European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E131431
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
I. Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
II. Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 418,78 EUR (darin 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die beiden (im Oktober 2011 und Jänner 2013 geborenen) Kinder des Klägers waren in der Zeit vom 13. 11. 2017 bis 28. 7. 2018 „fremduntergebracht“. Die Eltern zogen ihre zunächst erteilte Zustimmung am 7. 12. 2017 zurück. Ab diesem Zeitpunkt beruhte der Aufenthalt der Kinder in einem Krisenzentrum und (ab 8. 1. 2018) in einer Wohngemeinschaft auf einer von der Beklagten als zuständigem Kinder- und Jugendhilfeträger (im Weiteren kurz: KJHT) gesetzten vorläufigen Maßnahme.
[2] Der Kläger begehrt von der Beklagten gestützt auf das AHG Schmerzengeld (2.000 EUR) und Verdienstentgang (3.025,99 EUR) sowie die Feststellung ihrer Haftung für sämtliche künftigen, noch nicht bekannten Schäden „aus der unrechtmäßigen Kindesabnahme“. Dazu brachte er (zusammengefasst und ohne Befassung mit Widersprüchlichkeiten) vor, er sei im Zeitpunkt der Aufnahme der Kinder in der Kriseneinrichtung von der Ehewohnung weggewiesen gewesen; in einer anonymen Anzeige sei behauptet worden, beide Eltern seien psychisch instabil und die Kinder oft krank und armutsgefährdet. Er sei aber tatsächlich zu keinem Zeitpunkt überfordert gewesen, habe derartiges auch nicht geäußert und sei vielmehr bereit und willens gewesen, die Kinder bei sich aufzunehmen und mit dem Jugendamt zusammenzuarbeiten, gelindere Mittel hätten ausgereicht. Wäre vor der gegen den Willen der Eltern erfolgten Überführung der Kinder in eine Wohngemeinschaft ein (gebotenes) psychologisches Sachverständigengutachten eingeholt worden, hätte sich ergeben, dass das Kindeswohl zu keiner Zeit gefährdet gewesen und die Voraussetzungen für eine Kindesabnahme nicht vorgelegen seien.
[3] Diese ungerechtfertige Kindesabnahme sei ein massiver Eingriff in das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art 8 EMRK gewesen und habe bei ihm zu einer massiven psychischen Störung geführt. Er leide seither an emotionalem Stress, Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Dies wirke sich insbesondere am Arbeitsplatz negativ aus. Er habe Freunde und Bekannte verloren, fühle sich ausgelaugt, müde, ängstlich und stimmungsschwankend. Seine psychischen Störungen hätten Krankheitswert. Da die Kindesabnahme an seinem Arbeitsplatz Gesprächsthema geworden sei, habe er im Mai 2018 einer einvernehmlichen Auflösung seines seit 2002 bestehenden Dienstverhältnisses zugestimmt, was zu einem (näher dargelegten) Verdienstentgang geführt habe. Dieser stehe in einem kausalen Zusammenhang mit der rechtswidrigen Kindesabnahme.
[4] Die Beklagte bestritt jedes rechtswidrige und schuldhafte Verhalten von Seiten der in Wahrnehmung ihrer Aufgaben als KJHT tätigen Personen. Unter Darlegung eines gänzlich anderen Sachverhalts behauptete sie, die Kinder wären bei einer Übergabe in die Obhut ihrer Eltern einer massiven Gefährdung ausgesetzt gewesen. Deswegen habe sich „das Jugendamt“ für die Übernahme in die volle Erziehung entschieden. Die Gefährdungseinschätzung zum Zeitpunkt der Aufnahme der Kinder im Krisenzentrum sei nachvollziehbar gewesen und die (jedenfalls vertretbare) Entscheidung über den Verbleib der Kinder nach sorgfältiger Abwägung und ausreichender Informationsbeschaffung getroffen worden. Das begehrte Schmerzengeld bestritt sie zur Verursachung (weil der Kläger bereits vor der Unterbringung der Kinder an psychischen Problemen gelitten habe) und als überhöht. Die einvernehmliche Beendigung seines Dienstverhältnisses stehe in keinem Zusammenhang mit einem Fehlverhalten des KJHT. Mangels vorfallskausaler Dauer- oder Folgeschäden sei auch das Feststellungsbegehren nicht gerechtfertigt.
