BVwG W174 1436214-1

BVwGW174 1436214-121.1.2016

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2016:W174.1436214.1.00

 

Spruch:

W174 1436214-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Viktoria MUGLI-MASCHEK über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, afghanischer Staatsangehöriger, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid des (vormals) Bundesasylamtes vom 13.06.2013, XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 15.01.2016, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass damit XXXX kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. XXXX (in der Folge Beschwerdeführer), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal in Österreich ein und stellte am 29.01.2013 die gegenständigen Anträge auf internationalen Schutz. Er wurde hierzu am selben Tag von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes unter Hinzuziehung eines Dolmetsches für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen.

Dabei gab er an, Moslem zu sein und der Volksgruppe der Paschtunen anzugehören. Er sei am XXXX in Khelagei, Afghanistan, geboren und habe dort drei Jahre lang die Grundschule besucht. Sein Vater heiße XXXX und seine Mutter XXXX, beide seien ca 50 Jahre alt. Er habe 6 Brüder (XXXX, 24 Jahre; XXXX, 12 Jahre; XXXX, 10 jahre; XXXX, 8 Jahre; XXXX, 6 Jahre; XXXX, 4 Jahre) und 2 Schwestern (XXXX, ca. 18 Jahre; XXXX, ca. 16 Jahre), die alle - mit Ausnahme des ältesten Bruders, welcher im Iran wohnhaft sei - in Khelagei, im Dorf XXXX, in der Provinz Baghlan lebten. Die Familie besitze ein Haus und das Grundstück, welches ungefähr 200 m2 groß sei. In Österreich wohne der Bruder seines Großvaters, mit Namen XXXX, welcher seines Wissens ein anerkannter Flüchtling sei und 4 Söhne und 2 Töchter habe. Nach seiner Einreise in Österreich sei der Beschwerdeführer bei XXXX, einem Sohn dieses Großonkels in Feldkirch gewesen.

Der Beschwerdeführer habe mit ca. 7 oder 8 Jahren begonnen mit seinem Vater auf dem Land zu arbeiten und habe diese Arbeit als Bauer ca. 6-7 Jahre ausgeübt. Er sei auch ca. 3 Jahre im Iran gewesen, habe dort bei seinem Bruder gewohnt und als "Springer" Waren von LKWs ab- und aufgeladen. Während er sich in Griechenland aufgehalten habe, habe er auch sporadisch illegal als Bauer gearbeitet.

Die finanzielle Situation der Familie in Afghanistan sei schlecht. Die Familie lebe von ihrem Land und der Arbeit "aller" Familienmitglieder.

Der Beschwerdeführer habe sein Heimatland 2007 verlassen und sich zunächst jeweils 3 Jahre lang im Iran und dann (ab 2010) in Griechenland aufgehalten. Am 13.01.2013 sei er mittels eines Schleppers in Österreich eingereist. Er sei ca. 3 Tage unterwegs gewesen und habe dafür EUR 3.500,00 bezahlt. Das Geld stamme zum Teil von seinem Bruder, der es ihm nach Athen geschickt habe und zum Teil habe er es sich selbst erarbeitet.

Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der Beschwerdeführer an, seine Familie sei in der kommunistischen (Volks)Partei Afghanistans, weshalb sie Probleme mit den Taliban und den Mudschahedin, die die Demokratische Volkspartei nicht mögen würden, habe. Es seien bereits 7 Personen getötet worden. Seiner Familie passiere nichts, weil seine Eltern zu alt und die Brüder zu jung seien. Deshalb wohne der ältere Bruder im Iran. Der Beschwerdeführer sei persönlich nicht politisch aktiv gewesen, aber der Name der Familie sei immer noch mit dem behaftet. Würde der Beschwerdeführer zurückkehren, würden sie ihn umbringen. In ihrem Dorf seien die Taliban immer noch sehr aktiv.

1.2. Bei der Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Innsbruck, am 27.05.2013 gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für Paschtu an, er sei gesund, ledig und habe keine Kinder. Dann wiederholte er im Wesentlichen seine bisherigen Angaben zu seiner Familie und seiner Person (geboren am XXXX im Dorf XXXX, im Distrikt Doshi, in der Provinz Baghlan) und ergänzte er sei Sunnit.

Zu seinem Fluchtgrund führte der Beschwerdeführer insbesondere aus, sein Onkel lebe in Österreich. Dieser (Groß)Onkel und der Großvater des Beschwerdeführers hätten unter Nadschibullah gedient, weshalb auch die Familie eine Feindschaft bekommen habe. Ein Onkel, der Großvater und weitere Verwandte seien bereits ums Leben gekommen. Der (Groß)Onkel sei wegen dieser Probleme schon vor ca. zwölf Jahren geflüchtet, aber auch das Leben der Familie des Beschwerdeführers sei nach dem Sturz von Nadschibullah immer noch in Gefahr gewesen. Er selbst sei als Familienmitglied ebenso gefährdet gewesen. Sie seien als Söhne der Volkspartei benannt und beschimpft worden und hätten kein normales Leben gehabt. Sie hätten sich immer verstecken müssen und seien stets auf der Flucht gewesen. Aus diesem Grund sei auch ein Bruder des Beschwerdeführers in den Iran gegangen. Der Vater des Beschwerdeführers sei immer wieder aufgefordert worden, am Krieg teilzunehmen. Darum hätten der Beschwerdeführer und sein Bruder die Heimat verlassen müssen. Diese Probleme der Familie hätten vor ca. 20 Jahren begonnen.

Momentan würden sie von den Taliban verfolgt, die sie nicht in Ruhe ließen. Vor seiner Ausreise sei der Beschwerdeführer von den Taliban festgenommen, zu den Bergen in Ghori gebracht und geschlagen worden. Nach ein paar Tagen habe er mit Hilfe des Kommandanten XXXX wieder frei kommen können. Er sei nachhause gegangen und habe mit seinem Vater gesprochen, dass er nicht länger dort bleiben könne, weil die Lage für ihn sehr gefährlich sei. Dann sei er ausgereist. Das sei vor ca. 6 Jahren passiert, als der Beschwerdeführer ca. 16 Jahre alt gewesen sei.

Auf Vorhalt der Behörde, die Angaben seien sehr vage und pauschal, ergänzte der Beschwerdeführer unter anderem, er sei auf den Feldern gewesen, als diese Personen gekommen seien und ihn mitgenommen hätten. Sein Vater kenne den Kommandanten XXXX, der Beziehungen zu den Taliban habe und durch dessen Hilfe habe der Beschwerdeführer frei kommen können. Er sei ca. 20 Tage bis zu einem Monat festgehalten worden, sei auch misshandelt und geschlagen worden. Er habe eine Narbe rechts am Bauch, wo er mit der Spitze einer Kalaschnikow verletzt worden sei. Gefangen gehalten sei er in einem kleinen einfachen Haus außerhalb des Dorfes, in einem Zimmer aus Lehm worden und habe dort ein- bis zweimal am Tag zu essen und zu trinken bekommen. Zum Verrichten der Notdurft habe er das Zimmer verlassen dürfen, sei aber immer begleitet worden. Seit diesem Vorfall sei der Beschwerdeführer nicht mehr in Afghanistan gewesen.

Der Vater, der (Groß)Onkel sowie der Großvater des Beschwerdeführers seien bei der Volkspartei gewesen, dadurch sei dann auch er ein Mitglied. Er habe keinen Mitgliedsausweis und keine Parteifunktion. Sein (Groß)Onkel sei General gewesen und sein Vater habe mitgedient. Zu welcher Zeit sein Vater Soldat gewesen sei, wisse er nicht.

Jetzt seien es die Taliban, früher die Mudschahedin gewesen. Sie seien immer wieder beschimpft worden und hätten auch nicht die Schule besuchen können, weil sie dort erniedrigt worden seien. Seine Familie solle vernichtet werden.

Zum Vorhalt, dass der Familie des Beschwerdeführers seit 20 Jahren nichts passiert sei, erwiderte der Beschwerdeführer, sieben Verwandte seien bereits ums Leben gekommen und mehr könne er dazu nicht angeben. Dass sein Vater sich trotzdem immer noch in Afghanistan aufhalte, erklärte der Beschwerdeführer damit, dass der Vater bereits alt sei, seine Geschwister noch klein seien und es finanziell unmöglich sei, dass die gesamte Familie die Heimat verlasse. Es handle sich um eine Familienfeindschaft, seine Familie lebe in Angst und auch er selbst sei dadurch von dieser Feindschaft betroffen.

Zu seinem Leben in Österreich gab der Beschwerdeführer an, er besuche zweimal die Woche einen Deutschkurs und lerne zuhause auch die deutsche Sprache. Er betreibe Sport, sei aber kein Mitglied eines Vereines. 20 Tage lang habe der Beschwerdeführer für die Gemeinde gearbeitet und gelegentlich habe er seinen (Groß)Onkel in Österreich, welcher ihm manchmal Geld gebe, damit sich der Beschwerdeführer sich etwas kaufen könne, besucht.

1.3. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 13.06.2013 wies das Bundesasylamt (in der Folge belangte Behörde) die Anträge des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II) ab. Der Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen (Spruchpunkt III).

Begründend traf die belangte Behörde zunächst Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftslandes, zur Situation im Falle seiner Rückkehr, zum Privat- und Familienleben sowie zur Lage im Herkunftsland. Beweiswürdigend wurde ausgeführt, mangels Bescheinigungsmittel habe der Identität des Beschwerdeführers keine Glaubwürdigkeit zugesprochen werden können. Auch habe es der Beschwerdeführer nicht vermocht eine Verfolgungsgefahr in seiner Heimat mit den von ihm behaupteten Ausreisegründen glaubhaft zu machen. Im Falle einer Rückkehr würde der Beschwerdeführer in seiner Heimat über ein soziales Netz verfügen, wo er zumindest vorübergehend Unterkunft fände. Es habe nicht festgestellt werden können, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr die Lebensgrundlage gänzlich entzogen oder er in eine seine Existenz bedrohende oder medizinische Notlage gedrängt würde.

Rechtlich wurde zu Spruchpunkt I ausgeführt, dass selbst wenn davon auszugehen sei, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers den Tatsachen entspreche, diese Verfolgungsmaßnahmen von Seiten unbekannter Krimineller keinen Bezug zu den in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) taxativ aufgezählten Gründen aufweisen würden. Die Verfolgung des Beschwerdeführers stütze sich auf eine rein private Motivation, sodass keine Asylrelevanz gegeben sei. Auch ließen sich dem Vorbringen keine konkreten, im zeitlichen Konnex zur Ausreise stehende, individuell gegen den Beschwerdeführer gerichtete und die Intensität einer Verfolgung erreichende Maßnahmen entnehmen. Der vorgebrachte Sachverhalt sei unglaubwürdig, ein asylrelevanter Sachverhalt als Grundlage für eine Subsumierung unter den Tatbestand des § 3 AsylG2005 habe nicht festgestellt werden können.

Zu Spruchpunkt II führte die belangte Behörde aus, weder aus dem Vorbringen zum Vorliegen eines Asylgrundes, noch aus den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens werde im konkreten Fall das Vorliegen jener Exzeptionalität der Umstände ersichtlich, die eine Außerlandesschaffung des Beschwerdeführers im Widerspruch zu Art. 3 EMRK erscheinen ließen. Eine elementare Grundversorgung von Rückkehrern sei laut den länderkundlichen Feststellungen jedenfalls anzunehmen. Der Beschwerdeführer sei ein arbeitsfähiger, gesunder junger Mann, seine Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben könne daher grundsätzlich vorausgesetzt werden und er verfüge im Herkunftsland über ein familiäres Umfeld.

Schließlich kam die belangte Behörde unter Spruchpunkt III aufgrund der Gesamtabwägung der Interessen und unter Beachtung aller bekannten Umstände zum Ergebnis, die Ausweisung des Beschwerdeführers sei gerechtfertigt. Bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen würden sich auch aus dem sonstigen Ergebnis des Ermittlungsverfahrens keine Hinweise ergeben, die auf das Vorliegen eines Sachverhaltes schließen ließen, welcher zum Absehen von einer Ausweisung führen bzw. auf unzulässige Weise in das Recht des Beschwerdeführers auf Schutz des Familien- und Privatlebens eingreifen würde (vgl. Art 8 Abs 1 iVm Abs 2 EMRK).

1.4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vom 01.07.2013, mit welcher ua der Antrag auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt wurde. Inhaltlich wurde betont, dass der Beschwerdeführer bereits mehrfach vorgebracht habe, er werde primär aufgrund der politischen Vergangenheit seiner Familie, sprich seines Großvaters, (Groß)Onkels und Vaters verfolgt. Sie alle seien bei der ehemaligen (kommunistischen) Volkspartei (DVPA), in der Parcham Fraktion aktiv gewesen. Der Großonkel des Beschwerdeführers, XXXX, habe aufgrund seiner politischen Vergangenheit - er sei beim KhAD (diese Abkürzung steht für: Khadamate Ettelaate Dowlati, dem staatlichen Dienst für Informationssicherheit, aus dem später das Ministerium für Staatssicherheit, das Wezarat-e Amniyat-e Dowlati - WAD wurde) und später als Kommandant tätig gewesen - im Jahr 2006 in Österreich den Asylstatus erhalten. Auch der Vater des Beschwerdeführers sei bei der KhAD gewesen und habe als Soldat gekämpft, bevor er schließlich in der Kampfeinheit Nr. 70 beim Militär unter anderem als Bodyguard gedient habe. Trotz dieses Vorbringens würden an keiner Stelle der angefochtenen Entscheidung Feststellungen zur Situation von Familienmitgliedern von früheren Mitgliedern der kommunistischen Volkspartei und deren derzeitigen Verhältnis zu den Taliban, getroffen. Die belangte Behörde belasse es dabei, den Angaben des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit gänzlich abzusprechen.

Nachdem auf diverse Quellen bezüglich der Verfolgung von ehemaligen Volksparteiangehörigen verwiesen wird, wurde weiters vorgebracht, es sei nicht nachvollziehbar, welche Beschreibung die belangte Behörde von einem Zimmer erwarte. Die Behörde verkenne, dass der Beschwerdeführer bei seiner Flucht aus Afghanistan noch minderjährig gewesen sei und primär aufgrund der Tatsache, dass viele seiner Verwandten der ehemaligen afghanischen Volkspartei gedient hätten, von den Taliban verfolgt worden sei. Aufgrund seines geringen Alters sei auch nicht nachvollziehbar, wieso die belangte Behörde erwarte, dass der Beschwerdeführer in der Partei aktiv gewesen sei oder eine Parteifunktion inne gehabt habe bzw. die Geschichte oder den Aufbau der Partei kenne.

Unverständlich sei, weshalb der Umstand, dass Kommandant XXXX den Beschwerdeführer zwar frei bekommen habe, aber ihn in weiterer Folge vor den Taliban nicht habe schützen können, für die belangte Behörde nicht nachvollziehbar sei. Es werde verkannt, dass nicht einmal afghanische Sicherheitsbehörden derzeit in der Lage seien, Personen vor Übergriffen Seitens der Taliban zu schützen.

Der Beschwerdeführer habe sich nach seiner Einvernahme viele Gedanken gemacht - während dieser sei es ihm aufgrund des in solchen Ausnahmesituationen naturgemäß auftretenden Stresses nicht möglich gewesen - und könne nun die Namen jener Familienangehörige, welche bereits ums Leben gekommen seien, benennen. Es handle sich dabei um seinen Großvater, XXXX sowie XXXX, XXXX, XXXX, XXXX und XXXX.

Aufgrund der derzeitigen Situation in Afghanistan bestehe für den Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan jedenfalls die reale Gefahr, in seinen nach Art 2 und 3 EMRK garantierten Rechten verletzt zu werden. Auch verfüge der Beschwerdeführer über keinerlei familiäre Anknüpfungspunkte in Kabul.

Bei Durchführung eines mängelfreien Verfahrens und Unterstellung des der Aussage des Beschwerdeführers entsprechenden Sachverhaltes, wäre ihm der Status eines Asylberechtigten, jedenfalls aber subsidiärer Schutz zuzuerkennen und die Verfügung seiner Ausweisung nach Afghanistan zu unterlassen gewesen.

1.5. Mit Eingabe vom 08.10.2015 wurde die Bevollmächtigung des Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, bekannt gegeben.

1.6. Am 03.11.2015 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein an den Verwaltungs-gerichtshof gerichteter Fristsetzungsantrag gemäß Art 133 Abs 1 Z 2 B-VG ein.

1.7. Mit Schriftsatz vom 26.11.2015 gab die belangte Behörde bekannt, aus dienstlichen und personellen Gründen nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen zu können, begehrte die Abweisung der Beschwerde aufgrund der Aktenlage und ersuchte um Übersendung der Verhandlungsschrift.

1.8. In der vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde, in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu und eines Sachverständigen für Afghanistan, Dr. Sarajuddin RASULY, zunächst der Beschwerdeführer befragt. Er bestätigte einleitend ausdrücklich in seinen bisherigen Einvernahmen die Wahrheit gesagt zu haben sowie gesund und in der Lage zu sein, der mündlichen Verhandlung zu folgen.

