OGH 4Ob237/22i

OGH4Ob237/22i31.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S* GmbH, *, vertreten durch bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei M* GmbH, *, vertreten durch Kaan Cronenberg & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Graz, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert 30.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 29. September 2022, GZ 5 R 30/22d‑37, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 3. Jänner 2022, GZ 35 Cg 119/20z‑32, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00237.22I.0531.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Gewerblicher Rechtsschutz

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.883,16 EUR (darin 313,86 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte kaufte den Good Will und den Kundenstock der insolventen mittelbaren Schwestergesellschaft der Klägerin. Die Datenschutzerklärung dieser Insolvenzgesellschaft hatte auf die Möglichkeit der Übermittlung von personenbezogenen Daten der Kunden im Fall des Verkaufs oder der Übertragung des gesamten Unternehmens oder von Unternehmensteilen hingewiesen. In der Folge versandte die Beklagte an die erworbenen Kunden E-Mails als Newsletter zwecks Direktwerbung. Die Datenschutzbehörde stellte fest, dass das Versenden der Newsletter gegen die DSGVO verstoßen habe, das Bundesverwaltungsgericht änderte in der Folge die Entscheidung dahin ab, dass es die Datenschutzbeschwerde als unbegründet abwies, diesbezüglich ist ein Revisionsverfahren beim Verwaltungsgerichtshof anhängig. Ein Verfahren vor der Fernmeldebehörde wegen eines behaupteten Verstoßes gegen das TKG wurde eingestellt.

[2] Die Klägerin begehrte (zusammengefasst) – gestützt auf das TKG, die DSGVO sowie auf § 1a UWG –, der Beklagten die Unterlassung der Sendung von elektronischer Post zur Direktwerbung ohne Einwilligung der Empfänger aufzutragen, sowie die Unterlassung der Verarbeitung von personenbezogenen Daten ohne Einwilligung der Betroffenen oder Vorliegen einer Rechtfertigung nach Art 6 Abs 2 DSGVO bzw ohne vorherige Information nach Art 14 Abs 1 und 2 DSGVO.

[3] Die Beklagte wendete ein, sie habe aufgrund des Kaufs des Kundenstocks der Insolvenzgesellschaft eigene Kunden kontaktiert, was zulässig sei.

[4] Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab, wie schon der mit den Unterlassungsbegehren gleichlautende Sicherungsantrag der Klägerin in allen drei Instanzen abgewiesen worden war.

Der Senat hatte zu 4 Ob 95/21f (Zurückweisung des Revisionsrekurses der Klägerin) wie folgt ausgeführt:

1.1. Die Klägerin stützt sich hinsichtlich ihres Sicherungsantrags zu Punkt 1. unter der Fallgruppe Rechtsbruch darauf, dass die Beklagte die Newsletter ohne vorherige Einwilligung der Empfänger bzw ohne Erfüllung der Voraussetzungen des § 107 Abs 3 TKG 2003 zu Zwecken der Direktwerbung an vormalige Kunden der Schuldnerin gesendet habe.

1.2. Ein lauterkeitsrechtlich relevanter Rechtsbruch liegt nur vor, wenn er auf einer unvertretbaren Rechtsansicht beruht. Die Vertretbarkeit einer Rechtsansicht ist aufgrund des Wortlauts und des offenkundigen Zwecks der angeblich verletzten Norm und gegebenenfalls der dazu ergangenen Entscheidungen der zuständigen Behörden und Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zu beurteilen (RS0077771; RS0123239).

1.3. Bei Beurteilung der lauterkeits -rechtlichen Vertretbarkeit einer Rechtsansicht durch den Obersten Gerichtshof sind zwei Prüfungsstufen zu unterscheiden: Schon auf der ersten – für die Beurteilung durch die Vorinstanzen nach § 1 UWG maßgebenden – Stufe geht es nur um die Frage nach einer vertretbaren Auslegung der Normen, um die Verwirklichung eines zurechenbaren Rechtsbruchs bejahen oder verneinen zu können. Auf der zweiten – für die zulässige Anfechtung eines Urteils beim Obersten Gerichtshof gemäß § 502 Abs 1 ZPO hinzutretenden – Stufe geht es sodann nicht um die Frage, ob das Berufungsgericht jene Vertretbarkeitsfrage richtig, sondern nur, ob es sie ohne eine krasse Fehlbeurteilung gelöst hat (RS0124004).