[5] Das Erstgericht wies die Klage ohne Durchführung eines Beweisverfahrens (und nur auf Grundlage der Behauptungen des Klägers) als unschlüssig ab. Es vertrat die Auffassung, es müsse nicht geprüft werden, ob die vom KJHT gesetzte bzw aufrecht erhaltene Maßnahme ex ante betrachtet rechtswidrig und unvertretbar gewesen sei, da es zwischen den vom Kläger geltend gemachten Schäden und der behauptetermaßen verletzten Norm am Rechtswidrigkeitszusammenhang mangle. Der Normzweck von § 211 Abs 1 zweiter Satz ABGB iVm § 181 Abs 1 ABGB, erstrecke sich – wie der Zweck des Pflegschaftsverfahrens (überhaupt) – nur auf das Kindeswohl. Daher sei nur der Pflegebefohlene – und nicht auch ein Dritter – geschützt. Soweit der Kläger seine Ersatzansprüche auf eine Verletzung des Art 8 Abs 1 EMRK stütze, sei ihm freilich zuzugestehen, dass hoheitliche Verfügungen über die Obsorge das Grundrecht auf Achtung des Familienlebens nach Art 8 MRK verletzen können. Doch könne Art 8 EMRK selbst nicht als Schutzgesetz iSd § 1311 Satz 2 ABGB („Gesetz, das den zufälligen Beschädigungen vorzubeugen sucht“) angesehen werden, zumal diese Norm keineswegs gebotenes bzw verbotenes Verhalten genau bestimme. Darüber hinaus ziele Art 8 EMRK mit seiner Bezugnahme auf das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens deutlich auf den Schutz anderer Rechtsgüter als jene des Vermögens oder der Gesundheit ab. Der Schutz der Vermögensinteressen sowie der gesundheitlichen Integrität des Klägers scheine daher durch die hier vom KJHT – nach dem zugrundezulegenden Klagevorbringen – (angeblich) verletzten Verhaltensnormen nicht intendiert und die behaupteten Beeinträchtigungen bloße Nebenwirkungen zu sein. Die Klage des – insoweit nur mittelbar geschädigten – Klägers sei daher schon auf Grundlage des eigenen Vorbringens abzuweisen, ohne dass es eine Beweisaufnahme und darauf gründender Feststellungen bedürfe.
[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und hob das Ersturteil im Umfang des abgewiesen Begehrens auf Zahlung von Schmerzengeld und der Feststellung der Haftung auf. Zum begehrten Verdienstentgang bestätigte es die Entscheidung. Zwar pflichtete es dem Erstgericht darin bei, dass auch im Bereich der Amtshaftung der Grundsatz gelte, dass aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens nur für jene Schäden zu haften sei, welche die übertretene Verhaltensnorm gerade verhindern sollte, bejahte jedoch bezüglich des behaupteten Gesundheitsschadens den Rechtswidrigkeitszusammenhang. Es führte aus, die (elterliche) Obsorge ordne der mit der Obsorge betrauten Person nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte zu. Den sich aus der Obsorge ergebenden Rechten komme absoluter Schutz zu. Werde ein absolutes – also ein gegenüber jedermann geschütztes – Rechtsgut (zB die körperliche Integrität oder das Eigentum) verletzt, so befinde sich der Träger des verletzten Rechtsguts jedenfalls im persönlichen Schutzbereich des übertretenen Schutzgesetzes. Im konkreten Fall sei zunächst festzuhalten, dass der Kläger als Vater der beiden minderjährigen Kinder eindeutig vom persönlichen Schutzbereich der Normen über die behördliche Obsorgeübertragung erfasst werde. Mit der gegenständlichen Entscheidung sei in das Obsorgeverhältnis zu seinen Kindern eingegriffen und ihm damit auch Rechte entzogen worden. Er sei daher keinesfalls bloß mittelbar Geschädigter. Hinsichtlich der behaupteten psychischen Beeinträchtigungen sei auch der sachliche Rechtswidrigkeitszusammenhang zu bejahen. Die Pflege, Erziehung und vor allem auch die Bestimmung des Aufenthalts des Kindes im Rahmen der elterlichen Obsorge solle zweifelsohne auch die „emotionale Verbundenheit zwischen Kind und Eltern schützen“. Die psychische Beeinträchtigung eines Elternteils infolge einer (behauptetermaßen) rechtswidrigen Obsorgeentziehung könne daher als Schaden am geschützten Rechtsgut selbst (psychische Integrität im Rahmen des Eltern-Kind-Verhältnisses), jedenfalls aber als adäquater Folgeschaden betrachtet werden. Die Abweisung des Klagebegehrens auf Schmerzengeld wegen der erlittenen psychischen Beeinträchtigungen sowie auch des Feststellungsbegehrens, zu welchem zukünftige Schäden wegen der weiter wirkenden psychischen Beeinträchtigung behauptet würden, allein aus dem Grund des mangelnden Rechtswidrigkeitszusammenhangs erweise sich somit als nicht berechtigt.
[7] Zum geltend gemachten Begehren auf Ersatz des Verdienstentgangs bestätigte das Berufungsgericht die Entscheidung des Erstgerichts, weil es sich eindeutig um einen bloßen Folgeschaden handle, der nicht adäquat verursacht worden sei. An der Adäquanz fehle es, wenn die Möglichkeit eines bestimmten Schadenseintritts so weit entfernt gewesen sei, dass vernünftigerweise eine solche Schädigung nicht in Betracht gezogen zu werden brauchte und das schädigende Ereignis für den eingetretenen Schaden nach der Lebenserfahrung gleichgültig sei. Dies sei insbesondere anzunehmen, wenn – wie hier – als weitere Ursache für einen Schaden ein freies menschliches Handeln (die Informationserteilung durch den Kläger selbst und die nachfolgende einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses) hinzukomme, mit dem der Schädiger nach der Lebenserfahrung nicht zu rechnen brauchte.
[8] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision und der Rekurs zulässig seien, weil zur Frage des Rechtswidrigkeitszusammenhangs zwischen einer behördlich verfügten Obsorgeübertragung und einer dadurch verursachten psychischen Beeinträchtigung sowie der Erschwerung des beruflichen Fortkommens keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.