Nachdem er seine bisherigen Angaben zur Person weitgehend wiederholt hatte, legte er die Kopien der Tazkira und eines Mitgliedsausweises seines Vaters vor. Soweit für die Person und die Identität des Beschwerdeführers von Relevanz haben diese folgenden Inhalt:

"Taskira:

Rechts Staatswappen

Islamische Republik Afghanistan, Ministerium für innere Angelegenheiten, Hauptpräsidium für die Registrierung der Bevölkerung. Hauptdirektion von Doshi.

Provinz Baghlan, Distrikt Doshi, Dorf XXXX. Registrierungs-Seriennummer: XXXX. Preis: 10 Afghani.

Identität:

Name und Familienname: XXXX

Name des Vaters: XXXX

Name des Großvaters: XXXX

Geburtsort: XXXX

Geburtsdatum: Gemäß den Registrierungsdaten, Band 4, S 176 und Nummer: 500 wird das Alter mit 5 Jahren im Jahr 1353 angegeben. (= 1974 war der Vater 5 Jahre alt).

Religion: Islam

Volksgruppenzugehörigkeit: Afghane

Beruf: Bauer

Geschlecht: Männlich

Familienstand: verheiratet

Besondere Kennzeichen: Größe: Mittelgroß

Augenfarbe: schwarz , Augenbrauen: Getrennt, Hautfarbe: Weizenbraun,

Haarfarbe: Grau

Andere besondere Kennzeichen: Unleserlich

Registrierungsdaten: Band Nr. 14, S 176, Eintragungsnummer 500,

Nummer der staatlichen Druckerei: 780730/ vom 24.02.1353

Ausstellungsdatum: 19.09.1392 (= 2013).

Unterschriften: Unterschrift des zuständigen Beamten: Vorhanden,

Unterschrift des Leiters: Vorhanden, Unterschrift des Inhabers:

Fingerabdruck vorhanden

Bei dem Dokument handelt es sich um ein Duplikat.

Stempel zweimal: einmal auf dem Foto und einmal bei der Unterschrift des Leiters.

[...]

Mitgliedsausweis:

Am Deckblatt: Volksdemokratische Partei Afghanistan, Mitgliedschaftsausweis

Nummer: XXXX

Name und Familienname: XXXX Familienname: nichts eingetragen

Name des Vaters: XXXX

Geburtsjahr: 1342 (= 1963)

Datum der Aufnahme als Mitglied: Qaus 1361 (= November/Dezember

1982).

Das Ausstellungskomitee des Mitgliedschaftsausweises: Parteikomitte der Provinz Baghlan

Unterschrift des Inhabers: XXXX (handgeschrieben)

Unterschrift des Sekretärs des Komitees: Unleserlich

Ausstellungsdatum: 25.07.1362 (= 17. Oktober 1983).

Auf den folgenden Seiten ist registriert, wie viel und wann der Mitgliedschaftsbeitrag geleistet wurde: 1362, 1363, 1364, 1365, 1366, 1367, 1368 (= 1983 bis 1989)."

Hierzu führte der SV aus, beide Dokumente seien Kopien bzw. gescannt, weshalb es nicht möglich sei, deren Echtheit im Augenblick festzustellen, zumal solche Dokumente in Afghanistan bzw. im Ausland sehr leicht gefälscht produziert würden. Nach seinem bisherigen Erfahrungen würden in Ausweisduplikaten das aktuelle Foto der Inhaber angebracht (Anmerkung: das Taskira-/Personalaussweisduplikat enthält ein Foto, welches einen Mann zeigt, der ca. 50 Jahre oder älter ist und eine Ähnlichkeit mit dem zu diesem Verfahren als Zeugen geladenen Großonkel des Beschwerdeführers aufweist). Seit dem Sturz der Taliban 2001 würden Personalausweise auf einem Blatt ausgefertigt; dieses hier vorhandene Blatt bzw. Formular sei ein Formular eines Personalausweises, welches derzeit in Afghanistan ausgestellt werde und die Eintragungen seien auch regelmäßig. Der Sachverständige sehe keinen Eintragungsfehler und nach seiner Meinung erscheine die Taskira bzw. deren Duplikat in Ordnung. Auch die Kopie des Parteiausweises sei einem echten ähnlich, denn die Eintragungen würden den Eintragungen in Originalausweisen der VDPA ähnlich sein.

Befragt zu einer Erklärung der in den vorgelegten Ausweisduplikaten enthaltenen verschiedenen Geburtsjahrgängen seines Vaters (laut Taskira wurde der Vater nach europäischer Zeitrechnung im Jahr 1969 - siehe 1348 in afghanischer Zeitrechnung - geboren und laut Parteimitgliedsausweis im Jahr 1963 - siehe 1342 - geboren ), gab der Beschwerdeführer an, er könne sich das nicht erklären, habe aber mit seinem Vater darüber nicht gesprochen. Er glaube sein Vater sei derzeit 50, 53 bzw. 55 Jahre alt, sodass das Geburtsdatum im Mitgliedsausweis der VDPA richtig sei. Ergänzend verwies der Beschwerdeführervertreter darauf, dass der Mitgliedsausweis der VDPA am 17. Oktober 1963 - das entspreche dem Datum der Russischen Revolution - ausgestellt worden sei und er daher annehme, an diesem Tag habe es einen Parteitag gegeben und mehrere Personen hätten sich dabei der Partei angeschlossen.

Zu seiner Lebenssituation in Afghanistan führte der Beschwerdeführer

insbesondere aus, er sei im Dorf XXXX, im Ort Khelagei, im Distrikt

Doshi, in der Provinz Baghlan geboren und habe bis zu seiner

Ausreise mit seiner Familie, sowohl im Heimatdorf, als auch in der

Stadt Pol-e Chomri gelebt. Pol-e Chomri sei die nächstgelegene große

Stadt, wo sich auch ein Bazar befinde. Die Familie habe in Pol-e

Chomri ebenfalls ein Haus und wenn im Dorf Krieg geherrscht habe,

seien sie für eine kurze Zeit (zwischen 20 Tagen und einem halben

Jahr bis einem Jahr) in die Stadt gegangen, aber dann immer wieder

zurück in das Dorf gekommen, weil sich dort die Grundstücke

befänden. Der Familie gehöre auch das Haus im Dorf und sie hätten

dort Grundstücke, die bewirtschaftet würden. Ua. werde dort Weizen,

Reis und Zuckermelonen gebaut. Das Grundstück, das von seinem

Großvater geblieben sei, sei ca. 80 Jerib (= 1 Jerib = 2.000m²; 80

Jerib = 16.000m²) groß und sein Onkel sei daran beteiligt. Bei

diesem Onkel meine der Beschwerdeführer den Bruder seines Großvaters, also seinen Großonkel.

Heute lebten nur mehr seine Eltern und jüngeren Geschwister in Afghanistan. Sie würden von seinen Brüdern von Pakistan und vom Iran aus finanziell unterstützt. Nach seinem älteren Bruder (XXXX), habe er selbst 2007 Afghanistan verlassen und auch weitere Brüder (XXXX, XXXX, XXXX und XXXX) seien gegangen, sie befänden sich entweder in Pakistan oder im Iran oder er glaube in der Türkei. Bei den Eltern lebten die Schwester, XXXX, welche bald heiraten werde und der Bruder, XXXX. XXXX, die zweite Schwester sei bereits verheiratet.

Zu den Namen der älteren Familienmitglieder führte der Beschwerdeführer aus, er kenne sie deshalb, weil er sie damals, als er noch in Afghanistan gelebt habe, oft gehört habe. Der Großvater väterlicherseits heiße XXXX, sein Onkel väterlicherseits, namens XXXX, sei bereits verstorben. Der Großvater mütterlicherseits heiße XXXX, Onkel habe er keine, sondern nur eine Tante mütterlicherseits. Der Urgroßvater heiße XXXX. Sein Vater habe 2 Onkel, einer sei XXXX, der ihn heute begleite, der 2. Onkel mit Namen XXXX sei verstorben. Auf Nachfrage des Sachverständigen ergänzte der Beschwerdeführer, diese beiden Großonkel würden in Afghanistan mit ihren eigenen Namen angesprochen, nämlich XXXX und XXXX. Der Urgroßvater, werde als XXXX bezeichnet. Die Mitlieder der Familie seien als Kommunisten bekannt. Soweit er wisse, lebe weder in Zentralasien, noch in der Sowjetunion Verwandtschaft.

Zu seiner Flucht und den Gründen dafür gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er habe 2007 sein Heimatland verlassen, weil die ganze Familie wegen der Mitgliedschaft bei der VDPA bedroht worden sei. Anfangs von den Mudschaheddin und später von den Taliban. Sein Großvater, der schon vor seiner Geburt gestorben sei und eine Landwirtschaft betrieben habe, sei später auch Mitglied der VDPA geworden. Sowohl der Großvater als auch der Großonkel, der jetzt in Österreich lebe, hätten für die Regierung gearbeitet. Er glaube sein Großvater sei gebildet gewesen, sein Vater jedoch nicht sehr und dieser habe auf den eigenen Feldern gearbeitet bzw. als er für den Staat gearbeitet habe, sei er dafür bezahlt worden. Sein Vater sei vor ca. 20 Jahren, als die VDPA regiert habe, Soldat gewesen und habe auch in der 70. oder 80. Division als Leibwächter gearbeitet. Er sei der Bodyguard des leitenden Kommandanten dieser Diversion gewesen. Welche Arbeit - als Offizier, als Kommandant oder als Soldat - der Großvater ausgeübt hätte, als er während des kommunistischen Regimes für die Regierung gearbeitet habe, wisse er nicht. Dieser Großvater sei seines Wissens von den Mudschaheddin getötet worden, als er unterwegs gewesen sei. Sie hätten ihm aufgelauert und ihn getötet. Ein Großonkel, XXXX, sei während die Kommunisten und Mudschaheddin in Baghlan gewesen seien, Soldat und der andere Großonkel, XXXX sei - soweit er das erzählt bekommen habe - Kommandant und General gewesen. Auch XXXX, der bewaffnet gewesen sei und für die Regierung gearbeitet habe, sei, als er auf den Feldern gewesen sei, erschossen worden. Er sei an der Stirn getroffen und getötet worden. Weiters seien aufgrund der Familienfeindschaft getötet worden, XXXX, der Onkel väterlicherseits sowie die Brüder, XXXX und XXXX und zwei andere Brüder, XXXX und XXXX. Alle seien Neffen seines Großonkels, des Zeugen seien. Der Onkel väterlicherseits sei mit dem Dienstwagen vom Heimatdorf in den Distrikt Doshi gefahren, um sich bei der Distriktsverwaltung eine Taskira ausstellen zu lassen und sei in seinem Auto angegriffen und getötet worden, weil auch er für den Staat gearbeitet habe und Kommunist gewesen sei. Deshalb sei er auch mit dem Dienstwagen unterwegs gewesen. Der Neffe, XXXX sei Kommandant eines kleinen Postens gewesen, sei dort angegriffen und getötet worden und XXXX sei bei einem Einsatz in XXXX bzw. Kabul getötet worden. Die Familie habe seine Leiche nicht bekommen. Die Brüder, XXXX und XXXX seien auch Soldaten gewesen und bei Auseinandersetzungen mit den Mudschaheddin ums Leben gekommen.

Zum konkreten Fluchtanlass sagte der Beschwerdeführer, 6 bis 7 Taliban hätten ihn im Sommer, als er auf den Feldern gearbeitet habe, gewaltsam mitgenommen. In der Nähe der Grundstücke befände sich ein Berg und er sei über diesen Berg bis nach Dahana-e Ghori gebracht worden. Sie seien etwa 5 bis 6 Stunden zu Fuß gegangen, dann sei er von den Taliban in einem Haus festgehalten worden und dort 20 bis 25 Tage geblieben. In dieser Zeit habe sich sein Vater bei anderen Grundstückbesitzern erkundigt, was mit dem Beschwerdeführer passiert sei und habe die Freilassung des Beschwerdeführers über seinen Bekannten, den Kommandanten XXXX, veranlassen können. Ein paar Tage danach sei der Beschwerdeführer aus Afghanistan geflüchtet. Kommandant XXXX habe als ein jihadistischer Kommandant für die Regierung gearbeitet, ob er auch Beziehungen zu den Taliban geführt habe, wisse der Beschwerdeführer aber nicht. XXXX sei Paschtune, stamme aus Baghlan und lebe, wie der Beschwerdeführer glaube, in Baghlan-e Markazi. Der Vater des Beschwerdeführers habe XXXX deshalb gekannt, weil er als Kommandant für die Regierung gearbeitet habe. Aber auch bereits früher habe der Vater eine Bekanntschaft mit diesem Kommandanten gehabt, auch der Großonkel des Beschwerdeführers kenne zum Beispiel XXXX.

Auf Nachfrage zur aktuellen Gefährdung seiner Person, erläuterte der Beschwerdeführers, er könne, einen konkreten Namen eines Feindes der Familie, der sich zum Beispiel im Heimatdorf derzeit aufhalte, nicht nennen, wisse aber, dass sich zwischen 35 und 40 Taliban zur Zeit im Dorf aufhalten würden. Vor 4 oder 5 Tagen habe es im Heimatdorf des Beschwerdeführers eine Auseinandersetzung zwischen den Taliban und der Nationalarmee gegeben, bei der 3 Polizisten und 2 zivile Personen gestorben seien. Die Zivilisten seien entfernte Verwandte seiner Familie gewesen. Er wisse das aus einem Bericht auf Tolo.news und lese solche Nachrichten auch regelmäßig auf Facebook.

Zur Situation seiner Familie, des Vaters und des sich ebenfalls nach wie vor in Afghanistan aufhaltenden Bruders, erklärte der Beschwerdeführer, dieser Bruder sei noch klein und der Vater sei die ganze Zeit zu Hause, sonst könnten die Grundstücke nicht mehr bearbeiten werden. Zuvor habe der Vater seinen Wohnsitz immer dorthin verlegt, wo der Staat regiert habe bzw. wenn es im Dorf sicher gewesen sei, sei er im Dorf geblieben. Er besitze eine Kalaschnikow und zu Hause bzw. im Dorf könnten die Taliban niemanden angreifen und töten. Nur wenn die Menschen auf den Feldern seien oder von dort hinausgehen würden, würden sie getötet. Am Abend könne so gut wie niemand das Haus verlassen. Das treffe auf die meisten Bewohner zu, es seien auch schon viele getötet worden.

In diesem Zusammenhang gab der Beschwerdeführer auch an, sein Vater habe früher selbst auf den Feldern gearbeitet, die Taliban hätten ihn aber im Gegensatz zu ihm selbst nicht mitgenommen, weil sie nicht jeden Tag gekommen seien. Wenn die Taliban gekommen seien, dann hätten sie entweder die Person, die sie angetroffen hätten angegriffen oder gewaltsam mitgenommen. An diesem Tag sei nur der Beschwerdeführer auf den Feldern gewesen. Seit etwa 2 Jahren, das wisse der Beschwerdeführer genau, ginge sein Vater selbst nicht mehr auf die Felder und davor sei der Vater nur ab und zu und nicht regelmäßig dorthin gegangen. Auf Nachfrage des Sachverständigen ergänzte der Beschwerdeführer, die Taliban würden, wenn sie dazu in der Lage sein würden, nicht einen Tag damit warten und das Haus der Familie des Beschwerdeführers angreifen und alle Personen, die sich im Haus befänden, töten. Die Taliban seien jedoch in den Bergen und auf den Feldern, sie seien nicht so stark. Im Dorf selbst regiere der Staat. Erst vor ein paar Tagen habe es eine Auseinandersetzung zwischen den Taliban und den Regierungstruppen auf den Feldern gegeben, aber der Beschwerdeführer habe noch von keinem Fall gehört, bei dem die Taliban in das Dorf gekommen seien, ein Haus angegriffen und die Insassen getötet hätten. Auf Frage des Sachverständigen, ob die Taliban seinen Vater angreifen würden, weil die Familie zu den Kommunisten zähle und ob die Familie unter den Taliban persönliche Feinde habe, sagte der Beschwerdeführer, seine ganze Familie werde einerseits wegen der politischen Vergangenheit verfolgt, und auch im Dorf, würde seine Familie, wenn sie hinausgingen, Personen begegnen, die sich mit seiner Familie nicht so gut verstehen und sie dann als "Söhne der Kommunisten" bezeichnen würden. In dem Dorf, in dem die Familie des Beschwerdeführers lebe, gebe es kaum Personen, die der Kommunistischen Partei angehörten. Der Beschwerdeführer glaube sogar, dass seine Familie, die einzige sei und das wäre weitgehend bekannt. Andererseits gebe es bestimmte Personen, deren Familienmitglieder zur Regierungszeit der Kommunisten zu Schaden gekommen seien und welche die Familienmitglieder des Beschwerdeführers nun deshalb auch verfolgen würden.

