European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00012.18W.0419.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass die einstweilige Verfügung des Erstgerichts einschließlich Kostenentscheidung mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, dass sie in der Hauptsache zu lauten hat:
„Der Beklagten wird zur Sicherung des Anspruchs der Klägerin auf Unterlassung unlauterer Geschäftspraktiken verboten, im geschäftlichen Verkehr bei der Akquisition von Kunden von sich aus diesen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt zu ***** vom 7. 3. 2007 zukommen zu lassen oder sie sonst in irgendeiner Form darüber bzw über den Inhalt dieses Urteils in Kenntnis zu setzen.“
Im Rechtsmittelverfahren hat die Klägerin ihre Kosten einstweilen, die Beklagte ihre Kosten endgültig selbst zu tragen.
Begründung:
Beide Streitteile verkaufen Erste-Hilfe-Kästen und bieten ein Kontrollservice der vorhandenen Erste‑Hilfe‑Einrichtungen an.
Der Geschäftsführer der Klägerin war bis Anfang 2004 Dienstnehmer der Beklagten. Im Zuge der Beendigung dieses Dienstverhältnisses war es zu mehreren gerichtlichen Auseinandersetzungen gekommen. Die (hier) Beklagte hatte als Klägerin beim Landesgericht Wiener Neustadt Anfang 2007 ein Unterlassungsurteil gegen den Geschäftsführer der Klägerin erwirkt, das in seinem stattgebenden Teil wie folgt lautet:
„1. Der beklagten Partei wird geboten, es im geschäftlichen Verkehr zum Zwecke des Wettbewerbs zu unterlassen, Kunden der klagenden Partei selbst aufzusuchen oder durch Dritte aufsuchen zu lassen, um ohne Kenntnis und Zustimmung des jeweiligen Kunden die auf Erste‑Hilfe‑Koffern befindlichen Aufkleber der klagenden Partei zu entfernen sowie zu überkleben.
2. Der beklagten Partei wird geboten, es im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs zu unterlassen, wahrheitswidrige Behauptungen aufzustellen oder verbreiten zu lassen, das Unternehmen der klagenden Partei sei in Auflösung begriffen, habe wirtschaftliche Probleme oder könne seine Tätigkeit oder Dienstleistungen nicht mehr uneingeschränkt fortführen, sowie Behauptungen aufzustellen, zu verbreiten oder durch Dritte aufstellen oder verbreiten zu lassen, die beklagte Partei oder ihre Firma sei Nachfolgerin der klagenden Partei auf dem Markt für Erste-Hilfe-Produkte, sowie wahrheitswidrige Behauptungen gleichen oder ähnlichen Inhalts aufzustellen, zu verbreiten oder durch Dritte aufstellen oder verbreiten zu lassen.“
Das Urteil ermächtigt die klagende Partei zur Veröffentlichung des stattgebenden Teils des Urteilsspruchs in näher genannten Lokalzeitungen für die Länderausgaben der Bundesländer Wien, Niederösterreich und Burgenland.
Im Jahr 2017 suchte ein Mitarbeiter der Klägerin eine (bereits bestehende) Kundin der Klägerin in Westösterreich auf. Er fand dort auf dem Erste-Hilfe-Kasten eine – von der Beklagten angebrachte – Kopie des genannten Urteils aus 2007 vor, weiters den Vermerk „Erste‑Hilfe‑Kasten nicht von [der Klägerin] füllen lassen!“ (ob auch dieser Vermerk von der Beklagten angebracht wurde, konnte nicht festgestellt werden), und erfuhr, dass eine weitere Betreuung durch die Klägerin unerwünscht sei; die weitere Betreuung erfolge durch die Beklagte. Ähnliches spielte sich mit mehreren anderen Kunden ab, die plötzlich nichts mehr von der Klägerin wissen wollten.
Die Klägerin beantragte zur Sicherung ihres gleichlautenden Klagebegehrens die Erlassung der einstweiligen Verfügung,
der Beklagten zu verbieten, Dritten das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht [AZ] vom 7. 3. 2007 zukommen zu lassen oder sonst in irgendeiner Form darüber bzw über den Inhalt dieses Urteils in Kenntnis zu setzen;
in eventu der Beklagten zu verbieten, Dritten die „Urteilsveröffentlichung des Urteils...“ zukommen zu lassen und mit dem Vermerk zu versehen „nicht von [der Klägerin] füllen lassen“ oder sonst in irgendeiner Form den Eindruck zu erwecken, es gäbe für die von der Beklagten aufgesuchten Dritten triftige Gründe, von der Klägerin keine Waren oder Dienstleistungen zu beziehen;
in eventu der Beklagten zu verbieten, unwahre Äußerungen zu tätigen, welche geeignet sind, die Klägerin oder deren Geschäftsfüh rer als Rechtsbrecher oder Betrüger, als in rechtsbrecherischer oder betrügerischer Weise agierend darzustellen oder in vergleichbarer Weise geeignet sind, eine Herabsetzung der Meinung über die Klägerin herbeizuführen.
