European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00043.17P.0620.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der Beschluss des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass im Bezug auf die Kunstsammlung die abweisliche Entscheidung des Erstgerichts (Punkt II. des erstinstanzlichen Beschlusses) wiederhergestellt wird.
Begründung:
Der Verstorbene hat eine letztwillige Verfügung, mit der seine Witwe zur Alleinerbin eingesetzt wurde, hinterlassen. Der pflichtteilsberechtigte Sohn beantragte, den Wohnsitz des Verstorbenen sowie die Kunstsammlung in das Inventar aufzunehmen. Der Verstorbene habe bis zuletzt dort gewohnt, sodass sich dort weitere zum Nachlass gehörende Fahrnisse befänden. Zwar habe er mit Schenkungsvertrag aus dem Jahr 1997 sowohl die Liegenschaft als auch seine umfangreiche Kunstsammlung in eine Privatstiftung eingebracht, sich aber an beidem das lebenslange und unentgeltliche Fruchtgenussrecht einräumen lassen. Das Vermögensopfer sei daher erst mit dem Tod eingetreten, und die Kunstsammlung und die Liegenschaft seien daher zur Berechnung des Pflichtteils heranzuziehen.
Die Witwe bestritt dies und brachte vor, dass schon infolge umfangreicher Umbauarbeiten in den letzten Jahren ein Bewohnen der Liegenschaft nicht möglich gewesen sei. Außerdem habe der Verstorbene mit Verzichtserklärung vom 19. Oktober 2012 auf die ihm an der Liegenschaft sowie an der Kunstsammlung eingeräumten lebenslänglichen unentgeltlichen Fruchtgenussrechte verzichtet, sodass diese nicht mehr zur Berechnung des Pflichtteils heranzuziehen seien.
Das Erstgericht stellte fest, dass der Verstorbene mit Schenkungsvertrag vom 4. August 1997 sowohl die Liegenschaft als auch seine Kunst‑ und Bildersammlung einer Privatstiftung geschenkt habe, die diese angenommen habe. In Punkt 7 des Schenkungsvertrags habe sich der Geschenkgeber das lebenslängliche und unentgeltliche Fruchtgenussrecht an der geschenkten Liegenschaft und der Kunstsammlung einräumen lassen. Das Fruchtgenussrecht sei grundbücherlich sichergestellt worden. Mit Verzichts‑ und Löschungserklärung vom 19. Oktober 2012 habe er auf dieses Fruchtgenussrecht verzichtet, dies sei ebenfalls grundbücherlich durchgeführt worden. Behalte sich der Geschenkgeber alle Nutzungen in Form eines dinglichen Fruchtgenussrechts zurück, werde das Vermögensopfer erst mit seinem Tode oder einem wirksamen Verzicht „gemacht“ iSd § 785 Abs 3 ABGB. Im vorliegenden Fall liege die Verzichtserklärung, sowohl was das Fruchtgenussrecht an der Liegenschaft als auch jenes an der Kunstsammlung betreffe, ca dreieinhalb Jahre vor dem Tod des Erblassers, sodass die Aufnahme dieser Gegenstände in das Inventar zur Berechnung des Schenkungspflichtteils ausscheide und die diesbezüglichen Anträge auf Inventarisierung daher abgewiesen wurden.
Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung dahingehend ab, dass die Inventarisierung der Kunstgegenstände angeordnet wurde. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteigt und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Das Rekursgericht stellte den Wortlaut der Verzichts‑ und Löschungserklärung vom 19. Oktober 2012 fest und gelangte rechtlich zu dem Ergebnis, dass deshalb (nur) die Inventarisierung der Liegenschaft ausscheide. Verzichtserklärungen seien stets einschränkend auszulegen. Die in die Stiftung eingebrachten Kunstgegenstände, an denen sich der Erblasser das Fruchtgenussrecht vorbehalten habe, seien daher in die Inventarisierung einzubeziehen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Witwe, die die Abweisung des Inventarisierungsantrags auch in Bezug auf die Kunstsammlung anstrebt.
Der Sohn beantragt in der ihm freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, das Rechtsmittel zurückzuweisen; in eventu, ihm nicht Folge zu geben.
Der Revisionsrekurs ist zulässig , weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist; er ist auch berechtigt .
