OGH 7Ob129/10m

OGH7Ob129/10m29.9.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Grohmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** V***** AG, *****, vertreten durch Mag. Dr. Hans Herwig Toriser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei J***** D*****, vertreten durch Dr. Erich Moser, Rechtsanwalt in Murau, wegen 11.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 12. April 2010, GZ 2 R 45/10w-27, womit das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 28. Jänner 2010, GZ 7 Cg 130/09k-23, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil lautet:

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 11.000 EUR samt 4 % Zinsen seit 15. 2. 2009 zu bezahlen und die mit 10.149,50 EUR (darin enthalten 962,35 EUR an USt und 4.375,40 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen zu ersetzen, beides binnen 14 Tagen.

Text

Entscheidungsgründe:

Zwischen den Parteien besteht ein Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsvertrag, dem die AKHB 11/2002 (in der Folge AKHB) zugrundeliegen. Art 10 AKHB lautet:

„Welche Umstände sind als Erhöhung der Gefahr anzusehen?

Als Erhöhung der Gefahr im Sinne der §§ 23 Abs 1 und 27 Abs 1 VersVG sind alle Umstände anzusehen, deretwegen das Fahrzeug dem KFG oder den aufgrund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen nicht entspricht und derentwegen eine weitere Verwendung des Fahrzeugs die Verkehrssicherheit gefährdet, sofern das Fortbestehen dieser Umstände auf grobe Fahrlässigkeit zurückzuführen ist.“

Der Beklagte fuhr am 18. 10. 2007 mit seinem 1972 erworbenen, in der Folge keiner Überprüfung unterzogenen Traktor über den Dorfplatz. Er verwendete die Kippmulde, die mit ca 200 kg Steinen beladen war. Solche Fahrten führte der Beklagte drei bis viermal jährlich durch. Der Beklagte verfügte zwar über Frontausgleichsgewichte, die bloß eingehängt werden müssten. Zur Beförderung von Steinen mit der Kippmulde verwendete er diese Gewichte aber nicht. Lediglich bei der Beförderung von Heuballen hängte er die Ausgleichsgewichte ein. Das Erstgericht führte dazu wörtlich aus: „Beim Fahren mit einer Kippmulde ist es aber grundsätzlich üblich und notwendig, Frontgewichte zu montieren, um das Heckgewicht auszugleichen. Die Montage der Frontausgleichgewichte ist bei einer stark beladenen Kippmulde erforderlich“. Es ist auszuschließen, dass dem Beklagten die Instabilität des Traktors bei ähnlichen Fahrten zuvor, bei denen er ebenfalls keine Ausgleichsgewichte verwendete, nicht aufgefallen ist. Nachdem der Beklagte auf dem Dorfplatz in einer Hanglage zum Stillstand gekommen war, legte er den Retourgang ein oder versuchte ihn einzulegen. Aufgrund der Lastverteilung wurde der Traktor instabil und „stieg hoch“. Dadurch wurde der Traktor unlenkbar. Die Kippmulde prallte auf die Fahrbahn auf. Der Traktor fuhr wegen der Hanglage mit gesenkter Kippmulde rückwärts und prallte mit einer Geschwindigkeit von 10 km/h gegen einen geparkten PKW. Wegen der vollen Belastung der Hinterräder und der beladenen Kippmulde erzeugte der Traktor eine Schubkraft, die ausreichte, dass der PKW einen Fahnenmast knickte, ein Holzgelände durchbrach und in ein Bachbett geschoben wurde, in das letztlich auch der Traktor stürzte. Wären die Frontausgleichsgewichte montiert gewesen, wäre der Traktor nicht instabil geworden.

Die Klägerin begehrt als Haftpflichtversicherer den Ersatz des gemäß Art 11 AKHB mit 11.000 EUR beschränkten Betrags, den sie an den Geschädigten bezahlt habe. Sie sei - unter anderem - deshalb leistungsfrei, weil der Beklagte grob fahrlässig eine Gefahrerhöhung vorgenommen habe. Er habe den Traktor unrichtig beladen und ohne erforderliche Gegengewichte verwendet.

Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Die einzige Unfallursache sei die spontan aufgetretene Unlenkbarkeit des Traktors gewesen, die auf die Beladung der Kippmulde und den Straßenverlauf zurückzuführen gewesen sei. Wegen der Einmaligkeit und relativen Kurzzeitigkeit der durch die Überladung der Kippmulde hervorgerufenen Änderung der Gefahrensituation könne eine Gefahrerhöhung nach § 23 VersVG nicht angenommen werden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Dass die Gegengewichte nicht verwendet worden seien, wäre nur dann als Gefahrerhöhung zu beurteilen, wenn es sich um einen dauernden Zustand gehandelt hätte. Da aber der Beklagte lediglich drei bis vier solcher Fahrten pro Jahr vorgenommen habe, könne nicht von einem dauernden Zustand gesprochen werden.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Im Hinblick auf die gefahrerhöhenden Fahrten ohne Frontgewicht nur drei- bis viermal jährlich könne gerade noch von einer gelegentlichen und daher unbeachtlichen Gefahrerhöhung gesprochen werden, zumal weder behauptet noch hervorgekommen sei, dass der Kläger den Traktor nicht wesentlich öfter benützt habe. Nehme man allerdings das Vorliegen einer Gefahrerhöhung an, so wäre die grobe Fahrlässigkeit des Klägers bei deren Herbeiführung zu bejahen. Dem Beklagten sei nämlich klar gewesen, wie die Instabilität vermieden hätte werden können. Die Gefährlichkeit eines instabilen Traktors sei evident. Ein wesentliches Interesse des Beklagten, keine Ausgleichsgewichte zu verwenden, sei nicht erkennbar.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil es sich bezüglich der Frage der Gefahrerhöhung um einen „Grenzfall“ handle und ihrer Lösung die Eignung zukomme, der Rechtsentwicklung dienlich zu sein.

