OGH 7Ob214/17x

OGH7Ob214/17x31.10.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. A*****, 2. P*****, 3. S*****, alle vertreten durch Dr. Peter Schaden und Mag. Werner Thurner, Rechtsanwälte in Graz, und ihres Nebenintervenienten H***** R*****, vertreten durch Kreissl & Pichler & Walther Rechtsanwälte GmbH in Liezen, gegen die beklagte Partei G***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Stefan Herdey und Dr. Roland Gsellmann, Rechtsanwälte in Graz, wegen Feststellung, über die Revisionen der klagenden Parteien und ihres Nebenintervenienten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 20. Oktober 2017, GZ 2 R 157/17a‑45, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 2. August 2017, GZ 11 Cg 57/16z‑41, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00214.17X.1031.000

 

Spruch:

Den Revisionen wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Der Nebenintervenient, ein Holzschlägerungsunternehmer, war bei der Beklagten gegen das Risiko „Holzfällerei und geringfügige Erdbewegungsarbeiten“ betriebshaftpflichtversichert. Dem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeinen Bedingungen der Beklagten für die Haftpflichtversicherung (AHVB 2004) und die Ergänzenden Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (EHVB 2004) zugrunde. Die AHVB 2004 lauten auszugsweise:

„Artikel 7

Ausschlüsse vom Versicherungsschutz

2. Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Schadenersatzverpflichtungen der Personen, die den Schaden, für den sie von einem Dritten verantwortlich gemacht werden, rechtswidrig und vorsätzlich herbeigeführt haben. Dem Vorsatz wird gleichgehalten

2.1 eine Handlung oder Unterlassung, bei welcher der Schadenseintritt mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden musste, jedoch in Kauf genommen wurde (zB im Hinblick auf die Wahl einer kosten- oder zeitsparenden Arbeitsweise);

2.2 die Kenntnis der Mangelhaftigkeit oder Schädlichkeit von hergestellten oder gelieferten Waren oder geleisteten Arbeiten.

Artikel 8

Obliegenheiten; Vollmacht des Versicherers

1. Obliegenheiten

Als Obliegenheiten, deren Verletzung die Leistungsfreiheit des Versicherers gemäß § 6 VersVG bewirkt, werden bestimmt:

1.4.3. Der Versicherungsnehmer ist nicht berechtigt, ohne vorherige Zustimmung des Versicherers einen Schadenersatzanspruch ganz oder zum Teil anzuerkennen oder zu vergleichen.“

Die EHVB 2004 lauten auszugsweise:

„Abschnitt A:

Allgemeine Regelungen für alle Betriebsrisiken

3. Bewusstes Zuwiderhandeln gegen Vorschriften

Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt wurde und bewusst – insbesondere im Hinblick auf die Wahl einer kosten- oder zeitsparenden Arbeitsweise – den für den versicherten Betrieb oder Beruf geltenden Gesetzen, Verordnungen oder behördlichen Vorschriften zuwidergehandelt wurde …“

Der Nebenintervenient verwendet in seinem Forstbetrieb seit etwa 2001 Radbagger. Das sind Erdbaumaschinen zur Ausführung von Erdbewegungsarbeiten mit konventioneller, im Straßen- und Baustellenverkehr üblicher Sicherheitsverglasung; diese Fahrzeuge sind nicht konzipiert zum Fällen und Aufarbeiten von Bäumen. Auf solche Radbagger baut das Fachunternehmen K***** F***** GmbH (folgend: F GmbH) von dieser hergestellte Harvesterköpfe (Prozessoren) zur Holzverarbeitung bzw zur Verwendung als Holzerntemaschinen. Die F GmbH baute bis 2006 etwa 1000 derartige Fahrzeuge für ihre Kunden um, wobei keines über eine Polycarbonat-Kunststoff-Verglasung, sondern nur über eine konventionelle Sicherheitsverglasung verfügte.

Der Nebenintervenient kaufte im Mai 2006 einen Radbagger und ließ diesen bei der F GmbH zu einer Holzerntemaschine umbauen. Der Nebenintervenient erhielt dabei von der F GmbH keinen Hinweis dahin, dass aufgrund des Umbaus zur Holzerntemaschine eine Änderung der Verglasung der Fahrerkabine erforderlich oder verpflichtend sei. Im Sommer 2007 erfolgte bei der F GmbH die Umrüstung des Baggers auf einen leistungsfähigeren Harvesterkopf.

Der Umbau des Radbaggers wurde vorgenommen, obwohl in der Betriebsanweisung ausdrücklich festgehalten ist: „Verwenden Sie das Gerät nicht für andere Zwecke als in diesem Handbuch beschrieben. Falls Sie dieses Gerät für Arbeiten einsetzen, die spezielle Ausrüstungen, Zubehörteile oder Werkzeuge nötig machen, wenden Sie sich an Ihren (…)‑Vertragshändler, um sicher zu gehen, dass die vorgenommenen Anpassungen oder Änderungen mit den technischen Daten des Geräts vereinbar sind und den geltenden Sicherheitsvorschriften genügen. Alle vom Hersteller nicht genehmigten Umbauten oder Anpassungen können die ursprüngliche Konformität des Geräts mit den Sicherheitsanforderungen in Frage stellen.“ Der Nebenintervenient holte keine Genehmigung des Herstellers zum Umbau des Baggers ein.

