European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00092.23T.0912.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Beklagte war Grundstücksnachbarin des Klägers, wobei ihre Häuser unmittelbar aneinander grenzen. Die Beklagte ließ auf ihrer Liegenschaft durch die Nebenintervenientinnen Umbauarbeiten durchführen, die zu Beeinträchtigungen des Grundstücks des Klägers führten.
[2] Das Erstgericht erkannte die Beklagte unter anderem schuldig, 1. Bauteile und Materialien vom Grundstück des Klägers zu entfernen, insbesondere den Überbau im Bereich der an der Liegenschaftsgrenze verlaufenden Mauer und ab sofort jegliche weitere Eingriffe in das Eigentumsrecht des Klägers, insbesondere auch in Form eines Betretens durch sie und ihre Beauftragten sowie Ablagern von Gegenständen zu unterlassen. Weiters wurde 2. dem Feststellungsbegehren über die Haftung für künftige Schäden und 3. einem Zahlungsbegehren mit 39.180,58 EUR Folge gegeben, hingegen 4. ein weiteres Leistungsbegehren von 12.961 EUR hinsichtlich eines Betrags von 10.560 EUR ab- und hinsichtlich eines Betrags von 2.401 EUR zurückgewiesen, im Wesentlichen, weil die Betonierung der Terrasse am Grundstück des Klägers nicht vom Bauauftrag der Beklagten umfasst gewesen sei.
[3] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil im Wesentlichen und änderte nur Spruchpunkt 1. dahin ab, dass es das Begehren, den Überbau zu entfernen, abwies. Der Schikaneeinwand der Beklagten sei hinsichtlich des geringfügigen Grenzüberbaus berechtigt, zumal der Kläger aufgrund der Ungewissheit, ob und, wenn ja, wann und in welcher Art und Weise er einen Ausbau vornehmen werde, keinen konkreten Nachteil aufzeigen habe können, während die der Beklagten durch einen allfälligen Rückbau entstehenden nachteiligen finanziellen Folgen offensichtlich seien.
Rechtliche Beurteilung
[4] Mit seiner außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine erheblichen Rechtsfragen auf. Die Revision ist daher nicht zulässig und folglich zurückzuweisen:
[5] 1.1. Der Kläger begründet die Zulässigkeit seiner außerordentlichen Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens zunächst damit, dass das Berufungsgericht bei der Beurteilung der Verwaltervollmacht von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen sei, wonach diese die Besorgung jener Aufgaben decke, die für die Ausführung des Auftrags nötig seien (5 Ob 81/01z; 9 Ob 248/02i; 4 Ob 236/17k ua). Da der Abbruch des Daches über der Liegenschaft des Klägers für die Ausführung des Bauvorhabens der Beklagten notwendig gewesen sei, seien auch die damit zusammenhängenden von der Erstnebenintervenientin veranlassten Maßnahmen (Betonierung der Westterrasse des Klägers) der Beklagten zurechenbar. Zudem sei der Schaden nach ständiger Judikatur des Obersten Gerichtshofs (1 Ob 39/90; 4 Ob 89/10g und 1 Ob 258/11i) jedenfalls aufgrund der analogen Anwendung des § 364a ABGB zu ersetzen. Vorliegend sei nämlich die Errichtung eines mehrstöckigen neuen Gebäudes ohne Abriss des bestehenden Daches, zu welchem das Überdach über dem Grundstück des Klägers zähle, nicht möglich gewesen. Es sei daher von vornherein für die Beklagte evident und auch kalkulierbar gewesen, dass bei dieser Baumaßnahme eine neue Abdichtungsebene am Grundstück des Klägers hergestellt werden müsse, sobald das alte Dach entfernt werde.
[6] 1.2. Dazu ist auszuführen, dass der Umfang einer konkreten Vollmacht grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls abhängt (RS0044358 [T36]; RS0019533). Eine Anscheinsvollmacht (= Vollmacht wegen Vertrauens auf den äußeren Tatbestand) setzt voraus, dass Umstände vorliegen, die geeignet sind, im Dritten den begründeten Glauben an die Berechtigung des Vertreters zum Abschluss des beabsichtigten Geschäfts zu erwecken (RS0019609). Der die Vertretungsmacht begründende Anschein hat nicht vom Vertreter, sondern von einem Verhalten des Vertretenen bzw eines vertretungsbefugten Organs auszugehen. Der auf diese Weise gesetzte, dem Vertretenen zurechenbare äußere Tatbestand muss das Vertrauen des Dritten vom Vorhandensein der Vertretungsmacht rechtfertigen (vgl RS0019609 [T17]). Ein Dritter kann sich nur dann auf den äußeren Tatbestand berufen, wenn er bei Anwendung gehöriger Aufmerksamkeit davon ausgehen durfte, dass der als Bevollmächtigter Handelnde tatsächlich eine Vollmacht habe (RS0020251). Der Bevollmächtigte ist zu allen Handlungen ermächtigt, welche nach dem Geschäftsgebrauch oder nach den Umständen des Falls in den Bereich des aufgetragenen Geschäfts gehören oder anders ausgedrückt, welche die Vornahme eines derartigen Geschäfts gewöhnlich mit sich bringt, wobei das „gewöhnliche“ nicht zu eng aufgefasst werden darf; insbesondere brauchen „gewöhnliche Geschäfte“ keine alltäglichen Geschäfte zu sein, der Gegensatz zu „gewöhnlich“ ist vielmehr das außergewöhnliche Geschäft. Dabei kommt den Umständen des Einzelfalls und der Eigenart des Rechtsgeschäfts besondere Bedeutung zu (RS0019707 [T1, T18]).
