 22. Juli 2015 zwei türkische Polizisten, die sie einer Kooperation mit dem IS bezichtigten. Das türkische Militär nahm dies zum Anlass, in der Nacht zum 25. Juli 2015 Bombenangriffe auf Lager der PKK in Syrien und im Nordirak zu fliegen. Parallel fanden in der Türkei landesweite Exekutivmaßnahmen gegen Einrichtungen der PKK statt. Noch am selben Tag erklärten die PKK-Guerillaeinheiten den - seit März 2013 jedenfalls auf dem Papier bestehenden - Waffenstillstand mit der türkischen Regierung für bedeutungslos. Die türkische Regierung kündigte nach deutlich intensivierten Kamphandlungen der PKK am 28. Juli 2015 ihrerseits den Friedensprozess faktisch auf. Seit Mitte August 2015 hat die PKK in zahlreichen Provinzen mit überwiegend kurdischer Bevölkerung die "Selbstverwaltung" ausgerufen, da sie nicht mehr bereit sei, die Autorität des türkischen Staates in diesen Gebieten anzuerkennen. Die PKK-Guerillaeinheiten forderten, sich gegen den "Genozid" der türkischen Regierung zu wehren und die ausgerufenen Selbstverwaltungsgebiete zu verteidigen.

 

Eine nicht unwesentliche Rolle im Konflikt mit dem türkischen Staat kommt der Jugendorganisation der PKK zu. Die Patriotische Revolutionäre Jugendbewegung (YDG-H) wurde im Februar 2013 gegründet, am Vorabend der Verkündung der Waffenruhe durch PKK-Führer Öcalan. Bereits im selben Jahr kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen mit kurdischen Islamisten in der Region. Seit Sommer 2015 zeichnete sich die YDG-H insbesondere durch einen Guerilla-Krieg gegen die türkischen Sicherheitskräfte in den Städten des Südostens aus. Die PKK selbst verneinte die Kontrolle über die YDG-H zu haben, obschon sie deren Aktionen guthieß.

 

Die türkische Armee fliegt regelmäßig Angriffe gegen die PKK-Basen in der gebirgigen Region des nördlichen Iraks. Es gab zahlreiche PKK-Angriffe auf die türkischen Sicherheitskräfte im Südosten des Landes. Im August 2016 tötete etwa eine Autobombe in Cizre elf Polizisten und verletzte 78 weitere. Hunderte Menschen starben bei Zusammenstößen in der mehrheitlich kurdischen Region der Türkei. Der Konflikt mit der PKK hat seit dem Zusammenbruch des Waffenstillstandes im Juli 2015 mindestens 2.500 PKK-Kämpfern, Sicherheitskräften und Zivilisten das Leben gekostet. Die Regierung lehnt jegliche Verhandlungen mit der PKK bis zu deren völligen Entwaffnung ab. Angebote der PKK zu Verhandlungen und der Einstellung der Kämpfe lehnte beispielsweise Regierungschef Binali Yildirim im Juni 2016 brüsk ab. Staatspräsident Erdogan verkündete, dass der Kampf gegen die PKK bis zum Jüngsten Tag fortgesetzt würde.

 

TAK - Teyrêbazên Azadiya Kurdistan - (Freiheitsfalken Kurdistans)

 

Die Einschätzungen hinsichtlich der Eigenständigkeit der TAK divergieren beträchtlich. Während außerhalb der Türkei die TAK mitunter als eigenständige Organisation angesehen wird oder zumindest deren Stellung als unklar gilt, betrachten die türkischen Behörden die TAK als Teil der PKK. So es der PKK opportun scheint, werden laut türkischer Polizei Anschläge unter dem Namen TAK verübt. Sicherheitskreise sagen, die TAK agierten auf eigene Faust, dennoch habe die PKK die Gruppierung nie verstoßen. Es fällt auf, dass die TAK sich mit Angriffen zurückhielt, als PKK-Anführer Abdullah Öcalan 2013 einen Waffenstillstand im Konflikt mit den türkischen Sicherheitskräften verkündete. Außerdem bekennen sich die TAK noch heute zu Öcalan. Sicherheitsexperten halten es für denkbar, PKK und TAK hätten eine Arbeitsteilung vereinbart: Die TAK verüben schwere Anschläge, die PKK bleibt im Hintergrund und kann sich weiter als politischer Ansprechpartner präsentieren. Als der von Öcalan ausgerufene Waffenstillstand 2015 zusammenbrach, wurden auch die TAK wieder aktiv. 2016 ist das Jahr mit den blutigsten Anschlägen der Gruppe.

 

Die TAK gilt als eine extrem geheime Organisation, deren Mitgliederzahl unbekannt ist. Laut Personen, die der PKK nahestehen, operiert die TAK in isolierten Zwei- bis Drei-Mann-Zellen, die zwar ideologisch der PKK folgen, jedoch unabhängig von dieser handeln. Die TAK verübte 2004 erste Anschläge, bei denen allerdings niemand zu Schaden kam. Dies änderte sich ab 2005 als im Juli bei einem Bombenanschlag auf einen Minibus im Feriendomizil von Kusadasi mindestens fünf ausländische Touristen getötet wurden. Ende August 2006 verübte die TAK eine Serie von Bombenanschlägen in den Städten Marmaris, Istanbul und Antalya, bei denen drei Menschen ums Leben kamen.

 

Nach einer Ruhephase wegen der Kurdeninitiative der türkischen Regierung nahm die TAK im Jänner 2010 ihre bewaffneten Aktivitäten wieder auf, da in ihren Augen klar wurde, dass die Kurden weiterhin unterdrückt würden und sich die Haftbedingungen des PKK-Führers Öcalan verschlechtert hätten. Gleichzeitig kritisierte die TAK die PKK, nicht genügend Operationen gegen den Staat lanciert zu haben. Explizit wurden die militärische und zivile Bürokratie sowie die Wirtschaft und der Tourismus als Primärziele angeführt, solang der Staatsterror nicht gestoppt werde.

 

Im Zuge der Eskalation des Kurdenkonflikts seit Sommer 2015 kam es am 23.12.2015 zu einem Anschlag der TAK auf den Istanbuler Flughafen "Sabiha Gökcen", bei dem eine Person ums Leben kam. In einer Erklärung kündigte die TAK den Beginn einer neuen Kampfinitiative an. Bislang hätte man aus Verantwortung und Loyalität gegenüber Öcalan auf Aktionen verzichtet. Aufgrund des totalen Krieges des AKP-Regimes gegen das kurdische Volk werde die TAK den Krieg auf die ganze Türkei ausweiten. Hierbei betonte die TAK ihre Unabhängigkeit von der PKK und anderen Organisationen, die sie angesichts der Vorgangsweise des türkischen Staates als zu humanistisch betrachtet.

 

Am 17.2.2016 bekannte sich die TAK zu dem Anschlag auf einen Militärkonvoi in Ankara in unmittelbarer Nähe zum Hauptquartier der türkischen Streitkräfte, bei dem 29 Personen starben, dem weitere Anschläge am 13 März in Ankara am zentralen Kizilay-Platz mit 38 Toten sowie am 7.6.2016 auf einen Polizeibus in Istanbul mit 12 Opfern folgten. Bei zwei Bombenexplosionen vor dem Besiktas-Fußballstadion und im nahen Maçka-Park wurden am 10.12.2016 über 40 Menschen getötet, die meisten von ihnen Polizisten. Mit den Anschlägen hat die TAK nach eigenen Angaben auf die Gefangenschaft des PKK-Anführers Abdullah Öcalan und die türkischen Militäroperationen vor allem im Südosten des Landes aufmerksam machen wollen. Solange diese anhielten, solle niemand erwarten, ein geruhsames Leben in der Türkei führen zu können, so die TAK.

 

MLKP - Marksist Leninist Komünist Parti (Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei)

 

Die "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) ist 1994 im Wesentlichen durch die Vereinigung der TKPML-Hareketi und der "Türkischen Kommunistischen Arbeiterbewegung" (TKIH) in der Türkei gegründet worden. Ideologisch bekennt sie sich zum revolutionären Marxismus-Leninismus und strebt unter der Errichtung der "Diktatur des Proletariats" die Zerschlagung des türkischen Staatsgefüges und die Errichtung einer sozialistischen (kommunistischen) Gesellschaftsordnung in der Türkei an. Die MLKP sieht "Aktionen von revolutionärer Gruppen- und Massengewalt gegen die konterrevolutionäre Gewalt [als] gerechtfertigte und wirkungsvolle Mittel des politischen Kampfes".

 

In jüngster Zeit lagen keine Meldungen über bewaffnete Aktionen der MLKP in der Türkei vor. Mitglieder der MLKP haben sich hingegen auf Seiten der kurdischen YPG an den Kämpfen gegen den sog. Islamischen Staat in Syrien beteiligt. Die türkische Regierung und ihr nahestehende Medien verwenden die MLKP, um Journalisten oder Oppositionspolitiker zu diskreditieren. Insbesondere wurde der Ko-Vorsitzenden der pro-kurdischen HDP, Figen Yüksekdag, sowie anlässlich einer Polizeirazzia gegen vermeintliche MLKP-Aktivisten Anfang Dezember 2015 auch weiteren Mitarbeitern der HDP eine geheime MLKP-Mitgliedschaft unterstellt.

 

DHKP-C - Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front)

 

Die türkische marxistisch-leninistische "Revolutionäre Volksbefreiungspartei - Front" (DHKP-C) - sie besteht aus einem politischen und einem militärischen Arm - propagiert weiterhin die Notwendigkeit eines revolutionären, gewaltsamen Umsturzes in der Türkei. Die Europäische Union listet sie seit 2002 und die USA bereits seit 1997 als terroristische Organisation.

 

Laut türkischen Polizeibehörden gelten nebst dem türkischen Staat auch amerikanische, europäische und israelische Unternehmen zu den Angriffszielen, weil diese von der DHKP-C als Instrumente des globalen Imperialismus betrachtet werden. Die Taktik der DHKP-C besteht aus bewaffneten Angriffen wie Bomben-Attentaten sowie Mord- und Selbstmordanschlägen. Darüber hinaus organisiert die DHKP-C gewaltsame Massenproteste.

 

Die DHKP-C setzte ihre terroristischen Aktivitäten in der Türkei mit Anschlägen und militanten Aktionen gegen staatliche Einrichtungen und Angehörige der Polizei im Jahr 2015 fort. Ein DHKP-C-Aktivist griff z.B. vor dem Dolmahbaçe-Palast, in dem der türkische Ministerpräsident ein Büro unterhält, zwei Polizisten mit Schusswaffe und Handgranaten an. Am 31.3.2015 nahmen in Istanbul zwei DHKP-C-Anhänger einen türkischen Staatsanwalt als Geisel. Bei dessen Befreiung durch die Polizei wurden sowohl die Geisel als auch die Entführer getötet. Als Reaktion auf den Polizeieinsatz verübten tags darauf zwei DHKP-C-Aktivisten einen bewaffneten Überfall auf das Polizeipräsidium in Istanbul. Ein Attentat am 10.8.2015 auf das US-amerikanische Konsulat in Istanbul wird ebenfalls der DHKP-C zugeschrieben. Am 30.3.2016 wurde ein Mitglied der DHKP-C bei einem Angriff auf eine Polizeistation in der Provinz Tunceli erschossen. Zuvor warfen zwei Mitglieder der Gruppe Handgranaten auf das Gouverneursbüro und das Gericht. Am 17.8.2016 wurden bei einer Polizeirazzia in Istanbul zehn mutmaßliche Mitglieder der DHKP-C verhaftet.

 

1.3.5. Rechtsschutz/Justizwesen

 

Die türkische Gerichtsbarkeit ist nach dem Gesetz in drei Instanzen unterteilt: die sechs Höchstgerichte, die Regionalgerichte und die Gerichte erster Instanz. Doch die Gerichte der zweiten Instanz - die regionalen Berufungsgerichte und regionalen Verwaltungsgerichte - errichtet auf der Basis des Gesetzes Nr. 5235 im Jahr 2004, sind noch nicht als Zweitgerichte tätig. Das derzeitige Gerichtssystem arbeitet daher in der Praxis nur mit zwei Instanzen. Ende 2015 waren rund 9.900 Richter an den Gerichten tätig. Das Verfassungsgericht überprüft insbesondere die Verfassungsmäßigkeit - sowohl die Form als auch den Inhalt - von Gesetzen, Verordnungen mit Gesetzeskraft und der Geschäftsordnung des Parlaments. Es entscheidet auch über Individualvorbringen in Bezug auf die angebliche Verletzung von Grundrechten und Freiheiten in Hinblick auf die Europäische Menschenrechtskonvention durch die staatlichen Behörden. Neben dem Verfassungsgericht bestehen noch folgende Höchstgerichte: das Kompetenzkonfliktgericht, es entscheidet als Letztinstanz bei Konflikten bezüglich Urteilen und der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte, der Verwaltungsgerichte und der Militärgerichte. Das Kassationsgericht, es entscheidet als letzte Instanz über die Entscheidungen und Urteile der Zivil- und Strafgerichte, die im Gesetz nicht andere Justizbehörden zugeordnet sind. Der Staatsrat [Verwaltungsgerichtshof], der insbesondere als Letztinstanz die Entscheidungen und Urteile der Verwaltungsgerichte überprüft. Und schlussendlich gibt es noch wie für das Militär jeweils ein eigenes Militärverwaltungsgericht und ein Militärkassationsgericht.

 

Die Gewaltenteilung wird in der Verfassung durch Art. 7 (Legislative), 8 (Exekutive) und 9 (Judikative) festgelegt. Laut Art. 9 erfolgt die Rechtsprechung durch unabhängige Gerichte "im Namen der türkischen Nation". Die in Art. 138 der Verfassung geregelte Unabhängigkeit der Richter ist durch die umfassenden Kompetenzen des in Disziplinar- und Personalangelegenheiten dem Justizminister unterstellten Hohen Rates der Richter und Staatsanwälte (HSYK) in Frage gestellt. Der Rat ist u.a. für Ernennungen, Versetzungen und Beförderungen zuständig. Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Hohen Rates sind seit 2010 nur bei Entlassungen von Richtern und Staatsanwälten vorgesehen. Allerdings gab es im Februar 2014 im Nachgang zu den Korruptionsermittlungen gegen Mitglieder der Regierung Erdogan Änderungen im Gesetz zur Reform des Hohen Rates. Sie führten zur Einschränkung der Unabhängigkeit der Justiz mit Übertragung von mehr Kompetenz an den Justizminister, der gleichzeitig auch Vorsitzender des HSYK ist. Durch die Kontrollmöglichkeit des Justizministers wurde der Einfluss der Regierung im Hohen Rat deutlich spürbarer.

 

Laut Europäischer Kommission hat das türkische Justizsystem Rückschritte gemacht, insbesondere hinsichtlich der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit, was eine bedeutende Herausforderung für das Justizsystem insgesamt darstellt. Die umfangreichen Änderungen an den Strukturen und der Zusammensetzung der Höchstgerichte sind ernsthaft besorgniserregend, da sie die Unabhängigkeit der Justiz bedrohen und nicht den europäischen Standards entsprechen. Richter und Staatsanwälte wurden weiterhin von ihren Positionen entfernt und, auf Vorwürfe der Verschwörung mit der Gülen-Bewegung hin, in einigen Fällen verhaftet. Die Situation verschlechterte sich weiter nach dem Putschversuch vom 15.7.2016, nach welchem ein Fünftel der Richter und Staatsanwälte entlassen und ihr Vermögen eingefroren wurde. Es gab zahlreiche Berichte über selektive Justiz und politische Einmischung in Gerichtsfälle. Es besteht ernsthafte Sorge hinsichtlich der Einmischung der Regierung in Justizfälle, etwa in Form von öffentlichen Kommentaren, die die Glaubwürdigkeit der Justiz als Ganzes untergräbt. Das Gesetz vom Juli 2016, welches die Struktur und die Zusammensetzung des Kassationsgerichts und des Staatsrats änderte, führte ebenfalls zu ernsthafter Besorgnis seitens der EK, dass dies Auswirkungen auf die Unabhängigkeit der Justiz hat. Wiederholte Änderungen der internen Organisation der Justizkörper und des Gerichtssystems, insbesondere des Strafgerichtssystems, bewirken Rechtsunsicherheit.

 

Hinsichtlich der von der Regierung angestrebten Gesetzesreformen sieht die Europäische Kommission wesentliche Teile der Gesetzgebung, die die Rechtsstaatlichkeit und die Grundrechte betreffen, nicht mit den Europäischen Standards im Einklang stehend. Laut EK muss der Rechtsrahmen, der allgemeine Garantien bezüglich der Respektierung der Menschen- und Grundrechte enthält, weiter verbessert werden. Die Vollstreckung der Rechte auf Basis der Europäischen Konvention für Menschenrechte sowie der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist noch nicht gewährleistet.

 

Am 5.6.2016 ordnete der HSYK die Versetzung von 3.750 Richtern und Staatsanwälten an, wobei jene die im Sinne der Regierung Urteile gefällt hatten, befördert, andere hingegen degradiert wurden. Am 1.7.2016 ratifizierte das türkische Parlament ein Gesetz zur Umstrukturierung des Staatsrates, der vor allem für die Verwaltungskontrolle zuständig ist, und des Kassationsgerichtes, auch Oberstes Appellationsgericht genannt. Vorgesehen waren die Reduzierung der Kammern und der Mitgliederzahl, sowie vorab die Entlassung sämtlicher Richter der beiden obersten Gerichte mit Ausnahme der Gerichtspräsidenten, deren Stellvertreter und der Generalstaatsanwälte. Für die Neubesetzung der Gerichte ist der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte (HSYK) zuständig. Im Falle des Staatsrats wird ein Viertel der Richter vom Staatspräsidenten bestimmt.

 

Am 16.7.2016, dem Tag nach dem gescheiterten Putschversuch, wurden gegen 2.745 Richter und Staatsanwälte Haftbefehle erlassen, unmittelbar nachdem ihre Suspendierung durch den HSYK angeordnet worden war. Ihnen wurden Verbindungen zur Gülen-Bewegung, die laut türkischer Regierung hinter dem Putschversuch steht, unterstellt. Unter den Verhafteten befanden sich auch zwei Richter des Verfassungsgerichtes und insgesamt 58 Richter des Staatsrates. Gegen 140 Richter des Obersten Appellationsgerichtes wurden Haftbefehle erlassen und elf von ihnen festgenommen. Am 25.7.2016 beschloss der HSYK unter Anwesenheit von 17 seiner 22 Mitglieder unter Vorsitz von Justizminister Bekir Bozdag die Ernennung von 267 neuen Richtern des Obersten Appellationsgerichtes und 75 Mitgliedern des Staatsrates. Zwei Tage zuvor hatte Staatspräsident Erdogan eine entsprechende Gesetzesvorlage gebilligt, welche u.a. das Gesetz über den Staatsrat abänderte. Zwischenzeitlich entschied die Generalversammlung des HSYK fünf ihrer 22 Mitglieder auszuschließen, weil gegen sie seitens der Generalstaatsanwaltschaft Ankara ein Haftbefehl vorlag. Am 15.11.2016 entließ der HSYK weitere 2013 Richter und Staatsanwälte, deren Namen im Amtsblatt veröffentlicht wurden. Am 1.12.2016 erfolgte die Suspendierung von weiteren 191 Richtern und Staatsanwälten wegen möglicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung, am 20.12.2016 eine ebensolche von 96 Richtern und Staatsanwälten. Mit Stand 17.1.2017 sind laut "TurkeyPurge" seit dem 15.7.2016 3.843 Richter und Staatsanwälte entlassen worden.

 

Die Umstrukturierung des Kassationshofs und des Staatsrates nach den im Juli verabschiedeten Gesetzen erforderte die Neuernennung aller Richter dieser Gerichte. Neue Richter wurden schnell, durch Verfahren, denen Transparenz fehlte, ernannt. Das Nominierungsverfahren des HSYK stand unter starkem Einfluss der Regierung.