Der Hersteller stellte für den Radbagger die EG‑Konformitätserklärung nach der Maschinen‑Sicherheits-verordnung für den Verwendungszweck „Erdbewegung“ aus. Bei den Sicherheitsanforderungen für Erdbaumaschinen nach der sicherheitstechnischen Norm EN 474 wird von Gefahren des Erdbaus, nicht aber von wegfliegenden Kettenteilen der Säge als Gefahr für den Fahrer im Forstbetrieb ausgegangen, sodass die CE‑Zertifizierung des Radbaggers dem Forstbetrieb nicht entspricht.

Die F GmbH stellte am 24. 7. 2007 nur für den Harvesterkopf zum Entasten und Ablängen von Bäumen mit Bedienung vom Fahrerstand des Grundgeräts mittels Kabelsteuerung eine EG-Konformitätserklärung nach der EG‑Maschinenrichtlinie 98/37/CE (Anhang I/A) aus. Weder die F GmbH noch der Nebenintervenient veranlassten aufgrund der Kombination des Radbaggers mit dem Harvesterkopf bzw der Änderung des Verwendungszwecks für Forstarbeiten die Überarbeitung der EG‑Konformitäts-bewertung nach der Maschinen‑Sicherheitsverordnung durch den Hersteller des Radbaggers. Bei einer regelgerechten Konformitätsbewertung wären der damals aktuelle Stand der Technik und die anzuwendenden Sicherheitsnormen vom Hersteller geprüft worden.

Mitarbeiter der F GmbH wiesen den Nebenintervenienten im Zuge der Umrüstung des Radbaggers im Jahr 2007 darauf hin, dass nach einem Unfall mit einem derartigen Arbeitsgerät, bei dem die normale Sicherheitsverglasung der Fahrerkabine aufgrund eines eingedrungenen Kettenstücks („Kettenschuss“) zerbrochen und der Fahrer verletzt worden sei, der Einbau einer 12 mm starken Polycarbonat-Kunststoff-Verglasung empfohlen werde. Die Polycarbonat-Kunststoff-Verglasung sei etwas sicherer als die bestehende Verglasung und könne womöglich einen Unfall durch wegfliegende Kettenteile verhindern, auch wenn dafür mangels ausreichender Erfahrungswerte keine 100%ige Sicherheit zugesagt werden könne. Ob es dem Stand der Technik oder sonstigen Vorschriften entspreche, eine Polycarbonat-Kunststoff-Verglasung in die Fahrerkabine einzubauen, wurde bei diesem Gespräch nicht thematisiert. Auf eine Pflicht zum Einbau wurde der Nebenintervenient nicht hingewiesen. Es wurde aber der Nachteil einer solchen Polycarbonat-Kunststoff-Verglasung dahin diskutiert, dass diese leichter zerkratzt werde und damit Sichtbehinderungen entstehen können. Nach dieser Besprechung entschied sich der Nebenintervenient gegen den Einbau einer Polycarbonat-Kunststoff-Verglasung, weil er das Risiko eines Unfalls durch einen Kettenschuss gegen die Fahrerkabine für gering hielt und ein solcher durch die Anweisung, die Kettensäge nie mit Laufrichtung auf die Fahrerkabine oder andere Personen zu betätigen, verhindert werden könne. Im umgebauten Radbagger verblieb daher die konventionelle Sicherheitsverglasung, die einem Kettenschuss in keiner Weise widerstehen kann.

Der Austausch der Verglasung unterblieb nicht aus Kostengründen, kostete doch der Fahrzeugumbau ca 75.000 EUR, während der Einbau einer Polycarbonat-Kunststoff-Verglasung nur rund 1.500 EUR gekostet hätte.

Die Gefahr eines „gelegentlich“ vorkommenden „Kettenschusses“ ist allgemein und war auch dem Nebenintervenienten bekannt. Die Gefahr, dass wegfliegende Kettenteile durch die konventionelle Sicherheitsverglasung der Fahrerkabine gelangen und Verletzungen des Fahrers verursachen können, war dem Nebenintervenienten zumindest seit den Erzählungen der Mitarbeiter der F GmbH im Jahr 2007 bekannt.

Für selbstfahrende Forstmaschinen, ua für Maschinen zum Fällen, Ablegen und Entasten, regelt die Maschinensicherheitsnorm (ÖNORM EN 14861) vom 1. 2. 2005, unter Punkt 4.2.2.3. (Vorrichtung zum Schutz der Bedienungsperson): „Die Bedienungsperson muss vor Gefahren durch lose Ketten und Kettenzähne sowie ähnliche Gefährdungen geschützt werden durch Polycarbonat- oder eine vergleichbare Verglasung und/oder andere geeignete Schutzeinrichtungen.“ Demnach wäre nach dem damaligen Stand der Technik (ÖNORM EN 14861) für die Verwendung des umgebauten Radbaggers eine Polycarbonat-Kunststoff-Verglasung mit 12 mm Stärke in die Fahrerkabine des Radbaggers einzubauen gewesen. Über diesen Stand der Technik hat sich der Nebenintervenient nicht informiert.

Dem Nebenintervenienten waren die ÖNORM EN 14861 oder eine gesetzliche Verpflichtung zum Einbau einer anderen als der konventionellen Verglasung bis 2008 nicht bekannt; es waren ihm bis dahin auch die §§ 4 und 35 ASchG nicht explizit bekannt. Der Nebenintervenient wusste jedoch um seine Pflicht zur „Evaluierung“ bzw Gefahrenermittlung und Gefahrenbeseitigung zum Zweck des Arbeitnehmerschutzes.

