OGH 4Ob139/16v

OGH4Ob139/16v12.7.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, *****, vertreten durch Kosesnik‑Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei I***** GmbH, *****, vertreten durch Doralt Seist Csoklich, Rechtsanwalts‑Partnerschaft in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 30.500 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 5.500 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. April 2016, GZ 2 R 85/15g‑14, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Das beklagte Inkassobüro treibt Forderungen der Wiener Linien gegenüber „Schwarzfahrern“ ein. Im Auftragsverhältnis zu den Wiener Linien verrechnet die beklagte Partei keinerlei Inkassospesen. Ihre Dienstleistungen werden dahin abgegolten, dass ihr exklusiv die Möglichkeit eingeräumt wird, im Zusammenhang mit der Einmahnung offener Schulden „auf eigenes wirtschaftliches Risiko einen Ertrag zu erwirtschaften“.

Der klagende Verein machte wegen der Geschäftspraktiken der beklagten Partei im Zusammenhang mit dabei verwendeten Mahnschreiben und Formblättern ein mehrgliedriges Begehren auf Unterlassung samt Urteilsveröffentlichung geltend und stützte sich dabei auf §§ 1a, 2 UWG und § 6 Abs 1 Z 15 KSchG.

Die klagende Partei nahm das Angebot der beklagten Partei auf Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs nicht an.

Die Vorinstanzen gingen übereinstimmend davon aus, dass die Wiederholungsgefahr wegen des Vergleichsangebots weggefallen sei und wiesen die Klage ab.

Rechtliche Beurteilung

1. Das außerordentliche Rechtsmittel der klagenden Partei zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

2. Bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr kommt es stets darauf an, ob dem Verhalten des Verletzers in seiner Gesamtheit wichtige Anhaltspunkte dafür entnommen werden können, dass er ernstlich gewillt ist, von künftigen Störungen Abstand zu nehmen (RIS‑Justiz RS0012087). Ein Angebot eines vollstreckbaren Unterlassungsvergleichs beseitigt im Regelfall die Wiederholungsgefahr (RIS‑Justiz RS0079899). Abgesehen von einer gravierenden Fehlbeurteilung (RIS‑Justiz RS0042818 [T3]), begründet es keine erhebliche Rechtsfrage, ob nach den im Einzelfall gegebenen Umständen Wiederholungsgefahr besteht (RIS‑Justiz RS0042721; RS0031891; zum abgelehnten Vergleich: 4 Ob 2260/96y; 4 Ob 232/03a mwN).

Eine derartige Fehlbeurteilung wird zu keinem Punkt des Unterlassungsbegehrens aufgezeigt.

3.1 Der Hinweis im Inkassoschreiben der beklagten Partei, wonach die vom Schuldner verursachten Spesen unabhängig von der ursprünglichen Forderung gerichtlich geltend gemacht werden könnten, wird von der klagenden Partei deshalb als irreführend iSd § 2 UWG gerügt, weil die Geltendmachung von Inkassospesen als Schadenersatz voraussetze, dass der Schaden tatsächlich beim Gläubiger eingetreten sei. Das treffe aber nicht zu, weil die Wiener Linien gegenüber der beklagten Partei nicht zum Ersatz der Betreibungskosten verpflichtet seien. Die Wiederholungsgefahr liege schon deshalb vor, weil die beklagte Partei diesen Umstand in ihrem Vergleichsangebot nicht zugestanden habe.

3.2 Die Revision übersieht zunächst, dass ein Vergleichsanbot der beklagten Partei ein ungerechtfertigtes Begehren nicht berücksichtigen muss (RIS‑Justiz RS0079899 [T11; T12]). Die klagende Partei muss nur das erhalten, was sie durch ein ihrem Begehren stattgebendes Urteil hätte erlangen können (4 Ob 232/03a; RIS‑Justiz RS0079899 [T33]).

3.3 Ob der allgemein gehaltene Hinweis auf die Klagbarkeit der Inkassospesen, der nicht vom Vergleichsangebot umfasst ist, zur Irreführung geeignet ist, hat keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung und ist daher nicht erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO (vgl RIS‑Justiz RS0107771). Die vom Berufungsgericht vertretene Ansicht, dass die Mahnschreiben diesbezüglich nicht irreführend seien, weil nichts darüber gesagt werde, von wem und unter welchen konkreten rechtlichen Voraussetzungen Inkassokosten gerichtlich geltend gemacht werden können, kann die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht begründen.