 

Die Vereinigung der Richter und Staatsanwälte (YARSAV), die erste Nicht-Regierungs-Organisation der Mitglieder der Justiz in der Türkei, wurde nach dem Putschversuch aufgelöst und ihr Vorsitzender, Murat Arslan, sowie andere Mitglieder inhaftiert. YARSAV gehörte zu den ersten, die auf internationaler Ebene über die Bedrohungen der Unabhängigkeit der Justiz in der Türkei sprachen, und alsbald als einzige türkische Organisation der Internationalen Richtervereinigung sowie den "Europäischen Richtern für Demokratie und Freiheitsrechte" (MEDEL) beitrat. Obwohl YARSAV sich einst vehement gegen die Aufnahme von Gülen-Mitgliedern in die Justiz ausgesprochen hatte, wurde die Schließung von YARSAV eben mit der Nähe zur Gülen-Bewegung begründet.

 

Diese Maßnahmen - die personellen Umstrukturierungen der Höchstgerichte, die Massenentlassungen, und das Verbot von YARSAV - haben laut der Internationalen Juristenkommission (ICJ) zur Erosion der Gewaltenteilung in der Türkei beigetragen und ernsthaft die Unabhängigkeit der Justiz auf allen Ebenen untergraben, sowie die Fähigkeit der Gerichte zu fairen Prozessen kompromittiert. In ähnlicher Weise zeigte sich die ICJ wegen jener Maßnahmen besorgt, die die Unabhängigkeit der Rechtsberufe und der Fähigkeit der Anwälte, die Menschenrechte zu schützen, unterminieren. Denn mehr als 573 Anwälte wurden laut Berichten im Zuge des Putschversuches verhaftet und mehr als 200 von ihnen eingesperrt sowie deren Vermögen eingefroren.

 

Ein am 9.12.2016 von den Verfassungsrechtsexperten des Europarates - der Venediger-Kommission - verabschiedetes Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die türkischen Behörden zwar "mit einer gefährlichen bewaffneten Verschwörung" konfrontiert waren und "gute Gründe" hatten, den Ausnahmezustand auszurufen, doch dass die von der Regierung ergriffenen Maßnahmen über das hinausgingen, was gemäß der türkischen Verfassung und dem Völkerrecht zulässig ist. Obwohl die Bestimmungen der türkischen Verfassung zur Ausrufung des Ausnahmezustands im Einklang mit den europäischen Normen zu stehen scheinen, übte die Regierung ihre Notstandsbefugnisse mithilfe einer Anlassgesetzgebung aus. So wurden zehntausende Beamte auf der Grundlage den Notdekreten beigefügten Listen entlassen. Diese Massenentlassungen beruhten nicht auf einzelfallbezogenen, nachprüfbaren Beweisen. Laut dem Gutachten lässt sich aus der Geschwindigkeit, mit der diese Listen veröffentlicht wurden, schließen, dass die Massenentlassungen nicht mit Mindestverfahrensgarantien einhergingen. Diese Entlassungen unterlagen offensichtlich keiner richterlichen Kontrolle, zumindest blieb der Zugang zur gerichtlichen Überprüfung umstritten. Derartige Methoden, um den Staatsapparat zu säubern, erwecken stark den Anschein von Willkür. Der Begriff der Verbindung (zur Gülen-Bewegung) ist laut Kommission zu vage definiert und stellt keine aussagekräftige Verbindung mit solchen Organisationen her. Die Kommission betont, dass selbst unter der Annahme, dass einige Mitglieder des Gülen-Netzwerks an dem gescheiterten Staatsstreich beteiligt waren, dieser Umstand nicht dazu verwendet werden sollte, straf- und disziplinarrechtlich gegen alle Personen vorzugehen, die in der Vergangenheit mit dem Netz irgendwie in Kontakt standen.

 

Das türkische Recht sichert die grundsätzlichen Verfahrensgarantien im Strafverfahren. Mängel gibt es beim Umgang mit vertraulich zu behandelnden Informationen, insbesondere persönlichen Daten, und beim Zugang zu den erhobenen Beweisen für Beschuldigte und Rechtsanwälte. Insbesondere im Südosten werden Fälle mit Bezug zur angeblichen Mitgliedschaft in der PKK oder dessen zivilem Arm KCK häufig als geheim eingestuft, mit der Folge, dass Rechtsanwälte keine Akteneinsicht nehmen können. Anwälte werden vereinzelt daran gehindert, bei Befragungen ihrer Mandanten anwesend zu sein. Dies gilt insbesondere in Fällen mit dem Verdacht auf terroristische Aktivitäten. Grundsätzlich kommt es nicht zu einer Verurteilung, wenn der Angeklagte bei Gericht - etwa durch Abwesenheit - nicht gehört werden kann. Es kommen dann die Fristen für Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung zum Tragen.

 

1.3.6. Sicherheitsbehörden

 

Die Polizei untersteht dem Innenministerium und übt ihre Tätigkeit in den Städten aus. Sie hat, wie auch der nationale Geheimdienst MIT (Millî Istihbarat Teskilâti), der sowohl für die Inlands- wie für die Auslandsaufklärung zuständig ist, unter der AKP-Regierung an Einfluss gewonnen. Der Einfluss der Polizei wird seit den Auseinandersetzungen mit der Gülen-Bewegung sukzessive von der AKP zurückgedrängt (massenhafte Versetzungen, Suspendierungen vom Dienst und Strafverfahren). Die Jandarma ist für die ländlichen Gebiete und Stadtrandgebiete zuständig, rekrutiert sich aus Wehrpflichtigen und untersteht dem Innenminister. Polizei und Jandarma sind zuständig für innere Sicherheit, Strafverfolgung und Grenzschutz. Die politische Bedeutung des Militärs ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen.

 

Vor dem Putschversuch im Juli 2016 hatte die Türkei 271.564 Polizisten und 166.002 Gendarmerie-Offiziere (einschließlich Wehrpflichtige). Nach dem Putschversuch wurden mehr als 18.000 Polizei- und Gendarmerieoffiziere suspendiert und mehr als 11.500 entlassen, während mehr als 9.000 inhaftiert blieben. Anfang Jänner 2017 wurden weitere 2.687 Polizisten entlassen. Im Gegenzug kündigte Innenminister Süleyman Soylu bereits im September 2016 an, 20.000 neue Polizeibeamte rekrutieren zu wollen, wobei die Hälfte den Sondereinheiten zugeteilt würde.

 

In der Türkei sind am 26.4.2017 9.103 Polizisten wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung entlassen worden. Bei Razzien gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger in allen 81 Provinzen des Landes war es im Laufe des Tages bereits zu 1.120 Festnahmen gekommen. Ziel der Suspendierungen und der Verhaftungen sei es gewesen, die geheime Struktur der Gülen-Bewegung innerhalb der Polizei zu zerschlagen.

8.500 Sicherheitskräfte unter Beteiligung des Geheimdienstes MIT seien an den Operationen beteiligt gewesen. Wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung hat die Türkei gleichzeitig 9.103 Polizisten entlassen.

 

Das türkische Parlament billigte 2014 eine umstrittene Geheimdienstreform, die die Befugnisse des Geheimdienstes MIT erheblich ausweitete. So hat der MIT weitgehend freie Hand für Spionageaktivitäten im In- und Ausland. Dazu gehören das Abhören von Privattelefonaten und das Sammeln von geheimdienstlichen Erkenntnissen mit Bezug auf "Terrorismus und internationale Verbrechen". Bislang war für jeden Fall eine gerichtliche Genehmigung erforderlich. Zudem wurden Gefängnisstrafen für Journalisten eingeführt, die vertrauliche Geheimdienstinformationen veröffentlichen. Auch Personen, die dem MIT Dokumente bzw. Informationen vorenthalten, drohen bis zu zehn Jahre Haft. Die Entscheidung, ob der MIT-Vorsitzende im Laufe einer Ermittlung angeklagt werden darf, obliegt nun dem Staatspräsidenten. Im Falle von laufenden Untersuchungen kann der MIT-Vorsitzende innerhalb von zehn Tagen beim Präsidenten Einspruch erheben. Die letzte Entscheidung über den weiteren Verlauf des Falles liegt beim Präsidenten.

 

Das türkische Parlament verabschiedete am 27.3.2015 eine Änderung des Sicherheitsgesetzes, das terroristische Aktivitäten unterbinden soll. Dadurch wurden der Polizei weitreichende Kompetenzen übertragen. Das Gesetz sieht den Gebrauch von Schusswaffen gegen Personen vor, welche Molotow-Cocktails, Explosiv- und Feuerwerkskörper oder Ähnliches, etwa im Rahmen von Demonstrationen, einsetzen, oder versuchen einzusetzen. Zudem werden die von der Regierung ernannten Provinzgouverneure ermächtigt, den Ausnahmezustand zu verhängen und der Polizei Instruktionen zu erteilen. Das Gesetz klassifiziert Steinschleudern, Stahlkugeln und Feuerwerkskörper als Waffen und sieht eine Gefängnisstrafe von bis zu vier Jahren vor, so deren Besitz im Rahmen einer Demonstration nachgewiesen wird oder Demonstranten ihr Gesicht teilweise oder zur Gänze vermummen. Bis zu drei Jahre Haft drohen Demonstrationsteilnehmern für die Zurschaustellung von Emblemen, Abzeichen oder Uniformen illegaler Organisationen. Teilweise oder gänzlich vermummte Teilnehmer von Demonstrationen, die in einen "Propagandamarsch" für terroristische Organisationen münden, können mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden. Die Polizei kann auf Grundlage einer mündlichen oder schriftlichen Einwilligung des Chefs der Verwaltungsbehörde eine Person, ihren Besitz und ihr privates Verkehrsmittel durchsuchen. Der Gouverneur kann die Exekutive anweisen, Gesetzesbrecher ausfindig zu machen. Die Exekutive kann eine Person bis zu 48 Stunden in Haft nehmen, wenn letztere an Veranstaltungen teilnimmt, die zur ernsthaften Störung der Öffentlichen Ordnung oder zu einem Straftatbestand führen können.

 

Nach einer Gesetzesänderung vom 26.4.2014 muss der Staatsanwalt im Fall einer Beschwerde gegen das Geheimdienstpersonal den Geheimdienstchef informieren. Wenn der Geheimdienst die Vorwürfe des Fehlverhaltens mit seinen Pflichten oder Tätigkeiten in Verbindung setzt, wird die Untersuchung blockiert und den betroffenen Mitarbeitern des MIT wird Immunität gewährt. Die Staatsanwaltschaft hat somit keine Befugnis, direkt strafrechtliche Ermittlungen einzuleiten oder die Tätigkeit des Geheimdienstes im Falle von angeblichen Rechtsverstößen einzuleiten.

 

Ende Juni 2016 wurde ein Gesetz verabschiedet, das kämpfenden Soldaten Immunität gewährt. Gemäß dem vom Verteidigungsministerium vorgelegten Entwurf wird eine von den Sicherheitsdiensten begangene Straftat als "militärisches Verbrechen" angesehen und vor einem Militärgericht verhandelt. Die Ermittlungs- und Gerichtsprozesse gegen Kommandeure und den Generalstab benötigen die Erlaubnis des Premierministers. Darüber hinaus sind Armeekommandanten befugt, Durchsuchungen von Häusern, Arbeitsplätzen oder anderen privaten Räumen zu erlassen.

 

Mit dem Dekret 694, das am 25.8.2017 in Kraft trat, wurde der Geheimdienst MIT, der bisher dem Ministerpräsidenten unterstand, dem Präsidenten unterstellt. Auch wurde eine neue Institution namens Nationales Geheimdienstkoordinierungskomitee (MIKK) ins Leben gerufen, das vom Präsidenten geleitet wird. Der Geheimdienst erhält erstmals das Recht, gegen Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums und der Streitkräfte nach Belieben zu ermitteln. Laut dem Dekret muss der Präsident künftig Ermittlungen gegen den Geheimdienstchef genehmigen. Der Geheimdienst kann überdies zu jederzeit seine Mitarbeiter entlassen. Hierzu war bislang eine komplexe Prozedur von Nöten.

 

Per Dekret wurde gleichzeitig die maximale Untersuchungshaft von fünf auf sieben Jahre ausgeweitet. Das gilt für Beschuldigte, denen die Unterstützung von Terrororganisationen, Spionage oder eine Beteiligung an dem Putschversuch vom Juli 2016 vorgeworfen werden. Staatspräsident Erdogan ermächtigte sich überdies, ausländische Gefangene ohne Einschaltung der Justiz in deren Heimatländer abzuschieben oder gegen türkische Staatsbürger auszutauschen. Dies geschieht auf Antrag des Außenministers. Somit kann die Türkei festgehaltene Ausländer in diplomatischen Verhandlungen nützen.

 

1.3.7. Folter und unmenschliche Behandlung

 

Die Türkei ist sowohl Partei des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe von 1984 (in der Türkei seit 10.08.1988 in Kraft) als auch des Fakultativprotokolls zudem UN-Übereinkommen gegen Folter (OPCAT), am 14.09.2005 seitens der Türkei unterzeichnet. Das eine unabhängige, finanziell und strukturell autonome Überwachungseinrichtung vorsehende Fakultativprotokoll wurde 2011 ratifiziert und trat im selben Jahr in Kraft. Durch einen Kabinettsbeschluss wurde am 28.1.2014 die "Nationale Menschenrechtsinstitution der Türkei" mit dem Nationalen Präventionsmechanismus beauftragt.

 

Menschenrechtsverbänden zufolge gibt es Hinweise, dass die Anwendung von Folter und Misshandlungen weiterhin stattfinden, insbesondere an Personen in Polizeigewahrsam, jedoch nicht am Ort der Verhaftung, sondern an anderen Orten, wo ein Nachweis schwieriger zu dokumentieren ist. Staatsanwälte untersuchen zwar angebliche Fälle von Missbrauch und Folter durch die Sicherheitskräfte, würden jedoch nur selten die Beschuldigten auch anklagen. Die Nationale Menschenrechtsorganisation (NHRI) ist für die Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, darunter Foltervorwürfe, übermäßige Gewaltanwendung oder außergerichtliche Tötungen. Türkische Menschenrechtsorganisationen behaupteten, dass das Versagen der NHRI bei der Untersuchung potenzieller Menschenrechtsverletzungen die Opfer des Missbrauchs von der Einreichung von Beschwerden abhält. Überdies erlauben die Behörden es den Beschuldigten im Falle eines Prozesses auf ihren Dienstposten zu bleiben.

 

Die Schwächung der Schutzmaßnahmen gegen den Missbrauch in der Haft nach der Verhängung des Ausnahmezustands nach dem Putschversuch wurde von zunehmenden Berichten über Folter und Misshandlungen in der Polizeigewalt, wie das Schlagen und Entkleiden von Inhaftierten, die Anwendung lang anhaltenden Stresspositionen sowie die Androhung von Vergewaltigung, begleitet. Drohungen gegenüber Rechtsanwälten und Eingriffe in medizinische Untersuchungen wurden ebenfalls berichtet. Betroffen von besagten Misshandlungen waren nicht nur Angehörige des Militärs und der Polizei, die im Zusammenhang mit dem Staatsstreich verhaftet wurden, sondern auch kurdische Gefangene im Südosten des Landes.

 

Das Verhalten der Polizei und der Druck, den die Behörden ausüben, unterminiert laut Human Rights Watch auch die Integrität ärztlicher Untersuchungen von Personen in Polizeigewahrsam und Haft. Denn diese Untersuchungen müssen oft in Gefängnissen und in Anwesenheit von Polizisten durchgeführt werden. Außerdem weigerten sich die Behörden wiederholt Gefangenen und ihren Anwälten ärztliche Gutachten auszuhändigen, die ihre Vorwürfe, in Haft oder bei der Verhaftung misshandelt worden zu sein, stützen könnten. Als Begründung verwiesen die Verantwortlichen auf die Geheimhaltungspflicht in laufenden Ermittlungen. Angehörige der Strafverfolgungsbehörden wenden die Notverordnungen nicht nur auf Personen an, die verdächtigt werden, sich am Putschversuch beteiligt zu haben, sondern auch auf Gefangene, die angeblich Verbindungen zu bewaffneten kurdischen oder linken Gruppierungen haben. Auch diesen Menschen wird jeder Schutz vor Folter und anderer unberechtigter Verfolgung entzogen. Anwälte, Gefangene, Menschenrechtsaktivisten, medizinisches Personal und Gerichtsmediziner fürchten ständig, dass sie die nächsten auf der langen Liste angeblicher Putsch-Befürworter sind. Angehörige der türkischen Regierung, auch Präsident Recep Tayyip Erdogan, erklärten nach dem Putschversuch, dass sie Folter nicht tolerieren würden. Die Behörden reagieren jedoch nicht angemessen auf die aktuellen Foltervorwürfe. Stattdessen behaupten sie, diejenigen, die diese Vorwürfe äußern, seien voreingenommen, und werfen ihnen vor, den Putschversuch zu unterstützen oder Propaganda für die Gülen-Bewegung zu machen.

 

Foltervorwürfe kamen 2016 regelmäßig von internationalen und türkischen Menschenrechtsorganisationen. So berichtete Amnesty International am 24.7.2016, glaubwürdige Belege für Folter in offiziellen und inoffiziellen Haftzentren (wie Sporthallen) gesammelt zu haben. Die türkische Menschenrechtsvereinigung (IHD) berichtete am 19.10.2016, wonach in den ersten neun Monaten des Jahres 2016 rund 350 Personen in Polizeihaft bzw. Gefängnissen und weitere 124 an anderen Orten gefoltert oder misshandelt wurden. Der türkische Justizminister, Bekir Bozdag, wies am 23.10.2016 die Foltervorwürfe rigoros zurück und verlangte Beweise für die, seiner Meinung nach, falschen und ungerechten Anschuldigungen.

 

Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, teilte zum Abschluss eines Türkei-Besuches mit, dass in den Tagen und Wochen nach dem gescheiterten Putsch Folter und andere Formen der Misshandlung weit verbreitet gewesen zu sein schienen. Er habe glaubwürdige Berichte erhalten, wonach bei den Behörden eingereichte Beschwerden darüber nicht verfolgt worden seien. Melzer forderte die türkischen Behörden daher auf, unverzügliche, gründliche und unabhängige Untersuchungen aller Foltervorwürfe durchzuführen. Die jüngste Gesetzgebung und Dekrete von Staatspräsident Erdogan hätten laut Melzer ein Klima der Einschüchterung geschaffen, sodass Opfer entmutigt wurden, Beschwerden einzureichen oder über den Missbrauch zu sprechen, auch aus Angst vor Vergeltung an ihren Verwandten.

 

1.3.8. Haftbedingungen

 

Allgemein ist die Ausstattung in den Gefängnissen inadäquat und sie erfüllt nicht internationale Standards. Unterfinanzierung, Überbelegung und der Mangel an angemessener Gesundheitsversorgung stellen ein Problem dar. Menschenrechtsorganisationen berichteten regelmäßig über den mangelnden Zugang zu Wasser, angemessener Heizung, Lüftung und Beleuchtung, was die Regierung zurückwies. Zudem wären die räumlichen und hygienischen Bedingungen infolge der Überbelegungen unzureichend.

 

Das Internetmagazin "Encompassing Crescent", welches sich mit Menschenrechtsthemen auseinandersetzt, berichtete im März 2016, dass 721 schwer kranke Häftlinge in Hochsicherheitsgefängnissen ohne angemessene medizinische Versorgung einsitzen. Das Innenministerium räumte ein, dass es1.300 kranke Insassen gäbe, mit täglich steigender Tendenz. 282 Häftlinge leiden laut Encompassing Crescent unter schwerwiegenden Krankheiten, doch ist es nicht möglich eine entsprechende Behandlung unter den gegebenen Umständen durchzuführen. Der Gesundheitszustand der Betroffenen wurde seitens der Behörden vielmehr ignoriert und diese dem Warten auf den Tod überlassen.