Das Arbeitsinspektorat bemängelte bis 2008 die Verglasung des umfunktionierten Radbaggers nicht.

Am 18. 9. 2008 kam es zu einem Arbeitsunfall mit dem umgebauten Radbagger, bei dem I***** S*****, Arbeitnehmer des Nebenintervenienten, durch einen Kettenschuss, bei dem Teile der gerissenen Kettensäge die Verglasung der Fahrerkabine des Radbaggers durchschlugen, schwer am Körper verletzt wurde und seither querschnittsgelähmt ist. Der Unfall war darauf zurückzuführen, dass die Fahrerkabine nicht mit einer durchschlagssicheren Polycarbonat-Kunststoff-Verglasung ausgestattet war. Eine 12 mm starke Polycarbonat-Kunststoff-Verglasung kann ein Durchschlagen der Scheibe bei einem Kettenschuss zwar nicht in allen Fällen verhindern, es werden aber generell gegen die Kabine geschleuderte Gegenstände jedenfalls abgebremst und es wird die Verletzungswahrscheinlichkeit damit erheblich reduziert. Bei Vorhandensein einer Polycarbonat-Kunststoff-Verglasung wäre die Aufprallwucht des Kettenglieds geringer und es wären auch die Verletzungsfolgen weniger gravierend gewesen als sie sich tatsächlich darstellten. Es steht daher nicht fest, dass der unterlassene Einbau einer Polycarbonat-Kunststoff-Verglasung keinen Einfluss auf den Grad der Verletzung des Arbeitnehmers und das Ausmaß der Verletzungsfolgen hatte.

Der Nebenintervenient hatte seinen Arbeitnehmer anlässlich seiner Einschulung am Gerät – im Sinne eines Sicherheitshinweises im Bedienungshandbuch – darauf hingewiesen, dass er den Harvesterkopf bei der Holzarbeit so zu positionieren habe, dass die Sägeschiene nie auf die Kabine des Baggers oder Menschen zeigen dürfe. Eine explizite Unterweisung der Mitarbeiter in die Gefahr eines Kettenschusses durch die Verglasung in die Fahrerkabine fand nicht statt.

In einem zwischen der Erstklägerin und dem Arbeitnehmer des Nebenintervenienten geführten Rechtsstreit (AZ 21 Cgs 82/12z des Landesgerichts Leoben) erkannte der Oberste Gerichtshof zu 10 ObS 104/14p mit Zwischenurteil vom 25. 11. 2014, den Parteien zugestellt am 27. 1. 2015, dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf Integritätsabgeltung nach § 213a ASVG für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 18. 9. 2008 dem Grunde nach zu Recht besteht. Das Landesgericht Leoben verpflichtete die Erstklägerin mit rechtskräftigem Urteil vom 6. 6. 2015 zur Zahlung einer Integritätsabgeltung in der Höhe von 130.199,33 EUR sowie zum Ersatz der Verfahrenskosten von 29.542,44 EUR an den Arbeitnehmer.

Die Erstklägerin erkannte dem Arbeitnehmer mit rechtskräftigem Bescheid vom 11. 8. 2009 auf Basis einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 % eine monatliche Versehrtenrente zu. Die Erstklägerin forderte vom Nebenintervenienten für ihre Regressansprüche einen Verjährungsverzicht, den dieser letztlich unbefristet abgab.

Die Zweitklägerin anerkannte mit Bescheid vom 18. 3. 2009 den Anspruch des Arbeitnehmers auf befristete Invaliditätspension und begehrte vom Nebenintervenienten einen Verjährungsverzicht für ihre Regressansprüche, den dieser letztlich unbefristet abgab.

Auch die Drittklägerin begehrte vom Nebenintervenienten einen Verjährungsverzicht für ihre Regressansprüche gemäß §§ 332 ff ASVG, den dieser letztlich für die Zeit bis drei Monate nach rechtskräftigem Abschluss dieses Verfahrens abgab.

Nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens beim Landesgericht Leoben lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 15. 6. 2015 gegenüber dem Nebenintervenienten Deckung für die Folgen des Unfalls seines Arbeitsnehmers qualifiziert unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 12 Abs 3 VersVG ab. Bis dahin hatte sich die Beklagte die abschließende Beurteilung der Deckungsgewährung aus dem Versicherungsvertrag vorbehalten und den rechtskräftigen Ausgang des gegen den Nebenintervenienten geführten Strafverfahrens und des Verfahrens beim Landesgericht Leoben abwarten wollen. Der Nebenintervenient erhob nach dem Ablehnungsschreiben der Beklagten aus Angst vor Kostenfolgen nicht innerhalb der Jahresfrist des § 12 Abs 3 VersVG eine Deckungsklage gegen die Beklagte.

Am 3. 5. 2016 anerkannte der Nebenintervenient gegenüber den Klägerinnen die Haftung für deren Regressforderungen gemäß § 334 ASVG und trat diesen seinen Deckungsanspruch aus der Betriebshaftpflichtversicherung gegenüber der Beklagten ab.

