BVwG W112 1435710-1

BVwGW112 1435710-130.12.2015

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §75 Abs20
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
B-VG Art.133 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §75 Abs20
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
B-VG Art.133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2015:W112.1435710.1.00

 

Spruch:

W112 1435709-1/29E

W112 1435710-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Elke DANNER als Einzelrichterin über die Beschwerden von

1.) XXXX, StA. Russische Föderation, vertreten durch den Sachwalter XXXX, dieser vertreten durch Christian ROTHMÜLLER, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.05.2013, Zl. 13 02.715-BAT,

2.) XXXX, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.05.2013, Zl. 13 02.716-BAT,

beide vertreten durch die Rechtsberaterin, diese vertreten durch Mag. Mirjami RITZSCHKE, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.10.2015, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerden werden gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 werden die Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erst- und Zweitbeschwerdeführerin, beide Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe, reisten unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 04.03.2013 Anträge auf internationalen Schutz. Zum Nachweis ihrer Identität legten die Beschwerdeführerinnen jeweils eine Kopie ihres russischen Inlandspasses vor.

Im Rahmen ihrer Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab die Erstbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen an, ihre Nichte sei vor den Augen der Zweitbeschwerdeführerin entführt worden und sei bis dato spurlos verschwunden. Der Neffe, der nach ihr gesucht habe, sei getötet worden. Die Zweitbeschwerdeführerin sei am 11.02.2013 telefonisch belästigt worden und am 12. Februar sei sie nur knapp einer Entführung entkommen. Danach seien schwarz uniformierte Männer in die Wohnung gekommen, die sie mit dem Entführen bedroht und nach der Zweitbeschwerdeführerin gefragt hätten. Im Fall einer Rückkehr habe sie Angst um ihr Leben sowie um das der Zweitbeschwerdeführerin. Im Herkunftsstaat lebten noch drei Schwestern und eine weitere Tochter; sie sei geschieden. Sie habe die Grundschule und die Universität absolviert. Zuletzt habe sie als Buchhalterin ihren Lebensunterhalt verdient.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab anlässlich ihrer Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag zu ihren Fluchtgründen an, im Jahr 2009 sei ihre Cousine mütterlicherseits vor ihren Augen von schwarz uniformierten tschetschenischen Beamten entführt worden. Ihr Schicksal sei bis heute nicht bekannt. Ein Cousin, der nach ihr gesucht habe, sei ebenfalls entführt und getötet worden. Als ihr Onkel nach der Cousine gesucht habe, habe er sie in die Zentrale Moschee in XXXX gebracht, wo sich auchXXXX und weitere Anhänger befunden hätten. Am 11.02.2013 habe sie geschäftlich XXXX zu tun gehabt und habe dort zufällig XXXX getroffen. Die Dame, mit der sie geschäftlich zu tun gehabt habe, habe ihr telefonisch mitgeteilt, dass XXXX ihre Telefonnummer haben wolle. Am selben Tag habe sie einen Anruf vom angeblichen Vertreter von XXXX erhalten, welcher sie zu einem Gespräch mit XXXXhabe einladen wollen. Sie habe diese Einladung jedoch abgelehnt und das Gespräch beendet. Die weiteren Anrufe habe sie nicht mehr entgegengenommen. Am nächsten Tag, als sie von der Arbeit nach Hause gegangen sei, habe man sie in ein Auto zerren wollen. Sie habe sich allerdings erfolgreich zur Wehr setzen und so der Entführung entgehen können. Sie sei daraufhin zu ihrer Schwester gegangen, wo sie erfahren habe, dass die Behörden bei ihr zu Hause gewesen seien und ihre Mutter bedroht hätten. Im Fall einer Rückkehr habe sie Angst um ihr Leben und das der Erstbeschwerdeführerin. Im Herkunftsstaat lebten noch ihr Vater sowie eine Schwester. Sie habe die Grundschule absolviert und ein XXXXbesucht. Zuletzt habe sie die XXXX besucht und als Sekretärin gearbeitet.

Die Verfahren wurden durch Ausfolgung der Aufenthaltsberechtigungskarten am 06.03.2013 in Österreich zugelassen.

2. In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 02.05.2013 gab die Erstbeschwerdeführerin im Beisein ihrer Vertrauensperson zu ihrem Gesundheitszustand eingangs an, sie habe Kopfschmerzen und sei auch bei einem Psychologen gewesen. Die Blutgefäße in ihrem Kopf seien nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt; daher habe sie Probleme mit ihrem Gedächtnis. In Moskau sei sie bereits wegen eines Gehirntumors operiert worden. Nach der Operation habe sie drei Nachbehandlungen im Jahr erhalten. Bei der letzten Kontrolle Ende 2012 sei erneut der Verdacht auf Krebs aufgekommen. Sie habe daher auf eigene Initiative nach Moskau fahren wollen, da die Behandlung dort viel besser sei, doch dazu sei es wegen der Flucht nicht mehr gekommen. Die Behandlungen habe sie selbst bezahlen können, da sie ihr Leben lang immer gearbeitet habe. Zuletzt habe sie als Hauptbuchhalterin im XXXX XXXX gearbeitet und habe das XXXX auch einen Teil der medizinischen Kosten übernommen. Nach der Operation habe sie keiner Arbeit mehr nachgehen können und habe daher eine Alters- und eine Invaliditätspension bezogen. Die Operation habe sie 200.000,- Rubel inklusive Flug- und Unterbringungskosten gekostet. Offiziell sei die Behandlung kostenlos, aber man müsse immer etwas dazu zahlen.

Befragt, ob sie eigene Fluchtgründe habe oder sich auf die Fluchtgründe der Zweitbeschwerdeführerin beziehe, erklärte die Erstbeschwerdeführerin, die Fluchtgründe der Zweitbeschwerdeführerin beträfen auch sie unmittelbar, da Leute zu ihr nach Hause gekommen seien und sie bedroht hätten.

Aufgefordert diesen Vorfall detailliert zu schildern, führte die Erstbeschwerdeführerin aus, der Vorfall sei am Abend des 12.02.2013 passiert. Sie habe mit der Zweitbeschwerdeführerin im gemeinsamen Haushalt gewohnt und am Abend gewartet, dass diese von der Arbeit nach Hause komme. Als es an der Tür geklopft habe, habe sie ihre Tochter erwartet und daher die Tür geöffnet. Es seien jedoch zwei kräftige Männer in schwarzen Tarnuniformen in die Wohnung gestürmt und hätten alles durchsucht. Erst als sie die Männer gefragt habe, wonach sie suchen würden, hätten sie nach der Zweitbeschwerdeführerin gefragt. Sie habe die Männer gefragt, was sie von ihr wollten, sie habe jedoch nur die Antwort erhalten, dass es ihnen schlecht ergehen würde, wenn die Zweitbeschwerdeführerin nicht am nächsten Tag bei der Regierung erscheinen würde. Sie habe schreckliche Angst gehabt, da im Jahr 2009 ihre Nichte entführt worden sei. Nach der Drohung hätten die Männer zwar die Wohnung verlassen, doch sie habe bemerkt, dass deren Auto noch vor dem Haus geparkt habe. Sie habe dann einen Anruf ihrer älteren Tochter erhalten, die ihr geraten habe, die Wohnung unbemerkt zu verlassen. Sie habe daher eine Nachbarin gefragt, ob sie über deren Fenster in den Hof klettern könne. Zu Fuß sei sie dann über die Gärten zu einer Haltestelle gegangen, wo sie ihre beiden Töchter getroffen habe. Mit dem Auto seien sie weiter zu ihrer Schwester gefahren und hätten dort zwei oder drei Tage verbracht.

Auf Nachfrage, gab die Beschwerdeführerin an, ihre ältere Tochter habe den Treffpunkt vorgeschlagen und ihre Töchter hätten bereits dort auf sie gewartet. Noch in derselben Nacht seien sie bei ihrer Schwester angekommen. Auf die Flucht habe sie ihre Dokumente und Befunde mitgenommen. Befragt, warum sie gerade ihre Befunde mitgenommen habe, erklärte die Erstbeschwerdeführerin, die Befunde seien bereits in der Tasche gewesen.

Befragt, ob sie zuvor Probleme mit den Behörden gehabt hätte, brachte die Erstbeschwerdeführerin vor, im Jahr 2009 habe sie nach ihrem Neffen gesucht, nachdem dieser festgenommen worden sei. Schließlich habe man der Familie mitgeteilt seinen Leichnam abzuholen. Danach habe es keine weiteren Probleme gegeben.

Nach Vorhalt, die Zweitbeschwerdeführerin habe angegeben, dass sie, die Erstbeschwerdeführerin, selbständig zur Wohnung der Tante gekommen wäre, erwiderte die Erstbeschwerdeführerin, sie sei auch fast die ganze Strecke zu Fuß zur Haltestelle gegangen und von dort aus sei es nicht mehr weit zur Wohnung gewesen.

Nachdem die Einvernahme für eine Mittagspause zwei Stunden unterbrochen wurde, erklärte die Beschwerdeführerin, dass sie an diesem Abend über die Höfe in Richtung der Wohnung ihrer Schwester zu Fuß unterwegs gewesen sei und den Rest des Weges mit einem Auto zurückgelegt habe; sie wisse jedoch nicht sicher, ob sie mit ihren Töchtern in einem Auto gefahren sei oder alleine. Nach Vorhalt, dass sie ihm Rahmen der Mittagspause die Gelegenheit gehabt hätte, sich mit der Zweitbeschwerdeführerin abzusprechen, entgegnete die Erstbeschwerdeführerin, dass das nichts damit zu tun habe. Sie könne sich generell sehr schlecht an diese Situation erinnern, da sie damals unter großem Stress gestanden sei und sich jetzt schlecht konzentrieren könne.

Befragt, was aus medizinischer Sicht gegen eine Rückkehr in den Herkunftsstaat sprechen würde, antwortete die Erstbeschwerdeführerin, aus medizinischer und auch aus wirtschaftlicher Sicher würde dem nichts widersprechen, doch die Lebensumstände ließen eine Rückkehr nicht zu.

Die Zweitbeschwerdeführerin brachte im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme am selben Tag vor dem Bundesasylamt im Beisein einer Vertrauensperson vor, sie sei körperlich gesund, doch psychisch sei sie sehr belastet, weshalb sie auch schon bei einem Arzt vorstellig gewesen sei.

In Österreich lebe sie mit der Erstbeschwerdeführerin in einer Pension für Asylwerber und habe derzeit nur Kontakt zu den anderen Pensionsbewohnern. Ihre Cousine lebe in Graz, daher könnten sie sich nur selten sehen. Ansonsten habe sie nur entfernte Verwandte in Österreich. In der Unterkunft finde nur selten ein Deutschkurs statt, weshalb sie versuche, selbständig Deutsch zu lernen.

Zu ihren persönlichen Verhältnissen brachte die Zweitbeschwerdeführerin vor, sie habe ihr ganzes Leben in XXXX in einer Wohnung gelebt, die mittlerweile in ihrem Eigentum stehe. Sie sei ledig und habe keine Kinder. In XXXX lebe noch ihre ältere Schwester, die dort als Ärztin arbeite. Ihre Eltern seien schon praktisch seit ihrer Geburt geschieden. Im Jahr 2010 habe sie ihre Ausbildung an der Akademie begonnen, jedoch wegen der Ausreise nicht abschließen können. Befragt, wie die Erstbeschwerdeführerin als alleinerziehende Mutter für die Ausbildung habe aufkommen können, gab die Zweitbeschwerdeführerin an, die Ausbildung sei in ihrem Herkunftsstaat kostenlos und die Erstbeschwerdeführerin habe vor der Operation als Hauptbuchhalterin viel Geld verdient. Nach der Operation habe die Erstbeschwerdeführerin eine Alters- und Invaliditätspension bezogen. Zudem habe sie selbst XXXX als Sekretärin gearbeitet. Die Frage, ob ihre Verwandten Probleme im Herkunftsstaat hätten, verneinte die Zweitbeschwerdeführerin; sie wisse nur, dass die Eltern der verschwundenen Cousine Probleme gehabt hätten, aber als man aufgehört habe nach der Cousine zu suchen, hätten die Probleme aufgehört. In der Erstbefragung habe sie bereits angegeben, dass ein Cousin getötet worden sei.

Zu ihren Ausreisegründen befragt, brachte die Zweitbeschwerdeführerin vor, am 11.02.2013 sei sie von ihrem Arbeitsplatz mit Dokumenten ins XXXX geschickt worden. Beim Verlassen des Gebäudes habe sie in der Nähe der Wache XXXX, der besser bekannt sei unter dem Spitznamen "XXXX", gesehen. Sie habe diesen Mann von den Ereignissen rund um die Entführung ihrer Cousine gekannt und habe daher sofort Angst gehabt. Da er auch in ihre Richtung gesehen habe, gehe sie davon aus, dass er sie wahrgenommen habe. Als sie in den Linienbus eingestiegen sei, habe sie die junge Frau aus dem XXXX angerufen und ihr mitgeteilt, dass sich jemand nach ihrem Namen, ihrer Adresse und Telefonnummer erkundigt habe und sie diese Daten auch weitergeben habe müssen. Einige Zeit danach habe sie einen Anruf erhalten; der Anrufer habe sich als Assistent von XXXX vorgestellt. Sie hätte am nächsten Tag XXXX kommen müssen, was sie jedoch abgelehnt habe. Am nächsten Tag habe sie wieder einen Anruf erhalten, da sie nicht erschienen sei. Dies seien dieselben Leute gewesen, die ihre Cousine entführt hätten. Was diese Leute von ihr gewollt hätten, wisse sie nicht. Auf dem Heimweg sei sie bei einer Haltestellte von zwei Männern in Tarnuniform überfallen worden. Sie hätten von ihr wissen wollen, warum sie nicht zu dem Treffen erschienen sei und habe ihr gesagt, dass sie nun mitkommen solle. Daraufhin hätten die Männer versucht sie zu entführen; einer habe das Auto in Gang gesetzt und der zweite habe versucht, sie in das Auto zu zerren, doch sie habe sich losreißen können und dabei den Mann im Gesicht gekratzt. Sie sei zu ihrer Schwester gelaufen und habe unterwegs die Sim-Karte ihres Handys weggeworfen. Während sie bei ihrer Schwester gewesen sei, hätten diese Männer die Erstbeschwerdeführerin aufgesucht. Die Erstbeschwerdeführerin habe nämlich bei der Schwester angerufen und von dem Vorfall erzählt. Obwohl die Männer das Haus überwacht hätten, habe die Erstbeschwerdeführerin unbemerkt das Haus verlassen können und sei zu deren Schwester gefahren. Sie selbst sei ebenfalls zu dieser Tante gefahren.

Auf Nachfrage, erklärte die Zweitbeschwerdeführerin, sie sei am Abend des 12. Februar bei der Tante eingetroffen; die Erstbeschwerdeführerin sei mit einem Taxi hingefahren und sei bereits dort gewesen. Der Überfall sei gegen 18.00 Uhr passiert, nach etwa 20 Minuten sei sie bei ihrer Schwester gewesen.

Befragt, unter welcher Nummer sie angerufen worden sei, gab die Zweitbeschwerdeführerin an, es habe sich um die private Nummer gehandelt. Über Nachfrage, warum die Frau aus dem XXXX über ihre private Handynummer verfügt habe, antwortete sie, sie habe mit dieser Frau oft beruflichen Kontakt gehabt. Da das Festnetz am Arbeitsplatz oft Störungen und sie kein Diensthandy gehabt habe, hätten sie die privaten Telefonnummern ausgetauscht. Die Frau habe nur die Handynummer weitergegeben, jedoch nicht ihre Adresse.

Befragt, bei wem es sich um den "XXXX" handle, antwortete die Zweitbeschwerdeführerin, er gelte als XXXX; was er genau mache, wisse sie nicht. Auf Nachfrage, welches Interesse an ihrer Person bestanden habe, erklärte sie, das nicht zu wissen. Es komme aber immer wieder vor, dass diese Leute für ihre "Harems" junge Frauen entführen würden, die ihnen gefallen und niemand könne etwas dagegen tun. Die Entführung ihrer Cousine habe sie vorgebracht, da sie aus eigener Erfahrung miterlebt habe, was passieren könne und weshalb sie Angst habe.

Auf Nachfrage, ob XXXX sie bei der Entführung der Cousine gesehen habe, gab die Zweitbeschwerdeführerin an, er habe sie nicht unmittelbar bei der Entführung gesehen, sondern erst später, als sie nach der Cousine gesucht hätten. Ihr Onkel und sie seien damals von XXXX und XXXX empfangen worden und sei sie als Zeugin der Entführung vorstellig gewesen. Bei dieser Besprechung sei ihnen mitgeteilt worden, dass nicht nach der Cousine gesucht werde und sei ihnen auch gedroht worden, falls die Familie die Suche fortsetze. Im Juni 2009 habe ihr Cousin beschlossen weiter zu suchen. Drei Tage lang habe niemand gewusst, wo er sich aufhalte. Danach habe man ihnen gesagt, dass sie ihn gehen lassen würden, doch sie hätten nur seinen schrecklich zugerichteten Leichnam erhalten.

Die Frage, ob sie bis zu jenem Tag der versuchten Entführung Probleme mit den Behörden oder Kadyrow gehabt habe, verneinte die Zweitbeschwerdeführerin.

Aufgefordert, den Vorfall nochmals konkret zu schildern, führte die Zweitbeschwerdeführerin aus, bei der Haltestelle sei ein Auto gestanden und zwei Männer in Militäruniform seien daneben gestanden. Sie hätten graue oder schwarze Uniformen getragen und dunkle Vollbärte gehabt. Sie hätten keine Masken, sondern nur schwarze Strickmützen getragen und sie hätten Tschetschenisch mit ihr gesprochen. Einer habe sie gepackt, der andere sei in das Auto gestiegen und habe es gestartet. Sie habe sich gewehrt und am Auto festgeklammert. Sie habe wild um sich geschlagen und dürfte ihn dabei erwischt haben, sodass der Mann kurz das Gleichgewicht verloren und sie losgelassen habe. Diesen Moment habe sie genutzt um davon zu laufen. Auf Nachfrage, warum ihr die Männer nicht nachgelaufen bzw. nachgefahren seien, erklärte sie, sie habe gehört, dass er ihr nachgelaufen sei, doch es sei dunkel gewesen und er sei offensichtlich nicht sehr sportlich gewesen. Die Männer hätten geglaubt, dass sie nach Hause laufe.

Nach Vorhalt, die Erstbeschwerdeführerin habe angeben, dass sie von der Schwester angerufen worden sei und dass sie nicht mit dem Taxi zur Tante gekommen sei, entgegnete die Zweitbeschwerdeführerin, die Erstbeschwerdeführerin habe seit der Operation immer wieder das Problem, dass sie solche Dinge falsch sage. Wie diese zur Tante gekommen sei, könne sie nur vermuten; sie selbst sei jedenfalls mit ihrer Schwester mit dem Taxi gefahren.

Im Fall einer Rückkehr habe sie große Angst entführt zu werden; zudem habe sie Angst um die Erstbeschwerdeführerin. Befragt, ob sie die Möglichkeit gehabt hätten umzuziehen, erklärte die Zweitbeschwerdeführerin, diese Möglichkeit habe nicht bestanden, da sie sich melden hätten müssen, weswegen man sie leicht gefunden hätte. Wenn sie illegal gewohnt hätten, hätte man sie über die Erstbeschwerdeführerin gefunden, da diese ständig in medizinischer Betreuung stehe. Zum Vater bestehe kein Kontakt.

Sie stehe mit ihrer Schwester in Kontakt und mache sie sich große Sorgen um sie, weil sie Probleme bekommen könnte, vorausgesetzt man finde sie, da sie jetzt einen anderen Nachnamen führe.

Zum Gesundheitszustand der Erstbeschwerdeführerin befragt, gab sie an, diese habe ein Meningiom gehabt, wobei es sich um keinen bösartigen Tumor handle und zuletzt sei auf dem MRT-Bild kein Tumor, sondern ein Blutpfropfen zu sehen gewesen. Die Erstbeschwerdeführerin sei jedoch sehr ängstlich in dieser Hinsicht und habe geglaubt, dass sie möglicherweise eine bösartige Tumorerkrankung habe. Es bestünden natürlich Probleme mit der schlechten Nasenatmung und der Unterversorgung der Gefäße, aber der Blutpfropfen habe sich wieder aufgelöst.

Mit Telefax-Eingabe vom 06.05.2013 übermittelte die Zweitbeschwerdeführerin einen MRT-Befund vom 10.04.2013, wonach die Erstbeschwerdeführerin wegen der vorgenommenen Meningiomoperation keine weitere Medikamentation benötige sowie ein russischsprachiges Dokument.

Mit Schreiben vom 16.05.2013 nahmen die Beschwerdeführerinnen zu den Länderfeststellungen dahingehend Stellung, dass sie diesen in weiten Teilen zustimmten und insbesondere unterstreichen möchten, dass die Sicherheits- und Menschenrechtslage in Tschetschenien besonders für Frauen katastrophal sein. Zudem werde durch die Länderfeststellungen die Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens der Zweitbeschwerdeführerin bestätigt. Im Fall einer Rückkehr sei überdies die Situation der Beschwerdeführerinnen besonders prekär, da es sich um zwei alleinstehende Frauen handle, wobei die Erstbeschwerdeführerin aufgrund ihrer Erkrankung einerseits auf Sozialleistungen angewiesen sei und nicht mehr selbständig arbeiten könne und andererseits das Gesundheitssystem in Tschetschenien mangelhaft sei. Die Beschwerdeführerinnen verwiesen zum Beweis dieser Ausführungen auf diverse Berichte.

Mit den im Spruch genannten Bescheiden des Bundesasylamtes vom 22.05.2013, zugestellt am 24.05.2013, wurden die Anträge der Beschwerdeführerinnen auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.) und die Beschwerdeführerinnen gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

Das Bundesasylamt traf umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in der Russischen Föderation und begründete im angefochtenen Bescheid betreffend die Zweitbeschwerdeführerin die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass das Vorbringen rund um die Entführung nicht nur widersprüchlich zu den Angaben der Erstbeschwerdeführerin gewesen sei, sondern auch vage und unplausibel geschildert worden sei. Der gravierendste Widerspruch sei die unterschiedliche Schilderung der Flucht zur Tante der Zweitbeschwerdeführerin bzw. Schwester der Erstbeschwerdeführerin gewesen. Soweit sich diesbezüglich die Zweitbeschwerdeführerin auf die mangelnde Merkfähigkeit der Erstbeschwerdeführerin berufen habe, sei dem entgegenzuhalten, dass die Erstbeschwerdeführerin im Rahmen ihrer Einvernahme keinesfalls den Eindruck vermittelt habe, dass sie wiederholt Sachverhalte verwechselt oder sich an Begebenheiten nicht mehr erinnern habe können. Außerdem sei die Erstbeschwerdeführerin wiederholt über ihre Flucht zu ihrer Schwester befragt worden und habe sie jedes Mal angegeben, dass sie gemeinsam dorthin gefahren seien. Erst nach der Mittagspause, als sie und die Erstbeschwerdeführerin Gelegenheit gehabt hätten sich auszutauschen, habe die Erstbeschwerdeführerin plötzlich vorgebracht, sich nicht mehr erinnern zu können. Die Zweitbeschwerdeführerin habe ferner weder konkret noch nachvollziehbar geschildert, wie ihr die Flucht vor der Entführung gelungen sei. Darüber hinaus sei es nicht glaubhaft, dass "XXXX" plötzlich ein gesteigertes Interesse an ihrer Person gehabt habe, obwohl dieser die Zweitbeschwerdeführerin bereits im Jahr 2009 gesehen habe. Auch wenn das Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin mit den vorliegenden Länderfeststellungen in Einklang zu bringen sei, so sei sie dennoch nicht im Stande gewesen, dieses Vorbringen persönlich glaubhaft zu machen und sei auch nicht jede Frau in Tschetschenien automatisch Opfer von Entführungsversuchen.

Der Bescheid betreffend die Erstbeschwerdeführerin wurde ebenfalls damit begründet, dass ihre Angaben zur Verfolgungssituation zu den Angaben der Zweitbeschwerdeführerin widersprüchlich gewesen seien. Da sie sich auf das Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin bezogen habe und diesem die Glaubwürdigkeit versagt worden sei, sei es auch nicht glaubhaft, dass die angeführten Gründe Auswirkungen auf sie gehabt hätten.

Zur Situation im Falle einer Rückkehr führte das Bundesasylamt aus, dass den Beschwerdeführerinnen im Herkunftsstaat weder Verfolgung noch anderswertige Gefahren drohen würden, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würden. Abschließend begründete das Bundesamt seine Ausweisungsentscheidung.

Mit Verfahrensanordnung vom 22.05.2013 wurde den Beschwerdeführerinnen gemäß § 66 Abs. 1 AsylG die ARGE-Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Asylgerichtshof zur Seite gestellt.

Mit Schreiben vom 24.05.2013 übermittelte die Erstbeschwerdeführerin hinsichtlich ihres Gesundheitszustandes psychotherapeutische Kurzberichte vom 19.03.2013 und vom 17.05.2013, wonach wegen Schlafstörungen und Ängsten psychotherapeutische Gespräche aufgenommen worden seien.

5. Gegen die Bescheide des Bundesasylamtes erhoben die Beschwerdeführerinnen wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhalts sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften am 06.06.2013 Beschwerde, worin im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass hinsichtlich der Widersprüche zwischen der Erst- und Zweitbeschwerdeführerin erneut auf die Gedächtnisstörungen der Erstbeschwerdeführerin hinzuweisen sei. Zudem handle es sich beim Hergang der versuchten Entführung um ein psychisch sehr belastendes Erlebnis, das mit viel Stress verbunden gewesen sei, weshalb sich die Erstbeschwerdeführerin auch in psychotherapeutischer Behandlung befinde. Die Zweitbeschwerdeführerin habe anlässlich ihrer Einvernahme glaubwürdig und umfassend den Hergang der versuchten Entführung geschildert und sie habe bereits vorgebracht, dass es den Männern nicht gelungen sei, sie einzuholen, da sie in der Dunkelheit durch die Höfe der Häuser gelaufen sei, wohin ihr die Verfolger nicht mehr dem Auto hätten folgen können. Die Männer seien davon ausgegangen, dass sie nach Hause flüchte, was sich auch mit den Angaben der Erstbeschwerdeführerin decke, dass die Männer kurz darauf zu ihr nach Hause gekommen seien. Weshalb die belangte Behörde trotz der zahlreichen Länderberichte und der detaillierten Schilderung der Zweitbeschwerdeführerin zu dem Schluss gekommen sei, das Vorbringen sei nicht glaubhaft, sei dem Bescheid nicht zu entnehmen. Im Fall einer Rückkehr würden die Beschwerdeführerinnen Gefahr laufen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der tschetschenischen, alleinstehenden Frauen verfolgt zu werden. Darüber hinaus würde der Zweitbeschwerdeführerin aufgrund ihrer Weigerung sich XXXX unterzuordnen eine konventionsrelevante politische Haltung unterstellt werden. Die Erstbeschwerdeführerin würde aufgrund ihrer Verwandtschaft zur Zweitbeschwerdeführerin verfolgt werden. Für die Beschwerdeführerinnen bestehe im Herkunftsstaat keine innerstaatliche Fluchtalternative, da sie sich an einem neuen Wohnort registrieren müssten; durch diese Meldung würden ihre Verfolger von ihrem Aufenthaltsort erfahren. Sollte eine Meldung unterbleiben, müssten die Beschwerdeführerinnen illegal leben und könnten keine medizinische Versorgung in Anspruch nehmen. Dies wäre jedoch für die Erstbeschwerdeführerin unmöglich, da sie aufgrund ihres Gesundheitszustandes auf umfassende medizinische Versorgung angewiesen sei, wobei auch darauf hinzuweisen sei, dass das tschetschenische Gesundheitssystem große Lücken aufweise. Hinsichtlich der Rückkehrsituation der Beschwerdeführerinnen sei auszuführen, dass diesen aufgrund ihres Vorbringens in Zusammenhang mit den Länderberichten eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK drohen würde. So hätten die Beschwerdeführerinnen wegen mangelnder Unterstützung und fehlenden Arbeitsmöglichkeiten keine Lebensgrundlage in der Russischen Föderation. Zudem drohe ihnen, wegen ihrer Flucht Opfer von u.a. Folter, Entführung oder Erpressung zu werden.

Die Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten der Beschwerdeführerinnen langten am 14.06.2013 beim Asylgerichtshof ein.

6. Mit 01.01.2014 ging das Verfahren auf die Gerichtsabteilung W112 des Bundesverwaltungsgerichtes über.

Nach Aufforderung durch das erkennende Gericht übermittelte die Erstbeschwerdeführerin am 30.07.2014 ein Konvolut an medizinischen Unterlagen ua. mit den Diagnosen, Grauer Star, Spondylarthrose, arterielle Hypertonie, Lumbalgie, Fibrose sowie Gliose.

Mit Verfahrensanordnung vom 02.10.2014 wurde der Erstbeschwerdeführerin Gelegenheit zum Parteiengehör hinsichtlich der beabsichtigten Bestellung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie gegeben und ihre Zustimmung zur Untersuchung eingeholt.

Mit Beschluss vom 28.10.2014 wurde im Verfahren der ErstbeschwerdeführerinXXXX gemäß § 52 Abs. 2 AVG iVm § 17 VwGVG zum Sachverständigen aus dem Fachgebiet Psychiatrie bestellt.

7. In dem daraufhin erstellten Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen vom 05.12.2014 wurde zusammengefasst festgehalten, dass die Erstbeschwerdeführerin aus psychiatrischer Sicht das Bild eines mittelgradigen organischen Psychosyndroms zeige. Im psychopathologischen Querschnittsbefund seien Schwächen in den Orientierungsleistungen, deutliche Defizite im Langzeitgedächtnis und im mittleren Gedächtnis, leichtgradige Defizite im Kurzzeitgedächtnis, Verminderung der Konzentrationsleistungen, ein verlangsamter Sprach- und Gedankengang mit zeitweise bestehenden Wortfindungsschwierigkeiten und Verminderung der Kritikfähigkeit und Überblicksgewinnung feststellbar. Weder dem Protokoll der Einvernahme im Mai 2013, noch dem nervenärztlichen Befund aus diesem Zeitraum, der abgesehen von Wortfindungsstörungen keine psychischen und kognitiven Auffälligkeiten feststellte, sei eine derart ausgeprägte Verminderung der kognitiven Leistungsfähigkeit, wie nunmehr dargestellt, zu entnehmen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die bei der nunmehrigen Untersuchung dargestellte Verminderung der geistigen Leistungsfähigkeit im Sinne einer Aggravation deutlicher dargestellt worden sei. Es sei aber nicht auszuschließen, dass es in den letzten Monaten zu einer Verschlechterung der geistigen Leistungsfähigkeit im Sinne einer dementiellen Entwicklung gekommen sei. Die Verhandlungsfähigkeit der Erstbeschwerdeführerin sei daher als deutlich eingeschränkt zu sehen, sodass ihre Prozessfähigkeit als nicht gegeben zu erachten sei.