[7] 1.3. Vorliegend steht fest, dass der Bauleiter betreffend das Bauvorhaben der Beklagten in bautechnischen Angelegenheiten handeln durfte, jedoch nicht bevollmächtigt war, in ihrem Namen mit dem Kläger Absprachen zu treffen. Die Betonierung der westseitigen Terrasse am Grundstück des Klägers war daher von dem beauftragten Bauvorhaben nicht umfasst. Die Beklagte gab dazu keinen Auftrag, weshalb sie dafür auch nichts bezahlte. Da die Beklagte – mangels konkreten Vorbringens im erstinstanzlichen Verfahren – auch keinen gegenteiligen äußeren Anschein für eine Vertretungsmacht setzte, kann ihr ein allenfalls durch die Ausführung der Terrasse dem Kläger entstandener Schaden auch nicht zugerechnet werden. Den Vorinstanzen ist daher – unter Heranziehung der oben wiedergegebenen Beurteilungskriterien – in Bezug auf die unterbliebene Zuerkennung von Schadenersatz für die Terrasse des Klägers keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen.
[8] 1.4. Auch mit seiner Berufung auf § 364a ABGB vermag der Kläger keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen, kann doch der Abbruch des Vordachs der Beklagten keinesfalls dazu führen, die von vornherein ungenügende Unterkonstruktion des Klägers sanieren zu müssen und der Beklagten die Herstellung einer ordnungsgemäßen Abdichtung der Liegenschaft des Klägers aufzubürden. Entgegen den Rechtsmittelausführungen des Klägers wurde – gemäß dem festgestellten Sachverhalt – die fachgerechte Herstellung der Terrasse nicht erst aufgrund des Bauvorhabens der Beklagten bautechnisch notwendig.
[9] 2.1. Zu dem vom Kläger bestrittenen Rechtsmissbrauch (Schikane) im Zusammenhang mit dem Entfernungsbegehren ist voranzustellen, dass die Frage, ob ein Rechtsmissbrauch vorliegt, grundsätzlich nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen ist und daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufwirft (RS0110900; RS0025230 [T9]; RS0026265 [T3, T12]).
[10] 2.2. Der Oberste Gerichtshof hat mehrfach ausgesprochen, dass bei einem geringfügigen Grenzüberbau der Schikaneeinwand des Bauführers berechtigt sein kann, was allerdings voraussetzt, dass eine Verhaltensweise des Grundnachbarn vorliegt, die weit überwiegend auf eine Schädigung des Bauführers abzielt, und die Wahrung und Verfolgung der sich aus der Freiheit des Eigentums ergebenden Rechte deutlich in den Hintergrund tritt (RS0115858).
[11] 2.3. Bei der Beurteilung des „Schikaneeinwands“ kommt der subjektiven Seite des Bauführers erhebliche Bedeutung zu. In diesem Sinn wertete der Oberste Gerichtshof im Fall eines bewusst rechtswidrigen Vorgehens die eigenmächtige Aneignung einer Fläche von 1,1 m² des Nachbargrundstücks als eine Fehlhandlung des Bauführers, die nicht dem Schikaneverbot unterliegt (vgl 1 Ob 239/08s mwN).
[12] 2.4. Das Berufungsgericht bejahte den Rechtsmissbrauch der Berufung des Klägers auf sein Eigentum mit der Begründung, dass der vorliegende – bloß wenige Zentimeter in das Grundstück des Klägers reichende – Überbau als geringfügig anzusehen sei und nicht feststehe, ob, wann und wie der Kläger einen Ausbau vornehmen werde. Ob die Beklagte von der Errichtung des Überbaus wusste, sei nicht festgestellt worden und es lägen auch keine entsprechenden Behauptungen vor. Demgegenüber seien die der Beklagten durch einen allfälligen Rückbau entstehenden nachteiligen finanziellen Folgen offensichtlich.
[13] 2.5. Diese Beurteilung ist jedenfalls vertretbar, handelt es sich doch tatsächlich nur um einen minimalen Eingriff und ist auch der Einwand des Klägers, es sei gerichtsnotorisch, dass ein (auch geringfügiger) Überbau in einer Hochpreisgegend (verwiesen wird auf den von der Beklagten erzielten Kaufpreis von 6 Mio EUR) evidentermaßen ein Nachteil für den Kläger sei, insbesondere wenn er an zwei Stellen (über eine Länge von 25 bzw 32 cm – die Mauer mit Vollwärmeschutz überragt auf einer Hypotenuse von 25 cm Länge die Katastergrenze im Maximum um 8 cm und die Blechdachkante auf einer Hypotenuse von 32 cm die Katastergrenze im Maximum um 12 cm) nicht bis zur Grundstücksgrenze bauen und daher auch nicht auf seinen tragenden Mauern im Erdgeschoß aufsetzen könne, mangels eines konkreten Bauvorhabens des Klägers nicht geeignet, eine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zu begründen.
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