 

Anlässlich der Sitzung des UN-Anti-Folterkomitees Ende April 2016 übermittelte auch die Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV) ihre Stellungnahme. Zu den Verhältnissen insbesondere in den Gefängnissen spricht die TIHV davon, dass Folter und Misshandlungen üblich sind. Darüber hinaus verursachen, so TIHV, der begrenzte Zugang zu Gesundheitseinrichtungen, Hygiene- und Ernährungsprobleme sowie die Isolationshaft speziell im Typ-F Gefängnissen ernsthafte Schäden an der physischen und psychischen Integrität der Insassen. Überdies werden die Zustände durch die zunehmende Überbelegung der Gefängnisse verschärft.

 

Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, berichtete Anfang Dezember 2016, dass die meisten von ihm besuchten Gefängnisse überfüllt waren, mit einer Belegung von 125 bis 200% der tatsächlich vorgesehenen Kapazität. Nichtsdestoweniger waren laut Melzer die Haftbedingungen in den Gefängnissen in Ankara, Diyarbakir, Sanliura und Istanbul generell befriedigend.

 

Die Europäische Kommission beklagte im November 2016 den Mangel an Psychologen, Sozialarbeitern und Soziologen im Gefängnissystem, was die Rehabilitation der Insassen negativ beeinflusst. Zudem sei es der Zivilgesellschaft und professionellen Organisationen nicht gestattet, an Rehabilitations- und Bewährungsmaßnahmen teilzuhaben. Laut EK werden Einzelhaft und willkürliche Praktiken oft als Disziplinarmaßnahmen verhängt. Im Zuge des gescheiterten Coups wurde eine große Anzahl von Verdächtigten an irregulären Orten eingesperrt ohne angemessene Haftbedingungen und unter schwerwiegenden Hindernissen bei der Umsetzung ihrer Verfahrensrechte gemäß den europäischen Standards.

 

Vor den Massenverhaftungen nach dem Putschversuch vom 15.7.2016 waren mit Stand 1.4.2016 in der Türkei 187.609 Personen in den geschätzten 355 Gefängnissen inhaftiert, rund 14% davon in Untersuchungshaft. Dies entsprach einem Wert von 238 pro 100.000 Einwohner [vgl. Österreich: Juni 2016: 93]. Im Jahr 2000 betrug die Quote 73, 2006 101 und 2012 bereits 180, was einer steten Zunahme gleichkommt. Die Auslastung betrug mit Stand Februar 2016 fast 103%. Der Anteil der inhaftierten Frauen betrug 3,7%.

 

Im September 2016 kündigte das Justizministerium den Bau von 174 Gefängnissen mit rund 100.000 Plätzen im Verlauf der nächsten fünf Jahre an. Anlass war die massive Überbelegung aufgrund der Verhaftungen im Zuge des gescheiterten Putschversuchs. Tausende Verurteilte wurden vorzeitig entlassen, um Platz für Putschverdächtige zu machen. Mit Stand 10.11.2016 waren annähernd

42.500 Personen inhaftiert, denen eine Verbindung mit dem Putschversuch angelastet wurde.

 

Das türkische Innenministerium teilte am 27.11.2017 mit, dass im November 2.589 Personen wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung festgenommen wurden, wodurch sich die Gesamtzahl der im Zeitraum Oktober-November inhaftierten Personen auf 5.747 erhöht hat. Innenminister Süleyman Soylu veranschlagte am 16.11.2017 die Gesamtzahl der Inhaftierten mit 48.739. Soylu sagte auch, dass 215.092 Personen als Nutzer der Smartphone-Anwendung "ByLock" aufgelistet und bereits 23.171 Nutzer verhaftet wurden. Die türkischen Behörden glauben, dass ByLock ein Kommunikationsmittel unter den Anhängern der Gülen-Gruppe ist. Die regierungskritische Website, Turkey Purge, zählte allerdings bereits am 3.11.2017 rund

61.250 Inhaftierungen nebst rund 129.000 Verhaftungen sowie 146.700 Entlassungen seit dem Putschversuch vom 15.7.2016.

 

Ein Staatsanwalt in Istanbul hat laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am 29.11.2017 in einer landesweiten Operation Haftbefehle gegen 360 mutmaßliche Gülen-Mitglieder in den Streitkräften erlassen.

 

1.3.9. Religionsgemeinschaften und Ethnien

 

In der Türkei sind laut Regierungsangaben 99% der Bevölkerung muslimischen Glaubens, die Mehrheit davon sind Hanefiten (sunnitisch). Es gibt einen beträchtlichen Anteil an Aleviten, je nach Quelle zwischen 15 und 25 Millionen. Weiters leben in der Türkei laut Eigenangabe drei Millionen schiitische Dschafariten, ca. 60.000 armenische Christen (zusätzlich noch 30.000 nicht-registrierte Immigranten aus Armenien), ca. 25.000 Angehörige der römisch-katholischen Kirche, ca. 18.000 Juden, ca. 20.000 syrisch-orthodoxe Christen, ca. 15.000 russisch-orthodoxe Christen (zumeist russische Einwanderer) ca. 10.000 Baha'is, ca. 22.000 Jesiden (davon 17.000, die 2014 als Flüchtlinge kamen), ca. 5.000 Zeugen Jehovas, ca. 7.000 Protestanten verschiedener Denominationen, ca. 3.000 irakisch-chaldäische Christen und bis zu 2.000 griechisch-orthodoxe Christen. Eine Umfrage legt nahe, dass ca. 2% der Bevölkerung Atheisten sind.

 

Nicht-muslimische Minderheiten, auch die offiziell anerkannten, sehen sich mit erheblichen Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit konfrontiert. Die wichtigsten Probleme in diesem Zusammenhang bestehen darin, dass aufgrund eines Mangels an theologischen Schulen kein Klerus ausgebildet werden kann, und dass sich die Regierung weigert, eine Genehmigung für die Eröffnung neuer Kirchen (für nicht anerkannte christliche Konfessionen) zu gewähren. Obwohl sich die Gesamtzahl der Menschen der verschiedenen nicht-muslimischen Gemeinschaften in einem Land mit einer Bevölkerung von 75 Millionen auf etwa 100.000 beläuft, herrscht weit verbreitete, teils durch Verschwörungstheorien befeuerte, teils irrationale Angst vor christlicher Missionstätigkeit und Zionismus in der Gesellschaft, geschürt durch die antisemitische, antiwestliche und antichristliche Rhetorik der Politiker, Regierungsbeamten, Meinungsbildner und Medien. Die Behörden vernachlässigen ihre Pflicht vollkommen, Nicht-Muslime, vor allem Juden, gegen vorherrschende Hassreden, manchmal verbunden mit Hassverbrechen, in den Medien, dem politischen Diskurs und dem täglichen Leben zu schützen.

 

Religiöse Fragen werden vom Direktorat für Religiöse Angelegenheiten (Diyanet) koordiniert und bestimmt, dessen Mandat es ist, den sunnitischen Islam zu fördern. Die Regierung bildet weiterhin sunnitische Geistliche aus, während sie andere religiöse Gruppen daran hindert, Geistliche innerhalb des Landes auszubilden. Die Regierung finanzierte weiterhin den Bau von sunnitischen Moscheen, während sie die Grundstücksnutzung anderer religiöser Gruppen einschränkte. Nicht-sunnitische Moslems waren mit physischen Angriffen und Drohungen konfrontiert. Bei zwei getrennten Vorfällen schossen Unbekannte auf drei Aleviten-Vertreter. Glaubensstätten der Griechisch-Orthodoxen, Armenisch-Apostolischen Kirche sowie der jüdischen Gemeinde wurden verwüstet. Über 20 Häuser von Aleviten wurden verheert. Eine offen anti-semitische "Dokumentation" wurde im Fernsehen ausgestrahlt und von regierungsfreundlichen Medien online gestellt.

 

Glaubens- und Religionsfreiheit werden laut Europäischer Kommission generell respektiert. Allerdings besteht die Notwendigkeit, die Gesetzeslage an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtes für Menschrechte und an die Empfehlungen des Europarates und der EU anzugleichen. Besondere Aufmerksamkeit gelte der Freistellung vom verpflichtenden Religions- und Ethikunterricht, der Anführung der Religionszugehörigkeit auf Identitätskarten, der Rechtspersönlichkeit von religiösen Körperschaften und Institutionen, den Orten der Religionsausübung und der Arbeits- bzw. Aufenthaltserlaubnis von ausländischen Klerikern. Außerdem gehörten die ausständigen Punkte die Aleviten betreffend behandelt. Hierzu zählen die Umsetzung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte hinsichtlich der Cem-Häuser, der alevitischen Gebetshäuser, und des verpflichtenden Religionsunterrichtes. Die Regierung hat hierzu im Jänner 2016 dem Ministerkomitee des Eurorates zwei Aktionspläne vorgelegt.

 

Die Türkei hat weltweit den größten Anteil an Aleviten. Man geht von 15 bis 25 Millionen Aleviten aus. Vor allem die Provinzen Tunceli, Elazig, Bingöl, Sivas, Erzincan, Malatya, Kayeri, Adana und Tokat sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Es ist nicht einfach, die Wurzeln des Alevitentums auszumachen, da weder die Herkunft des Namens noch ein "Entstehungsdatum" der Religion wissenschaftlich gesichert sind. Unbestritten ist jedoch, dass die alevitische Religion viele unterschiedliche Einflüsse aus anderen Religionen - auch aus vorislamischer Zeit - aufweist. Außerdem ist das Alevitentum in seinen Vorstellungen recht heterogen. Ob Aleviten zum Islam gehören, oder nicht, ist sowohl innerhalb der Aleviten als auch außerhalb der Glaubensgemeinschaft ein Streitthema.

 

Während sich die Politik der Nichtanerkennung gegenüber den Kurden, der größten Minderheit des Landes, in den letzten Jahren geändert hat, verweigert die Regierung weiterhin die rechtliche oder politische Anerkennung der Aleviten, der größten religiösen Minderheit. Trotz der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), dass es sich bei der Nichtanerkennung der Gebetsstätten der Aleviten und dem obligatorischen Religionsunterricht um eine Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit handelt, weigert sich die Regierung, ihrer Assimilationspolitik ein Ende zu setzen.

 

Die Aleviten werden nicht als separate Konfession bzw. Glaubensgemeinschaft anerkannt und können sich nur als Verein oder Stiftung organisieren. Seit dem Parlamentsantrag der CHP im Februar 2015 alevitische Gebetsstätten mit Glaubensstätten anderer Religionen beispielsweise der Moscheen gleichzustellen, wurde der Beschluss in mehr als die Hälfte der CHP-Stadtverwaltungen umgesetzt. Trotz der faktisch verbesserten Situation erkennen nur wenige Stadtverwaltungen die alevitischen Gotteshäuser als religiöse Stätten an. Die bekannten Hauptforderungen der Aleviten wurden bislang jedoch nicht erfüllt. Diese Forderungen sind v.a.:

Anerkennung der Cem-Häuser als religiöse Stätten und Baugenehmigungen für diese, und Gleichstellung von Cem-Häusern wie Moscheen, Verwendung alevitischer Steuern für Cem-Häuser statt für Moscheen, Abschaffung der staatlichen (sunnitischen) Religionsbehörde Diyanet und Freiwilligkeit der Teilnahme am staatlichen "Religions- und Ethik"-Unterricht im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und Beendigung einer perzipierten Sunnitisierungspolitik.

 

Am 17.8.2015 entschied die Dritte Kammer des Obersten Gerichtshofs unter Berufung auf das Urteil des EGMR vom Dezember 2014 im Sinne der Klage der alevitischen "Cem Vakfi", wonach der Türkische Staat, so wie im Falle von Moscheen, auch die Stromrechnung der Cem-Häuser aus den Mitteln der Religionsbehörde Diyanet zu begleichen hätte, während die Gemeinden Baugrund für die Errichtung der Cem-Häuser zur Verfügung zu stellen hätten.

 

Die türkische Regierung betrachtet den Alevismus weiterhin als heterodoxe muslimische Sekte und leistete keine finanzielle Unterstützung für die Religionsgemeinschaft. Die Regierung hat weiterhin das Urteil des EGMR von 2013 nicht umgesetzt, obschon der EGMR den Einspruch der Regierung zurückgewiesen hatte. Der EGMR stellte darin fest, dass der verpflichtende Religionsunterricht an öffentlichen Schulen die erzieherischen Freiheiten verletze. Das Urteil fiel zugunsten der Alevi-Gemeinschaft, die damit argumentierte, dass der Unterricht den Sunni-Islam fördere, was im Gegensatz zu den religiösen Überzeugungen der Aleviten stünde. Obwohl die Behörden Unterrichtsmaterial über den Alevismus dem Religionsunterricht nach dem EGMR-Urteil hinzufügten, äußerten sich viele Aleviten dahingehend, dass das Unterrichtsmaterial unpassend und in einigen Fällen falsch sei.

 

Der Aufruf von Staatspräsident Erdogan angesichts des Putschversuches vom 15.7.2016 auf die Straße zu gehen, wurde von manchen als Gelegenheit gesehen, Aleviten in ihren Wohnviertel zu bedrohen. Aleviten-Viertel in Istanbul, Ankara, Hatay und besonders in Malatya wurden angegriffen. Trotz der historischen Gegnerschaft der Aleviten zur Gülen-Bewegung, wurden in regierungsnahen Medien Verschwörungstheorien verbreitet, welche den Aleviten Kollaboration mit den Putschisten unterstellten.

 

Die türkische Verfassung sieht nur eine einzige Nationalität für alle Bürger und Bürgerinnen vor. Sie erkennt keine nationalen oder ethnischen Minderheiten an, mit Ausnahme der drei nicht-moslemischen, nämlich der Armenisch-Orthodoxen Christen, der Juden und der Griechisch-Orthodoxen Christen. Andere nationale oder ethnische Minderheiten wie Assyrer, Dschafari [zumeist schiitische Azeris], Jesiden, Kurden, Araber, Roma, Tscherkessen und Lasen dürfen ihre sprachlichen, religiösen und kulturellen Rechte nicht vollständig ausüben.

 

Neben den offiziell anerkannten religiösen Minderheiten gibt es folgende ethnische Gruppen: Kurden (ca. 13-15 Mio.), Kaukasier (6 Mio., davon 90% Tscherkessen), Roma (zwischen 500.000 und 5 Mio., je nach Quelle), Lasen (zwischen 750.000 und 1,5 Mio.) und andere Gruppen in kleiner und unbestimmter Anzahl (Araber, Bulgaren, Bosnier, Pomaken, Tataren und Albaner). Dazu kommen noch, so sie nicht als religiöse Minderheit gezählt werden, Jesiden, Griechen, Armenier (60.000), Juden (23.000) und Assyrer (15.000).

 

Das Gesetz erlaubt den BürgerInnen private Bildungseinrichtungen zu eröffnen, um Sprachen und Dialekte, die traditionell im Alltag verwendet werden, zu unterrichten. Dies unter der Bedingung, dass die Schulen den Bestimmungen des Gesetzes über die privaten Bildungsinstitutionen unterliegen und vom Bildungsministerium inspiziert werden. Zumindest drei Universitäten bieten Kurdisch-Programme an. Das Gesetz erlaubt die Wiederherstellung einstiger nicht-türkischer Ortsnamen von Dörfern und Siedlungen und gestattet es politischen Parteien sowie deren Mitgliedern, in jedweder Sprache ihre Kampagnen zu führen sowie Informationsmaterial zu verbreiten. Allerdings ist die Verwendung einer anderen Sprache als Türkisch in der Regierung oder im Öffentlichen Dienst nicht erlaubt.

 

Im Zuge der beiden Parlamentswahlen im Juni und November 2015 wuchs der Anteil von Abgeordneten mit einem Minderheitenhintergrund deutlich. Die regierende AKP, die sozialdemokratische CHP und insbesondere die pro-kurdische HDP stellten KandidatInnen ethnischer und religiöser Minderheiten an aussichtsreichen Listenplatzen auf. Mandatare mit armenischen, assyrischen, jesidischen, Roma und Mhallami-Wurzeln [arabisch sprechende Minderheit] sind auch nach den Novemberwahlen im türkischen Parlament vertreten.

 

Über die Kurdenthematik wird offen und über die Armenier-Frage immer häufiger und kontroverser berichtet. Dennoch werden weiterhin mit Verweis auf die "Bedrohung der nationalen Sicherheit" oder "Gefährdung der nationalen Einheit" Publikationsverbote ausgesprochen. Dies trifft - teilweise wiederholt - vor allem kurdische oder linke Zeitungen.

 

Der Dialog zwischen der Regierung und Minderheitenvertretern wurde fortgeführt. Ein positives Gerichtsurteil wurde gegen die Organisation der Grauen Wölfe in Kars verkündet, gegen die Anklage wegen Volksverhetzung gegen Armenier erhoben wurde. Trotzdem waren Hassreden und Drohungen gegen Minderheitenvertreter oder deren Eigentum weiterhin ein Problem. Zudem kamen die langen Verzögerungen in Fällen, in denen religiöse Vertreter oder deren Eigentum attackiert wurden, einer Straffreiheit gleich.

 

Das gesamte Bildungssystem basiert laut einem Bericht der Minority Rights Group International auf dem Türkentum. Auf nicht-türkische Gruppen wird entweder kein Bezug genommen oder sie werden auf eine negative Weise dargestellt. Die einzige Erwähnung der Kurden in Schulbüchern findet sich unter dem Titel "gefährliche Gesellschaft". Diskriminierende Passagen über Assyrer wurden entfernt, nachdem assyrische Verbände beim Bildungsministerium darum angesucht hatten. Armenier jedoch, werden weiterhin als Gruppe dargestellt, die einst dem Türkentum und dem nationalen Bestand schadeten bzw. diesen verrieten. Laut Europäischer Kommission sollten die Schulbücher überarbeitet und die diskriminierende Rhetorik entfernt werden.

 

Die türkische Regierung hat mehrere Male gegenüber dem UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung wiederholt, dass sie keine quantitative oder qualitative Daten in Bezug auf den ethnischen Hintergrund ihrer BürgerInnen sammelt, speichert oder verwendet, betonend, dass es sich um ein sensibles Thema handelt, im Besonderen für jene Nationen, die seit langer Zeit in diversifizierten, multikulturellen Gemeinschaften leben. Allerdings sammeln die Behörden in der Tat Daten zur ethnischen Herkunft der BürgerInnen, zwar nicht für Rechtsverfahren oder zu Studienzwecken, aber zwecks Profilerstellung und Überwachung, insbesondere von Kurden und Roma. Beispiele hierfür sind unabsichtlich durch Regierungseinrichtungen an die Öffentlichkeit gelangt, wie die Website einer Provinz-Polizeiabteilung, die Informationen zum ethnischen Hintergrund der Einwohner enthielt.

 

Mehr als 15 Millionen türkische BürgerInnen, so wird geschätzt, haben einen kurdischen Hintergrund und sprechen einen der kurdischen Dialekte. Die kurdischen Gemeinden waren überproportional von den Zusammenstößen zwischen der PKK und den Sicherheitskräften betroffen. In etlichen Gemeinden wurden seitens der Regierung Ausgangssperren verhängt. Es gab Einschränkungen bei der Versorgung beispielsweise mit Strom und Wasser, und viele konnten keine medizinische Versorgung erhalten. Kurdische und pro-kurdische zivilgesellschaftliche Organisationen und politische Parteien sind zunehmend vor Probleme gestellt, was die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit anlangt.

