OGH 4Ob2141/96y

OGH4Ob2141/96y25.6.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf. Dr. Gamerith als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek und Dr. Niederreiter sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, Wien 4, Prinz Eugen-Straße 20-22, vertreten durch Dr. Heinz Kosesnik-Wehrle, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei E***** GesellschaftmbH, ***** vertreten durch Gabler & Gibel, Rechtsanwalts-Partnerschaft in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren S 450.000,--), infolge Revisionsrekurses der Klägerin gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 27. März 1996, GZ 5 R 20/96i-9, mit dem der Beschluß des Landesgerichtes Korneuburg vom 20. November 1995, GZ 1 Cg 343/95z-4, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie insgesamt, einschließlich des in Rechtskraft erwachsenen Teiles, wie folgt zu lauten haben:

"Einstweilige Verfügung

Zur Sicherung des Unterlassungsanspruches der Klägerin wider die Beklagte wird der Beklagten für die Dauer dieses Rechtsstreites ab sofort im geschäftlichen Verkehr bei der Werbung für ihre Waren verboten:

1) jede Art der Werbung von Privatpersonen, mit denen keine Geschäftsverbindung besteht, mit Telegrammen;

2) die Versendung von Einladungen an Privatpersonen, mit denen keine Geschäftsverbindung besteht, zu einem Abendessen mit einer dieses begleitenden Werbeveranstaltung, wenn Ort und Zeit der Veranstaltung in einem namentlich bezeichneten Restaurant bereits ohne vorherige Absprache mit den Adressaten fixiert wurden und diese aufgefordert werden, im Falle der Verhinderung umgehend die Beklagte (ihren "Organisationsleiter") telefonisch davon zu benachrichtigen.

Die Beklagte hat ihre Äußerungskosten selbst zu tragen."

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens vorläufig selbst zu tragen; die Beklagte hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Beklagte erzeugt und vertreibt Textilien. Sie organisiert regelmäßig Veranstaltungen, in denen ihre Erzeugnisse Letztverbrauchern bei einem Abendessen vorgestellt werden. Die Einladungen werden, wie jene für Ronald S*****, mit einem Telegramm angekündigt:

"Gewinnankündigung - genaue Information demnächst per Post".

Dem Telegramm folgte ein Brief:

"Herzlichen Glückwunsch, Herr S*****!

Sie hatten beim S*****-Kunden-Gewinnspiel anläßlich unserer Sommerziehung Glück und damit ein Abendessen für 12 Personen (6 Paare) gewonnen. Seien Sie einen Abend lang Gastgeber Ihrer Freunde und genießen Sie die traditionelle Wiener Küche. Die Rechnung der Speisen übernehmen wir.

Wir decken den Tisch im Restaurant

S*****

T*****gasse 4, ***** W*****

am Montag, den 27.11.1995, um 19.00 Uhr.

Während die Küche die von Ihnen ausgewählten Speisen vorbereitet (ca. 30 - 40 Minuten) unterhalten wir Sie mit einer Informations-Show zum Thema 'Gesundes Schlafen'. Sie wissen ja: Wir verbringen ein Drittel unseres Lebens im Bett. Zahlt es sich da nicht aus, neue Tips zu erfahren?....

Um die Platzreservierung im Restaurant zu fixieren, senden Sie uns die beiliegende Gästeliste bitte innerhalb der nächsten 7 Tage ausgefüllt zurück. Sie erhalten von uns postwendend eine persönliche Einladung für jeden Ihrer Gäste.

Freuen Sie sich auf einen unterhaltsamen Abend mit Freunden. Wir wünschen schon heute guten Appetit und viel Spaß.

Bis dahin herzliche Grüße

...."

Dem Brief war eine Gästeliste beigelegt:

"Gäste-Liste

Sie haben beim S*****-Gewinnspiel ein Abendessen mit Freunden gewonnen. Tragen Sie bitte auf dieser Liste jene 11 Personen ein, die ihr Kommen zugesagt haben. Wir senden Ihnen für jeden Gast eine persönliche Einladung. Zusätzlich erhalten Sie Ihren Gutschein zur Teilnahme an der Verlosung von 12 'gesunden' Wochenend-Reisen für 2 Personen.

Gastgeber

Herr Ronald S*****, *****

Gasthaus

S*****

***** W*****, T*****gasse 4

Termin

am Montag den 27.11.1995 um 19.00 Uhr

Sollten Sie zu diesem Termin verhindert sein, bitten wir umgehend um Ihren Anruf bei unserem Organisationsleiter Herrn Christian K***** ***** in der Zeit von 14 - 16 Uhr.