Die Erstbeschwerdeführerin könne sich aufgrund der dargestellten Defizite an das im Jahr 2013 Erlebte nur deutlich eingeschränkt erinnern. Die nervenärztliche Behandlung sei fortzusetzen, insbesondere auch zur weiterführenden Diagnostik um abzuklären, ob nunmehr eine Demenzerkrankung vorliege. Betreffend eine Überstellung in die Russische Föderation wurde festgehalten, dass die Erstbeschwerdeführerin nicht alleine reisefähig wäre und daher einer entsprechenden Begleitung bedürfe. Aufgrund der fassbaren Erkrankung sei die Erstbeschwerdeführerin zudem nicht mehr als arbeitsfähig zu bezeichnen.

Mit Schreiben vom 22.01.2015 wurde an das Bezirksgericht XXXX aufgrund des vorliegenden Sachverständigengutachtens ein Ersuchen um Sachwalterbestellung gestellt.

Mit Beschluss des Bezirksgerichts BADEN vom 22.07.2015 wurde für die Erstbeschwerdeführerin XXXXals Sachwalter für die Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern bestellt.

8. Am 06.10.2015 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (vormals Bundesasylamt) unentschuldigt nicht teilnahm. Die Rechtsberaterin vertrat beide Beschwerdeführerinnen. Die Erstbeschwerdeführerin wollte in der Verhandlung aussagen. Der Substitut des Sachwalters der Erstbeschwerdeführerin genehmigte ihre Angaben.

Befragung der Erstbeschwerdeführerin:

"R: Ich entnehme dem Akt des Bundesasylamtes (BAA), bzw. seit 01.01.2014 heißt dessen Rechtsnachfolger Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), dass die Erstbeschwerdeführerin XXXX heißt, geb. am

XXXX, Staatsangehörigkeit: Russische Föderation, Volksgruppe:

Tschetschenin, moslemischer Glaube. Ist das korrekt?

BF1: Ja.

R: Sie wurde bereits beim Bundesasylamt bzw. bei den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen. Gab es Probleme bei diesen Einvernahmen?

BF1: Welche Probleme? Unsere Probleme?

R wiederholt die Frage.

BF1: Nein.

R: Hat Sie bei Ihren bisherigen Aussagen vor der Polizei im Rahmen der Erstbefragung und dem Bundesasylamt immer die Wahrheit gesagt oder möchte sie etwas richtig stellen oder ergänzen?

BF1: Korrektur? Möglich ist, dass,... Es kann sein. Ich weiß nicht genau, was bei der Einvernahme vorgebracht wurde. Vielleicht hat man mich nicht ganz richtig verstanden. Manchmal will ich etwas richtig sagen und dann sage ich das Falsche, wegen dem. Ich verwechsle sogar manchmal meine Töchter. Das ist ein Problem. Vielleicht sind deswegen irgendwelche Probleme entstanden.

R: Halten Sie die Beschwerde und die darin gestellten Anträge aufrecht?

BF1: Ja.

R: Wie geht es der Erstbeschwerdeführerin aktuell gesundheitlich (sowohl in psychischer als auch in physischer Hinsicht): Ist sie insbesondere in ärztlicher Behandlung, befindet sie sich in Therapie, nimmt sie Medikamente ein, gibt es aktuelle Befunde?

BF1: Ich nehme Arzneimittel ein. Ich weiß nicht, wie diese heißen, das weiß meine Tochter. Das, was es gegeben hat, wurde bereits übermittelt.

R: Verfügt die Erstbeschwerdeführerin über identitätsbezeugende Dokumente oder sonstige Beweismittel, die sie heute vorlegen kann?

BF1: Nein. Die Karte habe ich.

R: Wann und warum wurde die der Polizei vorgelegte Kopie des Inlandsreisepasses erstellt?

BF1: Ich weiß es nicht. Die Tochter hat irgendwelche Dokumente hierhergebracht.

R: Ich habe die Kopie der Kopie im Akt.

[Dolmetscherin übersetzt die Kopie des Inlandsreisepasses]

R: Wo befindet sich der Inlandsreisepass von BF1?

BF1: Ich habe das Original nicht.

R: Wissen Sie, wo das Original ist?

BF1: Ich kann mich überhaupt nicht mehr erinnern, wie das war, als ich hierher kam. Ich stand unter Stress. Meine Tochter hatte alle Dokumente. Sie hat sich damit beschäftigt.

R: Wurde jemals ein Auslandsreisepass für BF1 ausgestellt?

BF1: Das war 1992. Ja. Damals war ich noch normal. Ich habe Touristenreisen gemacht, in die Türkei und nach Polen und nach Ungarn.

R: Wissen Sie, wo sich Ihr Auslandsreisepass befindet?

BF1: Das weiß ich nicht. Das war ein alter Pass. Das war 1992.

R: Seit wann hält sich BF1 durchgehend in Österreich auf?

BF1: Seit 2013. Ich weiß nur, dass ich in Traiskirchen war, das war am Beginn des Jahres, aber ich habe es vergessen.

R: Besitzt BF1 außer dem asylrechtlichen Aufenthaltstitel in Österreich noch ein weiteres Aufenthaltsrecht?

BF1: Welche gibt es noch? Die Karte habe ich nur. Wir wurden gleich in die Pension überstellt. XXXX. Das ist mein Unterkunftsgeber.

R: Hat BF1 in Österreich oder in anderen Staaten außerhalb des Herkunftsstaates noch Verwandte?

BF1: Nur weitschichtige Verwandte.

R: Welche weitschichtigen Verwandten?

BF1: Das sind Bekannte.

R: Haben Sie Kontakt zu diesen Bekannten?

BF1: Per Telefon.

R: Lebt BF1 in Österreich alleine oder mit jemandem zusammen?

BF1: Mit meiner Tochter.

R: Hat BF1 in Österreich bislang eine Berufstätigkeit oder ehrenamtliche Tätigkeiten ausgeübt?

BF1: Ich würde das gerne. Dazu habe ich keine Möglichkeit. Ich bin krank und ich bin immer so müde.

R: Wovon bestreitet BF1 derzeit Ihren Lebensunterhalt?

BF1: Ich bekomme Geld von der Pension.

R: Wie verbringt BF1 den Alltag?

BF1: Ich bin zu Hause. Ich bin fast immer im Zimmer. Ich möchte die Sprache lernen. Ich versuche deutsche Bücher zu lesen. Ich versuche auf Deutsch zu schreiben. Ich möchte Deutsch lernen.

R: Spricht BF1 Deutsch?

BF1: Sehr, sehr schlecht.

R: Besucht BF1 in Österreich Kurse, eine Schule oder Universität?

BF1: Bei uns in der Pension wird an einem Wochentag ein Deutschkurs durchgeführt. Es ist schwer für mich. Ich will die Sprache lernen.

R: Wie nimmt BF1 am sozialen Leben in Österreich teil (Mitgliedschaft bei Vereinen, Organisationen, ehrenamtliches Engagement, etc.)?

BF1: Derzeit kann ich alleine nichts tun. Meine Teilnahme am sozialen Leben ist sehr eingeschränkt. Wenn ich wohin gehen will, geht das nur mit meiner Tochter. Ich kann maximal vom Zimmer in den Hof gehen.

R: Hat BF1 eine andere, besondere Bindung an Österreich?

BF1: Nein.

R: Hat BF1 seit ihrer Asylantragstellung in Österreich das Bundesgebiet einmal verlassen?

BF1: Nein, wohin?

R: Ist BF1 in Österreich und ihrem Herkunftsland strafgerichtlich unbescholten?

BF1: Ja. Das ist überhaupt die erste Gerichtsverhandlung.

R: Sind Sie sonst mit der österreichischen Rechtsordnung in Konflikt geraten?

BF1: Nein. Wir selbst sind sehr tolerant.

R: Wie würden sich BF1 ihr weiteres Leben in Österreich vorstellen?

BF1: Nur mit meiner Tochter. Ein eigenständiges Leben kann ich nicht führen.

R: Das ho. Gericht kann sich nunmehr ein Bild über die privaten und familiären Bindungen von BF 1 in Österreich machen und erscheinen hierzu seitens des ho. Gerichts keine weiteren Fragen offen. Wollen Sie sich noch weitergehend zur Ihren privaten und familiären Bindungen in Österreich bzw. Ihrer Integration äußern?

BF1: Nein.

R: Möchten Sie an dieser Stelle eine Pause machen?

BF1: Ja. Ich möchte eine Tablette einnehmen.

[Einvernahme für eine Pause unterbrochen]

R: Wo haben Sie wann mit wem zusammengelebt, welche Ausbildung haben Sie gemacht und was haben Sie gearbeitet?

BF1: Ich bin in Kasachstan geboren und ich bin dort aufgewachsen. Die Tschetschenen wurden dorthin deportiert. Von dort sind wir zurückgekommen. Ich bin in XXXX aufgewachsen, ich lebte dort und ich habe auch eine Schule abgeschlossen, dann habe ich die Universität abgeschlossen und ich habe noch ein Diplom. Ich bin Buchhalterin gewesen. Ich habe ca. 40 Jahre lang gearbeitet. Ich habe zuletzt als Chefbuchhalterin beim XXXX gearbeitet. Ich habe auch als Hauptrevisorin gearbeitet. Dann habe ich aus Altersgründen die Arbeit quittiert. Mir ging es nicht gut. Seitdem habe ich zu Hause gelebt.

R: Wie haben Sie Ihr Leben in Russland finanziert?

BF1: Ich habe sehr gut verdient. Ich hatte immer hohe Positionen. Ich habe ausreichend verdient. Ich habe gut verdient. So haben wir gelebt, obwohl es den Krieg gegeben hat. Alles wurde zerstört, viele wurden umgebracht. Ich habe weiter gearbeitet. Wir konnten alles wiederherstellen. Ich wäre niemals weggefahren, wenn ich dieses Problem nicht hätte. Wir haben gut gelebt.

R: Wovon haben Sie gelebt, nachdem Sie aufgehört haben zu arbeiten?

BF1: Ich habe Geld gespart. Zu Hause war immer Geld. Ich habe nicht das ganze Geld ausgegeben. Wir hatten Ersparnisse.

R: Haben Sie eine Pension bekommen?

BF1: Ja.

R: Haben Sie in der Russischen Föderation ein Haus, eine Wohnung?

BF1: Die Wohnung meiner Tochter.

R: Haben Sie noch nennenswertes Vermögen im Herkunftsstaat?

BF1: Ich habe meine Wohnung meiner Tochter geschenkt.

R: Haben Sie noch Familie und Verwandte in der Russischen Föderation?

BF1: Ja, eine Schwester und eine Tochter und weitschichtige Verwandte.

R: Ist das korrekt: Ihre Tochter ist verheiratet und hat Kinder?

BF1: Ja. Sie hat 2 Kinder. Sie lebt in XXXX.

R: Wie viele Geschwister hatten Sie ursprünglich?

BF1: Das fällt mir nicht ein.

R: Haben Sie noch Kontakt mit Ihrer Tochter?

BF1: Ja, es geht ihr normal.

R: Sie sind bereits in der Russischen Föderation behandelt worden?

BF1: Ich wurde operiert, ich wurde kontrolliert, es war alles in Ordnung. Ich musste 1x jährlich zur Kontrolle.

R: Fanden die Kontrollen in Moskau oder in XXXX statt?

BF1: Zu Hause. Einmal hätte ich nach Moskau fahren können zwecks Kontrolle. Ich habe das nicht geschafft. In XXXX gab es eine MRT-Kontrolle. Ansonsten war alles in Ordnung.

R: Ist Ihre Tochter auch Ärztin?

BF1: Ja.

R: Haben Sie in der Russischen Föderation die notwendigen Medikamente bekommen?

BF1: Ja. Es gab keine Probleme. Ich nehme nicht gerne Tabletten ein. Die Probleme mit den Tabletten wurden normal gelöst, und zwar unentgeltlich.

R: Haben Sie Zuzahlungen leisten müssen?

BF1: Manchmal. Die Arzneimittel, die nicht im Register meiner Krankheit erfasst wurden. Diesbezüglich gab es keine Probleme.

R: Gab es Probleme bei den Kontrollen, die Sie brauchen?

BF1: Das war einmal im Jahr. Ein MRT hat damals einen Dollar gekostet. Das war kein Problem.

R: Möchten Sie die Verhandlung fortsetzen?

BF1: Es geht noch ein bisschen.

R: Haben Sie sich in der Russischen Föderation politisch beteiligt?

BF1: Man wollte mich anwerben. Man musste ein Kommunist sein, um einen höheren Posten zu bekommen. Ich habe das nicht unterschrieben. Ich mag keine Politik.

R: Wurden Sie auf Grund von GFK-Gründen verfolgt?

BF1: Zu Hause. Nein, damals nicht.

R: Wurden Sie aus religiösen Gründen verfolgt?

BF1: Niemand hat uns verfolgt, auch damals nicht. In der sowjetischen Zeit konnte ich beten und fasten. Niemand hat mir Probleme gemacht.

R: Hatten Sie selbst mit den staatlichen Behörden Probleme?

BF1: Ich persönlich, Probleme? Wie soll ich das sagen? Sie meinen, weswegen wir gekommen sind? Wir haben damals Probleme bekommen.

R: Bitte schildern Sie mir Ihre Fluchtgründe.

BF1: Ich bin gekommen, weil es Probleme gegeben hat. Ich bin mit meiner Tochter gekommen, um ihr Leben hatte ich Angst. Als es diesen Vorfall gegeben hat, ich habe das nicht gesehen, aber ich gesehen, dass die Leute zu mir nach Hause gekommen sind. Sie trugen militärische Uniformen. Sie haben grob gefragt, wo meine Tochter ist. Ich wurde auf die Seite geworfen. Sie haben das Zimmer durchsucht. Ich habe Angst bekommen. Ich habe nicht einmal verstanden, worum es geht, weswegen sie nach meiner Tochter fragen.

R: Möchten Sie eine Pause?

BF1: Ich möchte das beenden.

BF1: Sie haben überall gesucht. Sie haben niemanden gefunden. Sie sagten, dass meine Tochter umgehend zu den Leuten kommen soll. Ich hatte Angst um die Tochter. Ich habe die Bombardierung erlebt. Ich habe alles Mögliche gesehen. Ich habe von der Küche aus Ausschau gehalten. Sie sind weggegangen, sie haben das Stiegenhaus noch nicht verlassen. Das war ein schwarzes Spezialauto der Leute. Sie sind dort gestanden und nicht weggegangen. Ich habe beschlossen, dass sie mich nicht sehen, dass ich weggehen soll. Das war im 2. Stockwerk. Ich habe meine Nachbarin um Hilfe gebeten. Ich wollte ihr auch nichts sagen. Ich habe vom Balkon etwas hinuntergeworfen. Ich habe meine Nachbarin gebeten, ob ich nicht durch ihr Fenster gehen könnte, um die Sachen zu holen, die ich hinunterwarf. Das war ein anderer Hof auf der anderen Seite. So bin ich weggegangen zu meiner Schwester. Das war nicht so weit. Ich habe die Höfe und Gassen genommen. Mit meiner älteren Tochter und mit XXXX haben wir uns im Hof bei meiner Schwester getroffen. Dann sind wir hierhergekommen. Ich kann mich nicht erinnern, wie viele Tage es gedauert hat. Wir sind dann von dort nach Kiew gefahren und von dort nach Wien.

R: Können Sie diese Männer beschreiben?

BF1: Ich weiß, wie der Mann ausgesehen hat, der uns mit dem Auto hierher gebracht hat.

R: Ich meine die Männer, die zu Ihnen in die Wohnung gekommen sind.

BF1: Sie waren groß und kräftig gebaut. Im Korridor war ein spärliches Licht. Hier wurde ich an den Augen operiert. Damals habe ich noch schlecht gesehen. Ich hatte 5 Dioptrin gehabt. Ich habe ihre Gestalten und Umrisse gesehen. Sie haben sich sehr grob verhalten. Ich habe sie nicht richtig gesehen. Sie haben mich auf die Seite geworfen, sie haben alles durchsucht.

R: Meinen Sie mit kräftig muskulös oder dick?

BF1: Nicht sportlich, sie waren mit Bäuchen. Sie waren groß. Sie waren gut ernährt.

R: Was trugen diese Personen? Zivilkleidung?

BF1: Sie trugen dunkle Uniform, was genau an den Uniformen war, kann ich mich nicht mehr erinnern.

R: Waren sie glatt rasiert oder bärtig?

BF1: Ich weiß es nicht. Ein bisschen bärtig waren sie. Ich kann mich nicht erinnern, dass ein Mann einen Bart hatte, das habe ich nicht gesehen.

R: Sind Sie die ganze Strecke zu Ihrer Schwester zu Fuß gegangen?

BF1: Per Taxi. Mit einem PKW. Ich bin aber viel zu Fuß gegangen, ein bisschen bin ich zum Hof gefahren. Ich weiß das nicht genau. Dieser Moment ist weg aus meinem Gedächtnis. Ich weiß nicht einmal, wie ich hergekommen bin. Es ist eine Gedächtnislücke. Ich bin einfach so per Autostopp gefahren.

R: Sie wussten nicht, wer im Auto sitzt?

BF1: Ich bin hingegangen, ohne mir dessen selbst bewusst zu werden.

R: Waren Sie oder Ihre Töchter zuerst bei Ihrer Schwester?

BF1: Ich habe mich mit meinen Töchtern im Hof getroffen. Ich weiß nicht, wer zuerst gekommen ist.

R: Was war mit der Tasche, die Sie vom Balkon geworfen haben?

BF1: Ich habe die Tasche mitgenommen. Ich habe die Tasche deswegen hinuntergeworfen, damit ich einen Grund habe und damit niemand Bescheid weiß. Es kann sein, dass die Nachbar[i]n etwas sagen wollte.

R: Kennen Sie den Inhalt der Tasche?

BF1: Ich hatte alle Dokumente mit (Pass und auch die medizinischen Unterlagen). Ich habe nur die Tasche so genommen, wie sie war. Ich wusste, dass dort die Geldbörse war. Das war auch das Wichtigste beim Krieg oder beim Erdbeben. An andere Sachen kann ich mich nicht mehr erinnern.

R: Haben Sie aus der Wohnung telefoniert, bevor Sie gegangen sind?

BF1: Ich habe telefoniert. Ich kann mich jetzt nicht mehr erinnern. Entweder habe ich die ältere Tochter angerufen oder umgekehrt. Wir haben per Telefon gesprochen. Meine ältere Tochter sagte, dass ich nicht fragen soll und schnell zu meiner Schwester kommen soll. Deswegen bin ich nach dem Gespräch dorthin gefahren.

R: Nachdem die Männer in der Wohnung waren?

BF1: Nach dem Gespräch mit meiner Tochter. Sie sagte, dass ich das Haus verlassen soll.

R: Fand das Telefonat statt, während die Männer in der Wohnung waren?

BF1: Danach, als sie weggegangen sind.

R: Haben Sie in der Russischen Föderation versucht, Schutz vor diesen Männern zu bekommen?

BF1: Nein. Man hat mir das später erzählt, dass es keinen Schutz vor diesen Männern gibt, niemals.

R: Hat es sonstige Bedrohungen gegen Sie persönlich gegeben?

BF1: Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, inwiefern sich das auf mich bezogen hat. Vorher habe ich meinen Neffen gesucht, der getötet wurde. Es sind praktisch nur seine Körperreste übriggeblieben. Vorher wurde meine Nichte entführt. Tagsüber haben alle geschrien, niemand konnte helfen. Sie wurde entführt, sie ist spurlos verschwunden. Deswegen habe ich wahrscheinlich solche Angst bekommen. Es hat keinen Sinn um Hilfe zu bitten. Die Leute helfen nicht. Es wird einem vorgeworfen, dass man selbst daran schuld ist.

R: Was würde Ihnen persönlich im Fall einer Rückkehr in die Russische Föderation drohen?

BF1: Ramsan und seine Leute hätten uns gefunden.

R: Was sollte er Ihnen konkret antun wollen?

BF1: Das weiß ich nicht. Wenn er meine Tochter findet, dann wird das Gleiche sein, was mit meinem Neffen passiert ist. Davor habe ich Angst.

R: Was würde passieren, wenn Sie sich in Moskau niederlassen?

BF1: Allah behüte. Ramsan kann auch in Wien Leute finden, die er finden will. Es ist gut, dass wir die letzten 3 Jahre in einer Pension waren, wo man uns nicht wahrgenommen hat.

R: Möchten Sie noch etwas angeben?

BF1: Ich weiß es nicht.

R an RB: Möchten Sie eine Stellungnahme abgeben?

RB: Nein.

R: Das Länderinformationsblatt, Stand September 2015, wird der Rechtsberaterin und dem Sachwalter übergeben. 3 Wochen Stellungnahmefrist wird eingeräumt.

R: Aus Anlass eines anderen Verfahrens habe ich erheben lassen, ob MRT Untersuchungen in Russland möglich sind. MRT Untersuchungen sind in XXXX möglich und auch Psychotherapie und psychiatrische Kontrollen.

BF1: Das ist dort alles normal.

RB: Ich brauche diese Unterlagen nicht.

BF:1 Ich habe einen sehr guten Arzt gehabt. Auch in Moskau hat man gesagt, dass er ein sehr guter Arzt ist. Er hat damals die Operation veranlasst."

Befragung der Zweitbeschwerdeführerin:

"R: Ich entnehme dem Akt des Bundesasylamtes (BAA), bzw. seit 01.01.2014 heißt dessen Rechtsnachfolger Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), dass Sie XXXX heißen, geb. am XXXX,

Staatsangehörigkeit: Russische Föderation, Volksgruppe:

Tschetschenin, moslemischer Glaube. Ist das korrekt?

BF2: Ja, das ist korrekt.

R: Sie wurden bereits beim Bundesasylamt bzw. bei den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen. Wie würden Sie die dortige Einvernahmesituation beschreiben?

BF2: Es war alles normal, bis auf die Tatsache, dass es recht emotional vor sich gegangen ist. Es waren alle sehr korrekt.

R: Haben Sie bei Ihren bisherigen Aussagen vor der Polizei im Rahmen der Erstbefragung und dem Bundesasylamt immer die Wahrheit gesagt oder möchten Sie etwas richtig stellen oder ergänzen?

BF2: Das waren nur Kleinigkeiten, was den Weg anbelangt. Vielleicht hat mich die Dolmetscherin nicht ganz richtig verstanden. Ich glaube, dass das bereits vorgebracht wurde. Das bezog sich auch auf die Bezeichnung der Hochschule, die ich nicht fertig machen konnte.

R: Welche Probleme hat es mit dem Weg gegeben?

BF2: Ich kann mich nicht mehr erinnern. Wir haben schon auf alles hingewiesen.

R: Kennen Sie den Inhalt Ihrer Beschwerde und halten Sie die darin gestellten Anträge aufrecht?

BF2: Ja. Ich weiß nur den Sinn der Aussagen.

R: Wie geht es Ihnen gesundheitlich (sowohl in psychischer als auch in physischer Hinsicht): Sind sie insbesondere in ärztlicher Behandlung, befinden Sie sich in Therapie, nehmen Sie Medikamente ein?

BF2: Nein.

R: Verfügen Sie über identitätsbezeugende Dokumente, die sie heute vorlegen können?

BF2: Wir haben das Dokument, das in Österreich ausgestellt wurde, und die Kopie der Inlandspässe nicht zurückbekommen; die Originalpässe haben wir nicht zurückbekommen.

R: Was meinen Sie damit?

BF2: Die Leute, die uns begleitet haben, haben uns versprochen, die Pässe zurückzugeben.

R: Wann und warum wurde die Kopie Ihres Inlandsreisepasses angefertigt, die Sie der Polizei vorgelegt haben?

BF2: Die Kopien wurden schon vor ein paar Jahren gemacht. Meine Mutter war Chefbuchhalterin. Sie hat von allen Dokumenten Kopien gemacht. Sie war auch jede Woche beim Arzt, vor allem dann, wenn sich der Blutdruck erhöht hat. Wahrscheinlich hat sie aus diesem Anlass auch die Kopie meines Dokumentes gemacht.

R: Die Dolmetscherin übersetzt [die Kopie des Inlandspasses der Zweitbeschwerdeführerin].

R: Welche Medikamente nimmt Ihre Mutter?

BF2: Enac 10 mg (Blutdruck), Trombo-Acc (Blutverdünnung), Seractil-forte (Schmerzmittel).

BF2 legt vor: Ein Konvolut an Befunden betreffend die Erstbeschwerdeführerin. Diese werden in Kopie zum Akt genommen. Die Originale werden retourniert.

R: Sind Sie aktuell in medizinischer Behandlung?

BF2: Im Kurzentrum XXXX hatte ich an der Wirbelsäule eine Therapie (Physio-Therapie).

R: Welche regelmäßigen Therapien braucht Ihre Mutter?

BF2: Wichtig ist, dass sich ihr Blutdruck nicht erhöht. Ansonsten wurde nichts festgestellt.

R: Das heißt, die Medikamente und die Kontrolluntersuchung?

BF2: Ja, sie muss jedes Jahr kontrollieren.

R: Wurde Ihnen jemals ein Auslandsreisepass ausgestellt?

BF2: Wir wollten auch die Dokumente einreichen. Wir hatten es nicht geschafft, den Pass zu holen.

R: Wann haben Sie den Pass beantragt?

BF2: Wir haben sie eingereicht. Die Reihe war so lang. Das war 2011 oder 2012, genau weiß ich es nicht mehr. Wir hatten kein konkretes Urlaubsdatum. Wir wollten die Pässe haben. Meine Mutter hatte einen abgelaufenen Pass, ich hatte keinen.

R: Gibt es andere Beweismittel, die Sie heute vorlegen möchten?

BF2: Ich möchte Unterlagen bezüglich der Integration vorlegen.

BF legt vor: o) Empfehlungsschreiben des Trainingszentrums; o) Deutschkursbestätigungen o) Teilnahmebestätigung betreffend an einem Kurs betreffend Umweltschutz und o) ein Unterstützungsschreiben vom Beherbergungsbetrieb (die Unterlagen werden in Kopie zum Akt genommen).

R: Seit wann halten Sie sich durchgehend in Österreich auf?

BF2: Wir sind am 01. März hierhergekommen. Am 04. März haben wir um Asyl angesucht.

R: Wo haben Sie sich dazwischen aufgehalten?

BF2: Wir sind mit 2 anderen Frauen gereist. Der Mann, der auf sie gewartet hat, hat uns mitgenommen, weil wir keine Bleibe hatten. Wir hatten nur die Adresse von Traiskirchen. Erst jetzt kenne ich mich aus, was die Verkehrsmittel in Österreich anbelangt. Ich war bis zu diesem Zeitpunkt nie in Österreich.

R: Besitzen Sie außer den asylrechtlichen Aufenthaltstitel in Österreich noch ein weiteres Aufenthaltsrecht?

BF2: Nein.

R: Sprechen Sie Deutsch?

BF2: Ein bisschen.

[ohne Übersetzung]

R: Haben Sie in Österreich oder in anderen Staaten außerhalb Ihres Herkunftsstaates noch Verwandte?

BF2: Nein. Ich habe nur eine Cousine, die Tochter der Schwester der Mutter. Die Cousine ist hier in XXXX.

R: Sonst haben Sie keine Verwandten in Österreich?

BF2: Nein.

R: Haben Sie Kontakt zur Cousine?

BF2: Ja.

R: Haben Sie in Österreich bislang eine Berufstätigkeit oder ehrenamtliche Tätigkeiten ausgeübt?

BF2: Die Cousine hat die weiße Karte.

R: Haben Sie in Österreich gearbeitet?

BF2: Ich fragte nach Arbeit. Die CARITAS sagte, dass ich nicht arbeiten kann, aber ich will.

R: Wovon bestreiten Sie derzeit Ihren Lebensunterhalt?

BF 2: Ich habe geholfen in Traiskirchen. Ich habe XXXX geholfen, mit dem Geschirr und mit den Sachen für andere Leute. Ich habe mit 2 Australiern geholfen. Das ist ein Ehepaar.

R: Woher haben Sie Geld, um zu leben?

BF2: Ich bekomme 40 Euro Taschengeld pro Monat. Ich beziehe Grundversorgung.

[mit Übersetzung]

R: Wie würden Sie Ihren Lebensunterhalt in Österreich bestreiten, wenn Sie ein Aufenthaltsrecht bekämen?

BF2: Wenn es möglich ist, würde ich alles machen, was möglich ist, das, was ich machen kann.

R: Wie verbringen Sie den Alltag?

BF2: Ich besuche jeden Tag Deutschkurse. Am Abend mache ich Hausaufgaben. Ich gehe spazieren.

R: Besuchen Sie in Österreich andere Kurse, eine Schule oder Universität?

BF2: Ich würde das gerne. Dafür spreche ich noch zu wenig Deutsch. Ich möchte gerne meine Ausbildung fortsetzen.

R: Wie nehmen Sie am sozialen Leben in Österreich teil (Mitgliedschaft bei Vereinen, Organisationen, ehrenamtliches Engagement, etc.)?

BF2: Wir haben zuerst in XXXX gelebt, dann sind wir näher zu Wien übersiedelt. Ich war einige Male in Traiskirchen. Das ist nicht offiziell. Ich habe nur geholfen. Jetzt habe ich Kurse, deswegen schaffe ich das nicht ganz. Am Montag habe ich Deutschkurs.

R: Haben Sie eine andere, besondere Bindung an Österreich?

BF2: Besondere Bindungen?

R: Gibt es etwas, was bisher im Verfahren nicht vorgekommen ist?

BF2: Nein.

R: Wie würden Sie sich Ihr weiteres Leben in Österreich vorstellen?

BF2: Ich möchte nicht tatenlos dasitzen. Man muss immer die Schulden zurückzahlen. Das möchte ich auch, soweit ich kann. Ich möchte das zurückgeben, was man mir gegeben hat. Ich habe keine Angst vor der Arbeit. Ich würde keine Arbeit verweigern.

R: Haben Sie zurzeit Schulden?

BF2: Nein.

R: Sind Sie in Österreich und Ihrem Herkunftsland strafgerichtlich unbescholten?

BF2: Ich habe keine Strafen.

R: Sind Sie auf andere Art und Weise mit der österreichischen Rechtsordnung in Konflikt geraten?

BF2: Nein, niemals.

R: Das ho. Gericht kann sich nunmehr ein Bild über Ihre privaten und familiären Bindungen in Österreich machen und erscheinen hierzu seitens des ho. Gerichts keine weiteren Fragen offen. Wollen Sie sich noch weitergehend zur Ihren privaten und familiären Bindungen in Österreich bzw. Ihrer Integration äußern?

BF2: Sie haben sich schon Ihre Meinung gebildet. Wenn Sie zusätzliche Fragen haben, dann kann ich diese beantworten.

R: Geben Sie mir bitte einen kurzen Lebenslauf von sich an: Wo haben Sie wann und mit wem gelebt und was haben Sie in dieser Zeit beruflich bzw. schulisch gemacht?

BF2: Ich bin in der Stadt XXXX geboren und in XXXXaufgewachsen. Ich habe mit meiner Mutter gelebt, auch meine Schwester hat mit uns gelebt bis zu ihrer Heirat. Ich habe in der XXXXals Sekretärin gearbeitet. XXXX. Ich habe dort als Sekretärin vom XXXX gearbeitet. Ich habe die tschetschenische staatliche Universität, XXXX, als Bachelor, abgeschlossen.

R: Sie haben zuerst den Bachelor gemacht und dann an der Universität weiter studiert?