2.1. Das Rekursgericht hat die kumulative Erfüllung jener Voraussetzungen des § 107 Abs 3 TKG, nach denen eine vorherige Einwilligung zur Zusendung einer elektronischen Post nicht notwendig ist, als gegeben erachtet. Diese Beurteilung ist aus folgenden Gründen nicht unvertretbar:

Z 1 „… wenn der Absender die Kontaktinformation für die Nachricht im Zusammenhang mit dem Verkauf oder einer Dienstleistung an seine Kunden erhalten hat“

Die Beklagte hat im Insolvenzverfahren den Kundenstock der Insolvenzgesellschaft samt Online-Auftritt gekauft. Ihre Auffassung, die Kunden der Insolvenzgesellschaft, die schon bisher Sporternährungsprodukte über deren Website bezogen haben, seien durch diesen Vorgang zu ihren eigenen Kunden geworden, ist auch nach dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht unvertretbar. Dass hier nicht der Absender der Newsletter (die Beklagte), sondern deren Rechtsvorgängerin die Kontaktinformationen erhalten hat, ändert beim gegebenen Sachverhalt an der Vertretbarkeit dieser Auffassung nichts.

Z 2 „… wenn diese Nachricht zur Direktwerbung für eigene ähnliche Produkte oder Dienstleistungen erfolgt“

Die Erfüllung dieser Voraussetzung ist unstrittig und entspricht der Bescheinigungslage.

Z 3 „… wenn der Empfänger klar und deutlich die Möglichkeit erhalten hat, eine solche Nutzung der elektronischen Kontaktinformation bei deren Erhebung und zusätzlich bei jeder Übertragung kostenfrei und problemlos abzulehnen“

Auch die Erfüllung dieser Voraussetzung wurde von den Tatsacheninstanzen (unter Hinweis auf Beilage ./G) als bescheinigt erachtet.

Z 4 „... der Empfänger die Zusendung nicht von vornherein, insbesondere nicht durch Eintragung in die in § 7 Abs. 2 E‑Commerce-Gesetz genannte Liste, abgelehnt hat.“

Dass eine derartige Vorweg-Ablehnung vorgelegen hätte, wurde weder behauptet, noch besteht ein Anhaltspunkt dafür im bescheinigten Sachverhalt. Die Klägerin geht nach ihrem eigenen Vorbringen (Klage Rn 20) vielmehr selbst davon aus, dass es „offensichtlich“ sei, dass die Insolvenzgesellschaft die (später an die Beklagte verkauften) Kundendaten „von den [gemeint: ihren] Kunden iSd § 107 TKG [also rechtmäßig] erlangt hat“.

2.2. Ein Rechtsbruchtatbestand im Sinne des UWG ist nicht schon dann erfüllt, wenn nach der strengsten Auslegung einer Verhaltensnorm deren Verletzung zu begründen wäre, sondern nur dann, wenn die Verletzung der Norm nicht mit guten Gründen vertreten werden kann, also unvertretbar ist (4 Ob 225/07b, Stadtrundfahrten). Eine derartige Unvertretbarkeit im Zusammenhang mit dem von den Vorinstanzen verneinten TKG‑Verstoß wird im Revisionsrekurs nicht aufgezeigt.