 

Angesichts des Zusammenbruchs des Friedensprozesses im Sommer 2015 widerfuhr laut Europäischer Kommission dem Südosten des Landes eine weitere ernsthafte Verschlechterung der Sicherheitslage. Dies führte zu schweren Verlusten an Menschenleben, Vertreibungen im großen Ausmaß und weitreichenden Zerstörungen. Es wurden systematische schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen berichtet. Die Regierung benutzte die Maßnahmen nach dem gescheiterten Putschversuch auch dazu, viele Gemeinderäte und Bürgermeister sowie Lehrer zu suspendieren und etliche kurdisch-sprachige Medien zu schließen. Die Europäische Kommission bezeichnete die Lösung der Kurdenfrage durch einen politischen Prozess als den einzig gangbaren Weg. Versöhnung und Wiederaufbau seien die Schlüsselthemen, denen sich die Regierung widmen sollte.

 

Die pro-kurdische HDP hat mehrfach zur Rückkehr zum Friedensprozess aufgerufen. Im Jänner 2016 forderte der Co-Vorsitzende der HDP, Selahattin Demirtas, vor dem EU-Parlament die internationale Gemeinschaft auf, für die Wiederaufnahme des Dialogs zwischen Regierung und PKK einzutreten, was überdies einen positiven Effekt auf die Krise in Syrien hätte.

 

Am 20.2.2017 hat die Demokratische Partei der Völker (HDP) beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EMRK) eine Beschwerde wegen der andauernden Inhaftierung ihrer beiden Ko-Vorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag eingereicht. Die HDP begründete dies u.a. mit dem Umstand, dass das Verfassungsgericht seit 95 Tagen keine Untersuchungen durchgeführt habe, und dadurch die beiden Parlamentarier ihren legislativen Aufgaben nicht nachkommen können.

 

Die Staatsanwaltschaft in Diyarbakir fordert seit Jänner 2017 bis zu 142 Jahre Haft für Demirtas. Ihm werden unter anderem die Leitung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und Terrorpropaganda vorgeworfen. Ein Gericht im osttürkischen Dogubeyazit befand inzwischen am 21.2.2017 Selahattin Demirtas der "Herabwürdigung der türkischen Nation, des türkischen Staates und seiner Institutionen " schuldig und verurteilte ihn zu fünf Monaten Haft. Zudem wurde am 21.2.2017 Figen Yüksekdag ihr Parlamentsmandat aberkannt. Grund ist das Urteil des obersten Verwaltungsgerichts, das eine vorherige Verurteilung der Politikerin zu einer zehnmonatigen Haftstrafe wegen Terrorpropaganda bestätigt hatte. Idris Baluken, ein weiterer HDP-Abgeordneter, der eng mit den damaligen Friedensgesprächen zwischen der Regierung und dem inhaftierten PKK-Führer, Abdullah Öcalan, engagiert war, wurde nach Beanstandungen eines Appellationsgerichts erneut verhaftet.

 

Mit der Notverordnung vom 22.11.2016 wurden unter den 550 Vereinen und 19 privaten medizinischen Zentren auch 46 Vereine in Diyabakir im mehrheitlich kurdischen Südosten infolge ihrer vermeintlichen Nähe zur PKK verboten, darunter auch lokalpolitisch engagierte Nachbarschaftsvereine, eine Solidaritätsvereinigung für muslimische Geistliche, der Forschungsverein für die kurdische Sprache und der Kurdische Schriftstellerverband. Der einst auch von Parlamentariern der Regierungspartie AKP gelobte Wohltätigkeitsverein Sarmasik wurde geschlossen, wovon 32.000 sozial Bedürftiger betroffen waren, die zuvor monatliche Esspakete von Sarmasik erhalten hatten.

 

Sowohl die HDP als parlamentarische Partei als auch die islamistisch kurdische HÜDA-PAR streben eine Form der Dezentralisierung des türkischen Einheitsstaates und die Stärkung der Rechte der Kurden durch lokale Selbstverwaltung an. Gegen zahlreiche Bürgermeister sowie die beiden Co-Vorsitzenden der HDP; Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag, wurden wegen ihrer Forderungen nach Autonomie und Selbstverwaltung in den Kurdengebieten Strafverfahren eingeleitet. Staatspräsident Erdogan wies die Forderungen nach Autonomie und Selbstverwaltung als Versuch der Errichtung eines Staates im Staate scharf zurück.

 

In den letzten Monaten des Jahres 2016 wurden zahlreiche kurdische Lokalpolitiker wegen angeblicher Verbindung zur PKK inhaftiert. Mit Stand Dezember 2016 waren 64 pro-kurdische Ko-Bürgermeister und über 3.000 Mitglieder der Demokratischen Partei der Regionen (DBP), der lokalen Schwesterpartei der pro-kurdischen HDP, eingesperrt. 46 der unter DBP geführten Gemeindeverwaltungen wurden Regierungstreuhändern unterstellt.

 

Am 8.9.2016 suspendierte das Bildungsministerium mittels Dekret

11.285 kurdische LehrerInnen unter dem Vorwurf UnterstützerInnen der PKK zu sein. Alle waren Mitglieder der linksorientierten Gewerkschaft für Bildung und Bildungswerktätige, Egitim Sen. Idris Baluken, Abgeordneter der pro-kurdischen HDP meinte, dass durch die Säuberung fast keine ortsansässigen Lehrer an den Schulen im Südosten mehr übrig wären. Vertreter der HDP und der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) hegten Zweifel, wie die betroffenen Lehrkräfte als PKK-Unterstützer ohne angemessenes Rechtsverfahren bestimmt werden konnten.

 

Ende November wurden nach einer ähnlichen Maßnahme im Juli per Notstandsdekret rund 370 NGOs geschlossen, von denen über 190 eine Verbindung zur PKK vorgeworfen wurde. Alle NGOs, welche die Bezeichnung "Freier Bürger" in ihrer Namensbezeichnung in Städten mit einer kurdischen Bevölkerung trugen, wurden unter der Anklage PKK-Sympathisanten zu legitimieren, verboten. Unter ihnen war auch das seit 1992 bestehende Kurdische Institut in Istanbul, dessen Mitglieder beispielsweise auch von Gerichten als Experten anerkannt wurden.

 

Basierend auf der Notstandsverordnung vom 29.10.2016 wurden 15 kurdische Medien eingestellt, davon 11 Zeitungen - die bekannteste war Özgür Gündem, zwei Nachrichtenagenturen - die "Dicle" (DIHA) und "Jin" Nachrichtenagenturen und drei Magazine. Die meisten, mit Ausnahme der Nachrichtenagentur DIHA mit ihrem Hauptquartier in Istanbul, hatten ihren Sitz im Südosten der Türkei. Laut Generalsekretär der Europäischen Föderation der Journalisten, Ricardo Gutiérrez, sind die Kurden am meisten von der Zensur betroffen, weil die betroffenen Medien vor allem Nachrichten aus der Region veröffentlichten.

 

Dem seit September 2015 eskalierenden bewaffneten Konflikt zwischen dem türkischen Staat und der PKK trat auch politisch und ethnisch motivierte Gewalt gegen Kurden hinzu. Als zwischen dem 6. und 8.9.2015 30 Soldaten und Polizisten infolge von Bombenanschlägen der PKK getötet wurden, griffen militante türkische Nationalisten in 56 Provinzen und Bezirken Parteibüros der pro-kurdischen Partei HDP an. Am Höhepunkt der Ausschreitungen stürmten 500 Leute das HDP-Hauptquartier in Ankara und verwüsteten bzw. versuchten dieses niederzubrennen. Es kam darüber hinaus zu gewaltsamen Übergriffen auf Personen und Geschäftslokale kurdischer Provenienz. Im anatolischen Kirsehir wurden mehr als 20 Geschäfte angezündet. Linienbusse, die in die kurdischen Provinzen verkehren, wurden wie ihre kurdisch-stämmigen Insassen physisch attackiert. In Istanbul riefen bei einer Demonstration im September 2015, die vom Jugendverband der rechts-nationalistischen Parlamentspartei MHP organisiert wurde, laut Medienberichten tausende Demonstranten: "Wir wollen keine Militärintervention, wir wollen ein Massaker". Am 17.12.2016 kam es nach einem vermeintlichen Bombenanschlag der PKK in der Stadt Kayseri zu Angriffen und Brandanschlägen auf Büros der HDP in Kayseri und anderen Orten, darunter auch in Istanbul, wo tags darauf neun Personen verhaftet wurden.

 

Das am 2.3.2014 vom Parlament verabschiedete "Demokratisierungs-Paket" ermöglichte in einem darüber hinausgehenden Schritt muttersprachlichen Unterricht und damit auch Unterricht in kurdischer Sprache an Privatschulen. Außerdem wurde die Möglichkeit geschaffen, dass Dörfer im Südosten ihre kurdischen Namen zurückerhalten. Die verfassungsrechtliche Festschreibung von Türkisch als einziger Nationalsprache bleibt jedoch erhalten und erschwert die Inanspruchnahme öffentlicher Dienstleistungen durch Kurden und Angehörige anderer Minderheiten, für die Türkisch nicht Muttersprache ist. Seit 2009 sendet der staatliche TV-Sender TRT 6 ein 24-Stunden-Programm in den Sprachen Kurmanci (Kurdisch) und Zaza. Zudem wurden alle bisher geltenden zeitlichen Beschränkungen für Privatfernsehen in "Sprachen und Dialekten, die traditionell von türkischen Bürgern im Alltag gesprochen werden" aufgehoben.

 

Obwohl die Verwendung der kurdischen Sprache im privaten Bildungswesen sowie in der Öffentlichkeit erlaubt ist, dehnte die Regierung die Erlaubnis zum Kurdisch-Unterricht nicht auf das öffentliche Schulwesen aus.

 

1.3.10. Exilpolitische Aktivitäten

 

Türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, laufen Gefahr, dass sich die Sicherheitsbehörden und die Justiz mit ihnen befassen, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden, müssen mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind nur dann strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden können.

 

Personen die für die von der EU als Terrororganisation eingestuften PKK oder einer Vorfeldorganisation der PKK tätig waren, müssen in der Türkei mit langen Haftstrafen rechnen. Ähnliches gilt für andere Terrororganisationen (z.B. DHKP-C, türk. Hisbollah, al Kaida). Generell werden abgeschobene türkische Staatsangehörige von der Türkei rückübernommen.

 

1.3.11. Medizinische Versorgung

 

Das staatliche Gesundheitssystem hat sich in den letzten Jahren strukturell und qualitativ erheblich verbessert - vor allem in ländlichen Gegenden sowie für die arme, (bislang) nicht krankenversicherte Bevölkerung. Auch wenn Versorgungsdefizite - vor allem in ländlichen Provinzen - bei der medizinischen Ausstattung und im Hinblick auf die Anzahl von Ärzten bzw. Pflegern bestehen, sind landesweit Behandlungsmöglichkeiten für alle Krankheiten gewährleistet. Landesweit gab es 2013 1.517 Krankenhäuser mit einer Kapazität von 202.031 Betten, davon ca. 60 Prozent in staatlicher Hand. Die Behandlung bleibt für die bei der staatlichen Krankenversicherung Versicherten mit Ausnahme der "Praxisgebühr" unentgeltlich. Grundsätzlich können sämtliche Erkrankungen in staatlichen Krankenhäusern angemessen behandelt werden, insbesondere auch chronische Erkrankungen wie Krebs, Niereninsuffizienz (Dialyse), Diabetes, Aids, Drogenabhängigkeit und psychiatrische Erkrankungen. Wartezeiten in den staatlichen Krankenhäusern liegen bei wichtigen Behandlungen/Operationen in der Regel nicht über 48 Stunden. In vielen staatlichen Krankenhäusern ist es jedoch (nach wie vor) üblich, dass Pflegeleistungen nicht durch Krankenhauspersonal, sondern durch Familienangehörige und Freunde übernommen werden. Das neu eingeführte, seit 2011 flächendeckend etablierte Hausarztsystem ist von der Eigenanteil-Regelung ausgenommen. Nach und nach soll das Hausarztsystem die bisherigen Gesundheitsstationen (Saglik Ocagi) ablösen und zu einer dezentralen medizinischen Grundversorgung führen. Die Inanspruchnahme des Hausarztes ist freiwillig. War 2013 nach Angaben des Gesundheitsministeriums ein Hausarzt für durchschnittlich 3.621 Personen zuständig, soll dieses Verhältnis bis 2017 auf knapp unter 3.000 pro Arzt gesenkt werden (AA 29.9.2015).

 

Die Behandlung psychischer Erkrankungen erfolgt überwiegend in öffentlichen Institutionen. Bei der Behandlung sind zunehmende Kapazitäten und ein steigender Standard festzustellen. Die landesweite Anzahl von Psychiatern liegt dennoch 2014 bei unter 5 pro 100.000 Einwohner. Insgesamt standen 2011 zwölf psychiatrische Fachkliniken mit einer Bettenkapazität von rund 4.400 zur Verfügung, weitere Betten gibt es in besonderen Fachabteilungen von einigen Regionalkrankenhäusern. Dem im Oktober 2011 vorgestellten "Aktionsplan für Mentale Gesundheit" zufolge sollen die bestehenden Fachkliniken jedoch zugunsten von regionalen, verstärkt ambulant arbeitenden Einrichtungen bis 2023 geschlossen werden (AA 29.9.2015).

 

Insgesamt 32 therapeutische Zentren für Alkohol- und Drogenabhängige (AMATEM) befinden sich in Adana, Ankara (4), Antalya, Bursa (2), Denizli, Diyabakir, Edirne, Elazig, Eskisehir, Gaziantep, Istanbul (5), Izmir (3), Kayseri, Konya, Manisa, Mersin, Sakarya, Samsun, Tokat und Van (2) (AA 29.9.2015).

 

Bei der Schmerztherapie und Palliativmedizin bestehen Defizite, allerdings versorgt das Gesundheitsministerium derzeit alle öffentlichen Krankenhäuser mit Morphinen, auch können Hausärzte bzw. deren Krankenpfleger diese Schmerzmittel verschreiben und Patienten künftig in Apotheken auf Rezept derartige Schmerzmittel erwerben. 2011 bestanden landesweit 29 staatliche Krebszentren (Onkologiestationen in Krankenhäusern), die gegenwärtig mit Palliativstationen versorgt werden. 134 Untersuchungszentren (KETEM) bieten u.a. eine Früherkennung von Krebs an (AA 29.9.2015).

 

Im Rahmen der häuslichen Krankenbetreuung sind in allen Landesteilen staatliche mobile Teams im Einsatz (bestehend meist aus Arzt, Krankenpfleger, Fahrer, ggf. Physiotherapeut etc.), die Kranke zu Hause betreuen. Etwa 13%der Bevölkerung profitiert von diesen Angeboten (AA 29.9.2015).

 

Apotheken (Eczane) sind landesweit zu finden, vor allem in der Nähe von Krankenhäusern. Gewisse Medikamente werden mit rotem bzw. grünem Rezept erteilt, sodass eine Kontrolle des Verkaufs möglich ist. Die Zuzahlungen liegen bei etwa 20% (Rentner 10%). Viele Medikamente können auch ohne Vorlage eines Rezeptes gekauft werden (IOM 8.2014, vgl. IBZ 21.3.2014).

 

Schutzbedürftige Gruppen sind: alte Menschen, Frauen, Kinder, psychisch Kranke, Traumatisierte, Sozialhilfeempfänger, an kritischen Krankheiten Erkrankte, Patienten mit Organtransplantationen, etc. Die Institution für Soziale Dienstleistungen und den Schutz von Kindern ist zuständig für die Belange von Gruppen mit besonderen Bedürfnissen (Familien, Kinder, alleinstehende und kranke Senioren, Personen mit Behinderungen etc.) sowie für Gruppen mit wirtschaftlichen und sozialen Problemen. Die Einrichtung versucht, bei der Problemlösung behilflich zu sein und die Lebenssituation zu verbessern (IOM 8.2014).

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt des BAA bzw. BFA und die im Beschwerdeverfahren einlangenden Eingaben des BF, Durchführung zweier mündlicher Verhandlungen vor dem BVwG im Beisein des BF und ergänzende länderkundliche Beweisaufnahmen und Recherchen im Heimatland durch das BVwG.

 

2.2. Identität, Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, regionale und familiäre Herkunft des BF konnten aufgrund der diesbezüglich bereits erstinstanzlich als glaubwürdig festgestellten Angaben des BF sowie der Vorlage des Personalausweises festgestellt werden. Aufgrund seiner diesbezüglich glaubwürdigen, weil gleichbleibenden und schlüssigen Angaben über das gesamte Verfahren hinweg konnten auch die Feststellungen zu seiner Berufstätigkeit vor der Ausreise sowie seinen früheren wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen und den aktuellen Lebensumständen seiner Angehörigen im Herkunftsstaat getroffen werden.

 

Die Feststellungen zur aktuellen Lebenssituation des BF in Österreich stützen sich ebenso auf dessen glaubwürdige Angaben sowie die dazu vom Gericht eingeholten Datenbankauszüge und Auskünften von Betreuungseinrichtungen des BF.

 

Die Feststellungen zum Reiseweg und zur Einreise des BF nach Österreich und seiner Antragstellung hierorts sowie zum gg. Verfahrensverlauf stützten sich auf die persönlichen Angaben des BF und den gg. Verfahrensakt.

 

2.3. Die Feststellung zu den Erkrankungen des BF ergaben sich aus den dazu vorliegenden medizinischen Unterlagen.

 

Gemäß Befundbericht vom 19.07.2013 bestand beim BF der Verdacht auf eine schlafbezogene Atemstörung sowie auf eine posttraumatische Belastungsstörung. Darüber hinaus wurde eine Somniloquie, eine kombinierte Schwerhörigkeit links, eine Innenohrschwerhörigkeit rechts nach einer Nasenbeinfraktur und eine Septumdeviation diagnostiziert.

 

Gemäß Diagnose im Befundbericht vom 15.09.2015 leide der BF an chronischen täglichen Kopfschmerzen, einer chronischen Sinusitis bds. bei Polyposis nasi (Zustand nach einer Nasenoperation 2014), einem Zustand nach Folter im türkischen Staatsgefängnis, dadurch bedingten Zustand nach Nasenbeinfraktur sowie einseitiges Fehlen der Niere, einer kombinierten Schwerhörigkeit links, einer Innenohrschwerhörigkeit rechts, Paukenatelektase und Nikotinabusus.

 

Vor der belangten Behörde gab der BF am 25.04.2013 zu seinem Gesundheitszustand befragt an, er habe Probleme mit der Niere, HNO-Probleme und eine ihm nicht näher bekannte Form der Hepatitis, deretwegen er zwar in Istanbul in Behandlung gewesen sei, jedoch nicht in Österreich. Die Nasenprobleme habe er seit seinem siebten Lebensjahr, die Nase sei ihm damals gebrochen worden und habe er seit diesem Zeitpunkt auch Hörprobleme. In Österreich sei er in "Behandlung" wegen seinem schlechten Gehör und sei auch eine Nasenoperation geplant, welche zwischenzeitlich 2014 erfolgt sei. Im Jahr 2002 sei ihm in XXXX eine Niere entfernt worden, nachdem er bereits im Jahr 1994 gefoltert worden sei. Die zweite Niere funktioniere einwandfrei und er brauche auch keine Dialyse. Eine Behandlung beanspruche er in Österreich deshalb nicht, aber er gehe alle sechs Monate zur Kontrolle. Auch unter Gastritis leide er. Nach der Haftentlassung sei er in der Türkei auch in ärztlicher Behandlung gewesen, wie nun in Österreich habe er damals Tabletten verordnet bekommen.

 

In der mündlichen Verhandlung vom 02.05.2016 gab der BF zu seinem gesundheitlichen Zustand an, in der Haft geschlagen worden zu sein, sodass er deshalb ständig in Behandlung sei. Er müsse Medikamente einnehmen, seine Nase sei gebrochen und eine Niere entfernt worden. Das Trommelfell am linken Ohr sei geplatzt, er höre am linken gar nichts und am rechten Ohr nur wenig. Konkret nachgefragt gab der BF an, dass er aktuell wegen seiner "Beine" in Behandlung sei. Alle drei Monate müsse er zur Kontrolle wegen seiner Nieren. Er leide an keiner Krankheit, die in der Türkei nicht behandelbar sei.