[9] Gegen die Bestätigung der Abweisung seines Begehrens auf Ersatz von Verdienstentgang richtet sich die Revision des Klägers, gegen die Aufhebung und Zurückverweisung der Rechtssache im Umfang des Begehrens auf Schmerzengeld und auf Feststellung der Haftung der Rekurs der Beklagten. In ihren Rechtsmittelbeantwortungen beantragen beide Parteien jeweils, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben und die Entscheidung des Berufungsgerichts insoweit zu bestätigen.
Rechtliche Beurteilung
[10] Zu I.: Der Rekurs der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
[11] 1. Die Beklagte betont in ihrem Rekurs, dass auch im Gebiet des Amtshaftungsrechts immer nur jene Schäden zu ersetzen seien, deren Eintritt die übertretene Vorschrift gerade verhindern wolle oder deren Verhinderung zumindest mitbezweckt sei. Sowohl § 181 Abs 1 Satz 1 ABGB als auch § 211 Abs 1 ABGB zielten schon nach ihrem Wortlaut auf die „Sicherung des Wohles des Kindes“ bzw die „Wahrung des Wohles eines Minderjährigen“ ab. Der Schutz der gesundheitlichen Integrität oder sonstige Interessen der Obsorgeberechtigten sei von diesen Bestimmungen nicht bezweckt, sodass die vom Kläger vorgebrachte Beeinträchtigung seiner Gesundheit ein nicht ersatzfähiger mittelbarer Schaden sei, zumal es für die Erstreckung des Schutzzwecks auf Dritte (unter Verweis auf Rummel in seiner Glosse zu 1 Ob 97/07g, ÖBA 2008, 584) eine überzeugende Ableitung geben müsse. Die Formulierung „wem immer“ in § 1 Abs 1 AHG sei einschränkend auszulegen. Zur Einschränkung des Rechtsschutzes auf den Schutz der Minderjährigen führt sie die Entscheidungen zu 1 Ob 37/89, 1 Ob 97/07g und 1 Ob 95/12w ins Treffen, in denen (wenn auch in Bezug auf erwachsene Pflegebefohlene) ausgesprochen worden sei, dass die Fürsorge- bzw Überwachungspflicht des Gerichts (nur) den Pflegebefohlenen schütze (was auch für Minderjährige, die ebenso Pflegebefohlene seien, zu gelten habe).
[12] 2. Dem stellt der Kläger in seiner Rekursbeantwortung entgegen, dass es im vorliegenden Fall um das Recht auf persönlichen Verkehr zwischen Eltern und Kindern als allgemein anerkanntes Menschenrecht gehe. Dieses Recht sei nach der Rechtsprechung des Höchstgerichts (9 Ob 28/14d) von Dritten zu respektieren. Die von der Beklagten zitierten Entscheidungen 1 Ob 97/07g und 1 Ob 95/12w seien nicht einschlägig, da die (dort beurteilte) Rechtsbeziehung eines Erwachsenenvertreters zu einem Pflegebefohlenen nicht mit der grundrechtlich geschützten Eltern‑Kind‑Beziehung vergleichbar sei.
[13] 3. Die Parteien und Vorinstanzen gingen – unter Hinweis auf Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (so schon 1 Ob 776/82; RIS‑Justiz RS0120111; dies zuletzt offenlassend 1 Ob 4/12p und 1 Ob 164/20d) – davon aus, dass der KJHT hoheitlich handelt (und damit seine Mitarbeiter insoweit [von § 9 Abs 5 AHG geschützte] Organe iSd § 1 Abs 2 AHG sind), wenn er gemäß § 211 Abs 1 Satz 2 ABGB Maßnahmen der Pflege und Erziehung vorläufig mit Wirksamkeit bis zur gerichtlichen Entscheidung selbst trifft (ebenso etwa Schragel, AHG3 § 1 Rz 108; Mader in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1 AHG Rz 39; Kerschner/Sagerer-Forić/Schoditsch,Bürgerliches Recht V Familienrecht7 Rz 7/3; Schwaighofer in Fuchs/Ratz, WK StPO § 78 Rz 15 [Stand 22. 2. 2017, rdb.at] und wohl auch Beck,Kindschaftsrecht [2009] Rz 259, zur Rechtslage vor dem KindNamRÄG 2013 unter Hinweis auf die gebotene Gewaltentrennung).
[14] Dieser Rechtsprechung steht die gegenteilige und dies verneinende Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts gegenüber (privatrechtliche Tätigkeit: VfGH G 47/87 VfSlg 11.492 [vorläufige Maßnahmen der Erziehungshilfe; insbes zur Aufenthaltsbestimmung des Kindes]; B 750/87 VfSlg 11.498 [Unterbringung in einer Pflegefamilie]; B 1874/88 VfSlg 12.073 [zur Anordnung von Erziehungshilfe gegen den Willen der Eltern und provisorischen Maßnahmen nach § 26 Abs 2 JWG]; B 881/06 VfSlg 18.154 [vorläufige Maßnahmen des Jugendwohlfahrtsträgers]; VwGH 93/11/0221 VwSlg 14.326 A/1995 [zu Sofortmaßnahmen nach § 42 Slbg JWO 1992 iVm § 215 Abs 1 Satz 2 ABGB aF]).