Von Österreich aus habe der Beschwerdeführer wieder zu seiner Familie Kontakt aufgenommen, spreche aber nicht viel mit ihnen. Die Telefonnummer habe ihm der Sohn seines Großonkels, XXXX, der nach Afghanistan gereist sei, weil seine Tante väterlicherseits im Sterben gelegen habe, mitgebracht. Zu anderen Personen in Afghanistan habe er keinen persönlichen Kontakt und kontaktiere nur seinen älteren Bruder, der im Iran lebe. Solange der Beschwerdeführer dort gelebt habe und soweit er informiert sei, habe seine Familie in Afghanistan keinen weiteren Verwandten und es gebe auch keine Verwandtschaft in Städten, wie zB Kabul oder anderen Großstädte. Würde der Beschwerdeführer nach Afghanistan zurückkehren, würde man ihn nicht am Leben lassen. Es würden ihn dieselben Personen, die ihn früher verfolgt hätten wieder verfolgen, denn diese wären mittlerweile in ganz Afghanistan verstreut. Es gebe keinen Ort, an dem sich diese Taliban nicht befänden. Die Taliban würden die Familie des Beschwerdeführers wegen der politischen Vergangenheit allgemein verfolgen. Aber auch von anderen, bestimmte Personen, die seine Familie verfolgen würden, weil deren Angehörige durch die Kommunisten zu Schaden gekommen seien, werde er verfolgt. Als ranghöchste Person nach dem offiziellen VDPA-Rang in seiner Familie, die mit den Kommunisten zusammen gearbeitet habe, bezeichnete der Beschwerdeführer auf Frage des Sachverständigen seinen, in Österreich lebenden Großonkel. Er selbst sei nicht politisch aktiv gewesen und habe keine Parteimitgliedschaft, weil er damals zu jung gewesen sei. Als er älter geworden sei, habe es die Partei nicht mehr gegeben und man habe damals auch nicht mehr politisch für diese Partei tätig sein können. Trotzdem werde auch er persönlich, wegen seiner Familie als Kommunist bezeichnet.

Zu seiner Situation in Österreich gab der Beschwerdeführer an, er lebe derzeit in einem Heim und nehme an dem dort veranstalteten Deutschkurs einmal oder zweimal die Woche teil. Da er nur eine weiße Karte habe, habe er keine Arbeitserlaubnis und ich könne keiner Berufsausbildung nachgehen. Er arbeite immer wieder für die Gemeinde (hierzu wurden insgesamt 5 Bestätigungen über den Besuch eines Deutschkurs, sowie die Beschäftigung des Beschwerdeführers in der Gemeinde XXXX, im Flüchtlingsheim Landeck und in der Gemeinde St. Anton am Arlberg, zum Beweis vorgelegt) und erhalte nur eine Bestätigung, wenn die Tätigkeit über einen längeren Zeitraum durchgeführt werde. Für die Arbeiten, die nur wenige Tage andauerten, bekomme er keine Bestätigung. Derzeit arbeite er bei der Gemeinde in St. Anton und werde, da er wegen seiner heutigen Einvernahme nicht dort sein könne, von einem Freund vertreten bis er wieder zurückkehre und die Arbeit selbst übernehme. In seiner Freizeit spiele er mit seinen Freunden und Bekannten Fußball.

XXXX wurde im Anschluss an die Befragung des Beschwerdeführers, ebenfalls im Wege der Dolmetscherin und in der Sprache Paschtu als Zeuge einvernommen. Zu Beginn der mündlichen Verhandlung hatte er schon bestätigt, gesund und für diese Einvernahme in der Lage zu sein.

Zu seiner Person gab der Zeuge an, sein Name sei XXXX, er sei am XXXX in Khelagei geboren, sei Paschtune und afghanischer Staatsangehöriger. Er stamme aus der Provinz Baghlan, im Distrikt Doshi. Er habe afghanische Dokumente, die seine Identität beweisen würden zu Hause, aber nicht bei sich. In Kopie würden sich diese Dokumente in seinem Akt befinden (Anmerkung: eine Durchsicht der, dem Bundesverwaltungsgericht derzeit vorliegenden Akten des Zeugen und seine Ehefrau, zeigte, dass sich in diesen beiden Akten des Asylgerichtshofes keine Dokumente, den Zeugen betreffend befinden). Zu seinem Glauben befragt, sagte der Zeuge, zum Glück sei er nicht sunnitischer Moslem, er habe die Religion seit 42 Jahren verlassen, sei Atheist und Materialist. Er sei 2001 in Österreich eingereist, sei dann nach ca. 1 Woche weiter nach Dänemark gegangen, aber in weiterer Folge wieder nach Österreich zurückgekommen. Die Familie des Zeugen lebe in Feldkirch, eine seiner Töchter lebe in Wien. Der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren sei der Enkelsohn seines älteren Bruders.

Zu den Mitgliedern und den Namen seiner Familie sagte der Zeuge insbesondere, sein Vater heiße XXXX, einen Onkel väterlicherseits habe er keinen. Seine 3 Brüder seien XXXX, XXXX und XXXX. Sein Großvater väterlicherseits habe den Namen XXXX und der Großvater mütterlicherseits XXXX getragen. Die beiden Onkel mütterlicherseits seien XXXX. XXXX habe 3 Söhne, wovon jedoch nur mehr einer am Leben sei. Die beiden Söhne des XXXX seien auch noch am Leben.

Zu seinem und dem Leben seiner männlichen Familienangehörigen, insbesondere vor seiner Flucht aus Afghanistan befragt, führte der Zeuge aus, er habe seinen Militärdienst von 1354 bis 1356 (= 1975 bis 1977) im Rang eines Soldanten abgeleistet. Er sei an der Militäruniversität in Kabul, in der Nähe von Pol-e Chakri gewesen. Damals habe Doud Dawood Khan geherrscht. Im Jahr 1353 sei der Zeuge der Kommunistischen Partei beigetreten, habe aber zu dieser Zeit nicht für die Regierung gearbeitet. Die Familie habe Grundstücke,

die sie bearbeitet hätten. Am 06. Jadi (= 10. Monat des afghanischen

Kalenders) 1380 (= 27. Dezember 1979) seien sie aufgefordert worden,

für die Partei zu arbeiten, weil an diesem Tag die Soldaten der Sowjetunion in Afghanistan einmarschiert seien. Erst seitdem habe der Zeuge für die Regierung im Rahmen der Partei gearbeitet. In der Anfangszeit seien sie mit Waffen ausgestattet und mit der Sicherheit von Khelagei beauftragt worden (hierzu merkte der Sachverständige an, dass die staatlichen Strukturen, als die VDPA an die Macht gekommen sei, Selbstverteidigungsgruppen beinhaltet hätten und die VDPA zwar an der Macht gewesen sei, es sich aber noch um keine Beschäftigung für den Geheimdienst, sondern um eine Art Dorfschützer gehandelt habe). Weiters gab der Zeuge an, sie hätten in den Dörfern Posten eingerichtet und dafür gesorgt, dass die Dörfer nicht angegriffen würden. Sie hätten die Verantwortung für die Sicherheit in den Straßen getragen, damit die Konvois nicht angegriffen würden. Auch noch andere Verwandte des Zeugen hätten für das kommunistische Regime damals gearbeitet dh die ganze Familie habe für das Regime gearbeitet und die meisten seien damals geopfert worden. Die Familie hätte Beziehung zu XXXX, der später Minister geworden sei, gehabt. Dieser sei ein sehr guter Freund von XXXX, dem Großvater des Beschwerdeführers gewesen. Darüber hinaus hätten sie gute Beziehung zu XXXX, dem späteren Präsidenten des Obersten Gerichtshofes, gehabt. Über diese Personen hätte seine Familie Zutritt zur Partei bekommen und der Anschluss der Familie an die kommunistische Partei sei das Ergebnis der Gespräche bzw. der Werbung dieser beiden Männer gewesen. Der Kontakt zur Partei sei über den ältesten Bruder des Zeugen entstanden. Auch er selbst sei über seinen Bruder der Partei beigetreten und habe dann dafür gesorgt, dass seine weiteren Brüder, sowie seine Neffen, und noch andere Familienmitglieder der Partei beigetreten seien. Der Zeuge habe also alle jüngeren Mitglieder der Familie für die Partei angeworben. Somit seien auch der Großvater und der Vater des Beschwerdeführers, sowie alle anderen männlichen Mitglieder der Familie damals der kommunistischen Partei beigetreten.

Der Zeuge glaube, dass er 1362 (= 1983) zum KhAD gekommen und dort knapp 5 Jahre geblieben sei. Er habe im Bereich der Bandenforschung gearbeitet, es sei ihre Aufgabe gewesen, insbesondere, Informationen über Banden, die zum Beispiel in Pakistan entstanden und von dort gegen die Regierung vorgegangen seien, herauszubekommen und gegen diese Banden vorzugehen und sie ihre Pläne nicht realisieren zu lassen. Er habe dem 5. Präsidium des KhAD angehört. Außer ihm selbst, sei kein weiteres Familienmitglieder beim Geheimdienst gewesen. Der Vater des Beschwerdeführers sei Soldat für den KhAD gewesen.

Nach 1989 sei der Zeuge zur Polizei gegangen und sei Kommandant eines Regimentes geworden. Als die Mudschaheddin die Macht übernommen hätten, seien sie Mitglieder der Jonbesh-Partei unter der Führung von Dostum geworden und hätten ihre Arbeit weiter geführt.

Auf Nachfrage des Sachverständigen ergänze der Zeuge, alle Familienmitglieder seien Bauern gewesen, auch der Großvater des Beschwerdeführers, welcher gar keine Ausbildung gehabt habe. Der älteste Bruder des Zeugen habe in Kontakt mit den damaligen Anführern der kommunistischen Partei, nämlich XXXX und XXXX, gestanden und habe auch noch andere Personen für die Partei angeworben. Dieser Bruder habe zwar keine Schule besucht, aber der Zeuge erkläre sich, dass sein Bruder zu gebildeten Leuten, wie zu XXXX und XXXX, deshalb Beziehungen geführt habe, weil die Vorgangsweise von XXXX gewesen sei, wenn er in ein Dorf gegangen sei, dort den ältesten, einflussreichsten und mächtigsten Mann aufzusuchen und mit seiner Hilfe die Bewohner des Dorfes für die Partei anzuwerben. Das sei der Grund, warum XXXX den Kontakt zum ältesten Bruder des Zeugen hergestellt habe, welcher damals eine angesehene Person im Dorf gewesen sei.

Die Frage des Sachverständigen, der Zeuge solle detailliert erklären, warum, wann und von wem 7 Mitglieder der Familie in der Zeit der Mudschaheddin und Kommunisten getötet worden seien, beantwortete der Zeuge dahingehend, dass 1359 der Onkel des Beschwerdeführers, also der Neffe des Zeugen, mit Namen XXXX, bei einem Angriff getötet worden sei. Der Zeuge sei damals gemeinsam mit einer Delegation nach Doshi unterwegs gewesen, als sie am Weg gebeten worden seien, mit jemandem mitzugehen und daher ihre Reise nicht haben fortsetzen können. Nur die jungen Burschen aus der Partei, ua. auch der Neffe, hätten ihre Reise fortgesetzt, seien dann angegriffen worden. Dabei sei der Neffe sowie ein Kommandant der Mudschaheddin ums Leben gekommen. In den Monaten Aqrab oder Qaus 1359 (= Oktober bis Dezember 1980) sei der Großvater des Beschwerdeführers, der älterer Bruder des Zeugen namens XXXX, bei einer Offensive im Distrikt Andrab getötet worden. XXXX sei eigentlich Bauer gewesen, sei aber, als er an dieser Militäroperation teilgenommen habe, als Übergangskommandant dem Distriktsleiter zur Seite gestellt worden. Einen Militärrang habe Dost nicht gehabt. Der Bruder des Zeugen, namens XXXX, sei im Monat Saur 1361 (= April/Mai 1982) von den Mudschaheddin erschossen worden. Er habe sich auf den Feldern der Familie befunden, als er getötet worden sei. Als nächstes sei der Bruder des Zeugen, XXXX, Anfang 1362 (= 1983), bei einer Militäroperation in Baghlan-e Markazi, getötet worden. Er sei kein Offizier, sondern einfacher Soldat. Danach seien zwei Neffen des Zeugen (es habe sich um die Söhne seiner Schwester gehandelt) getötet worden. XXXX sei in Siadara in Khelagei getötet worden. Er sei Polizist gewesen und habe den Rang eines Polizeiunteroffiziers gehabt. XXXX, er sei Soldat gewesen, sei in Shamali getötet worden. Diese beiden Neffen seien in den Jahren 1362 und 1363 getötet worden. Nähere Zeitangaben könne der Zeuge dazu nicht machen, weil er sie vergessen habe. Weiters seien 2 Söhne des Onkels des Zeugen mütterlicherseits getötet worden. XXXX sei in Narin gestorben und XXXX, ein Offizier, sei bei einer Minenexplosion auf seinem Posten getötet worden. Dieser Posten habe sich in Larkhab, zwischen Doshi und Khelagei befunden.

In weiterer Folge beantwortete der Zeuge die Fragen des Sachverständigen und der Richterin wie folgt:

"SV: Erklären Sie, warum Ihre Familienmitglieder oder Sie selbst Zielscheibe dieser Leute waren?

Z: Wir waren ehrliche Menschen. Wir haben nur der Heimat gedient.

SV: Gibt es Leute aus der Reihe Ihrer Feinde, die Tote zu beklagen haben, welche auf Basis Ihrer Amtshandlungen und der Amtshandlungen Ihrer Brüder geschädigt wurden?

Z: Wir haben selbst niemanden persönlich angegriffen und getötet. Von unserer Seite gab es keine gezielten Tötungen. In den allgemeinen Kämpfen zwischen Regierungsleuten und den Mujaheddin sind auf beiden Seiten Personen zu Schaden gekommen.

SV: Kennen Sie einige Namen von Verwandten dieser getöteten Personen?

Z: Jener Kommandant, der meinen Neffen, den Onkel des BF, aus einem Hinterhalt angegriffen hat, hieß XXXX. Ich nenne einen weiteren

Namen: XXXX. Dieser Mann hat zahlreiche Brüder und Neffen im Zuge von Auseinandersetzungen gegen die Regierung verloren. Eine weitere Person namens XXXX hat seinen Sohn verloren. XXXX ist der Sohn meines Onkels mütterlicherseits. Einer seiner Söhne war bei uns tätig. Er war Bodyguard. Sein anderer Sohn war bei den Mujaheddin und dieser wurde dann getötet.

SV: Nachdem Ihr Großneffe seinen Asylantrag auch mit Ihrer Stellung in Afghanistan begründet - von wem werden Sie persönlich bedroht, wenn Sie zurückkehren müssten?

Z: Alle jene Personen, die ihre Söhne im Zuge der Kämpfe gegen die Regierung verloren haben, bedrohen mich. Sie geben mir die Schuld für den Verlust ihrer Angehörigen. Ich gebe an, dass ich nicht für den Tod dieser Leute verantwortlich bin, sondern dass diese Leute im Krieg gegen die Regierung gestorben sind.

SV: Wie XXXX Leute glauben Sie, wurden auf Grund Ihrer Amtshandlungen getötet?

Z: In Khelagi sind bei einem Hinterhalt junge Leute aus unseren Reihen getötet worden. Nach diesem Vorfall wurde seitens des KhAD-Geheimdienstes in Anwesenheit von Russen ein weiterer Hinterhalt vorbereitet. Bei dieser Auseinandersetzung sind sehr viele Personen aus Khelagi getötet worden. Die Schuld für diesen Vorfall wird nun uns dafür gegeben. [...] Mir persönlich von den Bewohnern von Khelagi wurde die Schuld gegeben. Ich war der Anführer der Gruppe, die mitgewirkt hat. Dadurch, dass wir damals aus Khelagi als einzige Personen für die Regierung gearbeitet haben, haben die Bewohner von Khelagi angenommen, wir würden die Russen anführen und ich hätte dafür gesorgt, dass es zu dieser Auseinandersetzung kommt. Von den Dorfbewohnern wurde ich als der Anführer bezeichnet.

SV: Warum ist dann Ihr Neffe, der Vater des BF, noch dort in Afghanistan, wenn er noch dazu involviert war in diese Angelegenheiten?

Z: Mein Neffe hat eine große Familie. Es gibt viele junge Leute aus unserer Familie, die arbeiten und die ihm die Flucht nach Pakistan oder in den Iran ermöglichen könnten. Er selbst möchte aber das Dorf nicht verlassen, weil er sagt, dass er im Ausland nicht in der Lage ist zu arbeiten und seine Familie zu ernähren. Er ist auch der Meinung, wenn er geht, dass er sein Land verlieren könnte. Er kann das Dorf nicht verlassen und nicht zu seinen Grundstücken gehen. Er lebt von den Einnahmen seiner Grundstücke und er weigert sich, das Dorf zu verlassen. Mehrere Leute aus der Familie haben mit ihm über eine etwaige Flucht gesprochen.

R: Wenn der Vater dort nach wie vor leben kann, ohne dass ihm wirklich nach dem Leben getrachtet wurde, wieso kann dann sein Sohn nicht dort leben?

