BVwG W211 1425426-1

BVwGW211 1425426-111.4.2016

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2016:W211.1425426.1.00

 

Spruch:

W211 1425426-1/28E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a SIMMA über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, StA. Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG

der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die beschwerdeführende Partei, eine weibliche Staatsangehörige Nigerias, stellte am 29.02.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. In ihrer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 01.03.2012 gab die beschwerdeführende Partei soweit wesentlich an, Nigeria wegen der Boko Haram verlassen zu haben.

3. Die beschwerdeführende Partei wurde am 05.03.2012 und am 08.03.2012 einvernommen.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der beschwerdeführenden Partei bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.), und die beschwerdeführende Partei gemäß § 10 Abs. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

6. Gegen diesen Bescheid wurde rechtzeitig Beschwerde eingebracht.

7. Mit Schreiben vom 03.07.2015 wurden die beschwerdeführende Partei und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu einer mündlichen Verhandlung vor dem nunmehr zuständigen Bundesverwaltungsgericht am 12.08.2015 unter gleichzeitiger Übermittlung aktueller Länderberichte zu Nigeria geladen.

8. Mit Nachricht vom 07.08.2015 informierte der gewillkürte Vertreter das Bundesverwaltungsgericht, dass diesem im Zuge der Konferenzen starke Hinweise darauf aufgefallen seien, dass es sich bei der beschwerdeführenden Partei um ein Opfer von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung handeln würde. Er würde für eine Abklärung um die Verlegung der Verhandlung ersuchen.

Die Verhandlung wurde daraufhin mit Schreiben vom 10.08.2015 auf den 09.10.2015 verlegt.

9. Mit Schriftsatz vom 30.09.2015 gab die Caritas ihre Vertretung der beschwerdeführenden Partei bekannt.

10. Am 09.10.2015 fand eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, in der das Protokoll aus der 1. Zeugenvernehmung bei der Polizei vom 08.10.2015 vorgelegt wurde.

11. Am 30.10.2015, 13.11.2015, 21.12.2015 und 20.01.2016 legte die Vertretung der beschwerdeführenden Partei Integrationsunterlagen, schriftliche Stellungnahmen und das Protokoll der 2. Einvernahme bei der Polizei am 15.10.2015 vor.

12. Mit Email vom 31.03.2016 übermittelte das Bundeskriminalamt den Abschlussbericht an die Staatsanwaltschaft vom 15.02.2016.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Aufgrund des Antrags auf internationalen Schutz vom 29.02.2012, der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesasylamtes XXXX, der weiteren Stellungnahmen, der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt, der Einsichtnahmen in das zentrale Melderegister, in das Grundversorgungs-Informationssystem und in das Strafregister und auf Basis der mündlichen Verhandlung vom 09.10.2015 werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Die beschwerdeführende Partei stammt aus XXXX, wo noch ihre Mutter, drei Brüder und eine Schwester leben. Zwei Geschwister leben in Lagos und eine Schwester in Delta State.

1.2. Nach dem Tod des Vaters übersiedelte die Familie in XXXX. An ihrer neuen Adresse lernte die beschwerdeführende Partei ein Mädchen kennen, das ihr erzählte, sie kenne eine Frau, die Mädchen nach Europa bringen würde. Nach einem Telefonat mit jener Frau reiste die beschwerdeführende Partei nach Lagos, um sie kennen zu lernen. Jene Frau - "Mummy" - erzählte ihr, dass sie in Europa einen Job als Rezeptionistin, als Putzfrau oder in einer Bar bekommen und 3.000 bis 4.000 Euro verdienen könnte. Geld für die Ausreise würde die beschwerdeführende Partei nicht brauchen, das werde ihr vorgestreckt werden. Wenn sie in Europa wäre, könnte sie es zurückzahlen, nämlich 65.000 €. Die beschwerdeführende Partei besprach diese Informationen mit ihrer Mutter, als sie zurück in XXXX war. Ihre Mutter war zuerst dagegen, wurde aber durch die beschwerdeführende Partei überzeugt. "Mummy" besuchte daraufhin die Familie in XXXX und überzeugte die Mutter der beschwerdeführenden Partei. Ein bis zwei Wochen später reiste die beschwerdeführende Partei erneut nach Lagos, wo ein Reisepass für sie beantragt wurde, wobei sie zwischenzeitlich immer wieder nach XXXX zurückkehrte. Vor der Ausreise wurde noch ein Juju-Ritual vorgenommen, bei dem der beschwerdeführenden Partei gesagt wurde, dass sie in Europa tun solle, was man von ihr verlange, sonst würden sie und ihre Familie erkranken.