BF2: Ich habe das Magisterstudium mit einer anderen Fachausrichtung abgeschlossen. Ich habe dann in XXXX ein Zweitstudium gemacht. Ich weiß nicht, ob das für das Magisterstudium gegolten hat oder nicht. Ich habe 5 Jahre lang studiert. Es gab auch Änderungen in der Hochschule.

R: Seit wann haben Sie gearbeitet?

BF2: Vorher habe ich woanders gearbeitet. 2008 oder 2009. Es war nach der Universität.

R: Was haben Sie davor gearbeitet?

BF2: In der XXXX. Ich habe auch Kurse abgeschlossen. Einmal die Buchhaltung, dann habe ich in der XXXX nicht lange gearbeitet.

R: Wie haben Sie in der Russischen Föderation Ihr Leben finanziert? Wie waren ihre Lebensverhältnisse?

BF2: Meine Eltern haben mich unterstützt. Alles, was ich verdiente, konnte ich selbst ausgeben. Bei uns werden die Kinder von den Eltern finanziert, solange sie bei den Eltern leben. Meine Mutter hat meine Ausbildung finanziert. Meine Eltern haben sich scheiden lassen. Mein Vater und ich wussten, ob wir gesund sind oder nicht. Mehr hat es nicht gegeben. Das war noch vor dem 1. Krieg. Von seiner Seite gab es keine Finanzierung. Die Mutter war es gewohnt, uns selbst durchzubringen.

R: Wann ist Ihre Schwester zu Hause ausgezogen?

BF2: Meine Schwester hat geheiratet. Das war 2006, in dem Jahr, an dem ich die Universität abgeschlossen habe, 6 Monate später hat sie geheiratet. Meine Schwester hat in XXXX Medizin studiert und zwar an der Universität (...).

R: Dann ist sie nach XXXX zurückgegangen?

BF2: Ja. Als der Krieg zu Ende war. Sie ist verheiratet und hat 2 Kinder, derzeit arbeitet sie nicht als Ärztin. Sie hat Mutterschutz und hat sich dann um die Kinder gekümmert. Sie ist Psychiaterin. Sie kann wahrscheinlich jederzeit eine Arbeit finden. Sehr viele Leute rundherum sind krank. Ich habe zu ihr ein bisschen Kontakt. Sie sagt, dass bei ihr bis jetzt alles in Ordnung ist.

R: Wie sieht die Familie Ihrer Mutter aus?

BF2: Sie hat derzeit 3 Schwestern. Sie hatte 4 Schwestern und 1 Bruder, 1 Schwester und 1 Bruder sind gestorben.

R: Wo leben die 3 Schwestern?

BF2: 1 Schwester lebt im Heimatdorf mit dem Ehemann. Die anderen 2 Schwestern leben in XXXX. Wo die jüngere Schwester wohnt, weiß ich nicht genau. Die 2. Schwester meiner Mutter lebt in XXXX, sie ist jünger als meine Mutter.

R: XXXX, geboren 1941, lebt sie?

BF2: Sie lebt im Dorf.

R: Hat diese Schwester Kinder?

BF2: Ja. Sie hat 6 oder 7 Kinder. 1 Sohn ist gestorben, aber ich weiß nicht, wie viele Kinder sie noch hat.

R: XXXX?

BF2: Offiziell XXXX.

R: Hat sie das Haus?

BF2: XXXX hat das Haus im Dorf. Sie hat 1 Tochter. XXXX wohnt in XXXX. Sie hat eine Wohnung und keine Kinder. Die Mutter von XXXX ist gestorben.

R: Hat der verstorbene Onkel Kinder?

BF2: Ja, das ist der Sohn, der umgebracht wurde, das ist ein leiblicher Bruder meiner Mutter. Das Mädchen, das verschwunden ist, ist von einem Cousin meiner Mutter. Der Vater meiner Mutter und der Vater des Cousins waren Brüder; deswegen der gleiche Familienname.

R: Haben Sie mit diesen Verwandten Kontakt?

BF2: Nein, nur mit meiner Schwester.

R: Hat Ihre Schwester mit diesen Verwandten Kontakt?

BF2: Wahrscheinlich. Sie leben in der Republik, diese ist nicht groß.

R: Wie geht es diesen Verwandten?

BF2: Ich glaube auch so. Der Vater der Tochter, die entführt worden ist, wartet noch, dass sie lebend zurückkommt.

R: Besitzen Sie im Herkunftsstaat noch eine Wohnung, ein Haus, oder sonstige Unterkunft bzw. nennenswertes Vermögen?

BF2: In XXXX habe ich eine Wohnung.

R: Haben Sie sich in Tschetschenien politisch betätigt?

BF2: Ich habe mich bemüht, möglichst weit weg von diesem Thema zu sein.

R: Wurden Sie aus GFK-Gründen verfolgt?

BF2: Nein.

R: Wurden Sie jemals aus religiösen Gründen verfolgt?

BF2: Nein.

R: Hatten Sie Probleme mit staatlichen Behörden Ihres Herkunftsstaates?

BF2: Ich weiß von keinen Problemen.

R: Warum mussten Sie die Russische Föderation verlassen?

BF2: Ich habe erzählt, dass meine Cousine entführt wurde. Ich weiß, wie das vor sich geht, damals wurden viele junge Frauen entführt und vergewaltigt. Dann hat man gesagt, dass das "leichte" Frauen waren. Ich wurde eingeladen zu einem Empfang. Ich habe versucht, mich weit entfernt von solchen Leuten zu halten. Wenn mich solche Leute zum Empfang eingeladen haben, dann hatte ich immer Angst. Ich bekleide keinen Posten, der ein Grund dafür wäre, mich zu einem solchen Empfang einzuladen. Ich habe Angst vor diesen Leuten. Bei einer jetzigen Rückkehr weiß ich nicht, was mit mir passieren wird. In die Organisation sind immer irgendwelche Leiter gekommen. Ich habe immer versucht, mich im Arbeitszimmer zu verstecken. Wir sind gewohnt, uns vor allen möglichen Sachen zu fürchten. Wenn es zu Stresssituationen kommt, kommen gleich schlimme Gedanken in den Kopf. Ich halte das nicht für eine Norm, dass man eine Person, die sich weigert, zu einem Empfang zu kommen, angreift und zum Auto schleppt. Man kann von diesen Leuten alles Mögliche erwarten.

R: Bitte schildern Sie das so, wie das Ganze abgelaufen ist.

BF2: Ich war im XXXX. Das war eine Berichterstattungsperiode. Ich habe gesagt, dass zum XXXX verschiedene Personen gekommen sind. Als ich in den Korridor ging, kam eine Delegation. Als ich diese Leute gesehen habe, habe ich Angst bekommen. Ich bin weggegangen. Ich bin mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu mir in die Arbeit gefahren, als ich unterwegs war, wurde ich von einer Frau angerufen, mit welcher ich dort in Kontakt stand. Sie hat gesagt, dass man nach meinem Namen und meiner Tel.Nr. fragte. Ich habe sie gebeten, diese Angaben nicht zu tätigen. Offensichtlich hat sie diese Angaben doch gegeben. Als ich in der Arbeit war, hat mich der Helfer des Mannes angerufen. Er hat sich auch so vorgestellt. Das war schon gegen abends. Ich wurde am nächsten Tag zu einem Treffen eingeladen. Ich sagte, dass ich diesen Termin nicht wahrnehmen kann, weil ich sehr viel zu tun habe. Am nächsten Tag ging ich nicht hin. Am Abend, als ich von der Arbeit nach Hause ging, sind die Leute zwischen unserer Gasse und der XXXX Straße gestanden. Es war schon dunkel. Es kam jemand auf mich zu, ich sollte mich in das Auto setzen. Ich bin nicht eingestiegen. Ich kann mich nicht erinnern, wie das genau abgelaufen ist. Ich habe mich geweigert. Er hat versucht, mich von dort wegzubringen. Ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe, mich loszureißen. Ich habe mich losgerissen und ich bin durch die Höfe gelaufen. Sie waren mit dem Auto unterwegs. Die Höfe verlaufen Zickzack. Es stehen viele Autos dort. Für die Leute, die mit dem Auto unterwegs waren, war das ein großer Zeitverlust. Damals waren die Leute korpulent und nicht sportlich. Deswegen sind sie nicht nachgelaufen. Ich habe zwar ihre Schritte gehört, ich bin kein Sprinter. Wenn man Angst hat, dann läuft derjenige sehr schnell. Ich habe das nicht gedacht, dass ich das schaffe. Jedenfalls haben mich die Leute nicht erreicht. Ich bin auf die andere Seite gelaufen. Es gibt auch nicht überall Straßenbeleuchtung. In der Nacht konnte ich nirgends hinlaufen. Man nahm an, dass ich nach Hause, nach links, gelaufen bin. Ich bin durch die Höfe rechter Hand gelaufen. Auf der Seite, wohin ich gelaufen bin, gibt es auch die Universität, an der ich studiert habe. Dort gibt es Wege, die man nur zu Fuß betreten kann. Diese Wege führen direkt auf die XXXX. Die Leute sind in die eine Richtung und ich in die andere Richtung gegangen. Beleuchtung gibt es nur an der oben genannten größeren Straße. Ich bin zu meiner Schwester gekommen. Unterwegs habe ich die Simkarte weggeworfen. Ich habe das so verstanden, dass die Leute meine Mutter nach mir fragten. Sie haben sie eingeschüchtert. Man muss sich den Zustand meiner Mutter vorstellen. Es sind Menschen gekommen, sie wusste nicht, wer das ist.

BF2 weint.

BF2: Ich bin zu meiner Schwester gekommen. Ich habe ihr die Lage erklärt. Sie hat meine Mutter kontaktiert. Sie hat sie beruhigt, dass ich bei ihr bin. Ich kann mich nicht mehr an alle Details erinnern. Meine Mutter hat gesehen, dass das Auto weiterhin dort steht. Wir haben beschlossen, dass wir uns bei der Schwester meiner Mutter treffen werden. Meine Schwester und ich riefen ein Taxi und fuhren zur Schwester meiner Mutter. Wir sind dorthin zusammen gekommen. Wir haben uns überlegt, was wir tun sollen. Die Schwester hat vorgeschlagen, eine Zeit lang wegzufahren, damit man auf mich vergisst. Manchmal vergisst man, dass Probleme verschwinden. Auf diese Weise hat sie dann die Möglichkeit gefunden. Wir sind hierher gefahren.

R: Was würde Sie im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat konkret erwarten?

BF2: Ich weiß das nicht. Ich möchte das nicht überprüfen müssen. Ich weiß das nicht. Mir macht auch die Tatsache Angst, dass ich es nicht weiß.

R: Was wäre, wenn Sie nach Moskau ziehen würden?

BF2: Für uns wäre es um vieles leichter. Moskau ist für unsere Republik die nächste Region. Ohne Registrierung kann man in keiner Region Russlands leben. Meine Mutter hätte irgendwo von der medizinischen Seite registriert werden müssen. Wir hätten sonst nicht die Rettung anrufen können.

R: Was spräche gegen eine Registrierung in Moskau?

BF2: Moskau ist für die Leute, die leitende Positionen haben, wie das eigene Haus. Dort gibt es viele Tschetschenen, viele unserer Organisationen. Moskau wäre kein Ausweg gewesen.

R: Haben Sie Anzeige bei den Behörden erstattet?

BF2: Unsere Behörden,... mein umgebrachter Cousin, wegen ihm haben wir uns an die Behörden gewandt. Der Untersuchungsbeamte wollte die Anzeige nicht entgegennehmen. Es gab einen Untersuchungsbeamten aus Stawropol oder aus Moskau. Er hat gesagt, dass er uns das derzeit nicht empfiehlt, weil wir sonst Probleme bekommen. Wir sollten eine Zeit warten und es verschweigen. Wie hätte ich mich an solche Behörden wenden können? Die Behörden machen nur das, was man Ihnen von oben herab sagt, zumindest bei uns.

R: Hatten Sie vor dem einen Vorfall selbst Probleme mit den staatlichen Behörden?

BF2: Nein.

R: Wie genau hat die Begegnung im XXXXstattgefunden?

BF2: Ich war im Korridor. Ich bin Richtung Ausgang gegangen. Die Leute sind gerade hereingekommen. Wenn XXXXoderXXXX kommt, kommt meistens die zugehörige Delegation mit, der Korridor war voll. Als ich gesehen habe, wer vorne geht, habe ich Angst bekommen. Vielleicht habe ich mich auffällig bewegt. Ich weiß nicht, was die Aufmerksamkeit auf mich gezogen hat. Ich habe versucht, gleich wegzugehen. Die Meisten versammeln sich, wenn sie die Leute sehen. Wenn man sich abwendet oder weggeht, dann ist es für die Leute verwunderlich. Die Leute sind sehr von sich überzeugt. Sie glauben, dass sie die ganze Welt in ihren Händen halten.

R: Wer war an der Spitze der Delegation?

BF2: Ich weiß nicht, wer die Delegation leitete. Ich hatte vor dem Mann Angst. Als meine Cousine entführt wurde, war sie bei einer XXXX tätig. Ich weiß nicht, warum sie dorthin geschickt wurde. Ich glaube wegen einer Unterschrift. ZuXXXX und zu XXXX schickte man sie. Sie hat an die Tür eines Arbeitszimmers geklopft. Sie erzählte das, als sie von der Arbeit nach Hause gekommen ist. Man hat sie nach ihrer Telefonnummer gefragt. Sie hat Angst bekommen und gesagt, dass sie kein Telefon hat. Man hat versucht, sie über den Leiter zu finden. Sie fragte, ob sie aus Angst kündigen soll. Das war, bevor sie entführt wurde. Damals ist oft der Name XXXX gefallen.

R: Sind Sie XXXX vor dem Treffen XXXX begegnet?

BF2: Als wir nach der Cousine gesucht haben, hat sich der Vater an alle Behörden, XXXX, gewandt. Er ist ständig neben ihm, gemeint LORD. Offensichtlich sind die beiden befreundet. Ich war Zeugin. Ich habe ihn nur einmal gesehen. Die Frau wurde nicht gefunden. Nach ca. 1-2 Wochen ist XXXX in den örtlichen Nachrichten aufgetreten. Es gab Anzeigen von Eltern, deren Töchter ebenfalls verschwunden sind. Er sagte, dass Leute zu ihm gekommen sind, deren Töchter entführt wurden. Sie sind nicht verschwunden, sie haben geheiratet oder sie sind Prostituierte und sie beschäftigen sich damit. Er hat keinen Namen genannt. Er hat gesagt, dass es vor kurzem einen Vorfall gegeben hat. Er nannte den Bezirk eines Vaters, er sagte, dass die Leute von dort gekommen sind. Er hat das Dorf nicht genannt. Er hat gesagt, dass von dort eine junge Frau angeblich verschwunden ist. Er sagte, dass es besser wäre, besser auf die Tochter aufzupassen. Das war die Lage zur Anzeigeerstattung. Man hatte nicht vor, nach ihr zu suchen.

R: Sie wurde nach dem Aufeinandertreffen im XXXX im Bus angerufen?

BF2: Ja, das war die dort arbeitende Frau.

R: Woher hatte sie Ihre Telefonnummer?

BF2: Bei uns gibt es nur Handys. In der Arbeit werden die Telefonnummern ausgetauscht. Festnetznummern haben nur zB XXXX. Nach dem Krieg wurden wenig Festnetzanschlüsse hergestellt.

R: Wie genau lief das Telefonat ab?

BF2: Sie hat gesagt, dass man nach ihr fragt. Sie hat die Person genannt. Sie hat gesagt, dass sie nach mir und nach meiner Telefonnummer fragen. Ich habe gesagt, dass sie das nicht sagen soll. Sie hat gesagt, dass ich sie verstehen soll, dass sie nicht weiß, was sie tun soll.

R: Wie war das Gespräch mit XXXX Helfer?

BF2: Das weiß ich nicht wortwörtlich. Er hat gesagt, er arbeitet und dass ich eingeladen werde zu einem Termin. Ich bin verpflichtet, dorthin zu kommen.

R: Wohin genau und wann hätten Sie kommen sollen?

BF2: Ich weiß nicht, wo XXXX ist. Wo sie früher war, weiß ich, XXXX.

R: Er hat nicht genauer gesagt, wohin Sie kommen sollen?

BF2: Alle wissen, wo sich XXXX befindet. Vielleicht dachten sie nicht daran, dass ich es nicht weiß. Ich wäre auch mit einem Taxi dorthin gefahren. Deswegen war es nicht notwendig, dass ich die Adresse weiß.

R: Vom Verlassen des XXXX, bis zu diesem Anruf, wieviel Zeit ist vergangen?

BF2: Das ist in einem Bezirk, 15 Minuten Fahrt. Jedenfalls habe ich mein Ziel noch nicht erreicht, ich war fast dort.

R: Wann hätten Sie bei diesem Empfang sein sollen?

BF2: Am nächsten Tag. Ca. zur Mittagszeit.

R: Was haben Sie am Telefon geantwortet?

BF2: Ich habe sehr viel gesprochen. Ich habe gesagt, dass ich keine Zeit habe und viel zu tun.

R: Gab es nur diesen Anruf, gab es mehrere Anrufe? Was passierte bis zu Mittag des nächsten Tages?

BF2: Die Leute haben geglaubt, dass ich jedenfalls kommen werde. Ich bin nicht an das Telefon gegangen.

R: Wann waren diese anderen Anrufe?

BF2: Als die festgesetzte Zeit vorbei war, nach dem Mittagessen. Ich ging nicht zum Termin. Dann wollte ich nach Hause fahren. Ich bin keine wichtige Person.

R: Den Nachmittag über gab es nur diese Anrufe?

BF2: Vielleicht hat dazwischen jemand angerufen.

R: War das immer dieselbe Nummer?

BF2: Ich weiß es nicht. Ich kann mich nicht mehr erinnern. Ich weiß, dass ich wieder am Display die Nummer gesehen habe, von der ich zuvor angerufen wurde. In der Arbeit erlaubte man uns das Telefonieren nicht.

R: Wann sind Sie aus der Arbeit nach Hause gegangen?

BF2: 18.00 Uhr. 6-7 Minuten musste ich zu Fuß nach Hause gehen. Ich habe mich umgezogen und meine Sachen genommen. Vielleicht waren das 10 Minuten.

R: Wie ging es weiter?

BF2: Ich habe das Gebäude verlassen. Ich sollte auf die Straße XXXX kommen, ich gelangte zur XXXX. Es gibt dort eine Haltestelle. Dort ist das Auto gestanden. Es waren 2 Männer, einer saß am Steuer. Der Zweite ist dort gestanden und er hat gewartet. Vielleicht hat man schon gewusst, wer vorbeigehen wird. Ob sie mich nach dem Namen fragten, obwohl ich nachts mit unbekannten Männern nicht spreche. Sie wollten mit mir zum Termin fahren. Ich wollte das nicht, weil ich sie nicht kenne. Er hat mich ergriffen am Arm. Er hat mich Richtung Auto gezerrt. Ich kann mich nicht mehr erinnern, was ich gemacht habe. Ich habe ihm glaublich das Gesicht zerkratzt. Ich bin ohne mich umzusehen geflüchtet. Ich habe eine schlechte Koordination. Es ist schlecht, wenn ich mich umdrehe.

R: Wie weit ist diese Busstation von Ihrer Arbeit entfernt?

BF2: 50-70m.

R: Ist das mehr als Sichtweite?

BF2: Ich war die Letzte, die aus der Arbeit kam.

R: Können Sie das Auto beschreiben?

BF2: Die Marke weiß ich nicht, ein dunkles großes Auto. Ich weiß nicht, wie das konkrete Auto ausgesehen hat. Ich weiß dass diese Leute mit einem Hummer (Geländewagen) unterwegs waren (generell).

R: Können Sie die beiden Männer beschreiben?

BF2: Sie trugen Bärte, sie waren dunkel, sie waren in Uniformen. Ich weiß die Farbe der Uniform nicht. Ich sehe sehr schlecht. Auch wenn es wolkig ist, sehe ich schlecht. Ich habe auch auf ihre Gesichter nicht gesehen.

R: Was meinen Sie mit bärtig?

BF2: Eine Woche Bartwuchs.

R: Sie sind dann zu Fuß zu Ihrer Schwester gelaufen und was passierte dann?

BF2: Es ist ein privates Haus. Sie haben ein Tor. Das Tor wird erst nachts von den Leuten selbst zugemacht. Bis zur späten Stunde wird es nicht verschlossen.

R: Was haben Sie mit Ihrer Schwester besprochen?

BF2: Ich sagte, was passiert ist. Sie hat Angst bekommen. Konkret weiß ich das Gespräch nicht mehr. Sie hat entschieden, was zu tun hat.

R: Wer hat wen angerufen?

BF2: Ich kann mich nicht mehr erinnern.

R: Waren Sie und Ihre Schwester alleine im Haus?

BF2: Ihre Kinder. Ihr Mann ist irgendwohin gegangen.

R: Wie alt waren die Kinder damals?

BF2: Jetzt sind sie 7 und 8 Jahre alt. Damals waren sie 5 und 6 Jahre alt.

R: Waren sie bei diesem Gespräch dabei?

BF2: Ja, sie haben das nicht verstanden.

R: Wie ging es nach dem Gespräch weiter?

BF2: Die Schwester hat das Taxi angerufen, dazu war ich nicht imstande.

R: Sind Sie mit oder ohne Kinder zur Schwester Ihrer Mutter gefahren?

BF2: Im Hof wohnt ihr Schwager. Die Kinder sind dort geblieben.

R: Waren Sie und Ihre Schwester zuerst dort oder Ihre Mutter?

BF2: Wir haben uns unten getroffen. Wer zuerst gekommen ist, weiß ich nicht. Dann gingen wir zur Schwester meiner Mutter.

R: Ihre Mutter hat in der ursprünglichen Einvernahme angegeben, dass Sie zu einer Busstation gegangen ist und Sie mit Ihrer Schwester in einem privaten PKW gewartet haben?

BF2: Vielleicht hat sie die Haltestellen verwechselt. Meine Mutter verwechselt viele Sachen. Vielleicht war die Übersetzung nicht genau.

R: Ihre Mutter sagte, dass Sie, Ihre Schwester und Ihre Mutter gemeinsam zu Ihrer Tante gefahren sind?

BF2: Ich weiß, dass wir uns bei der Schwester meiner Mutter getroffen haben und gemeinsam zur Schwester meiner Mutter gingen.

R: Welche Kleidung trugen Sie an diesem Tag?

BF2: Im November hatte ich gewöhnliche Kleidung an. Ich trug Stiefel, Mantel.

R: Welche Stiefel waren das?

BF2: Neue Stiefel mit flachem Absatz. Ich hatte eine Handtasche dabei. Sie war orange. Sie war im Stil der 60er Jahre.

R: Wie konnten Sie im Gerangel mit dem Uniformierten die Handtasche behalten?

BF2: Sie hing über der Schulter, deswegen. Ansonsten hätte ich sie auch dort fallen lassen.

[...]

R: Gibt es etwas, dass Sie bis dato noch nicht im Asylverfahren vorgebracht haben?

BF2: Ich kann mich nicht mehr erinnern, was ich schon gesagt habe.

R: Hat sich seit dem Vorfall etwas ereignet? Sind Sie kontaktiert oder gesucht worden?

BF2: Das weiß ich nicht. Das Auto ist beim Stiegenhaus gestanden. Wir sind bei der Tante gesessen. Vielleicht hat man mich dort angerufen.

R: Hat Ihre Schwester seit diesem Vorfall von Problemen berichtet?

BF2: Sie hat einen anderen Familiennamen und sie wohnt woanders. Sie hat aber gesagt, dass ein Auto gekommen ist. Die Nachbarn haben berichtet, dass die Leute angeklopft haben.

R: Wer kümmert sich zurzeit um Ihre Wohnung?

BF2: Niemand, die Wohnung ist versperrt. Heizung und Wasser wird automatisch abgeschaltet, wenn man eine Zeitlang nicht bezahlt.

R: Hatte Ihre Mutter Ihr Mobiltelefon dabei?

BF2: Ja.

R: Hat sich jemand bei Ihrer Mutter gemeldet?

BF2: Nach der Operation hat sie eine neue Nummer bekommen. Sogar ihre ehemaligen Arbeitskollegen haben die Nummer nicht gewusst. Wir haben die Telefonnummer wegen der vielen Telefonate ihrer Bekannten ändern lassen. Sie soll nicht viel telefonieren. Sie ist eine sehr gute Fachfrau. Es gab viele Anrufe, dass man einen Rat von ihr bekommt.

R: Wann haben Sie die Nummer ändern lassen?

BF2: Ca. 2010. Sie darf nicht allzu lange das Telefon am Kopf halten. Sie soll man vor unnötigen Gesprächen schützen.

R: Ihre Mutter hat danach keine Anrufe bekommen?

BF2: Niemand wusste ihre Nummer, nur die Familienmitglieder haben die Nummer gewusst.

R: Möchten Sie Ergänzendes anmerken?

RB: Ich hatte den Eindruck, dass die BF2 die Frage nach der Verfolgung aus den Gründen der sozialen Gruppe und die Frage, ob sie von Behörden verfolgt wurde, nicht verstanden, da sie diese verneint hat. Diese Fragen sollten nochmals geklärt werden.

R: Zuvor fragte ich Sie, ob Sie Probleme mit staatlichen Behörden hatten. Sie schildern Probleme mit den 2 Uniformierten.

BF2: Ich habe sonst keine anderen Probleme gehabt.

R: Gehörten die beiden Männer einer Behörde an?

BF2: Sie trugen eine Uniform. Ich hatte kein Vertrauen in solche Männer. Sie waren uniformiert. Sie haben gesagt, dass ich nicht zum Termin gekommen bin. Offensichtlich hat jemand die Männer zu mir geschickt. Sie haben sich nicht ausgewiesen.

R: Ich meinte, ob Sie verfolgt wurden, weil Sie eine Frau sind?

BF2: Vorher hatte ich keine solchen Probleme. Ich bin nur zur Arbeit und wieder zurückgegangen. Ich bin ein häuslicher Mensch.

RB keine Fragen.

R: Konnten Sie alles vorbringen?

BF2: Ja.

R händigt das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Russischen Föderation, Stand 15.09.2015 aus, und erteilt eine dreiwöchige Frist zur Stellungnahme.

R: Wollen Sie noch etwas Ergänzendes vorbringen oder weitere Beweisanträge stellen?

BF2: Nein. Ich wollte fragen, ob Sie meinen Augenarztbefund brauchen?

BF2 legt diesen vor und ergänzt: Dies dient dazu, dass Sie nicht glauben, dass ich mir das ausgedacht habe, die Operation hat nicht100%ig gewirkt.

R: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?

BF2: Ja.

[...]

R: Wurde das protokolliert was Sie vorher angegeben haben oder wollen Sie Korrekturen anbringen?

BF1 und BF2: Ja.

BF 1: Mir ist eingefallen, dass ich zwei Schwestern habe.

BF 2: Meine Mutter verwechselt die Preise für das MRT, diese haben nicht einen, sondern nach dem aktuellen Wechselkurs 50 Dollar gekostet."

10. In der Stellungnahme vom 15.10.2015 zu den übergebenen Länderfeststellungen wiesen die Beschwerdeführerinnen mit Hilfe von diversen Berichten nochmals auf die menschrechtliche Situation der Frauen in Tschetschenien, insbesondere im Zusammenhang mit Brautentführungen hin. Die Beschwerdeführerinnen hätten ein schlüssiges und nachvollziehbares Vorbringen erstattet und habe das Bundesverwaltungsgericht zwei tschetschenischen Frauen in einem ähnlich gelagerten Fall Asyl gewährt. Beigelegt wurde eine ACCORD-Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation/Tschetschenien vom 22.10.2015, a-9361: Situation hinsichtlich der Entführungen von jungen Frauen durch Kadyrowzy; Berichte zu Entführungen, die vonXXXXbeauftragt wurden sowie Berichte über Frauen, die Entführungen entkommen sind und die Lage ihrer Verwandten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die - zulässige - Beschwerden erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Identität der Beschwerdeführerinnen steht nicht fest. Sie sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe. Sie bekennen sich zum muslimischen Glauben.

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der volljährigen Zweitbeschwerdeführerin. Die Erstbeschwerdeführerin ist geschieden, die Zweitbeschwerdeführerin ist ledig. Die Zweitbeschwerdeführerin ist kinderlos, die Erstbeschwerdeführerin hat eine weitere Tochter, die in nach ihrem Medizinstudium in XXXX als Ärztin in XXXX lebt und arbeitet, derzeit aber in Mutterschutz ist. Die Beschwerdeführerinnen lebten bis zu ihrer Ausreise in einer Eigentumswohnung in XXXX, wobei die Zweitbeschwerdeführerin zuvor in XXXX, Region XXXX, studierte. Die Eigentumswohnung steht weiterhin im Eigentum der Zweitbeschwerdeführerin. Der Vater der Zweitbeschwerdeführerin lebt in XXXX, zu ihm besteht nur loser Kontakt.

1.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Zweitbeschwerdeführerin einer versuchten Entführung im Auftrag von XXXX ausgesetzt war. Ebensowenig kann festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerinnen einer Verfolgung auf Grund der Entführung der Cousine 2009 ausgesetzt waren. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführerinnen eine regierungsfeindliche Haltung unterstellt würde oder ihnen Verfolgung als Angehörige der Gruppe der jungen bzw. alleinstehenden tschetschenischen Frauen drohen würde. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerinnen im Falle ihrer Rückkehr in die Russische Föderation einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sein würden.

1.3. Eine ausgeprägte und verfestigte, entscheidungserhebliche individuelle Integration der Beschwerdeführerinnen in Österreich kann nicht festgestellt werden:

Die unbescholtene Erstbeschwerdeführerin hält sich seit ihrem Antrag auf internationalen Schutz am 04.03.2013 durchgehend in Österreich auf. Seit Zulassung ihres Verfahrens am 06.03.2013 durch Ausfolgung einer Aufenthaltsberechtigungskarte verfügt sie über ein vorläufiges Aufenthaltsrecht im Rahmen des Asylverfahrens. Sie verfügte nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens und musste sich ihres unsicheren Aufenthaltes bewusst sein. Sie bezieht seit ihrer Einreise im Bundesgebiet Leistungen aus der Grundversorgung, lebt in einer Pension für Asylwerber und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Sie ist in Österreich bislang keiner legalen Beschäftigung nachgegangen und hat nie versucht, ihre Selbsterhaltungsfähigkeit herzustellen. Sie engagierte sich nicht ehrenamtlich. Sie hat keine Bildungsmaßnahmen absolviert und ist kein Mitglied in Vereinen oder sonstigen Organisationen. Sie besuchte Deutschkurse, verfügt jedoch nur über geringe Deutschkenntnisse. Freundschaften in Österreich hat sie nicht behauptet und sie verfügt auch sonst über keine besonderen Bindungen zu Österreich.