Z: Der BF kann nicht, wie sein Vater, dort leben, weil die derzeitige Situation in seiner Wohnregion sehr schlecht ist. Vor ca. 3 Tagen sind die Taliban nachts in das Dorf gekommen und wollten Jugendliche mitnehmen. Bei diesen Jugendlichen handelt es sich um die Söhne meines Cousins mütterlicherseits. Nachdem die Taliban sie mitgenommen haben, wurden Polizisten, die in der Nähe einen Posten besetzen, kontaktiert. Bei einem Schusswechsel sind diese beiden Jungs getötet worden. Es ist nicht klar, ob sie von den Taliban getroffen wurden, oder ob es die Polizisten waren. Mit diesem Beispiel möchte ich darauf hinweisen, dass junge Leute besonders gefährdet sind, entführt zu werden."

Die an den Zeugen gerichtete Frage des Beschwerdeführervertreters, ob auch die übrigen Familienmitglieder und Verwandte als Kommunisten bezeichnet würden, wurde von ihm dahingehend, dass es gegen Ende der Regierungszeit von Dr. Najibullah ca. 1 Million Parteimitglieder gegeben habe, sein Militär. Von diesen Personen hätten nicht alle Personen ins Ausland flüchten können, sondern nur jene Personen, die über Macht und finanzielle Mittel verfügt hätten. Die Kinder der ehemaligen Parteimitglieder würden als Söhne von Nichtmuslimen oder als Söhne von Russland bezeichnet und würden nach wie vor bedroht.

Anschließend wurde der für das vorliegende Verfahren bestellte und beeidete Sachverständige, Dr. Sarajuddin RASULI, aufgefordert, auf Grundlage der ihm vorab zur Verfügung gestellten Aktenbestandteile (vgl. OZ 9Z) und den in der mündlichen Verhandlung seitens des Beschwerdeführers und des Zeugen getroffenen Aussagen, zu folgenden Fragen und Themen Stellung zu nehmen:

1. Beurteilung der Ereignisse im Zusammenhang mit dem Großonkel bzw. dem Vater des Beschwerdeführers; nach dem bisherigen Vorbringen handelt es sich bei beiden Verwandten um Mitglieder der Afghanischen Volkspartei, sodass auch der Beschwerdeführer persönlich der Verfolgung und Bedrohung durch die Taliban ausgesetzt war bzw ist.

2. Welchen Gefahren wäre insbesondere der Beschwerdeführer in seiner Provinz Baghlan ausgesetzt gewesen, wenn er sein Heimatland nicht verlassen hätte?

3. Inwiefern waren und sind in Afghanistan verbliebenen Verwandten des Beschwerdeführers (zB Vater, Brüder etc.) einer Gefährdung durch die Taliban aufgrund der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Gründe ausgesetzt?

Situation bei Rückkehr:

4. Ist im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan mit negativen Auswirkungen auf ihn persönlich infolge dieser von ihm vorgebrachten Umstände auch noch heute zu rechnen? Wenn ja, welche negativen Folgen auf die Gesundheit und körperliche Unversehrtheit des Beschwerdeführers wären im Falle seiner Rückkehr nach Baghlan bzw. auch in eine der Großstädte des Landes wie Kabul etc. nicht auszuschließen? Bestehen diese Gefahren (Verfolgung, Körperverletzungen, Tötung) für den Beschwerdeführer trotzdem diese Vorfälle schon einige Jahre zurückliegen? Wie wahrscheinlich ist es, dass der Beschwerdeführer noch heute von den Taliban gefunden und attackiert werden würde?

5. Wie gut funktioniert der afghanische Sicherheitsapparat allgemein und in Kabul im Besonderen? Wie sicher ist die Provinz Baghlan oder die Hauptstadt Kabul allgemein? Wäre der afghanische Sicherheitsapparat aktuell in der Lage (in Baghlan, in Kabul etc. bzw. allg. in Afghanistan) etwaige auftretende Bedrohungen zB durch die Taliban effektiv vom Beschwerdeführer fern zu halten bzw. ihn davor zu schützen? Wie wahrscheinlich ist es, dass die staatlichen afghanischen Behörden im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers in der Lage sind, ihn vor Nachteilen, zB vor einer Verfolgung durch die Taliban zu schützen?

6. Sind negative Folgen auf die Gesundheit und körperliche Unversehrtheit des Beschwerdeführers auszuschließen? Wenn nein, mit welchen Gefährdungen und Nachteilen hätte der Beschwerdeführer in seinem Heimatland zu rechnen? Wie hoch schätzen sie die Wahrscheinlichkeit des Eintritts dieser Nachteile beim Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr ein (Prognose ex ante aufgrund der vorliegenden Informationen?

7. Könnte der Beschwerdeführer aufgrund der aktuellen Lage bei einer Rückkehr in Afghanistan generell, bzw. in seiner Heimatprovinz Baghlan oder in der Hauptstadt Kabul bzw. in eine andere afghanische Großstadt, ohne Familienanschluss Fuß fassen und selbst ausreichend für den notwendigen Lebensunterhalt sorgen dh sich eine Arbeit und eine Wohnmöglichkeit erfolgreich suchen?

8. Wäre der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr auf sich allein gestellt oder könnte er mit der Unterstützung seiner noch im Heimatdorf verbliebenen Familienangehörigen rechnen?

Das vom Sachverständigen zur Protokoll gegebene Gutachten lautet wie folgt:

"Zu 1.):

Die Angaben des Großonkels des BF waren spontan und authentisch. Der Großonkel war in Baghlan als Khad-Offizier und Kommandant ein bedeutender Anführer der Kommunistischen Partei und des Kommunistischen Staates (siehe betreffend KHAD-Strukturen: http://www.refworld.org/pdfid/482947db2.pdf ). Er und seine Brüder und Cousins haben in Einsätzen gegen die Mujaheddin bzw. gegen Andersdenkenden, den Tod von vielen Menschen verursacht und dadurch auch Todfeindschaften hinterlassen. Das war der Grund, warum sich der hier anwesende Großonkel des BF nach dem Sturz des Kommunistischen Regimes in den Herrschaftsbereich von Dostum, einem ehemaligen Milizenführer der Kommunisten, der den Nordwesten Afghanistans auch nach dem Sturz des Kommunistischen Regimes bis zur Ankunft der Taliban 1997 in Baghlan, beherrscht hat, begeben und auch dort für Dostum Dienst geleistet und schließlich das Land verlassen hat. Herr XXXX, der Großonkel des BF, hat heute authentisch seine Karriere und die Karriere seiner Brüder, wie sie zur Kommunistischen Partei und zum Staat gekommen sind, den damaligen Verhältnissen entsprechend, wiedergegeben. Seine Angaben, dass es in Khelagi seinerzeit Kriege zwischen Mujaheddin und Kommunisten gab, entsprechen den Tatsachen, weil besonders in Khelagi ein sowjetische Militärstützpunkt stationiert war, von dem aus die sowjetische Armee in Afghanistan den Paramilitärischen Truppen des Kommunistischen Staates, wie dem KhAD, zu Hilfe gekommen ist und sie dabei unterstützt hat, kriegerische Auseinandersetzungen gegen die Mujaheddin zu führen. Bei diesen kriegerischen Auseinandersetzungen oder Verfolgungen von Personen seitens der Kommunistischen Funktionäre und des Militärs ist es zu persönlichen Konflikten gekommen, weil bestimmte kommunistische Offiziere oder Kommandanten auch aus persönlichen Gründen Personen, die seinerzeit dem kommunistischen Staat unterlegen waren, geschädigt haben. Ich gehe davon aus, dass die Familie des BF, Personen auch aus ihrer Nachbarschaft soweit geschädigt hat, dass sie den Tod gefunden haben. Die Einsatzorte, des Großonkels, des Großvaters und des Vaters des BF, wurden von seinem Großonkel heute den Tatsachen und der Geographie Baghlans entsprechend, wiedergegeben.

Die Kommunisten werden allgemein in Afghanistan nicht verfolgt. Die Hälfte der afghanischen Offiziere sind ehemalige kommunistische Offiziere. Tausende zivile Beamte und Lehrer stammen aus der Zeit der Kommunisten. Nur jene Kommunisten, die wie die Mitglieder der Familie des BF, aktiv an kriegerischen Auseinandersetzungen und der Durchsetzung des kommunistischen Programms beteiligt waren, und dabei durch ihre Amtshandlungen, Menschen geschädigt haben, müssen mit Racheakten von Familienmitglieder ihrer Opfer rechnen. Solche Kommunisten und Mitglieder ihrer Familie, wenn sie noch in Afghanistan sind, versuchen möglichst bewaffnet zu sein und möglichst einen Job in einem Sicherheitsapparat des Staates zu bekommen, um sich und ihre Familienmitglieder vor den Angriffen ihrer Feinde zu schützen. Viele solcher ehemaligen Kommunisten und kommunistische Militärs versuchen in Afghanistan zu bleiben, weil sie ihre Familienmitglieder aus finanziellen Gründen nicht in das Ausland mitnehmen können oder sie auf ihr Eigentum, wie Grundstücke und Haus in Afghanistan, auf keinen Fall verzichten wollen und dafür nehmen sie auch den eigenen Tod in Kauf. Die Angaben des Großonkels des BF zum Verbleib des Vaters des BF in Afghanistan entsprechen diesen Tatsachen. Die Taliban und die Mujaheddin verfolgen die Kommunisten nicht, aber wenn die Kommunisten im Rahmen des derzeitigen Staates gegen die Taliban im Einsatz sind oder sie mit den Ausländern arbeiten, wird ihre Vergangenheit für die Taliban eine Rolle spielen, weil sie dann diese strafen wollen. In diesem Fall wird diesen Personen von den Taliban auch vorgeworfen, dass sie Kommunisten gewesen seien. Die Mujaheddin verfolgen die Kommunisten nicht. Die Kommunisten haben sich mit den Mujaheddin arrangiert und sich großteils während der Taliban-Herrschaft bis 2001 auf die Seite der Mujaheddin geschlagen und diese unterstützt. Der jetzige Innenminister, Ulumi (Beilage 1), ist der ehemalige Generalgouverneur und militärische Chef der Zone Süden mit dem Sitz Kandahar während der kommunistischen Zeit.

Zu 2. und 3 und 4:

Ausgehend von den obigen Ausführungen gehört der BF zum Mitglied einer Konfliktfamilie und gehört zu den potentiell gefährdeten Personen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass er von den Feinden seines Vaters und seines Großonkels bzw. Großvaters, die den Tod von vielen Personen verursacht haben, verfolgt und geschädigt wird. Nach den Angaben des BF, aber auch seines Großonkels, sind alle Familienmitglieder, einschließlich des Vaters des BF, weiterhin bewaffnet und ohne Waffen ist es in der paschtunischen Gesellschaft für die Mitglieder einer Familie, die Todfeinde haben, nicht möglich, längerfristig ohne Schaden davonzukommen.

An sich werden die Mitglieder der Familie des BF nicht von den Taliban verfolgt. Es sei denn, dass in der Reihe der Taliban Personen kämpfen, die Tote zu beklagen haben und deren Tod auf die Amtshandlungen der Großonkel und auf den Vater des BF zurückzuführen sind.

Wenn die Familienmitglieder von Opfern des Großonkels und des Vaters des BF sich in Kabul oder anderswo befinden, und davon erfahren, dass ein Mitglied der Täterfamilie dort anwesend ist, werden sie sich rächen, wenn sie die Sicherheit haben, dass sie von den Sicherheitskräften nicht erwischt werden und dass ihre Gegner schwächer als sie selbst sind. Besonders bei Paschtunen verjährt eine Todfeindschaft nicht, solange der Konflikt nach der paschtunischen Tradition nicht zur Zufriedenheit der Opferfamilie beigelegt worden ist.

Zu 5. und 6:

Derzeit gibt es in mindestens 25 Provinzen des Landes militärische Auseinandersetzungen zwischen den Taliban und den afghanischen Sicherheitskräften. Ausgenommen der Großstädte wie Kabul, Herat, Jalalabad, Mazar-e Sharif, sind alle Provinzen sehr unsicher und die Sicherheitskräfte sind damit beschäftigt, sich selbst und die Sicherheit einer Stadt, die von ihnen kontrolliert wird, zu schützen und sie sind nicht in der Lage, die einzelnen Personen, die in Verfolgungen durch die Taliban oder ihre Feinde geraten, zu schützen. Baghlan gehört zu den unsichersten Provinzen des Landes und in den dörflichen Gegenden ist die Behörde nicht anwesend und sie ist den Taliban unterlegen.

Wie ich oben erwähnt habe, gehört der BF auf Grund der Amtshandlungen seines Großonkels und seines Vaters in der kommunistischen Zeit, wodurch bestimmte Menschen schwer geschädigt worden sind, zu potentiell gefährdeten Personen und ich schließe nicht aus, dass er auch Zielscheibe der Feinde seines Vaters und seiner Großonkel werden könnte.

Zu 7.: und 8:

Der Vater des BF ist in Afghanistan, aber sein Großonkel ist nicht mehr dort und auch deren Brüder haben sich auch vor Jahren ins Ausland begeben. Wenn er zurückkehrt, müsste er mit seinem Vater bewaffnet am täglichen Leben teilnehmen und das Risiko eingehen, weiterhin einer potentiell gefährdeten Person zu bleiben. Die Existenz eines Familienrückhaltes im Falle einer potentiell von Todfeindschaften ihrer Familie betroffenen Person würde ihm wenig nützen, da er weiterhin zum Mitglied einer Konfliktfamilie zählt und potentiell gefährdet ist.

Zum Schluss möchte ich ausführen, dass der BF und der Zeuge miteinander verwandt sind, sie stammen aus Khelagei in der Provinz Baghlan. Ich möchte auch hiermit die berufliche Identität seines Großonkels betätigen. Er war in Nordafghanistan ein bedeutender kommunistischer Khad (= Staatssicherheitsdienst)- und Polizeioffizier, der gegen die Mujaheddin Kriege geführt und diese auch befehligt hat.

Diese Ausführungen sind auf meine persönliche Beobachtungen während meiner Forschungsreisen nach Afghanistan zurückzuführen. Ich bereise Afghanistan jedes Jahr zwei Mal. Ich bin von 2002 bis 2014 jedes Jahr auch nach Nord-Afghanistan gereist und dieser Reiseweg führt über Kelagei/Baghlan. Im Jahre 2015 war ich in Kabul und Mazar-e Sharif und konnte aus Sicherheitsgründen nicht nach Baghlan. Aber ich habe dort Kontaktpersonen, die mich über die aktuelle Lage von Baghlan ständig informieren."

2. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

2.1. Getroffene Feststellungen:

Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, basierend auf den Anträgen auf die Gewährung von internationalem Schutz vom 19.08.2013, auf der Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt am 27.05.2013, der vorliegenden Beschwerde, der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt sowie auf Grundlage der vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung am 15.01.2016 vom folgenden, für die Entscheidung maßgeblichen, Sachverhalt aus:

2.1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seiner Familie:

Der volljährige Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, ledig, sunnitischen Moslem und gehört der Volksgruppe der Paschtunen an. Er stammt aus der Provinz Baghlan, Distrikt Doshi, dem Dorf XXXX in Khelagai. Er hat in seiner Heimat ca. 3 Jahre lang die Schule besucht und auf den der Familie gehörigen Grundstücken in der Landwirtschaft mitgearbeitet, bevor er vor ca. 9 Jahren Afghanistan verlassen hat und nach mehrjährigen Aufenthalten im Iran und in Griechenland illegal 2012 in Österreich eingereist ist. Er ist strafrechtlich unbescholten und hält aktuell, wenn auch in geringem Umfang, telefonischen Kontakt zu seinen in Afghanistan verbliebenen Eltern.

Die Eltern und der jüngste Bruder des Beschwerdeführers wohnen bis heute in XXXX in der Provinz Baghlan, wo der Vater die, zuvor dem bereits verstorbenen Großvater und bis heute zum Teil dem Großonkel des Beschwerdeführers gehörigen Grundstücke bewirtschaftet. Seine Brüder haben, wie sein Großonkel, XXXX, Afghanistan bereits zum Teil vor mehr als 10 Jahren verlassen und leben entweder im Iran, in Pakistan, in der Türkei oder in Österreich. Aufgrund der angespannten finanziellen Situation der in XXXX verbliebenen Eltern, werden diese von den im Ausland arbeitenden Brüdern des Beschwerdeführers unterstützt.

Sowohl der Vater, als auch der Großvater und insbesondere der Großonkel, Sayed, des Beschwerdeführers haben sich - wie auch die übrigen zur damaligen Zeit lebenden männlichen Mitglieder der Familie des Beschwerdeführers - ab Oktober 1963 und in den folgenden Jahren der Volksdemokratischen Partei Afghanistans angeschlossen und waren seitdem in verschiedenen Funktionen, meist als einfache Soldaten, aber auch als Übergangskommandeur, Offizier oder Kommandeur bis zum Ende des kommunistischen Regimes und darüber hinaus für die Regierung gearbeitet. Während der Besetzung Afghanistans durch die Sowjetunion waren bei der Armee sowohl der bereits vor der Geburt des Beschwerdeführers verstorbene Großvater, XXXX, sein Vater, XXXX (auch XXXX), sowie mehrere, bereits ebenfalls im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen den Kommunisten und den Mudschaheddins zu Tode gekommene weitere Familienmitglieder, nämlich der zweite Großonkel, XXXX und der Onkel, XXXX, jeweils väterlicherseits sowie vier Großneffen des Beschwerdeführers mit Namen XXXX, XXXX, XXXX und XXXX.