Auf der Reise wurde die beschwerdeführende Partei von jener Frau begleitet, die sie auch zur Visaantragstellung begleitet hatte. In Frankfurt wurde die beschwerdeführende Partei von einem Nigerianer "O." in Empfang genommen, dem von ihrer Begleiterin der Reisepass übergeben wurde und der sie zuerst nach XXXX und dann weiter nach XXXX brachte. Nach ihrer Verlegung in eine Unterkunft nahm die beschwerdeführende Partei Kontakt mit "Mummy" in Lagos auf und fragte sie, wie sie nun an eine Arbeit kommen solle. "Mummy" meinte, sie solle nicht naiv sein und sich an anderen Mädchen orientieren. In XXXX lernte die beschwerdeführende Partei eine Nigerianerin kennen, die ihr sagte, sie sei von "Mummy" offenbar belogen worden, sie könne in Österreich mit ihrem Status nur als Prostituierte arbeiten. Beim nächsten Telefonat mit "Mummy" bestätigte diese die Information und erinnerte an die Schuld von 65.000 €. Die beschwerdeführende Partei nahm daraufhin Kontakt mit einem Bordell auf und arbeitete von da an als Prostituierte in verschiedenen Klubs. Nach vorheriger Kontaktaufnahme durch "Mummy" begann die beschwerdeführende Partei Ende Juli 2012 Geld an ihr unbekannte Nigerianer zu übergeben, die von "Mummy" geschickt wurden. Zwischen Juli 2012 und August 2014 übergab die beschwerdeführende Partei insgesamt 40.000 €. Eines Tages wollte sie auch ihrer Mutter in XXXX etwas Geld übergeben, wurde aber von "Mummy" darauf hingewiesen, dass sie zuerst die versprochenen 65.000 € abbezahlen müsse. Der beschwerdeführenden Partei wurde daraufhin klar, dass sie nur ausgenutzt wurde, verließ ihre letzte Arbeitsstätte in XXXX, wechselte ihre Telefonnummer und ging nach XXXX. Mit "Mummy" hatte sie seither keinen Kontakt mehr.

Nach einem Beratungsgespräch bei LEFÖ wurde sie darauf aufmerksam gemacht, dass die beschwerdeführende Partei ihrer Familie auch zu deren eigenen Schutz die Wahrheit sagen müsste. Nachdem sie dies getan hatte, teilte ihr ihre Mutter mit, dass bereits im Frühling 2015 Männer im Auftrag der "Mummy" bei ihr gewesen und nach der beschwerdeführenden Partei gesucht hatten. Ihre Mutter war aufgrund des Besuchs verängstigt gewesen und hatte in XXXX die Wohnung gewechselt.

