European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0080OB00031.19W.0325.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
Die Zurückweisung der Klage wird bestätigt, soweit die klagende Partei ihr Begehren auf vertragliche Ansprüche stützt.
Im Übrigen werden die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abgeändert, dass die Einrede der mangelnden internationalen und örtlichen Zuständigkeit verworfen wird.
Die Kosten des Zwischenstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Begründung:
Die Klägerin brachte vor, sie habe am 19. 3. 2012 in Österreich einen von einer schweizerischen Gesellschaft angebotenen „Ansparplan“ mit einer monatlichen Einzahlung von 100 EUR, mit dem in Edelmetalle investiert werden sollte, abgeschlossen. Beginnend ab 15. 4. 2012 sei insgesamt der Klagsbetrag von der Klägerin mittels Einzugsermächtigung auf ein Konto der Anlagegesellschaft bei einer im Sprengel des Erstgerichts gelegenen Bank überwiesen worden. Die Anbieterin habe in Broschüren mit der Sicherheit ihrer Anlage durch „jährliche Überprüfung der Edelmetall-Bestände durch ein international anerkanntes Wirtschaftsprüfungsunternehmen“ geworben.
Der Beklagte, ein Schweizer Notar und Rechtsanwalt, habe im Auftrag der Anlagegesellschaft jährliche Prüfberichte („comfort letters“) erstellt, in denen er unter Beifügung seines Rundsiegels für Notare die Übereinstimmung des Ist‑Lagerbestands der Gesellschaft an Edelmetallen mit dem Soll‑Lagerstand bestätigte. Eine physische Kontrolle der Bestände habe er nicht durchgeführt. Über die schweizerische Anlagegesellschaft sei am 2. 6. 2016 das Konkursverfahren eröffnet und am 29. 8. 2016 mangels Masse eingestellt worden. Gegen die Verantwortlichen der Gesellschaft seien strafrechtliche Ermittlungen anhängig.
Die Klägerin begehrt den Ersatz der in die Anlage bisher investierten Beträge. Sie brachte vor, dem Beklagten sei bekannt gewesen, dass seine Prüfberichte als Marketinginstrument zur Anwerbung von Anlageinteressenten auch in Österreich eingesetzt und als Entscheidungsgrundlage für die Anleger dienen würden. Hätte die Klägerin gewusst, dass den Prüfberichten keine tatsächliche Kontrolle der Goldbestände zugrundelag, hätte sie das Investment nicht getätigt bzw aufrecht erhalten. Der Beklagte habe rechtswidrig gehandelt und hafte nach §§ 1299 und 1300 ABGB, aber auch aufgrund der erweiterten Schutzwirkungen seines Vertrags mit der Anlagegesellschaft.
Die internationale und örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergebe sich aus Art 5 Z 3 und Art 13 iVm Art 14 LGVÜ. Das Investment sei in Österreich gezeichnet worden, der Ort des Schadenseintritts liege am Wohnsitz der Klägerin, von dem aus das Geld auf ein gleichfalls im Sprengel des angerufenen Gerichts geführtes Konto der Anlagegesellschaft geflossen sei.
Der Beklagte erhob die Einrede der internationalen Unzuständigkeit. Der Ort der behaupteten Schadenszufügung sei in der Schweiz gelegen, auch die Anlagegesellschaft habe dort ihren Sitz. Es sei schweizerisches Recht anzuwenden. Bloße Schutzwirkungen eines Vertrags zugunsten Dritter könnten keine internationale Zuständigkeit nach dem LGVÜ begründen, außerdem sei ein solcher Haftungsgrund dem schweizerischen Recht fremd.
Das Erstgericht erklärte sich für international und örtlich unzuständig und wies die Klage zurück.
Der Gerichtsstand nach Art 13f LGVÜ stehe mangels unmittelbarer Vertragsbeziehung der Streitteile nicht zur Verfügung.
Die Voraussetzungen des Deliktsgerichtsstands nach Art 5 Z 3 LGVÜ seien ebenfalls nicht erfüllt. Der Ort der behaupteten schädigenden Handlung liege in der Schweiz. Allein auf den Wohnsitz der Klägerin als „Vermögenszentrale“ und Ort, an dem auch ihr Bankkonto geführt wurde, könne die Zuständigkeit nicht gestützt werden.