[15] Der Gesetzgeber eröffnete anlässlich des Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetzes 2013 (KindNamRÄG 2013; BGBl I 2013/15) dem Kind und den Eltern (präziser: der Person, in deren Obsorge eingegriffen wurde) mit Einführung der Bestimmung des § 107a AußStrG die Möglichkeit, einen Ausspruch des Pflegschaftsgerichts darüber zu erwirken, ob die vom KJHT gesetzte Maßnahme unzulässig oder vorläufig zulässig ist (Abs 1 leg cit) bzw unzulässig war (Abs 2 leg cit). In den Gesetzesmaterialien wird ausdrücklich ausgeführt, dass der Jugendwohlfahrtsträger durch sein faktisches Handeln im Zuge einer Maßnahme der Pflege und Erziehung bei Gefahr in Verzug „im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung“ agiert (ErläutRV 2004 BlgNR 24. GP 9, s auch 5). Mit Einführung der Möglichkeit eines Ausspruchs des Pflegschaftsgerichts über die Unzulässigkeit der vorläufigen Maßnahme, der deren sofortige Beendigung durch den KJHT zu folgen hat (ErläutRV aaO 40; s auch die in § 107a Abs 1 AußStrG gebrauchte Formulierung „Erklärt das Gericht die Maßnahme für unzulässig, so kommt dieser Entscheidung vorläufige Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit zu“), wäre bei Einordnung als hoheitliche Maßnahme (einer Verwaltungsbehörde) gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung (nach Art 94 B‑VG idF StGB 1945/4, s nun Art 94 Abs 1 B‑VG) verstoßen worden (Art 94 Abs 2 B‑VG idF BGBl I 2013/114, der eine Ausnahme davon, aber nur für „einzelne Angelegenheiten“, zulässt, trat erst später in Kraft). Es wäre einem Gericht eingeräumt worden, im ordentlichen Rechtsweg über die Rechtmäßigkeit der von einem Organ ausgeübten unmittelbaren Befehls- und Zwangsgewalt (also einem Verwaltungshandeln in Vollziehung der Gesetze) entscheiden zu können.
[16] Der erkennende Senat als Fachsenat in Amtshaftungsfragen schließt sich auch angesichts der klaren Aussagen in der jüngeren Gesetzgebung daher – in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung in dieser Frage – der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts und der überwiegenden Lehre an (Cohen/Tschugguel in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.05 § 211 Rz 6; Kathrein in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 215 ABGB Rz 15; Weitzenböck in Schwimann/Kodek 5,§ 211 ABGB Rz 3, je mwN, ua), dass der Kinder‑ und Jugendhilfeträger, wenn er eine vorläufige Maßnahme nach § 211 ABGB setzt, nicht hoheitlich sondern privatrechtlich tätig wird.
[17] 4. Zum Rechtswidrigkeitszusammenhang:
[18] 4.1. Fehlt es am Rechtswidrigkeitszusammenhang, dann ist eine Klage nicht schlüssig, weil sich die geltend gemachte Forderung bzw das Klagebegehren nicht als Rechtsfolge des vom Kläger behaupteten Sachverhalts ergibt. Die wesentliche Fragestellung des Rechtswidrigkeitszusammenhangs ist, ob der durch das (unterstelltermaßen) rechtswidrige und schuldhafte Verhalten herbeigeführte Schaden vom Schutzzweck der in Betracht kommenden Norm(en) erfasst wird (s nur RS0027553; RS0022933 uva), nicht aber, ob das behauptete Verhalten tatsächlich gesetzt wurde, rechtswidrig ist oder Verschulden vorliegt (vgl auch Welser, Der OGH und der Rechtswidrigkeitszusammenhang, ÖJZ 1975, 1 ff).
[19] 4.2. Ohne die eingrenzende Wirkung des Schutzzwecks drohte eine abzulehnende Uferlosigkeit der Haftpflicht. Nicht jeder Schutz, den die Verhaltensnorm tatsächlich bewirkt, ist auch von deren Schutzzweck erfasst (RS0027553 [T14]; RS0022813 [T16]; RS0031143 [T19, T22]). Nach ständiger Rechtsprechung ist aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens nur für jene verursachten Schäden zu haften, die vom Schutzzweck der (Gebots- oder Verbots-)Norm erfasst werden, weil sie (auch) diese Schäden verhindern wollte (1 Ob 212/19m; 6 Ob 78/20v je mwN; vgl zum personalen, sachlichen und modalen Schutzbereich: Karner in KBB6 § 1311 ABGB Rz 5 mwN bzw Karollus, Funktion und Dogmatik der Haftung aus Schutzgesetzverletzungen, 339 f zur Schutzausrichtung auf den eingetretenen Schaden seiner Art nach [sachlicher oder gegenständlicher Schutzbereich], auf seine konkrete Entstehungsweise [modaler Schutzbereich] und auf die Person des Geschädigten [persönlicher Schutzbereich]). Die Fragestellung der Normzweckprüfung ist teleologisch ausgerichtet und stellt darauf ab, welcher Zweck mit der in ihrem primären Normgehalt festgehaltenen Anordnung (zumindest mit-)verfolgt wird (1 Ob 212/19m).