Da im Zuge der Kämpfe sowohl auf Seiten der Regierungstruppen, den die Familienmitglieder des Beschwerdeführers angehörten, als auch auf Seiten von deren Gegnern viele Personen getötet wurden, machen seither die Angehörigen der getöteten Regierungsgegner insbesondere den Großonkel des Beschwerdeführers, aber auch die übrigen männlichen Mitglieder der Familie des Beschwerdeführers, wie zum Beispiel seinen Vater, für den Tod ihrer Familienmitglieder verantwortlich. Dies unter anderem deshalb, weil der Großonkel, Sayed, während 1964 bis zu seiner Ausreise 2007 mit den Kommunisten bzw. deren Nachfolgern zusammen gearbeitet und in deren Namen zahlreiche Kampfhandlungen angeführt hat. XXXX, der 1964 der Kommunistischen Partei beigetreten ist, hat nicht nur ab 1979 nach dem Einmarsch der Sowjetunion als "Dorfschützer" für die Sicherheit in Khegalei gesorgt und später ab 1983 für ca. 5 Jahre beim 5. Präsidium des KhADs im Bereich der Bekämpfung regierungsfeindlicher Banden gearbeitet, sondern er kommandierte ab 1989 ein "polizeiliches" Regiment und schloss sich, nach der Übernahme der Macht durch die Mudschaheddins dem kommunistischen Milizenführer, Dostum und der Jonbesh-Partei an. Er gilt bis heute als "Anführer" und es wird ihm, aber auch den übrigen männlichen Mitglieder seiner Familie - wie insbesondere der Beschwerdeführer - die Schuld am Tod von zahlreichen Regierungsgegner gegeben, welche ihr Leben im Verlauf von, dem Großonkel des Beschwerdeführers zuzurechnenden Amtshandlungen verloren haben. Zu den persönlichen Feinden des Beschwerdeführers und seiner übrigen, noch lebenden männlichen Familienmitgliedern sind demnach jene Angehörigen zu zählen, deren Verwandte im Zuge der damaligen Kampfhandlungen den Tod fanden. Diese daher entstandene und sich grundsätzlich gegen alle in Afghanistan befindliche männliche Mitglieder der Familie des Beschwerdeführers gerichtete Feindschaft, kam gegenüber dem Beschwerdeführer bereits zum Ausdruck, als er vor seiner Ausreise aus Afghanistan von den Taliban verschleppt, für ca. 1 Monat festgehalten und dabei auch misshandelt wurde. Es ist somit nicht auszuschließen, dass der Beschwerdeführer als leiblicher Sohn des Bruders des XXXX, welcher von vielen Bewohnern Baghlans bzw. der Heimatregion des Beschwerdeführers als primär Verantwortlicher für den Tod von vielen Menschen während des kommunistischen Regimes wahrgenommen wird, allein aufgrund seiner Familienzugehörigkeit, im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland - so wie im Übrigen auch sein dort verbliebener Vater - mit dem Leben bedroht oder einer solchen Verfolgung gleichzuhaltenden unmenschlichen Behandlung ausgesetzt ist.

2.1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:

2.1.2.1. Allgemeines zu Afghanistan:

Die Islamische Republik Afghanistan liegt in Zentralasien, grenzend an Turkmenistan, Tadschikistan, Usbekistan (im Norden), China und Pakistan (im Osten und Süden), Iran (im Westen). Die Fläche beträgt 652.000 km2, die Einwohnerzahl 30,6 Millionen (geschätzt 2013). 23% der Bewohner leben in Städten (geschätzt 2011). Ethnische Aufteilung der Bevölkerung (geschätzt 2011): Paschtunen ca. 42%, Tadschiken ca. 27%, Hazara und Usbeken je ca. 9%, zahlreiche kleinere ethnische Gruppen (Aimak ca. 4%, Turkmenen ca. 3%, Baluchi 2%, sowie Nuristani und andere). Bevölkerungswachstum: 2,2% (geschätzt 2013).

Durchschnittsalter der Bevölkerung: 18,2 Jahre (geschätzt 2011). 42,3% der Bevölkerung sind jünger als 15; nur 2,5% sind über 64. Geburtenrate 37,8 pro 1000 Einwohner (geschätzt 2014). Die Hauptstadt ist Kabul und hat ca 4,5 Millionen Einwohner (geschätzt 2011).

Es gibt zwei offizielle Landessprachen: Dari (50%) und Paschtu (35%); daneben Turksprachen (insb. Usbekisch und Turkmenisch) 11% und zahlreiche weitere Sprachen. Viele Bürger sind zweisprachig.

99% der Bevölkerung sind Muslime (80% Sunniten und 19% Schiiten), 1% der Bevölkerung sind sonstigen Religionsbekenntnisses (geschätzt 2012).

Staatsoberhaupt und Regierungschef ist Mohammad Ashraf Ghani, Regierungsvorsitzender (CEO): Abdullah Abdullah (beide seit 29. September 2014 im Amt). Der Präsident und zwei Vizepräsidenten werden auf fünf Jahre vom Volk direkt gewählt (Wiederwahl nur für eine weitere Amtszeit möglich). Wenn kein Kandidat im ersten Wahlgang mind. 50% der Stimmen erreicht, müssen die beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen in einer Stichwahl gegeneinander antreten.

Das Parlament ("Nationalversammlung") besteht aus zwei Kammern: das Unterhaus oder Volksvertretung ("Wolesi Jirga") mit 249 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat ("Meshrano Jirga") mit 102 Abgeordneten. Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt.

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Provinzgouverneure und Distriktchefs werden von der Zentralregierung ernannt. Jede Provinz verfügt über einen Provinzrat. Die letzten Provinzratswahlen fanden zeitgleich mit der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am 05.04.2014 statt, das Ergebnis wurde am 25.10.2014 verkündet. Unter den 458 gewählten Provinzräten sind auch 97 Frauen. Damit wurde die gesetzlich verankerte Zwanzig-Prozent-Quote leicht übertroffen.

(Auswärtiges Amt (www.auswaertiges-amt.de ) Länderinformation, Afghanistan, Stand August 2015)

Zu Beginn dieses Jahres hatten die afghanischen Sicherheitskräfte die volle Verantwortung für die Sicherheit ihres Landes übernommen - die internationale ISAF-Mission (Internationalen Schutz- und Unterstützungstruppe) war nach mehr als einem Jahrzehnt zu Ende gegangen. Nach dem Ende von ISAF bleibt die Sicherheitslage in vielen Teilen des Landes instabil, und regierungsfeindliche Kräfte bleiben teilweise handlungsfähig. Doch die Afghanischen Nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) werden immer besser und kompetenter. Sie haben die Sicherheitsverantwortung vollständig übernommen. Im Januar 2015 hat die NATO 'Resolute Support Mission' (RSM) begonnen, deren Schwerpunkt auf der Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen Entscheidungsträger liegt.

Drei große internationale Konferenzen in den Jahren 2011 und 2012 waren dem Engagement der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan gewidmet. Auf den Konferenzen in Bonn (Dezember 2011), Chicago (Mai 2012) und Tokio (Juli 2012) erhielt Afghanistan Klarheit über die zivile und militärische Unterstützung vonseiten der internationalen Gemeinschaft. Neu war in Tokio die Vereinbarung gegenseitiger Rechenschaftspflichten. Diese sind im so genannten "Tokyo Mutual Accountability Framework" (TMAF) niedergelegt. Damit sind die Reformschritte der afghanischen Regierung anhand festgelegter Ziele und Kriterien überprüfbar. Dazu gehört vor allem auch der Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität. Die Erfüllung der Kriterien ist die Voraussetzung für die Einhaltung des Versprechens der internationalen Gemeinschaft, Afghanistan auch im Jahrzehnt nach 2014 mit zivilen Unterstützungsleistungen zur Seite zu stehen. Die Reformfortschritte werden im Dialog zwischen der afghanischen Regierung und den Geberstaaten regelmäßig überprüft; die letzte förmliche Überprüfung fand am 29.01.2014 statt. Dieses Treffen zeigte, dass Afghanistan insgesamt auf einem guten Weg ist, Reformen jedoch mit mehr Nachdruck verfolgen muss. Diese Sichtweise wurde auch auf der Londoner Afghanistan-Konferenz Anfang Dezember 2014 bestätigt. Die neue afghanische Regierung legte hier ein entsprechendes Arbeitspapier vor. Außerdem wurde die Neuauflage des "Tokyo Mutual Accountability Framework" (TMAF) im Herbst 2015 vereinbart.

(Auswärtiges Amt (www.auswaertiges-amt.de ) "Wie geht es weiter in Afghanistan", Stand 04.03.2015)

2.1.2.2. Kurzer Überblick zu aktuellen Entwicklungen der Sicherheitslage:

Sicherheitslage

Die Lage ist unverändert. Erneut kam es zu gezielten Übergriffen auf Vertreter der Regierung, Bombenanschlägen sowie Kämpfen zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften.

Kampfhandlungen

Am 15.09.15 starteten die Sicherheitskräfte eine Operation zur Sicherung des Kabul-Jalalabad Highways. Auf dieser viel befahrenen Strecke kommt es häufig zu Überfällen und Entführungen. In der Provinz Paktia (Südosten) kamen bei Kämpfen zwischen Sicherheitskräften und Taliban am 16.09.15 mindestens neun Zivi-listen ums Leben. In der südlichen Provinz Uruzgan griffen Hunderte von Taliban-Kämpfern zwei Distriktshauptstädte an. In der Provinz Nangarhar (Osten) läuft eine Militäroperation gegen Kämpfer des "Islamischen Staates" (IS). Diese sollen Einwohner des Distrikts Achin aus ihren Häusern vertrieben haben. Einwohner des Distrikts Deh Yak der südöstlichen Provinz Ghazni wurden am 20.09.15 von den Taliban aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen, um nicht ins Kreuzfeuer zu geraten. Weitere Kämpfe gab es in Helmand (Süden), Farah (Westen), Kunar (Osten), Badakhshan (Nordosten).

Gezielte Angriffe

Am 15.09.15 starben in der Provinz Ghazni (Südosten) mindestens fünf Zivilisten und ein Soldat, als Tali-ban das Feuer auf ein Fahrzeug eröffneten, in dem neben zwei Soldaten auch mehrere Zivilisten saßen. Am gleichen Tag starben mindestens zwei Zivilisten bei einem Bombenanschlag auf einem Markt in der zentral-afghanischen Provinz Kapisa. Am 16.09.15 verübte ein Selbstmordattentäter einen Anschlag auf die Polizei-station in Paghman, einem Vorort Kabuls, und tötete mindestens vier Menschen, darunter einen ranghohen Polizeioffizier. Über 40 Personen wurden verletzt. Ebenfalls am 16.09.15 starben vier Polizisten in Balkh (Norden) als ihr Fahrzeug auf eine versteckte Bombe fuhr. In der südlichen Provinz Uruzgan wurde am 16.09.15 ein Stammesältester von Taliban angegriffen und verletzt. Am 17.09.15 starb in Kandahar (Süden) ein Zivilist bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi ausländischer Soldaten. In der südlichen Provinz Uruzgan wurden am 17.09.15 bei einem Angriff der Taliban auf den Polizeichef eines Distrikts ein Polizist getötet und vier weitere verwundet. Am gleichen Tag starb bei einem Hinterhalt der Taliban ein Student, vier weitere wurden verletzt. Am 18.09.15 starben im Distrikt Khak-i-Jabbar der Provinz Kabul vier Zivilisten als ihr Auto auf einen an der Straße versteckten Sprengsatz fuhr, sieben weitere Zivilisten wurden verletzt. Am 19.05.15 wurden in der Provinz Herat (Westen) die Leichen von vier Arbeitern einer Telekommunikations-firma gefunden. Die Männer waren zuvor von Taliban entführt worden. In Asadabad (Hauptstadt der östli-chen Provinz Kunar) starben am 20.09.15 mindestens 28 Zivilisten bei einem Bombenanschlag. Bei einem Selbstmordanschlag in Kandahar (Süden) kamen am gleichen Tag zwei weitere Zivilisten ums Leben.

Schließung von Schulen in Nangarhar

Anhänger des IS erzwangen in den vergangenen Wochen die Schließung von 57 Schulen in den Distrikten Achin, Kot und Dih Bala der östlichen Provinz Nangarhar. Etwa 30.000 Kinder sollen hiervon betroffen sein.

(Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Gruppe 22 - Informationszentrum Asyl und Migration, Briefing Notes Afghanistan, vom 21. September 2015)

2.1.2.3. Sicherheitslage Allgemein:

Wie der UNO-Generalsekretär in seinem Bericht vom Februar 2015 anführt, hat die UNO im Zeitraum vom 16. November 2014 bis 15. Februar 2015 insgesamt 5.075 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet. Dies stellt einen Anstieg um 10,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum und einen Anstieg um 33,2 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum zwei Jahre vorher dar. Der weiterhin hohe Level bei der Zahl der Sicherheitsvorfälle wird teilweise auf eine Zunahme der Aktivitäten regierungsfeindlicher Elemente, vor allem im November und Dezember 2014, zurückgeführt. Laut dem Bericht verzeichnete der Zeitraum Dezember 2014/Jänner 2015 im Vergleich zum gleichen Zeitraum in jedem Jahr seit 2001 die größte Zahl an Sicherheitsvorfällen. Dies wird zum Teil auf den relativ milden Winter zurückgeführt, der allen Konfliktparteien ermöglicht hat, weiterhin Operationen durchzuführen. (UNGA, 27. Februar 2015, S. 4)

Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) geht in einem Artikel vom April 2015 auf einen UNAMA-Bericht ein, dem zufolge in den ersten drei Monaten des Jahres 2015 eine Rekordzahl an afghanischen ZivilistInnen bei Bodenkämpfen getötet wurde. Die Zahl der bei Bodenkämpfen Getöteten oder Verletzten stieg im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um acht Prozent an. Die Gesamtzahl der zivilen Opfer ging allerdings um zwei Prozent zurück. Insgesamt wurden im ersten Jahresviertel 655 ZivilistInnen getötet und 1.155 verletzt. (RFE/RL, 12. April 2015)

Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts Network (AAN) schreibt in einem Artikel vom Mai 2015, dass sich die Intensität der Kämpfe in Afghanistan in einem Anstieg der Opferzahlen widerspiegelt. Laut US-amerikanischen und afghanischen BeamtInnen sei die Zahl der verletzten oder getöteten Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte in den ersten 15 Wochen des Jahres 2015 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 70 Prozent angestiegen. (Ruttig, 3. Mai 2015)

Der UNO-Generalsekretär erwähnt in seinem Bericht vom Juni 2015, dass die UNO im Zeitraum vom 15. Februar bis zum 30. April 2015 insgesamt 5.033 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet hat. Dies stellt einen sechsprozentigen Anstieg gegenüber demselben Zeitraum im Vorjahr und einen 45-prozentigen Anstieg im Vergleich zum selben Zeitraum im Jahr 2013 dar. Die Mehrheit der Vorfälle (71 Prozent) ereignete sich weiterhin in den südlichen, südöstlichen und östlichen Regionen. Die nördlichen und nordöstlichen Regionen verzeichneten einen zwölfprozentigen Anstieg bei der Zahl der Sicherheitsvorfälle im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. (UNGA, 10. Juni 2015, S. 4)

Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UN Assistance Mission in Afghanistan, UNAMA) führt in ihrem Halbjahresbericht zum Schutz von ZivilistInnen im bewaffneten Konflikt vom August 2015 an, dass sie im Zeitraum vom 1. Jänner bis 30. Juni 2015 insgesamt 4.921 zivile Opfer dokumentiert hat (1.592 Getötete und 3.329 Verletzte), was im Vergleich zum Vorjahreszeitraum einen sechsprozentigen Rückgang bei den getöteten und einen vierprozentigen Anstieg bei den verletzten ZivilistInnen darstellt. Die Zahl der zivilen Opfer in den ersten sechs Monaten des Jahres 2015 liegt höher als im gleichen Zeitraum in vorangegangenen Jahren. Im Zeitraum von 1. Jänner 2009 bis 30. Juni 2015 hat die UNAMA insgesamt 52.653 zivile Opfer (19.368 Getötete und 33.285 Verletzte) dokumentiert. Laut der UNAMA ist der Anstieg der Zahl ziviler Opfer im ersten Halbjahr 2015 vor allem auf eine Zunahme komplexer Angriffe und Selbstmordabschläge sowie eine Zunahme von gezielten Tötungen zurückzuführen. Für 70 Prozent der zivilen Opfer waren der UNAMA zufolge regierungsfeindliche Elemente, für 16 Prozent regierungstreue Kräfte und für zehn Prozent Bodenkämpfe zwischen regierungsfeindlichen Elementen und afghanischen Sicherheitskräften verantwortlich. Die restlichen vier Prozent wurden auf explosive Kampfmittelrückstände zurückgeführt. (UNAMA, August 2015, S. 1-2)

(ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan & Chronologie für Kabul, letzte Aktualisierung 31. August 2015

http://www.ecoi.net/news/188769::afghanistan/101.allgemeine-sicherheitslage-in-afghanistan-chronologie-fuer-kabul.htm )

2.1.2.4. Die Sicherheitslage in Kabul:

Mitte Dezember 2014 erwähnt AFP, dass die Taliban im Vorfeld des Abzugs des Großteils der ausländischen Truppen ihre Angriffe in und um die afghanische Hauptstadt intensiviert haben (RFE/RL, http://www.rferl.org/ , Radio Free Europe/Radio Liberty, 13. Dezember 2014).

