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Aggressive Geschäftspraktiken

UnternehmensrechtUWGBaumgartnerSeptember 2024

§ 1a UWG bildet gemeinsam mit § 2 UWG die Gruppe von Beispieltatbeständen, die jedenfalls „unlauter“ sind, und ist daher eine Definitionsnorm. Aggressive Geschäftspraktiken nach § 1a UWG können sowohl im B2B-Bereich als auch im B2C-Bereich zu Ansprüchen führen. Aggressiv können Belästigung, Nötigung oder die unzulässige Beeinflussung des Marktteilnehmers sein, wenn dadurch seine Entscheidungs- oder Verhaltensfreiheit in Bezug auf ein Produkt beeinträchtigt werden kann. Jedenfalls als aggressiv gelten die im Anhang unter Z 24–32 („schwarze Liste“) angeführten Geschäftspraktiken.

 

§ 1a UWG soll die Entscheidungs- und Verhaltensfreiheit der Marktteilnehmer schützen,114 Ob 34/14z. indem verhindert werden soll, dass sie durch Belästigung, Nötigung oder unzulässige Beeinflussung Entscheidungen treffen, die sie andernfalls nicht getroffen hätten.224 Ob 57/08y4 Ob 174/09f. Dabei ist es unerheblich, ob der aggressive Marktteilnehmer aus der Geschäftspraktik Gewinn zieht; es kommt auch auf die tatsächlich eingetretenen Auswirkungen nicht an. Maßgebend ist vielmehr die Eignung der Geschäftspraktik zu einer wesentlichen Beeinflussung des Marktteilnehmers. Voraussetzung ist, dass durch die geschäftliche Handlung die Rationalität der Entscheidung der Abnehmer vollständig in den Hintergrund tritt.33RS0130684.

Zentrale Begriffe

Geschäftspraktik

S § 1 Abs 4 Z 2 UWG, wesentlich ist eine Korrelation zwischen Handlung und Produktabsatz; es müssen „wirtschaftliche Interessen“ betroffen sein,444 Ob 186/08v. reine Imagewerbung554 Ob 113/08 h = MR 2008, 261 ff mit Anm Burgstaller. reicht nicht; es kann eine „sonstige unlautere Handlung“ sein.

Geschäftliche Entscheidung

S § 1 Abs 3 Z 7 UWG, betroffen sind unlautere Geschäftspraktiken „vor, während und nach Abschluss des Handels(Unternehmens)geschäfts“.66Art 3 Abs 1 RL-UGP.

Belästigung

Werbemaßnahme, die persönliche Lebensführung und Ressourcennutzung beeinträchtigt, Umworbener muss sich mit Anliegen des Werbenden auseinandersetzen;77Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG27 § 3 dUWG Rz 1.39c. „wesentlichen Beeinträchtigung“ der Entscheidungsfähigkeit der Marktteilnehmer.884 Ob 2141/96y = ÖBl 1996, 275.
Fallgruppen:
a. Anreißen: Werbung ist so aufdringlich, dass der Kaufentschluss ohne Produktvergleich, um Belästigung zu entgehen, vonstattengeht994 Ob 362/80 = ÖBl 1981, 12.; zB Aufforderung zur Warenbesichtigung an vorm Geschäft stehende Passanten, Aufdrängen der Ware auf der Straße,10104 Ob 303/77 = ÖBl 1977, 96. „Locken“ der Passanten mit Werbegeschenk ins Geschäft.11114 Ob 410/79 = ÖBl 1980, 92.
b. Kinder als Kaufmotivatoren: Wenn durch unlautere Mittel12124 Ob 57/08y = ÖBl 2009, 33. erreicht wird, dass Kinder auf Eltern Druck ausüben; bloß an Kinder13134 Ob 57/08y = ÖBl 2009, 33. oder Eltern14144 Ob 87/09m = wbl 2009, 520. gerichtete Werbung reicht nicht, aber Verteilen von Schulheften mit Werbung ist untersagt.1515OLG Wien 1 R 134/14d = ecolex 2015, 140.
c. Unerbetenes Anrufen, Fax, Email: Unerbetene Telefonanrufe einer Vermögensberatungsgesellschaft,16164 Ob 388/83 = SZ 56/156. Telefonwerbung, Kaltakquise durch Gewerbetreibende,17174 Ob 77/92 = ecolex 1993, 254. Telefonanrufe bei Privatpersonen ohne Einverständnis,18184 Ob 92/94 = ecolex 1995, 113. persönliche Einladungen an Privatpersonen zu einem Abendessen, moralischer Druck der „Absage“,19194 Ob 2141/96y = ÖBl 1996, 275. als Privatpost getarnte Werbesendungen.20204 Ob 59/00f = MR 2000, 145. Keine aggressive Geschäftspraktik liegt vor, wenn keine aufdringliche oder die Rechtssphäre des Kunden wesentlich beeinträchtigende Inhalte per Newsletter versendet werden.2121OGH 31.5.2023, 4 Ob 237/22i.
d. Zusendung unerbetener Waren:22224 Ob 343/65 = ÖBl 1966, 10. Erlaubt ist aber Zusenden nicht bestellter Bücher, wenn dies Interesse des Kunden entspricht.23234 Ob 98/94 = ÖBl 1995, 64. Dafür ist ein strenger Maßstab anzulegen.2424S dazu OGH 28.1.2020, 4 Ob 199/19x – Österreichisches Münzkontor.