[20] Für den vorliegenden Fall gilt es daher zu prüfen, welchen Zweck jene Normen haben, die das Verhältnis zwischen Eltern und ihren Kindern regeln, insbesondere, ob die elterliche Obsorge gegenüber dem KJHT absolut geschützte Rechte begründet und – für den Fall, dass diese Frage bejaht wird – welche Schäden dem Obsorgeberechtigten bei einem rechtswidrigen und schuldhaften Eingriff (durch eine Maßnahme nach § 211 Abs 1 Satz 2 ABGB) zu ersetzen sind.
[21] 4.3. Familiäre Rechtsbeziehungen entfalten ihre Wirkung zwar in erster Linie unter den Angehörigen und haben somit relativen Charakter. Dennoch müssen sie in gewissem Umfang auch von Dritten respektiert werden, die nicht willkürlich in diese Rechtsbeziehung eingreifen dürfen. Insofern sind manche Familienrechte zugleich als absolute Rechte ausgestaltet (so schon Schwind in Klang 2 I/1 759 f; Koziol-Welser/Kletečka BR I15 Rz 1405 ua; 4 Ob 186/09w).
[22] Das auf engen verwandtschaftlichen Beziehungen beruhende Eltern-Kind-Verhältnis begründet ein von der Rechtsordnung anerkanntes (lebenslanges) Rechtsverhältnis (s RS0125603; RS0047754 [T28] zum nach § 16 ABGB und Art 8 EMRK geschützten Streben nach gegenseitigem persönlichen Kontakt und Zugang). Art 8 Abs 1 EMRK schützt das Privat- und Familienleben. Dass auch elterliche Rechte in den Schutzbereich des Art 8 EMRK fallen (3 Ob 3/11d; 6 Ob 177/20b mwN) und der Grundsatz der Familienautonomie (gerade auch im Bereich der Obsorge) zu beachten ist, ist anerkannt (Gitschthaler in Schwimann/Kodek, ABGB5 I § 139 Rz 1; Fischer-Czermak in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.05 § 139 Rz 1; Kutscher/Wildpert, Personenstandsrecht2 § 139 ABGB [Stand 1. 7. 2015, rdb.at]; Weitzenböck in Schwimann/Neumayr, ABGB TaKom5 § 139 ABGB Rz 2; siehe auch § 182 ABGB und Art 2 1. ZPEMRK [Art 14 GRC]).
[23] 4.4. Die Obsorge (als Bündel von Rechten und Pflichten) steht in aller Regel einem oder beiden Elternteilen zu (§ 177 ABGB). § 211 Abs 1 ABGB räumt dem KJHT aber das Recht ein, bei Gefahr im Verzug „die erforderlichen Maßnahmen der Pflege und Erziehung“ vorläufig (mit Wirksamkeit bis zur gerichtlichen Entscheidung) selbst zu treffen; im Umfang der getroffenen Maßnahme ist er vorläufig mit der Obsorge betraut.
[24] Schon in der Anordnung des § 138 ABGB, wonach in allen das minderjährige Kind betreffenden Angelegenheiten, insbesondere der Obsorge und der persönlichen Kontakte, „das Wohl des Kindes als leitender Gesichtspunkt zu berücksichtigen und bestmöglich zu gewährleisten“ ist, offenbart sich (was auch zwischen den Parteien unstrittig ist), dass die Regelungen über die Rechte zwischen Eltern und Kindern primär den Zweck verfolgen, das Wohl des Kindes zu wahren. Dies gilt zweifelsohne vorrangig auch für jene (ebenfalls in dem den „Personen-Rechte[n]“ gewidmeten Teil des ABGB enthaltenen) Bestimmungen, die die „Aufgaben des Kinder- und Jugendhilfeträgers“ umschreiben (§§ 207 bis 212). Gerade § 211 Abs 1 ABGB verdeutlicht dies, geht es doch ausdrücklich um die „zur Wahrung des Wohles eines Minderjährigen“ erforderlichen Verfügungen.
[25] Darüber hinaus kommt im ABGB aber auch der Schutz der Eltern in Hinblick auf die Obsorge für ihre Kinder zum Ausdruck: Dritte dürfen nach § 139 Abs 1 ABGB in die elterlichen Rechte nur insoweit „eingreifen“, als ihnen dies durch die Eltern selbst, unmittelbar auf Grund des Gesetzes oder durch eine behördliche Verfügung gestattet ist. Nach den Gesetzesmaterialien sollten mit dieser Norm (damals § 137a ABGB idF BGBl 1977/403) die Rechte der Eltern Dritten gegenüber geschützt werden; sie sollte auch Grundlage für deren rechtlich durchsetzbaren Anspruch an Dritte, Eingriffe in die elterlichen Befugnisse zu unterlassen, sein (ErläutRV 60 BlgNR 14. GP 19).
[26] Als „Eingriff“ iSd § 139 ABGB ist jede Art von Beeinträchtigung der elterlichen Rechte durch Dritte zu verstehen, also auch vorübergehende Beschränkungen (Gitschthaler aaO Rz 3; vgl auch Fischer-Czermak aaO Rz 4, die als einen unmittelbar aufgrund des Gesetzes beruhenden Eingriff die Maßnahme nach § 211 ABGB nennt).