Die Klägerinnen begehrten mit der am 11. 5. 2016 eingebrachten Klage die Feststellung, die Beklagte sei gegenüber dem Nebenintervenienten auf Grund und im Umfang des zwischen diesem und der Beklagten abgeschlossenen Versicherungsvertrags schuldig, für den Schadensfall vom 18. 9. 2008 Deckungsschutz für die Regressansprüche der Klägerinnen zu gewähren. Sie brachten zusammengefasst vor, der Nebenintervenient habe bis zum Unfall keinen eindeutigen Hinweis auf die Notwendigkeit einer Polycarbonat-Kunststoff-Verglasung der Fahrerkabine erhalten und diese hätte den Unfall auch nicht verhindert. Der Nebenintervenient als Versicherungsnehmer habe daher gegenüber der Beklagten als Betriebshaftpflichtversicherer keine Gefahrenerhöhung zu verantworten. Die Klägerinnen hätten ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten, weil ihnen sonst der Deckungsanspruch nach Ablauf der Frist des § 12 Abs 3 VersVG als Befriedigungsobjekt entzogen werde. Die Klägerinnen als Sozialversicherungsträger seien selbst geschädigte Dritte. Es werde der eigene, originäre Anspruch nach § 334 ASVG geltend gemacht. Der Nebenintervenient habe die Ansprüche der Klägerinnen nach § 334 ASVG anerkannt und ihnen seinen Deckungsanspruch gegen die Beklagte zur Vermeidung eines hohen eigenen Kostenrisikos abgetreten.

Der Nebenintervenient schloss sich dem Vorbringen der Klägerinnen an.

Die Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens und brachte vor, die Klägerinnen seien zur Direktklage nicht legitimiert, hätten sie doch jahrelang ihre Ansprüche gegen den Nebenintervenienten nicht verfolgt. Es fehle den Klägerinnen das rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung, weil deren Regressansprüche längst verjährt seien. Der Nebenintervenient habe von Sommer 2007 bis zum Unfall den zur Holzerntemaschine umgebauten Radbagger ohne durchschlagssichere Polycarbonat-Kunststoff-Verglasung verwenden lassen, obwohl ihm bewusst gewesen sei, dass ein Kettenschuss die konventionelle Kabinenverglasung durchschlagen und den Maschinenbediener verletzen könne. Die Beklagte sei daher nach Art 7 Z 2.1 und 2.2 AHVB 2004, infolge Gefahrenerhöhung gemäß §§ 23, 25 VersVG und nach Abschnitt A Z 3 EHVB 2004 leistungsfrei. Der Nebenintervenient habe durch Anerkennung der Ansprüche der Klägerinnen auch gegen Art 8.1.4.3 AHVB 2004 verstoßen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren auf der Grundlage des eingangs zusammengefassten Sachverhalts ab. Rechtlich war es der Ansicht, dass das Anerkenntnis der Ansprüche der Klägerinnen durch den Nebenintervenienten nach qualifizierter Ablehnung durch die Beklagte und nach rechtskräftiger Entscheidung des Landesgerichts Leoben unschädlich sei. Der Nebenintervenient habe aber durch die Verwendung des umgebauten Radbaggers ohne Einbau einer Polycarbonat-Kunststoff-Verglasung schuldhaft eine Gefahrenerhöhung vorgenommen, die die Beklagte leistungsfrei mache. Bei dieser Sachlage habe die fragliche Schlüssigkeit des Klagebegehrens nach behaupteter Abtretung des Deckungsanspruchs durch den Nebenintervenienten unerörtert bleiben können.

Das Berufungsgericht ging ebenfalls von der Leistungsfreiheit der Beklagten infolge Gefahrenerhöhung aus und gab daher der Berufung der Klägerinnen nicht Folge. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands je Klägerin 30.000 EUR übersteigt und die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu beantworten gewesen seien.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richten sich die Revisionen der Klägerinnen und des Nebenintervenienten wegen Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung jeweils mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Klagsstattgebung. Hilfsweise werden auch Aufhebungsanträge gestellt.

Die Beklagte erstattete – nach Freistellung – Revisionsbeantwortungen jeweils mit dem Antrag, die Revisionen der Klägerinnen bzw des Nebenintervenienten zurückzuweisen, hilfsweise diesen nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen sind zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und in ihrem Aufhebungsantrag auch berechtigt.

A. Nichtigkeit:

Der Oberste Gerichtshof hat die behauptete Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO geprüft; sie liegt nicht vor. Eine angeblich mangelhafte Begründung des Berufungsurteils, die – wie hier – seine Überprüfung nicht hindert, begründet nämlich keine Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0042206; RS0042133).

B. Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens:

Die Klägerinnen und der Nebenintervenient meinen, das Berufungsgericht habe näher bezeichnete Feststellungen und die Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Bereich des technischen Unfallwesens jeweils aufgrund unzutreffender Rechtsansicht für nicht erforderlich erachtet. Dies beruht gegebenenfalls – schon nach den eigenen Revisionsausführungen – auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts und vermag daher keine (primäre) Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens zu begründen.

C. Obliegenheitsverletzung nach Art 8.1.4.3. AHVB 2004:

Das Erstgericht hat eine zur Leistungsfreiheit des Versicherers führende Obliegenheitsverletzung nach Art 8.1.4.3. AHVB 2004 wegen des vom Nebenintervenienten abgegebenen Anerkenntnisses rechtsrichtig verneint, erfolgte dieses doch erst nach qualifizierter Deckungsablehnung durch die Beklagte (vgl RIS‑Justiz RS0080453). Diese Obliegenheitsverletzung greift auch die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung zutreffend nicht mehr auf.