3.1. Gleiches gilt für die von der Klägerin geltend gemachten Verstöße gegen die DSGVO. Bescheinigt ist nämlich, dass sich die Kunden der Insolvenzgesellschaft im Zusammenhang mit dem Bezug des Newsletters über deren Webshop mit der Weitergabe personenbezogener Daten ua für den Fall des Verkaufs des gesamten Unternehmens oder von Teilen davon einverstanden erklärt haben. Hat demnach die Beklagte die Kundendaten ihrer Rechtsvorgängerin nur für genau jenen Zweck (Versendung eines Newsletters über den identen Webshop) benutzt, für den die Kunden zuvor ihre Einwilligung erteilt haben, ist es nicht unvertretbar, diese Einwilligung als ausreichend iSd Art 6 Abs 1 lit a DSGVO zu erachten (wonach die Verarbeitung rechtmäßig ist, wenn die betroffene Person ihre Einwilligung zu der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten für einen oder mehrere bestimmte Zwecke gegeben hat) sowie die nach Art 14 DSGVO vorgeschriebenen Informationen in diesem Fall für entbehrlich zu halten, zumal die personenbezogenen Daten – wenn auch nicht durch die Beklagte selbst, sondern durch ihre Rechtsvorgängerin – als bei der betroffenen Person (den Kunden) erhoben angesehen werden können.

3.2. Ist demnach die Gesetzesauslegung der Beklagten aufgrund der besonderen Umstände im Einzelfall vertretbar, kommt es auf die Frage der Aktivlegitimation nicht weiter an. Den Anregungen, ein weiteres Vorabentscheidungsersuchen einzuleiten bzw das Ergebnis im genannten Vorabentscheidungsersuchen abzuwarten, war daher nicht zu folgen.

 

[5] Die Klägerin macht nun in ihrer – vom Berufungsgericht nachträglich zugelassenen und sodann von der Beklagten beantworteten – Revision geltend, dass aufgrund der Entscheidung der Datenschutzbehörde die von den Vorinstanzen angenommene Vertretbarkeit der Rechtsansicht der Beklagten (zur Verwendung der erworbenen Kundendaten berechtigt zu sein) unvertretbar sei. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Zusendung einer elektronischen Post ohne vorherige Einwilligung des Empfängers gemäß § 174 Abs 4 TKG nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

[6] Damit zeigt die Revision keine erheblichen Rechtsfragen iSv § 502 Abs 1 ZPO auf; sie ist daher, ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – berufungsgerichtlichen Zulassungsausspruchs, nicht zulässig.

[7] 1. Zum behaupteten DSGVO- bzw TKG‑Verstoß ist auszuführen, dass die – dem Standpunkt der Klägerin entsprechende – Entscheidung der Datenschutzbehörde durch das Bundesverwaltungsgericht im Sinne der Beklagten abgeändert wurde und die Verwaltungsrechtssache beim VwGH anhängig ist. Somit hat sich mangels Vorliegens einer rechtskräftigen Entscheidung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts oder einer beständigen Verwaltungspraxis (vgl RS0077771 [T76]) nichts an dem bereits im Provisorialverfahren angelegten Beurteilungsmaßstab zum beanstandeten Rechtsbruch geändert. Es ist daher auf die oben wiedergegebene Entscheidung 4 Ob 95/21f zu verweisen.

[8] 2. Soweit sich die Klägerin auch auf eine aggressive Geschäftspraktik iSd § 1a UWG unter Verweis auf Z 26 des Anhangs zum UWG beruft und sich dabei auf die Entscheidung des EuGH zu C‑102/20 stützt, die die Frage der Zulässigkeit unerbetener, als E‑Mail getarnter Werbungen zum Inhalt hatte, ist diese nicht präjudiziell, zumal es hier nicht um getarnte Werbung geht, sondern um die Frage, ob die Beklagte unlauter gehandelt hat, weil sie Kunden der Verkäuferin nach der Übernahme des Kundenstocks zwei weitere Newsletter gesendet hat. Dies haben die Vorinstanzen vertretbar verneint, hat doch hier die Beklagte die beiden Newsletter nur an ihre im Rahmen des Asset‑Deals „erworbenen“ Kunden (also im Rahmen einer Geschäftsverbindung) versandt und haben die Newsletter keine aufdringlichen oder die Rechtssphäre der Kunden wesentlich beeinträchtigenden Inhalte (vgl RS0078038 [T5]).

[9] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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