I. Rechtsmittelvorbringen:
Die Revisionrekurswerberin legt dar, dass das Eigentumsrecht an der Kunstsammlung unstrittig der Privatstiftung übertragen worden sei. Eine Aufnahme in das Inventar komme daher nicht in Betracht. Die Frage des Vermögensopfers habe darauf keinerlei Einfluss. Der Oberste Gerichtshof habe bereits in 8 Ob 115/11m ausgesprochen, dass in eine Privatstiftung übertragene Anteile nicht zu inventarisieren seien, ein allfälliger Schenkungspflichtteil sei mit Klage durchzusetzen, wo dem Kläger erforderlichenfalls Rechnungslegungs- und Auskunftsansprüche zustünden. Auch in seinen Entscheidungen 6 Ob 2332/96a und 8 Ob 10/99z habe der Oberste Gerichtshof ausgeführt, dass ein Fruchtgenussrecht einen allfälligen Sachbesitz des Erwerbers (hier: der Privatstiftung) nicht ausschließe. Der Eigentümer, der ein Fruchtgenussrecht einräume, bleibe Sachbesitzer und der Fruchtgenussberechtigte Rechtsbesitzer, was nach der Judikatur aber nicht dafür ausreiche, eine Sache in das Inventar aufzunehmen.
Rechtliche Beurteilung
II. Dem ist zu folgen:
II.1. Nach § 166 Abs 1 AußStrG dient das Inventar als vollständiges Verzeichnis der Verlassenschaft (§ 531 ABGB), nämlich aller körperlichen Sachen und aller vererblichen Rechte und Verbindlichkeiten des Verstorbenen und ihres Werts im Zeitpunkt seines Todes. Nach Abs 2 leg cit hat das Gericht, wenn die Behauptung bestritten wird, dass eine Sache zum Verlassenschaftsvermögen zählt, darüber zu entscheiden, ob die Sache in das Inventar aufgenommen bzw ausgeschieden wird. Befand sich die Sache zuletzt im Besitz des Verstorbenen, so ist sie nur auszuscheiden, wenn durch unbedenkliche Urkunden bewiesen wird, dass sie nicht zum Verlassenschaftsvermögen zählt.
Nach der Konzeption des neuen AußStrG sollen allzu komplizierte Zuordnungsfragen zur Vermeidung von Verzögerungen des Verlassenschaftsverfahrens nicht vom Verlassenschaftsgericht entschieden werden, weshalb § 166 Abs 2 AußStrG das Verfahren über die Einbeziehung oder Ausscheidung von Nachlassgegenständen aus dem Inventar auf ein reines Urkundenverfahren durch unbedenkliche Urkunden beschränkt (2 Ob 55/15z; 6 Ob 287/08m; RIS‑Justiz RS0121985).
II.2. Im Gegensatz zur früheren, auf die Rechtslage nach § 97 Abs 1 AußStrG 1854 zurückgehenden Rechtsprechung, wonach der Besitz für sich alleine – und nicht bloß aufgrund seiner Indizfunktion – Grundlage der Inventarisierung war, kommt es nunmehr nach § 166 Abs 1 AußStrG 2005 auf die Zugehörigkeit einer Sache zum Nachlass an, worunter bei körperlichen Sachen grundsätzlich die sachenrechtliche Zuordnung zum Vermögen des Erblassers – also das Eigentum – zu verstehen ist. Der Besitz begründet dagegen nach der Regel des § 166 Abs 2 AußStrG nur eine Vermutung der Nachlasszugehörigkeit, die durch unbedenkliche Urkunden widerlegt werden kann (2 Ob 55/15z; 4 Ob 166/14m).
II.3. Nach der ständigen Judikatur sind grundsätzlich zu Lebzeiten des Erblassers verschenkte Sachen, die sich im Zeitpunkt seines Todes nicht mehr in seinem Besitz befinden, nicht in das Inventar aufzunehmen (RIS‑Justiz RS0007869; 2 Ob 192/98v; 10 Ob 124/14p). Auch zu Lebzeiten des Erblassers verschenkte Liegenschaften gehören daher nicht zum Nachlass und sind nicht zu inventarisieren, wenn das Eigentumsrecht des Übernehmers im Zeitpunkt des Todes des Übergebers bereits verbüchert war (1 Ob 124/14p; 2 Ob 189/11z). Rechte, die nicht dem Verstorbenen zustanden, können kein Bestandteil des Inventars sein (8 Ob 115/11m).