Im Abschlussbericht des Bundeskriminalamtes vom 15.02.2016 an die Staatsanwaltschaft XXXX wurde ausgeführt, dass die beschwerdeführende Partei bei einer Durchsicht von Lichtbildern jene Frau identifizierte, die mit ihr in Lagos die Visaantragstellung vorgenommen und mit ihr nach Frankfurt geflogen war. Eine Lichtbildvorlage betreffend die Geldübergaben in Österreich verlief erfolglos; die entsprechenden Erhebungen sind jedoch noch nicht abgeschlossen. Seitens des Bundeskriminalamtes wird die beschwerdeführende Partei als Opfer des Menschenhandels eingestuft. Seitens des Bundeskriminalamtes findet eine enge Kooperation mit NAPTIP in Nigeria statt; von dieser Dienstelle wird in Nigeria in Zusammenarbeit Erhebungen vor Ort zur Bekämpfung und Aushebung der Organisation durchgeführt. Da nach wie vor eine Gefährdungslage der beschwerdeführenden Partei in Österreich und ihrer Familie in XXXX bestehe, werde dahingehend Kontakt aufgenommen.

Die beschwerdeführende Partei ist strafrechtlich unbescholten.

1.3. Festgestellt wird, dass der beschwerdeführenden Partei in Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an ihre Zugehörigkeit zur bestimmten sozialen Gruppe der "Opfer von systematisch organisiertem Menschenhandel" anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität droht.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative liegt nicht vor.

1.4. Nigeria ist eine der Drehscheiben des internationalen Frauen- und Menschenhandels: So wurden beispielsweise im Rahmen eines Screenings von über 160 Asylverfahren nigerianischer Antragstellerinnen aus den Jahren 2009 und 2010 festgestellt, dass in nahezu einem Drittel der Fälle Indikatoren für Menschenhandel in den Verfahrensakten dokumentiert waren (Krohn, Opfer von Menschenhandel im Asylverfahren, in: IOM/UNHCR/BAMF: Identifizierung und Schutz von Opfern des Menschenhandels im Asylsystem, Nürnberg 2012). In den Statistiken des deutschen Bundeskriminalamtes erscheint Nigeria als besonders relevantes Herkunftsland von Opfern von Menschenhandel aus Staaten außerhalb Europas, mit weitverzweigten und grenzüberschreitend agierenden Menschenhandelsstrukturen (BKA, Bundeslagebild Menschenhandel 2012, S. 8; zitiert nach Janetzek, Lindner, Opfer von Menschenhandel im Asylverfahren - Teil I, Asylmagazin 4/2014, S. 105-113). Mädchen und Frauen - insbesondere von XXXX, aus Edo State und Delta State - werden zur Prostitution gezwungen. Zielländer sind europäische Länder, aber auch Nordafrika, der Mittlere Osten und Zentralasien. Nigerianische Menschenhändler verwenden auch kultische Handlungen, um die Frauen zur Prostitution zu zwingen. Die nigerianische Regierung macht Fortschritte im Kampf gegen den Menschenhandel, wenn auch nur bescheidene. Es gab Fälle, wo Personen zunächst wegen Prostitution belangt wurden, ehe klar wurde, dass sie als Opfer von Menschenhandel besonderen Schutz benötigen. Es gibt verschiedene Zentren, die Umschulungen, medizinische Versorgung und ähnliches für Opfer von Menschenhandel bieten, diese bieten allerdings nur 293 Personen Schutz und das auch nur für sechs Wochen. (Quelle: US Department of State; Trafficking in Persons Report 2014) - siehe dazu auch BVwG, 18.05.2015, I403 2107012.