 

In der Verhandlung vom 02.11.2017 gab der BF noch zusätzlich an, Beruhigungstabletten zu nehmen und einen Psychologen aufzusuchen, was sich auch aus zwei vorgelegten Bestätigungen ergab.

 

Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung des Vorbringens zu dieser Thematik ließ sich sohin feststellen, dass er bereits vor der Ausreise aus seinem Herkunftsstaat die für ihn notwendigen medizinischen Behandlungen erhalten hat. Stichhaltige Anhaltspunkte für eine gegenteilige Annahme im Falle einer Rückkehr hat er weder erstinstanzlich noch in den Beschwerdeverhandlungen dargeboten.

 

2.4. Die Feststellungen zur bisherigen strafgerichtlichen Verfolgung des BF in der Türkei im genannten Ausmaß stützen sich auf die dazu von ihm beigebrachten Beweismittel in Verbindung mit dazu beigeschafften Anfragebeantwortungen des BVwG (Auskunft der ÖB in Ankara vom 14.05.2013 hinsichtlich der Strafbarkeit der Teilnahme an Demonstrationen in der Türkei, die Auskunft der ÖB Ankara vom 25.04.2016 hinsichtlich der Verurteilung des BF und möglichen Folgen derselben sowie eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 14.03.2016 zu Strafnachlässen).

 

Konkrete Feststellungen zum Verfahrensstand eines allfälligen zweiten Verfahrens gegen den BF vor dem Strafgericht Istanbul/Kücükcekmece, wo am 27.06.2012 und 08.02.2013 Verhandlungen stattgefunden haben sollen, konnten mangels Beweisanbots des BF nicht getroffen werden.

 

2.5. Die allgemeinen länderkundlichen Feststellungen des BVwG stützen sich auf die dazu eingesehenen und dem gg. Verfahrensakt beigefügten länderkundlichen Informationen im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA vom 07.02.2017, zuletzt aktualisiert am 18.04.2018.

 

2.6. Zur Feststellung fehlender individueller Verfolgung des BF vor der Ausreise bzw. der fehlenden Gefahr einer solchen pro futuro ist wie folgt auszuführen:

 

2.6.1. Bei seiner Erstbefragung brachte der BF vor, dass er von der türkischen Regierung verfolgt werde, da er Mitglied der kurdischen Partei BDP gewesen sei. Er habe sich von 2008 bis 2011 in Haft befunden und sei 2012 ein weiteres Mal zu Unrecht angeklagt worden. Es würden ihm nunmehr 15 Jahre Haft drohen, dies alleine deshalb, da er die kurdische Sprache verteidige. Sein Bruder sei aus diesem Grund bereits seit einem Jahr im Gefängnis. Er selbst habe in der Türkei kein Verbrechen begangen und werde alleine wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden verfolgt. Er habe Angst vor dem Gefängnis, wo man "schlecht" behandelt werde, sowie vor weiterer Verfolgung in der Türkei, weshalb er ausgereist sei.

 

Zusammengefasst brachte der BF im weiteren Verfahren vor der belangten Behörde vor, während seiner Inhaftierung gefoltert worden zu sein. Diese Folter habe zu seinen gesundheitlichen Problemen geführt. Nach seiner Haftentlassung 2011 habe er die BDP unterstützt und bei einem Wahlkonvoi eine Auseinandersetzung mit der Polizei gehabt. Es sei wiederum ein Verfahren gegen ihn eingeleitet worden und habe er noch im Jahr 2011 eine Vorladung zur Staatsanwaltschaft erhalten. Die Vorladung habe er ignoriert, da sein Anwalt ihm gesagt habe, dass er verhaftet werden würde. Daraufhin habe er 2012 die Türkei verlassen. Das vorgelegte Urteil sei erlassen worden, aber noch nicht rechtskräftig, den aktuellen Verfahrensstand im zweiten gegen ihn eingeleiteten Strafverfahren kenne er nicht. Er sei Mitglied der HADEP gewesen, aktuell sei er jedoch bei keiner Partei registriert.

 

Im weiteren Verlauf des Verfahrens vor dem BVwG brachte er wiederum seinen Haftaufenthalt zwischen 2008 und Mai 2011 sowie die generelle Behauptung, dass er wegen seiner kurdischen Abstammung sowie Mitgliedschaft bei der BDP verurteilt worden sei, vor. Er sei zu Unrecht beschuldigt und verurteilt worden und insbesondere kein Mitglied der PKK gewesen sei. Er habe sich lediglich für die legale kurdische Partei BDP betätigt.

 

2.6.2. In übereinstimmender Form verwies der BF sohin auf die - oben im Rahmen der Feststellungen der gg. Entscheidung zugrunde gelegten - Tatsachen, dass er mit Urteil des 14. Schwurgerichts in Istanbul vom 30.12.2011 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 3 Monaten und wegen Propaganda für eine Terrororganisation (in 4 Tathandlungen) zu jeweils 10 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt und die gegen ihn verhängte Untersuchungshaft von 12.08.2008 bis 20.05.2011 der von ihm zu verbüßenden Haftstrafe angerechnet wurde, das Urteil vom 30.12.2011 vom Kassationsgerichtshof im Rechtsmittelweg überprüft und von diesem in seiner Entscheidung vom 15.01.2014 festgestellt wurde, dass die Tathandlungen der Propaganda für eine Terrororganisation teilweise bereits verjährt waren, die erstinstanzliche Entscheidung in diesem Umfang aufgehoben bzw. hinsichtlich dreier weiterer Tathandlungen "für die Aufschiebung der Strafverfolgung" entschieden wurde, und schließlich mit Urteil des 16. Schwurgerichts Istanbul vom 30.04.2014 hinsichtlich dieser drei Sachverhalte entschieden wurde, dass der Strafaufschub unter Auflage einer Probezeit von drei Jahren gewährt wurde. Insoweit stellten sich der Sachverhalt letztlich als unstrittig dar.

 

Was die der Verurteilung vom 30.12.2011 zugrunde gelegten Tathandlungen angeht, nämlich dass er am 04.02.2007 an einer Veranstaltung der (Anm.: pro-kurdischen Partei) DTP teilgenommen und dabei Parolen zu Gunsten der Terrororganisation (PKK) gerufen, bei einer von der Organisation DEM-DER organisierten illegalen Versammlung teilgenommen und die Gruppe angeleitet sowie Parolen zu Gunsten der PKK gerufen, an gewalttätigen Aktionen der Gruppe gegen die Polizei unter Verwendung von Molotowcocktails und Steinen teilgenommen und bei einer 1. Mai - Versammlung Symbole der PKK getragen und mit vermummten Gesicht Propaganda für die PKK gemacht, am 11.11.2005 und am 20.11.2005 eine Gruppe angeleitet, die im Auftrag der PKK eine Demonstration organisierte, bei der Flaggen der PKK und Bilder des PKK-Führers Öcalan getragen wurden, und gegen die Polizei Molotowcocktails, Schlagstöcke und Steine eingesetzt und eine Straßensperre errichtet hat, hatte sich das erkennende Strafgericht in seiner Beweisaufnahme auf das Ergebnis umfangreicher Telefonabhörmaßnahmen gestützt, aus denen sich auch ergab, dass der BF aktiv und in führender Position an der Mitgliederanwerbung der PKK beteiligt war und "für die Umsetzung der bewaffneten Kämpfe der Partei zuständig" war. Er selbst bestritt im Rahmen des damaligen Beweisverfahrens sowohl die abgehörten Telefonate als auch den Umstand, dass er die auf den ihm vorgelegten Fotos von Versammlungen aufscheinende Person sei.

 

Dazu in der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG im Mai 2016 nochmals befragt, vermochte der BF dieser Entscheidungsbegründung des Strafgerichts nicht stichhaltig entgegen zu treten. Vielmehr wich er den konkreten Fragen zu seinen Demonstrationsteilnahmen und der damit in Zusammenhang stehenden Festnahme bloß aus. Er bestritt auch die ihm zur Last gelegten Aktivitäten zugunsten der PKK bloß pauschal und unsubstantiiert. Das BVwG sah sich im Lichte dessen nicht dazu veranlasst die Feststellungen sowie die ihnen zugrundeliegende Beweiswürdigung des türkischen Strafgerichts in Zweifel zu ziehen.

 

Zur von ihm behaupteten Folterung in der Haft machte der BF divergierende Aussagen bzw. konnte er die Vorfälle zeitlich nicht einordnen. So gab er vorerst noch an, dass ihm die Nase als Kind im Alter von 7 Jahren gebrochen worden sei, während er später in der mündlichen Verhandlung vom November 2017 behauptete, alle seine Verletzungen und gesundheitlichen Probleme seien auf eine Folterung im Jahr 1994 zurückzuführen. Kein zeitlicher und kausaler Zusammenhang wurde von ihm jedenfalls zu seiner Anhaltung in der Haft von 2008 bis 2011 sowie zu seiner Ausreise im Jahr 2012 hergestellt.

 

Erwähnenswert im Hinblick auf die Beurteilung des Aussageverhaltens des BF war auch, dass er in der Erstbefragung behauptet hatte, keinerlei Schulbildung genossen zu haben, während er später vor der belangten Behörde angab, dass er in der Haft seinen Grundschulabschluss zwar nachgemacht habe, aber nicht lesen und schreiben könne, während er wiederum einerseits alle erstinstanzlichen Niederschriften mit einem Schriftzug unterschrieb, der in dieser Form zeigte, dass er des Schreibens mächtig ist, und andererseits in seinem Lebenslauf auf seiner Facebook-Seite zwei verschiedene Schulen sowie eine Universität nannte.

 

Andere Nebenumstände betreffend versuchte er ebenso auf nicht glaubhafte Weise ein für ihn günstiger erscheinendes Bild zu zeichnen. So behauptete er am Ende der letzten Einvernahme vor der belangten Behörde, dass sein Sohn kurz zuvor von der Polizei mitgenommen worden sei, da er nicht am nationalen Kinderfest, sondern an einem Protest gegen die Ermordung kurdischer Kinder teilgenommen habe und angesichts seiner Minderjährigkeit wieder freigelassen worden sei. Auch in der mündlichen Verhandlung am 02.05.2016 behauptete er, dass sein Sohn zweimal verhaftet worden sei. Dem Vorhalt, dass der Sohn den vorliegenden Beweismitteln folgend wegen des Verdachts der Begehung eines Einbruchsdeliktes verhaftet worden sei, zumal dieser gemeinsam mit anderen Jugendlichen in ein Haus eingebrochen sei und sich damit gerechtfertigt habe im Haus die Notdurft verrichten zu müssen, begegnete er wiederum mit der bloßen Behauptung, dass dies falsch protokolliert worden sei um den Sohn festnehmen zu können.

 

In ähnlich unplausibler Weise gab er in der zweiten mündlichen Verhandlung an, dass seine Telefonate mit seiner Ehegattin abgehört werden, und erklärte diese Behauptung auf Nachfrage bloß mit verschiedenen von ihm wahrgenommenen Geräuschen während der Telefonate, was implizieren würde, dass allfällige Abhörmaßnahmen der türkischen Sicherheitsdienste in so dilettantischer Form erfolgen, dass sie für Laien wahrnehmbar wären, was als lebensfremd anzusehen war.

 

Zum zuletzt im Beschwerdeverfahren vorgelegten, an die Ehegattin des BF gerichteten behördlichen Schreiben war festzuhalten, dass aus derlei an ihn oder seine Ehegattin gerichteten bloßen Vorladungen zu Befragungen schon per se und im Gegensatz zur Behauptung in einer dazu erstatteten Stellungnahme des Vertreters des BF nicht abzuleiten war, dass (nun auch) die Ehegattin in entscheidungsrelevanter Weise behördlich verfolgt werde.

 

Auch aus der Darstellung des BF, dass ein Cousin von ihm 2002 im Gefängnis umgebracht worden sei, ein weiterer Cousin, der sich der PKK angeschlossen habe, und ein Onkel getötet worden seien sowie drei Cousins seiner Ehegattin ermordet worden seien, war mangels über die behauptete Verwandtschaft hinaus nachvollziehbaren Konnexes zu seiner Person für sein persönliches Schutzbegehren nichts zu gewinnen.

 

2.6.3. Der BF gab in der Einvernahme vom 25.04.2013 nach Beweismitteln für ein zweites angeblich gegen ihn anhängiges Strafverfahren in der Türkei gefragt an, dass er mit Hilfe seines Personalausweises über das Internet eine Strafregisterabfrage machen und dieses Beweismittel vorlegen könnte. Auch stehe er in telefonischem Kontakt mit seinem Anwalt in der Türkei. Zusätzlich gab er eine Vollmacht zugunsten der belangten Behörde zu Protokoll um Erhebungen zu diesem Vorbringen unter Wahrung der Anonymität zu ermöglichen.

 

In der Folge legte er zwar einen Ausdruck der Website des türkischen Justizministeriums vom 08.05.2013 mit Eckdaten zu einem zweiten Strafverfahren gegen ihn vor. Zum daraufhin erteilten Auftrag der belangten Behörde, eine Abschrift eines allfälligen Urteils in vollständiger Form vorzulegen, vermeinte er in der Folge jedoch, dass sowohl sein bisheriger Anwalt als auch ein zusätzlich beauftragter Anwalt in der Türkei festgenommen worden seien. Zum Beweis hierfür legte er Internetausdrucke vor. Der Aufforderung, eine in türkischer Sprache vorgefertigte Vollmacht zu unterschreiben, damit die Behörde selbst die Gerichtsurteile beischaffen könne, kam er mit der Begründung, dass dies für ihn ein Kostenrisiko darstelle und überdies sein Aufenthaltsort auf diese Weise offengelegt werde, nicht nach.

 

Hierzu hielt die belangte Behörde im bekämpften Bescheid zu Recht fest, dass die von ihm genannten Gründe für die Nichterteilung der Vollmacht nicht plausibel gewesen seien, zumal die von der belangten Behörde herangezogenen türkischen Anwälte überprüft und für vertrauenswürdig befunden wurden, aus einer solchen Vollmacht auch der Aufenthaltsort des BF nicht hervorgehe und Auftraggeber der Recherche die Behörde wäre, weshalb für ihn keine Kosten entstanden wären.

 

Im Gefolge der Bescheiderlassung im September 2013 behauptete der BF in seiner Beschwerde, dass keiner der beiden - zuvor in Haft genommenen - Anwälte mehr Kontakt zu ihm haben wolle um nicht selbst ins Visier der türkischen Behörden zu gelangen.

 

Im August 2014 wurde er vom BVwG zur Vorlage von Unterlagen zu seinem zweiten Strafverfahren aufgefordert. Er legte zwar die stattgebende Entscheidung des Kassationsgerichtshofs aus dem Jahr 2014 hinsichtlich seiner Verurteilung aus dem Jahr 2011 vor, ein weiteres behaupteter Weise gegen ihn im Jahr 2013 ausgesprochenes Urteil wurde jedoch nicht beigeschafft, sondern wurde wiederum unter Bekanntgabe der Kontaktdaten auf einen türkischen Anwalt verwiesen, der dazu Auskunft geben könne.

 

Mit Schreiben des BVwG vom 06.02.2017 wurde er aufgefordert einen aktuellen Strafregisterauszug vorzulegen. In einer Stellungnahme dazu wurde bloß darauf hingewiesen, dass keine personenbezogenen Daten in die Türkei übermittelt werden dürften und seine türkischen Anwälte selbst inhaftiert worden seien.

 

Am 21.03.2017 legte er sodann ein Schreiben seines türkischen Anwalts vor. Im Gefolge einer daraufhin erfolgten nochmaligen Aufforderung eine aktuellen Strafregisterauszug vorzulegen sowie ergänzende Ausführungen zum Schreiben des Anwaltes zu machen, langte am 24.04.207 ein "Befangenheitsantrag" beim BVwG ein.

 

2.6.4. Hinsichtlich des Einwands der Aufforderung des BVwG gegenüber, einen aktuellen türkischen Strafregisterauszug vorzulegen, dem seine bisherigen rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen zu entnehmen seien, dass nämlich die Beibringung eines solchen dem Verbot der Übermittlung personenbezogener Daten an die Behörden des Herkunftsstaates (§ 33 Abs. 4 BFA-VG) widerspreche, wurde den Vertretern des BF mit Schreiben vom 27.04.2017 mitgeteilt, dass nicht das Gericht selbst eine solche Datenübermittlung vornahm oder vorzunehmen gedachte, sondern dem BF diese Beweismittelvorlage durch ihn nahegelegt wurde, damit er auf diese Weise zur Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts im Rahmen seiner eigenen Möglichkeiten beitragen möge. Die Besorgung eines solchen Strafregisterauszugs durch den BF selbst in der schon dargelegten Weise würde per se seine Zustimmung zu einer online erfolgten Dateneingabe bzw. -übermittlung implizieren, weshalb nicht erhellte, inwieweit diesfalls eine Verletzung des Schutzzwecks des § 33 Abs. 4 BFA-VG anzunehmen wäre (vgl. VfGH 06.06.2014, U 12/2013, wonach eine mit Zustimmung eines Asylwerbers erfolgte Datenübermittlung in den Herkunftsstaat jedenfalls zulässig ist). Dass die Verwertung solcherart gewonnener Beweisergebnisse durch das erwähnte grundsätzliche Verbot der Übermittlung personenbezogener Daten nicht hintangehalten wäre, entspricht auch der hg. Judikatur (vgl. VwGH 29.03.2001, 2000/20/0458). Auch wenn der BF von einer solchen Beweismittelvorlage aus persönlichen Gründen Abstand nimmt, so geht das Gericht nach wie vor von der Annahme aus, dass es im Rechtsschutzinteresse des BF selbst gelegen wäre, das Gericht (auch) durch seine Mitwirkung in die Lage zu versetzen, den Entscheidungsgründen des VwGH im in seiner Rechtssache ergangenen Erkenntnis zu XXXX v. 20.12.2016 folgend, sich vorerst einen Überblick über die in der Türkei gegen ihn bereits rechtskräftig gewordenen ebenso wie die noch im Rechtsmittelverfahren anhängigen sowie die behaupteter Weise auch behobenen Verurteilungen zu verschaffen um in weiterer Folge die für eine allfällige Schutzgewährung entscheidungsrelevante Frage nach der Verhältnismäßigkeit der gegen ihn ausgesprochenen Sanktionen zu prüfen. Im Lichte dessen stand es dem BF frei, sich auch eines von ihm zu bevollmächtigenden anwaltlichen Vertreters in der Türkei bedienend - innerhalb eines sachlich vertretbaren Zeitraums - dem BVwG nicht nur die erwähnten Fakten in einer nachprüfbaren Form zu übermitteln, sondern auch das Bestehen des von ihm behaupteten Haftbefehls gegen ihn nachvollziehbar zu machen, zumal er sich zuletzt auch nicht in der Lage sah, den Aufträgen des Gerichts vom 03.04.2017 nachzukommen.