[27] Der KJHT darf nach ständiger Rechtsprechung in familiäre Rechte und Beziehungen aber nur dann und nur so weit eingreifen, als dies zur Gewährleistung des Kindeswohls notwendig „und im bürgerlichen Recht“ vorgesehen ist (5 Ob 17/17m). Wenn er nach § 211 Abs 1 Satz 2 ABGB nur bei Gefahr im Verzug (also bei Vorliegen einer offenkundigen [akuten] Gefährdung des Kindeswohls und der Notwendigkeit der raschen Änderung dieses Zustands: 5 Ob 33/15m mwN; vgl auch RS0128436; RS0048633 [T15]) die erforderlichen Maßnahmen der Pflege und Erziehung vorläufig mit Wirksamkeit bis zur gerichtlichen Entscheidung selbst treffen kann, liegt im Bestehen einer akuten Gefährdung des Kindeswohls die Voraussetzung für sein Einschreiten und zugleich die (gesetzliche) Rechtfertigung für den ansonsten nach § 139 ABGB (auch zum Schutz der Eltern) verpönten Eingriff in die „elterlichen Rechte“. Dies hat der Gesetzgeber auch anlässlich der Einführung des § 107a AußStrG mit dem KindNamRÄG 2013 bekräftigt, weil nicht nur auf Antrag des Kindes, sondern auch „der Person, in deren Obsorge eingegriffen wurde“, auszusprechen ist, ob die Maßnahme des KJHT unzulässig oder vorläufig zulässig ist (bzw unzulässig war). Ziel dieser Bestimmung war – wegen des mit einer vorläufigen Maßnahme des KJHT in der Regel verbundenen Eingriffs in das Privat- und Familienleben – eine Verbesserung des Rechtsschutzes nicht nur für die Kinder, sondern (ausdrücklich auch) für die (mit der Obsorge betrauten) Eltern (ErläutRV aaO 39 f).
[28] Zusammenfassend ist dem Berufungsgericht daher darin zuzustimmen, dass dem Obsorgerecht (hier des Vaters) absoluter Schutz – mit der Konsequenz eines (potentiellen) Schadenersatzausspruchs bei unberechtigtem Eingriff) – zukommt (s auch Gitschthaler aaO § 158 Rz 6 f; Hopf/Höllwerth in KBB6 § 158 ABGB Rz 2; Barth in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 137a ABGB Rz 5; Karner, Besuchsrechtsvereitelung und Schadenersatz – Ein Paradigmenwechsel?, ÖJZ 2011, 572 ff) und zwar nicht nur im Verhältnis zum anderen Elternteil (dazu 3 Ob 505/96 = SZ 70/163; 4 Ob 86/11x = SZ 2011/48; 3 Ob 86/16t; idS auch 3 Ob 23/19g), sondern auch im Verhältnis zum KJHT (zur grundsätzlichen Bejahung der Möglichkeit von Schadenersatzansprüchen bei Eingriff in das Eltern-Kind-Verhältnis durch einen Dritten vgl 2 Ob 180/17k mwN).
[29] 4.5. Der Kläger behauptet, der rechtswidrige Eingriff in seine Obsorge habe eine Gesundheitsbeeinträchtigung mit Krankheitswert, also eine „Verletzung an der Gesundheit“, somit eine massive Einwirkung in die psychische Sphäre, verursacht (RS0030778).
[30] Zur Frage, ob ein solcher Schaden, wenn er durch eine widerrechtliche (und schuldhafte) Kindesabnahme verursacht wurde, zu ersetzen ist, pflichtet der erkennende Senat Karner (aaO 573) bei, der argumentiert, wenn es beim Schutz des Eltern‑Kind‑Verhältnisses gerade um den Schutz immaterieller Werte gehe, lege dies einen Schutz auch vor gravierenden psychischen Beeinträchtigungen besonders nahe. Eine widerrechtliche „Kindesabnahme“ ist wegen der in der Regel innigen Gefühlsbeziehung von Eltern und Kindern typischerweise geeignet, eine psychische Beeinträchtigung mit Krankheitswert bei den Eltern auszulösen.
[31] 4.6. Bei Beachtung der Schutzrichtung der maßgeblichen familienrechtlichen Bestimmungen ist (anders etwa bei vorläufigen dienstrechtlichen Maßnahmen: 1 Ob 214/15z; RS0131739) der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen einer gegen § 211 Abs 1 Satz 2 ABGB verstoßenden „Kindesabnahme“ und einem aus dieser Verletzung des Obsorgerechts eines Elternteils resultierenden Schaden in Form einer Gesundheitsschädigung mit Krankheitswert zu bejahen, weil sich ein maßgerechter Mensch angesichts der bekannten innigen Beziehung zwischen Kindern und Eltern sagen müsste (vgl Reischauer, Schmerzengeld wegen Beeinträchtigung der Eltern‑Kind‑Beziehung, ehewidrigen Verhaltens und Sachbeschädigung [§§ 145b, 1293 ff, 1325, 1311 ABGB und Art 8 MRK] – Zugleich eine Besprechung der E 4 Ob 8/11x, EF‑Z 2011, 134 [135]), dass die Abnahme des Kindes beim Obsorgeberechtigten zu einer Beeinträchtigung mit Krankheitswert führen kann und daher zu unterstellen ist, dass der Gesetzgeber auch solche Schäden hintanhalten wollte.