Nach EASO, Country of Origin Information Report, Nigeria: Sex trafficking of women, Oktober 2015, hat die Organisation NAPTIP zum Ziel, Opfer von Menschenhandel zu identifizieren, entgegen zu nehmen, unterzubringen, zu beraten und auszubilden, Familien zu suchen, zu integrieren und zu unterstützen. NAPTIP führt neun Zentren für Opfer von Menschenhandel mit einer Kapazität für 313 Opfer. Die Herausforderung für die Organisation ist unzureichende finanzielle Ausstattung. 2014 erhielt die Organisation ca. 13 Mio. USD an Förderung, wovon ca. 20%, also 528.000 USD, für Unterstützung und Opferschutz aufgewendet worden sind. Weitere 27.300 USD wurden von Regionalregierungen zur Verfügung gestellt. Die Arbeit von NAPTIP wurde wegen Korruptionsvorwürfen und Umgang mit Förderungen kritisiert. Der tatsächliche Grad der Korruption in der Organisation und die Effizienz beim Opferschutz sind schwierig abzuschätzen (Seite 40). Zum Thema Sicherheit für Rückkehrende führt der Bericht weiter aus, dass die Informationen dazu unterschiedlich und nicht immer klar sind. Nach Mitarbeiter_innen von NAPTIP selbst wird betreffend Frauen, die keine Anzeigen gegen ihre Händler erstatten, von keinem Risiko ausgegangen. Nach ihrer Meinung sind Frauen, die ihren Händlern entflohen sind und diese der Polizei melden, eher einem Risiko ausgesetzt, als solche, die von der Polizei in Europa entdeckt und abgeschoben werden (Seiten 45f). Schwierigkeiten für rückkehrende Opfer beim Erlangen von Schutz durch staatliche Behörden werden in mehreren Studien angeführt. In der 2013 Chertie et al. Studie wurde auf Fälle von Ignoranz bis zur aktiven Kollaboration der Behörden mit den Händlern verwiesen (Seite 46). Zur Frage einer Relokation in Nigeria führt der Bericht aus, dass die Chertie et al. - Studie angegeben habe, dass eine interne Relokation eine Alternative darstellen könne, zB wenn Familienangehörige in Nigeria bereits bedroht worden und gewarnt worden seien, das Trafficking Opfer käme als nächstes dran. Eine solche Relokation sei jedoch auch problematisch und verstärke die Verletzlichkeit der Opfer, insbesondere dann, wenn sie jung und ohne Ausbildung sind, ohne Arbeitserfahrung und einer anderen Religion und Ethnie angehören würden, als Personen in der neuen Umgebung. Wörtlich wurde dort ausgeführt, dass "Stammes- und religiöse Differenzen im Land, die Konzentration von Dienstleistungen üblicherweise dort, wo Opfer von Menschenhandel ursprünglich herstammen und das Stigma des Menschenhandels eine erfolgreiche Integration ausschließen können, insbesondere für jemanden mit einem hohen Bedürfnis nach Unterstützung" (Seite 47).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbestritten gebliebenen Akteninhalt der vorgelegten Akten des Bundesasylamtes und des Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts. Auskünfte aus dem Strafregister, dem zentralen Melderegister und der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt.

2.2. Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit beruht auf einem Auszug aus dem Strafregister vom 08.04.2016.

2.3. Die Feststellungen zum verfahrensrelevanten Sachverhalt, wie er oben unter 1.2. dargestellt wurde, basieren auf den Angaben der beschwerdeführenden Partei im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Protokolle ihrer Zeugenvernehmungen bei der Polizei sowie dem Abschlussbericht an die Staatsanwaltschaft.

Die beschwerdeführende Partei gab bereitwillig detaillierte, lebensnahe und übereinstimmende Auskünfte zum asylrechtlich relevanten Sachverhalt und erweckte bei der erkennenden Richterin einen durchwegs glaubwürdigen Eindruck. Dieser Eindruck wird durch die Einschätzung der Polizei, und zwar der Fachabteilung des Bundeskriminalamtes für Ermittlungen, organisierte und allgemeine Kriminalität, Menschenhandel und Schlepperei, unterstützt, die nach mehreren Einvernahmen und sonstigen Ermittlungsschritten in ihrem Abschlussbericht an die Staatsanwaltschaft die Feststellung trifft, dass es sich bei der beschwerdeführenden Partei um ein Opfer des Menschenhandels handelt.