D. Gefahrenerhöhung (§ 23 Abs 1, § 25 Abs 1 VersVG):

1.  Die Vorinstanzen waren rechtlich der Meinung, die Beklagte sei nach § 23 Abs 1, § 25 Abs 1 VersVG leistungsfrei. Diese Ansicht kann auf Basis der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden:

2.  Eine Gefahrenerhöhung nach § 23 Abs 1 VersVG ist eine nachträgliche Änderung der bei Vertragsabschluss tatsächlich vorhandenen gefahrenerheblichen Umstände, die den Eintritt des Versicherungsfalls oder eine Vergrößerung des Schadens wahrscheinlicher macht und den Versicherer deshalb vernünftigerweise veranlassen kann, die Versicherung aufzuheben oder nur gegen erhöhte Prämie fortzusetzen (RIS‑Justiz RS0080357; RS0080237). Darunter wird ein Gefährdungsvorgang verstanden, der seiner Natur nach geeignet ist, einen neuen Gefahrenzustand von so langer Dauer zu schaffen, dass er die Grundlage eines neuen natürlichen Schadenverlaufs bilden kann und damit den Eintritt des Versicherungsfalls generell zu fördern geeignet ist (RIS-Justiz RS0080491). Die Gefahrenerhöhung setzt – mit der Einschränkung, dass es sich nicht nur um einen Zustand handeln darf, der plötzlich aufgetreten ist und in Kürze wieder behoben sein sollte – immer einen gewissen Dauerzustand voraus (RIS-Justiz RS0080428). Dem Versicherungsnehmer muss klar sein, dass seine Verhaltensweise geeignet ist, die Gefahr des Eintritts des Versicherungsfalls zu vergrößern. Es muss ihm zumindest ein der positiven Kenntnis gleichkommendes schwerwiegendes Nichtwissen um die Gefahrenerhöhung anzulasten sein (insbesondere 7 Ob 129/10m mwN).

3.  Auch das Unterlassen der Beseitigung einer (unabhängig vom Willen des Versicherungsnehmers eingetretenen) Gefahrenerhöhung ist „Vornahme“ derselben im Sinn des § 23 Abs 1 VersVG (7 Ob 34/10s; RIS‑Justiz RS0080419 [T1]).

4.  Zu einer Gefahrenerhöhung im Sinn des § 23 Abs 1 VersVG kann es auch durch den Einsatz gefahrenträchtiger Fahrzeuge kommen, was etwa dann der Fall sein kann, wenn diese überladen (7 Ob 244/06t) oder etwa instabil (7 Ob 129/10m) sind.

5.  Der Nebenintervenient hat hier zunächst von einem offenbar darauf spezialisierten Fachbetrieb einen für Erdbewegungen bestimmten Radbagger zu einer Holzverarbeitungs- bzw Holzerntemaschine umbauen und umfunktionieren lassen. In der Betriebsanweisung des Radbaggers ist ausdrücklich festgehalten: „Verwenden Sie das Gerät nicht für andere Zwecke als in diesem Handbuch beschrieben. Falls Sie dieses Gerät für Arbeiten einsetzen, die spezielle Ausrüstungen, Zubehörteile oder Werkzeuge nötig machen, wenden Sie sich an Ihren (…)‑Vertragshändler, um sicher zu gehen, dass die vorgenommenen Anpassungen oder Änderungen mit den technischen Daten des Geräts vereinbar sind und den geltenden Sicherheitsvorschriften genügen. Alle vom Hersteller nicht genehmigten Umbauten oder Anpassungen können die ursprüngliche Konformität des Geräts mit den Sicherheitsanforderungen in Frage stellen.“ Eine solche Rückfrage beim Vertragshändler hat der Nebenintervenient genauso wenig vorgenommen wie eine Risikoanalyse. Allerdings liegen auf Basis der erstgerichtlichen Feststellungen keinerlei Hinweise dafür vor, dass schon die Verwendung des umgebauten Radbaggers als Holzerntemaschine an sich geeignet gewesen sei, die Gefahr des Eintritts des Versicherungsfalls (durch einen Kettenschuss) zu vergrößern.

6.  Für selbstfahrende Forstmaschinen existiert eine Maschinensicherheitsnorm (ÖNORM EN 14861) vom 1. 2. 2005, die unter Punkt 4.2.2.3. (Vorrichtung zum Schutz der Bedienungsperson) regelt: „Die Bedienungsperson muss vor Gefahren durch lose Ketten und Kettenzähne sowie ähnliche Gefährdungen geschützt werden durch Polycarbonat- oder eine vergleichbare Verglasung und/oder andere geeignete Schutzeinrichtungen.“ Die Gefahr eines „Kettenschusses“ (Wegfliegen gelöster Kettenteile nach einem Kettenriss) sowie der Umstand, dass gelöste Kettenteile durch die konventionelle Sicherheitsverglasung der Fahrerkabine des Radbaggers gelangen und Verletzungen des Fahrers verursachen können, war dem Nebenintervenienten insbesondere seit den Erzählungen der Mitarbeiter der F GmbH im Jahr 2007 über einen derartigen Vorgang bekannt. Dem Nebenintervenienten musste daher klar sein, dass das Unterlassen der Nachrüstung der Kabinenverglasung an sich die Gefahr des Eintritts des Versicherungsfalls oder den Umfang der Leistung des Versicherers vergrößern konnte und dennoch hat er den ihm seitens der F GmbH vorgeschlagenen Austausch der Verglasung unterlassen. Der unterbliebene Einbau einer nach dem damaligen Stand der Technik erforderlichen Polycarbonat- oder vergleichbaren Verglasung kann demnach im Grundsatz eine relevante Gefahrenerhöhung begründen, können doch Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften oder -empfehlungen ein typischer Fall einer Gefahrenerhöhung sein (vgl 7 Ob 14/86).