..."

Die Klägerin begehrt zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches, der Beklagten im geschäftlichen Verkehr bei der Werbung für ihre Waren zu verbieten,

1) jede Art der Werbung von Privatpersonen, mit denen keine Geschäftsverbindung besteht, mit Telegrammen;

2) die Versendung von Telegrammen an umworbene Privatpersonen mit der irreführenden Nachricht, daß diese einen "Gewinn" erhalten werden ("Gewinnankündigung"), wenn nach der zugleich angekündigten und später dem Adressaten zugesandten brieflichen Erläuterung der sogenannte "Gewinn" in Wahrheit in einem Abendessen besteht, das als Gegenleistung für die schriftliche Bekanntgabe von Name, Adresse, Alter und Telefonnummer von weiteren Privatpersonen, die ihre Teilnahme an einer mit einem Abendessen verbundenen Werbeveranstaltung zugesagt haben, in Aussicht gestellt wird;

3) die Versendung von Einladungen an Privatpersonen, mit denen keine Geschäftsverbindung besteht, zu einem Abendessen mit einer dieses begleitenden Werbeveranstaltung, wenn Ort und Zeit der Veranstaltung in einem namentlich bezeichneten Restaurant bereits ohne vorherige Absprache mit den Adressaten fixiert wurden und diese aufgefordert werden, im Falle der Verhinderung umgehend die beklagte Partei (ihren "Organisationsleiter") telefonisch davon zu benachrichtigen.

Werbung per Telegramm sei wie Telefon- und Telefaxwerbung unzulässig, weil damit in die schutzwürdige Privatsphäre des Umworbenen eingedrungen werde. Die Ankündigung eines "Gewinnes" sei irreführend; in Wahrheit sei die Einladung zum Abendessen das eher bescheidene Entgelt für das Werben von elf Interessenten. Die Werbeveranstaltung werde im folgenden Brief als schon fixiert hingestellt; ein erheblicher Teil der Adressaten fühle sich verpflichtet, bei mangelndem Interesse telefonisch abzusagen. Dieser "Absagedruck" sei sittenwidrig im Sinne des § 1 UWG.

Die Beklagte beantragt, den Sicherungsantrag abzuweisen.

Jedem Eingeladenen stehe es frei, die Einladung anzunehmen oder abzulehnen. Der mündige Staatsbürger erkenne sofort, daß er zu einer Werbeveranstaltung eingeladen werde. Seine Entscheidungsfreiheit werde nicht beeinträchtigt. Niemand werde irregeführt, weil das Abendessen tatsächlich kostenlos und die Verbindung mit einer Werbeveranstaltung offenkundig sei.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab.

Das Telegramm lenke nur die Aufmerksamkeit auf den ihm folgenden Brief; es schaffe keine psychische Ausnahmesituation. Wer an der Werbung nicht interessiert sei, brauche sie, anders als bei der Telefonwerbung, nicht abzuwehren, sondern könne sich damit begnügen, den folgenden Brief zu ignorieren. Daß mit diesem Brief zu einer Werbeveranstaltung eingeladen werde, sei offenkundig. Zu erkennen sei auch, daß der Veranstalter den Termin erst nach Erhalt der Gästeliste fixieren werde. Ein moralischer Druck, teilzunehmen oder abzusagen, werde nicht ausgeübt.

Das Rekursgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichtes dahin ab, daß es der Beklagten jede Art von Werbung von Privatpersonen, mit denen keine Geschäftsverbindung besteht, durch Versendung von Telegrammen verbot. Im übrigen bestätigte es die Entscheidung des Erstgerichtes. Das Rekursgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteige und der Revisionsrekurs zulässig sei.

Werbung mit Telegrammen sei eine unzumutbare Belästigung. Bei jeder Art der Telegrammzustellung werde der Adressat in einen Spannungszustand versetzt, der die Grenzen der zumutbaren Belästigung überschreite. Durch die Gewinnankündigung würden die Adressaten nicht irregeführt; das Begehren in Punkt 2) des Sicherungsantrages sei als Eventualantrag zu Punkt 1) zu verstehen. Die Einladungen würden an Personen versandt, denen dies mit Telegramm angekündigt worden sei. Die Klägerin habe daher nicht bescheinigt, daß Einladungen an Personen versandt würden, zu denen keine Geschäftsverbindung besteht. Im übrigen würden die Adressaten nicht aufgefordert, sondern gebeten, bei Verhinderung telefonisch abzusagen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin, und zwar insoweit, als die Abweisung von Punkt 3 des Sicherungsantrages bestätigt wird. Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Die Klägerin bekämpft die Auffassung des Rekursgerichtes, daß sich die Einladungen nur an Personen richteten, zu denen bereits ein Werbekontakt bestehe. Die unzulässige Telegrammwerbung schaffe keine zulässige Geschäftsverbindung. Für einen höflichen Menschen sei die Bitte um telefonische Verständigung eine Aufforderung. Die Werbemaßnahme der Beklagten sei nur ein anderer Fall von Telefonwerbung, deren Kosten noch dazu der Kunde zu tragen habe. Das Ersuchen, umgehend anzurufen, setze den Adressaten unter Zeitdruck.