Die unbescholtene Zweitbeschwerdeführerin hält sich seit ihrem Antrag auf internationalen Schutz am 04.03.2013 durchgehend in Österreich auf. Seit Zulassung ihres Verfahrens am 06.03.2013 durch Ausfolgung einer Aufenthaltsberechtigungskarte verfügt sie über ein vorläufiges Aufenthaltsrecht im Rahmen des Asylverfahrens. Sie verfügte nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens und musste sich ihres unsicheren Aufenthaltes bewusst sein. Sie bezieht seit ihrer Einreise im Bundesgebiet Leistungen aus der Grundversorgung, lebt in einer Pension für Asylwerber und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Sie ist in Österreich bislang keiner legalen Beschäftigung und hat nie versucht, ihre Selbsterhaltungsfähigkeit herzustellen. Sie engagierte sich ehrenamtlich. Sie ist nicht Mitglied in Vereinen oder sonstigen Organisationen. Sie hat zwei Basisbildungskurse (Mathematik, Landeskunde Österreich sowie Informations- und Kommunikationstechnologie), einen Kurs über Umweltschutz und einen Deutschkurs besucht und verfügt über Grundkenntnisse der deutschen Sprache.

Die Beschwerdeführerinnen leben im gemeinsamen Haushalt. Zudem lebt eine Nichte der Erstbeschwerdeführerin bzw. Cousine der Zweitbeschwerdeführerin in Österreich, zu der vorwiegend telefonsicher Kontakt besteht. Davon abgesehen verfügen die Beschwerdeführerinnen nur über Bekannte im Bundesgebiet.

1.4. Die sechsundsechzigjährige Erstbeschwerdeführerin spricht Russisch und Tschetschenisch und hat im Herkunftsstaat ihre Grund- und Hochschulbildung absolviert. Die Erstbeschwerdeführerin ist aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht mehr arbeitsfähig und hat bereits im Herkunftsstaat sowohl eine Alters- als auch eine Invaliditätspension bezogen. Zuvor bestritt sie ihren Lebensunterhalt XXXX. Ihre drei Schwestern und eine Tochter samt ihrer Familien leben im Herkunftsstaat, ebenso die Familie ihres verstorbenen Bruders und die Familie der verschwundenen (Groß‑)Cousine.

Die dreißigjährige Zweitbeschwerdeführerin spricht ebenfalls Russisch und Tschetschenisch und hat im Herkunftsstaat ihre Grund- und Hochschulbildung absolviert. Sie gibt an, arbeitsfähig zu sein und möchte wieder arbeiten. Sie hat im Herkunftsstaat zuletzt die XXXX besucht und war als Sekretärin XXXX tätig, wodurch sie ihren Lebensunterhalt bestritt.

1.5. Die Erstbeschwerdeführerin leidet an Hypertonie und an einem mittelgradigen organischen Psychosyndrom. Zudem wurde sie wegen Grauen Stars operiert. Sie nimmt drei verschiedene Medikamente ein und benötigt einmal jährliche MRT- und nervenärztliche Kontrollen. Sie ist nicht allein reisefähig. Die Zweitbeschwerdeführerin hat Physiotherapie wegen ihres Rückens in Anspruch genommen und wurde an den Augen operiert. Sie ist gesund.

Die Erstbeschwerdeführerin erhielt im Herkunftsstaat die benötigten Medikamente in der Republik Tschetschenien kostenlos, nur wenn sie nicht im Erstattungskodex für ihre Krankheit verzeichnet waren, musste sie Zuzahlungen leisten. Ebenso wurden die benötigten Untersuchungen in der Republik Tschetschenien durchgeführt, wobei die Beschwerdeführerin für die einmal pro Jahr stattfindende MRT-Untersuchung eine Zuzahlung leisten musste, was kein Problem für sie darstellte. Betreffend die Meningonomoperation wurde die Beschwerdeführerin nach Moskau überwiesen; an den Kosten für Flug und Unterbringung beteiligte sich auch das XXXX, bei dem die Erstbeschwerdeführerin beschäftigt war.

1.6. Im gegenständlichen Verfahren können keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerinnen im Falle ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung in die Russische Föderation einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe oder sonst einer konkreten individuellen Gefahr ausgesetzt sein würden.

1.7. Die Lage in Russische Föderation stellt sich wie folgt dar:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 20.6.2014, vgl. GIZ 2.2015c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12.6.1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12.12.1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Russischer Präsident ist seit dem 7.5.2012 Wladimir Wladimirowitsch Putin. Er wurde am 4.3.2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident; zuvor war er auch 1999-2000 und 2008-2012 Ministerpräsident. Dmitri Anatoljewitsch Medwedew, seinerseits Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8.5.2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Bei der letzten Dumawahl im Dezember 2011 hat die auf Putin ausgerichtete Partei "Einiges Russland" ihre bisherige Zweidrittelmehrheit in der Staatsduma verloren, konnte jedoch eine absolute Mehrheit bewahren. Die drei weiteren in der Duma vertretenen Parteien (Kommunistische Partei, "Gerechtes Russland" und Liberal-Demokratische Partei Russlands) konnten ihre Stimmenanteile ausbauen. Wahlfälschungsvorwürfe bei diesen Dumawahlen waren ein wesentlicher Auslöser für Massenproteste im Dezember 2011 und Anfang 2012. Seit Mai 2012 wird eine stete Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden im Sommer 2012 das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, 2013 ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen. Im Februar 2014 wurde die Extremismus-Gesetzgebung verschärft, sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, was die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zu Nichte macht (AA 11.2014a).

Russland ist eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum. In zahlreichen russischen Regionen fanden zuletzt am 14.9.2014 Gouverneurs- und Kommunalwahlen statt. In der Praxis kam es dabei wie schon im Vorjahr zur Bevorzugung regierungsnaher und Behinderung oppositioneller Kandidaten. Wie bereits 2013 war die Wahlbeteiligung zum Teil sehr niedrig, in Moskau nur bei rund 21% (AA 11.2014a). Am einheitlichen Wahltag 14.9.2014 fanden in Russland laut der Zentralen Wahlkommission mehr als 6.000 Wahlen unter Teilnahme von 63 Parteien auf regionaler und kommunaler Ebene statt. Die Regierungspartei "Einiges Russland" hat bei den Regionalwahlen fast überall ihre Spitzenposition gefestigt. Auf der Halbinsel Krim holte sie laut der Wahlleitung mehr als 70% der Stimmen. Bei den Gouverneurswahlen in 30 Föderationssubjekten wurden alle Kandidaten von "Einiges Russland" sowie von der Partei unterstützte Kandidaten gewählt. Die Partei gewann auch alle drei Bürgermeisterwahlen in den regionalen Hauptstädten und erzielte die Mehrheit in 14 Regionalparlamenten und 6 Stadtparlamenten regionaler Hauptstädte. Zwar konnten bei den Regionalwahlen mit der Senkung der Sperrklausel von sieben auf fünf Prozent auch den demokratischen Wettbewerb stärkende Entwicklungen festgestellt werden, allerdings wurden gleichzeitig das Verhältnis- zugunsten des Mehrheitswahlrechts geschwächt und die Registrierungsvorschriften verschärft. In Moskau, wo das Wahlrecht auf ein reines Mehrheitswahlsystem geändert wurde, gewannen "Einiges Russland" und die von ihr unterstützten Kandidaten bei einer Wahlbeteiligung von 21% 38 von 45 Sitzen der Stadtduma. Die Wahlrechtsassoziation "Golos" meldete einzelne Wahlverstöße, z. B. den Ausschluss unabhängiger Wahlbeobachter aus Wahllokalen und sagte die Wahlbeobachtung im Gebiet Tjumen nach Drohungen durch Polizei und Justiz ab (GIZ 3.2015a).

Quellen:

Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Gemäß der letzten offiziellen Volkszählung 2010 hat Tschetschenien 1,27 Millionen Einwohner/innen. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russ/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist XXXX Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015). Die Macht von Ramsan Kadyrow ist in Tschetschenien unumstritten. Kadyrow versucht durch Förderung einer moderaten islamischen Identität einen gemeinsamen Nenner für die fragmentierte, tribalistische Bevölkerung zu schaffen. Politische Beobachter meinen, Ersatz für Kadyrow zu finden wäre sehr schwierig, da er alle potentiellen Rivalen ausgeschalten habe und über privilegierte Beziehungen zum Kreml und zu Präsident Putin verfüge (ÖB Moskau 10.2014).

Sowohl bei den gesamtrussischen Duma-Wahlen im Dezember 2011, als auch bei den Wahlen zur russischen Präsidentschaft im März 2012 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien bei über 99%. Die Zustimmung für die Regierungspartei "Einiges Russland" und für Präsidentschaftskandidat Wladimir Putin lag in der Republik ebenfalls bei jeweils über 99%. Bei beiden Wahlen war es zu Wahlfälschungsvorwürfen gekommen (Welt 5.3.2012, Ria Novosti 5.12.2012, vgl. auch ICG 6.9.2013).

Quellen:

Sicherheitslage

Russische Behörden gehen weiterhin von einer terroristischen Gefahr auch außerhalb des Nordkaukasus aus (SFH 25.7.2014, vgl. AA 1.4.2015b). Aus Sicht der Behörden versuchen die Aufständischen nicht nur den Nordkaukasus zu destabilisieren, sondern auch Terroranschläge in anderen Regionen Russlands zu verüben. Nach Angaben russischer Experten spiegelt die Wahl von Alaiskhab Kebekov als neuem Führer des kaukasischen Emirats, die Tatsache wider, dass mittlerweile Dagestan und nicht mehr Tschetschenien das Zentrum des Aufstands ist (SFH 25.7.2014).

Die Terroranschläge auf den zwischen Moskau und St. Petersburg verkehrenden Newski Express Ende November 2009 (28 Todesopfer), die beiden Anschläge in der Moskauer U-Bahn am 29.3.2010 (40 Todesopfer), der Anschlag auf den Moskauer Flughafen Domodedowo am 24.1.2011 (37 Todesopfer darunter zwei österreichische Staatsbürger) sowie zwei Selbstmordanschläge auf den Bahnhof bzw. einen Trolley-Bus in Wolgograd Ende Dezember 2013 (33 Todesopfer) (ÖB Moskau 10.2014, vgl. AA 1.4.2015b) scheinen von Tätern aus dem Nordkaukasus verübt worden zu sein, um somit zu zeigen, dass die Unruhe im Nord-Kaukasus auch auf das russische Kernland ausstrahlt. Zuletzt häuften sich Berichte, wonach zahlreiche Personen aus dem Nordkaukasus sich an Kämpfen in Syrien und zuletzt auch dem Irak auf Seiten radikalislamischer Gruppierungen und Organisationen (IS, Al Nusra-Front,...) beteiligen sollen. Die diesbezüglichen Angaben schwanken: von offizieller Seite werden die russisch-stämmigen Kämpfer auf einige Hundert geschätzt. Experten gehen hingegen von bis zu 2.000 Kämpfern mit russ. Staatsbürgerschaft aus (davon 1500 aus Tschetschenien, 200 aus Dagestan, der Rest aus anderen Gebieten). Auch in Österreich wurden Fälle bekannt, in denen Personen tschetschenischer Herkunft sich an Kämpfen in Syrien beteiligt bzw. dies zumindest ernsthaft versucht haben sollen oder andere Personen als Kämpfer für den Nahen Osten angeworben haben.

Beobachter sehen dies als neues Phänomen an: bis vor kurzem hätten Tschetschenen und andere Kaukasier fast ausschließlich in ihrer Heimatregion gekämpft, um diese von der russischen Herrschaft zu befreien. Der Bürgerkrieg in Syrien zeige insofern eine Neuausrichtung des bisher stark nationalistischen Jihadismus der Kaukasier hin zu mehr Integration in die transnationale Szene. In Syrien sollen Kaukasier mittlerweile die größte nicht-arabische Gruppe unter den ausländischen Kämpfern darstellen und zugleich auch aufgrund ihrer Kampferfahrung und Homogenität eine der effektivsten Gruppierungen sein. Russische Offizielle warnten wiederholt vor den Gefahren, die für Russland (und andere Staaten) entstünden, wenn diese Personen mit der gesammelten Kampferfahrung in ihre Heimat zurückkehren. Berichten russischer Zeitungen zu Folge werden aus Syrien zurückkehrende Kämpfer bei ihrer Rückkehr nach Russland in der Regel umgehend verhaftet und vor Gericht gestellt (ÖB Moskau 10.2014).

Quellen:

Nordkaukasus allgemein

Die Lage im Nordkaukasus war 2014 weiterhin instabil; bewaffnete Gruppen griffen wiederholt Angehörige der Sicherheitskräfte an. Bei verschiedenen Anschlägen sollen mehr als 200 Personen getötet worden sein, darunter zahlreiche Zivilpersonen (AI 25.2.2015). Im Sicherheitsbereich ist gegenwärtig ein Trend zu beobachten, der auf eine Stabilisierung Tschetscheniens bei gleichzeitiger Verschlechterung der Lage in Dagestan hinausläuft. In manchen Regionen konstatieren Beobachter auch ein Übergreifen der Gewalt auf bisher ruhige Gebiete. So haben sich seit Sommer 2010 auch in Kabardino-Balkarien die Anschlagstätigkeiten intensiviert. Nach zwei Anschlägen auf Touristen und touristische Infrastruktur, bei denen drei Touristen getötet wurden, wurde im Februar 2011 in zwei Distrikten Kabardino-Balkariens (Elbrus und Baksan) der Ausnahmezustand verhängt. Vor dem Hintergrund zunehmender ethnischer Rivalitäten warnen Experten auch vor einer Destabilisierung Karatschaj-Tscherkessiens. Zusätzlich werden zahlreiche "kleinere" Anschläge verübt, die überregional kaum mehr Aufmerksamkeit finden. Dabei werden neben Sicherheitskräften zunehmend auch belebte Märkte sowie Geschäfte und Cafés, in denen Alkohol verkauft wird, Ziele von Anschlägen. Dieser Zunahme von Anschlägen korrespondiert eine Steigerung von Anti-Terror Operationen, die auch regelmäßig Todesopfer fordern. Die russischen Sicherheitskräfte gehen mit einiger Härte gegen Rebellen und deren Unterstützer vor. Dabei wird auch von Fällen von Sippenhaftung berichtet, insbesondere der Zerstörung der Häuser der Angehörigen von Rebellen (ÖB Moskau 10.2014).

Im Jahr 2014 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 525 Opfer des bewaffneten Konfliktes. 341 davon wurden getötet, 184 verwundet. Im Vergleich zu 2013 fiel die Zahl der Opfer um 46,9% (Caucasian Knot 31.1.2015). Mehr als zwei Drittel aller Todesopfer im Kampf gegen den islamistischen Widerstand im Nordkaukasus wurden 2014 in Dagestan gezählt (HRW 29.1.2015).

Quellen:

Tschetschenien

In Tschetschenien ist es seit 2010 zu einem spürbaren Rückgang von Rebellen-Aktivitäten gekommen. Diese werden durch Anti-Terror Operationen in den Gebirgsregionen massiv unter Druck gesetzt (teilweise bewirkte dies ein Ausweichen der Kämpfer in die Nachbarrepubliken Dagestan und Inguschetien). Als besonders unruhig gilt die an die Nachbarrepublik Dagestan angrenzende Region (ÖB Moskau 10.2014).

2014 gab es in Tschetschenien 117 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 52 Tote und 65 Verwundete. Dies bedeutet einen Anstieg um 15,8% im Vergleich zu 2013 (39 Tote, 62 Verwundete). Tschetschenien ist die einzige Region im Nordkaukasus in der die Opferzahlen 2014 im Vergleich zu 2013 anstiegen (Caucasian Knot 31.1.2015). Tschetschenien ist von den schwersten Gefechten zwischen islamistischen Kämpfern und Sicherheitskräften seit Jahren erschüttert worden. Dabei wurden am Donnerstag, den 4.12.2014, in der Hauptstadt Grosny mindestens 10 Angreifer und 10 Beamte getötet sowie 20 weitere Personen verletzt (NZZ 4.12.2014). Zu der Attacke soll sich in einem Video das Kaukasus Emirat bekannt haben. Ob das Material und die Angaben authentisch sind, wird genauso kontrovers diskutiert wie die Frage, wie stark die Gruppe der Angreifer war. Die Zahlen reichen von 10 bis über 200 Bewaffneten. Moskau und das Oberhaupt Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, gehen dagegen von einem internationalen Hintergrund aus und stellen die Attacke in Verbindung mit Vorgängen innerhalb der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien. Nach einem Schusswechsel mit Polizisten an einem Kontrollposten teilten sich die Angreifer, in mehrere Gruppen auf. Eine davon verschanzte sich im "Haus der Presse". Die Sicherheitsbehörden umstellten das Gebäude und nahmen es unter Feuer. In den oberen Stockwerken brachen Brände aus, es kam zu Explosionen. Ein anderer Teil der Angreifer setzte sich nur einige Straßen weiter in einer Schule fest. Andere Personen sollen sich nicht darin befunden haben. Die Feuergefechte hielten bis zum Donnerstagnachmittag an. Am selben Tag hielt Putin seine Rede zur Lage der Nation. In letzter Zeit nahmen die Aktivitäten des als zersplittert und geschwächt eingeschätzten islamistischen Untergrunds wieder etwas zu. Im Oktober 2014 sprengte sich in Grosny ein Selbstmordattentäter in die Luft und riss fünf Personen mit in den Tod. Hinter dem 19-jährigen Täter aus Grosny wird allerdings eher eine autonom agierende Splittergruppe vermutet. Zu vergleichen sind die beiden Vorfälle ohnehin nicht. Die Attacke am 4.12.2014 glich einer komplexen militärischen Operation. Dafür bedarf es Planung, Erfahrung und Geld. Dass die russischen Behörden dabei eine Verbindung ins Ausland vermuten, überrascht nicht. In den Reihen des IS stehen auch Extremisten mit nordkaukasischen Wurzeln, von einigen hundert ist die Rede. Schon mehrmals in diesem Jahr stießen Fraktionen der Terrormiliz Drohungen gegen Russland aus. Die Gefahr für Russland geht laut Experten dabei jedoch mehr von Rückkehrern aus Syrien oder dem Irak aus, als dass die Strategen des IS den Nordkaukasus als neues Kampffeld für ihren Jihad auserkoren hätten (NZZ 4.12.2014, vgl. Die Presse 4.12.2014).

Quellen:

Rechtsschutz/Justizwesen

Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig; allerdings haben sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der russische Ombudsmann als auch russische NGOs wiederholt Missstände im russischen Justizwesen kritisiert: Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen. In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen: Lediglich 1,1% der eingeleiteten Strafverfahren enden mit Freispruch des Angeklagten. Das geringe Vertrauen der russischen Bevölkerung in die Unabhängigkeit der Justiz wird durch Umfragen belegt: einer im Juli 2013 veröffentlichten Umfrage des Lewada-Zentrums zu Folge glauben nur 27% der Bevölkerung an die Unabhängigkeit der russischen Justiz. Der Europarat empfahl Russland im November 2013 substantielle Reformen zur Beseitigung systemischer Defizite in der Justizverwaltung und zur Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz. Großes auch internationales Aufsehen erregten zuletzt etwa die Verurteilung des Oppositionellen Alexej Nawalny am 18.7.2013 zu 5 Jahren Haft wegen Unterschlagung (wurde in eine bedingte Strafe umgewandelt). Zudem wurden zahlreiche Personen im Zusammenhang mit Ausschreitungen bei einer großen regierungskritischen Demonstration auf dem Bolotnaja-Platz am 6.5.2012 wegen Teilnahme an "Massenunruhen" und Gewalt gegen Staatsbeamte zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Amnesty International betrachtet die Verurteilten als gewaltlose politische Gefangene. Während seiner Präsidentschaft hatte der nunmehrige Premierminister Medwedjew versucht, Reformen des Justizwesens zu initiieren, etwa durch die Möglichkeit einer Kaution anstelle von Untersuchungshaft bei Wirtschaftsdelikten oder die Förderung von Geldstrafen und anderen alternativen Strafformen. Diese werden in der Praxis jedoch nach wie vor kaum angewandt. Anfang Juli 2013 wurde auf Initiative des russischen Unternehmens-Ombudsmanns eine Amnestie für Personen verfügt, die wegen bestimmten Wirtschaftsdelikten inhaftiert sind. Die Amnestie soll für jene gelten, die zum ersten Mal wegen Wirtschaftsdelikten verurteilt wurden und entweder den Schaden bereits gut gemacht haben oder dazu bereit sind. Experten gehen davon aus, dass bis zu 13.000 Personen von der Amnestie profitieren könnten (bis zum 28.8.2013 kamen offiziellen Angaben zu Folge effektiv 143 Personen frei). Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Annahme der russischen Verfassung im Jahr 1993, wurde im Dezember 2013 eine umfassendere Amnestie für Straftäter erlassen. Der russischen Strafvollzugsbehörde zu Folge sollen 22.700 von der Amnestie profitiert haben; knapp über 1.000 Personen sollen enthaftet worden sein. Für Aufregung sorgte auch die Erweiterung des strafrechtlichen Begriffes "Hochverrat", der nunmehr jede finanzielle, materielle oder beratende Unterstützung für einen anderen Staat oder internationale Organisation beinhaltet, wenn diese Tätigkeit eine Gefahr für die Sicherheit Russlands darstellt. Kontakte mit zivilen ausländischen Organisationen können als Straftat gewertet werden, wenn nachgewiesen wird, dass diese Organisationen gegen Russland agieren. Vor dem Sommer 2012 wurde zudem "Verleumdung" erneut als Tatbestand in das russische Strafgesetzbuch aufgenommen, nachdem dies erst im Vorjahr auf Initiative des damaligen Präsidenten Medwedjews gestrichen worden war. Der Strafrahmen wurde von früher umgerechnet 75 auf bis zu 125.000 Euro erhöht. Kritiker befürchten, dass Oppositionelle mit dem verschärften Gesetz mundtot gemacht und insbesondere kritische Journalisten eingeschüchtert werden sollen. Das in Russland geltende Anti-Extremismusgesetz sollte ursprünglich insbesondere helfen, rassistische Straftaten im Land einzudämmen. Es sind jedoch auch schon mehrere Fälle einer fragwürdigen Anwendung bekannt. Auch gegen religiöse Gruppen wie die Zeugen Jehovas, Scientology oder Falun Gong wird mit Hilfe des Anti-Extremismusgesetzes vorgegangen (Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen, teilweise auch vorübergehende Festnahmen). Die Parlamentarische Versammlung des Europarates drückte im Februar 2012 in einer Resolution "tiefe Besorgnis" über die missbräuchliche Anwendung des Extremismusgesetzes gegen die Zeugen Jehovas und Falun Gong aus. Verhängte Sanktionen bestehen zumeist in (niedrigen) Geldstrafen, alternativen Strafformen (soziale Arbeit) oder Bewährungsstrafen. Nach der Krim-Annexion im März 2014 ist verstärkt zu beobachten, dass die russischen Behörden unter dem Deckmantel des Extremismus-Gesetzes gegen kritische Vertreter der Krim-Tataren vorgehen. Politisch tätige und aus dem Ausland finanzierte NGOs müssen sich seit einer Novellierung des NGO-Gesetzes als "ausländische Agenten" deklarieren und sind einer strikten behördlichen Kontrolle unterworfen. Anfang September 2014 waren 13 NGOs beim russischen Justizministerium als "ausländische Agenten" registriert. Mehrere Organisationen und Einzelpersonen, welche eine solche Registrierung verweigerten, wurden bereits zu Geldstrafen bzw. zur vorübergehenden Schließung verurteilt (etwa die auf Wahlbeobachtung spezialisierte NGO "Golos"). Im Zuge einer Verschärfung des NGO-Gesetzes im Juni 2014 erhielt das Justizministerium das Recht, NGOs eigenständig in das Register der ausländischen Agenten einzutragen (ÖB Moskau 10.2014, vgl. US DOS 27.2.2014).

Von einer Amnestie im Dezember 2013 konnten mehrere tausend Personen profitieren (u.a. die Aktivistinnen von "Pussy Riot"), zudem begnadigte Staatspräsident Putin den seit fast zehn Jahren inhaftierten Michail Chodorkowskij. Der Druck auf andere Regimekritiker bzw. Teilnehmer von Protestaktionen hingegen nimmt zu, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen (AA 11.2014a, vgl. GIZ 2.2015a, ÖB Moskau 10.2014).

Im November 2013 ist in Russland ein neues Gesetz verabschiedet worden, mit denen man die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen erreichen wolle und die darauf abzielen würden, die "harte Form" des Kampfes gegen den Aufstand, die bereits in mehreren Republiken im Nordkaukasus praktiziert wird, zu legalisieren. Die neue Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, die Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien dazu zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, die durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Die durch sie erlaubten Kollektivbestrafungen werden von den Behörden im Nordkaukasus bereits angewendet (CACI 11.12.2013, vgl. US DOS 27.2.2014).

Quellen:

Tschetschenien

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation einschließlich Tschetscheniens. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Präsident Ramsan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islam und der tschetschenischen Tradition. Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Klanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Die Religion fasste in Tschetschenien aus den verschiedensten Gründen nicht Fuß. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält u. a. auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia, doch sind sowohl das Adat als auch die Scharia in Tschetschenien genauso wichtig wie die russischen Rechtsvorschriften. Iwona Kaliszewska, Assistenzprofessorin am Institut für Ethnologie und Anthropologie der Universität Warschau, führt an, dass sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems bewegt, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt (EASO 9.2014a, S. 9).

Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen ist weiterhin verbreitet, trotz der rund 200 diesbezüglichen Entscheidungen des EGMR. Diese Verletzungen beziehen sich auf ungerechtfertigte Gewaltanwendung, rechtswidrige Inhaftierungen, Verschwindenlassen, Folter und Misshandlungen, die Unterlassung effektiver Untersuchungen dieser Verbrechen und das Fehlen eines effektiven Rechtmittels, Versagen in der Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof und unrechtmäßige Durchsuchungen, Festnahmen und Zerstörung von Eigentum (CoE 12.11.2013). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist in Tschetschenien völlig unzureichend. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen haben in den letzten Jahren zugenommen (AA 10.6.2013).

Grundsätzlich können Personen, die den Widerstand in Tschetschenien unterstützen - sei es mit Lebensmitteln, Kleidung oder Unterschlupf für Rebellen oder sei es durch Waffen - in der Russischen Föderation strafrechtlich verfolgt werden. Es kommt regelmäßig zu Verhaftungen aufgrund von Hilfeleistung an die Rebellen. Ob Personen, die unter diesem Vorwurf vor Gericht gestellt werden mit einem fairen Verfahren rechnen können, ist aufgrund der im Justizbereich verbreiteten Korruption und der bekannten Einflussnahme der Exekutive auf richterliche Entscheidungen fraglich. Das Strafmaß beträgt 8 bis 20 Jahre Freiheitsentzug (BAA/Staatendokumentation 20.4.2011).

In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen, dass solche nicht an Personen verschickt werden, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben. Solche Verdächtige würden ohne Vorwarnung von der Polizei mitgenommen, ansonsten wären sie gewarnt und hätten Zeit zu verschwinden (DIS 1.2015).

Quellen:

Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium, der Föderale Sicherheitsdienst FSB und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und des Antiterrorismus betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist in föderale, regionale und lokale Einheiten geteilt. Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, wenn sie am Schauplatz eines Verbrechens verhaftet werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus. Die Regierung verabsäumte es angemessene Schritte zu setzen um die meisten Behördenvertreter welche Missbräuche begingen, zu verfolgen oder zu bestrafen, wodurch ein Klima der Straffreiheit entstand. Die Rechtsstaatlichkeit ist besonders im Nordkaukasus mangelhaft, wo der Konflikt zwischen Regierungstruppen, Aufständischen, islamischen Militanten und Kriminellen zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen führt, einschließlich Morde, Folter, körperliche Misshandlung und politisch motivierte Entführungen (USDOS 27.2.2014).

Die russische Polizei genießt in der Bevölkerung wenig Ansehen und steht im Ruf, oft selbst in Kriminalität und Korruption verwickelt zu sein. Vielfach wird von Misshandlungen von Personen in Polizeigewahrsam berichtet, meist um Geständnisse zu erzwingen, die häufig die Hauptgrundlage für russ. Gerichtsurteile darstellen. Im März 2011 trat ein neues russ. Polizeigesetz in Kraft. Neben der Namensänderung ("Polizei" statt wie bisher "Miliz") sollten damit die Bürgerrechte gestärkt werden. Für die Reform des Innenministeriums hatte die russische Regierung in den Jahren 2012 und 2013 insgesamt 7,9 Mrd. Euro zusätzlich im Budget eingeplant. In dieser Summe sind auch höhere Gehälter enthalten, die Polizisten korruptionsresistenter machen sollen. Im selben Zeitraum sollte die Zahl der Beamten um ca. ein Drittel reduziert werden. Ein großer Teil der beim EGMR eingehenden Beschwerden gegen die Russische Föderation betreffen das Exekutiv- und Strafvollzugssystem (ÖB Moskau 10.2014).

Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (BAMF 10.2013). Von russischer Seite werden die meisten Operationen im Nordkaukasus gegen Terroristen heute nicht mehr vom Militär, sondern von Einheiten des Innenministeriums und des Geheimdienstes durchgeführt. Diese sind zwar nicht weniger schwer bewaffnet, nur soll so der Eindruck eines Krieges vermieden werden. Insgesamt ist der sicherheitspolitische Aufwand für Russland im Nordkaukasus gewaltig, und die Verluste sind hoch (Zenithonline 10.2.2014). Der Großteil der Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus wird Sicherheitskräften zugeschrieben. In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden bezeichnender Weise oft Kadyrowzy genannt, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramsan Kadyrows stehen dürften (Rüdisser 11.2012).

Quellen:

Allgemeine Menschenrechtslage

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs. Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten. Jedoch entstehen an vielen Orten neue Formen zivilgesellschaftlichen Agierens: Autofahrer protestieren gegen die Willkür der Verkehrspolizei, Strategie 31 setzt sich für die Versammlungsfreiheit ein, Umweltschützer verhindern Atommülltransporte, die Art-Gruppe Wojna setzt auf spektakuläre Protestaktionen. Die Verbindungen zwischen diesen "Initiativen von unten" und den etablierten russischen NGOs sind aber noch gering (GIZ 3.2015a).

Menschenrechtsverteidiger beklagen zum Teil erhebliche Defizite bei der Umsetzung der in der Verfassung verankerten Rechte. Beklagt werden die mangelhafte Unabhängigkeit von Justiz und Gerichten, die weiterhin verbreitete Korruption sowie der gestiegene Druck auf die kritische Zivilgesellschaft und Opposition. Besonders schwere Menschenrechtsverletzungen werden aus dem Nordkaukasus gemeldet (AA 11.2014a).

In einigen Bereichen gibt die Menschenrechtslage in Russland weiterhin Anlass zu Kritik. Grundlegende Rechte wie Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit werden nicht immer in vollem Umfang gewährt; Journalisten und Menschenrechtsverteidiger haben mit Behinderungen bei ihrer Arbeit zu kämpfen und sind in manchen Fällen sogar Bedrohungen an Leib und Leben ausgesetzt. Während es zahlreiche unabhängige Radiosender, Printmedien, Online-Portale und Buchverlage gibt, übt der Staat besonders auf das am weitesten verbreitete Medium Fernsehen beträchtlichen Einfluss aus. Zudem haben staatliche Stellen in der Vergangenheit wiederholt Gesetze gegen Extremismus, zur Regulierung von NGOs und allgemeine Steuergesetze angewendet, um Druck auf unabhängige Medien auszuüben. In der Folge von teils gewalttätigen Protesten im Mai 2012 wurden eine Reihe legislativer Maßnahmen, durch welche die Tätigkeit der politischen Opposition erschwert wird, angenommen. Anfang Juni 2012 unterzeichnete Präsident Putin eine Gesetzesnovelle zur deutlichen Verschärfung des russischen Versammlungsrechts. Das neue Gesetz sieht u.a. eine drastische Erhöhung der Geldstrafen für die Organisation und Teilnahme an nicht genehmigten Kundgebungen vor, enthält ein Vermummungsverbot und andere Einschränkungen (ÖB Moskau 10.2014).