 

Aufgrund der eingeschränkten Ermittlungsmöglichkeiten hat sich im Asylverfahren die Praxis etabliert, Erkundigungen über Vertrauensanwälte (Privatpersonen, die das Vertrauen der österreichischen Vertretungsbehörden genießen) vorzunehmen; bei derartigen Stellungnahmen handelt es sich jedoch nicht um Sachverständigengutachten, sondern um ein Beweismittel eigener Art, worauf auch in der Beweiswürdigung Bedacht zu nehmen ist und unterliegt dies der freien Beweiswürdigung (Hengstschläger/Leeb, AVG Rz 5 zu § 46). In seinem Erk. 15.12.2015, Ra 2015/18/0100-0101, stellte der VwGH umfassende Überlegungen zur Zulässigkeit, sowie zu den Grenzen der Möglichkeit der Asylbehörden bzw. des ho. Gerichts an, im Herkunftsstaat über einen Vertrauensanwalt einzelfallspezifische Ermittlungen durchzuführen. Hierbei führte er aus, dass die Grenzen hierfür jedenfalls an jenem Punkt erreicht werden, an dem diese Ermittlungen die Antragsteller oder sonstigen Personen im Herkunftssaat aufgrund dieser Ermittlungen relevanten Gefährdungen aussetzen würden. Außerhalb dieses Kreises sind Ermittlungen jedenfalls grundsätzlich zulässig. Ob solche Ermittlungen zu einer der oa. Gefahren führen würde, hat neben der ermittelnden Behörde bzw. dem Gericht ua. insbesondere auch der Vertrauensanwalt vor Ort im Rahmen seiner Ermittlungen abzuschätzen und seine Ermittlungen dementsprechend auszugestalten. Aus diesem Grunde besteht auch nur eingeschränkt die Möglichkeit, dem Vertrauensanwalt konkrete Ermittlungsschritte dezidiert aufzutragen. Das so zustande gekommene Ermittlungsergebnis unterliegt der freien Beweiswürdigung.

 

Auch ist auf die Mitwirkung des Asylwerbers im Verfahren Bedacht zu nehmen (§ 15 AsylG 2005, § 13 BFA-VG) und im Rahmen der Beweiswürdigung - und damit auch bei der Beurteilung der Glaubhaftmachung - zu berücksichtigen (Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005 Kommentar, S 385 mwN auf die Judikatur des VwGH). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre [VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua], gesundheitliche [VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601], oder finanzielle [vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099] Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279). Wenn Sachverhaltselemente im Ausland ihre Wurzeln haben, ist die Mitwirkungspflicht und Offenlegungspflicht der Partei in dem Maße höher, als die Pflicht der Behörde zur amtswegigen Erforschung des Sachverhaltes wegen des Fehlens der ihr sonst zu Gebote stehenden Ermittlungsmöglichkeiten geringer wird. Tritt in solchen Fällen die Mitwirkungspflicht der Partei in den Vordergrund, so liegt es vornehmlich an ihr, Beweise für die Aufhellung auslandsbezogener Sachverhalte beizuschaffen (VwGH 12.07.1990, Zahl 89/16/0069). Dabei darf in diesem Zusammenhang aber nicht übersehen werden, dass auf Grund der Spezifika eines Asylverfahrens, unbeschadet dessen, dass es als antragsgebundenes Verwaltungsverfahren nach dem Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz abgeführt wird, die Anforderungen an einen Asylwerber insbesondere bei der Beschaffung von Bescheinigungsmitteln auf Grund von fluchttypischen Sachzwängen nicht überzogen werden dürfen. Dennoch sieht der das asylrechtliche Ermittlungsverfahren zum Inhalt habende § 18 Asylgesetz 2005 keine Beweis- bzw. Bescheinigungslastumkehr zugunsten des Beschwerdeführers vor, sondern leuchtet aus den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zu dieser Bestimmung hervor, dass in dieser Bestimmung lediglich explizit darauf hingewiesen wird, dass das Asylverfahren den fundamentalen Prinzipen des Verwaltungsverfahrensrechts, insbesondere dem Prinzip der materiellen Wahrheit und dem Grundsatz der Offizialmaxime nach § 39 Absatz 2 AVG, folgt. Eine über §§ 37 und 39 Absatz 2 AVG hinausgehende Ermittlungspflicht normiert § 18 Asylgesetz nicht (vgl. schon die Judikatur zu § 28 AsylG 1997, VwGH 14.12.2000, Zahl 2000/20/0494).

 

Ergänzend zu den oa. Ausführungen gehen die Höchstgerichte davon aus, dass mit Zustimmung eines Asylwerbers auch eine Datenübermittlung in den (hier: potentiellen) Herkunftsstaat möglich ist (vgl. Erk. d. VwGH 27.01.2000, 99/20/0488). Anders kann im Lichte des § 1 Abs 2 DSG 2000 § 57 Abs. 10 AsylG 2005 [Anm.: aF, nunmehr § 33 Abs. 4 BFA-VG] in der hier anzuwendenden Fassung nicht verfassungskonform ausgelegt werden (Erk. d. VfGH vom 6.6.2014, U12/2013 ua.), wobei selbstredend auch hier die vom VwGH im Erk. 15.5.2015, Ra 2015/18/0100-0101 dargestellten Grenzen gelten, d. h. es wird auch im Falle einer vorliegenden Zustimmung zu prüfen sein, ob durch die Ermittlungen nicht die bereits beschriebenen Gefahrenmomente ausgelöst werden.

 

In seiner Entscheidung vom 18.01.2017, Zl. Ra 2016/18/0197 hält der VwGH hierzu fest, dass das Gesetz es grundsätzlich nicht erlaubt, personenbezogene Daten eines Asylwerbers an den Herkunftsstaat zu übermitteln (vgl. § 33 Abs. 4 BFA-VG 2014; zu den Ausnahmen vgl. § 33 Abs. 5 BFA-VG 2014). Dieser dem Datenschutz dienenden Bestimmung liegt erkennbar der Gedanke zugrunde, dass der potentielle Verfolgerstaat über das Schutzansuchen des Betroffenen nicht informiert werden soll, und zwar nicht zuletzt deshalb, um eine Gefährdung von im Herkunftsstaat verbliebenen Personen, die dem Asylwerber nahestehen oder mit seiner Flucht in Zusammenhang gebracht werden können, zu verhindern. Der VwGH hat dementsprechend erkannt, dass es den Asylbehörden nicht frei steht, sich durch fallbezogene Anfragen an Behörden des Heimatstaates vom Wahrheitsgehalt der Behauptungen des Asylwerbers zu überzeugen (vgl. etwa VwGH vom 10. Juni 1987, 86/01/0277, vom 30. September 1987, 87/01/0165, vom 24. Jänner 1990, 89/01/0446, und vom 27. Jänner 2000, 99/20/0488). Die Asylbehörden haben daher allgemein im Auge zu behalten, dass die von ihnen gesetzten Ermittlungsschritte das soeben angesprochene Ziel nicht konterkarieren. Ermittlungen, die unter diesem Blickwinkel dem Asylwerber schaden oder die Gefahr von Verfolgung oder eines ernsthaften Schadens für andere im Herkunftsstaat verbliebene Personen mit sich bringen können, sind daher als ungeeignet und nicht zweckdienlich im Sinn von § 46 AVG anzusehen und aus diesem Grund zu unterlassen.

 

Aus oben Gesagtem ergibt sich, das eine Datenübermittlung an den Herkunftsstaat mit Zustimmung des BF im Einzelfall auch im Lichte des Wortlauts des § 33 Abs. 4 BFA-VG zulässig ist, wenn hierdurch der BF bzw. im Herkunftsstaat aufhältige Personen nicht einer relevanten Gefahr ausgesetzt werden. Erteilt der BF diese Zustimmung nicht, können die entsprechenden Ermittlungen, welche die genannte Datenübermittlung voraussetzen, nicht durchgeführt werden.

 

Aus der Obliegenheit zur Mitwirkung im Asylverfahren ist ableitbar, dass Antragsteller in Asylverfahren in jenen Fällen, in denen die Durchführung von Ermittlungen nicht zu den bereits genannten Gefahren führt, angehalten sind, die Zustimmung zur Durchführung von Ermittlungen zu erteilen, welche auch die Übermittlung von Daten an den Herkunftsstaat umfasst (vgl. RV zu § 18 AsylG: "... Wer Interesse an einer Schutzgewährung hat, wird auch am Verfahren zur Erlangung des Schutzes mitwirken; wer hingegen die Asylbehörden über Tatsachen zu täuschen versucht, glaubt zumindest keine echten Schutzgründe zu haben. ..."). Dies muss insbesondere in jenen Fällen gelten, in denen die Asylbehörden bzw. das ho. Gericht auf die Beantwortung der genannten Anfrage unter Übermittlung der genannten Daten angewiesen sind um den maßgeblichen Sachverhalt ermitteln zu können. Es sei an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, dass gerade hinsichtlich jener Elemente des entscheidungsrelevanten Sachverhalts, bei denen es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 mwN; VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/060; VwGH 15.11.1994, 94/07/0099), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279) besteht. Eine solche erhöhte Mitwirkungspflicht kann nach ho. Ansicht auch in der Erteilung der Zustimmung zu Ermittlungen -selbstredend stets im Rahmen der bereits beschriebenen Judikaturbestehen, um den Umstand, dass sich die Behörde über relevante Umstände nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann zu beseitigen.

 

Bei entsprechender Weigerung kann diese Zustimmung zwar nicht erzwungen werden, es steht den Asylbehörden bzw. dem ho. Gericht jedoch frei, die Verweigerung der Zustimmung der freien Beweiswürdigung zu unterziehen, hieraus entsprechende Schlüsse abzuleiten und die verweigerte Mitwirkung an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes damit auch bei der Beurteilung der Glaubhaftmachung -idR zum Nachteil der Partei- zu berücksichtigen (VwGH 26.2.2002, 2001/11/0220; Thienel, Verwaltungsverfahrensrecht,

3. Auflage, S 172; Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005 Kommentar, S 385 mwN auf die Judikatur des VwGH).

 

Ein derartiges Verhalten des Asylwerbers unterliegt der freien Beweiswürdigung, wobei auf die geltend gemachten Gründe der Weigerung Bedacht zu nehmen ist. Geschieht dies nicht, so hält die Ansicht, die Nichterteilung der Zustimmung spreche gegen die Glaubwürdigkeit des Asylwerbers, der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht stand (Hinweis E 23.2.1994, 92/01/0888). Die Asylbehörden sind aber nicht daran gehindert, im Wege der österreichischen Vertretungsbehörde im Herkunftsstaat des Asylwerbers auch ohne dessen Zustimmung allgemein gehaltene Auskünfte eines Vertrauensanwaltes, etwa über die Existenz oder Nichtexistenz bestimmter Behörden, einzuholen. Die Übergabe von Kopien den Asylwerber betreffender Urkunden an den Vertrauensanwalt oder die Mitteilung von Einzelheiten, die eine Identifizierung des Asylwerbers ermöglichen könnten, sind dem aber nicht gleich zu halten (VwGH vom 27.01.2000, Zl. 99/20/0488).

 

2.6.5. Vor dem Hintergrund dieser Judikatur sind auch die Versuche des BVwG im Rahmen der Entscheidung aus dem Jahr vom 12.05.2016 zu bewerten, die wesentlichen den BF betreffenden Sachverhalte in Bezug auf seine Verurteilungen mittels Anfragebeantwortungen zu erheben. Die Ergebnisse dieser Erhebungen stellten sich jedoch für den VwGH in seiner Entscheidung vom 20.12.2016 als nicht ausreichend dar, weshalb im gg. Verfahrensgang neuerlich versucht wurde zu entsprechenden Ergebnissen zu gelangen.

 

Vor diesem Hintergrund erhellte für das BVwG nicht, warum der BF zwar das Urteil vom 30.12.2011, jedoch nicht ein angeblich später gegen ihn ergangenes vorlegen konnte. Darüber hinaus legte er auch ein Urteil seinen Sohn betreffend und diverse weitere Gerichtsunterlagen vor, was schon den Eindruck aufdrängte, dass er allenfalls die Fakten und Umstände einer weiteren Verurteilung verschleiern wollte. In einem ähnlich gelagerten Verfahren vor dem BVwG zur Zl. XXXX war es dem Beschwerdeführer ohne Probleme möglich entsprechend am Verfahren mitzuwirken und Strafregisterauszug sowie Urteile vollständig vorzulegen. Zudem wurde aus dem gg. Verfahrensgang ersichtlich, dass der BF zwar teilweise auf seine Anwälte in der Türkei verwies, dann jedoch wieder behauptete, dass diese selbst inhaftiert seien und er keine Unterlagen von ihnen erlangen könne. Die nachfolgenden Ermittlungen des BVwG ergaben demgegenüber jedoch, dass der genannte Anwalt nach wie vor praktiziere und entgegen der Behauptung des BF diesen und andere Familienmitglieder anwaltlich vertreten. Einem Anwalt, der bereits als Vertreter in einem Verfahren auftrat, sollte es wiederum jedenfalls möglich sein zu diesem Verfahren ohne neuerliche Vollmacht eine Urteilsabschrift zu erlangen, bzw. wäre ein Anwalt ohnehin verpflichtet solche Unterlagen seines Mandanten aufzubewahren.

 

Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung stellte sich sohin der Eindruck ein, dass dem BF aus nicht näher nachvollziehbaren Gründe nicht hinreichend daran gelegen war ein zweites gegen ihn ergangenes Urteil vorzulegen.

 

In der mündlichen Verhandlung im November 2017 erwiderte der BF, zu den Gründen für die Unterlassung der Vorlage eines aktuellen türkischen Strafregisterauszuges befragt, wiederum, dass er vermeintlich den Strafregisterauszug aus dem Jahr 2013 als relevant erachtet hatte. In der Folge zeigte er sich darüber verwundert, dass sein nunmehriger Vertreter trotz Aufforderung des Gerichts die Vorlage eines aktuellen Strafregisterauszuges abgelehnt hatte. Seinen weiteren Angaben in der Verhandlung folgend hatte er sich auch in die Website des Justizministeriums eingeloggt, wich dann aber konkreten Fragen aus und wollte keine näheren Auskünfte mehr dazu geben.

 

Diese gesamte Vorgehensweise erweckte für das BVwG den Eindruck, dass offenbar eine Verfahrensverzögerung beabsichtigt war (vgl. VwGH vom 27.3.2007, 2006/06/0023). Vor diesem Hintergrund war auch der Antrag der Vertretung erklärbar, die Frist zur Vorlage des Strafregisterauszuges auf unbestimmte Zeit zu verlängern (zur Verschleppungsabsicht durch die Stellung von neuen Beweisanträgen zu einem späten Stadium des Verfahrens siehe auch Erk. des VwGH vom 19.2.1985, 84/14/0112).

 

2.6.6. Zu den in der Stellungnahme des BF vom 01.07.2013 enthaltenen Internetseiten, die die Festnahme der Anwälte des BF belegen sollten, war im Übrigen anzumerken, dass diesen Berichten der Hinweis darauf zu entnehmen war, dass sie zu den führenden Anwälten im engsten Umkreis des PKK-Führers Abdullah Öcalan zählen. Letztlich fügt sich dieser Umstand auch in das Bild, dass der BF zwar versuchte, jeglichen persönlichen Zusammenhang mit der PKK zu verneinen, bzw. vermeinte, nicht der PKK, sondern (bloß) der politischen Partei BDP anzugehören, jedoch auch dieser Hintergrund ein Indiz für ein Naheverhältnis des BF zur PKK darstellte.

 

2.6.7. Zu den zuletzt von ihm behaupteten Drohungen Dritter gegen seine Person über seinen Facebook Account legte der BF zwar eine Anzeige vor, die Drohungen selbst jedoch nicht. Er legte an Stelle dessen eine handschriftlich von einem Freund verfasste Liste mit den angeblichen Drohungen vor. In der mündlichen Verhandlung gab er auf die Frage, wie lange sein Account gesperrt gewesen sei, vorerst an, dass der Account immer noch gesperrt sei. Über Vorhalt dessen, dass das Gericht vor der Verhandlung Einsicht in seinen Account genommen und einen Ausdruck angefertigt habe, behauptete der BF sodann, dass dies ein neuer Account sei, den er erst seit zwei Wochen benutze. Aus welchem Grund sein vorheriger Account gesperrt worden wäre, konnte er wiederum nicht sagen, er habe aber auch keine Nachfragen dazu veranlasst. Seine Bedroher kenne er selbst nicht. Aus diesem vagen Szenario ließ sich sohin keine relevante Bedrohung für den BF gewinnen.

 

2.6.8. Zur behaupteten Verfolgung des BF aufgrund seiner (bloßen) Zugehörigkeit zur kurdischen Ethnie war grundsätzlich darauf abzustellen, dass allgemeine Diskriminierungen, etwa soziale Ächtung, für sich genommen nicht die hinreichende Intensität für eine Asylgewährung aufweisen können. Bestimmte Benachteiligungen (wie etwa allgemeine Geringschätzung durch die Bevölkerung, Schikanen, gewisse Behinderungen in der Öffentlichkeit) bis zur Erreichung einer Intensität, dass deshalb ein Aufenthalt des Beschwerdeführers im Heimatland als unerträglich anzusehen wäre (vgl VwGH 07.10.1995, 95/20/0080; 23.05.1995, 94/20/0808), sind dahin gehend hinzunehmen. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist die schwierige allgemeine Lage einer ethnischen Minderheit oder der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft im Heimatland eines Asylwerbers für sich allein nicht geeignet, die für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorauszusetzende Bescheinigung einer konkret gegen den Asylwerber gerichteten drohenden Verfolgungshandlung darzutun (VwGH 31.01.2002, Zl. 2000/20/0358). So hat der Verwaltungsgerichtshof beispielsweise im Erkenntnis vom 23.06.1998, Zl. 96/20/0144, ausgesprochen, dass die bloße Zugehörigkeit türkischer Staatsangehöriger zur Volksgruppe der Kurden und das alevitische Religionsbekenntnis samt der damit einhergehenden Diskriminierung noch keinen ausreichenden Grund für die Asylgewährung bilden.

 

2.6.9. Die Feststellung, dass der BF bei einer Rückkehr in die Türkei in keine existenzbedrohende Notlage geraten würde, stützte sich zum einen darauf, dass es sich bei ihm um einen arbeitsfähigen Mann handelt, der bereits vor der Ausreise aus der Heimat berufstätig war, wie von ihm dargelegt wurde. Er war insofern schon bisher selbsterhaltungsfähig, weshalb nicht ersichtlich wäre, warum es ihm nicht möglich sein sollte seinen Lebensunterhalt wie zuvor durch eigene Arbeit zu bestreiten. Zudem verfügt er auch über verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte in der Türkei, wie er ebenso bis zuletzt dargelegt hat. Mit den Mitgliedern seiner Herkunftsfamilie steht er seiner Aussage nach auch in aufrechtem Kontakt.

 

2.6.10. Zum Befangenheitsantrag der rechtsfreundlichen Vertretung vom 24.04.2017 ist anzumerken, dass sich Mitglieder des Verwaltungsgerichtes gemäß § 6 Abs. 1 VwGVG unter Anzeige an den Präsidenten der Ausübung ihres Amtes wegen Befangenheit - und nicht bereits bei bloßer Behauptung des Vorliegens einer Befangenheit durch eine Partei - zu enthalten haben (VwGH vom 31.03.2016, Zl. RA 2016/02/0050; vgl. zur ebenso von Amts wegen wahrzunehmenden Befangenheit von Verwaltungsorgangen nach § 7 AVG und zum diesbezüglich fehlenden Ablehnungsrecht der Parteien die in Hengstschläger/Leeb, AVG § 7 Rz 17, dargestellte Rechtsprechung; vgl. demgegenüber das in § 31 Abs. 2 VwGG ausdrücklich normierte Ablehnungsrecht der Parteien). Normadressat dieser Bestimmung sind die Richter, weshalb in Analogie zum AVG kein subjektives Recht einer Verfahrenspartei wegen Befangenheit besteht (siehe auch Hengstschläger/Leeb, AVG § 7 Rz 17).

 

Gegenständlich ist in Bezug auf eine allfällige Befangenheit auszuführen, dass die in § 7 Abs. 1 Z 1, 2, und 4 AVG genannten Gründe nicht vorliegen. Somit würden nur sonstige wichtige Gründe gemäß dem Auffangtatbestand der Z 3 leg. cit. in Betracht kommen, die geeignet wären, die volle Unbefangenheit des vorsitzenden Richters in Zweifel zu ziehen.

 

Maßgeblich für eine Befangenheit nach § 7 Abs. 1 Z 3 AVG ist, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller konkreten Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des "vorsitzenden Richters" zu zweifeln, sodass eine parteiliche Ausübung seines Amtes als wahrscheinlich angesehen werden muss (vgl. Hengstschläger/Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz2, Rz 14 zu § 7 AVG, und die dort zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes).