2.4. Zur Einschätzung betreffend eine innerstaatliche Fluchtalternative wird auf die rechtliche Beurteilung verwiesen.

2.5. Das Bundesverwaltungsgericht stützt seine Beurteilung der gegenständlichen Beschwerde auf aktuelle Länderinformationen, die sich einerseits auf seriöse Quellen berufen oder, nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes, solche selbst sind. Wesentlich bei der Auswahl der Berichte ist dabei die Aktualität der Information und die Qualität und Diversität der Quellen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Rechtsgrundlagen zur Zuständigkeit:

Gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 7 B-VG wird der Asylgerichtshof mit 01.01.2014 zum Verwaltungsgericht des Bundes und hat daher gemäß § 75 Abs. 19 AsylG 2005 alle mit Ablauf des 31.12.2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren, und somit auch das gegenständliche, zu Ende zu führen.

Zu A)

3.2. Rechtsgrundlagen:

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einer Fremden, die in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihr im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb ihres Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

3.2.2. Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation der Asylwerberin und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH vom 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre der Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen.

Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; vom 25.01.2003, Zl. 2001/20/0011).

Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (vgl. VwGH vom 26.02.1997, Zl. 95/01/0454; vom 09.04.1997, Zl. 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH vom 18.04.1996, Zl. 95/20/0239; vom 16.02.2000, Zl. 99/01/0097), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können jedoch im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH vom 09.09.1993, Zl. 93/01/0284; vom 15.03.2001, Zl. 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich die Asylwerberin außerhalb ihres Heimatlandes befindet.

Besteht für die Asylwerberin die Möglichkeit, in einem Gebiet ihres Heimatstaates, in dem sie keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl. VwGH vom 24.03.1999, Zl. 98/01/0352).

3.2.3. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat zurechenbar sein (vgl. VwGH vom 16.06.1994, Zl. 94/19/0183; vom 18.02.1999, Zl. 98/20/0468).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH vom 28.03.1995, Zl. 95/19/0041; VwGH vom 27.06.1995, Zl. 94/20/0836; VwGH vom 23.07.1999, Zl. 99/20/0208; VwGH vom 21.09.2000, Zl. 99/20/0373; VwGH vom 26.02.2002, Zl. 99/20/0509 mwN; VwGH vom 12.09.2002, Zl. 99/20/0505 sowie VwGH vom 17.09.2003, Zl. 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann mithin nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH vom 22.03.2003, Zl. 99/01/0256 mwN). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (vgl. VwGH vom 22.03.2000, Zl. 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH vom 22.03.2000, Zl. 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, "The Refugee in International Law² [1996] 73; weiters VwGH vom 26.02.2002, Zl. 99/20/0509 mwN sowie VwGH vom 20.09.2004, Zl. 2001/20/0430).

3.3. Anwendung der Rechtsgrundlagen auf die gegenständliche Beschwerde:

3.3.1. Nach dem unter 1.2. dargestellten Sachverhalt ist die beschwerdeführende Partei als Opfer organisierten Menschenhandels zum Zwecke sexueller Ausbeutung als ein Mitglied einer "bestimmten sozialen Gruppe" anzusehen. Solche Opfer können Flüchtlinge im Sinne von Art 1 A (2) der GFK sein, wenn sie alle dort genannten Voraussetzungen für das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft erfüllen (UNHCR Richtlinien zum Schutz von Opfern von Menschenhandel, siehe auch BVwG, 18.05.2015, I403 2107012). Mitglieder dieser Gruppe sind nach Nigeria zurückkehrende Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind und sich davon befreit haben.

3.3.2. Im Falle der beschwerdeführenden Partei besteht auch eine wohlbegründete Furcht, im Falle einer Rückkehr als Mitglied jener sozialen Gruppe aktuell Verfolgungshandlungen maßgeblicher Intensität ausgesetzt zu sein. Sie muss tatsächlich befürchten, Ziel von Vergeltungsmaßnahmen ihrer Händler in Nigeria zu werden, da sie von sich aus die Polizei in Österreich aufsuchte, dort detaillierte und brauchbare Informationen über ihr Schicksal und über die sie betreffende kriminelle Organisation abgab, eine Beteiligte auch identifizierte und damit aktive Ermittlungen der österreichischen Kriminalpolizei in Kooperation mit nigerianischen Behörden initiierte (vgl. dazu zB AsylGH, 14.05.2009, C15 263.728-0/2008). Diesbezüglich geht bereits die spezialisierte Abteilung des Bundeskriminalamts von einer Gefährdung der beschwerdeführenden Partei und ihrer Familie aus. Darüber hinaus erklären NAPTIP Mitarbeiter_innen selbst, dass Personen, die von sich aus polizeiliche Ermittlungen initiieren und unterstützen, einem Risiko, Opfer von Vergeltungsmaßnahmen zu werden, unterliegen.