Das Urteil aus dem Jahr 2007 sei aufgrund des mittlerweiligen Zeitablaufs, des damals streitverfangenen Gebiets (Ostösterreich) und der damals betroffenen Kunden für die hier besuchten Kunden irrelevant. Den Kunden werde zu Unrecht vorgespiegelt, die Klägerin dürfe sie aufgrund des Urteils nicht mehr aufsuchen oder sonst kontaktieren und nicht mehr an sie verkaufen; solches Verhalten werde durch das Urteil aber nicht untersagt. Die Verwendung eines zehn Jahre alten Urteils zu dem Zweck, der Klägerin in einem vom Urteil nicht erfassten Gebiet Kunden abzuwerben und sie als rechtsbrecherisch vorgehendes Unternehmen hinzustellen, sei eine unlautere und damit gegen das UWG verstoßende Geschäftspraktik.
Die Beklagte bestritt jeglichen Lauterkeitsverstoß.
Das Erstgericht nahm den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt als bescheinigt an und erließ die beantragte einstweilige Verfügung im Sinne des Hauptbegehrens. Das Verhalten der Beklagten sei geeignet, die Klägerin zu diffamieren und dadurch den Wettbewerb zu ihrem Nachteil nicht nur unerheblich zu beeinflussen und begründe einen gegen § 1 Z 1 UWG verstoßenden unlauteren „Kundenfang“.
Das Rekursgericht wies den Sicherungsantrag samt Eventualbegehren ab; es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Wenn den Parteien auch kein schrankenloses Recht der Verbreitung des Inhalts einer gerichtlichen Entscheidung zustehe, sei doch die private Urteilsveröffentlichung und die Mitteilung des Inhalts einer gerichtlichen Entscheidung nicht schlechthin unzulässig. Die Unzulässigkeit könne sich aus § 1 UWG oder aus dem allgemeinen Schikaneverbot des § 1295 Abs 2 ABGB ergeben. Letztere Bestimmung verlange ein krasses Missverhältnis zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des Mitbewerbers. Die Klägerin stelle jedoch nicht auf Rechtsmissbrauch ab. Die Aufklärung über das Urteil aus dem Jahr 2007 führe weder eine Irreführung, noch eine Pauschalabwertung der Klägerin herbei. Das Hauptbegehren sei daher nicht berechtigt; das (auch zu unbestimmte) erste Eventualbegehren schon deswegen nicht, weil nicht bescheinigt sei, dass die Beklagte den beanstandeten Vermerk auf der Urteilskopie angebracht habe. Das zweite Eventualbegehren scheitere daran, dass die Beklagte keine unwahren Äußerungen abgegeben habe.
In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs macht die Klägerin – neben der neuerlichen (aber bereits vom Rekursgericht zutreffend verneinten) Behauptung eines Verstoßes gegen den Irreführungstatbestand nach § 2 UWG – auch geltend, die Konfrontation ihrer Kunden mit einem wettbewerblichen Fehlverhalten ihres Geschäftsführers vor zehn Jahren in einem anderen Teil des Bundesgebiets begründe eine unzumutbare Schädigung ihres Geschäftsbetriebs.
Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen bzw ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil dem Rekursgericht in der Frage des Vorliegens eines Behinderungswettbewerbs eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen ist; er ist auch berechtigt.
1. Nach ständiger Rechtsprechung ist die private (das heißt ohne gerichtliche Ermächtigung vorgenommene) Veröffentlichung einer Entscheidung nicht grundsätzlich unzulässig oder rechtswidrig (RIS-Justiz RS0077699, RS0077806). Verboten werden kann die Veröffentlichung nur unter bestimmten, die Unlauterkeit begründenden, Umständen oder im Fall des § 1295 Abs 2 ABGB, nicht aber generell (4 Ob 175/06y). Diese Grundsätze gelten auch bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Mitteilung des Inhalts einer gerichtlichen Entscheidung (RIS-Justiz RS0077868).
2. Die private Verbreitung eines Urteils kann nicht nur im Fall von Schikane iSd § 1295 Abs 2 ABGB, sondern auch bei Vorliegen sonstiger Unlauterkeit begründender Umstände rechtswidrig sein (vgl 4 Ob 82/17p). Als solcher Umstand kommt hier das Ausspannen von Kunden in Frage.
2.1. Behinderungswettbewerb liegt dann vor, wenn ein Unternehmer durch das Mittel der Behinderung des Konkurrenten zu erreichen sucht, dass dieser Mitbewerber seine Leistung auf dem Markt nicht oder nicht mehr rein zur Geltung bringen kann; hier ist die Verdrängung des Mitbewerbers vom Markt nicht eine unvermeidliche, begriffswesentliche Folge des Wettbewerbs, sondern im Gegenteil die Folge der Ausschaltung des Mitbewerbers vom Leistungswettbewerb (RIS-Justiz RS0077533). Maßnahmen, die ihrer Natur nach allein der Behinderung des Mitbewerbers dienen, sind regelmäßig unlauter (RIS-Justiz RS0077524).