Der UNO-Generalsekretär erwähnt in seinem Bericht vom Februar 2015, dass in Kabul im Jahr 2014 insgesamt 31 Selbstmordanschläge verzeichnet wurden. Im Jahr 2013 waren es noch 18 (UNGA, http://www.un.org/ga , 27. Februar 2015, S. 4). Derselbe Bericht führt an, dass nach einem Anstieg der aufständischen Aktivitäten in Kabul während der Monate Oktober und November 2014 Operationen der afghanischen Sicherheitskräfte, mit Unterstützung durch die internationalen Truppen, zu einer Reduzierung der Zahl öffentlichkeitswirksamer Operationen der Aufständischen in der Hauptstadt geführt haben. So wurde die Zahl der Selbstmordanschläge von zehn im Zeitraum Oktober/November 2014 auf fünf während des Zeitraums Dezember 2014/Jänner 2015 verringert. Ein Rückgang wurde auch bei der Zahl der Angriffe mit unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen verzeichnet (von 18 im Zeitraum Oktober/November 2014 auf fünf im Dezember 2014 und zwei im Jänner 2015) (UNGA, 27. Februar 2015, S. 5).

Die UNAMA erwähnt in ihrem Halbjahresbericht vom August 2015 (Berichtszeitraum 1. Jänner bis 30. Juni 2015), dass Selbstmordanschläge und komplexe Angriffe in Städten einen extrem großen Schaden ("extreme harm") verursacht haben, vor allem in den Städten Kabul, Laschkar Gah und Dschalalabad. In Kabul wurden bei zwölf Vorfällen 42 ZivilistInnen getötet und 260 weitere verletzt. (UNAMA, http://unama.unmissions.org/ , August 2015, S. 49)

2.1.2.4.1. Sicherheitsrelevante Ereignisse in Kabul seit Jänner 2015:

AUGUST 2015

Am 22. August wurden bei einem Selbstmordanschlag auf einen NATO-Konvoi unweit eines Kabuler Krankenhauses zwölf Personen getötet und mindestens 60 weitere verletzt. Bei dem Angriff wurden drei US-amerikanische Mitarbeiter des US-Unternehmens DynCorp International getötet, bei den meisten Opfern handelt es sich allerdings um afghanische ZivilistInnen. (RFE/RL, 23. August 2015)

Am 10. August ereignete sich Behördenangaben zufolge ein Selbstmordanschlag auf einen Kontrollposten vor dem Kabuler Flughafen, bei dem sieben ZivilistInnen getötet wurden. Einem Vertreter des Innenministeriums zufolge befinden sich sowohl ZivilistInnen als auch Angehörige der Sicherheitskräfte unter den Opfern. (RFE/RL, 10. August 2015)

Am 7. August wurden bei mehreren Bombenexplosionen in Kabul 51 Personen getötet. Es handelte sich damit um den Tag mit den meisten Todesopfern in der afghanischen Hauptstadt seit dem Ende des Kampfeinsatzes der NATO im Dezember 2014 und um die ersten großangelegten Angriffe Aufständischer in Kabul seit der Verkündung des Todes von Taliban-Anführer Mullah Omar.

Bei der ersten Explosion, die sich kurz nach Mitternacht im Zentrum Kabuls unweit einer Militärbasis ereignete, wurden 15 ZivilistInnen getötet und 240 weitere verletzt. Weniger als 24 Stunden später wurden 27 PolizeischülerInnen und ZivilistInnen getötet, als sich ein mit Polizeiuniform bekleideter Selbstmordattentäter vor dem Eingang der Kabuler Polizeiakademie in die Luft sprengte. Auch Camp Integrity, eine Basis US-amerikanischer Spezialkräfte, wurde zum Ziel eines Angriffs. Bei dem Angriff auf die Basis wurden neun Personen getötet, darunter ein NATO-Soldat. Die Taliban haben sich, wie meistens, wenn viele ZivilistInnen zu den Opfern zählen, vom ersten Bombenangriff distanziert, sich jedoch zu den beiden anderen Angriffen bekannt. (AFP, Agence France-Presse, http://reliefweb.int/report/afghanistan/51-dead-hundreds-wounded-lethal-wave-kabul-bombings , 8. August 2015)

JULI 2015

Am 16. Juli wurden bei einem Bombenanschlag auf ein Polizeifahrzeug in Kabul zwei ZivilistInnen verletzt (BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Deutschland, 20. Juli 2015, S. 1).

Am 13. Juli berichtet RFE/RL, dass in Kabul zwei unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen unmittelbar hintereinander explodiert sind. Bei den Explosionen wurde niemand verletzt. (RFE/RL, 13. Juli 2015)

Am 7. Juli haben Bewaffnete ein Gebäude in einem Gebiet, das sich unweit einer Einrichtung des afghanischen Geheimdienstes befindet, gestürmt. Der Vorfall ereignete sich nur Stunden nachdem ein Selbstmordattentäter einen NATO-Konvoi angegriffen hatte. Bei dem Selbstmordanschlag, zu dem sich die Taliban bekannten, waren laut Polizeiangaben drei Personen verletzt worden, darunter mindestens ein(e) ZivilistIn. (RFE/RL, 7. Juli 2015)

JUNI 2015

Am 30. Juni ereignete sich ein Selbstmordanschlag auf einen NATO-Konvoi auf der Kabuler Flughafenstraße, unweit der US-amerikanischen Botschaft. Laut Angaben des Innenministeriums wurden bei dem Anschlag, zu dem sich die Taliban bekannten, mindestens ein(e) ZivilistIn getötet und 19 weitere verletzt. (RFE/RL, 30. Juni 2015)

Am 22. Juni berichtet BBC News, dass laut Angaben des Innenministeriums ein koordinierter Taliban-Angriff auf das afghanische Parlament in Kabul mit der Tötung aller sechs Angreifer geendet hat. Die Angreifer hatten zuvor eine Autobombe gezündet, das Parlamentsgelände gestürmt und ein Gebäude neben dem Parlament eingenommen. Berichten zufolge wurden bei dem Angriff mindestens 18 Personen verletzt (BBC News, 22. Juni 2015).

AFP schreibt über denselben Vorfall, dass laut Angaben der Polizei bzw. des Gesundheitsministeriums zwei ZivilistInnen, ein Kind und eine Frau, getötet und 31 weitere Personen verletzt wurden. Dem stellvertretenden Sprecher des Innenministeriums zufolge wurde der Angriff von sieben Bewaffneten verübt (AFP, 22. Juni 2015).

MAI 2015

Am frühen Morgen des 27. Mai endete laut Angaben des stellvertretenden Innenministers ein mehrstündiges Feuergefecht mit Aufständischen, die ein Gästehaus im diplomatischen Viertel angegriffen hatten, mit dem Tod der vier Angreifer. Bei dem Angriff, zu dem sich die Taliban bekannten, wurde niemand verletzt oder getötet, da es der Polizei anscheinend gelungen war, die Aufständischen vor Erreichen des Gästehauses zu stoppen. Laut Angaben aus afghanischen und westlichen Sicherheitskreisen handelte es sich bei dem angegriffenen Gästehaus um das Rabbani-Gästehaus, einem Hotel, das der Familie des früheren Präsidenten und derzeitigen Außenministers Afghanistans Salahuddin Rabbni gehört. Das Rabbani-Gästehaus, auch als Hotel Heetal bekannt, ist bei AusländerInnen beliebt. (RFE/RL, 27. Mai 2015)

Am 19. Mai wurden bei einer Explosion in der Nähe eines belebten Einkaufsviertels mindestens fünf Personen getötet. Laut Angaben des Sprechers der Kabuler Polizei ereignete sich die Explosion auf dem Parkplatz des Justizministeriums. Die Taliban bekannten sich zu dem Anschlag und gaben an, weitere RichterInnen und Staatsanwälte und Staatsanwältinnen töten zu wollen. (RFE/RL, 19. Mai 2015)

Am 17. Mai ereignete sich in der Nähe des Eingangs des internationalen Flughafens in Kabul ein Selbstmordanschlag, bei dem drei Personen, darunter ein britischer Staatsangehöriger und zwei afghanische Jugendliche, getötet und 18 weitere verletzt wurden. Der Anschlag, zu dem sich die Taliban bekannten, zielte auf ein Fahrzeug der Europäischen Polizeimission. (BBC News, 17. Mai 2015)

Am 14. Mai wurde der oberste Staatsanwalt der Provinz Paktia, Najibullah Sultanzoi, von einem unbekannten Angreifer vor seinem Haus in Kabul erschossen. Die Taliban bekannten sich zu der Tat. (RFE/RL, 15. Mai 2015)

Am 13. Mai ereignete sich ein Angriff auf das Hotel Park Palace, in dem viele AusländerInnen auf den Beginn eines Konzerts warteten. Bei dem Angriff, zu dem sich die Taliban bekannten, wurden 14 Personen, darunter sowohl afghanische ZivilistInnen als auch ausländische StaatsbürgerInnen, getötet. Noch fünf Stunden nach Beginn des Angriffs wurden Schüsse aus der Richtung des im Zentrum Kabuls gelegenen Gästehauses vernommen. Einigen Berichten zufolge befanden sich unter den Toten auch zwei mutmaßliche Angreifer, die laut Polizei erschossen wurden, bevor sie einen Selbstmordanschlag verüben konnten. (BBC News, 14. Mai 2015)

Am 10. Mai wurden bei einem Selbstmordanschlag der Taliban auf einen Bus laut offiziellen Angaben drei Personen getötet und mindestens 16 weitere verletzt. Der Bus transportierte Angestellte der Generalstaatsanwaltschaft von ihrer Arbeit nach Hause. Bei dem Vorfall handelte es sich um den zweiten derartigen Vorfall in Kabul innerhalb einer Woche. (AFP, 10. Mai 2015)

Am 4. Mai ereignete sich ein Selbstmordanschlag auf einen Bus, in dem Angestellte der Generalstaatsanwaltschaft zur Arbeit transportiert wurden. Bei dem Anschlag, zu dem sich die Taliban bekannten, wurden laut offiziellen Angaben ein(e) ZivilistIn getötet und 15 weitere verletzt. (AFP, 4. Mai 2015)

APRIL 2015

Am 10. April wurden laut Polizeiangaben bei einem Selbstmordanschlag auf einen NATO-Konvoi in der Hauptstadt Kabul drei umstehende Personen verletzt. Die Taliban bekannten sich zu dem Anschlag. (RFE/RL, 10. April 2015)

MÄRZ 2015

Am 29. März wurden bei einem Selbstmordanschlag auf einen Parlamentsabgeordneten aus der Provinz Paktia drei Personen getötet. Laut Angaben des Innenministeriums wurden der Parlamentsabgeordnete selbst sowie sieben weitere Personen bei dem Anschlag verletzt. Nach dem Vorfall bekannte sich zunächst niemand zu der Tat. (RFE/RL, 29. März 2015)

Am 25. März berichtet RFE/RL, dass laut offiziellen Angaben mindestens sieben Personen bei einem Selbstmordanschlag im Distrikt Muradkhani, in dem sich der Präsidentenpalast, das Verteidigungsministerium und das Finanzministerium befinden, getötet wurden. Mindestens 22 weitere Personen wurden dem Chef der Kabuler Krankenhäuser zufolge bei dem Anschlag verletzt. (RFE/RL, 25. März 2015)

Am 18. März wurde laut offiziellen Angaben der Polizeichef der Provinz Uruzgan in Kabul durch einen Selbstmordattentäter, der mit einer Burka bekleidet war, getötet. Die Taliban bekannten sich zu dem Anschlag. (RFE/RL, 19. März 2015)

Am 7. März drangen vier bis fünf bewaffnete Angreifer in eine Moschee der Sufi-Minderheit ein und eröffneten das Feuer. Dabei wurden elf Personen getötet. (BBC News, 10. März 2015)

FEBRUAR 2015

Am 26. Februar wurden unweit der iranischen Botschaft bei einem Selbstmordanschlag auf ein türkisches Diplomatenfahrzeug, das zur NATO-Mission gehörte, zwei Personen getötet. Laut Polizeiangaben handelte es sich bei den Getöteten um einen türkischen Staatsbürger und einen afghanischen Passanten. Die Taliban bekannten sich zu dem Anschlag. (AFP, 26. Februar 2015)

Am 17. Februar wurde bei der Explosion einer an einem Fahrzeug befestigten Bombe ein(e) ZivilistIn getötet (RFE/RL, 17. Februar 2015).

JÄNNER 2015

Am 29. Jänner hat ein afghanischer Soldat Berichten zufolge drei US-amerikanische Unternehmer am Militärflughafen von Kabul getötet und eine weitere Person verletzt. Laut Angaben eines Beamten der afghanischen Luftwaffe ist das Motiv für die Tat unklar. (RFE/RL, 29. Jänner 2015)

Am 25. Jänner explodierte am Stadtrand von Kabul ein Lastwagen, der zuvor von der Polizei an der Einfahrt in die Stadt gehindert worden war. Laut Angaben des stellvertretenden Innenministers wurden bei der Explosion, die in der Nähe des Militärflughafens stattfand, zwei Personen verletzt. (RFE/RL, 25. Jänner 2015)

Am 13. Jänner wurden laut Polizeiangaben bei der Explosion einer am Straßenrand platzierten Bombe eine Person getötet und drei weitere verletzt. Einem Polizeisprecher zufolge handelte es sich bei allen Opfern um ZivilistInnen. Die Taliban haben sich zu dem Anschlag bekannt. (RFE/RL, 13. Jänner 2015)

Am 10. Jänner wurde der Trainer der afghanischen Fußball-Nationalmannschaft, Mohammad Yousef Kargar, von Unbekannten mit einem Messer angegriffen und verletzt. Zu dem Vorfall, bei dem es sich um das Resultat eines persönlichen Konflikts handeln könnte, wurde eine Untersuchung eingeleitet. (RFE/RL, 11. Jänner 2015)

Am 5. Jänner ereignete sich offiziellen Angaben zufolge ein Selbstmordanschlag auf ein Fahrzeug der EU-Polizeimission in Kabul, bei dem ein Passant getötet wurde. Der Anschlag war der erste größere Angriff seit Beginn des neuen Jahres, so AFP. (AFP, 5. Jänner 2015)

(ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan & Chronologie für Kabul, letzte Aktualisierung 31. August 2015)

(http://www.ecoi.net/news/188769::afghanistan/101.allgemeine-sicherheitslage-in-afghanistan-chronologie-fuer-kabul.htm )

2.1.2.5. Die Provinz Baghlan

Baghlan liegt im Nordosten Afghanistans und wird als eine der industriellen Provinzen Afghanistans gesehen. Sie ist von strategischer Bedeutung, da sie an sieben weitere Provinzen, inklusive Kabul, angrenzt. Baghlan hat 14 administrative Bezirke, inklusive der Provinzhauptstadt Puli Khumri: Kinjan, Dushi, Banu, Dih Salah, Puli Hisar, Jilgah, Khost, Talawa Barfak, Farang, Guzargah-a-Noor, Nahrin, Burkah und Dahana-i-Ghori. Im Nordosten grenzt sie an die Provinzen Panjsher, Takhar und Kundoz, im Westen an Samangan und Bamyan, im Süden grenzt sie an die Provinz Parwan.

Baghlan zählt zu den relativ friedlichen Provinzen im Norden Afghanistans. Jedoch haben regierungsfeindliche bewaffnete Aufständische ihre Aktivitäten in einer Anzahl von Bezirken in den letzten Monaten erhöht (Khaama Press 24.9.2014; vgl. Khaama Press 15.9.2014).

Im Zeitraum Jänner - 31. Oktober 2014, wurden in der Provinz Baghlan, laut Informationen eines westlichen Sicherheitsvertreters, 355 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

(BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, vom 19.11.2014, letzte Kurzinformation eingefügt am 29.09.2015)

2.1.2.5.1. Sicherheitslage und Taliban-Präsenz in der Provinz Baghlan

Die Provinz Baghlan liegt an der einzigen Autobahn, die das Gebirge Hindukusch überquert, sowie an einer der wichtigsten Transitrouten zwischen der afghanischen Hauptstadt Kabul und dem Norden; die Straße gabelt sich am nördlichen Rand von Pul-e Khumri und dient dem Transport von Gütern in Richtung Nordwesten nach Mazar-e Sharif in der Provinz Balkh oder nach Nordosten in Richtung Kunduz.

Dies wurde während der jüngsten Kunduz-Operationen deutlich. Als die Stadt Kunduz besetzt wurde (28. September bis 12. Oktober), versuchte die afghanische Regierung in Kabul, Truppen und Munition in den Norden zu bewegen, um ihre Kräfte für einen geplanten Gegenangriff zu verstärken. Die Taliban waren jedoch in der Lage, tagelang durch eine Kombination von Straßensperren und Hinterhalten die Konvois in Baghlan hintanzuhalten.