Quellen:

Tschetschenien

Bei Operationen von Sicherheitskräften u.a. in Dagestan, Kabardino-Balkarien und Tschetschenien kam es zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen wie rechtswidrigen Festnahmen, Folter und anderen Misshandlungen, Verschwindenlassen und außergerichtlichen Hinrichtungen (AI 25.2.2015, vgl. HRW 29.1.2015). Am 4.12.2014 griffen bewaffnete Kämpfer in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny mehrere Regierungsgebäude an und töteten dabei mindestens einen Zivilisten und 14 Polizeibeamte. Am nächsten Tag kündigte der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow öffentlich an, man werde die Angehörigen der bewaffneten Männer des Landes verweisen und ihre Häuser zerstören. Mindestens 15 Häuser mit Dutzenden von Bewohnern, darunter kleinen Kindern, wurden niedergebrannt oder zerstört. Als Menschenrechtsverteidiger am 11.12.2014 in einer Pressekonferenz in Moskau dieses Vorgehen verurteilten und eine Untersuchung forderten, wurden sie mit Eiern beworfen. Über soziale Medien warf Ramsan Kadyrow dem Leiter der Menschenrechtsorganisation Joint Mobile Group, Igor Kalyapin vor, er unterstütze Terroristen. Am Abend des 13.12.2014 wurde bei einem mutmaßlich durch Brandstiftung verursachten Feuer das Büro der Organisation in Grosny zerstört. Am Tag danach hielten Polizisten zwei Mitarbeiter ohne Erklärung mehrere Stunden lang fest, führten Leibesvisitationen durch und konfiszierten ihre Mobiltelefone sowie mehrere Fotoapparate und Computer. Den Opfern von Menschenrechtsverletzungen standen nach wie vor praktisch keinerlei Rechtsmittel zur Verfügung, da die Strafjustiz weiterhin nicht effektiv arbeitete und von höchster politischer Stelle - zumeist heimlich - unter Druck gesetzt wurde. Präsident Kadyrow übte jedoch auch offen Kritik an tschetschenischen Richtern und Geschworenen, wenn sie in Strafverfahren Urteile verhängten, die seiner Ansicht nach zu mild ausfielen. Über Menschenrechtsverletzungen zu berichten, war weiterhin schwierig und gefährlich. Man geht davon aus, dass viele Vorfälle nie öffentlich gemacht wurden. Menschenrechtsverteidiger, unabhängige Journalisten und Rechtsanwälte, die sich mit Menschenrechtsverletzungen befassten, wurden häufig von Polizeikräften oder unbekannten Personen bedroht und schikaniert (AI 25.2.2015).

Seit 2002 sind in Tschetschenien über 2000 Personen entführt worden, von denen über die Hälfte bis zum heutigen Tage verschwunden bleibt. Auch heute noch wird von Fällen illegaler Festnahmen und Folter von Verdächtigen berichtet. Menschenrechtsverletzungen durch föderale oder tschetschenische Sicherheitskräfte werden in den seltensten Fällen strafrechtlich verfolgt. In einigen Fällen wurden Opponenten und Kritiker Kadyrows in Tschetschenien und anderen Gebieten der Russischen Föderation, aber auch im Ausland durch Auftragsmörder getötet (darunter Mord an Umar Israilow in Wien im Jänner 2009). Keiner dieser Mordfälle konnte bislang vollständig aufgeklärt werden (ÖB Moskau 10.2014).

Quellen:

Frauen

Grundsätzlich garantiert die Verfassung der Russischen Föderation Männern und Frauen dieselben Rechte. Dennoch sind Frauen von Diskriminierung, z.B. am Arbeitsmarkt betroffen. Von einer gesellschaftlichen Diskriminierung alleinstehender Frauen und Mütter kann zumindest in Kernrussland nicht ausgegangen werden (ÖB Moskau 10.2014). Ein ernstes Problem in Russland stellt jedoch häusliche Gewalt dar. Dieses wird von Polizei und Sozialbehörden oft als interne Familienangelegenheit abgetan (ÖB Moskau 10.2014, vgl. FH 28.1.2015). Es gibt in der Russischen Föderation keine föderale Gesetzgebung zu häuslicher Gewalt. Die Handlungsmöglichkeiten der Polizei sind begrenzt. Eine Bestrafung der Aggressoren ist bei Körperverletzung, Rowdytum oder sonstigen gewalttätigen Übergriffen möglich. Obgleich die Zahl der Frauenhäuser in der Russischen Föderation zunimmt, ist deren Zahl noch gering. In Tschetschenien gibt es keine Frauenhäuser. Nachdem die gesetzlichen Regelungen den Opfern von häuslicher Gewalt nur teilweise Schutz bieten, fliehen Opfer von häuslicher Gewalt meist zu Freunden oder Bekannten, oder finden sich mit der Situation ab. Ein weit verbreitetes Problem, für das es ebenfalls keine gesetzliche Regelung gibt, ist sexuelle Belästigung (ÖB Moskau 10.2014).

Frauen stellen in Russland traditionell die Mehrheit der Bevölkerung. Der weibliche Bevölkerungsanteil beträgt seit den 1920er Jahren zwischen 53% und 55% der Gesamtbevölkerung. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist in der Verfassung garantiert. Durch die Transformationsprozesse und den Übergang zur Marktwirtschaft sind die Frauen in besonderer Weise betroffen. Davon zeugt der erhebliche Rückgang der Geburtenrate. Die Veränderungen in den Lebensverhältnissen von Frauen betreffen auch den Arbeitsmarkt, denn das Risiko von Ausfallzeiten durch Schwangerschaft, Erziehungsurlaub und Pflege von Angehörigen führt oft dazu, dass Frauen trotz besserer Ausbildung seltener als Männer eingestellt werden. Das im Durchschnitt deutlich geringere Einkommen von Frauen bedeutet niedrigere Pensionen für ältere Frauen, die damit ein hohes Risiko der Altersarmut tragen. Die politische Sphäre in Russland ist von Männern dominiert (GIZ 2.2015c). Frauen sind in Politik und Wirtschaft unterrepräsentiert. Sie halten weniger als 14% der Sitze in der Duma und ca. 8% der Sitze im Föderationsrat. Nur zwei von 32 Kabinettsmitgliedern sind Frauen (FH 28.1.2015). Rund 40% der Frauen arbeiten in allgemeinen Bereichen im Management und weitere 20% auf der Führungsebene. Überwiegend arbeiten sie in diesen Berufen in Medienunternehmen und PR-Agenturen, aber auch in Banken, Börsen, Bauindustrien etc. (GIZ 2.2015c).

Menschenrechtsorganisationen gehen davon aus, dass jährlich etwa 14.000 Frauen von ihren Partnern oder einem Angehörigen getötet werden. Als Hauptursachen hierfür gelten Alkoholismus, ein traditionell geprägtes Rollenverständnis und beengte Wohnverhältnisse. Die Polizei bleibt oft passiv und geht z.B. Anzeigen nicht mit genügendem Nachdruck oder zuweilen offenbar auch gar nicht nach. Schutzmöglichkeiten für Frauen gibt es in Russland nur wenige. Beim Menschenhandel gehören russische Frauen zu den Hauptopfergruppen. Durch internationale Zusammenarbeit wird versucht, die Rotlicht-Kriminalität wirksam zu bekämpfen. Trotz der Verankerung des Straftatbestandes Menschenhandel im russischen Strafgesetzbuch bleiben die Strafverfolgungszahlen niedrig. Russland gilt zugleich als Ursprungs-, Transit- und Empfangsland im Menschenhandel (AA 10.6.2013).

Vergewaltigung ist illegal und das Gesetz sieht dieselbe Strafe für einen Täter vor, egal ob er aus der Familie stammt oder nicht. Während medizinische Angestellte Opfer von Übergriffen unterstützen und gelegentlich helfen, Fälle von Körperverletzung oder Vergewaltigung zu identifizieren, sind Ärzte oft nachlässig, als Zeugen vor Gericht aufzutreten. Laut NGOs würden Exekutivbeamte und Staatsanwälte Vergewaltigung keine Priorität einräumen. NGOs berichten außerdem, dass lokale Polizisten sich weigern würden, auf Anrufe in Bezug auf Vergewaltigung und häusliche Gewalt zu reagieren, solange das Opfer nicht unter Lebensbedrohung steht. Weiters würden viele Frauen Vergewaltigungen und andere Gewaltvorfälle aufgrund der sozialen Stigmata und der mangelhaften staatlichen Unterstützung nicht melden. Das Strafmaß für Vergewaltigung sind drei bis sechs Jahre Haft für einen Einzeltäter und vier bis zehn Jahre bei einer Gruppenvergewaltigung. Wenn das Opfer zwischen 14 und 18 Jahre alt ist bekommt der Täter eine Strafe zwischen acht und 15 Jahre und zwölf bis 20 Jahre, wenn das Opfer verstorben ist oder unter 14 Jahre alt ist (US DOS 27.2.2014).

Quellen:

Nordkaukasus insbesondere Tschetschenien

Die Situation im Nordkaukasus unterscheidet sich maßgeblich von der in anderen Teilen Russland. Die menschenrechtliche Situation von Frauen im Nordkaukasus ist nach wie vor problematisch. Berichte von Ehrenmorden, Brautentführungen, "Sittenwächtern" und häuslicher Gewalt im Nordkaukasus sind besorgniserregend. In den meisten Fällen werden diese Verbrechen nicht zur Anzeige gebracht, bzw. keine Strafverfolgung eingeleitet. Eine Quantifizierung des Problems ist schwierig, NGOs in Tschetschenien berichten jedoch von zumindest einem neuen Fall pro Monat. Problematisch scheint auch die Situation von Frauen im Fall einer Scheidung oder bei Tod des Ehemannes. In der Frage der Obsorge für die gemeinsamen Kinder, sowie in der Frage der Aufteilung des gemeinsamen Besitzes spielen traditionelle Vorstellungen eine wichtige Rolle. Oft haben Frauen es deshalb schwer die ihnen nach russischem Gesetz zustehenden Rechte auch in der Realität durchzusetzen (ÖB Moskau 10.2014).

Tschetschenische Behörden verlangen, dass Frauen in öffentlichen Plätzen Kopftücher tragen. Im September 2014 warnte Kadyrow im Fernsehen, dass im Kampf gegen den nicht-traditionellen Islam, Frauen, die Kopftücher im "Wahabistenstil" tragen (Stirn und Kinn verdeckt) verhaftet würden (HRW 29.1.2015).

Unter sowjetischer Herrschaft waren tschetschenische Frauen durch die russische Gesetzgebung geschützt. Polygamie, Brautentführungen und Ehrenmorde wurden bestraft. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion löste sich der Schutz durch russisches Recht für Frauen allmählich auf und gleichzeitig kam es zu einem stärkeren Einfluss von Adat und Scharia. Unter Kadyrow ist die tschetschenische Gesellschaft traditioneller geworden. Swetlana Gannuschkina (Vorsitzende der Flüchtlingshilfsorganisation "Zivile Unterstützung" (auch "Bürgerbeteiligung") und Leiterin des "Netzwerks juristischer Beratungsstellen für Flüchtlinge und Vertriebene") ist der Meinung, dass die Behandlung von Frauen, wie sie heute existiert, nie eine Tradition in Tschetschenien war. Ein tschetschenischer Anwalt berichtet, dass Frauen sowohl unter islamischen Recht, als auch Adat hoch geschätzt sind. Allerdings ist die Realität in Tschetschenien, dass Gewalt gegen Frauen weit verbreitet und die Situation im Allgemeinen für Frauen schwierig ist. Andere Quellen berichten auch, dass die Religion ein Rückschlag für die Frauen ist und sie in eine den Männern untergeordnete Position stellt. Diese Entwicklungen erfolgten in den letzten Jahren (EASO 9.2014b, S. 9f). Für die Quellen des EASO Berichtes ist nicht klar, ob Scharia oder Adat wichtiger für die tschetschenische Gesellschaft ist. Jedoch könne nur das Russische Recht Frauen effektiv beschützen. Es wird auch berichtet, dass die Scharia immer wichtiger wird und auch Kadyrow selbst - obwohl er sowohl Adat, als auch Scharia betont - sich in letzter Zeit eher auf die Scharia bezieht. Adat dürfte aber besonders bei Hochzeitstraditionen eine dominante Rolle spielen (EASO 9.2014b, S. 9f).

Vergewaltigung:

Vergewaltigung ist laut Artikel 131 des russischen Strafgesetzbuches ein Straftatbestand. Das Ausmaß von Vergewaltigungen in Tschetschenien und anderen Teilen der Region ist unklar, da es im Allgemeinen so gut wie keine Anzeigen gibt. Vergewaltigung in der Ehe wird nicht einmal als Vergewaltigung angesehen. Laut Swetlana Gannuschkina ist Vergewaltigung in Tschetschenien und im gesamten Nordkaukasus weit verbreitet. Vergewaltigungen würden auch in Polizeistationen passieren. Vergewaltigung ist ein Tabuthema in Tschetschenien. Einer vergewaltigten Frau haftet ein Stigma an und sie wird an den Rand der Gesellschaft gedrängt, wenn die Vergewaltigung publik wird. Auch die Familie würde isoliert und stigmatisiert werden und es ist nicht unüblich, dass die Familie eine vergewaltigte Frau wegschickt. Die vorherrschende Einstellung ist, dass eine Frau selbst schuld an einer Vergewaltigung sei. Bei Vergewaltigung von Minderjährigen gestaltet sich die Situation etwas anders. Hier wird die Minderjährige eher nicht als schuldig an der Vergewaltigung gesehen, wie es einer erwachsenen Frau passieren würde. Insofern ist die Schande für die Familie auch nicht so groß (EASO 9.2014b, S. 21).

Bewegungsfreiheit

Bewegungsfreiheit im Land, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung sind gesetzlich gewährleistet und gelten für alle Staatsbürger der Russischen Föderation einschließlich, Tschetschenen, Dagestaner, Inguschen etc. Alle erwachsenen Staatsbürger müssen bei Inlandsreisen behördlich ausgestellte "Inlandspässe" mit sich führen und müssen sich nach ihrer Ankunft bei den lokalen Behörden registrieren. Personen ohne Inlandspass oder ohne ordentliche Registrierung werden von Behörden oft staatliche Dienste verwehrt. Viele regionale Regierungen schränken das Recht durch Regelungen für die Registrierung des Wohnsitzes, die an Sowjetzeiten erinnerten, ein. Personen mit dunklerer Hautfarbe aus dem Kaukasus oder afrikanischer oder asiatischer Herkunft werden oft zur Überprüfung ihrer Dokumente herausgegriffen. Es gab glaubhafte Berichte, dass die Polizei nicht registrierte Personen willkürlich und über das gesetzlich vorgesehene Maß hinaus strafte oder Bestechungsgelder verlangte (US DOS 27.2.2014, vgl. AA Bericht 10.6.2013, FH 28.1.2015).

Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine Geldstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen. Der Inlandspass ermöglicht die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme, die Eröffnung eines Bankkontos, aber auch den Kauf von Bahn- und Flugtickets (AA 10.6.2013).

Quellen:

Meldewesen

Eine dauerhafte Registrierung wird durch einen Stempel im Inlandspass vermerkt, eine temporäre Registrierung durch einen in den Inlandspass eingelegten Zettel. Für einen Aufenthalt bis zu 90 Tage ist keine Registrierung verpflichtend, jedoch kann es notwendig werden bei einer Dokumentenkontrolle nachzuweisen, dass man sich noch nicht länger als 90 Tage in dem Gebiet aufhält, beispielsweise durch Vorweisen der Busfahrkarte. Wenn jemand ausreist um im Ausland zu leben, so wird dies registriert und in seinem Reisepass vermerkt. Umgangssprachlich wird die Registrierung nach wie vor so genannt, wie das Meldesystem zu Sowjetzeiten: "Propiska" (Russisch:

?????¿???). Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und ein nachweisbarer Wohnraum (ggf. Bescheinigung des Vermieters). Eine Arbeitsstelle oder Einkommen müssen nicht nachgewiesen werden. Die Registrierung und damit einhergehende Aufgaben fallen in den Zuständigkeitsbereich des Föderalen Migrationsdienstes (FMS), seiner territorialen Behörden (UFMS) und weiterer Behörden für innere Angelegenheiten. 2010 kam es zu einer Vereinfachung des Registrierungsprozesses, insbesondere für temporäre Registrierungen. Für eine solche muss man nunmehr lediglich einen Brief an die lokale Stelle des FMS, also den jeweiligen UFMS, schicken, in dem die vorübergehende Adresse angegeben wird. Man muss nicht mehr persönlich beim UFMS erscheinen. Eine Registrierung ist wie ausgeführt für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem, sowie zum legalen Arbeitsmarkt. Beim FMS in Moskau wurde bestätigt, dass alle Staatsbürger der Russischen Föderation, auch Rückkehrer, am Aufenthaltsort registriert werden. Gesetzlich ist vorgesehen, dass die Registrierung ab Einlangen der Unterlagen bei der zuständigen Behörde drei Tage dauert. Staatsbürger können bei Verwandten unterkommen oder selbstständig einen Wohnraum organisieren. Die föderal-gesetzlichen Regeln für die Registrierung gelten in der gesamten Russischen Föderation einheitlich, werden jedoch regional unterschiedlich angewendet. Korruption soll auch im Bereich der Registrierung in nicht unbeträchtlichem Ausmaß vorkommen, insbesondere in der Hauptstadt Moskau (BAA 12.2011, vgl. AA 10.6.2013).

Laut einer westlichen Botschaft ist eine Registrierung für alle Personen in Moskau und St. Petersburg im Vergleich zu anderen russischen Städten am schwierigsten zu erlangen. Auch die Korruptionszahlungen sind in Moskau höher. Ebenso ist es in Moskau schwieriger, eine Wohnung zu mieten, die Mieten sind zudem hoch. Auch UNHCR geht davon aus, dass die Registrierung in Moskau für jeden schwierig ist, nicht nur für Tschetschenen. In Mietanzeigen werden Zimmer oft nur für Slawen angeboten. Gemäß einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence ist es für Tschetschenen leichter, in kleineren Orten als Moskau und St. Petersburg zu leben, jedoch ist es in großen Städten leichter, unterzutauchen. Personen, die Kadyrow fürchten, würden ihren Aufenthalt nicht registrieren lassen. Auch in St. Petersburg werden in Mietanzeigen Wohnungen oft nur für Russen angeboten. Tschetschenen nutzen aber ihre Netzwerke, um Wohnungen zu finden. Einer internationalen Organisation zufolge ist es für jemanden, der einen Machtmissbrauch von lokalen Behörden in einem Föderationssubjekt fürchtet schwierig, einen sicheren Ort in einer anderen Region in Russland zu finden. Ist die Person registriert, ist es für die Behörden leichter, sie zu finden. Laut einem Vertreter des Committee Against Torture sind tschetschenische Familien, die in andere Regionen Russlands kommen, nicht automatisch schweren Rechtsverletzungen ausgesetzt. Öffentlich Bedienstete haben kein Recht, einem Tschetschenen die Registrierung zu verweigern, weshalb im Endeffekt jeder registriert wird. Tschetschenen könnten Diskriminierung durch die Behörden ausgesetzt sein, nicht aber Gewalt. Laut einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence und einer westlichen Botschaft zufolge könnten aber temporäre Registrierungen nur für drei Monate anstatt für ein Jahr ausgestellt werden, weshalb dann die betroffene Person öfter zum Amt kommen muss. Memorial geht davon aus, dass der FMS die Polizei über die Registrierung eines Tschetschenen informieren muss. Zudem verheimlichen Tschetschenen oft ihre Volksgruppenzugehörigkeit, da Annoncen Zimmer oft nur für Russen und Slawen anbieten. Mehrere Quellen gaben an, dass im Zuge der Registrierung vermutlich Bestechungsgeld zu zahlen ist. Es kann vorkommen, dass Personen aus dem Nordkaukasus eine höhere Summe zu zahlen angehalten werden (DIS 8.2012). Im aktuellen FFM Bericht des Danish Immigration Service vom Jänner 2015 wird berichtet, dass es keine größeren Änderungen in Bezug auf die Registrierung gibt. Es gibt eine Neuheit, nämlich dass eine Person in dem Apartment wohnen muss, wo sie registriert ist. Wenn die Person woanders wohnt, könnte der/die Eigentümer/in bestraft werden. Aufgrund dessen könnte es schwieriger sein, den Wohnort zu registrieren. Einige Vermieter möchten auch keine Mieter registrieren, da sie Steuerabgaben vermeiden wollen (DIS 1.2015).

Quellen:

Lage von Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb der Republik Tschetschenien

Gemäß Einschätzung verschiedener NGOs greifen Strafverfolgungsbehörden oft auf ein ethnisches "Profiling" zurück. Dieses richte sich besonders gegen Personen aus dem Kaukasus und Zentralasien. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina beschuldigen russische Behörden Personen aus dem Nordkaukasus oft willkürlich für Straftaten, die sie nicht begangen, die sich aber tatsächlich ereignet hätten. Die Ermittler würden eine Straftat so darstellen, dass die Mitschuld der betroffenen Person aus dem Nordkaukasus als erwiesen erscheine. Nach Angaben von Gannuschkina würden dabei auch Geständnisse mittels Folter (Schläge, Elektroschocks, Vergewaltigung oder die Androhung von Vergewaltigung) erpresst. Staatsanwälte unterstützten in der Regel diese Untersuchungen. Die Gerichte würden die Mängel der Untersuchung ignorieren und oft eine unbedingte Strafe verhängen. Laut Gannuschkina versuchen Polizeivertreter, die Zahl von aus dem Nordkaukasus stammenden Personen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsgebieten zu verringern. Die polizeilichen Führungskräfte würden diese Maßnahmen unterstützen. Nach Angaben einer westlichen Botschaft in Moskau aus dem Jahr 2012 kommen fingierte Strafverfahren vor, jedoch nicht in systematischer Weise. Es gebe Berichte, dass insbesondere junge muslimische Personen aus dem Nordkaukasus Opfer solcher Praktiken werden können. Auch die norwegische Landinfo kommt im März 2014 zum Schluss, dass es weiterhin fingierte Strafverfahren gegen Personen aus dem Nordkaukasus und Tschetschenien gebe (SFH 25.7.2014).

Laut UNHCR in Moskau gibt es in der gesamten Russischen Föderation tschetschenische Communities. Die größten befinden sich in Moskau, der Region Moskau und in St. Petersburg. Hauptsächlich arbeiten Tschetschenen im Baugewerbe und im Taxibusiness. In der Region Volgograd leben ca. 20.000 Tschetschenen. Einige von ihnen leben dort schon seit 30 Jahren. Viele flohen aus Tschetschenien während der beiden Kriege. Mittlerweile sind die Zahlen von ankommenden Tschetschenen geringer geworden. 2013 kamen weniger als 500 Tschetschenen in die Region. Die meisten Tschetschenen verlassen die Republik aufgrund der sehr bescheidenen sozio-ökonomischen Aussichten in ihrer Heimatrepublik. Laut Memorial Volgograd gibt es keine Beschwerden von Tschetschenen in der Region aufgrund von Rassismus oder Diskriminierung. Tschetschenen haben denselben Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem wie alle anderen russischen Staatsbürger. Heutzutage kommen Tschetschenen hauptsächlich zum Zwecke eines Studiums nach Volgograd. Mittlerweile sind die Lebensbedingungen in Volgograd nicht so gut wie in Tschetschenien. Dies liegt an den föderalen Fördermittel, die Tschetschenien erhält. Die Bevölkerung in Volgograd sinkt, während jene in Tschetschenien steigt (DIS 1.2015).

Beträchtliche tschetschenische Gemeinschaften gibt es auch in den Städten und Regionen im südlichen Russland, darunter in Volgograd, Saratov, Samara und Astrachan. Von den rund 100.000 Tschetschenen, die 1996 nach Moskau flohen, halten sich heutzutage noch rund 25.000 in der Region Moskau auf. Diese haben dort eine dauerhafte Registrierung. Zusätzlich lebt eine große Gruppe von Tschetschenen in Moskau und der Region Moskau, die nicht registriert ist, oder nur vorübergehend registriert ist. Ein großer Anteil der außerhalb Tschetscheniens lebenden Tschetschenen hätte keine Registrierung und arbeitet im Handel, auf Märkten und in Cafes. Gemäß einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence umfasst die tschetschenische Gemeinde in der Region St. Petersburg 20.000 bis 30.000 Personen. Viele würden auch zu Besuchen oder um Schulen oder Universitäten zu besuchen nach St. Petersburg kommen. Obwohl Rassismus gegenüber Kaukasiern in St. Petersburg vorkomme, ist dieser "nicht unerträglich". Ein ethnischer Tschetschene in St. Petersburg schätzte die Anzahl der Tschetschenen in St. Petersburg selbst auf 13.000. Ein anderer Tschetschene in Moskau gab an, dass die sozioökonomische Lage in Moskau zwar besser sei als in Tschetschenien, aber dass viele Tschetschenen es dennoch schwer hätten, Arbeit zu finden. Einem Vertreter einer NGO zufolge könnte es für einen Tschetschenen schwer sein, in einen anderen Teil der Russischen Föderation zu ziehen, wenn man dort keinerlei Verwandte hat. Jedoch gibt es Tschetschenen in fast allen Regionen Russlands. Das Bestehen einer tschetschenischen Gemeinschaft in einer Region kann Neuankömmlingen zur Unterstützung oder zum Schutz gereichen, es sei denn, es handelt sich um einen Clan-Konflikt. Laut SOVA leben viele Tschetschenen in der Region Stavropol, es gibt viele tschetschenische Studenten an der Universität der Stadt Stavropol. Dies führte bereits zu kleineren Spannungen im Süden der Region. Betreffend rassistisch motivierter Gewalt gibt es keine allein Tschetschenen betreffenden Daten, Tschetschenen gehören hier zur Gruppe der Kaukasier. Es gibt keine Hinweise, dass Tschetschenen mehr als andere ethnische Gruppen aus dem Kaukasus Hassverbrechen zum Opfer fallen. Untererfassung von Hassverbrechen ist gemäß SOVA ein Thema und dürfte im Steigen begriffen sein. Im Verlauf der letzten 10 Jahre konzentrierten sich ultranationalistische Banden bei rassistisch motivierter Gewalt immer mehr auf Zentralasiaten, nicht zuletzt weil sich Kaukasier dieser Gewalt zunehmend widersetzten. IOM bestätigte, dass die Grenze zwischen Tschetschenien und dem restliche Russland völlig offen ist. Zudem gab IOM an, dass es in Russland einen politischen Willen zur Bekämpfung von Hassverbrechen, Diskriminierung und Korruption zu geben scheint. Einer westlichen Botschaft zufolge schenken Strafgerichte heutzutage Hassverbrechen mehr Aufmerksamkeit. Swetlana Gannuschkina und Oleg Orlov (Memorial) gehen davon aus, dass Tschetschenen in andere Regionen Russlands ziehen können, und einige tun dies auch. Ist eine Person nicht offenkundig kritisch gegenüber Kadyrow, so kann diese überall in der Russischen Föderation leben, ohne Angst haben zu müssen getötet oder in die Republik Tschetschenien zurückgeschickt zu werden. Wird eine Person aber tatsächlich von Kadyrow gesucht, so könnte jener die Person überall in der Welt, auch in Kopenhagen, Wien, Dubai oder Moskau finden. Laut einem Anwalt von Memorial könnten Personen in Verbindung mit Oppositionsführern mit hohem Bekanntheitsgrad, aktive Rebellenkämpfer oder bekannte und tatverdächtige Terroristen der Bedrohung einer Entführung oder Tötung durch tschetschenische Behörden ausgesetzt sein. Ein Vertreter der Chechen Social and Cultural Association betrachtet es als unmöglich für die tschetschenischen Behörden, einen low-profile-Unterstützer der Rebellen in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens zu finden (DIS 11.10.2011).

Im Mai/Juni 2012 schätzte eine westliche Botschaft die Anzahl der Tschetschenen in Moskau auf Hunderttausende. Außerhalb Tschetscheniens leben die meisten Tschetschenen in Moskau und der Region Stawropol, eine größere Anzahl an Tschetschenen kann in St. Petersburg, Jaroslawl, Wolgograd und Astrachan gefunden werden. SK-Strategy schätzt die Zahl der in Moskau lebenden Tschetschenen auf 100.000 bis 200.000, rund 70.000 Tschetschenen seien in Moskau registriert, rund 50.000 in Jaroslawl. Die NGO Vainakh Congress schätzt die Zahl der Tschetschenen in der Region St. Petersburg auf 20.000 bis 30.000. SOVA gab an, dass die Haltung gegenüber Personen aus dem Nordkaukasus negativer wird. Russen haben verschiedene Gründe, warum ihnen Personen aus dem Nordkaukasus unbehaglich seien:

Diese werden als anders oder als gewalttätig betrachtet, oder man hat Angst vor terroristischen Aktivitäten. In großen Städten werden sie zudem als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt betrachtet. Gemäß SOVA gab es seit 2008 einen Rückgang rassistisch motivierter Übergriffe. 2008 fielen 116 Personen rassistisch motivierten Morden zum Opfer, 2011 waren es 23. 2007 hatte es 623 Berichte über rassistisch motivierte Übergriffe gegeben, 2011 waren es 183. Die meisten Opfer stammten aus Zentralasien, Personen aus dem Kaukasus lagen bei den Opferzahlen an zweiter Stelle. Wenngleich die Berichterstattung über solche Verbrechen lückenhaft ist, kann dennoch aufgrund der von der Organisation gesammelten Information von einem tatsächlichen Rückgang von Hassverbrechen ausgegangen werden. Der Rückgang der Zahlen liegt gemäß SOVA daran, dass der Druck der Behörden auf Neonazi-Gruppen erhöht wurde und dass diese Gruppen nunmehr eher auf politischer Ebene partizipieren. 2011 wurden 189 Personen für gewalttätige Hassverbrechen verurteilt (2010: 297, 2009: 130). Gemäß der Chechen Social and Cultural Association ist die negative Stimmung nicht nur gegen Tschetschenen, sondern gegen Personen aus dem Kaukasus insgesamt gerichtet. Eine zunehmende Anzahl von jungen Kaukasiern studiert an Universitäten in Moskau, diese würden ihre ethnische Zugehörigkeit und Kultur offen zur Schau stellen; gelegentlich käme es zu (auch physischen) Auseinandersetzungen. Einer internationalen Organisation zufolge sind Moskau und St. Petersburg nicht mit anderen Städten Russlands vergleichbar, da dort die Menschen mehr Vorurteile gegenüber Migranten haben. Nicht nur Tschetschenen sind in den großen Städten Diskriminierung ausgesetzt. Die internationale Organisation geht jedoch nicht davon aus, dass im Allgemeinen diese Diskriminierung eine Verfolgung darstellt. Laut einem Vertreter des Committee Against Torture ist Diskriminierung von Tschetschenen durch Behörden (etwa Polizisten) nicht auf einen Erlass oder Befehl der Regierung zurückzuführen, sondern auf persönliche Vorurteile und das Misstrauen einzelner. Mehrere Quellen gaben an, dass Tschetschenen heutzutage weniger oft für Personenkontrollen herausgegriffen werden, als etwa Zentralasiaten. Zumindest gelegentlich kommt es nach Aussage mehrerer Quellen vor, dass Tschetschenen Drogen oder Waffen untergeschoben werden, um einen Strafrechtsfall zu fabrizieren. Jedoch kommen solche Fälle falscher Anschuldigungen weniger oft vor als vor einigen Jahren und sind nicht systematisch; betroffen von solchen Praktiken sind nicht nur Tschetschenen. Mehreren Quellen zufolge finden nur sehr wenige Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens einen Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst und bei der Polizei (DIS 8.2012).