2.2. Ein Mittel des Behinderungswettbewerbs beim Ausspannen fremder Kunden ist das Anschwärzen des Mitbewerbers (RIS-Justiz RS0078531; RS0116886).
2.3. Eine unzulässige Anschwärzung liegt nicht erst dann vor, wenn unwahre Behauptungen verbreitet werden; ein solches Verhalten wird bereits von § 7 UWG erfasst. Vielmehr können auch wahrheitsgemäße geschäftsschädigende Behauptungen unlauter sein, wenn kein hinreichender Anlass besteht, den eigenen Wettbewerb mit der Herabsetzung des Konkurrenten zu verbinden (RIS-Justiz RS0031783; RS0079432; RS0078047). Dabei kommt es auf eine Interessenabwägung an (RIS-Justiz RS0078047). Diese Erwägungen gelten dem Sinne nach auch bei der gerichtlich angeordneten Urteilsveröffentlichung zu länger zurückliegenden Lauterkeitsverstößen: Sie ist nur dann anzuordnen, wenn noch künftige Vorteile des Beklagten oder nachteilige Auswirkungen für den Kläger zu besorgen sind (RIS-Justiz RS0079699 [T5]).
3. Die demnach gebotene Interessenabwägung schlägt hier zugunsten der Klägerin aus:
3.1. Die unkommentierte Verbreitung eines Urteils, aus dem sich (wenn auch lange zurückliegende und regional beschränkte) geschäftliche Verfehlungen eines Unternehmens bzw dessen Geschäftsführers ergeben, ist ohne Zweifel geeignet, dieses Unternehmen im Ansehen seiner Kunden zu schädigen. Das zeigt sich im vorliegenden Fall schon daran, dass die informierten Kunden tatsächlich ohne Umschweife die Geschäftsbeziehung zur Klägerin beendet haben. Ein hinreichendes Interesse der Beklagten, diese– wahre – Tatsache zu verbreiten, ist nicht ersichtlich. Das Fehlverhalten des Geschäftsführers der Klägerin liegt zehn Jahre zurück und betraf zudem ausschließlich im Verhältnis zur Beklagten gesetzte Handlungen, die keinen Einfluss auf die Qualität der Leistungen der Klägerin haben. Das Urteil wurde bereits damals über gerichtliche Anordnung publiziert und damit den (regional beschränkten) betroffenen Kreisen zur Kenntnis gebracht. Die Klägerin hat sich seit diesem Urteil unbestrittenerweise wohlverhalten, sodass ihr berechtigtes Interesse zu berücksichtigen ist, bereits abgetane Verfehlungen nicht auf unbestimmte Zeit vorgehalten zu bekommen (vgl RIS-Justiz RS0114460 [T1]).
3.2. Ein nachvollziehbares und schützenswertes, im Leistungswettbewerb gelegenes Interesse der Beklagten, mit diesem Urteil bei (Neu‑)Kunden der Klägerin durch aggressive Stimmungsmache gegen sie zu kampagnisieren (vgl Burgstaller/Frauenberger/Handig/Heidinger/Wiebe in Wiebe/Kodek², § 1 Rz 193), ist nicht ersichtlich. Die Beklagte hat auch nicht behauptet, die Verbreitung dieses Urteils wäre zur sachlichen Aufklärung des Publikums notwendig (vgl RIS‑Justiz RS0077957), sondern nur bestritten, das Urteil den Kunden der Klägerin ausgehändigt zu haben, im Übrigen aber ausdrücklich zugestanden, ein derartiges Vorgehen sei für sie selbst ohne „wirtschaftlich sinnvolles Ergebnis“ und „viel zu aggressiv“.
3.3. Zusammenfassend sind die beanstandeten Handlungen der Beklagten daher als unzulässiger Behinderungswettbewerb nach § 1 Abs 1 Z 1 UWG zu werten.
4.1. Der vorliegende Lauterkeitsverstoß berechtigt die Klägerin allerdings nicht, der Beklagten jegliche Veröffentlichung des fraglichen Urteils unter allen Umständen zu verbieten. Ein solches Rechtsschutzziel ergibt sich auch nicht aus der Begründung des Sicherungsbegehrens; die Klägerin wendet sich vielmehr bloß gegen die Veröffentlichung der Entscheidung im Zusammenhang mit der Akquisition von Kunden.
4.3. Das Gericht ist berechtigt, dem Urteilsspruch eine klare und deutliche, vom Begehren abweichende Fassung zu geben, wenn sich letztere im Wesentlichen mit dem Inhalt des Begehrens deckt (vgl RIS-Justiz RS0039357).
4.4. Die wiederherzustellende Sicherungsver-fügung des Erstgerichts ist daher dahin zu verdeutlichen, dass sie nur ein Verhalten im geschäftlichen Verkehr im Zusammenhang mit der Akquisition von Kunden umfasst.
5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 40, 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)