7.  Voraussetzung für die Leistungsfreiheit des Versicherers ist in einem solchen Fall allerdings eine „erhebliche“ Änderung der Umstände, sodass eine Gefahrenerhöhung nicht bei jeglichem Verstoß gegen eine Vorsichtsmaßnahme angenommen werden kann (RIS‑Justiz RS0080357 [T2]). Unerheblich ist eine Gefahrenerhöhung namentlich dann, wenn durch sie der Wahrscheinlichkeitsgrad für den Versicherungsfall oder für einen größeren Schadensumfang nur geringfügig erhöht wird (7 Ob 14/86). Die Beurteilung dieses Umstands, den insbesondere der Nebenintervenient in seiner Revision ausdrücklich geltend macht, lässt sich auf der Grundlage des vom Erstgericht festgestellten Sachverhalts nicht abschließend vornehmen. Es fehlen nämlich konkrete Feststellungen dazu, wie oft sich ein solcher Kettenschuss überhaupt ereignet und unter welchen häufigen oder (besonders) seltenen Umständen dann Kettenteile in Richtung der Fahrerkabine wegfliegen (können). Das Erstgericht stellte insoweit nur fest, dass ein Kettenschuss „gelegentlich“ vorkommt. Da unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenerhöhung der Wahrscheinlichkeit eines solchen Vorgangs maßgebliche Bedeutung zukommt, wird diese zu klären sein, bevor eine „erhebliche“ Gefahrenerhöhung angenommen und daraus die Leistungsfreiheit der Beklagten nach § 23 Abs 1, § 25 Abs 1 VersVG abgeleitet werden kann.

8.  Sollte sich in tatsächlicher Hinsicht ergeben, dass der vorgelegene Unfallablauf nicht auf eine Verkettung ganz ungewöhnlicher Umstände beruhte, sondern doch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwarten war, dann wird eine „erhebliche“ Gefahrenerhöhung im Sinn der § 23 Abs 1, § 25 Abs 1 VersVG anzunehmen sein. In diesem Fall wird das Erstgericht allerdings auch § 25 Abs 3 letzter Halbsatz VersVG berücksichtigen müssen, wonach die Verpflichtung des Versicherers zur Leistung bestehen bleibt, wenn und soweit die Erhöhung der Gefahr keinen Einfluss auf den Umfang seiner Leistung gehabt hat. Nun war zwar nicht erweislich, dass der unterlassene Einbau einer Polycarbonat-Kunststoff-Verglasung keinen Einfluss auf den Grad der Verletzung des Arbeitnehmers und das Ausmaß der Verletzungsfolgen hatte. Es fehlen allerdings Feststellungen, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß nicht auch mit einer Polycarbonat-Kunststoff-Verglasung Verletzungen des Arbeitnehmers eingetreten wären. In diesem Umfang würde dann nämlich die Leistungspflicht des Versicherers auch bei Annahme einer Gefahrenerhöhung aufrecht bleiben.

E. Risikoausschluss nach Art 7.2.1 AHVB 2004:

1.  Die Beklagte macht in ihrer Revisionsbeantwortung geltend, dass der Risikoausschluss (vgl dazu RIS‑Justiz RS0081678) nach Art 7.2.1 AHVB 2004 verwirklicht sei. Demnach erstreckt sich die Versicherung nicht auf Schadenersatzverpflichtungen jener Personen, die den Schaden, für den sie von einem Dritten verantwortlich gemacht werden, rechtswidrig und vorsätzlich herbeigeführt haben. Dem Vorsatz wird eine Handlung oder Unterlassung gleichgehalten, bei welcher der Schadenseintritt mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden musste, jedoch in Kauf genommen wurde (zB im Hinblick auf die Wahl einer kosten- oder zeitsparenden Arbeitsweise).

2.  Nach dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt hat der Nebenintervenient nicht bewusst Handlungspflichten verletzt (vgl 7 Ob 204/04g). Es waren ihm weder die – wohl auch nicht leicht ermittelbare – ÖNORM EN 14861 noch eine konkrete gesetzliche Verpflichtung zum Einbau einer anderen als der konventionellen Verglasung bekannt. Der von ihm beauftragte Fachbetrieb hat den Nebenintervenienten ebenfalls nicht auf eine bestehende Handlungspflicht hingewiesen und auch die §§ 4 und 35 ASchG, die überdies nur sehr allgemein gehalten eine Sicherheitsanalyse verlangen, dafür aber keine wirklich konkreten Handlungsanweisungen geben, waren dem Nebenintervenienten nicht konkret bekannt. Die Annahme einer vorsätzlichen Herbeiführung des Schadens im Sinn des bezeichneten Risikoausschlusses ist daher jedenfalls nicht begründet.