3.4 Die im angefochtenen Urteil vertretene Rechtsansicht, dass der von der beklagten Partei gegenüber den Wiener Linien abgegebene Honorarverzicht nicht deren Schuldner (also die Schwarzfahrer) vom Ersatz der durch sie verschuldeten Mehrkosten befreien soll, entspricht im Ergebnis den von der gefestigten Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur bloßen Schadensverlagerung. Demnach ist vom Schädiger ein Schaden auch dann zu ersetzen, wenn der unmittelbar Verletzte keinen Vermögensnachteil erlitt, weil ein Dritter aufgrund besonderer Rechtsbeziehungen zum Verletzten das wirtschaftliche Risiko der Rechtsgutverletzung tragen muss (RIS‑Justiz RS0022608 [T7]). Nach der Judikatur soll nämlich die Tatsache, dass der Schaden aufgrund gesetzlicher oder vertraglicher Regelung nicht beim unmittelbar Angegriffenen, sondern bei einem Dritten eintritt, den Schädiger nicht entlasten (RIS‑Justiz RS0022830; RS0022789). Die von den Vorinstanzen zum (jedenfalls nicht unlauteren, vgl 4 Ob 136/94) Vertrag zwischen dem beklagten Inkassounternehmen und den Wiener Linien vorgenommene Vertragsauslegung dahin, dass die Schwarzfahrer nicht von der Zahlungspflicht bezüglich der von ihnen schuldhaft verursachten Betreibungs‑ oder Einbringungsmaßnahmen befreit werden sollen, ist daher jedenfalls vertretbar (RIS‑Justiz RS0042936) und begründet keine erhebliche Rechtsfrage.

4. Der in der Revision gerügte Umstand, dass ein Punkt des Vergleichsangebots ua die Begrenzung auf drei Mahnschreiben relativiere, wurde in der Berufung nicht aufgeworfen. Die damit zusammenhängende selbstständig zu beurteilende Rechtsfrage kann daher nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens sein (RIS‑Justiz RS0043338 [insb T13, T15, T17 und T27]).

5.1 Die Entscheidung 10 Ob 28/14m stellte zu § 6 Abs 1 Z 15 KSchG klar, dass nur eine ausreichend detaillierte Aufschlüsselung dem Transparenzgebot standhalten und der bei Verbrauchergeschäften typischerweise gegebenen Ungleichgewichtslage zwischen den Vertragspartnern entgegenwirken kann. Eine pauschale Zusammenfassung mehrerer Betreibungsschritte (etwa im Sinne von „ Mahnung zB zweite/dritte Mahnung, Stundungs‑/Vergleichs‑/ Ratenvereinbarung, Telefoninkasso“) entspricht diesen Anforderungen nicht. Aus dem somit klargestellten Erfordernis, dass die einzelnen Betreibungsschritte tunlichst erkennbar sein müssen, ergibt sich kein Verbot, die für die einzelnen Betreibungsschritte angefallenen Kosten (zB jene für ein weiteres Mahnschreiben) zusammen mit jenen Kosten auszuweisen, die damit in einem engen akzessorischen Zusammenhang stehen (etwa Telefonkosten oder Kosten der Adressnachforschung).

5.2 Die von den Umständen des Einzelfalls geprägte Beurteilung des Berufungsgerichts, dass das Vergleichsanbot der beklagten Partei die einzelnen Betreibungsschritte erkennen lässt, hält sich daher im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung, zumal daraus nicht abzuleiten ist, dass die einzelnen Betreibungsschritte in alle nur denkbaren Einzelpositionen weiter aufzugliedern sind.

6.1 Schließlich erfordert die Entscheidung auch nicht wegen der dem Vergleichsangebot zugrundeliegenden Leistungsfrist eine Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung. Nach Ansicht der klagenden Partei ist die Wiederholungsgefahr davon abhängig zu machen, ob die angebotene Leistungsfrist auch gerichtlich festzusetzen gewesen wäre. Damit und unter Hinweis auf die vom Zweitgericht als angemessen erachtete Leistungsfrist von dreieinhalb Monaten zeigt die klagende Partei keine erhebliche Rechtsfrage auf.

6.2 Nach § 409 Abs 2 ZPO kann der Richter auch bei Unterlassungsklagen eine angemessene Leistungsfrist festlegen, wenn die Unterlassungspflicht die Pflicht zur Änderung eines Zustands einschließt (RIS‑Justiz RS0041265 [T1]). Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass sämtliche Unterlassungsverpflichtungen auch eine Änderung des gegenwärtigen Zustands einschließen und die angebotene Frist angemessen ist, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0041265 [T3, T6]) und kann schon wegen der gebotenen starken Orientierung an die Umstände des Einzelfalls (7 Ob 180/15v) die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht begründen.

6.3 Die Anregung zur Einholung einer Vorabentscheidung beim Europäischen Gerichtshof war nicht aufzugreifen, weil zur Auslegung und Bedeutung der unionsrechtlichen Grundlagen und zu den sich daran anknüpfenden rechtlichen Konsequenzen keine Zweifel bestehen (vgl RIS‑Justiz RS0082949). Weder aus Art 11 noch aus Art 13 RL‑UGP lässt sich im Zusammenhang mit der Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken ein unionsrechtliches Verbot einer Leistungsfrist ableiten. Davon abgesehen, hängen hier die Voraussetzungen einer effektiven Rechtsdurchsetzung im Ergebnis von der Gesamtwürdigung und Gewichtung der relevanten Umstände im konkreten Einzelfall ab, die den nationalen Gerichten vorbehalten ist (vgl auch EuGH 13. 3. 2007, C‑432/05, Unibet Rz 39; EuGH 14. 11. 2011, C‑360/09, Pfeiderer Rz 24 und 32; EuGH 30. 4. 2014 C‑390/12, Pfleger Rz 47).

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