[32] Ein Anspruch auf Schmerzengeld für Gesundheitsbeeinträchtigungen mit Krankheitswert bei erheblicher (schuldhafter) Beeinträchtigung der Eltern-Kind-Beziehung durch den anderen Elternteil wurde in der Rechtsprechung bereits bejaht (4 Ob 8/11x; vgl auch 9 Ob 28/14d = RS0127236 [T4]). Dies muss auch für solche Eingriffe durch den KJHT gelten.
[33] 4.7. Gegen dieses Ergebnis der Bejahung des Rechtswidrigkeitszusammenhangs zwischen der behaupteten Gesundheitsverletzung und dem Verstoß gegen § 211 Abs 1 Satz 2 ABGB (und damit auch gegen § 139 ABGB) kann die Beklagte durch den von ihr gezogenen Vergleich mit einzelnen Entscheidungen keine Bedenken wecken. Das zu 1 Ob 97/07g ergangene Urteil betraf keinen Eingriff in das Eltern-Kindverhältnis, das Familienleben oder die Obsorge, sondern die Überwachung der Vermögensgebarung eines (suchtmittelabhängigen) Sachwalters für einen Betroffenen und die Frage, ob der Geschäftspartner des Betroffenen bei Auszahlung eines Kredits vor (dann versagter) Genehmigung Ersatz nach dem Amtshaftungsgesetz wegen fehlender Überwachung erhält. Dass die Überwachung des Pflegschaftsgerichts insoweit nur den Schutz der Vermögensinteressen der betroffenen Person, nicht aber von dessen Geschäftspartnern bezweckt, ist mit der hier zu beurteilenden Konstellation, in der es um den Eingriff des KJHT in die Elternrechte und die persönlichen Beziehungen geht, nicht vergleichbar. Dies trifft auch für die beiden anderen genannten Entscheidungen zu, die Maßnahmen der Vermögensverwaltung bzw deren Überwachung zum Gegenstand hatten (1 Ob 37/89 [pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Überlassung bestimmter Geldbeträge der betroffenen Person an die Ausgedingeverpflichteten] und 1 Ob 95/12w [pflegschaftsgerichtliche Genehmigung eines vom gesetzlichen Vertreter für seine Kinder abgeschlossenen Kreditvertrags samt Verpfändung von deren Anteilen an einer Liegenschaft]).
[34] Das vom Erstgericht zitierte Urteil zu 1 Ob 88/07h betraf den Fall einer behaupteten Schädigung der Ehefrau als Angehörige ihres für zwei Tage in Haft genommenen Mannes. Schon damals wurde die typisierende Betrachtung als Richtschnur für die Reichweite des Schutzzwecks herangezogen und daher darauf abgestellt, ob die Verletzung der in Art 8 Abs 1 EMRK – auch auf diese Norm beruft sich der Rekursgegner – genannten Rechte (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und der Korrespondenz) durch kurzfristige Haft eines Ehegatten bei typisierender Betrachtung eine Verletzung der körperlichen Integrität bzw der geistigen Gesundheit nach sich zieht, was im konkreten Fall verneint wurde. Wenn damals geäußert wurde, dass nur bei einer Bejahung der Schutz jener Rechtsgüter als mitumfasst betrachtet werden könne, spricht dieses Urteil nicht gegen die Annahme eines Rechtswidrigkeitszusammenhangs zwischen der rechtswidrigen Übertretung der Vorschriften des § 211 Abs 1 AGBG und (damit gleichzeitig) des § 139 ABGB und einem dadurch verursachten Gesundheitsschaden des obsorgeberechtigten Elternteils. Die Beeinträchtigung durch die zweitägige Haft eines Ehepartners ist eine viel geringere als die durch „Abnahme“ eines Kindes verursachte.
[35] 5. Zusammenfassend ist daher festzuhalten:
[36] Trifft der Kinder- und Jugendhilfeträger (bei Annahme von Gefahr im Verzug) Maßnahmen der Pflege und Erziehung selbst, wird er privatrechtlich (und nicht hoheitlich) tätig.
[37] Für eine psychische Beeinträchtigung mit Krankheitswert, die beim obsorgeberechtigten Elternteil durch eine rechtswidrig und schuldhaft erfolgte „Kindesabnahme“ (als Maßnahme nach § 211 Abs 1 Satz 2 ABGB) verursacht wird, steht Schadenersatz zu.
[38] Die Klage ist demnach hinsichtlich des Schmerzengeldbegehrens und des Begehrens auf Feststellung der Haftung schlüssig und es bedarf – wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte – der Beweisaufnahme und Prüfung, ob sich die vom Kläger behaupteten Tatsachen erweisen lassen. Dem Rekurs ist daher nicht Folge zu geben.
[39] 6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO (RS0035976).