3.  Ob infolge Unterlassung des Glasaustauschs der Schadenseintritt mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden musste, ist nach der derzeit gegebenen Sachverhaltsgrundlage, wie zu D.7. dargestellt, nicht erwiesen, sondern muss in tatsächlicher Hinsicht im fortgesetzten Verfahren erst geklärt werden.

4.  Sollte auf ergänzter Sachverhaltsgrundlage diese Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dann ist es zur Verwirklichung des Risikoausschlusses nach Art 7.2.1 AHVB 2004 überdies erforderlich, dass der Nebenintervenient den gegebenenfalls mit Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Schadenseintritt auch in Kauf genommen hat. Dieses Erfordernis wird dann vom Erstgericht ebenfalls in tatsächlicher Hinsicht zu klären sein.

F. Risikoausschluss nach Art 7.2.2 AHVB 2004:

Der Risikoausschluss nach Art 7.2.2 AHVB 2004 kann schon deshalb nicht vorliegen, weil hier keine „hergestellten oder gelieferten Waren oder geleisteten Arbeiten“ zu beurteilen sind.

G.  Risikoausschluss nach Abschnitt A Z 3 EHVB 2004:

Auch die Bestimmung des Abschnitts A Z 3 EHVB 2004 regelt einen Risikoausschluss (RIS-Justiz RS0081678). Der Versicherer ist dann leistungsfrei, wenn der Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt wurde und bewusst – insbesondere im Hinblick auf die Wahl einer kosten- oder zeitsparenden Arbeitsweise – den für den versicherten Betrieb oder Beruf geltenden Gesetzen, Verordnungen oder behördlichen Vorschriften zuwider gehandelt wurde. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Die Leistungsfreiheit des Versicherers setzt daher nicht etwa nur das Kennenmüssen, das heißt einen grob fahrlässigen Verstoß gegen Vorschriften voraus, sondern einen bewussten, das heißt vorsätzlichen Verstoß (7 Ob 99/13d mwN; 7 Ob 14/18m). Der Versicherungsnehmer muss die (Verbots-)Vorschrift zwar nicht in ihrem Wortlaut und in ihrem ganzen Umfang kennen, er muss sich aber bei seiner Vorgangsweise bewusst sein, dass er damit gegen Vorschriften verstößt, muss also das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit seiner Handlungsweise haben (RIS-Justiz RS0052282). Diese Voraussetzungen liegen nach den Feststellungen des Erstgerichts nicht vor, waren doch dem Nebenintervenienten bis zum Unfall weder die ÖNORM EN 14861 noch eine gesetzliche Verpflichtung zum Einbau einer anderen als der konventionellen Verglasung bekannt. Das Arbeitsinspektorat hatte die Verglasung des umfunktionierten Radbaggers bis zum Unfall auch nicht bemängelt und die – überdies nur sehr allgemein gehaltenen, keine wirklich konkreten Verhaltensanweisungen vermittelnden – §§ 4 und 35 ASchG waren dem Nebenintervenienten ebenfalls nicht explizit bekannt. Das Nichtkennen einer Vorschrift kann mangels bewussten Zuwiderhandelns nicht zu einer Leistungsfreiheit des Versicherers führen (RIS-Justiz RS0052282 [T4]).

H. Schlüssigkeit des Klagebegehrens

1.  In der (freiwilligen) Haftpflichtversicherung hat der am Versicherungsvertrag nicht beteiligte geschädigte Dritte grundsätzlich keine rechtliche Handhabe, den Versicherer direkt in Anspruch zu nehmen. Dennoch kann er eine Klage auf Feststellung der Deckungspflicht des Versicherers – bezogen auf den Versicherungsnehmer – erheben (RIS‑Justiz RS0120609). Ein solches Feststellungsinteresse besteht vor allem dann, wenn dem geschädigten Dritten der Deckungsanspruch als Befriedigungsobjekt entzogen zu werden droht, etwa durch Verjährung oder durch Ablauf der Frist des § 12 Abs 3 VersVG, die auch durch die Klage des Dritten gewahrt werden kann, oder wenn der Versicherer seine Eintrittspflicht verneint und der Versicherungsnehmer nichts weiter unternimmt (7 Ob 164/14i mwN).

2.  Die Klägerinnen behaupten hier, dass ihnen aufgrund des Unfalls Regressansprüche nach § 334 ASVG gegenüber dem Nebenintervenienten zustünden. Hat der Dienstgeber oder ein ihm gemäß § 333 Abs 4 ASVG Gleichgestellter den Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit verursacht, so hat er dem Träger der Sozialversicherung – außer in den Fällen des § 213a – alle nach diesem Bundesgesetz zu gewährenden Leistungen zu ersetzen (§ 334 Abs 1 VersVG). Der Rückgriffsanspruch des Sozialversicherungsträgers nach § 334 ASVG ist originärer Natur. Er steht dem Sozialversicherungsträger kraft eigenen Rechts zu und geht nicht wie der Anspruch nach § 332 ASVG erst im Wege der Legalzession auf ihn über. Er ist unabhängig davon, ob dem Versicherten ein privatrechtlicher Schadenersatzanspruch gegen den Schädiger zusteht oder nicht (RIS‑Justiz RS0085367; 7 Ob 105/18v mwN).