 

Das Wesen der Befangenheit besteht nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in der Hemmung einer unparteiischen Entscheidung durch unsachliche psychologische Motive.

 

Nach ständiger Rechtsprechung vermag der Umstand, dass eine Partei eine Entscheidung in materiell rechtlicher oder verfahrensrechtlicher Hinsicht für unzutreffend erachtet, keine hinreichende Grundlage für die Annahme einer Befangenheit zu bieten, sofern nicht damit im Zusammenhang konkrete Umstände glaubhaft gemacht werden, die auf den Mangel einer objektiven Einstellung der an dem Erkenntnis oder dem Beschluss mitwirkenden Richter hindeuten.

 

Im gg. Beschwerdeverfahren war die rechtsfreundliche Vertretung mit Aufforderungen des zuständigen Richters zur Vorlage eines türkischen Strafregisterauszuges in der Türkei nicht einverstanden und verwies sie darauf, dass der BF seine personenbezogenen Daten und seinen Aufenthaltsort bei einer Abfrage der betreffenden Homepage angeben müsse, was nach Ansicht der Vertretung eine Verletzung des Schutzzweckes der relevanten Norm bedinge. Da das Nichtübermitteln des Strafregisterauszuges als Verletzung der Mitwirkungspflicht ausgelegt werden könne, lägen begründete Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters vor.

 

Dazu wird an dieser Stelle auf die bereits oben dargelegte Ansicht des Gerichts hingewiesen, wonach der BF seine Mitwirkungspflicht verletzte bzw. es ihm zumutbar gewesen wäre an der Beischaffung des Strafregisterauszuges mitzuwirken.

 

Die Mitwirkung eines allenfalls befangenen Mitgliedes des Verwaltungsgerichtes kann letztlich lediglich im Rechtsmittel gegen diese Entscheidung geltend gemacht werden.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.

 

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

 

Gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.

 

Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

 

Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

 

Gemäß Art. 151 Abs. 51 Z. 7 B-VG wurde der Asylgerichtshof mit 1.1.2014 zum Bundesverwaltungsgericht, die Mitglieder des AsylGH wurden zu Mitgliedern des BVwG.

 

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

 

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

 

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

 

Mit dem BFA-Einrichtungsgesetz (BFA-G) idF BGBl. I Nr. 68/2013, in Kraft getreten mit 1.1.2014, wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) als Rechtsnachfolger des vormaligen Bundesasylamtes eingerichtet. Gemäß § 3 Abs. 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) obliegt dem BFA u.a. die Vollziehung des BFA-VG und des AsylG 2005 idgF.

 

Gemäß § 7 Abs. 1 Z. 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes.

 

Mit Datum 1.1.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 145/2017.

 

Gem. § 75 Abs. 19 AsylG sind alle mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren ab 1. Jänner 2014 vom Bundesverwaltungsgericht nach Maßgabe des Abs. 20 zu Ende zu führen.

 

Zu A)

 

1.1. Gemäß § 3 Abs. 3 Z. 2 AsylG ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn der Fremde einen Asylausschlussgrund iSd § 6 AsylG gesetzt hat.

 

Gemäß § 6 Abs 1 Z 2 AsylG ist ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn einer der in Art. 1 Abschnitt F der GFK genannten Ausschlussgründe vorliegt. Liegt einer der in Abs. 1 genannten Ausschlussgründe vor, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Abs. 2 ohne weitere Prüfung abgewiesen werden. § 8 AsylG gilt.

 

Gemäß § 8 Abs. 3a AsylG hat die Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

 

Gemäß § 9 Abs. 2 Z. 1 AsylG ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten auch dann abzuerkennen, wenn einer der in Art. 1 Abschnitt F der GFK genannten Gründe vorliegt.

 

Gemäß Artikel 1 Abschnitt F lit. c der Genfer Flüchtlingskonvention findet dieses Abkommen keine Anwendung auf Personen, hinsichtlich derer ernsthafte Gründe für den Verdacht bestehen, dass sie sich Handlungen schuldig gemacht haben, die sich gegen die Ziele und Prinzipien der Vereinten Nationen richten.

 

Gemäß Art 12 Abs 2 lit c der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 (auch: StatusRL, zuletzt in der Fassung 2011/95/EU ) ist ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass er sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und in den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen.

 

Gemäß Absatz 3 findet Absatz 2 auf Personen Anwendung, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

 

Gemäß Art 17 Abs. 1 lit. c der Richtlinie ist ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser von der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen.

 

Gemäß Abs. 2 findet Absatz 1 auf Personen Anwendung, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

 

Laut dem dritten Erwägungsgrund der Richtlinie stellt die Genfer Konvention einen wesentlichen Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens für den Schutz von Flüchtlingen dar.

 

Der 22. Erwägungsgrund der Richtlinie lautet:

 

"Handlungen im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen sind in der Präambel und in den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen dargelegt; sie sind unter anderem in den Resolutionen der Vereinten Nationen zu Antiterrormaßnahmen verankert, in denen erklärt wird, ‚dass die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen' und ‚dass die wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen'."

 

Nach den terroristischen Anschlägen am 11. September 2001 in New York, Washington und Pennsylvania beschloss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 28. September 2001 auf der Grundlage von Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen die Resolution 1373 (2001).

 

In den Erwägungsgründen dieser Resolution bekräftigt der Sicherheitsrat die "Notwendigkeit, durch terroristische Handlungen verursachte Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit mit allen Mitteln im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen zu bekämpfen".

 

In Ziff. 5 dieser Resolution heißt es, "dass die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen und dass die wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen".

 

Am 12. November 2001 beschloss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution 1377 (2001), in der er "betont, dass Akte des internationalen Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen stehen und dass die Finanzierung, Planung und Vorbereitung sowie jegliche andere Form der Unterstützung von Akten des internationalen Terrorismus ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen [dieser] Charta stehen".

 

Zur Umsetzung der Resolution 1373 (2001) nahm der Rat der Europäischen Union am 27. Dezember 2001 den Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABl. L 344, S. 93) an.

 

Nach Art. 1 Abs. 1 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 gilt dieser für die in seinem Anhang aufgeführten "Personen, Vereinigungen und Körperschaften, die an terroristischen Handlungen beteiligt sind".

 

Nach Art. 1 Abs. 2 und 3 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 bezeichnen die Begriffe

 

"(2) ... ‚Personen, Vereinigungen und Körperschaften, die an terroristischen Handlungen beteiligt sind'

 

 

 

(3) ... ‚terroristische Handlung' eine der nachstehend aufgeführten vorsätzlichen Handlungen, die durch ihre Art oder durch ihren Kontext ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen kann und im innerstaatlichen Recht als Straftat definiert ist, wenn sie mit dem Ziel begangen wird,

 

...

 

iii) die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören:

 

...

 

k) Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung einschließlich durch Bereitstellung von Informationen oder materiellen Mitteln oder durch jegliche Art der Finanzierung ihrer Aktivitäten in dem Wissen, dass diese Beteiligung zu den kriminellen Aktivitäten der Gruppe beiträgt...."

 

Der Gemeinsame Standpunkt 2001/931 enthält einen Anhang mit der Überschrift "Erste Liste der in Artikel 1 genannten Personen, Vereinigungen und Körperschaften". Der Inhalt dieses Anhangs wurde durch den Gemeinsamen Standpunkt 2002/340/GASP des Rates vom 2. Mai 2002 (ABl. L 116, S. 75) aktualisiert.

 

In Abschnitt 2 ("Gruppen und Organisationen") des in dieser Weise aktualisierten Anhangs sind unter Ziff. 9 die "Kurdische Arbeiterpartei (PKK)" und unter Ziff. 19 die "Revolutionäre Volksbefreiungsarmee/-front/-partei (DHKP/C) (auch Devrimci Sol, Dev Sol)" aufgeführt. Diese Organisationen wurden sodann gemäß den späteren Gemeinsamen Standpunkten des Rates weiter auf der Liste nach Art. 1 Abs. 1 und 6 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 geführt, zuletzt gemäß Verordnung (EU) Nr. 125/2014 des Rates vom 10. Februar 2014 zur Durchführung des Artikels 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 714/2013.

 

1.2. Im aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des deutschen Bundesverwaltungsgerichtes zur Auslegung des Art. 12 Abs. 2 lit. b und c der Statusrichtlinie geführten Verfahren vor der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs (auch: EuGH) vom 09.11.2010 in der Rechtssache C-101/09 (diese verbunden mit C-57/09) wollte das vorlegende Gericht erstens wissen, ob eine "schwere nichtpolitische Straftat" oder "Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen", im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Buchst. b oder c der Richtlinie vorliegen, wenn die betreffende Person einer Organisation angehört hat, die wegen ihrer Beteiligung an terroristischen Handlungen in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 aufgeführt ist, und den bewaffneten Kampf dieser Organisation, gegebenenfalls in hervorgehobener Position, aktiv unterstützt hat.

 

Im dazu ergangenen Urteil führte der EuGH aus:

 

"Es ist ... festzustellen, dass terroristische Handlungen, die durch

ihre Gewalt gegenüber Zivilbevölkerungen gekennzeichnet sind, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt werden, als schwere nichtpolitische Straftaten im Sinne des genannten Buchst. b angesehen werden müssen.

 

Was zweitens die in Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie genannten Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, anbelangt, so wird im 22. Erwägungsgrund der Richtlinie angegeben, dass sie in der Präambel und in den Art. 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen dargelegt und u. a. in den Resolutionen der Vereinten Nationen zu Antiterrormaßnahmen verankert sind.

 

Zu diesen Akten gehören die Resolutionen 1373 (2001) und 1377 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, denen zu entnehmen ist, dass dieser von dem Grundsatz ausgeht, dass Handlungen des internationalen Terrorismus in einer allgemeinen Weise und unabhängig von der Beteiligung eines Staates den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen.

 

Daraus folgt, dass ... die zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten

die Bestimmung des Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie auch auf eine Person anwenden können, die im Rahmen ihrer Zugehörigkeit zu einer in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 aufgeführten Organisation an terroristischen Handlungen beteiligt war, die eine internationale Dimension aufweisen."

 

Im Hinblick auf die Frage, inwieweit eine Zugehörigkeit zu einer solchen Organisation impliziert, dass die betreffende Person unter Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie fällt, wenn sie, gegebenenfalls in hervorgehobener Position, den von dieser Organisation geführten bewaffneten Kampf aktiv unterstützt hat, sei darauf hinzuweisen, dass Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie, wie im Übrigen auch Art. 1 Abschnitt F Buchst. b und c der Genfer Konvention, eine Person nur dann von der Flüchtlingsanerkennung auszuschließen erlaubt, wenn "schwerwiegende Gründe" zu der Annahme berechtigen, dass sie eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb ihres Aufnahmelandes "begangen hat", bevor sie als Flüchtling aufgenommen wurde, oder dass sie sich Handlungen "zuschulden kommen ließ", die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen. Die zuständige Stelle des betreffenden Mitgliedstaats dürfe diese Bestimmungen (jedoch) erst anwenden, nachdem sie in jedem Einzelfall eine Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände, die ihr bekannt sind, vorgenommen hat, um zu ermitteln, ob schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass die Handlungen des Betreffenden unter einen der beiden Ausschlusstatbestände fallen. Folglich könne, auch wenn die Handlungen einer Organisation, die wegen ihrer Beteiligung an terroristischen Handlungen in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 aufgeführt ist, unter einen der in Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe fallen können, allein der Umstand, dass die betreffende Person einer solchen Organisation angehört hat, nicht automatisch zur Folge haben, dass sie nach diesen Bestimmungen von der Anerkennung als Flüchtling auszuschließen ist. Indessen erlaube die Aufnahme einer Organisation in eine Liste wie die im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 enthaltene die Feststellung, dass die Vereinigung, der die betreffende Person angehört hat, terroristischer Art ist, was einen Gesichtspunkt darstellt, den die zuständige Stelle zu berücksichtigen hat, wenn sie in einem ersten Schritt prüft, ob die Vereinigung Handlungen begangen hat, die unter Art. 12 Abs. 2 Buchst. b oder c der Richtlinie fallen. (Dennoch) falle auch die Beteiligung an den Handlungen einer terroristischen Vereinigung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b des Rahmenbeschlusses 2002/475 nicht notwendig und automatisch unter die in Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe. Für die Feststellung, dass die in Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe vorliegen, sei es (vielmehr) erforderlich, dass der betreffenden Person ein Teil der Verantwortung für Handlungen, die von der fraglichen Organisation im Zeitraum der Mitgliedschaft der Person in dieser Organisation begangen wurden, zugerechnet werden kann, wobei dem in diesem Abs. 2 verlangten Beweisniveau Rechnung zu tragen ist. Diese individuelle Verantwortung ist anhand sowohl objektiver als auch subjektiver Kriterien zu beurteilen. Hierfür habe die zuständige Stelle insbesondere die Rolle zu prüfen, die die betreffende Person bei der Verwirklichung der fraglichen Handlungen tatsächlich gespielt hat, ihre Position innerhalb dieser Organisation, den Grad der Kenntnis, die sie von deren Handlungen hatte oder haben musste, die etwaigen Pressionen, denen sie ausgesetzt gewesen wäre, oder andere Faktoren, die geeignet waren, ihr Verhalten zu beeinflussen.

 

Die weitere Vorlagefrage, ob der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung gemäß Art. 12 Abs. 2 Buchst. b oder c der Richtlinie voraussetze, dass von der betreffenden Person weiterhin eine Gefahr für den Aufnahmemitgliedstaat ausgehe, wurde vom EuGH verneint.

 

Ebenso verneint wurde vom EuGH die dritte Vorlagefrage, ob der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung gemäß Art. 12 Abs. 2 Buchst. b oder c der Richtlinie eine auf den Einzelfall bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung voraussetzt.

 

1.3. Im gg. Beschwerdeverfahren war - im Lichte der vom BF vorgelegten Beweismittel - davon auszugehen, dass er Mitglied der PKK bzw. für diese tätig war und dass er im Rahmen dessen auch an gewaltsamen Aktionen gegen die Polizei teilgenommen hat, weshalb er wegen Mitgliedschaft in der - nicht nur in der Türkei als solche eingestuften - terroristischen Organisation PKK strafgerichtlich rechtskräftig verurteilt wurde.

 

Vor diesem individuellen Hintergrund kommt das erkennende Gericht bei einer Prüfung des Sachverhalts entlang der im og. Urteil des EuGH dargelegten Kriterien zum Ergebnis, dass der BF mit den Zielen und Methoden dieser als Terrororganisation zu qualifizierenden Vereinigung nicht nur vertraut war, sondern persönlich durch seine Aktivitäten zur Verbreitung und Unterstützung ihrer Ziele beitrug und insoweit auch eine persönliche Mitverantwortung für den Bestand und die Aktivitäten der PKK hatte. Der BF hat diese persönliche Rolle bzw. Verantwortung im gg. Beschwerdeverfahren zwar bestritten, jedoch gelangte das BVwG auf der Grundlage der aufgenommenen Beweise, insbesondere des übersetzten strafrechtlichen Urteils aus dem Jahr 2011 bzw. dem Urteil im Beschwerdeverfahren hierzu, zu einem anderen Ergebnis. Es wäre auch nicht erkennbar geworden, dass er zu seiner Mitwirkung gezwungen worden wäre, sondern erfolgte diese offenkundig aus persönlicher Überzeugung.

 

Insgesamt gesehen waren somit aus Sicht des erkennenden Gerichtes sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht die Voraussetzungen des in Art. 12 Abs. 2 Buchst. c und Absatz 3 der Statusrichtlinie vorgesehenen Ausschlussgrundes als erfüllt anzusehen.

 

1.4. Generell erachtet das BVwG die strafgerichtliche Verurteilung des BF und einen daraus folgenden Strafantritt per se nicht als staatliche Verfolgung in asylrelevanter Form ("persecution"), sondern als strafrechtlich legitimiertes Vorgehen gegen Mitglieder einer nicht nur in der Türkei, sondern auch von den EU-Mitgliedstaaten als Terrororganisation eingestuften bewaffneten Organisation ("prosecution"). Es sind im gg. Verfahren auch keine stichhaltigen Anhaltspunkte dafür hervorgekommen, dass dieses Vorgehen der türkischen Behörden lediglich durch die ethnische Zugehörigkeit des BF zur Volksgruppe der Kurden oder seine offenkundig linksorientierte bzw. gegen die seinerzeitigen politischen Umstände in der Türkei gerichtete Haltung bestimmt, sondern der Bekämpfung terroristischer Aktivitäten zur gewaltsamen Durchsetzung der Ziele einer terroristischen Organisation wie der PKK geschuldet war. Nicht zuletzt war für das BVwG feststellbar, dass der BF nicht nur im hier maßgeblichen Strafverfahren aus dem Jahr 2011, das zur genannten Verurteilung wegen Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung der PKK führte, sondern auch in den anderen gegen ihn geführten Verfahren betreffend Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Teilnahme an illegalen Demonstration samt gewalttägigen Vorgehen gegen die Polizei jeweils Zugang zu einem rechtsstaatlichen Verfahren einschließlich rechtsfreundlicher Unterstützung und - teils auch erfolgreichem - Zugang zum jeweiligen Rechtsmittel hatte.

 

Auch stellt die Verurteilung des BF nach Art. 314 Abs. 2 und 3 ("Mitgliedschaft in einer bewaffneten Organisation") iVm § 220 Abs. 6 türkisches StGB und zu einer unbedingten Haftstrafe von 6 Jahren und 3 Monaten keine unverhältnismäßige Bestrafung dar, sodass diese als solche Asylrelevanz entfalten oder eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen würde. Ein solches Delikt unterliegt auch nach der österr. Rechtsordnung (vgl. § 278b Abs. 2 StGB) einer vergleichbaren Strafandrohung.

 

Hingewiesen wird auf die österreichische Rechtsprechung, wonach insbesondere der OGH ebenfalls davon ausgeht, dass es sich bei der PKK um eine Terrororganisation handelt (OGH 19.11.1996, 14O244/96(14Os142/96) und führt darüber hinaus aus, dass es sich bei der Tätigkeit innerhalb der PKK grundsätzlich um keine politisch strafbare Handlung im Sinne des § 14 Abs. 1 ARHG handelt (OGH 2.12.1998, 14Os/98 (14Os162/98). Auch sei auf das Urteil des OGH vom 18.10.1994, 11Os 112, 114/94-14 hingewiesen, wo dieser feststellte, dass es sich bei der PKK (und deren Teilorganisationen - im zitierten Erkenntnis wurde namentlich der Obmann eines in Österreich ansässigen PKK-nahen bzw. der PKK als Teilorganisation zugehörigen Vereins verurteilt-) um eine kriminelle Organisation im Sinne des § 278a StGB handelt (Strafdrohung 6 Monate - 5 Jahre).

 

Seitens des erkennenden Gerichts besteht im Lichte der oa. Ausführungen kein Anlass zur Annahme, die nach dem türkischen Recht pönalisierte Mitgliedschaft bzw. Unterstützung krimineller Organisationen, namentlich der PKK stelle eine nicht gerechtfertigte Verfolgung der bP im iSe "persecution" dar.

 

Zur Frage der Verhältnismäßigkeit der Strafdrohung (vgl. englischsprachige Arbeitsübersetzung des türk. StGB:

http://www.legislationline.org/documents/action/ popup/id/6872/preview) wird im Rahmen eines Vergleichs mit der ho.

Rechtslage (exemplarisch: § 278a StGB "Kriminelle Vereinigung":

Freiheitsstrafe von 6 Monaten - 5 Jahren; § 278b StGB "Terroristische Vereinigung": Freiheitsstrafe von 1 - 10 Jahren; 278c "Terroristische Straftat": Überschreitung der Strafdrohung der Höchststrafe für das Grunddelikt um die Hälfte, max. zeitlich begrenzte Haftstrafe 20 Jahre) in einer Zusammenschau mit dem rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des türkischen Staates, sowie eines besonderen generalpräventiven Bedürfnisses im Hinblick auf das Bestreben, Straftaten mit terroristischen Hintergrund zu verhindern, davon ausgegangen, dass die seitens des türkischen Staates festgesetzten Strafdrohungen nicht unverhältnismäßig sind.