[40] Zu II: Die Revision des Klägers ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts – nicht zulässig, was nur einer kurzen Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 ZPO):
1. Das Berufungsgericht begründete seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision (gegen seine Entscheidung, mit der es die Abweisung des auf Verdienstentgang gestützten Teils des Zahlungsbegehrens bestätigte) in gleicher Weise wie die Aufhebung im Bereich des Schmerzengeldes und der Feststellung der Haftung mit dem Fehlen von höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage des Rechtswidrigkeitszusammenhangs (hier also zwischen einem behaupteten rechtswidrigen An‑sich‑Ziehen der Obsorge [ohne dass die Voraussetzungen für eine Maßnahme nach § 211 Abs 1 Satz 2 ABGB vorliegen] und der Erschwerung des beruflichen Fortkommens des Elternteils).
[41] 2. Fragen des Rechtswidrigkeitszusammenhangs werden im Rechtsmittel des Klägers aber nicht angesprochen. Das Berufungsgericht hat das Begehren auf Ersatz von Verdienstentgang zudem wegen fehlender Adäquanz abgewiesen. Der Kläger beschäftigt sich allein mit dieser Frage.
[42] Ob im Einzelfall ein bestimmter Schaden noch als adäquate Folge eines schädigenden Ereignisses anzusehen ist, betrifft aber im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO, weil dabei die Umstände des Einzelfalls maßgebend sind und der Lösung dieser Frage keine über den Anlassfall hinausgehende und daher keine erhebliche Bedeutung im Sinn der angeführten Gesetzesstelle zukommt (RS0110361 [bes T1, T3]), was insbesondere gilt, wenn der Kausalverlauf maßgeblich durch eine Willensentscheidung des Geschädigten beeinflusst wurde. Adäquitätsfragen sind daher nur dann revisibel, wenn die angefochtene Entscheidung – anders als hier – auf einer klaren Fehlbeurteilung beruht (vgl RS0110361 [T4, T11]; 4 Ob 24/18k).
[43] 3. Der Kläger brachte zum Verdienstentgang vor, die Kindesabnahme sei an seinem Arbeitsplatz Gesprächsthema geworden, er habe sich dadurch belastet gefühlt und deswegen im Mai 2018 sein Dienstverhältnis einvernehmlich beendet.
[44] Das Berufungsgericht kam zum Ergebnis, wenn der Kläger selbst vom Entzug der Obsorge am Arbeitsplatz erzählt habe und infolge der deswegen dort bekannt gewordenen Kindesabnahme im Mai 2018 mit seinem Dienstgeber die einvernehmliche Beendigung seines Dienstverhältnisses vereinbart habe, erscheine zumindest letzteres (die einvernehmliche Auflösung) völlig atypisch. Der Kläger habe auch keinerlei Vorbringen erstattet, warum und inwieweit sich die bekanntgewordene Entziehung der Obsorge negativ auf seine Beschäftigung bei der Post AG ausgewirkt haben solle. Mit einer solchen Disposition des Klägers – und auch seines Dienstgebers – im Rahmen des Arbeitsverhältnisses habe aus Sicht der Behörde bei ihrer Obsorgeentscheidung in keiner Weise gerechnet werden müssen, weswegen der behauptete Verdienstentgang sich als nicht ersatzfähiger inadäquater (Folge‑)Schaden darstelle.
[45] 4. Dass diese Beurteilung eine klare Fehlbeurteilung ist, kann der Kläger in seiner Revision nicht aufzeigen, wenn er meint, es ergäbe sich aus der Lebenserfahrung, dass jemand, dem unrechtmäßig die Obsorge über seine unmündigen Kinder gegen seinen Willen entzogen worden sei, dies auch mit einem Berufskollegen besprechen werde, und dass das „derartige Vorgehen der Behörden“ im Kreis der übrigen Mitarbeiter diskutiert werde; ebensowenig, wenn er es als „durchaus nachvollziehbar“ bezeichnet, dass ihm dies unangenehm gewesen sei. Damit befasst er sich nämlich nicht mit der Argumentation des Berufungsgerichts, welches die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Kläger als die (direkte und) maßgebliche Schadensursache (im Sinne seines freien menschlichen Handelns) angesehen hat, mit der nach der Lebenserfahrung nicht zu rechnen gewesen sei.
[46] Auf weitere Ausführungen des Klägers dazu, dass er sich „schief angeschaut“ gefühlt habe, was ein Gefühl der Minderwertigkeit bewirkt habe, ist als unzulässige Neuerung nicht einzugehen. Dies gilt auch für seine erstmalig in der Revision angestellten Überlegungen zu einer hypothetischen Kündigung und ihren Folgen (es wäre nicht sachgerecht, Schadenersatz wegen Verdienstentgangs nur dann zuzusprechen, wenn der Kläger gekündigt worden wäre). Weder wurde der Kläger gekündigt, noch hat er vorgebracht, dass er, wenn er das Arbeitsverhältnis nicht einvernehmlich aufgelöst hätte, gekündigt worden wäre. Auf seine Behauptung, er habe unter anderem an Schlaf- und Konzentrationsstörungen gelitten, die sich insbesondere am Arbeitsplatz negativ ausgewirkt hätten, kommt er nicht mehr zurück.
[47] 5. Da die Revision keine erhebliche Rechtsfrage anspricht, ist sie zurückzuweisen.
[48] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1 und 50 Abs 1 ZPO. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit des Rechtsmittels gegen ein Teilurteil findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (RS0123222 [T9]). Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen und daher Anspruch auf Ersatz der für die Revisionsbeantwortung aufgewendeten Kosten.
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