3.  Der Fachsenat hat jüngst zu 7 Ob 105/18v ausgesprochen, dass (auch) der Sozialversicherungsträger, der den Schädiger nach § 334 ASVG in Anspruch nimmt und damit einen eigenständigen Rückgriffsanspruch geltend macht, in Bezug auf die Haftpflichtversicherung geschädigter Dritter im Sinn der §§ 156, 157 VersVG ist. Sein Feststellungsinteresse besteht – wie ausgeführt – vor allem dann, wenn dem geschädigten Dritten der Deckungsanspruch als Befriedigungsobjekt entzogen zu werden droht; etwa durch Verjährung oder durch Ablauf der Frist des § 12 Abs 3 VersVG, oder wenn der Versicherer seine Eintrittspflicht verneint und der Versicherungsnehmer nichts weiter unternimmt, worauf sich hier auch die Klägerinnen (zunächst) gestützt haben.

4.  Die Klägerinnen haben sich (zuletzt) allerdings auch darauf berufen, dass ihnen der Nebenintervenient seinen Deckungsanspruch aus der Betriebshaftpflichtversicherung gegenüber der Beklagten abgetreten habe. Ansprüche aus einem Versicherungsvertrag können grundsätzlich abgetreten, verpfändet oder gepfändet werden. Der geschädigte Dritte kann zur Hereinbringung der Schadenersatzforderung im Exekutionsverfahren den Anspruch des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer pfänden und sich überweisen lassen. Dabei tritt er in die Rechtsstellung des Versicherungsnehmers ein (7 Ob 241/10g; 7 Ob 189/12p). So wird auch die Abtretung des Befreiungsanspruchs an den geschädigten Dritten, in dessen Hand dann Haftpflicht- und Deckungsanspruch vereinigt sind, als grundsätzlich zulässig erachtet. Es wäre nämlich trotz des Trennungsgrundsatzes nicht einzusehen, warum der Haftpflichtgläubiger, dem nach Abtretung beide Ansprüche zustehen, den Versicherer nicht unmittelbar auf Zahlung in Anspruch nehmen und in diesem Verfahren die Haftpflichtfrage zur Vorfrage machen können sollte. Der Befreiungsanspruch verwandelt sich dann in einen Leistungsanspruch (7 Ob 192/13f mwN).

5.  Die Klägerinnen haben demnach nicht vereinbare Anspruchsgrundlagen geltend gemacht, nämlich einerseits ein Feststellungsbegehren erhoben, mit dem die Deckungspflicht der Beklagten gegenüber dem Nebenintervenienten festgestellt werden soll, und sich andererseits auf die bereits an sie erfolgte Abtretung des Deckungsanspruchs gestützt, der dann aber nicht mehr dem Nebenintervenienten gegenüber bestehen kann. Dies wird das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren mit den Klägerinnen zu erörtern und diesen Gelegenheit zur Schlüssigstellung von Vorbringen und Klagebegehren zu geben haben.

I. Ergebnis:

1.  Das Erstgericht hat die Leistungsfreiheit der Beklagten wegen des vom Nebenintervenienten abgegebenen Anerkenntnisses zutreffend verneint.

2.  Für die Annahme einer Gefahrenerhöhung ist eine erhebliche Änderung der gefahrenrelevanten Umstände erforderlich. Ob dies auf den unterbliebenen Einbau einer Polycarbonat-Kunststoff-Verglasung zutrifft, lässt sich auf der Grundlage des vom Erstgericht festgestellten Sachverhalts nicht beurteilen. Es steht nämlich nicht fest, wie häufig es bei Holzerntearbeiten mit einem Harvester zu einem sogenannten Kettenschuss kommt und unter welchen häufigen/seltenen Umständen davon die Fahrerkabine betroffen sein kann. Das Erstgericht wird dazu im fortgesetzten Verfahren aussagekräftige Feststellungen zu treffen und auf deren Grundlage nach Maßgabe der Wahrscheinlichkeit eines solchen Vorgangs zu beurteilen haben, ob der unterbliebene Einbau einer Polycarbonat-Kunststoff-Verglasung eine „erhebliche“ Gefahrenerhöhung begründete. Sollte dies zu bejahen sein, wird ergänzend geklärt werden müssen, in welchem Umfang es auch im Fall des Einbaus einer Polycarbonat-Kunststoff-Verglasung zu Verletzungen des Arbeitnehmers gekommen wäre; in diesem Umfang bliebe selbst bei erfolgter Gefahrenerhöhung die Leistungspflicht der Beklagten nach § 25 Abs 3 letzter Halbsatz VersVG aufrecht.

3.  Sollte sich herausstellen, dass der Schadenseintritt mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden musste, dann ist im Lichte des Risikoausschlusses nach Art 7.2.1 AHVB 2004 in tatsächlicher Hinsicht ergänzend zu klären, ob der Nebenintervenient den Schadenseintritt in Kauf genommen hat.

4.  Der von der Beklagten in ihrer Revisionsbeantwortung ebenfalls noch geltend gemachte Risikoausschluss nach Art 7.2.2. AHVB 2004 liegt genauso wenig vor wie die behauptete Leistungsfreiheit nach Abschnitt A Z 3 EHVB 2004.

5.  Das Begehren der Klägerinnen auf Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten gegenüber dem Nebenintervenienten ist mit der behaupten Abtretung seines Deckungsanspruchs nicht vereinbar. Den Klägerinnen wird Gelegenheit zu geben sein, ihr Klagebegehren und Vorbringen schlüssig zu stellen.

6.  Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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