Schlussendlich begründe auch der Umstand, dass die investierten Gelder auf ein Konto der Anlagegesellschaft im Sprengel des Erstgerichts überwiesen wurden, keine Zuständigkeit nach Art 5 Z 3 LGVÜ. Nach der Rechtsprechung des EuGH (insbesondere Rs C‑12/2015, Universal Music Holding und C‑375/2013, Kolassa) sei der Ort des Eintritts eines ausschließlich in einem finanziellen Verlust bestehenden Schadens in Ermangelung anderer Anknüpfungspunkte nicht als Erfolgsort anzusehen, es sei denn, dass auch die anderen spezifischen Gegebenheiten des Falls zur Zuweisung der Zuständigkeit an die Gerichte dieses Orts führen. Solche besondere Umstände lägen nicht vor. Hinzu komme, dass eine Kausalität der Prüfberichte des Beklagten für den bereits ein Jahr davor getätigten Vertragsabschluss der Klägerin ausgeschlossen sei.
Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel der Klägerin nicht Folge und billigte die Rechtsausführungen des Erstgerichts.
Nach dem Klagsvorbringen sei das Konto, auf das die Klägerin Gelder überwiesen habe, nur jenes Konto gewesen, von dem aus die Anlage getätigt wurde oder werden hätte sollen. Es sei notorisch, dass die anzuschaffenden Edelmetalle nicht im Inland, sondern in ausländischen Depots verwahrt werden sollten. Die zur Bejahung der internationalen Zuständigkeit erforderliche besonders enge Beziehung zum Ort der Kontoführung bestehe daher nicht.
Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil eine Vielzahl gleichgelagerter Parallelverfahren anhängig bzw weitere zu erwarten seien und noch keine einheitliche höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Ermittlung des Erfolgsorts iSd Art 5 Z 3 LGVÜ und Art 7 Nr 2 EuGVVO bei Anlegerschäden bestehe.
In ihrem vom Beklagten beantworteten Revisionsrekurs strebt die Klägerin die Abänderung der Beschlüsse der Vorinstanzen dahin an, dass die internationale und örtliche Zuständigkeit des Erstgerichts bejaht werde, in eventu stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und auch teilweise berechtigt.
1. Der behauptete Verfahrensmangel, den das Rechtsmittel in der Nichtvorlage des eventualiter gestellten Ordinationsantrags durch das Rekursgericht erblickt, besteht nicht. Eine Ordination im Sinn des § 28 JN kann nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts nicht gegeben oder nicht zu ermitteln sind. Vor rechtskräftiger Erledigung der im Prozess erhobenen Einrede der örtlichen Unzuständigkeit kommt daher eine Ordination nicht in Frage (RIS‑Justiz RS0046450; RS0108569 [T2]), weshalb ein gestellter Eventualantrag auch (noch) nicht vorzulegen ist.
2. Im Hinblick auf den Wohnsitz des Beklagten in der Schweiz und nach dem Datum der Einbringung der Klage (19. 9. 2018) richtet sich die internationale Zuständigkeit nach dem am 30. 10. 2007 in Lugano abgeschlossenen Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil-und Handelssachen (Art 64 Abs 2 lit a LGVÜ 2007). Im Verhältnis zur Schweiz ist das LGVÜ 2007 gemäß seinem Art 63 seit 1. 1. 2011 anzuwenden (5 Ob 240/18g). Es ersetzt in seinem Anwendungsbereich die Zuständigkeitsbestimmungen der JN (RIS‑Justiz RS0106679; RS0109738). Inhaltlich stimmt das LGVÜ 2007 mit der Brüssel I‑VO hier nahezu wortgleich überein. Um eine einheitliche Auslegung und insbesondere die Parallelität zu EuGVÜ bzw EuGVVO zu gewährleisten, ist im Art 1 des Protokolls Nr 2 über die einheitliche Auslegung des LGVÜ 2007 das ausdrückliche Gebot der Rücksichtnahme auf die EuGH‑Rechtsprechung enthalten (8 Ob 75/18i; vgl auch RIS‑Justiz RS0113569). Weitestgehend kann die zur EuGVVO ergangene Literatur und Judikatur herangezogen werden (Mayr in Rechberger 4 Nach § 27a JN Rz 23; RIS‑Justiz RS0115357 [T5] zu Art 5 Nr 3 LGVÜ; 5 Ob 240/18g).