In den letzten beiden Sommermonaten wurde der Krieg in Baghlan in einem Gebiet genannt Dand-e Ghuri in Dahana-ye Ghuri Distrikt konzentriert, das an der Bundesstraße zwischen Pul-e Khumri und Mazar liegt. Die Taliban übernahmen fast alle Polizeistützpunkte (Afghan Local Police - ALP) in diesem Bereich Anfang September 2015. Später im September startete die Regierung Gegenangriffe, konnte aber die Posten nicht wieder zurückerobern. Bis dato (Mitte Oktober 2015), ist nur ein Kontrollposten in den Händen der ALP - Qurghan Tepa (Qurghan Hill).

Andere Bezirke in der Provinz spürten den wachsenden Einfluss der Taliban, insbesondere Burka und Tala wa Barfak.

Einige Tage nach der Übernahme der Stadt Kunduz am 28.09.2015 flüchteten viele Bewohner der Provinz Baghlan (insbesondere die Mittelschicht und die wohlhabenden Familien), vor allem in und um Pul-e Khumri, aus Pul-e Khumri nach Kabul.

Der wichtigste Effekt des Falles von Kunduz auf die Provinz Baghlan war der Waffenfluss, Ausrüstung und Geld, welche die Taliban in Kunduz geplündert und an die Taliban in Baghlan weitergeleitet haben, welche jetzt besser bewaffnet und finanziert sind. Sie sind an den Gates positioniert, sowohl von Pul-e Khumri als auch Baghlan-e Jadid. Dies bedeutet zwar nicht, dass ein sofortiger Angriff gegen diese beiden Städte unmittelbar bevorsteht, es könnte jedoch von den Taliban für die nächste Kampfsaison geplant sein. Wenn die Taliban nicht Kunduz verlieren, erscheint ein Kunduz-artiger Angriff auf Baghlan durchaus in diesem Jahr wahrscheinlich.

Es ist nicht nur der Taliban-Aufstand, der Probleme in Baghlan aufwirft. Pro-Regierungs-Milizen stellen auch eine ernste Gefahr für die Sicherheit der Provinz dar. Als Reaktion auf die Taliban und deren Gefangennahme von Kunduz, versammelte sich eine große Gruppe von ehemaligen Dschihad-Kommandeuren in Pul-e Khumri und verkündete ihre Bereitschaft, die Regierungstruppen im Kampf gegen die Taliban zu unterstützen.

(Übersetzt aus: Hewad, Gran: The 2015 insurgency in the North (4):

Surrounding the cities in Baghlan, 21. Oktober 2015 (veröffentlicht von AAN, verfügbar auf ecoi.net), vgl http://www.ecoi.net/local_link/314149/452512_de.html (Zugriff am 10. November 2015))

2.1.2.6. Blutrache und Ehrenmord

Der Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen, der Paschtunwali zählt zu den sogenannten Stammesgesetzen. Es handelt sich um Normen und Werte, zur Anleitung der sozialen Interaktion in der paschtunischen Gesellschaft. Von großer Bedeutung ist das auf die "Verteidigung der eigenen Interessen" gerichtete Tura-Konzept. Danach lebt das männliche Individuum in einer ihm feindlich gesonnen Umwelt, die ihm jederzeit seine Lebensressourcen (Frauen, Land etc.) und seine Position innerhalb der Gesellschaft streitig machen will. Diese Umstände fordern ein aggressives und kriegerisches Verhalten vom Paschtunen, mit dem er alles verteidigt, „worauf er einen Anspruch zu machen glauben kann." Manifestiert wird dieses Weltbild insbesondere in der Forderung nach Badal. Badal bedeutet „Ausgleich" in der Form von „Vergeltung nach dem Prinzip, Aug um Aug, Zahn um Zahn, Leben um Leben". Bei Verlust eines verteidigungsfähigen Mannes einer Gruppe, muss „dem Aggressor ebenfalls eine Verminderung seiner Verteidigungsfähigkeit zugefügt werden, um das vorher bestehende Ausgangsstadium und Gleichgewicht der Kräfte wiederherzustellen." Zwar beinhaltet das Tura-Konzept auch die Forderung nach Nanawate, das als befriedendes Mittel eingesetzt wird. Doch fördert dieses nur nach erfolgtem Badal das Prestige des Paschtunen und Angebot und Annahme von Nanawate vor der Vergeltung gelten als Zeichen für Feigheit und Verteidigungsunfähigkeit und haben einen Ehrverlust zur Folge.

Zu den schweren Normverstößen (Terai) zählen insbesondere 1. Tötung oder versuchte Tötung eines Menschen, ob unverschuldet oder verschuldet, 2. Körperverletzung oder versuchte Körperverletzung, d.

h. „jede dauerhafte und nicht dauerhafte Einschränkung eines Individuums in seiner körperlichen Funktionsfähigkeit" und 3. Ehrverletzung oder versuchte Ehrverletzung, d. h. „der durch Aktionen oder verbale Äußerungen dokumentierte Zweifel an der moralischen und ethischen Integrität des Individuums oder Gemeinwesens".

Kommt es zu einem Normbruch, so wird dieser vom betroffenen Individuum festgestellt und die weitere Sanktionierung der Tat liegt in seiner Hand. Die Öffentlichkeit schreitet nicht in den Konflikt ein. Befriedungsversuche scheitern meist. Um ihre Ehre wiederherzustellen und sich nicht der Feigheit verdächtig zu machen, bevorzugen meist beide Parteien die Konfliktlösung durch Badal. Das Badal stellt eine legitime Reaktion dar, wenn es in seinem Ausmaß der Tat gleichgestellt ist. Das erreichte Badal bedeutet jedoch nicht immer das Ende des Konflikts. Eine Reaktion der Gegenpartei bricht zwar erneut mit der Norm, jedoch ist sie im Sinne des Rechts auf Blutrache legitim und wird auch vom Gemeinwesen anerkannt. Aus diesem Grund ist eine Eskalation der Konflikte nicht selten.

Das Paschtunwali führte zu einer Ordnung und bot die Existenzgarantie für die Paschtunen. Ein Teil dieses Kodex, mit modernen Rechtsnormen verwoben, könnte eine zukünftige afghanische Rechtsnorm bilden, die auch einfacher von der afghanischen Gesellschaft akzeptiert werden würde. Viele Elemente des Paschtunwali, z. B. die Jirgas, wurden vom afghanischen Staat übernommen. Als die Amerikaner nach dem 11. September 2001 auf der Suche nach einer Neustrukturierung Afghanistans waren, war es die Loya Jirga, die der Regierung Karzai ihre Legitimität gab.

Im Laufe der Zeit wurde das Paschtunwali überwiegend mündlich, teilweise auch schriftlich fixiert. Die zunächst für die Zusammenarbeit der Stämme und Sippen konzipierten Direktiven des Paschtunwali avancierten nicht nur zu Werten der Gemeinschaft, sondern nahmen auch regulative Funktionen ein. Gesetze wie Gastrecht, Asadi (Freiheit), Esteqlal oder Khpolwaki (Unabhängigkeit) sind in allen afghanischen Volksgruppen und Ethnien vorhanden, allerdings nicht unter dem Begriff Paschtunwali. Über ein straffes Stammesrecht verfügen jedoch nur Turkmenen und Paschtunen.

Die Blutrache ist ein Prinzip zur Sühnung von Verbrechen, indem Tötungen durch Tötungen gerächt werden. Innerhalb der Fehde, stellt die Blutrache die Ultima Ratio der Konfliktbewältigung dar. Der Ehrenmord bezeichnet die vorsätzliche Tötung bzw. Ermordung eines Menschen, durch die, aus der Sicht des Täters, die Ehre einer bestimmten Person oder einer Personengruppe oder des Getöteten vermeintlich wiederhergestellt werden soll. In der Praxis ist eine klare Unterscheidung oftmals nur schwer möglich, da in vielen Fällen ein Ehrenmord die Ursache für eine Blutrache sein kann. Bei der Blutrache straft die Familie des Opfers den Täter und seine Familie aus der Absicht heraus, die vermeintlich verlorene Familienehre wiederherzustellen. Motive und die Praxis der Blutrache sind eins zu eins auch in Afghanistan zu finden. Auch dort üben die Familie und Angehörigen bzw. der Stamm des Opfers - je nach der Schwere der Tat - Rache an dem Täter, seiner Familie bzw. seinen biologischen männlichen Verwandten oder - im Falle der Ausbreitung des Konfliktes auf die Stammesebene - an den Stammesangehörigen, was eine hohe Anzahl an Opfern fordern kann. Die Tat wird durch den Paschtunwali gerechtfertigt.

Der Staat und die Regierung in Afghanistan waren noch nie in der Lage, im ganzen Land die Selbstjustiz zu verhindern und die Täter zur Verantwortung zu ziehen, besonders nicht in den letzten drei Jahrzehnten, in denen im ganzen Land Kriegszustand herrschte. Durch die kriegerischen Auseinandersetzungen wurden zudem zahlreiche Schulen und Ausbildungszentren zerstört, dementsprechend ist das Bildungsniveau zurückgegangen.

Häufigste Auslöser von Konflikten, die in weiterer Folge Blutrache verursachen sind bei den Afghanen Sar (Kopf), Zan (Frau) und Zamin (Land). Sar (Kopf) umfasst Tötungsdelikte, Körperverletzungen und Verstöße gegen die Ehre des Individuums oder Gemeinwesens. Nach Tötungen beginnt die Blutrache. Der Täter wird von der Gegner-Familie getötet oder er flieht und verlässt die Ortschaft. Das trifft meist zu, wenn der Täter behördlich nicht festgenommen und gerichtlich verfolgt wird. Die Gründe und Umstände unter denen es zu Blutrache kommt, unterscheiden sich im gesamten Land kaum voneinander. In den paschtunischen Gebieten steht das Gewohnheitsrecht, bedingt durch die Stammesstruktur und deren Gepflogenheiten, meist an erster Stelle. Die Menschen wenden sich dort für gewöhnlich nur dann an den Staat, wenn alle gewohnheitsrechtlichen Bemühungen aussichtslos geblieben sind und ein Konflikt bereits jahrelang andauert. Unterschiede sind allerdings in der Frage nach dem Betroffenenkreis zu beobachten. In den paschtunischen Gebieten breitet sich der Kreis auf die männlichen Verwandten ersten Grades der auf- und absteigende Linie der männlichen Geschwister und deren männlicher Abkömmlinge, weiters auf Onkel und deren Söhne, Cousins und deren Söhne und sogar auf diejenigen, die dem Feind Schutz gewährt haben, aus. Dieselbe Verwandtschaftslinie ist auch bei der verfeindeten Partei betroffen. Das ist der Grund, warum sich Konflikte, die länger dauern, zunächst auf die Ebene des Dorfes und in weiterer Folge auf die Stammesebene ausbreiten.

In Norden, Nordosten sowie dem Zentrum des Landes, die von anderen afghanischen Volksgruppen besiedelt sind, ist der Betroffenenkreis auf den Vater, den Bruder und dessen Söhne sowie den Onkel und dessen Söhne beschränkt.

In Nord- und Zentralafghanistan fühlen sich die Menschen zur Selbstjustiz verpflichtet, wenn die Zentralregierung zu schwach ist, um den Menschen den notwendigen Schutz zu gewähren und ihre Rechte zu sichern. Somit kann eine Verpflichtung zur Blutrache entstehen. Der Gesellschaftsdruck ist ähnlich groß wie in den paschtunischen Gebieten. Die Pflicht zur Blutrache wird de facto von der Gemeinschaft vorgeschrieben. Gleiches gilt für den Nordosten. Um den Namen und die Ehre der Familie zu schützen, wird die Blutrache verübt und zwar als Pflicht. Es ist in dieser Provinz, die auch teilweise von Paschtunen besiedelt ist, und unter den Paschtunen zum großen Teil üblich, dass, wenn es dem Betroffenen in seinem Leben nicht gelingt, Rache zu nehmen, diese Verpflichtung an seine Kinder übertragen wird. Diese sind dann verpflichtet, die Rache, die der Vater zu Lebzeiten nicht nehmen konnte, auszuführen.

Zur Annahme einer Kompensationszahlung (Nek) ist die Opfer-Familie im Falle einer Tötung meist nur bereit, wenn sie zu schwach ist, um eine legitime Rache mit den daraus folgenden Reaktionen der gegnerischen Gruppe durchzufechten, denn nur dann wäre die Annahme der Zahlung ohne Prestigeverlust möglich. Auch die Täter-Familie wird in der Regel das Zahlen eines Nek weit von sich weisen, um nicht in den Verdacht der Feigheit zu kommen und mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, Angst vor der Badal-Reaktion der Gegner zu haben. Nur im Falle eines offensichtlichen und eindeutigen Unglücksfalles kann Zahlung und Annahme eines Nek auf eine Ersttötung ohne Prestigeverlust für beiden Seiten erfolgen.

Zwischen der letzten Aktion innerhalb der Auseinandersetzung und Konfliktbeilegung vergehen in der Regel mehrere Jahr, denn die Parteien warten auf den richtigen Moment und zeigen meist keine Eile. Nach der Ausübung des Racheaktes, durch den die Ehre wiederhergestellt wird, ist es möglich, dass die Familie wieder an den Geburtsort bzw. Hauptwohnsitz zurückkehrt. Wenn sie aber weiterhin nicht in der Lage ist, neben dem mächtigen Feind zu leben, wird sie die Gegend für immer verlassen. In den Städten wenden sich die Familien auch an die staatlichen Behörden. Wenn ihre Erwartungen nicht erfüllt werden, kommt zum Schutz der Familienehre wieder Selbstjustiz in Betracht.

Vor dem Krieg war es dem Staat möglich, sich in diese Konflikte einzumischen und somit die Kämpfe einzudämmen. Nachdem die jeweiligen Zentralregierungen in den letzten drei Jahrzehnten jedoch nicht in der Lage waren, das ganze Land unter ihre Kontrolle zu bringen, sowie aufgrund des andauernden Kriegszustandes und einer nicht funktionierenden Staatsgewalt, kommt es immer öfter zu Fällen von Selbstjustiz und die regionalen Machthaber bzw. Kommandanten haben das Sagen.

(Quelle: Gutachten zu Blutrache und Ehrenmord in Afghanistan, Mag.a Zerka Malyar, 27.07.2009)

Auf das Phänomen der Blutrache geht auch der UNHCR in seinem Update zu den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom Dezember 2007 (Eligibility Guidelines) allgemein ein. Diese bestehe aus einem langfristigen Zyklus von Racheakten. Die Familie eines getöteten oder anderweitig geschädigten oder entehrten Opfers würde versuchen, die Täter beziehungsweise deren Familien oder Stammesangehörigen zu töten, zu verletzen oder öffentlich zu demütigen. Die Tradition der Blutrache habe sich im Zuge jahrzehntelangen Krieges und Konfliktes ausgebreitet und sei jetzt auch unter bewaffneten Gruppen üblich, inklusive solche nicht-paschtunischer Herkunft wie Tadschiken, Usbeken und Hazaras. Personen, die als Täter einer Handlung betrachtet würden, sind das Hauptziel von Blutrache. Weitere Personengruppen, die von Blutrache betroffen werden könnten, sind unter anderem nahe Verwandte solcher Personen, darunter auch Kinder, sobald sie die Volljährigkeit erreicht haben.

(Quelle: ACCORD/UNHCR: 11th European Country of Origin Information Seminar; Vienna, 21 - 22 June 2007: Country Report Afghanistan, November 2007)

In einem Positionspapier vom Februar 2009 vermerkt die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) bezüglich Personen, denen Blutrache angedroht worden ist: "Die Sicherheit von Personen, denen Blutrache angedroht wurde, ist nicht gewährleistet. Das -Recht- der Blutrache gilt heute noch vor allem in den ländlichen Stammesgebieten. Es kann über mehrere Generationen vererbt werden und alle männlichen Mitglieder eines Klans betreffen.

(Quelle: SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe: Asylsuchende aus Afghanistan - Position der Schweizerischen Flüchtlingshilfe SFH, 26. Februar 2009)

Der Afghanistan-Experte Antonio Giustozzi hält in seinen "Afghanistan Notes" vom Juni 2006 fest, es gebe in Afghanistan eine Kultur der Blutrache, die Großteils ein paschtunisches Phänomen sei, nun jedoch aufgrund der Nähe der verschiedenen Gemeinschaften auch von anderen ethnischen Gruppen praktiziert werden könnte. Bei einer Blutrache werde normalerweise der ranghöchste Mann zum Ziel, doch könne sie sich bis hin zu den Töchtern ausdehnen. Zur Blutrache komme es, wenn ein "Verbrechen" (wrongdoing) nicht durch Stammesmechanismen beigelegt werden konnte.

Der Anthropologe Thomas Barfield schreibt in einem Aufsatz vom Juni 2003, dass Mord die wichtigste Ursache für ein Verlangen nach Blutrache sei. Diese richte sich im Normalfall allein gegen den Mörder, doch könnten unter bestimmten Umständen dessen Brüder oder andere Verwandte in männlicher Linie zu Ersatzzielen werden, während Frauen und Kinder davon ausgeschlossen seien.