II.4. Im Gegensatz dazu sind auf den Todesfall geschenkte Sachen zum Zeitpunkt des Todes noch Vermögen des Geschenkgebers und daher in sein Inventar aufzunehmen (RIS‑Justiz RS0007843; 4 Ob 143/13b; 2 Ob 154/11b; 2 Ob 148/10v; 2 Ob 226/09p; 10 Ob 58/08i; 6 Ob 37/02p). Hat allerdings der Erblasser die Liegenschaft nach Verfassung einer verbücherungsfähigen Vertragsurkunde dem Beschenkten (Übernehmer, Erwerber) tatsächlich übergeben, gehört sie ebenfalls nicht zum Nachlass, und ist auch nicht zu inventarisieren (2 Ob 154/11b, 7 Ob 31/01m; 8 Ob 10/99z ua RIS‑Justiz RS0007860 [T2], RS0007872).
II.5. Wegen dieser ausdrücklich sachenrechtlichen Anknüpfung des § 166 AußStrG ist die den Schenkungspflichtteil in Zusammenhang mit der Frage, wann eine Schenkung iSd § 785 ABGB „gemacht“ (bzw nach § 782 Abs 1 idF ErbRÄG 2015, BGBl I 2015/87 „wirklich gemacht“) ist, betreffende Vermögensopfertheorie für den Bereich der Inventarisierung im Verlassenschaftsverfahren grundsätzlich nicht relevant.
II.6. Was die vom Rechtsmittelwerber aufgeworfene Frage der sachenrechtlichen Zuordnung betrifft, weist er zutreffend daraufhin, dass das AußStrG keinen eigenständigen Besitzbegriff kennt, weshalb von der Anwendbarkeit der einschlägigen Bestimmungen des ABGB auszugehen ist (2 Ob 55/15z, 2 Ob 154/11b; 6 Ob 213/09f; 6 Ob 287/08m iFamZ 2009/2012 [ W. Tschugguel ] = ecolex 2009/223 [ Verweijen ] = EF‑Z 2010/51 [ Dullinger ]). Danach sind unter „Besitz“ nur der Sachbesitz und der Rechtsbesitz, nicht aber die bloße Innehabung zu verstehen (RIS‑Justiz RS0007809; 6 Ob 213/09f).
Nach 8 Ob 10/99z genügt der reine Rechtsbesitz nicht, um eine Sache in das Inventar aufzunehmen (dort Dienstbarkeit der Wohnung). Auch in 6 Ob 2332/96a wurde ausgesprochen, dass der außerbücherliche Eigentümer, der ein Fruchtgenussrecht einräumt, Sachbesitzer bleibt, er hat die Liegenschaft in seiner Gewahrsame und will sie auch als die seine behalten. Hingegen übt der Fruchtgenussberechtigte ein auf Dauer angelegtes, mit Innehabung der Sache verbundenes Gebrauchsrecht im eigenen Namen aus und ist deshalb Rechtsbesitzer. Die davon betroffene Liegenschaft sei daher nicht zu inventarisieren.
Da somit bereits der reine Rechtsbesitz des Verstorbenen nicht ausreichend ist, um zu einer Inventarisierung zu führen, kommt es auf die Frage des Verzichts darauf nicht mehr an.
II.7. Im vorliegenden Fall hat der Verstorbene auch seine Kunstsammlung vor seinem Tod der Privatstiftung geschenkt und sich den Fruchtgenuss daran vorbehalten. Er war daher insoweit ebenfalls als Rechtsbesitzer anzusehen, was nach dem oben Gesagten aber für die Aufnahme in das Inventar nicht ausreichend ist.
II.8. Im Übrigen führt bereits § 529 ABGB ebenfalls zu diesem Ergebnis, weil danach persönliche Servituten, wie der Fruchtgenuss nach § 509 ABGB, grundsätzlich mit dem Tod des Berechtigten enden, und daher bereits aus diesem Grund eine Inventarisierung in seinem Verlassenschaftsverfahren nicht in Frage kommt.
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