Nötigung

Korreliert nicht mit § 105 StGB, erfasst sind psychischer oder physischer Druck zur Erlangung der Kaufentscheidung.2525Burgstaller in Wiebe/Kodek (Hrsg), UWG2 § 1a Rz 82.
Fallgruppen:
(i) physischer Kaufzwang: Anpacken einer Person und Hereinzerren in die Geschäftsräumlichkeiten;2626OGH 8. 1. 1936, ZBl 351.
(ii) psychischer Kaufzwang:27274 Ob 382/84; Burgstaller in Wiebe/Kodek (Hrsg), UWG2 § 1a Rz 80. Werbegeschenke, Kauf, um Peinlichkeit der Unanständigkeit zu entgehen, kommt auf Wert28284 Ob 51/95 = MR 1995, 150. und Art und Weise der Zuwendung an;29294 Ob 301/79 = ÖBl 1979, 66. zB Gratis-Kiste Bier;30304 Ob 64/89 = MR 1989, 178. Gratis-Kundenbeförderung von Staat A in Staat B durch Zahnarzt;31314 Ob 103/08p = ecolex 2008/383 (1037). Einsatz von Laienwerbern.32324 Ob 314/65 = ÖBl 1965, 88; 3 Ob 311/66 = ÖBl 1966, 86.

Unzulässige Beeinflussung

Ausnutzung einer Machtposition, zB Stundung einer Zahlung nur bei weiterem Produktkauf;3333Burgstaller in Wiebe/Kodek (Hrsg), UWG2 § 1a Rz 116. Kauf von Produkten eines Herstellers auf Empfehlung des Betriebsrats, wenn Betriebsrat Provision erhält;3434OLG Wien 1 R 260/66 = ÖBl 1967, 31; OLG Wien 2 R 45/67 = ÖBl 1967, 110. Ausnutzen von Angst und Zwangslagen sowie die Überrumpelung, zB Abschleppunternehmen spricht Unfallbeteiligte zum Zweck eines Vertragsabschlusses am Unfallort an.3535BGH I ZR 118/97 = GRUR 2000, 235.

Anspruch

Aktivlegitimiert

  • Verbraucher
  • Unternehmer, die als Anbieter oder Nachfrager am Marktgeschehen teilhaben
  • Nicht unmittelbar betroffene Mitbewerber nach § 14 Abs 1 UWG (Warenverwandtschaft),
  • Interessenverbände, schon bei abstrakter Möglichkeit der Beeinträchtigung der von ihnen vertretenen Interessen36364 Ob 148/06n.
  • In- und ausländische Verbraucherschutzverbände

§§ 1a, 14 Abs 1 UWG

Passivlegitimiert

  • Täter
  • Mittäter, Anstifter, Gehilfen
  • Organe juristischer Personen, Gesellschafter
  • Unternehmer (§ 18 UWG)

§§ 18, 34 UWG, § 1301 ABGB

Ansprüche

  • Unterlassung (verschuldensunabhängig, betreffend künftige Handlungen)
  • Beseitigung (verschuldensunabhängig, betreffend bestehende, fortwährende Handlungen)
  • Schadenersatz (verschuldensabhängig)
  • Urteilsveröffentlichung (wenn berechtigtes Interesse besteht)

§§ 14, 15, 25 UWG

Anspruchskonkurrenz

§ 7 UWG, § 1330 ABGB

 

Geltendmachung

Gerichtliche Geltendmachung

Streitiger Rechtsweg, mit Ausnahme des Verfahrens nach dem Bundesgesetz zur Verbesserung der Nahversorgung und der Wettbewerbsbedingungen (NVG), dort Verfahren nach dem AußStrG 2003.

 

Beweislast

§ 1 Abs 5 UWG

Verjährung Unterlassungsanspruch und Beseitigungsanspruch

  • Sechs Monate ab Kenntnis von Gesetzesverletzung und Verpflichteten
  • Absolut drei Jahre nach der Gesetzesverletzung
  • Wenn Konkurrenzanspruch nach ABGB, dann gilt ABGB – Verjährungsfrist
  • Solange gesetzwidriger Zustand fortbesteht, Verjährungshemmung

§ 20 UWG

Verjährung Schadenersatzanspruch

Nach ABGB

§ 1489 ABGB

Sachliche Zuständigkeit

  • Handelsgerichte
  • Arbeitsgerichte, wenn es sich um Arbeitsrechtssachen handelt

§ 51 Abs 2 Z 10 JN, § 50 Abs 1 ASGG

Örtliche Zuständigkeit

  • Für Personen mit Wohnsitz in der Gemeinschaft gehen Regeln der EuGVVO grds vor.
  • Nationales Recht nur, wenn Beklagter den Wohnsitz nicht in der Gemeinschaft hat oder
  • wenn Personen beklagt sind, deren Unternehmen sich im Inland befindet; zuständig ist das Gericht im Sprengel des Unternehmens; bei mehreren Niederlassungen entweder Hauptniederlassung oder Handlungsort.

EugVVO, § 83c JN

Inländische Gerichtsbarkeit

Rechtsstreitigkeiten mit Auswirkungen auf den österreichischen Markt können in Österreich geführt werden.

  • Eine Wahlzuständigkeit besteht für Klagen wegen unlauteren Wettbewerb an dem Ort, wo das schädigende Ereignis eingetreten ist.
  • Zwangszuständigkeit für Klagen (Register) für Patente, Warenzeichen, Muster, Modelle

§ 27 a Abs 1 JN, Art 5 Abs 1 EuGVVO, Art 7 Z 3 EuGVVO, Art 24 Z 4 EuGVVO

Kosten

Fällt während des Prozesses die Wiederholungsgefahr weg, ist das Klagebegehren auf Kosten einzuschränken.

 

Fallprüfungsschema:

S Arbeitshilfe „Fallprüfungsschema zum UWG allgemein“.

Was man sonst noch wissen sollte

 

 



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