(Quelle: Barfield, Thomas: Afghan Customary Law and Its Relationship to Formal Judicial Institutions, 26. Juni 2003)

2.2. Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt des, den Beschwerdeführer betreffenden und dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt der belangten Behörde sowie dem vorliegenden, den Beschwerdeführer, betreffenden Gerichtsakt und dem vor dem Bundesverwaltungsgericht - unter Einbeziehung der den Großonkel des Beschwerdeführers und dessen Ehefrau betreffenden und ebenfalls vorliegenden Akten des Asylgerichtshofes - durchgeführten Ermittlungsverfahrens.

2.2.1. Die Feststellungen zur Person, Herkunft, Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers basieren auf den von ihm vor der belangten Behörde und vor dem Bundesverwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung diesbezüglich gemachten glaubwürdigen Angaben. Diese wurden durch den in der mündlichen Verhandlung ausführlich einvernommenen Zeugen, den Großonkel des Beschwerdeführers, detailhaft bestätigt. Diese Feststellungen gelten jedoch ausschließlich zur Individualisierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren, da darüber hinaus keine die Identität des Beschwerdeführers belegenden Dokumente beigebracht wurden (bei den während der mündlichen Verhandlung vorgelegten Personal- und Mitgliedsausweisen handelt es sich um Kopien, welche für den Vater des Beschwerdeführers ausgestellt wurden und deren Inhalt nur Rückschlüsse auf dessen Vor-, aber nicht dessen Nachfahren zulassen).

2.2.2. Grundlage für die getroffenen Feststellungen zu Afghanistan und der dortigen Sicherheitslage im Allgemeinen sowie zur Situation in der Provinz Baghlan im Besonderen, stellen die jeweils angeführten Quellen dar. Diese Berichte verschiedener anerkannter und zum Teil in Afghanistan agierender Institutionen, ergeben ein schlüssiges und nachvollziehbares Gesamtbild der Situation im Heimatland des Beschwerdeführers. Angesichts der Seriosität der genannten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln. Darüber hinaus hat der dem Verfahren beigezogene Sachverständige, Dr. Sarajuddin RASULY, unter Einbeziehung seines Wissens und seiner Erfahrungen über den Umgang der Paschtunen mit Blutrache und Ehrenmorden in der mündlichen Verhandlung ein ausführliches Gutachten zur Sicherheits- bzw. Bedrohungslage des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland Afghanistan abgegeben, welchem der Beschwerdeführer nicht entgegen getreten ist. Auch hat der Beschwerdeführer auf eine Stellungnahme hierzu bzw. zu den herangezogenen Länderberichten ausdrücklich verzichtet.

2.2.3. Das Vorbringen des Asylbewerbers ist immer dann glaubhaft, wenn es erstens genügend substantiiert ist, d.h. der Asylwerber den Sachverhalt nicht nur sehr vage schildert und sich auf Gemeinplätze beschränkt, sondern konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse macht. Um als glaubhaft zu gelten und schlüssig zu sein, darf sich der Asylwerber zweitens nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen. Das Vorbringen muss drittens plausibel sein, d.h. es muss mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen. Der Asylwerber hat viertens persönlich glaubwürdig zu sein. Das wird dann zutreffen, wenn sich das Vorbringen nicht auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abstützt, wenn keine wichtigen Tatsachen verheimlicht oder bewusst falsch darstellt werden und wenn das Vorbringen im Laufe des Verfahrens nicht ausgewechselt oder unbegründet einsilbig und verspätet erstattet wird bzw. der Beschwerdeführer mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert (AsylG 1991, RV270 Blg. NR.18; AB 328 Blg. NR 18. GP).

Im vorliegenden Fall machte der Beschwerdeführer während des Verfahrens vor den Sicherheitsbehörden, aber auch bei seiner Einvernahme vor der belangten Behörde sowie nunmehr während der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gleichlautende Angaben zu seiner Person, seinen Familienverhältnissen, den Namen und dem Alter seiner Familienangehörigen und gab aber auch ausführliche Informationen zu seinen bereits vor seiner Geburt verstorbenen Vorfahren sowie den in den seit den 1960er Jahren getöteten Familienmitgliedern und Verwandten. Ähnlich verhält es sich mit seinen im Zuge des bisherigen Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens übereinstimmenden Aussagen zu seiner Flucht und insbesondere zu den Gründen, nämlich dem Vorliegen einer auch gegen ihn infolge seiner Familienzugehörigkeit gerichteten persönlichen Feindschaft von mehreren, ihm namentlich nicht bekannten und in Afghanistan bzw. in seiner Heimatprovinz Baghlan bis heute sich aufhaltenden Personen, die ihn veranlasst hat, Afghanistan bereits 2007 zu verlassen und sich seit 2012 in Österreich aufzuhalten. Sämtliche dieser Angaben des Beschwerdeführers wurden, wie der Sachverständige betonte, durch die - vor dem Hintergrund der während der fraglichen Zeit maßgeblichen afghanischen Verhältnisse - plausiblen Aussagen des Großonkels des Beschwerdeführers im Zuge von dessen Einvernahme als Zeugen ergänzt bzw. vollinhaltlich bestätigt. Die Schilderungen der Ereignisse und Verhältnisse in der Heimatregion des Beschwerdeführers vor dem Bundesverwaltungsgericht waren widerspruchsfrei, in sich stimmig und daher schlüssig und nachvollziehbar. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde, welche sich im Übrigen in ihrem Verfahren auf die Einvernahme des Beschwerdeführers beschränkte, machten sowohl der Beschwerdeführer, als auch der nunmehr einvernommene Zeuge persönlich und in ihrer Gesamtschau einen glaubhaften Eindruck.

Der in der mündlichen Verhandlung hinzugezogene Sachverständige für Afghanistan, bezeichnete die Aussagen des Zeugen als spontan und authentisch und stellte in seinem Gutachten ausdrücklich und nachvollziehbar fest, dass durch die Tätigkeit des Zeugen in seiner Funktion als bedeutender Anführer der kommunistischen Partei bzw. als KhAD-Offizier und Kommandant des kommunistischen Staates, sowie durch das Vorgehen seiner Brüder und Cousins in ihren gegen die Mudschaheddins und gegen Andersdenkende gerichteten Einsätzen infolge der dabei verursachten Tötungen vieler Menschen, gegen sie und ihre Familie gerichtete Todfeindschaften entstanden sind. Weiters ist, wie der stimmigen Beurteilung des Sachverständigen zu entnehmen ist, davon auszugehen, dass im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen Personen aus der Nachbarschaft ebenso aus persönlichen Gründen durch Mitglieder der Familie des Beschwerdeführers den Tod gefunden haben. Blutrache und Ehrenmord entsteht nach dem Rechts- und Ehrenkodex des Stammes der Paschtunen (genannt Paschtunwali) jedenfalls dann, wenn Menschen getötet, aber auch wenn Personen am Körper verletzt werden. Diese Todfeindschaft bzw. Blutrache richtet sich, aufgrund der in Afghanistan bestehenden Sippenhaftung, wenn im vorliegenden Fall die eigentlichen Täter, wie etwa insbesondere der Großonkel des Beschwerdeführers, nicht greifbar sind, gegen deren erreichbare männliche Verwandte. Selbst wenn der Beschwerdeführer, wie in diesem Fall schon aufgrund seines damaligen Alters nicht an den Konflikten selbst beteiligt war, gehört er aufgrund dieser Vorkommnisse in seinem Heimatland zu einer sog. Konfliktfamilie. Es kann demnach nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer von den Feinden der ursprünglichen Täter, einerseits dem Zeugen und andererseits dessen Brüder und Cousins, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan wegen der Taten seines Vaters bzw. seiner Großonkel und weiterer männlicher am Konflikt beteiligter männlicher Verwandte, die den Tod von vielen Menschen verursacht haben, verfolgt und auch getötet wird.

Die vom Beschwerdeführer ebenfalls ins Treffen geführte Gefahr als Anhänger der kommunistischen Weltanschauung verfolgt und bedroht zu werden, kann hingegen nicht nachvollzogen werden. Kommunisten werden in der afghanischen Gesellschaft nicht wegen ihrer politischen Anschauung per se verfolgt. Wie der Sachverständigen in seinem Gutachten anschaulich und stimmig ausführte, haben nur solche Kommunisten mit Racheakten seitens der Familienmitglieder ihrer Opfer zu rechnen, die wie die Mitglieder der Familie des Beschwerdeführers, aktiv an den kriegerischen Auseinandersetzungen und der Durchsetzung des kommunistischen Programms beteiligt waren und dabei durch ihre Amtshandlungen, Menschen geschädigt haben.

Zusammenfassend geht daher die erkennende Richterin in Zusammenschau der vorliegenden Ergebnisse des durchgeführten Ermittlungsverfahrens davon aus, dass nicht durch eigene Handlungen des Beschwerdeführers, sondern ausschließlich durch die seiner älteren und am Konflikt unmittelbar beteiligten männlichen Verwandten, eine Situation der Gefährdung, Bedrohung und Verfolgung, gegenüber dem Beschwerdeführer aus dem Titel der Blutrache entstanden ist, die letztlich seine Flucht aus Afghanistan verursacht hat. Es ist somit nicht auszuschließen, dass der Beschwerdeführer wegen dieser Umstände im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan bedroht, verfolgt und unter Umständen getötet werden würde.

2.3. Rechtliche Beurteilung:

2.3.1. Zuständigkeit und verfahrensrechtliche Grundlagen:

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf die vorliegenden anzuwenden.

Gemäß Art 151 Abs 51 Z 7 B-VG wird der Asylgerichtshof mit 01.01.2014 zum Verwaltungsgericht des Bundes. Dieses hat gemäß § 75 Abs 19 AsylG 2005 idgF alle mit Ablauf des 31.12.2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren (nach Maßgabe des § 75 Abs 20 AsylG 2005 idgF) zu Ende zu führen. Das gegenständliche Verfahren war mit Ablauf des 31.12.2013 beim Asylgerichtshof anhängig und hat daher das Bundesverwaltungsgericht das vorliegende Beschwerdeverfahren zu führen.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung BGBl. I Nr. 122/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, liegt gegenständlich die Zuständigkeit der nach der geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichts zuständigen Einzelrichterin vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte ist mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts durch das Verwaltungsgerichtsverfahrens (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG idgF bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zweck des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG idgF sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 144/2013 entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das Bundesverwaltungs-gericht.

Gemäß §§ 16 Abs 6 und 18 Abs 7 BFA-VG idgF sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

2.3.2. Zu Spruchpunkt A):

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 idgF ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs 1 Z 13 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "begründete Furcht vor Verfolgung" (VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthalts zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011 ua).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

Aufgrund des durchgeführten, oben dargestellten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zum Verlassen seines Heimatlandes, nämlich auf Grund seiner Bedrohung bzw. Verfolgung als Mitglied seiner von Todfeindschaften bedrohten Familie, glaubhaft ist, und einer der in der GFK abschließend genannten Fluchtgründe, welcher als asylrelevant zu beurteilen ist, vorliegt.

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt der Verfolgungsgefahr im Falle ihres Zusammenhangs mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten "sozialen Gruppe", nämlich der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie Asylrelevanz im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK zu (VwGH 24.08.2007, 2006/19/0131; 21.03.2007, 2006/19/0083; 26.05.2009, 2007/01/0077 ua.)

Wie zuvor ausgeführt, waren die Vorbringen des Beschwerdeführers und seines als Zeugen einvernommenen Großonkels in ihrer Zusammenschau betreffend die drohende Verfolgung des Beschwerdeführers nachvollziehbar und glaubwürdig. Derr Sachverständige brachte unmissverständlich zum Ausdruck, dass diese Aussagen den Zusammenhang mit dem Konventionsgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten "sozialen Gruppe" - der Sachverständige spricht von der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zu einer sog. Konfliktfamilie - offen legen. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn für die Verfolgung des Großonkels des Beschwerdeführers, seines Vaters oder weiterer männlicher Familienangehöriger keine Konventionsgründe ausschlaggebend sind oder diesem der staatliche Schutz aus Konventionsgründen versagt wird (VwGH 21.02.2007, Zl. 2006/19/0083).

Im vorliegenden Fall wird sich die Rache bloß wegen seiner mit den Tätern gemeinsamen oder von ihnen herrührenden Abstammung selbst dann gegen den Beschwerdeführer richten, wenn er an den Handlungen, die insbesondere seinen Großonkel bzw. seinem Vater zur Last gelegt werden und die jedenfalls zu schweren Schädigungen von Menschen bzw. unter Umständen auch zu deren Tod geführt haben, nicht selbst unmittelbar beteiligt war. Mangels Vorliegen anderer Anhaltspunkte ist unter Zugrundlegung der getroffenen Feststellungen auch zu bejahen, dass die Gefahr der Verfolgung und erheblicher Eingriffe durch geschädigte Personen bzw. durch deren Familienangehörige gegenüber dem Beschwerdeführer aktuell weiterhin drohen.

Nach Lage des Falles ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten, dass der Beschwerdeführer angesichts der ihn bedrohenden Blutrache in Afghanistan ausreichend geschützt werden kann. Zufolge der unbestrittenen, auf verschiedene, seriöse Quellen und das im konkreten Fall ebenfalls dazu eingeholte Sachverständigengutachten beruhenden Feststellungen sind die Behörden im Heimatstaat des Beschwerdeführers bei Blutfehden allgemein weder in der Lage noch Willens, einzugreifen, um Personen vor der Bedrohung durch frühere Opfer oder deren Familien zu schützen. Eine Bedrohung aus Blutrache ist in der gesellschaftlichen Wirklichkeit Afghanistans nicht von vornherein auszuschließen (VwGH 07.10.2008, Zl 2006/19/0706). Ursächlich für diese Situation ist neben dem noch immer in Gebieten nur mangelhaft vorhandenen staatlichen Strukturen und der Schwäche der gesetzlichen Rahmenbedingungen, insbesondere die Tatsache, dass der Staat und jene Personen, die für den Schutz des Beschwerdeführers von staatlicher Seite zu sorgen hätten, dieselben kulturellen Werte der Blutrache teilen und akzeptieren, wie die jeweiligen Verfolger. In solchen Fällen, wo die fehlende Möglichkeit des Schutzes vor Verfolgung durch die staatlichen afghanischen Stellen offensichtlich ist, ist es jedoch nicht erforderlich, dass der Bedrohte den (aussichtslosen) Versuch unternimmt, eben bei diesen staatlichen Stellen auch tatsächlich um Schutz zu suchen (VwGH 19.07.2001, Zl. 99/20/0317; 04.03.2010, Zl 2006/20/0832).

Des asylrechtlichen Schutzes bedarf es nicht, wenn dem Asylwerber die gefahrlose Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen steht, in denen er frei von Furcht leben kann, und ihm dies zumutbar ist (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503; 25.11.1999, Zl. 98/20/0523). Der nunmehr volljährige Beschwerdeführer verfügt zwar aktuell in Afghanistan und zwar in Gestalt seines sich nach wie vor im Heimatdorf aufhaltenden Vaters grundsätzlich über familiäre Anknüpfungspunkte, hat aber - wie der Gutachter in seiner Beurteilung nachvollziehbar festhielt - mit erheblicher Wahrscheinlichkeit mit Bedrohung und Verfolgung von Seiten der Feinde seiner Familie zu rechnen. Wenn die Angehörigen von Opfern zum Beispiel seines Großonkels davon Kenntnis erlangten würden, dass sich der Beschwerdeführer, also aus ihrer Sicht ein Mitglied der Täterfamilie in Afghanistan aufhält, werden sie sich, entsprechend dem ihrer Gesellschaft eigenen Ehrenkodex an ihm rächen. Da der Beschwerdeführer Mitglied einer Konfliktfamilie ist, wäre er im Falle seines Rückkehr in sein Heimatland somit ständig der potentiellen Gefahr ausgesetzt, durch die Todfeinde seiner Familie geschädigt, wenn nicht sogar getötet zu werden. Auch eine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 3 Abs 3 Z 1 iVm § 11 AsylG 2005 idgF stünde dem Beschwerdeführer in diesem Fall nicht zur Verfügung, denn nach den vorliegenden Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens beschränkt sich der mögliche Aufenthalt der Feinde dieser Konfliktfamilie nicht ausschließlich auf die Heimatregion des Beschwerdeführers, weshalb nicht ausgegangen werden kann, dass dem Beschwerdeführer ein Ausweichen in einen anderen Landesteil möglich bzw. zumutbar wäre.

Dem Beschwerdeführer war daher gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 idgF der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 idgF war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit Kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

2.3.3. Zu Spruchpunkt B):

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG im vorliegenden Fall nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Vom Vorliegen einer solchen wäre nach der Judikatur des VwGH auch nur auszugehen, wenn die Rechtsfrage über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzen würde (VwGH 24.4.2014, Ra 2014/01/0010; 24.3.2014, Ro 2014/01/0011; BVwG 22.5.2014, W173 2003741-1/10E). Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ab (vgl. oben zitierte Judikatur des VwGH), noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Zudem ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor (vgl BVwG 8.5.2014, W173 1437829-1/7E). Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen; in vielen Punkten steht die Tatfrage im Vordergrund.

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