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig, sie ist auch berechtigt.

Nach Abschluss des Versicherungsvertrags darf der Versicherungsnehmer ohne Einwilligung des Versicherers weder eine Erhöhung der Gefahr vornehmen, noch ihre Vornahme durch einen Dritten gestatten (§ 23 Abs 1 VersVG). Der Versicherer ist im Fall einer Verletzung der Vorschrift des § 23 Abs 1 VersVG von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsfall nach der Erhöhung der Gefahr eintritt (§ 25 Abs 1 VersVG). Die Verpflichtung des Versicherers zur Leistung bleibt bestehen, wenn die Erhöhung der Gefahr keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalls gehabt hat (§ 25 Abs 3 zweiter Fall VersVG).

Ausgehend von den Feststellungen ist im vorliegenden Rechtsfall - soweit hier von Bedeutung - nur strittig, ob die Verwendung des Traktors drei- bis viermal pro Jahr mit Kippmulde zu Fahrten, bei denen ca 200 kg Steine transportiert wurden, eine die Leistungsfreiheit der Klägerin begründende Gefahrerhöhung darstellt. Die Vorinstanzen haben die Grundsätze dazu zutreffend dargelegt, diese aber unrichtig angewendet.

Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Gefahrerhöhung nach § 23 Abs 1 VersVG eine nachträgliche Änderung der bei Vertragsabschluss tatsächlich vorhandenen gefahrerheblichen Umstände, die den Eintritt des Versicherungsfalls oder eine Vergrößerung des Schadens wahrscheinlich macht und den Versicherer deshalb vernünftigerweise veranlassen kann, die Versicherung aufzuheben oder nur gegen erhöhte Prämie fortzusetzen (RIS-Justiz RS0080357, RS0080237, RS0080428). Darunter wird ein Gefährdungsvorgang verstanden, der seiner Natur nach geeignet ist, einen neuen Gefahrenzustand von so langer Dauer zu schaffen, dass er die Grundlage eines neuen natürlichen Schadenverlaufs bilden kann und damit den Eintritt des Versicherungsfalls generell zu fördern geeignet ist (RIS-Justiz RS0080491). Die Gefahrerhöhung setzt - mit der Einschränkung, dass es sich nicht nur um einen Zustand handeln darf, der plötzlich aufgetreten ist und in Kürze wieder behoben werden sollte - immer einen gewissen Dauerzustand voraus (RIS-Justiz RS0080428). Eine einmalige und relativ kurzzeitige Änderung der Gefahrensituation infolge Überladung des Anhängers ist keine Gefahrerhöhung (7 Ob 244/06t, 7 Ob 119/00a). Dem Versicherungsnehmer muss klar sein, dass seine Verhaltensweise geeignet ist, die Gefahr des Eintritts des Versicherungsfalls zu vergrößern (RIS-Justiz RS0030324, RS0080414). Es muss ihm zumindest ein der positiven Kenntnis gleichkommendes schwerwiegendes Nichtwissen um die Gefahrerhöhung anzulasten sein (7 Ob 34/10s, RIS-Justiz RS0080335).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist dem Beklagten sehr wohl die Vornahme einer Gefahrerhöhung nach § 23 VersVG anzulasten. Nach den Feststellungen führte er nicht einmal, sondern drei- bis viermal pro Jahr gleichartige Steintransporte durch (Feststellungen: „solche“), ohne Frontausgleichsgewichte zu verwenden. Nimmt er drei bis vier Steintransporte pro Jahr vor, so tritt die Erhöhung der Gefahrenlage für die Dauer der Transporte stetig wiederkehrend und gleichartig ein, weil der Traktor wegen der Nichtverwendung der Frontausgleichsgewichte bei diesen Gelegenheiten immer instabil wird. Durch diese Instabilität besteht - wie jedermann leicht erkennen kann - die erhöhte Gefahr, dass der Traktor kippt und damit Schäden verursacht. Nimmt der Versicherungsnehmer immer wieder über Jahre hinweg, wenn auch nur bei bestimmten Transporten, dasselbe Risiko auf sich, liegt eine Gefahrerhöhung nach §§ 23 ff VersVG vor.

Der Beklagte nahm die Gefahr in Kauf, dass der Traktor beim Transport der Steine ohne Verwendung der Frontausgleichsgewichte instabil wird, was er leicht bemerken konnte. Beim Transport von Heuballen verwendet er ja sehr wohl die Ausgleichsgewichte. Es ist unerfindlich, warum er dies beim Transport von Steinen jeweils unterließ. Wegen der dem Beklagten deshalb anzulastenden, zumindest grob fahrlässig herbeigeführten Gefahrerhöhung ist die Klägerin leistungsfrei. Auf die anderen von der Klägerin behaupteten Obliegenheitsverletzungen kommt es daher nicht an. Der Klage ist stattzugeben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Für die Berufung gebührt aufgrund des Streitwerts nur der 150 %ige Einheitssatz (§ 23 Abs 3, Abs 9). Für die Revision steht der einfache Einheitssatz zu. § 23 Abs 9 RATG gilt nur für das Berufungsverfahren.

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