 

1.5. Vor diesem Hintergrund war daher die Beschwerde gegen Spruchteil I des angefochtenen Bescheides mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Asylbegehren des BF gemäß § 3 Abs. 3 Z. 2 iVm § 6 Abs. 1 Z. 2 und Abs. 2 AsylG abzuweisen war.

 

2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen,

 

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

 

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

Laut § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht.

 

§ 8 Abs. 3a AsylG 2005 sieht dazu ergänzend vor: "Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 leg. cit. vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist."

 

2.2. Aus den oben getroffenen Erwägungen war der festgestellte Sachverhalt folgerichtig auch unter die Kriterien des Art. 17 Abs. 1 lit c. und Abs. 2 der Statusrichtlinie bzw. des Art. 1 Abschnitt F lit. c der GFK und damit unter die Bestimmungen der §§ 8 Abs. 3a und 9 Abs. 2 AsylG zu subsumieren.

 

Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).

 

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; 13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164; 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr ("real risk") - die bloße Möglichkeit genügt nicht - damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137).

 

Der EGMR geht weiter allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische oder sonstige unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann diesbezüglich die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 ["St. Kitts-Fall"], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).

 

Gemäß der Judikatur des EGMR muss der Antragsteller die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 7.7.1987, Nr. 12877/87 - Kalema gg. Frankreich, DR 53, S. 254, 264). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus (vgl. EKMR, Entsch. Vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: X u. Y gg. Vereinigtes Königreich), wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, S. 280, 289). So führt der EGMR in stRsp aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller "Beweise" zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt so weit als möglich Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht ( z. B. EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005).

 

2.3. Festzustellen war, dass die Erkrankungen des BF grundsätzlich in der Türkei behandelbar sind, wie sie auch schon früher behandelt wurden. Er verfügt in der Türkei auch über ausreichende Existenzmöglichkeiten.

 

Den länderkundlichen Informationen, die oben in den Feststellungen dem gg. Verfahren zugrunde gelegt wurden, ließ sich zwar der allgemeine Hinweis auf eine "Schwächung der (rechtlichen) Schutzmaßnahmen gegen Missbrauch in der Haft nach der Verhängung des Ausnahmezustands nach dem Putschversuch" sowie ein gestiegenes Risiko dafür entnehmen, dass es in Polizeigewahrsam oder in der Haft zur Misshandlung von Häftlingen kommt.

 

Es lagen aber keine stichhaltigen Anhaltspunkte dafür vor, dass es in der Türkei im Rahmen der Verbüßung der restlichen Haftzeit durch den BF - welche laut dem vorgelegten Urteil abzüglich der früheren Untersuchungshaft ca. 2 Jahre ohne wohl auch noch zum Zug kommende Nachsichten beträgt - mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu Misshandlungen gerade seiner Person kommen würde.

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat jüngst in seiner Entscheidung Varga and Others v. Hungary vom 10.03.2015 in Fortsetzung seiner bisherigen Judikatur (vgl. Rz 69 ff) dargelegt, dass Haftbedingungen im Strafvollzug dann relevant für eine Beurteilung als unmenschlich bzw. erniedrigend iSd Art. 3 EMRK sein können, wenn diese jenseits der mit einer Inhaftierung gewöhnlich einhergehenden persönlichen Einschränkungen und Belastungen für Betroffene gelegen sind. Nationalstaaten seien demgegenüber verpflichtet Anhaltbedingungen für Häftlinge zu gewährleisten, die diese nicht über die erwähnten in Kauf zu nehmenden Härten der Haft hinaus beschweren. Bei der Beurteilung einer solchen Situation ist jeweils auf den kumulativen Effekt der konkreten Haftbedingungen ebenso wie auf die für den Einfall spezifischen Umstände und die Dauer der Anhaltung Bedacht zu nehmen. Im Besonderen kann auch ein extremer Platzmangel in Gefängnissen von maßgeblicher Bedeutung für die Beurteilung der Frage sein, inwieweit im konkreten Fall schon die Anhaltung in Haft per se eine Rechtsverletzung iSd Art. 3 EMRK darstellt.

 

Dass systematisch inadäquaten Haftbedingungen vorlägen, welche die Behandlung eines jeden türkischen Gefangenen oder auch jeden wegen Straftaten gegen die verfassungsmäßige Ordnung und ihr Funktionieren (Art. 309 - 315 tStGB) Inhaftierten Art. 3 EMRK-widrig erscheinen ließe, war nicht anzunehmen. Seine persönlichen gesundheitlichen Beschwerden führte der BF zuletzt auf eine Misshandlung im Jahr 1994 zurück. Dass er während seiner Anhaltung in der Untersuchungshaft zwischen 2008 und 2011 gesundheitliche Schwierigkeiten bzw. Probleme mit der medizinischen Versorgung in der Haft gehabt hätte, brachte er nicht vor. Gerade hinsichtlich des Gefängnisses in Istanbul wurde auch vom UN-Sonderberichterstatter im Bericht von 2016 festgehalten, dass die Haftbedingungen generell befriedigend wären. Darüber hinaus wurden Maßnahmen gegen die Überbelegung der Gefängnisse eingeleitet (vorzeitige Entlassungen, Ausbau). Auch wenn die Haftbedingungen in der Türkei nicht als mit europäischen Standards vergleichbar angesehen werden, so war dennoch nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle der Rückkehr alleine wegen der Haftbedingungen einer maßgeblichen Gefährdung ausgesetzt wäre.

 

2.4. Es konnte daher auch nicht festgestellt werden, dass die Abschiebung des BF in die Türkei wegen der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK bzw. der für ihn als Zivilperson bestehenden ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts unzulässig wäre.

 

Der weitere Aufenthalt des BF im Bundesgebiet ist damit auch nicht nach § 46a Abs. 1 Z. 2 FPG geduldet.

 

2.5. Vor diesem Hintergrund war daher auch die Beschwerde gegen Spruchteil II des angefochtenen Bescheides mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Begehren des BF hinsichtlich der Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 Z. 1 AsylG abzuweisen war.

 

3.1. Gemäß § 8 Abs. 3a AsylG idF BGBl. I Nr. 84/2017 ist die Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG vorliegt, mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK etc. bedeuten würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 idgF war eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn u.a. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorlag.

 

Im gegenständlichen Fall hatte das Bundesverwaltungsgericht aufgrund der Übergangsbestimmungen des § 75 Abs. 19 und 20 AsylG zu entscheiden, ob die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig oder ob das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt zurückzuverweisen ist.

 

Der § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

 

"Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

 

3.2. Der gegenständliche Antrag des BF auf Gewährung von internationalem Schutz wurde von der belangten Behörde gemäß §§ 3 und 8 AsylG abgewiesen, die dagegen vom BF erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom heutige Tag als unbegründet abgewiesen. Bis dahin stützte sich der Aufenthalt des BF im Bundesgebiet alleine auf die Bestimmungen des AsylG für die Dauer seines Verfahrens. Darüber hinaus kommt dem BF aktuell kein auf andere Bundesgesetze gestütztes Aufenthaltsrecht zu.

 

3.3. Es war darüber hinaus zu prüfen, ob eine aufenthaltsbeendende Maßnahme einen zulässigen Eingriff in das Recht des BF auf Achtung des Privat- und Familienlebens in Österreich darstellt (Art. 8 Abs. 1 und 2 EMRK).

 

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechtes nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Das Recht auf Achtung des Familienlebens iSd Art 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (EGMR Kroon, VfGH 28.06.2003, G 78/00).

 

Der Begriff des Familienlebens ist jedoch nicht nur auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein; maßgebend ist beispielsweise das Zusammenleben eines Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (EGMR Marckx, EGMR 23.04.1997, X ua).

 

Nach der Rechtssprechung des EGMR (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (zB. eine Ausweisungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u. a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).

 

3.4. Der BF hält sich seit seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet im Mai 2012 faktisch im Bundesgebiet auf. Er ist alleinstehend und verfügt über keine familiären bzw. verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte hierorts. Im Übrigen verkehrt er in sozialer Hinsicht vorwiegend in einem kurdisch-alevitischen Verein.

 

Er bezieht Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und war - abgesehen von einer eintägigen gemeinnützigen Arbeit - bisher nicht legal erwerbstätig. Er besuchte einen Sprachkurs und verfügt neben grundsätzlichen Kenntnissen der deutschen Sprache über gewöhnliche soziale Kontakte.

 

Anderweitige maßgebliche Integrationsaspekte sind im Verfahren bisher nicht hervorgekommen.

 

Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme stellt somit vor dem Hintergrund der Aufenthaltsdauer des BF in Österreich lediglich einen Eingriff in das Recht des BF auf ein Privatleben in Österreich dar.

 

3.5. Einer Abwägung der öffentlichen Interessen gegenüber den Interessen eines Fremden an einem Verbleib in Österreich in dem Sinne, ob dieser Eingriff iSd Art 8 Abs 2 EMRK notwendig und verhältnismäßig ist, ist vorauszuschicken, dass die Ausweisung jedenfalls der innerstaatlichen Rechtslage nach einen gesetzlich zulässigen Eingriff darstellt.

 

Art 8 Abs 2 EMRK lautet:

 

"Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist."

 

Nach dem Urteil des EGMR im Fall Moustaquim ist eine Maßnahme dann in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, wenn sie einem dringenden sozialen Bedürfnis entspricht und zum verfolgten legitimen Ziel verhältnismäßig ist. Das bedeutet, dass die Interessen des Staates, insbesondere unter Berücksichtung der Souveränität hinsichtlich der Einwanderungs- und Niederlassungspolitik, gegen jene des Berufungswerbers abzuwägen sind.

 

Der EGMR geht davon aus, dass die Konvention kein Recht auf Aufenthalt in einem bestimmten Staat garantiert. Der EGMR erkennt in stRsp weiters, dass die Konventionsstaaten nach völkerrechtlichen Bestimmungen berechtigt sind, Einreise, Ausweisung und Aufenthalt von Fremden ihrer Kontrolle zu unterwerfen, soweit ihre vertraglichen Verpflichtungen dem nicht entgegenstehen (vgl. uva. zB. Urteil Vilvarajah/GB, A/215 § 102 = NL 92/1/07 und NL 92/1/27f.).

 

Hinsichtlich der Abwägung der öffentlichen Interessen mit jenen des Berufungswerbers ist der Verfassungsgerichtshof der Auffassung, dass Asylwerber und sonstige Fremde nicht schlechthin gleichzusetzen sind. Asylwerber hätten idR ohne Geltendmachung von Asylgründen keine rechtliche Möglichkeit, legal nach Österreich einzureisen. Soweit die Einreise nicht ohnehin unter Umgehung der Grenzkontrolle oder mit einem Touristenvisum stattgefunden hat, ist Asylwerbern der Aufenthalt bloß erlaubt, weil sie einen Asylantrag gestellt und Asylgründe geltend gemacht haben. Sie dürfen zwar bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung weder zurückgewiesen, zurückgeschoben noch abgeschoben werden, ein über diesen faktischen Abschiebeschutz hinausgehendes Aufenthaltsrecht erlangen Asylwerber jedoch lediglich bei Zulassung ihres Asylverfahrens sowie bis zum rechtskräftigen Abschluss oder bis zur Einstellung des Verfahrens. Der Gesetzgeber beabsichtigt durch die zwingend vorgesehene Ausweisung von Asylwerbern eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung im Inland von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragstellung im Inland aufhalten durften, zu verhindern. Es kann dem Gesetzgeber nicht entgegen getreten werden, wenn er auf Grund dieser Besonderheit Asylwerber und andere Fremde unterschiedlich behandelt (VfGH 17. 3. 2005, G 78/04 ua).

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat fallbezogen unterschiedliche Kriterien (vgl. dazu insbesondere VfGH B 328/07) herausgearbeitet, die bei einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:

 

Er hat etwa die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.1.2006, Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Appl. 50.435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.9.2004, Fall Ghiban, Appl. 11.103/03, NVwZ 2005, 1046), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.5.1985, Fall Abdulaziz ua., Appl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567;

20.6.2002, Fall Al-Nashif, Appl. 50.963/99, ÖJZ 2003, 344;

22.4.1997, Fall X, Y und Z, Appl. 21.830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 2.8.2001, Fall Boultif, Appl. 54.273/00), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 4.10.2001, Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 9.10.2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.6.2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 5.7.2005, 2004/21/0124;

11.10.2005, 2002/21/0124), die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Fall Mitchell, Appl. 40.447/98; 11.4.2006, Fall Useinov, Appl. 61.292/00) für maßgeblich erachtet.

 

Auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren - was bei einem bloß vorläufigen Aufenthaltsrecht während des Asylverfahrens jedenfalls als gegeben angenommen werden kann -, ist bei der Abwägung in Betracht zu ziehen (EGMR 24.11.1998, Fall Mitchell, Appl. 40.447/98; 5.9.2000, Fall Solomon, Appl. 44.328/98; 31.1.2006, Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Appl. 50.435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562). Der Asylwerber kann während seines Asylverfahrens nicht darauf vertrauen, dass ein in dieser Zeit entstehendes Privat- bzw. Familienleben auch nach der Erledigung seines Asylantrages fortgesetzt werden kann. Die Rechte aus der GFK dürfen nicht dazu dienen, die Einwanderungsregeln zu umgehen (ÖJZ 2007/74, Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 EMRK, S 857 mwN).

 

Das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration ist weiter dann gemindert, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf einen unberechtigten Asylantrag zurückzuführen ist (VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479 mwN). Beruht der bisherige Aufenthalt auf rechtsmissbräuchlichem Verhalten (insbesondere bei Vortäuschung eines Asylgrundes [vgl VwGH 2.10.1996, 95/21/0169]), relativiert dies die ableitbaren Interessen des Asylwerbers wesentlich [vgl. die Erkenntnisse vom 28. Juni 2007, Zl. 2006/21/0114, und vom 30. August 2007, Zl. 2006/21/0246] (VwGH 20.12.2007, 2006/21/0168).

 

Bei der Abwägung der Interessen ist auch zu berücksichtigen, dass es dem Beschwerdeführer bei der asylrechtlichen Ausweisung nicht verwehrt ist, bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen des FPG bzw. NAG wieder in das Bundesgebiet zurückzukehren (vgl. ÖJZ 2007/74, Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 EMRK, S 861, mwN). Es wird dadurch nur jener Zustand hergestellt, der bestünde, wenn er sich rechtmäßig (hinsichtlich der Zuwanderung) verhalten hätte und wird dadurch lediglich anderen Fremden gleichgestellt, welche ebenfalls gemäß dem Grundsatz der Auslandsantragsstellung ihren Antrag gem. FPG bzw. NAG vom Ausland aus stellen müssen und die Entscheidung der zuständigen österreichischen Behörde dort abzuwarten haben.

 

Die Schaffung eines Ordnungssystems, mit dem die Einreise und der Aufenthalt von Fremden geregelt werden, ist auch im Lichte der Entwicklungen auf europäischer Ebene notwendig. Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs 2 EMRK) daher ein hoher Stellenwert zu (VfGH 29.9.2007, B 328/07, VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251 uva.). Die öffentliche Ordnung, hier va. das Interesse an einer geordneten Zuwanderung, erfordert es daher, dass Fremde, die nach Österreich einwandern wollen, die dabei zu beachtenden Vorschriften einhalten. Die öffentliche Ordnung wird z.B. schwerwiegend beeinträchtigt, wenn einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, sich unerlaubt nach Österreich begeben, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Die Ausweisung kann in solchen Fällen trotz eines vielleicht damit verbundenen Eingriffs in das Privatleben und Familienleben erforderlich sein, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte (VwGH 21.2.1996, 95/21/1256). Dies insbesondere auch deshalb, weil als allgemein anerkannter Rechtsgrundsatz gilt, dass aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen. (VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007). Der VwGH hat weiters festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190).

 

Die geordnete Zuwanderung von Fremden ist auch für das wirtschaftliche Wohl des Landes von besonderer Bedeutung, da diese sowohl für den sensiblen Arbeitsmarkt als auch für das Sozialsystem gravierende Auswirkung hat. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass insbesondere nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältige Fremde, welche daher auch über keine arbeitsrechtliche Berechtigung verfügen, idR die reale Gefahr besteht, dass sie zur Finanzierung ihres Lebensunterhaltes auf den inoffiziellen Arbeitsmarkt drängen, was wiederum erhebliche Auswirkungen auf den offiziellen Arbeitsmarkt, das Sozialsystem und damit auf das wirtschaftliche Wohl des Landes hat (vgl. ÖJZ 2007/74, Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 EMRK, S 857 mwN).

 

3.6. Im Rahmen einer solchen Abwägung war im gegenständlichen Fall festzuhalten:

 

Der BF reiste im Mai 2012 rechtswidrig in das Bundesgebiet ein und stellte in der Folge einen Antrag auf internationalen Schutz, er ist seither - mit einer kurzen Unterbrechung durch die Weiterreise nach Schweden um dort einen Asylantrag zu stellen und die Rückkehr im Februar 2013 - als Asylwerber in Österreich aufhältig. Das Gewicht dieses sohin knapp sechsjährigen faktischen Aufenthalts des BF in Österreich war jedoch dadurch abgeschwächt, dass der BF seinen Aufenthalt durch einen unberechtigten Antrag auf internationalen Schutz zu legalisieren versuchte, er konnte alleine durch die Stellung seines Antrags jedoch nicht begründeter Weise von der zukünftigen dauerhaften Legalisierung seines Aufenthalts ausgehen.

 

Der BF hat hierorts keine Anknüpfungspunkte in Form einer dauerhaften legalen Erwerbstätigkeit oder anderweitiger maßgeblicher wirtschaftlicher Interessen, er verfügt nur über gewöhnliche soziale Kontakte und relativ geringe Deutschkenntnisse.

 

Der BF verbrachte den weitaus überwiegenden Teil seines Lebens im Herkunftsstaat, wurde dort sozialisiert und spricht die Mehrheitssprache seiner Herkunftsregion auf muttersprachlichem Niveau. Ebenso war festzustellen, dass er dort über Bezugspersonen in Form seiner Angehörigen verfügt. Es deutete daher nichts darauf hin, dass es dem BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren.

 

Dieser Rechtsposition des BF im Hinblick auf einen weiteren Verbleib in Österreich stehen die öffentlichen Interessen des Schutzes der öffentlichen Ordnung, insbesondere in Form der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen, sowie des wirtschaftlichen Wohles des Landes gegenüber.

 

Im Rahmen einer Abwägung aller dargelegten Aspekte iSd Art 8 Abs 2 EMRK verkennt das BVwG zwar nicht die doch schon erhebliche Dauer des faktischen Aufenthalts des BF im Bundesgebiet, gelangte jedoch im Hinblick auf die sonstigen relevanten Aspekte des Privatlebens des BF zum Ergebnis, dass die dargestellten individuellen Interessen des BF iSd Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht so ausgeprägt sind, dass sie insbesondere das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung nach Abschluss des gg. Verfahrens, der Einhaltung der österreichischen aufenthalts- und fremdenrechtlichen Bestimmungen sowie des Schutzes der öffentlichen Ordnung und Sicherheit überwiegen.

 

3.7. Da sohin im vorliegenden Fall bei Berücksichtigung aller bekannten Tatsachen keine Umstände hervorgekommen sind, die eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig erscheinen lassen, war in Entsprechung des § 75 Abs. 19 und 20 AsylG idgF das Verfahren hinsichtlich Spruchpunkt III zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das BFA zurückzuverweisen.

 

4. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

 

Zu B)

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist im gg. Fall gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiter ist die vorliegende

 

Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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