3.3.3. Zu einer allfälligen Schutzfähigkeit und -willigkeit durch die nigerianischen Behörden in diesem Zusammenhang führte das BVwG bereits letztes Jahr aus:

"Bei dieser Verfolgung handelt es sich allerdings um eine von nichtstaatlichen Akteuren ausgehende, welche nur dann, wenn der nigerianische Staat die Beschwerdeführerin nicht zu schützen vermögen würde, asylrelevant ist. Die erkennende Richterin des Bundesverwaltungsgerichtes geht davon aus, dass der nigerianische Staat nicht in der Lage ist, der Beschwerdeführerin ausreichenden Schutz vor dieser durch Privatpersonen drohenden Verfolgung zu bieten.

Eine Schutzwilligkeit des nigerianischen Staates ist durchaus anzunehmen. Bereits 2003 wurden in Nigeria alle Formen des Menschenhandels verboten und die National Agency for the Prohibition of Trafficking in Persons (NAPTIP) etabliert. Es stellt sich allerdings die Frage der Schutzfähigkeit des nigerianischen Staates, die etwa durch das VG Stuttgart in seinem Urteil vom 16.05.2014 (A7 K 1405/12) mit folgenden Worten verneint worden war: "Die Maßnahmen der Regierung sind jedoch nicht weitgreifend. NAPTIP hat zwar nach eigenen Angaben zwischen 2008 und 2011 die Verurteilung von mindestens 120 Menschenhändlern erreicht. NAPTIP, aber auch der National Immigration Service und UNODC gehen von einer weitaus höheren Dunkelziffer des Menschenhandels aus. Das NAPTIP ist unterfinanziert, und die wenigen Einrichtungen für Opfer sind in einem schlechten Zustand. Es werden nur mangelhafte Maßnahmen zur Rehabilitation und keine zur Reintegration der Opfer angeboten. Rückgeführte Opfer sind gefährdet, von den Händlern und den "Madames" bedroht und unter Druck gesetzt zu werden. Sie müssen mit Diskriminierung durch die Familie und das soziale Umfeld und mit Vergeltung des Sponsors rechnen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nigeria - Update vom März 2010; Österreichisches Rotes Kreuz/ACCORD, "Nigeria - Frauen, Kinder, sexuelle Orientierung, Gesundheitsversorgung, 21.06.2011; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 28.08.2013)."

Diese Einschätzung deckt sich durchaus mit jener des US Department of State und dem Country Narrative zu Nigeria aus dem Trafficking in Persons Report 2014 (Juni 2014;

http://www.state.gov/documents/organization/210741.pdf ). Dort wird Nigeria ebenfalls als Quelle und Transitland für Menschenhandel beschrieben. Die nigerianische Regierung würde die Minimumstandards im Kampf gegen Menschenhandel nicht vollkommen einhalten; es wurde empfohlen die Finanzierung von NAPTIP zu erhöhen. Opfer von Menschenhandel würden Unterstützung in einem der 8 Schutzzentren finden, allerdings in der Regel nur für sechs Wochen. Aus Sicht der erkennenden Richterin kann, selbst für den Fall, dass die Beschwerdeführerin einen der 293 Plätze in einem NAPTIP-Zentrum erhält, nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin nach sechs Wochen keine Verfolgung mehr zu befürchten hätte.