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die tschetschenischen Behörden Unterstützer und Familienmitglieder einzelner Kämpfer auf dem gesamten Territorium der Russischen Föderation suchen und/oder finden würden, was aber bei einzelnen bekannten oder hochrangigen Kämpfern sehr wohl der Fall sein kann (BAA Staatendokumentation 20.4.2011).

Quellen:

Grundversorgung/Wirtschaft

Der Anteil der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung entsprach zuletzt 75,7 Millionen Menschen bzw. etwa 53% der Gesamtbevölkerung des Landes. Der vorwiegende Teil der arbeitenden Bevölkerung ist in großen und mittelständischen Unternehmen beschäftigt, die nicht dem Kleinunternehmertum zugerechnet werden. Das höchste monatliche Durchschnittseinkommen wird in Moskau (RUB 58.400 / USD 1702) und in den erdöl-und erdgasfördernden autonomen Gebieten registriert: in Nenetz und Jamalo-Nenetz (RUB 64.600 / USD 1884), Autonomes Gebiet Chanty-Mansijskij (RUB 55.400 / USD 1615), die Republik Sacha (Jakutien) (RUB 45600 / USD 1330), die autonome Region der Tschuktschen (RUB 50.800 / USD 1481, Sankt Petersburg (40.500 RUB / USD 1180) und die Region Moskau (35.700 RUB / 1040 USD). Die niedrigsten Durchschnittseinkommen werden in den südlichen Bundes-Distrikten (einschließlich Adygea, Dagestan, Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Karachaevo-Tscherkessien, Nord-Ossetien-Alania, Tschetschenien und Stavropol Krai etc.) verzeichnet (17.900 / USD 522) (IOM 6.2014).

Die hohen internationalen Energiepreise sorgten 2012 für ein anhaltendes Wirtschaftswachstum. Die Industrieproduktion stieg, allerdings lag der Zuwachs unter den Vorjahreswerten. Die Arbeitslosenrate sank zwischen 2010 und 2012 von 7,2% auf 5,4% und die Durchschnittslöhne lagen 2011 und 2012 deutlich höher als vor der Finanzkrise 2008/9. Während 2012 für Russland insgesamt also zufriedenstellend verlief, war 2013 wegen der Konjunkturschwäche im Euro-Raum und der weltweit gesunkenen Rohstoffpreise schwach. Nach einem Plus von 3,4% im Jahr 2012, kam es für 2013 nur noch zu einem leichten Wachstum von 1,3%. Das Land ist in eine Phase anhaltender wirtschaftlicher Stagnation getreten. Gleichzeitig stieg Russland im Ranking von "Doing Business" von Platz 112 in 2012 über Platz 92 in 2013 und Platz 64 in 2014 auf Platz 62 in 2015. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum 2014. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland der VR China an (GIZ 2.2015b).

Quellen:

Nordkaukasus

Die nordkaukasischen Republiken ragen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80 % von Moskau finanziert (GIZ 3.2015a).

Mit der Schaffung des "Nord-Kaukasus Distrikts", der Annahme eines umfangreichen Programmes für die sozioökonomische Entwicklung und der Betrauung von Wirtschaftsfachleuten mit hohen politischen Funktionen in der Region verfolgt Moskau seit Anfang 2010 einen umfassenderen Ansatz zur Stabilisierung der nordkaukasischen Republiken. Anstatt den Fokus auf Sicherheitsaspekte im engeren Sinn zu legen und die nordkaukasischen Republiken durch Transferzahlungen in finanzieller Abhängigkeit zu halten, gehen die geplanten Maßnahmen in Richtung einer strukturellen und nachhaltigeren Konsolidierung. Der damalige PM Putin hat am 6.9.2010 eine Strategie zur Entwicklung des Nordkaukasus bis 2025 signiert. Die Strategie kombiniert föderale Programme und private Geschäftsprojekte und soll bis zu 400.000 Arbeitsplätze schaffen. Im Wirtschaftsbereich sollen vor allem die Bau-, die Energie-, die Agrar- und die Tourismusbranche gefördert werden. Insgesamt wurden Projekte mit dem Gesamtwert von 600 Mrd. Rubel (ca. 15 Mrd. Euro) gebilligt. Als Teil dieses Programmes wurden im Rahmen einer Sitzung der Kommission für sozio-ökonomische Entwicklung im Nordkaukasus Anfang Mai 2011 von der russ. Regierung 30 vorrangige Investitionsprojekte für die Region ausgewählt. Für diese sollen 145 Mrd. Rubel (3,5 Mrd. Euro) zur Verfügung gestellt werden. Am 12.5.2014 wurde der bevollmächtigte Vertreter des Präsidenten im Nordkaukasischen Föderalbezirk, Alexander Chloponin, durch den bisherigen Oberbefehlshaber der Vereinigten Truppen des Innenministeriums im Nordkaukasus, Generalleutnant Sergej Melikow, ersetzt. Experten werteten diese Personalrochade als Stärkung der Sicherheitsstrukturen in den Beziehungen zur Region. Darüber hinaus wurde ein neues Ministerium für die Angelegenheiten des Nordkaukasus geschaffen. Dieses wird vom früheren Gouverneur der Region Krasnojarsk Lew Kuznetsow geführt und soll sich v.a. mit wirtschaftlichen Fragen und der Verteilung von Budgetmitteln befassen. Die Situation im Nordkaukasus bleibt in bestimmten Gebieten angespannt. Dies ist auf eine Kombination unterschiedlicher Faktoren zurückzuführen: niedriger Grad wirtschaftlicher Entwicklung, verlorenes Vertrauen in die Politik Moskaus sowie ethnische Rivalitäten. Hinzu kommen noch regional spezifische Strukturen und Probleme. Im Nordkaukasus herrscht ein kompliziertes Beziehungsgeflecht zwischen russischen Truppen, kremltreuen lokalen Einheiten, islamistischen Rebellen und kriminellen Banden. Russische Menschenrechtler beklagen, dass die Staatsmacht im Nordkaukasus schwach ist und alle möglichen Gruppierungen in dieses Vakuum vorstoßen (ÖB Moskau 10.2014).

Der Kreml verfolgt seit einigen Jahren einen Ansatz, der auf regionale wirtschaftliche Entwicklung setzt und viele der Republiken im Nordkaukasus - allen voran Tschetschenien - haben durch zahlreiche Verwaltungs- und Finanzreformen heute mehr Unabhängigkeit als Anfang der 1990er Jahre jemals anzunehmen gewesen wäre. Auch der Tourismus soll in der landschaftlich attraktiven Region helfen, die Spirale aus Armut und Gewalt zu durchbrechen, wie insbesondere in der Entscheidung, die olympischen Winterspiele 2014 im unweit der Krisenregion gelegenen Sotschi auszutragen, deutlich wird. Zudem profitieren einige Teilrepubliken von Rohstoffvorkommen und so lassen sich auch einige sichtbare Zeichen von wirtschaftlichem Aufschwung und Wiederaufbau im Nordkaukasus ausmachen. Als beispielhaft dafür steht unter anderem die tschetschenische Hauptstadt Grosny, die nach ihrer fast völligen Zerstörung heute durchaus auflebt (Zenithonline 10.2.2014).

Quellen:

Sozialbeihilfen

Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen:

dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem Staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Rentenfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Altersrenten gezahlt. Das Rentenalter wird mit 60 Jahren bei Männern und bei 55 Jahren bei Frauen erreicht. Die Rentenreform sieht die Gründung der nichtstaatlichen Rentenfonds vor, die neben der Grundversicherung einen zusätzlichen privaten Teil der Rente ermöglichen. Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau. Renten- und Krankenversicherungsbeiträge wurden 2011 angehoben (GIZ 2.2015c).

Das Ministerium für Gesundheit und Soziales setzt die staatliche Unterstützung für sozial bedürftige Gruppen in der Praxis um. Vor allem die soziale Fürsorge für Familien, alte Menschen, Invaliden und Waisen soll gefördert werden. Personen, die soziale Unterstützung erhalten können:

Es gibt weitere Kategorien, die auf verschiedenen Rechtsgrundlagen oder unter bestimmten Programmen, die von regionalen Behörden geleitet werden, anspruchsberechtigt sind. Personen der o.g. Kategorien erhalten eine monatliche Zahlung und soziale Beihilfe, einschließlich:

Invaliden zahlen nur die Hälfte der öffentlichen Nebenkosten und haben die Möglichkeit, in besonderen Ausbildungseinrichtungen zu lernen. Um die oben aufgeführten Leistungen erhalten zu können, müssen Personen, die den genannten Kategorien angehören, Dokumente vorlegen, die die Zugehörigkeit zur entsprechenden Gruppe offiziell bestätigen (IOM 6.2014).

Renten

In der Russischen Föderation leben 37,8 Millionen Rentner (28% der Gesamtbevölkerung). Ihr hauptsächliches Einkommen besteht in einer Altersrente. Alle russischen Staatsbürger, die in Besitz einer Rentenversicherung sind, haben einen staatlich garantierten Anspruch auf den Erhalt einer Rente. Es gibt verschiedene Rentenformen:

Die derzeitige Rente besteht aus einem Basisanteil von 3.910,34 RUB/Monat (ca. 115 USD). Für Rentner, die älter als 80 Jahre sind, in den nördlichen Regionen Russlands gearbeitet haben und einige andere Kategorien gibt es einen etwas erhöhten Basisanteil. Zusätzlich gibt es auch einen Versicherungsanteil und einen Akkumulationsanteil. In manchen Regionen, die über ausreichende Finanzmittel verfügen, gibt es zusätzliche Unterstützung, so z.B. in Moskau. Manche Regionen bieten in Form von Dienstleistungen zusätzliche Hilfe an (z.B. kostenfreie Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs am Wohnort, Steuervergünstigungen, Vergünstigungen auf Medikamente sowie medizinische und orthopädische Dienstleistungen und anderes). Im Regelfall entrichten die Arbeitgeber den Beitrag an die Rentenversicherung für den jeweiligen Arbeitnehmer. Die Höhe des o. g. Basisanteils und des Versicherungsanteils wird staatlich festgelegt; der Akkumulationsanteil obliegt der Kontrolle durch den Rentenversicherten. Der Akkumulationsanteil wurde im Jahr 2002 eingeführt und spielt lediglich für Staatsbürger eine Rolle, die 1967 oder später geboren wurden. Am 1. April 2014 betrug die durchschnittliche Altersrente 11.600 RUB (ca. 388 USD) in ganz Russland. Eine Altersrente kann gewährt werden, wenn die betreffende Person mindestens 5 Jahre durchgehend versicherungspflichtig gearbeitet hat (IOM 6.2014).

Wohnungswesen

Die Wohnsituation in der Russischen Föderation ist im Allgemeinen als schwierig zu bezeichnen. Die durchschnittliche Wohnfläche in einem Haus oder einer Wohnung liegt bei 19-20 m² pro Person (2-3mal weniger als in entwickelten europäischen Ländern). Diese Art der Unterkunft steht Statistiken zufolge jedoch weniger als 50% der Bevölkerung zur Verfügung. 2,5 Millionen Familien warten gegenwärtig auf eine staatliche Unterbringung in neuen größeren Unterkünften. Es wird darauf hingewiesen, dass die Wartezeiten bis zum Erhalt einer Unterkunft im Rahmen eines Sozialprogramms bei 15-20 Jahren liegen können. Anspruchsberechtigt sind Personen mit bestimmten Erkrankungen, Personen, die auf weniger als 10m² leben (die Größe kann von Region zu Region variieren), Familien mit 4 und mehr Kindern etc. (IOM 6.2014).

In der Russischen Föderation wird die Idee des Sozialwohnungswesens verfolgt:

Aufgrund schnell steigender Wohnraumpreise hat die breite Öffentlichkeit Schwierigkeiten, die Kosten mit dem durchschnittlichen Einkommen zu decken. Je nach Region variieren die Wohnraumpreise erheblich. Die teuerste Region ist die Stadt Moskau, gefolgt von St. Petersburg, Jekaterinburg, Sotschi und weiteren Städten mit gutem Wirtschaftsklima und guten Arbeitsmöglichkeiten (IOM 6.2014).

Arbeitslosigkeit

Jeder Arbeitslose (außer Schülern, Studenten und Rentnern) kann einen Antrag auf Arbeitslosenhilfe stellen. Um die Arbeitslosenhilfe zu erhalten, müssen russische Staatsbürger bei den Beschäftigungszentren des Bundesarbeits- und Beschäftigtendienstes ("Rostrud") an ihrem Wohnort (entsprechend dem Meldestempel im Pass) gemeldet sein. Die Arbeitsagentur wird dem Arbeitsuchenden innerhalb von 10 Tagen nach der Übermittlung seiner Dokumente entsprechende Stellen anbieten. Nimmt der Arbeitsuchende keine der angebotenen Stellen an, erhält er den Arbeitslosen-Status und die Arbeitslosenhilfe wird für ihn berechnet. Die Beihilfe wird auf Basis des Durchschnitts-Einkommens berechnet, das die Person während der letzten Beschäftigung bezogen hat; die Beihilfe ist jedoch begrenzt durch ein Minimum und ein Maximum, das durch die Russische Gesetzgebung festgelegt wurde. Seit 2009 liegt die minimale Beihilfe bei RUB 850 (25 USD) im Monat und das Maximum bei RUB 4.900 (143 USD). Die Beihilfe wird monatlich gezahlt, vom ersten Tag der offiziellen Anerkennung der Arbeitslosigkeit (IOM 6.2014).

Quellen:

Krankenversicherung

Seit dem 1. Januar 2011 gibt es ein neues Gesetz über die Krankenpflichtversicherung. Vor dem 1. Mai 2011 gab es in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Krankenversicherungen, danach traten neue Regeln für den Abschluss einer universellen Krankenversicherung in Kraft. Die Änderung der Krankenversicherungen tritt nach und nach in den einzelnen Regionen in Kraft. Die versicherten Personen sollen medizinische Versorgung in Gesundheitszentren kostenfrei erhalten mit sowohl den alten als auch den neuen Krankenversicherungen. Die alten Krankenversicherungen bleiben so lange in Kraft, bis sie durch die neue Versicherung ersetzt werden, egal welche Gültigkeitsdauer auf der alten Krankenversicherung angegeben ist. Es gibt keine Richtlinie, die die Dauer des Austausches der Krankenversicherungen festlegt. Wenn jetzt ein Versicherungsnehmer seinen Job wechselt oder verlässt, bleibt die Versicherung gültig und es ist nicht notwendig, eine neue Versicherung abzuschließen. Im Rahmen der Krankenpflichtversicherung (OMS) können russische Staatsbürger eine kostenlose medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen, die durch staatliche Finanzmittel, Versicherungsbeiträge und andere Quellen finanziert wird (IOM 6.2014).

Die kostenlose Versorgung soll folgende Bereiche abdecken:

Jede OMS-registrierte Person hat eine Krankenversicherung mit einer individuellen Nummer, wodurch ihnen der Zugang zur kostenfreien medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation garantiert wird; unabhängig von ihrem Wohnort. Bei der Anmeldung in einer Klinik muss zunächst die Versicherungsbescheinigung vorgelegt werden, es sei denn, es handelt sich um einen Notfall. Die Notfallbehandlung kann von allen russischen Staatsbürgern kostenlos in Anspruch genommen werden, unabhängig davon ob sie krankenversichert sind oder nicht. Um eine Krankenversicherung zu erhalten, müssen die Bürger an eine der Krankenversicherungen einen Antrag stellen und die folgenden Dokumente vorlegen: Antrag, Identifikationsdokument (für Erwachsene über 14 Jahre ein Reisepass oder vorläufiger Ausweis, für Kinder die Geburtsurkunde und den Pass bzw. vorläufigen Ausweis des Erziehungsberechtigten) und u.U. die Versicherungspolice der Rentenpflichtversicherung. Die Aufnahme in die Krankenversicherung sowie die Erneuerung sind kostenfrei. Für Kinder bis einschließlich 14 Jahren existiert ein gesondertes System der kostenlosen medizinischen Versorgung, sofern eine Registrierung in der Krankenpflichtversicherung (OMS) vorliegt. Kinder, die älter als 14 sind werden in der Regel in medizinischen Einrichtungen für Erwachsene behandelt. Einige Kliniken (staatliche und private) bieten kostenlose medizinische Konsultationen über das Internet an. Ausländische Staatsbürger haben in Russland nur Zugang zur medizinischen Grundversorgung, d.h. zur notfallmedizinischen Behandlung. Darüber hinausgehende Behandlungen werden in Rechnung gestellt und sind entweder durch direkte Zahlung an die jeweilige Klinik oder gegebenenfalls über die Krankenversicherung des Ausländers zu begleichen. Medizinische Versorgung gegen Bezahlung wird von privaten Gesundheitseinrichtungen unabhängig von der jeweiligen Staatsangehörigkeit angeboten. Umfragen zufolge haben 35% der Bevölkerung eine medizinische Serviceleistung gegen Bezahlung bereits in Anspruch genommen. Aufgrund der hohen Kosten kann der Großteil der Bevölkerung von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch machen. Neben der geschilderten Krankenpflichtversicherung können sowohl russische Staatsbürger als auch Ausländer gegen Bezahlung eine Freiwillige Krankenversicherung (DMS) abschließen, die immer weiter verbreitet ist. Ein Netz von Versicherungsgesellschaften bietet die entsprechenden Dienstleistungen an, wobei die Kosten für eine Versicherung - je nach Ruf der Versicherung und des gebotenen Servicepakets - zwischen 400 und mehreren tausend USD liegen können. Die meisten Versicherungsgesellschaften bevorzugen die Zusammenarbeit mit juristischen Personen. In den vergangenen zehn Jahren sind jedoch zunehmend Versicherungsprogramme für Privatpersonen aufgelegt worden (IOM 6.2014).

Quellen:

Medizinische Versorgung

Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger ist in der Verfassung verankert. Russland weist zwar im internationalen Vergleich eine vergleichsweise hohe Anzahl der Ärzte und der Krankenhäuser pro Kopf der Bevölkerung auf, das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt aber ineffektiv (GIZ 2.2015c). Die Einkommen des medizinischen Personals sind noch immer vergleichsweise niedrig. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist. Infektionskrankheiten wie Tuberkulose und insbesondere HIV/AIDS, breiten sich weiter aus. In die Modernisierung des Gesundheitswesens werden erhebliche Geldmittel investiert. Ziel ist es, die staatliche Gesundheitsversorgung technisch und verwaltungsmäßig so effizient zu machen, dass sie ab 2015 weitgehend durch die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden kann (AA 11.2014a, vgl. GIZ 2.2015c). In Moskau, St. Petersburg und einigen anderen Großstädten gibt es einige meist private Krankenhäuser, die hinsichtlich der Unterbringung und der technischen und fachlichen Ausstattung auch höheren Ansprüchen gerecht werden. Notfallbehandlungen in staatlichen Kliniken sind laut Gesetz grundsätzlich kostenlos. Die Apotheken in den großen Städten der Russischen Föderation haben ein gutes Sortiment, wichtige Standardmedikamente sind vorhanden. Medikamentenfälschungen mit unsicherem Inhalt kommen allerdings vor (AA 1.4.2015b).

Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß "Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung" garantierten Umfang. Von diesem Programm sind alle Arten von medizinischer Versorgung (Notfallhilfe, ambulante Versorgung, stationäre Versorgung, spezialisierte Eingriffe) erfasst. Kostenpflichtig sind einerseits Serviceleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind). Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist. Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Anstalt und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht die medizinische Anstalt nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. In der ausgewählten Organisation können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Anstalt durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbständig, falls mehrere medizinische Anstalten zur Auswahl stehen. Das territoriale Prinzip sieht vor, dass die Zuordnung zu einer medizinischen Anstalt anhand des Wohn-, Arbeits-, oder Ausbildungsorts erfolgt. Das bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen, als dem "zuständigen" Krankenhaus, bzw. bei einem anderen, als dem "zuständigen" Arzt, kostenpflichtig ist. Selbstbehalte sind nicht vorgesehen. Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung, sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise durchaus erwartet wird (ÖB Moskau 10.2014).

Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der "Nationalen Projekte", die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit 7 föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und 12 Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert (GIZ 2.2015c).

Quellen:

Tschetschenien

Angaben liegen nur für die tschetschenische Hauptstadt vor: Im Rahmen der Durchführung des vorrangigen nationalen Projekts "Gesundheitswesen" finden in fast allen medizinischen Einrichtungen der im Krieg zerstörten Stadt Grosny Wiederaufbauarbeiten statt. Bereits 27 medizinische Einrichtungen sind wieder an die Wasserversorgung angeschlossen. Renovierungs- und Bauarbeiten werden in den städtischen Krankenhäusern Nr.1 und Nr.5, in dem Kinderheim Nr.1, in dem Kinderkrankenhaus Nr.2, im Geburtskrankenhaus Nr.2 und den Kinderpolykliniken Nr.1 und Nr. 5 durchgeführt. Aus Mitteln des republikanischen Haushalts werden die Wiederaufbaumaßnahmen im Klinischen Krankenhaus Nr.3 und in den Polykliniken Nr.1, 3, 4 und 5 finanziert (IOM 6.2014).

Das Gesundheitssystem in Tschetschenien wurde seit den zwei Kriegen großteils wieder aufgebaut. Die Krankenhäuser sind neu und die Ausrüstung modern, jedoch ist die Qualität der Leistungen nicht sehr hoch, aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal (Landinfo 26.6.2012). Es ist sowohl primäre, als auch spezialisierte Gesundheitsversorgung verfügbar. Die Krankenhäuser sind in einem besseren Zustand, als in den Nachbarrepubliken, da viele erst vor kurzem erbaut worden sind. Natürlich ist die Gesundheitsversorgung noch nicht auf europäischem Niveau, aber es wird intensiv daran gearbeitet, zumindest die Standards der Russischen Föderation zu erreichen. Laut föderalem Gesetz werden bestimmte Medikamente kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes. Auch gibt es bestimmte Personengruppen, die bestimmte Medikamente kostenfrei erhalten. Dazu gehören Kinder unter drei Jahren, Kriegsveteranen, schwangere Frauen und Onkologie- und HIV-Patienten. Verschriebene Medikamente werden in staatlich lizensierten Apotheken kostenfrei gegen Vorlage des Rezeptes abgegeben (DIS 1.2015, vgl. hierzu auch Kapitel 24.6 Medikamente). Auf die faktische Zuzahlung durch die Patienten muss hingewiesen werden (AA 11.2014a).

Falls z.B. innerhalb der Familie nicht genügend Geld für eine teure Operation vorhanden ist, kann man sich an eine in der Clanstruktur höher stehende Person wenden. Aufgrund bestehender Clanstrukturen sind die Familien in Tschetschenien finanziell besser abgesichert als in anderen Teilen Russlands (BAMF 10.2013).

Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land, ist es - wie für alle Bürger der Russischen Föderation - auch für Tschetschenen möglich, bei Krankheiten, die in Tschetschenien nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) (vgl. dazu Kapitel 21. Bewegungsfreiheit/Meldewesen und folgende Quellen: AA Bericht 10.6.2013, US DOS 27.2.2014, FH 28.1.2015). Krebsbehandlung wurde zum größten Teil außerhalb der Republik Tschetschenien gemacht, jedoch wurde kürzlich ein onkologisches Krankenhaus fertiggestellt mit dem man bald Chemotherapie, Strahlentherapie und Operationen durchführen möchte. Im letzten Jahr wurden insgesamt ca. 3.000 Patienten zu unterschiedlichen Behandlungen in Krankenhäuser in anderen Republiken geschickt (DIS 1.2015).

Quellen:

Medikamente

Die Versorgung mit Medikamenten erfolgt:

a) In ambulanten Kliniken, städtischen und Gebietskrankenhäusern sowie im Falle einer Behandlung zu Hause, auf Kosten des Patienten; ausgenommen sind Personen, die einer der Kategorien angehören, die einen Anspruch auf staatlich finanzierte Medikamente haben.

b) In 24-Stunden-Krankenhäusern und Tageskliniken werden die Ausgaben von der staatlichen Krankenversicherung (OMS) und den lokalen Budgets gedeckt. Dies bedeutet, dass Medikamente kostenlos an entsprechend pflichtversicherte Patienten herausgegeben werden.

c) im Rahmen einer Notfallversorgung sind die benötigten Medikamente kostenlos; nicht nur innerhalb einer Klinik, sondern auch außerhalb (IOM 6.2014).

Im Allgemeinen gilt, dass alle russischen Staatsbürger - sowohl im Rahmen einer Krankenpflichtversicherung als auch anderweitig versicherte - für etwaige Medikamentenkosten selbst aufkommen. Ausnahmen von dieser Regelung gelten nur für besondere Personengruppen, die an bestimmten Erkrankungen leiden und denen staatliche Unterstützung zuerkannt worden ist (einschließlich kostenloser Medikation, Sanatoriumsbehandlung und Transport (Nahverkehr und regionale Züge). Die Behandlung und die Medikamente für einige Krankheiten werden auch aus regionalen Budgets bestritten. Die Liste von Erkrankungen, die Patienten berechtigen, Medikamente kostenlos zu erhalten, wird vom Ministerium für Gesundheit erstellt. Sie umfasst: Makrogenitosomie, multiple Sklerose, Myasthenie, Myopathie, zerebrale Ataxie, Parkinson, Glaukom, geistige Erkrankungen, adrenokortikale Insuffizienz, AIDS/HIV, Schizophrenie und Epilepsie, systemisch chronische Hauterkrankungen, Bronchialasthma, Rheumatismus, rheumatische Gicht, Lupus Erythematosus, Morbus Bechterew, Diabetes, Hypophysen-Syndrom, zerebral-spastische Kinderlähmung, fortschreitende zerebrale Pseudosklerose, Phenylketonurie, intermittierende Porphyrie, hämatologische Erkrankungen, Strahlenkrankheit, Lepra, Tuberkulose, akute Brucellose, chronisch-urologische Erkrankungen, Syphillis, Herzinfarktnachsorge (6 Monate nach dem Infarkt), Aorten- und Mitralklappenersatz, Organtransplantationen, Mukoviszidose bei Kindern, Kinder unter 3 Jahren, Kinder unter 6 Jahren aus sehr kinderreichen Familien, im Falle bettlägeriger Patienten erhält ein Angehöriger oder Sozialarbeiter die Medikamente gegen Verschreibung (IOM 6.2014). Die Medikamentenpreise sind von Region zu Region und, teilweise auch in Abhängigkeit von der Lage einer Apotheke unterschiedlich, da es in der Russischen Föderation keine Fixpreise für Medikamente gibt. Die Preise für Aspirin-Tabletten in Moskauer Apotheken liegen beispielsweise zwischen 40 (ca. 1,28 USD) und 180 RUB (ca. 5,80 USD) (IOM 6.2014).

Quellen:

Behandlung nach Rückkehr

Die Abschiebung von russischen Staatsangehörigen aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (im Folgenden: Rückübernahmeabkommen). Der Abschiebung geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rückübernahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Personen von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Gemäß Rückübernahmeabkommen muss die Rückstellung 10 Tage vor Ankunft in der Russischen Föderation den russischen Behörden mitgeteilt werden. Wenn die rück zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rückübernahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation wird den Abgeschobenen von einem Mitarbeiter des Föderalen Migrationsdiensts der Russischen Föderation ein Fragebogen ausgehändigt. Das Ausfüllen dieses Fragebogens beruht auf Freiwilligkeit. Darin werden u.a. Fragen zum beabsichtigten Wohnsitz in Russland gestellt, zum Grund des Verlusts des Reisedokuments und ob man in dem Land, aus dem man abgeschoben wurden, ordentlich behandelt wurde. Dieser Fragebogen dient laut Auskunft der russischen Seite dazu, die lokalen Stellen des Föderalen Migrationsdienstes am Ort des beabsichtigten Wohnsitzes zu informieren, dass eine Überprüfung der Identität und der Staatsangehörigkeit bereits im Zuge der Rückübernahme stattgefunden hat und somit nicht nochmals erforderlich ist. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Abschiebung informiert wird und, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden. Informationen zur weiteren Situation von Abgeschobenen nach ihrer Rückkehr in die Russische Föderation liegen der Botschaft nicht vor. Im November 2012 wurde ein per Sammelflug aus Österreich abgeschobener Tschetschene auf Grundlage eines Haftbefehls wegen KFZ-Diebstahls unmittelbar nach seiner Ankunft am Flughafen in Moskau verhaftet. Wenige Tage später wurde ein weiterer, mit demselben Flug abgeschobener, Tschetschene in Grosny inhaftiert. Über beide Fälle wurde in den österreichischen Medien intensiv berichtet. Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern (freiwilligen Rückkehrern und Abgeschobenen) wird darauf hingewiesen, dass die der Botschaft vorliegenden Informationen sich in erster Linie auf Rückkehrer nach Tschetschenien beziehen. Laut einem Bericht des Menschenrechtszentrums Memorial Komitee Bürgerbeteiligung sind "in Tschetschenien alle gefährdet, die nach einer langen Abwesenheit nach Tschetschenien zurückkehren". Von anderer Seite wurde berichtet, dass Rückkehrer nach Tschetschenien mit verschiedenen Problemen konfrontiert sein können. Einerseits stehen Rückkehrer, ebenso wie die restliche Bevölkerung vor den alltäglichen Problemen der Region. Dies betrifft in erster Linie die hohe Arbeitslosigkeit (laut offiziellen Quellen lag diese im Mai 2014 bei 22,8%), die Wohnungsfrage und die Beschaffung von Dokumenten sowie die Registrierung. Viele Häuser wurden für den Neubau von Grosny abgerissen und der Kauf einer Wohnung sei für viele unerschwinglich, die Arbeitslosigkeit sei um einiges höher als in den offiziellen Statistiken angegeben und bei der Beschaffung von Dokumenten würden oft Schmiergeldzahlungen erwartet. Darüber hinaus stellen Rückkehrer eine besonders verwundbare Gruppe dar, da sie ein leichtes Opfer im Antiterrorkampf darstellen. Um die Statistiken zur Verbrechensbekämpfung aufzubessern, würden zum Teil Strafverfahren fabriziert und ehemaligen Flüchtlingen angelastet. Andererseits können Rückkehrer auch ins Visier staatlicher Behörden kommen, weil vermutet wird, dass sie tatsächlich einen Grund zur Flucht aus Tschetschenien hatten, d.h. Widerstandskämpfer waren oder welche kennen. Manchmal würden Rückkehrer gezwungen, für staatliche Behörden zu spionieren. Eine allgemein gültige Aussage über die Gefährdung von Personen nach ihrer Rückkehr nach Tschetschenien könne nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall und von der individuellen Situation des Rückkehrers abhängt. Von einer NGO in Tschetschenien, die freiwillige Rückkehrer betreut, wurde mitgeteilt, dass freiwillige Rückkehrer bei Behördenkontakten in der Regel nicht mit besonderen Problemen konfrontiert seien. Es sei weder ein besonders Prozedere für Rückkehrer noch Befragungen vorgesehen. Rückkehrer müssten auch bei der Neuausstellung von Dokumenten keine besonderen Fragen beantworten, viele seien ohnehin noch im Besitz ihres russischen Inlandspasses. Sogar wenn ein Heimreisezertifikat vorgelegt werde, würde dies nicht zu Problemen führen, da den Behörden die Situation in diesem Fall ohnehin klar wäre. Nichtsdestotrotz wurde mitgeteilt, dass es Einzelfälle gab, wo freiwillige Rückkehrer mit Heimreisezertifikaten bei Ankunft am Flughafen Moskau für einige Stunden angehalten wurden. Es sei ein Fall bekannt, wo ein freiwilliger Rückkehrer angeblich als ehemaliger Widerstandskämpfer "mitgenommen worden sei". Zur Wohnungssituation wurde mitgeteilt, dass Rückkehrer in der Regel bei Verwandten unterkommen (ÖB Moskau 10.2014). Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort und ihren Wohnsitz melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen. Kaukasier haben jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden (AA 10.6.2013).