3. Maßgeblich für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit sind die Klageangaben (RIS‑Justiz RS0115860, RS0050455). Sind die die Zuständigkeit begründenden Tatsachenbehauptungen zugleich Anspruchsvoraussetzungen („doppelrelevante Tatsachen“), so ist ihre Richtigkeit zu unterstellen (RIS-Justiz RS0115860 [T4]; sie sind auch dann der Zuständigkeitsentscheidung zugrunde zu legen, wenn sie vom Beklagten bestritten wurden, RIS‑Justiz RS0050455 [T1]). Die Schlüssigkeit des Klagevorbringens reicht im Fall doppelrelevanter Tatsachen aus (RIS‑Justiz RS0116404). Auch der EuGH sprach bereits aus, dass das angerufene nationale Gericht im Fall des Bestreitens der Behauptungen des Klägers durch den Beklagten nicht verpflichtet ist, im Stadium der Ermittlung der Zuständigkeit ein Beweisverfahren durchzuführen, aber alle vorliegenden Informationen zu würdigen hat, wozu gegebenenfalls auch die Einwände des Beklagten gehören (EuGH 16. 6. 2016, Universal Music,C‑12/15, Rn 44 f; so auch 6 Ob 128/18v). Dass die Behauptungen der Klägerin zur Begründung der internationalen Zuständigkeit hier als „doppelrelevante Tatsachen“ anzusehen und der Zuständigkeitsprüfung zugrunde zu legen sind, soweit sie nicht durch das bereits durchgeführte Beweisverfahren und die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen eine Änderung erfahren haben, wird im Revisionsrekursverfahren nicht in Zweifel gezogen.
4. Nach den Klagsangaben hat nie eine unmittelbare vertragliche Beziehung zwischen den Streitteilen bestanden. Im Revisionsrekurs wiederholt die Klägerin lediglich ihre Behauptung, sie könne sich schon aufgrund der zu ihren Gunsten anzunehmenden Schutzwirkungen des Vertragsverhältnisses zwischen dem Beklagten und der Anlagegesellschaft auf den Verbrauchergerichtsstand berufen. Einen Versuch, diese These näher zu begründen, unternimmt der Revisionsrekurs nicht.
Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen (RIS‑Justiz RS0117398; 7 Ob 291/02y mwN; jüngst 5 Ob 240/18g), dass der autonom auszulegende Begriff „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ nicht so verstanden werden kann, dass er für eine Situation gilt, in der keine von einer Partei gegenüber einer anderen freiwillig eingegangenen Verpflichtung vorliegt, sodass Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter nicht unter diese Zuständigkeitsbestimmung fallen.
Ein Vertrag, der nur Schutzwirkungen zugunsten eines Dritten entfaltet, kann zur Annahme einer vertraglichen Beziehung in Ansehung des Dritten auch deshalb nicht genügen, weil – wie der EuGH bereits mehrfach betont hat – Spezialgerichtsstände als Ausnahme zur Allzuständigkeit des Wohnsitzstaats des Beklagten eng auszulegen sind (RIS‑Justiz RS0128703, RS0112833).
Soweit das Klagebegehren auf vertragliche Ansprüche gestützt wurde, sind die Entscheidungen der Vorinstanzen daher zu bestätigen.
5. Der Oberste Gerichtshof hat erst jüngst in der Entscheidung 5 Ob 240/18g, die gleichartige Ansprüche eines österreichischen Anlegers gegen den auch hier Beklagten zum Gegenstand hatte, unter ausführlicher Darstellung der Rechtsprechung des EuGH (Rs C‑375/13, Kolassa;C‑12/15, Universal Music;C‑304/17, Löber ua), der Literatur und der höchstgerichtlichen Entscheidungen (insbesondere 3 Ob 185/18d, 4 Ob 185/18m und 2 Ob 183/18b) die Grundsätze zusammengefasst für die Ermittlung des Deliktsgerichtsstands. Die Gerichte am Wohnsitz des Anlegers sind für auf deliktische Ansprüche gestützte Klagen dann zuständig, wenn die anlage- und schadenstypisch beteiligten Konten bei Banken in Österreich gehalten wurden und darüber hinaus auch die sonst vorliegenden Umstände (insbesondere zB Erwerb in Österreich; Eingehen der Verpflichtung aufgrund von notifizierten Prospektangaben in Österreich) zur Zuweisung an österreichische Gerichte anstelle der Gerichte am Wohnsitz des Beklagten beitragen.