Von einer Schutzfähigkeit des nigerianischen Staates kann daher nicht ausgegangen werden; diesbezüglich ist auch auf das Faktum zu verweisen, dass die Verschleppung zwecks Zuführung zur Prostitution in Nigeria keinesfalls als Einzelschicksal gesehen werden kann (vgl. dazu VwGH, 23.02.2011, Zl. 2011/23/0064)." (BVwG, 18.05.2015, I403 2107012)

Dieser Einschätzung schließt sich auch die im gegenständlichen Fall erkennende Richterin an, da die aktuelle Berichtslage es nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit erlaubt anzunehmen, dass bei glaubhaftem und tatsächlichem Bestehen eines Verfolgungsrisikos durch die Händler in Nigeria eine ausreichende Schutzfähigkeit durch die nigerianischen Sicherheitsbehörden und NAPTIP besteht.

3.3.4. Dennoch kann diese Beurteilung nicht eine automatische Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für alle von Menschenhandel betroffenen nigerianischen Frauen bedeuten: wie die oben zitierte Entscheidung zu I403 2107012 bereits ausführte,

"hat der EGMR in der Vergangenheit Beschwerden zurückgewiesen, mit denen nigerianische Frauen gegen eine Rückkehrentscheidung nach Nigeria vorgehen wollten, indem sie auf die Gefahr einer Zwangsprostitution in Nigeria verwiesen (vgl. EGMR, V.F vs. France, 7196/10; 29.11.2011 oder auch EGMR, Idemugia v. France, 27.03.2012). Der EGMR erkannte gewisse Fortschritte in der Bekämpfung des Menschenhandels durch die nigerianischen Behörden an und ging vor allem von einer innerstaatlichen Fluchtalternative aus."

Eine inländische Fluchtalternative ist jedoch nach innerstaatlicher höchstgerichtlicher Judikatur nur dann gegeben, wenn sie von der Asylwerberin in zumutbarer Weise in Anspruch genommen werden kann (siehe VwGH, 16.12.2010, 2007/20/0913; 17.03.2009, 2007/19/0459, 09.10.2006, 2006/19/0297 und andere). Die entsprechenden Länderinformationen unter oben 1.4. schließen eine interne Fluchtalternative nicht aus, betonen aber die Probleme bei der Wiederansiedelung in anderen Gegenden als der Herkunftsgegend, das soziale Stigma, das Opfern von Menschenhandel anhaftet und die Konzentration von unterstützender Infrastruktur eigentlich in Gegenden im Land, aus denen Opfer von Menschenhandel üblicherweise herkommen, damit auch rund um XXXX. Darüber hinaus muss anerkannt werden, dass das Bundeskriminalamt die Einschätzung formulierte, dass Familienangehörige der beschwerdeführenden Partei in Nigeria in Gefahr durch Vergeltungsakte der Händler der beschwerdeführenden Partei sind. Diese Einschätzung wirkt sich auf die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme von familiärer Unterstützung bei einer allfälligen Wiederansiedelung bzw. bei einer Relokation aus, da Familienmitglieder dadurch besonders in Gefahr gebracht werden können. Und in Hinblick auf die ebenfalls in den Länderinformationen angesprochenen Probleme einer Verbindung (von Teilen) der nigerianischen Sicherheitsbehörden mit den im Menschenhandel tätigen kriminellen Organisationen erscheint eine Relokation in andere Landesteile darüber hinaus praktisch schwierig und nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit eine sichere Alternative (siehe dazu zB auch AsylGH, 14.05.2009, C15 263.728-0/2008). Von einer entsprechend zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative wird daher gegenständlich nicht ausgegangen.

3.3.5. Asylausschlussgründe liegen bei der beschwerdeführenden Partei zum Entscheidungszeitpunkt nicht vor.

3.3.6. Aus diesen Gründen ist festzustellen, dass der beschwerdeführenden Partei im Herkunftsstaat Nigeria Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

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