Quellen:

1.8. ACCORD, 22.10.2015: Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation: Tschetschenien: Situation hinsichtlich Entführungen von jungen Frauen durch Kadyrowzy; Berichte über Frauen, die Entführungen entkommen sind, und Lage ihrer Verwandten [a-9361]

In einem von den russischen Menschenrechtsorganisationen Memorial und Komitee Bürgerbeteiligung 2011 veröffentlichten Bericht wird in einem Kapitel über Menschenrechtsverletzungen an Frauen in Tschetschenien Folgendes erwähnt:

"Solche Ereignisse sind im Tschetschenien von heute die Norm. Da gibt es keinen Platz für Moral. Jede Frau, die von Kadyrow oder einem von Kadyrows Leuten in Augenschein genommen worden ist, wird ein Opfer deren Nachstellungen. Und in so einer Situation können viele Frauen aus Angst um ihre Angehörigen nicht Nein sagen."

(Memorial / Komitee Bürgerbeteiligung, 2011, S. 32)

In einem Artikel vom März 2012 erwähnt Memorial, dass der Kampf gegen Brautraub bisweilen eigenartige Formen annehme. So würde die Polizei nicht gegen Familienangehörige von Personen vorgehen, die dem Machtzentrum nahestünden und an derartigen Entführungen beteiligt seien:

[...]

Swetlana Gannuschkina von der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial führt in einem im Juli 2012 veröffentlichten Bericht zu einem von ACCORD organisierten COI-Workshop zum Thema Frauen in Tschetschenien Folgendes aus:

"4.1.2 Beispiele zu Zwangsehe, Vergewaltigungen und den Folgen

Mitarbeiter von Memorial nahmen eine junge Frau, die sie im Jahr 2000 in einem Lager in Inguschetien trafen, mit nach Moskau. Sie hatte bereits ein Jahr lang Medizin studiert und schaffte es, ihr Studium in Moskau fortzusetzen und Ärztin zu werden. Eines Tages beschloss die junge Frau, ihre Verwandten in Tschetschenien zu besuchen. Dort wollte man sie entführen, es gelang ihr jedoch, sich loszureißen, wobei sie hinfiel und mit dem Kopf auf dem Asphalt aufschlug. Die junge Frau verlor das Bewusstsein und wachte im Haus eines Mannes wieder auf, der viel älter war als sie, und den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Bei dem Mann handelt es sich um keine Person, die Ramsan Kadyrow sehr nahe stehen würde, aber er ist Teil des Systems. Daher konnten weder die junge Frau, noch ihre Verwandten gegen die Ehe mit ihm etwas einwenden. [...]

Ein weiteres Mädchen namens Elsa, eine junge Studentin, äußerte Mitarbeitern von Memorial gegenüber, dass ihre Eltern ihr nicht erlauben würden, Veranstaltungen mit vielen Menschen zu besuchen. Der Grund dafür ist, dass das Mädchen, sollte eine Person aus Kadyrows Umgebung ein Auge auf sie werfen, in Gefahr wäre. Es wäre nicht möglich, sich dem Willen dieser Person zu widersetzen. Und es gibt viele Fälle, in denen junge Mädchen dazu gezwungen werden, mit Männern zusammenzuleben, zum Teil im Rahmen einer islamischen Ehe, zum Teil aber auch ohne Eheschließung.

Auf der einen Seite werden in Tschetschenien ‚Zeitehen' geschlossen, bei denen ein Mullah seinen Segen zu einer Ehe gibt und die Frau nach einer gewissen Zeit wieder nach Hause geschickt wird. Aus Sicht des Islam war die Frau in diesem Fall verheiratet und wurde geschieden, weshalb sie nicht zum Opfer eines Ehrenmordes wird.

Auf der anderen Seite haben die sogenannten ‚Kadyrowzy' eine weitere Art entdeckt, sich zu vergnügen. Sie umgarnen junge Frauen und bitten sie an einem gewissen Punkt zu sich nach Hause. Dorthin laden sie auch ihre Freunde ein, die mit der jungen Frau tun dürfen, was sie wollen. Alles wird aufgezeichnet und per Handy an einen entfernten Verwandten des Mädchens geschickt zusammen mit der Botschaft: Entweder bringt ihr sie selber um oder wir erzählen allen, dass euer Clan Schande über sich gebracht hat. Daraufhin verschwindet die junge Frau.

Im Internet ist die Information verfügbar, dass eine Frau, die von einem Kadyrow nahestehenden Mann vergewaltigt wurde, an dessen Telefon gelangen konnte, auf dem sie die Nummer von Kadyrow selbst fand. Sie rief Kadyrow an und bat ihn, ihr zu helfen und sie zu befreien. Dieser weigerte sich jedoch, mit ihr zu sprechen. Stattdessen rief er einige Zeit später seinen Vertrauten an und fragte diesen, wie er es zulassen könne, dass er, Kadyrow, von seinen Nutten belästigt werde." (ACCORD, 4. Juli 2012, S. 13-14)

Die deutsche Nachrichten-Website Spiegel Online veröffentlicht im September 2013 ein Interview mit Swetlana Gannuschkina, in dem sie folgende Aussage tätigt:

"SPIEGEL ONLINE: Wie ist die Lage der Frauen in Tschetschenien?

Gannuschkina: Ramsan Kadyrow ist für viele in Tschetschenien heute ein Idol: ein starker Mann, der andere zwingt, sich unterzuordnen. Ein Mann, der sich jede Frau nehmen kann. Hübsche junge Frauen müssen damit rechnen, dass jederzeit einer der ‚Kadyrowzy', der Gefolgsleute Kadyrows, Gefallen an ihr findet. ‚Nein' kann sie ihm nicht sagen. Das würde sie nicht nur selbst in Gefahr bringen, sondern ihre ganze Familie." (Spiegel Online, 6. September 2013)

In einem im September 2014 veröffentlichten, vom norwegischen Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo verfassten Bericht des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO), einer Agentur der Europäischen Union, die die praktische Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten im Asylbereich fördern soll und die Mitgliedsstaaten unter anderem durch Recherche von Herkunftsländerinformation und entsprechende Publikationen unterstützt, finden sich folgende Informationen über Brautentführungen, die im Rahmen des tschetschenischen Gewohnheitsrechts (Adat) stattfinden:

"5.1 Brautentführungen als Teil des Adat

Eine Brautentführung liegt dann vor, wenn ein Mann mithilfe anderer eine Frau entführt, um sie dazu zu bringen, ihn zu heiraten. Üblicherweise wird eine Brautentführung so vorbereitet, dass die Helfershelfer des Bräutigams die Frau zwingen, in ein Auto zu steigen, und mit ihr wegfahren. Die Frau (die zukünftige Braut) wird dann zu Verwandten oder Freunden des Bräutigams gebracht. Dort versuchen sie, sie zu überzeugen - bzw. wird sie dazu gezwungen -, ihr Einverständnis zu der Eheschließung zu geben. Eine Abordnung der Familienältesten setzt sich mit der Familie der Frau in Verbindung und versucht, einen formellen Vertrag auszuhandeln. Häufig wird hierzu die Familie der Braut bezahlt oder die Situation intern geklärt. Falls die Frau nicht entfliehen kann und am nächsten Morgen nicht freigelassen wird, stehen ihre Chancen, nicht zur Heirat gezwungen zu werden, schlecht. Der Grund dafür ist, dass eine unverheiratete Frau, die die Nacht im Haus eines Mannes verbringt, als dessen Frau gilt. [...]

2010 erließ Ramsan Kadyrow die Anordnung, dass Brautentführungen nicht mehr länger stattfinden sollten. Diese Anordnung führte angeblich zu einem leichten Rückgang der Zahl der Brautentführungen. Der bereits zuvor zitierten NRO zufolge gibt es in Tschetschenien zwar nach wie vor Brautentführungen, doch finden diese jetzt eher im Verborgenen statt.

Der vorstehend genannten NRO in Grosny zufolge ist es für eine Frau, die im Rahmen einer Brautentführung gekidnappt wurde und die Nacht im Haus eines Mannes verbracht hat, sehr schwer, die Ehe zu verweigern und später jemand anderen zu heiraten. Auch wenn die Familie der Frau sie wieder aufnimmt, kommt es mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Konfrontation zwischen der Familie der jungen Frau und der des jungen Mannes. Wenn die Frau gleich entfliehen kann und die Nacht nicht im Haus des Mannes verbringt, bringt sie auch keine Schande über ihre Familie. Brautentführungen enden normalerweise damit, dass die Frau den Mann heiratet, da sie keine andere Wahl hat.

Die NRO in Grosny führte an, dass Brautentführungen zu einer gefährlichen Situation führen könnten, wenn die Frau eine Eheschließung ablehne und zu ihrer Familie zurückkehre. Dies treffe insbesondere dann zu, wenn der ‚Bräutigam' bei einem Sicherheitsdienst beschäftigt sei. [...]

Gannushkina führte an, dass Brautentführungen noch immer als legitim gelten, wenn sie von einem der Mitarbeiter von Kadyrow begangen würden, trotz der Anordnung von Kadyrow." (EASO, September 2014, S. 23-24)

Die russische kremlkritische Zeitung Nowaja Gasjeta erwähnt in einem im April 2015 veröffentlichten Artikel der Journalistin Jelena Milaschina über die (zu diesem Zeitpunkt noch nicht durchgeführte) Heirat einer Minderjährigen mit einem Vertreter des tschetschenischen Sicherheitsapparates, dass die Braut nicht entführt worden sei. Der Mann habe Kontrollposten um das ganze Dorf errichten lassen, damit die Eltern, die sich strikt geweigert hätten, ihre Tochter mit ihm zu verheiraten, sie nicht hätten wegbringen können. Außerdem habe der Mann den Eltern des Mädchens ein Ultimatum gestellt, sie sollten das Mädchen am 2. Mai 2015 freiwillig hergeben, ansonsten hole er sie sich mit Gewalt und verschone die Familie nicht:

[...]

Caucasian Knot, ein von der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial im Jahr 2001 gegründetes Nachrichtenportal, das über menschenrechtliche Themen im Kaukasus informiert, berichtet im Mai 2015, dass es nach Angaben örtlicher EinwohnerInnen in den letzten Jahren systematisch Fälle gegeben habe, in denen Beamte oder hochgestellte Personen aus dem Machtapparat verschiedene Hebel in Bewegung gesetzt hätten, um zwecks Eheschließung auf Familien junger Mädchen Druck auszuüben. Der Leiter einer örtlichen NGO habe Caucasian Knot gegenüber angegeben, dass üblicherweise eine Delegation aus einflussreichen Personen zum Vater der Braut oder zum Dorfältesten geschickt worden sei und dass die Frage der Eheschließung im Rahmen der tschetschenischen Bräuche und Traditionen gelöst worden sei. Die Meinung des Mädchens sei auf jeden Fall auch berücksichtigt worden. Im Fall der (zum damaligen Zeitpunkt noch nicht durchgeführten) Heirat einer Minderjährigen mit einem Vertreter des tschetschenischen Sicherheitsapparates sei es aber offensichtlich, dass ein Polizeichef seine Position und seinen Einfluss genutzt habe und die Familie öffentlich gezwungen habe, ihm ihre Tochter zu geben. Eine örtliche Einwohnerin habe angegeben, dass es in derartigen Situationen leicht sei, die Mädchen dazu zu überreden, einen alten Mann zu heiraten, da ihnen erklärt werde, dass davon das Leben und das Wohlergehen der ihnen nahestehenden Personen abhingen. Niemand denke daran, dass das Leben des Mädchens zerstört werde, dass sie früher oder später nach Hause zurückkehren müsse. Eine weitere Einwohnerin habe angemerkt, dass Mädchen immer öfter gewaltsam verheiratet würden, aber wenn die Männer sie satt hätten, würden sie nach Hause geschickt:

[...]

Die in Lettland ansässige russischsprachige Internetzeitung Medusa gibt in einem Artikel vom Mai 2015 in einer Bildunterschrift an, dass die berühmte tschetschenische Sängerin Cheda Chamsatowa einige Zeit als verschollen gegolten habe - kurz nachdem sie sich geweigert habe, einen hochgestellten Tschetschenen zu heiraten, so MenschenrechtlerInnen. Danach habe sie geplant, einen Armenier zu heiraten, aber die Hochzeit habe wegen einer Einmischung von Ramsan Kadyrow nicht stattgefunden. Bei einer Regierungssitzung habe er Folgendes erklärt: "Wir sind ihr nach Armenien nachgefahren und haben ihr gesagt, dass es eine Schande für eine Tschetschenin, und eine verdiente Künstlerin der Republik, ist, so einen "Verbrecher" zu heiraten. Ich habe vielen das Versprechen gegeben, ihr hinterherzufahren. Ich habe die Erlaubnis der Eltern eingeholt und sie von dort weggeholt":

[...]

In dem Artikel, der sich auf die (zum damaligen Zeitpunkt noch nicht durchgeführte) Heirat einer Minderjährigen mit einem Vertreter des tschetschenischen Sicherheitsapparates bezieht, wird auch Grigorij Schwedow, der Chefredakteur von Caucasian Knot zitiert. Dieser gibt an, dass junge Frauen in Tschetschenien ziemlich schutzlos seien, wenn sie keine Vertreter des Machtapparats in der Familie hätten. Attraktiven Mädchen, die zu Familien ohne besondere Stellung gehören würden, würde besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die tatsächlichen Interessen des Mädchens und die Existenz eines Freundes (im Sinne von Partner, Anm. ACCORD) seien keine ernstzunehmenden Faktoren. Wenn es um die Heirat "älterer" Personen gehe und die Initiative von Personen ausgehe, die aus den Machtkreisen kämen, würde eine Weigerung erhebliche Ängste bei den Verwandten der Braut auslösen. Es sei bekannt, dass Personen aus dem Machtapparat absoluten Einfluss auf dem Gebiet Tschetscheniens hätten und zu Entführungen, dem Anzünden von Häusern usw. in der Lage seien. Es gebe Beispiele dafür, dass die Umgehung einer Hochzeit nur durch eine Flucht in eine andere Region möglich sei. Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang seien Scheidungen. Mädchen würden nicht nur unter Zwang verheiratet, sondern auch wieder nach Hause zurückgeschickt. Das Zurückschicken nach Hause in einer derart traditionellen Gesellschaft bleibe an dem Mädchen haften, unterstreiche ihre Rechtlosigkeit und mache eine spätere Heirat schwierig. Die Mädchen würden nach Hause geschickt, weil eine Zweit- oder eine Drittfrau nicht immer das sei, was Männer tatsächlich brauchen würden. Nach einer gewissen Zeit könnten sie das Interesse an ihnen verlieren:

[...]

Die russische Tageszeitung Moskowskij Komsomoljez (MK) befragt in einem Artikel vom Mai 2015 einer Person, die als englische Juristin mit dem Namen Margret Satterwait [Es ist nicht klar, ob es sich dabei um die Juristin Margaret Satterthwaite handelt, Anm. ACCORD] bezeichnet wird, zur (zum damaligen Zeitpunkt noch nicht durchgeführten) Heirat einer Minderjährigen mit einem Vertreter des Sicherheitsapparates. Die Juristin gibt an, dass für sie diese Situation nichts Verwunderliches sei. Derartiges komme in Tschetschenien und Dagestan ständig vor, nur früher habe man darüber geschwiegen. In den letzten Jahren sei die Anzahl der Vergewaltigungen in diesen Republiken nicht zurückgegangen, und sie spreche dabei nicht vom sogenannten Brautraub, sondern von realen Verbrechen. Günstlinge, Personen, die den örtlichen Führungen nahestehen würden und Polizeichefs hätten keine Angst, sich Mädchen, die ihnen gefallen würden, auszusuchen, wegzubringen, mit ihnen zu tun, was ihnen einfalle, und sie dann "wegzuwerfen". Auf die Frage der Zeitung nach dem von Ramsan Kadyrow ausgesprochenen Verbot von Vielehe und Zwangsehe antwortet die Juristin, dass das alles nur Worte seien. Die enge Umgebung von Kadyrow könne nach wie vor alles tun. Und es würde sich niemand darüber beschweren, weil die Leute Angst hätten. Angst um sich selbst, um die Töchter, wenn diese nach dem Missbrauch unversehrt [vermutlich im Sinne von: noch am Leben] seien, und um die Verwandten, an denen man ebenfalls Rache nehmen könne:

Die Online-Ausgabe der österreichischen Tageszeitung Die Presse berichtet im Mai 2015 Folgendes:

"Der russische Fernsehsender Lifenews nannte es schließlich die ‚Hochzeit des Jahrhunderts' und berichtete live von den Feierlichkeiten in Tschetschenien am Samstag. Kurz vor dem Jawort stellte die Moderatorin der 17-jährigen Luisa G. die Frage, die den letzten Zweifler überzeugen sollte: ‚Sag uns, bist du einverstanden mit dieser Ehe?' Luisa, in Weiß und Schleier, antwortete mit gesenktem Haupt: ‚Ja, ich bin einverstanden.'- ‚Bist du glücklich?'

- ‚Ja, ich bin glücklich.' Wer mag schon etwas gegen glückliche Eheleute einwenden, selbst wenn ihre Hochzeit gegen das russische Recht verstößt? [...]

Auch im Fall der umstrittenen Eheschließung sieht es so aus, als wolle Kadyrow dem Moskauer Zentrum und der russischen Öffentlichkeit beweisen, was in seiner Republik alles möglich ist - wenn er nur will. Denn die Minderjährige ehelichte am Wochenende nicht nur einen um viele Jahre älteren Mann, was sie eigentlich erst mit 18 dürfte. Luisa G. hat außerdem einen Mann geheiratet, der bereits verheiratet ist und Kinder hat. Polygamie, wiewohl es in Tschetschenien polygame Traditionen gibt, ist per Gesetz verboten. Nichtsdestoweniger unterschrieb das Paar eine Heiratsurkunde. Nun spielt freilich eine Rolle, wer der bereits ergraute Gatte ist: Naschud Gutschigow, 46, ist Polizeichef des Bezirks Noschaj-Jurt. Auf einem Foto, das im Internet kursiert, ist er in brüderlicher Umarmung mit Kadyrow zu sehen.

Kadyrow hat sich in der Vergangenheit durchaus positiv auf die Mehrehe bezogen. In Tschetschenien hat sich in den letzten Jahren die Tendenz verstärkt, dass Männer - so sie es sich leisten können - mehrere Frauen durch islamische Ehen haben. Hochzeiten im Nordkaukasus finden nur in seltenen Fällen ohne die Mitsprache vieler statt. Doch im Fall der 17-Jährigen scheint der Zwang von außen eine besonders große Rolle zu spielen. Laut Berichten der ‚Nowaja Gazeta' habe Gutschigow die Hochzeit erzwingen wollen. Er habe die Eltern des Mädchens unter Druck gesetzt und ihnen ein Ultimatum gestellt. Schließlich hat Kadyrow einen ‚Vermittler' zur Familie G. geschickt, die daraufhin der Ehe zugestimmt haben soll. Kadyrow selbst ist auf der Hochzeit aufgetaucht und hat dort getanzt, wie er es gern vor Publikum macht, eine Lesginka, einen kaukasischen Tanz." (Die Presse, 18. Mai 2015)

Russia Beyond The Headlines (RBTH), ein Medium, das vom Verlag der Rossijskaja Gasjeta, dem offiziellen Amtsblatt der russischen Regierung, unterstützt wird und in verschiedenen Sprachen als Supplement erscheint, schreibt in einem Artikel vom Juni 2015 Folgendes:

"Ende Mai sorgte die Geschichte der 17-jährigen Luisa Gojlabiewa in den russischen Medien für Aufsehen. Sie soll mit einem 46-jährigen, bereits verheirateten Oberst des tschetschenischen Innenministeriums zwangsverheiratet worden sein. Unter vielen Russen war die Aufregung groß. Öl ins Feuer goss Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow, der die Eheschließung absegnete, und der russische Kinderschutzbeauftragte Pawel Astachow, der ungeachtet aller Appelle der Journalisten darauf verzichtete, in der Angelegenheit einzugreifen, und zudem erklärte, niemand könne gegen den eigenen Willen verteidigt werden.

Traditionen treffen auf Religion

Menschenrechtler stellen immer wieder fest, dass es in einigen kaukasischen Republiken um die Frauenrechte zunehmend schlechter bestellt ist. Nach Einschätzung Ekaterina Sokirjanskajas von der Internationalen Krisengruppe sind beispielsweise Zwangsehen auf tschetschenischem Boden eine neue Erscheinung, die nicht nur mit Tradition zu erklären sei: ‚Für tschetschenische Familien war es eine Schande, eine Frau zu einer Heirat zu zwingen. Jetzt aber - das stellen lokale Aktivisten fest - nutzen Sicherheits- und Staatsbeamte ihre Positionen aus', erklärt die Menschenrechtlerin."

(RBTH, 22. Juni 2015)

Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) bemerkt in seinem im Juni 2015 veröffentlichten Länderbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2014, dass Frauen in einigen Teilen des Nordkaukasus weiterhin von Zwangsheirat sowie Brautraub betroffen seien. Es würden Berichte darüber vorliegen, dass Männer in einigen Teilen des Nordkaukasus unter dem Vorwand, dass Brautraub eine alte örtliche Sitte darstelle, junge Frauen entführt und vergewaltigt hätten. In einigen dieser Fälle hätten sie die Frauen gezwungen, eine Ehe mit ihnen einzugehen:

[...]

Die International Crisis Group (ICG), eine unabhängige, nicht profitorientierte Nicht-Regierungsorganisation, die mittels Informationen und Analysen gewaltsame Konflikte verhindern und lösen will, erwähnt in einem im Juni 2015 veröffentlichen Bericht, dass viele Familien sich nicht gegen des Druck wehren könnten, der von einflussreichen Personen im Sicherheitssektor oder von Personen mit guten Verbindungen ausgeübt werde, wenn diese minderjährige Mädchen als Zweitfrauen nehmen wollten:

[...]

Beweiswürdigung:

2.1. Die Identität der Beschwerdeführerinnen steht mangels von zum Nachweis ihrer Identität geeigneten (unbedenklichen) Urkunden nicht fest. Die Angaben zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit und Religionszugehörigkeit der Beschwerdeführerinnen ergeben sich aus den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben der Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren und in der mündlichen Verhandlung.

2.2. Die Angaben zum Asylverfahren der Beschwerdeführerinnen ergeben sich aus den beigeschafften Verwaltungsakten. Die Angaben zur Familiensituation der Beschwerdeführerinnen ergeben sich aus den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben der Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren und in der mündlichen Verhandlung.

2.3. Die Feststellungen zu den Lebensumständen der Beschwerdeführerinnen im Herkunftsstaat beruhen auf den Angaben der Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren und in der mündlichen Verhandlung.

2.4. Die Angaben zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerinnen beruhen auf den vorgelegten medizinischen Unterlagen und glaubwürdigen Angaben der Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführerin, betreffend die Erstbeschwerdeführerin auch auf dem hg. eingeholten Sachverständigengutachten.

2.5. Die Feststellungen zum Fluchtvorbringen der Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführerin beruhen auf dem unglaubwürdigen Vorbringen während des Asylverfahrens: Eine Verfolgung der Beschwerdeführerinnen konnte nicht festgestellt werden.

Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Asylwerbers, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH 25.03.1999, 98/20/0559). Die Beschwerdeführerinnen verfügten über keine Bescheinigungsmittel betreffend ihr Fluchtvorbringen; bei dem vorgelegten russischsprachigen Schreiben handelt es sich um einen Ausdruck eines Internetpostings von einer auf einem niederländischen Server liegenden Homepage unter dem Namen einer Verwandten der Beschwerdeführerinnen, wonach diese die vermisste Cousine bittet, sich zu melden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in mehreren Erkenntnissen betont, dass die Aussage des Asylwerbers die zentrale Erkenntnisquelle darstellt und daher der persönliche Eindruck des Asylwerbers für die Bewertung der Glaubwürdigkeit seiner Angaben von Wichtigkeit ist (VwGH 24.06.1999, 98/20/0453; VwGH 25.11.1999, 98/20/0357).

Im Wesentlichen gaben die Erstbeschwerdeführerin und die Zweitbeschwerdeführerin als Fluchtgrund an, die Zweitbeschwerdeführerin sei knapp einer Entführung durch XXXX bzw. seine Leute entgangen und die Erstbeschwerdeführerin sei deshalb von diesen Männern bedroht worden.

Glaubwürdig ist, auf Grund des persönlichen Eindrucks der Zweitbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung, dass sie Angst davor hat, entführt zu werden.

Es kann aber nicht festgestellt werden, dass XXXX die Zweitbeschwerdeführerin entführen wollte:

Dies ergibt sich einerseits aus den Widersprüchen in den Vorbringen von Erst- und Zweitbeschwerdeführerin:

So gab die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt an, ihre Mutter habe ihre Schwester angerufen und dadurch erfahren, dass sie bei ihr sei und was passiert sei, während die Erstbeschwerdeführerin angab, die Schwester der Zweitbeschwerdeführerin habe sie angerufen, um ihr das mitzuteilen. Während die Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt zunächst angab, sie sei zur Haltestelle gegangen und dort in das Auto gestiegen, in dem schon ihre Töchter gewesen seien und so zu ihrer Schwester gefahren, gab sie nach einer Pause an, sie wisse nicht mehr, mit wem sie im Auto gesessen sei; die Zweitbeschwerdeführerin gab an, ihre Mutter sei mit dem Taxi zu ihrer Schwester gefahren und bereits dort gewesen, als sie dazu gekommen seien.

Soweit die Beschwerdeführerinnen diese Widersprüche mit dem postoperativen Zustand der Erstbeschwerdeführerin zu erklären versuchen, vermögen sie damit den Widerspruch nicht zu entkräften, da sich aus dem Sachverständigengutachtens ergibt, dass die Erstbeschwerdeführerin 2015 kognitive Schwierigkeiten hat, die 2013 - zum Zeitpunkt der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt, bei der die Widersprüche zu Tage traten - noch nicht bestanden; zum damaligen Zeitpunkt hatte die Erstbeschwerdeführerin nur Wortfindungsstörungen, die diese Widersprüche aber nicht zu erklären vermögen.

Auch mit dem pauschalen Vorbringen, ihre Aussagen seien vielleicht nicht korrekt übersetzt oder niedergeschrieben worden, können sie die Widersprüche nicht entkräften: Die Niederschriften wurden den Beschwerdeführerinnen rückübersetzt und sie bestätigten deren Richtigkeit mit ihrer Unterschrift. Damit kann die unsubstantiiert behauptete Mangelhaftigkeit der Niederschrift nicht greifen (vgl. dazu auch VwGH 14.10.1992, 92/01/0399; 10.03.1993, 92/01/0879).

Abgesehen von Widersprüchen im Fluchtvorbringen der Zweitbeschwerdeführerin - etwa ob die Anruferin nur nach ihrem Namen und ihrer Telefonnummer, oder auch nach ihrer Adresse gefragt wurde, ob ihr die Anruferin mitteilte, dass sie ihre Daten weitergegeben hat oder ob sie ihr mitteilte, dass sie nicht wisse, was sie tun solle und die Zweitbeschwerdeführerin sie ersuchte, sie nicht weiterzugeben, ob die Verfolger dieselben wie bei der Entführung ihrer Cousine waren oder ihr Unbekannte, ob sie Tarnanzug oder schwarze Uniformen trugen, ob sie schwarze Strickmützen trugen oder nicht, ob der zweite Verfolger bei ihrer Ankunft bereits im Wagen saß oder erst einstieg, oder ob sie ihr zu Fuß oder mit dem Auto zu folgen versuchten - ist das Vorbringen andererseits auch unplausibel:

So gibt die Zweitbeschwerdeführerin einerseits an, die Dame im XXXX habe ihre private Handynummer gehabt, weil die Festnetztelefone schlecht funktionieren würden und in Ermangelung von Diensthandys die Geschäfte über die privaten Telefone abgewickelt würden, andererseits aber, sie habe die Anrufe von den Gehilfen XXXX am nächsten Tag nicht annehmen können, weil Handytelefonate in der Arbeit verboten seien. Unplausibel ist auch, dass man der Zweitbeschwerdeführerin nur mitgeteilt habe, sie solle ca. zu Mittag "XXXX" kommen, ohne ihr nähere Details - etwa wann genau sie in welches Gebäude sie kommen solle, bei wem sie sich melden solle etc - zu nennen, dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass man ihr nicht mitteilte, dass sie abgeholt werde, sondern dass sie selbständig dorthin kommen solle. Mit dem Vorbringen, ein Taxifahrer werde das schon wissen, vermag die Zweitbeschwerdeführerin diese Unplausibilität nicht zu erklären, ebensowenig mit dem Vorbringen, dass alle anderen wüssten, wo die XXXX sei und der Gehilfe XXXXS nicht wissen habe können, dass sie nicht wisse, wo die XXXX sei. Die Zweitbeschwerdeführerin schildert, dass ihre Verfolger sie abgepasst hätten, als sie ihren Arbeitsplatz, XXXX, verlassen habe: Sie hätten bei einer Haltestelle in Sichtweite derXXXXauf sie gewartet. Unplausibel bleibt jedoch, wie die Verfolger sie unter den Personen, die in der Finsternis dieXXXXverließen, erkennen hätten sollen; dass sie sie daran erkannt hätten, dass sie als letzte die XXXXverließ, ist ebenso unplausibel wie die Tatsache, dass sie - die sie die Beschwerdeführerin nicht kannten, sondern fragten, ob sie sie sei - nicht direkt bei der XXXX oder direkt zu hause abpassten, sondern bei einer Busstation unterwegs.