6. Die Kausalität des dem Beklagten vorgeworfenen Verhaltens für den Anlageentschluss der Klägerin ist, worauf das Erstgericht zutreffend hingewiesen hat, ausgeschlossen, weil sie ihren Ansparplan mehr als ein Jahr vor Herausgabe seines ersten Prüfberichts, auf den sie nach dem Klagsvorbringen dabei vertraut haben will, gezeichnet hat.
Die Klägerin hat sich allerdings auch darauf gestützt, dass sie durch das Vertrauen in die publizierten Berichte des Beklagten veranlasst worden sei, das Investment weiter zu behalten. Zwar ist dieses Vorbringen unvollständig und erörterungsbedürftig, der Nachtrag eines entsprechenden Vorbringens wäre allerdings im fortgesetzten Verfahren noch möglich.
7. Davon ausgehend spricht aber im vorliegenden Fall eine Reihe von zusätzlichen Sachverhaltselementen für die Zuständigkeit der österreichischen Gerichte. Nicht nur ist die Klägerin ihre schädigende Grundverpflichtung – wenn auch noch außerhalb des Verantwortungsbereichs des Beklagten – in Österreich eingegangen, auch die laufenden Zahlungsflüsse gingen von ihrem österreichischen Konto aus. Darüber hinaus wurde das Konto der Anlagegesellschaft, auf das die eingezogenen Ansparbeträge geflossen sind, im Sprengel des Erstgerichts geführt. Entgegen den Ausführungen des Rekursgerichts kann nicht ohne weiteres gesagt werden, dass auf diesem Konto kein Schaden eingetreten wäre. Nach den – mangels dazu getroffener Feststellungen – für die Zuständigkeitsprüfung maßgeblichen Klagsangaben hätten die auf diesem Konto einlangenden Gelder zum Ankauf von Edelmetallen verwendet werden müssen, weshalb bereits ihr Abziehen zu einem anderen als dem vereinbarten Zweck als die Rechtsposition der Anleger beeinträchtigender Schaden zu werten war. Es spielt dabei keine Rolle, ob Anlegergelder innerhalb der Gesellschaftsstruktur hin und her überwiesen wurden, oder ob sie sogleich in unbekannten dunklen Kanälen verschwunden sind.
Die Frage, ob von vornherein ein geplanter Betrugsfall vorlag oder eine nachträgliche Veruntreuungshandlung durch die Anlagegesellschaft stattgefunden hat, kann daher auf sich beruhen. In jedem Fall wäre der behauptete Erstschaden, nämlich der Verlust laufender Ansparbeträge, die von der Klägerin weiter bezahlt wurden, in Österreich eingetreten.
Die nach der Rechtsprechung des EuGH zudem geforderte Vorhersehbarkeit eines Erfolgsorts in Österreich für den Beklagten ergibt sich aus den Klagsangaben über seine Kenntnis der beabsichtigten Verwendung der von ihm ausgestellten Bestätigungen, die von der Feststellung über die von ihm gegenüber einer Salzburger Bank erteilte notarielle Bestätigung gestützt werden.
Damit ist die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte nach den vom EuGH in der Rechtssache C‑314/17, Löber, postulierten Voraussetzungen auch im vorliegenden Fall zu bejahen (vgl schon 5 Ob 240/18g).
Die Beschlüsse der Vorinstanzen waren somit in Bezug auf die deliktischen Ansprüche der Klägerin im Sinn einer Verwerfung der Einrede der Unzuständigkeitseinrede abzuändern.
8. Zur Frage der internationalen Zuständigkeit liegt ein Zwischenstreit vor (RIS‑Justiz RS0109078 [T15]). Beide Parteien sind jeweils in Ansehung eines der beiden tragenden Rechtsgründe als unterlegen anzusehen, sodass es zur Kostenaufhebung nach § 43 Abs 1 erster Fall ZPO für das erstinstanzliche Verfahren ab der Tagsatzung vom 26. Juni 2018, in der lediglich über die Unzuständigkeitseinreden verhandelt wurde, und das gesamte Rechtsmittelverfahren zu kommen hat (vgl 3 Ob 185/18d).
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