Sittenwidrig im Sinne des § 1 UWG ist eine Werbung, deren Aufdringlichkeit das mit jeder Werbung mehr oder weniger verbundene, noch tragbare Maß der Belästigung überschreitet (Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht18 § 1 dUWG Rz 57). In diesem Sinn wurde Telefonwerbung als unzulässiger Eingriff in die Individualsphäre des Anschlußinhabers beurteilt (SZ 56/156 = EvBl 1984/14 = MRA 1984 H 1, 7 = ÖBl 1984, 13 = RdW 1984, 76 = GRURInt 1984, 311 - Telefonwerbung; ÖBl 1995, 12 - Computerkurse). Auch das Zusenden unbestellter Ware an mutmaßliche Interessenten mit der Aufforderung, entweder den Preis dem Absender zu überweisen oder die Ware zurückzusenden, verstößt als typischer Fall des Anreißens gegen § 1 UWG. Wird unbestellte Ware zugesandt, so werden dem Empfänger Unannehmlichkeiten bereitet und er wird gegen seinen Willen in eine psychische Zwangslage gebracht; diese Belästigung macht die Werbemaßnahme sittenwidrig (Baumbach/Hefermehl aaO § 1 dUWG Rz 72; vgl auch ÖBl 1995, 64 - Fachbuchverlag).

Belästigt wird auch derjenige, dem die Beklagte ihre mit Telegramm vorangekündigte Einladung mit Gästeliste zuschickt. Die Einladung erweckt durch ihre Gestaltung den Eindruck, die Beklagte habe Ort und Termin des Abendessens bereits festgelegt. Daß sie um die Übermittlung der Gästeliste binnen 7 Tagen ersucht, um die Platzreservierung im Restaurant zu fixieren, hebt diesen Eindruck nicht auf. Auch wenn die Reservierung erst fixiert werden muß, hält die Beklagte jedenfalls diesen Termin für den Eingeladenen frei. Will oder kann er den Termin nicht wahrnehmen, so wird sich ein erheblicher Teil der Angesprochenen verpflichtet fühlen, die Beklagte umgehend zu verständigen, um allfällige Unannehmlichkeiten für die Beklagte zu verhindern. Er wird dem Ersuchen auf der Gästeliste folgen und sein mangelndes Interesse telefonisch mitteilen. Daß sich dieses Ersuchen wohl in erster Linie an diejenigen richtet, welche die ausgefüllte Gästeliste zurückgeschickt haben, hindert nicht, daß ihm auch jene nachkommen, die schon aufgrund des Einladungsschreibens meinen, zu diesem Akt der Höflichkeit verpflichtet zu sein.

Die Werbemaßnahme der Beklagten schafft damit eine psychische Zwangslage: Der gegen seinen Willen Eingeladene, der an der Einladung nicht interessiert ist, hat nur die Wahl, sich entweder unhöflich zu fühlen oder den Organisationsleiter der Beklagten anzurufen und einen von ihm nicht gewünschten Kontakt zur Beklagten aufzunehmen. Auf den Werbeadressaten wird moralischer Druck ausgeübt, sich mit dem Angebot der Beklagten näher zu befassen, und sei es nur in Form einer telefonischen Absage. Das überschreitet das Maß der Belästigung, die mit jeder Werbung verbunden ist.

Daß dem Einladungsschreiben ein Telegramm vorausgegangen ist, vermag daran nichts zu ändern. Das Rekursgericht hat der Beklagten die Telegrammwerbung mit zutreffenden Gründen rechtskräftig verboten. Die Telegrammwerbung der Beklagten ist demnach unzulässig; eine einseitige und noch dazu unzulässige Werbemaßnahme schafft aber keine Geschäftsbeziehung, die andere Werbemaßnahmen rechtfertigte.

Dem Revisionsrekurs war Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten der Klägerin beruht auf § 393 Abs 1 EO; jene über die Kosten der Beklagten auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 40, 50 ZPO.

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