Davon abgesehen gibt auch die Zweitbeschwerdeführerin an, nicht zu wissen, ob sie wirklich von XXXX bzw. seinen Leuten entführt hätte werden sollen. Sie habe XXXX nur im XXXX(wieder)gesehen und der Anrufer am selben Tag habe sich als sein Gehilfe vorgestellt; rund um die Entführung der Cousine sei sein Name oft gefallen, er sei aber auch bei der Entführung nicht dabei gewesen. Vor diesem Hintergrund kann auch nicht erkannt werden, dass die Zweitbeschwerdeführerin wegen unterstellter politischer Gesinnung gegenüber XXXX verfolgt werden sollte.

Dass ein Interesse daran bestünde, die Zweitbeschwerdeführerin zu finden, kann nicht festgestellt werden. Die Zweitbeschwerdeführerin gibt an, auf der Flucht durch die Hinterhöfe ihre SIM-Karte entsorgt zu haben. Ihre Mutter verfügt jedoch auch in Österreich noch über ihr russisches Mobiltelefon und verwendet diese Mobilfunknummer ihren Angaben zufolge offensichtlich bedenken- und folgenlos, um mit ihren Verwandten in der Russischen Föderation in Kontakt zu bleiben. Mit dem Vorbringen, dass nur wenige die Nummer hätten, weil ihre Mutter sie nach der Gehirn-OP vor vier Jahren neu bekommen habe, vermag sie ebensowenig darzulegen, dass man sie dadurch nicht gefunden hätte, wenn denn Interesse an ihr bestanden hätte, wie ihre Mutter mit dem Vorbringen, dass Leute auch in Moskau oder in Wien gefunden würden, aber die Beschwerdeführer sicher seien, weil sie in einer Pension am Land wohnten. Die Schwester der Zweitbeschwerdeführerin, die ebenfalls im Staatsdienst arbeitet, lebt weiterhin unbehelligt im Herkunftsstaat; dass man versucht hätte, über die Schwester - dass die Behörden sie nicht gefunden hätten, weil sie nach ihrer Heirat einen anderen Familiennamen führe, ist unglaubwürdig - die Zweitbeschwerdeführerin zu finden, schilderte diese lange Zeit nicht. Mit dem spät erstatteten Vorbringen, jemand habe an der Tür ihrer Schwester geklopft, vermag sie keine Suche nach ihr glaubhaft vorzubringen. Auch die Schwestern der Erstbeschwerdeführerin leben weiterhin unbehelligt im Herkunftsstaat.

Soweit die Beschwerdeführerinnen in der Stellungnahme vom 15.10.2015 ihr Fluchtvorbringen durch Berichte über die Situation von Frauen in Tschetschenien, insbesondere im Zusammenhang mit (Braut)Entführungen unterstreichen wollen, ist dem entgegenzuhalten, dass diese Berichte sich nicht individuell auf die Personen der Beschwerdeführerinnen oder ihrer Familie beziehen. Die Situation der Beschwerdeführerinnen unterscheidet sich von der der betroffenen Mädchen in diesen Berichten bereits auf Grund des Alters der Beschwerdeführerinnen (auch die Zweitbeschwerdeführerin ist über 30) erheblich. Weder steht auf Grund dieser Berichte fest, dass Frauen über 30 mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr von Entführung, Vergewaltigung oder Zwangsheirat ausgesetzt waren oder sind, noch dass die betroffenen Frauen bzw. Mädchen in anderen Landesteilen nicht Schutz vor Verfolgung finden würden.

Anders als in dem von den Beschwerdeführerinnen zitierten Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.05.2014 brachte die Zweitbeschwerdeführerin nicht vor, sie hätte gegen ihren Willen verheiratet werden wollen, ihr Vorbringen betreffen die geplante Entführung war nicht glaubwürdig und eine Verfolgung von Familienangehörigen um ihrer habhaft zu werden, hat die Zweitbeschwerdeführerin nicht behauptet, weshalb aus einem Vergleich mit diesem Erkenntnis nichts gewonnen werden kann.

Eine Verfolgung wegen der Entführung ihrer Cousine (korrekt: der Tochter ihres Großcousins) kann nicht festgestellt werden: Die Beschwerdeführerinnen gaben an, selbst keine Probleme im Herkunftsstaat bis auf den geschilderten Vorfall gehabt zu haben. Beide arbeiteten im Staatsdienst, die Zweitbeschwerdeführerin besuchte staatliche Universitäten und die Erstbeschwerdeführerin nahm die staatliche Krankenversorgung und das staatliche Sozialsystem in Anspruch. Auch eine Diskriminierung hiebei haben die Beschwerdeführerinnen nicht vorgebracht. Auch der Vater der entführten Cousine und dessen Familie leben weiterhin im Herkunftsstaat und haben den Angaben der Beschwerdeführerinnen zufolge keine Probleme mehr, seit sie 2009 aufgehört hätten, nach der Cousine zu suchen.

Soweit die Beschwerdeführerinnen relevieren, in der Republik Tschetschenien einer asylrelevanten Verfolgung als Angehörige der Gruppe der alleinstehenden tschetschenischen Frauen bzw. als Angehörige der Gruppe der jungen tschetschenischen Frauen ausgesetzt zu sein, ist darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerinnen, die über Eigentum verfügen, ihren Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit bestreiten (bzw. im Falle der Erstbeschwerdeführerin bis zum Erreichen des Pensionsantrittsalters bestritten), Hochschulbildung absolvierten und ein selbstbestimmtes Leben führten, abgesehen von dem behaupteten unglaubwürdigen Entführungsversuch in der Schilderung ihrer Lebensumstände im Herkunftsstaat keine Verfolgungshandlungen aus diesem Grund vorbrachten. Zudem stünde den Beschwerdeführerinnen letztlich auch eine innerstaatliche Fluchtalternative offen, da auch Tschetschenen die freie Wahl des Wohnsitzes in der Russischen Föderation zusteht (AA 10.06.2013). Die früher problematische Registrierung, die die Voraussetzung für den Zugang zu medizinischer Versorgung und sozialen Rechten ist, wurde vereinfacht und im Endeffekt werde nun jeder registriert (DIS August 2012). Tschetschenische Volksgruppenangehörige haben es zwar schwerer, einen Vermieter zu finden, nutzen hiezu aber ihre Netzwerke und mittlerweile gibt es eine starke tschetschenische Diaspora in vielen Städten der Russischen Föderation (DIS August 2012, ACCORD 04.04.2014, DIS Oktober 2011). Auch wenn für es Tschetschenen schwer sein kann, in einen anderen Landesteil zu ziehen, in dem man keine Verwandten hat (DIS Oktober 2011), ist vor dem Hintergrund der Lebensumstände der Beschwerdeführerinnen nicht damit zu rechnen, dass sie dabei auf maßgebliche Hürden stoßen würden: Die Erstbeschwerdeführerin war bereits in Moskau, wo sie auch operiert wurde und wo ihre Tochter jahrelang lebte und studierte. Auch die Zweitbeschwerdeführerin studierte außerhalb der Republik Tschetschenien, ihr Vater lebt ebenfalls in XXXX. Es kann daher nicht erkannt werden, dass eine Übersiedlung in einen andere Landesteil, zB Moskau, und die Registrierung vor Ort den Beschwerdeführerinnen, die gebildet sind, jahrelang XXXX arbeiteten, exzellent russisch sprechen, nicht verschleiert und westlich orientiert sind, nicht zumutbar wäre.

Auch sonst kann aus dem Grund der Familie keine Gefahr der Verfolgung für die Beschwerdeführerinnen festgestellt werden: Weder brachten die Beschwerdeführerinnen dies vor, noch gibt es sonstige, von amtswegen aufzugreifende Hinweise; auch der Antrag der in Österreich lebenden Cousine der Zweitbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts rechtskräftig abgewiesen; ihr Verfahren wurde zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt zurückverwiesen.

Die Erstbeschwerdeführerin behauptet abgesehen von der von der Zweitbeschwerdeführerin abgeleiteten Verfolgung keine gegen ihre Person gerichtete Verfolgung.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Mit 01.01.2014 wird der Asylgerichtshof zum Verwaltungsgericht des Bundes (Art. 151 Abs. 51 Z 7 B-VG).

Gemäß § 75 Abs. 19 AsylG 2005 sind alle mit Ablauf des 31.12.2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren ab 01.01.2014 vom Bundesverwaltungsgericht nach Maßgabe des Abs. 20 zu Ende zu führen.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 1 VwGVG regelt dieses Bundesgesetz das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der BAO, des AgrVG und des DVG und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte. Entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht sind, bleiben unberührt

(§ 58 Abs. 2 VwGVG).

§ 1 BFA-VG, BGBl I 2012/87 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und FPG bleiben unberührt. Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG).

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

Zu A)

3.2. Zur Entscheidung über die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten:

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 idgF kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 19.04.2001, 99/20/0273).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind (§ 11 Abs. 1 AsylG).

3.2.2. Aus den in der Beweiswürdigung dargelegten Gründen kann keine Verfolgung der Beschwerdeführerinnen erkannt werden. Das Vorbringen zu den fluchtauslösenden Ereignissen ist aus den in der Beweiswürdigung dargelegten Gründen unglaubwürdig. Auch von Amts wegen ist keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung der Beschwerdeführerinnen erkennbar, die der Mehrheitsethnie sowie einer der größten Religionen des Herkunftsstaates angehören, sich nicht politisch betätigten und auch selbst angeben, sonst keine Probleme im Herkunftsstaat gehabt zu haben.

Zudem besteht für die Beschwerdeführerinnen vor dem Hintergrund der Länderberichte eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative etwa in Moskau.

Im Ergebnis ist daher der Ausspruch in Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide zu bestätigen und sind die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. abzuweisen.

3.3. Zur Entscheidung über die Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten:

3.3.1. Wird ein Asylantrag "in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten" abgewiesen, so ist dem Asylwerber gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, "wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde". Nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung dieses Status mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 AsylG 2005 zu verbinden.

Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. Letzteres wurde wiederum durch das Protokoll Nr. 6 beziehungsweise Nr. 13 zur Abschaffung der Todesstrafe hinfällig. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. etwa VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus. Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582; 31.05.2005, 2005/20/0095).

3.3.2. Es sind keine Umstände amtsbekannt, dass in der Russischen Föderation aktuell eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung iSd Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre. Wie sich aus den Feststellungen ergibt, ist die Situation in der Russischen Föderation auch nicht dergestalt, dass eine Rückkehr der Beschwerdeführerinnen für diese als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde; in der Russischen Föderation ist aktuell eine Zivilperson nicht alleine aufgrund ihrer Anwesenheit einer solchen Bedrohung ausgesetzt.

Das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführerin zu den angeblichen Fluchtgründen war als unglaubwürdig zu werten (siehe Beweiswürdigung) und es bestehen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass das Leben oder die Freiheit der Beschwerdeführerinnen aus Gründen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten bedroht wäre, weshalb kein Fall des § 3 AsylG 2005 vorliegt (siehe Punkt 3.2.2.).

Vor dem Hintergrund der genannten Erkenntnisquellen und den darauf basierenden Feststellungen finden sich weder Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerinnen bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit der in diesem Zusammenhang maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer Gefährdungssituation im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ausgesetzt sein würde, noch das "außergewöhnliche Umstände" der Rückkehr der Beschwerdeführerinnen in ihren Herkunftsstaat entgegenstünden. Es lässt sich nicht ersehen, dass es den Beschwerdeführerinnen in der Russischen Föderation an der notdürftigsten Lebensgrundlage fehlen würde:

Die Erstbeschwerdeführerin lebte ihr gesamtes Leben bis zur Ausreise nach Österreich in der Russischen Föderation, wo sie bis zu ihrer Pensionierung ihren Lebensunterhalt durch ihre Tätigkeit als Buchhalterin bestritt. Zuletzt bezog sie Alters- und Invaliditätspension und konnte zudem auf ihre Ersparnisse zurückgreifen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Erstbeschwerdeführerin im Falle der Rückkehr ihren Lebensunterhalt nicht wieder durch den Bezug von Pensionsleistungen sichern könnte. Ihre Familie, zu der auch von Österreich aus Kontakt besteht, lebt weiterhin im Herkunftsstaat. Sie verfügt somit zusätzlich über ein familiäres Netz, das sie im Notfall unterstützen könnte.

Die Zweitbeschwerdeführerin lebte ebenfalls ihr gesamtes Leben in der Russischen Föderation (in der Republik Tschetschenien und XXXX), wo sie ihren Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit als Sekretärin und während des Studiums durch die Unterstützung der Erstbeschwerdeführerin bestritt. Sie gibt an, weiterhin gesund und arbeitsfähig zu sein, über eine abgeschlossene Grund- und Hochschulbildung zu verfügen und auch wieder arbeiten zu wollen. Es gibt daher keinen Anhaltspunkt dafür, dass sie im Falle der Rückkehr ihren Lebensunterhalt nicht wieder durch Erwerbsarbeit sichern und die begonnene XXXX Ausbildung nicht abschließen könnte.

Wenn in den Beschwerden auf die Situation von alleinstehenden Frauen hingewiesen wird, ist festzustellen, dass die Beschwerdeführerinnen bereits vor ihrer Ausreise ihren Lebensunterhalt als alleinstehende Frauen bestreiten konnten und sich keine Hinweise darauf ergeben, dass es den Beschwerdeführerinnen in Zukunft nicht möglich sein sollte, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen.

Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 06.03.2008, B 2400/07, die Judikatur des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK zitiert und unter anderem sehr kurz zusammengefasst ausgeführt, dass der EGMR die unmenschliche Behandlung im Fall D. v. the United Kingdom (EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997, 93), es ging um die Abschiebung eines an Aids im Endstadium erkranken Staatsangehörigen von St. Kitts/Karibik, nicht bloß in der Krankheit des Beschwerdeführers, sondern in den besonderen Umständen, mit denen der Beschwerdeführer im Fall der Abschiebung konfrontiert wäre, nämlich im Risiko eines Todes unter qualvollen Umständen, sah. Im Fall Bensaid (EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,96), einer an Schizophrenie erkrankten Person, sah der EGMR in der Abschiebung nach Algerien keine Verletzung in Art. 3 EMRK. Er bestätigte zwar die Ernsthaftigkeit des Krankheitszustandes, erklärte jedoch, dass die Möglichkeit einer Behandlung in Algerien grundsätzlich gegeben sei. Die Tatsache, dass die Umstände der Behandlung in Algerien weniger günstig seien, als im Vereinigten Königreich, sei im Hinblick auf Art. 3 EMRK nicht entscheidend. Ebenso wenig erkannte der EGMR im Fall Ndangoya (EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03) eine Verletzung in Art. 3 EMRK durch die Abschiebung einer mit HIV infizierten, noch nicht an Aids erkrankten Person. Der EGMR stellte fest, dass AIDS ohne Behandlung in etwa ein bis zwei Jahren ausbrechen dürfte, dass aber eine medizinische Behandlung im Herkunftsstaat (Tanzania) möglich sei. Dem Fall Salkic and others (EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04) lag ein Sachverhalt zu Grunde, nach dem den Eltern nach ihrer Einreise in Schweden im Jahr 2002 ein posttraumatisches Belastungssyndrom diagnostiziert wurde und ein Gutachten dem 14 Jahre alten Sohn und der acht Jahre alten Tochter ein sehr schweres Traum attestierte. Der EGMR sah in der Abschiebung der Familie unter Verweis auf den o. a. Fall D. v. the United Kingdom keine Verletzung in Art. 3 EMRK. Auch im Fall Ovdienko (EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04) lag nach der Entscheidung des EGMR keine Verletzung von Art. 3 EMRK durch die Zurückschiebung einer an einem posttraumatischen Stresssyndrom und an Depression leidender Person vor. Diese hatte sich seit 2002 in psychiatrischer Behandlung befunden und wurde teilweise in einer geschlossenen psychiatrischen Krankenanstalt behandelt. Der EGMR begründete seine Entscheidung neuerlich damit, dass der Beschwerdeführer nicht an einer unheilbaren Krankheit im Endstadium leide und verwies auf seine Entscheidung im Fall D. v. the United Kingdom. Auch im Fall Hukic (EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05) sah der EGMR die Abschiebung einer am Down-Syndrom leidenden Person nicht als Verletzung von Art. 3 EMRK. Er führte aus, dass es in Bosnien-Herzegowina Behandlungsmöglichkeiten gebe. Selbst wenn diese nicht den Standard wie in Schweden aufwiesen, nicht so leicht zu erhalten und kostenintensiver seien, würde eine Abschiebung nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen. Im Fall Ayegh (EGMR 07.11.2006, Appl. 4701/05) drohte einem Beschwerdeführer, dem in zwei Gutachten eine schwere Traumatisierung, Depression, Angstzustände und die Gefahr, Selbstmord zu begehen, attestiert wurden, die Abschiebung in den Iran. Der EGMR begründete seine Entscheidung, die Beschwerde für unzulässig zu erklären, damit, dass schlechte Behandlungsmöglichkeiten im Iran kein Abschiebehindernis seien und dass auch die Selbstmorddrohung für den Fall der Ausweisung den Staat nicht daran hindere, die Abschiebung zu vollziehen, vorausgesetzt, dass konkrete Maßnahmen zur Verhinderung des angedrohten Selbstmordes vom Staat ergriffen werden. Die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Russland im Fall Goncharova & Alekseytsev (EGMR 03.05.2007, Appl. 31.246/06) erkannte der EGMR nicht als Verletzung in Art. 3 EMRK, obwohl der Zeitbeschwerdeführer schwer psychisch krank war, bereits zwei Selbstmordversuche hinter sich und gedroht hatte, sich im Fall der Abschiebung umzubringen. Der EGMR begründete seine Entscheidung erneut - unter Zitierung der Entscheidung D. v. United Kingdom - damit, dass nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände Art. 3 EMRK verletzt sein könnte. Der Zweitbeschwerdeführer sei jedoch nicht in einer geschlossenen Anstalt gewesen und habe auch nicht ständigen Kontakt mit einem Psychiater gehabt. Auch die Drohung im Falle der Abschiebung Selbstmord zu begehen, hindere den Vertragsstaat nicht daran, die Abschiebung zu veranlassen. Der VfGH führt dazu aus: " ... Zusammenfassend ergibt sich aus den erwähnten Entscheidungen, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielland bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt (vgl. Pkt. 2.3 Fall Ndangoya). Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom).

Es hindern auch Selbstmorddrohungen des ausgewiesenen Fremden für den Fall der Ausweisung den Staat nicht daran, die Abschiebung zu vollziehen, vorausgesetzt, dass konkrete Maßnahmen zur Verhinderung des angedrohten Selbstmordes ergriffen werden (VfGH 12.06.2010, U 613/10). In diesem Zusammenhang bleibt festzuhalten, dass in Österreich generell während der Durchführung von Problemabschiebungen bis zur Übergabe, vom Zeitpunkt der Festnahme an, ein Amtsarzt bei der Amtshandlung zugegen ist. Nach der Entscheidung N. v. United Kingdom des EGMR vom 27.05.2008, Appl. 26.565/05, bringen es Fortschritte der medizinischen Forschung zusammen mit sozialen und wirtschaftlichen Unterschieden zwischen verschiedenen Ländern mit sich, dass sich das Niveau der im Konventionsstaat verfügbaren Behandlung deutlich von jener im Herkunftsstaat unterscheiden kann. Art. 3 EMRK verpflichtet einen Vertragsstaat nicht dazu, solche Ungleichheiten durch die Gewährung von kostenloser und unbeschränkter Gesundheitsversorgung für alle Fremden ohne Aufenthaltsrecht in seinem Gebiet zu mildern. Das Gegenteil festzustellen, würde den Konventionsstaaten eine zu große Bürde auferlegen. Dies gilt auch in Hinblick auf die Ausweisung jeder Person, die an irgendeiner schweren, natürlich aufgetretenen mentalen oder körperlichen Krankheit leidet, die Leid, Schmerz und eine verringerte Lebenserwartung verursacht und eine spezielle Behandlung erfordert, die im Herkunftsland der Person nicht ohne weiteres oder nur zu beträchtlichen Kosten erhältlich ist.

Bei der Erstbeschwerdeführerin wurde Hypertonie sowie ein mittelgradiges organisches Psychosyndrom diagnostiziert. Zudem wurde die Erstbeschwerdeführerin wegen Grauen Stars operiert. Als Behandlung ist die Fortführung der regelmäßigen, nervenärztlichen Kontrollen indiziert. Die notwendigen Kontrolluntersuchungen wird die Erstbeschwerdeführerin (wie auch bisher) sowohl in Tschetschenien, wo medizinische Grundversorgung flächendeckend gewährleistet ist, als auch in Moskau vornehmen lassen können, ebenso wird sie wie vor der Ausreise ihre Medikamente beziehen können. Der Gesundheitszustand der Erstbeschwerdeführerin steht daher nach der dargestellten Judikatur einer Abschiebung nicht entgegen. Sollte die Erstbeschwerdeführerin im Herkunftsstaat darüber hinaus ärztlicher Behandlung bedürfen, ist eine solche nach den Länderfeststellungen im Fall ihrer Rückkehr möglich.

Das Bundesverwaltungsgericht übersieht nicht, dass die medizinische Versorgung nicht auf österreichischem Niveau und gegebenenfalls auf Grund von Zuzahlungen mit Kosten verbunden ist. Allfällige Schwierigkeiten bei der Gewährleistung einer entsprechenden medizinischen Behandlung im Herkunftsstaat erreichen im vorliegenden Fall die unbestreitbar hohe Schwelle des Art. 3 EMRK, wie sie von der erwähnten Judikatur festgesetzt wird, nicht. Dies trifft insbesondere vor dem Hintergrund zu, dass die Erstbeschwerdeführerin angab, wegen eines Meningioms in stationärer Behandlung gewesen zu sein sowie Medikamente erhalten zu haben; die für sie notwendige medizinische Versorgung in Tschetschenien sei sehr gut gewesen, darüber hinaus bestehe die Möglichkeit sich in Moskau medizinisch behandeln zu lassen. Der vorliegende Fall ist jedenfalls nicht mit dem Fall D. v. United Kingdom vergleichbar und ist nicht davon auszugehen, dass die Erstbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation von derart außergewöhnlichen Umständen betroffen sein würde, die die hohe Eingriffsschwelle des Art. 3 EMRK übersteigen. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Gesundheitszustand der Erstbeschwerdeführerin wegen ihrer Rückkehr in die Russische Föderation lebensbedrohend beeinträchtigt wird oder die Erstbeschwerdeführerin durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt sein würde, unter qualvollen Umständen zu sterben. Soweit in dem psychiatrischen Sachverständigengutachten festgehalten wurde, dass die Erstbeschwerdeführerin für eine Überstellung in die Russische Föderation eine entsprechende Begleitung bedürfe, ist darauf hinzuweisen, dass die Erstbeschwerdeführerin in Begleitung der Zweitbeschwerdeführerin in die Russische Föderation zurückkehren können wird.

Irgendein besonderes "real risk", dass es durch die Rückführung der Beschwerdeführerinnen in ihren Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde, kann nicht erkannt werden, außergewöhnliche Umstände im Sinne der Judikatur des EGMR, die gegen eine Abschiebung in die Russische Föderation sprechen würden, sind nicht erkennbar.

Im Ergebnis ist daher auch der Ausspruch in Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide zu bestätigen und sind die Beschwerden gegen Spruchpunkt II. abzuweisen.

3.4. Zum Familienverfahren:

3.4.1. Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen. Gemäß § 34 Abs. 5 AsylG 2005 gelten die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

3.4.2. Die Beschwerdeführerinnen sind keine Familienangehörigen iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005, da die Zweitbeschwerdeführerin bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung volljähriges Kind der Erstbeschwerdeführerin war.

3.5. Zur Entscheidung über die dauerhafte Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung:

3.5.1. Bestätigt das Bundesverwaltungsgericht bei einem mit Ablauf des 31.12.2013 noch beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren den abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes, so hat es aufgrund der Übergangsbestimmung des § 75 Abs. 20 AsylG 2005 darüber zu entscheiden, ob in diesem Verfahren die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist oder das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt zurückverwiesen wird. Wird das Verfahren zurückverwiesen, so sind die Abwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich des Nichtvorliegens der dauerhaften Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung für das Bundesamt nicht bindend.

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen: - die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, - das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, - die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, - der Grad der Integration, - die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, - die strafgerichtliche Unbescholtenheit, - Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, - die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, - die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

3.5.2. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Art. 8 Abs. 2 EMRK erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinne wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Bei dieser Abwägung sind insbesondere die Dauer des Aufenthaltes, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung maßgeblich. Auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, ist bei der Abwägung in Betracht zu ziehen (vgl. VfGH vom 29.09.2007, B 1150/07).

Hierbei ist neben diesen (beispielhaft angeführten) Kriterien, aber auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal etwa das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt rechtswidrig oder lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VfGH 12.06.2007, B 2126/06; 29.09.2007, B 1150/07; VwGH 24.04.2007, 2007/18/0173; 15.05.2007, 2006/18/0107 und 2007/18/0226).

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem auch, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer "Familie" voraussetzt.

In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen neben den zwischen Ehegatten und ihren minderjährigen Kindern ipso iure zu bejahenden Familienleben bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.6.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 7.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 5.7.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Als Kriterien hiefür kommen in einer Gesamtbetrachtung etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Intensität und die Dauer des Zusammenlebens bzw. die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Sich bei der Prüfung allein auf das Kriterium der Abhängigkeit zu beschränken, greift jedenfalls zu kurz (vgl. VwGH 26.1.2006, 2002/20/0423).

3.5.3. Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme würde nicht in das Recht der Beschwerdeführerinnen auf Familienleben eingreifen:

Die Kernfamilie besteht aus der Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführerin Die Beschwerdeführerinnen leben wie auch schon im Herkunftsstaat im gemeinsamen Haushalt, die Zweitunterstützt die Erstbeschwerdeführerin.

Da die Anträge der Beschwerdeführerinnen auf internationalen Schutz sowohl im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, als auch im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen waren und keiner der Beschwerdeführerinnen ein Aufenthaltsrecht in Österreich außerhalb des Asylverfahrens zukam oder zukommt, wird durch die Verhängung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen die Beschwerdeführerinnen nicht in deren Familienleben eingegriffen; ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte Familie betroffen, greift sie lediglich in das Privatleben der Familienmitglieder und nicht auch in ihr Familienleben ein; auch dann, wenn sich einige Familienmitglieder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen sollten (EGMR 20. 3. 1991, Fall Cruz Varas, Appl. 15.576/89).

Zwischen den Beschwerdeführerinnen und der in Österreich lebenden Nichte bzw. Cousine besteht kein wie immer geartetes Abhängigkeitsverhältnis und vorwiegend telefonischer Kontakt, der auch vom Herkunftsstaat aus aufrecht erhalten werden kann.

3.5.4. Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme würde auch nicht unverhältnismäßig in das Recht der Beschwerdeführerinnen auf Privatleben eingreifen:

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Bei der Beurteilung der Frage, ob die Beschwerdeführerinnen in Österreich über schützenswertes Privatleben verfügen, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Ausgehend davon, dass der Verwaltungsgerichtshof bei einem dreieinhalbjährigen Aufenthalt im Allgemeinen von einer eher kürzeren Aufenthaltsdauer ausgeht (vgl. Chvosta, ÖJZ 2007/74 unter Hinweis auf die VwGH 8.3.2005, 2004/18/0354; 27.3.2007, 2005/21/0378), und im Erkenntnis vom 26.6.2007, 2007/10/0479, feststellt, "dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte", ist im Fall der Beschwerdeführerinnen, die sich erst seit März 2013 - sohin seit weniger als drei Jahren - in Österreich aufhalten, anzunehmen, dass der Aufenthalt im Bundesgebiet zu kurz ist, um schützenswertes Privatleben in Österreich zu entwickeln.

Selbst wenn man vom Vorliegen schützenswerten Privatlebens ausginge, wäre der Eingriff in dieses Recht durch Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht unverhältnismäßig:

Dass der Fremde strafrechtlich unbescholten ist, vermag weder sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (zB VwGH 25.2.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273; 19.4.2012, 2011/18/0253).

Die Beschwerdeführerinnen reisten illegal nach Österreich ein (vgl. dazu VwGH 22.1.2009, 2008/21/0654) und halten sich erst seit weniger als drei Jahren im Rahmen eines Asylverfahrens in Österreich auf. Die Dauer der Verfahren überstieg mit weniger als drei Jahren nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthalts im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 4.12.2012, Fall Butt, Appl. 47.017/09, Z 85 f.).

Die Erstbeschwerdeführerin und die Zweitbeschwerdeführerin verfügen über starke Bindungen zum Herkunftsstaat, wo sie ihr gesamtes Leben bis zur Ausreise verbracht haben, die Landessprache sprechen, ihre Schulbildung genossen haben und auch beruflich integriert waren. Die Beschwerdeführerinnen verfügen über Familienangehörige, zu denen Kontakt besteht, und weitere Verwandte im Herkunftsstaat.

Im Gegensatz dazu ist die Erstbeschwerdeführerin in Österreich nur schwach integriert: Sie spricht kaum Deutsch und nimmt auch sonst keine Bildungsmaßnahmen in Anspruch. Sie war nie legal erwerbstätig, ist nicht selbsterhaltungsfähig und bezieht Grundversorgung. Sie engagiert sich nicht ehrenamtlich und ist kein Mitglied in Vereinen oder sonstigen Organisationen. Sie verfügt über keine intensive Beziehung zu in Österreich aufenthaltsberechtigten Personen.

Auch die Zweitbeschwerdeführerin ist in Österreich nur wenig integriert: Sie verfügt zwar über Grundkenntnisse der deutschen Sprache und nimmt Bildungsmaßnahmen in Anspruch, doch sie war nie legal erwerbstätig, ist nicht selbsterhaltungsfähig und bezieht Grundversorgung. Sie leistet gelegentlich ehrenamtliche Arbeit, engagiert sich darüber hinaus aber nicht in Vereinen und verfügt über keine Beziehung zu in Österreich aufenthaltsberechtigten Personen.

Diesen schwach ausgeprägten privaten Interessen der Beschwerdeführerinnen an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251). Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes überwiegen daher derzeit die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, insbesondere das Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit die privaten Interessen der Beschwerdeführerinnen am Verbleib im Bundesgebiet (vgl. dazu VfSlg. 17.516/2005 sowie ferner VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479).

Da sich somit nicht ergeben hat, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, ist das Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 Z 1 AsylG 2005 zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird nach der nunmehr geltenden Rechtslage die Erlassung einer Rückkehrentscheidung neu zu prüfen und in diesem Zusammenhang ein umfassendes Verfahren zu führen haben, in dessen Verlauf die Erstbeschwerdeführerin und die Zweitbeschwerdeführerin niederschriftlich zu befragen sein werden.

Im Ergebnis ist daher Spruchpunkt III. der Bescheide des Bundesasylamtes zu beheben und die Verfahren zur umfassenden Prüfung einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen - im Rahmen der rechtlichen Beurteilung bereits wiedergegebenen - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Im gegenständlichen Fall war die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz bereits aufgrund der vom Bundesasylamt zu recht festgestellten mangelnden Glaubhaftigkeit des individuellen Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers zu treffen. Ob diesem Vorbringen - bei unterstellter Glaubhaftigkeit - theoretisch Asylrelevanz zukommen würde war daher für die konkrete Entscheidung nicht mehr von Relevanz. Auch verfahrensrechtlich wurden keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen.

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