OGH 5Ob17/17m

OGH5Ob17/17m4.5.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Grohmann sowie die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj V***** S*****, geboren am ***** 2004, *****, wegen Obsorge und Kontaktrecht, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Bezirkshauptmannschaft H*****, als Jugendhilfeträger, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch, Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau als Rekursgericht vom 29. November 2016, GZ 2 R 123/16z‑830, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Horn vom 4. August 2016, GZ 10 Ps 22/13d‑824 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 9. August 2016, GZ 10 Ps 22/13d‑826, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0050OB00017.17M.0504.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Anträge des Kinder‑ und Jugendhilfeträgers und des Vaters auf Ersatz der Kosten des Rekurses bzw der Rekursbeantwortung werden zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die am ***** 2004 geborene V***** S***** entstammt der am 8. 8. 2008 rechtskräftig geschiedenen Ehe der Eltern Dr. E***** T***** und Dr. R***** S*****. Zwischen den Eltern bestehen seit Jahren massive Differenzen hinsichtlich Obsorge und Kontaktrecht, die Pflegschaftssache war bereits zweimal (5 Ob 207/08i – betreffend Zuerkennung der vorläufigen Obsorge an den Vater; 5 Ob 44/14b –betreffend ein gemäß § 107a Abs 1 AußStrG für zulässig erklärtes Einschreiten des Kinder‑ und Jugendhilfeträgers gemäß § 211 Abs 1 ABGB) Gegenstand von Entscheidungen dieses Senats. Seit dem Beschluss vom 13. 5. 2014 (ON 478), mit dem die Abnahme der Minderjährigen und ihre Unterbringung mit der Mutter im Frauenhaus aufgehoben worden war, ist der Vater durchgehend alleine mit der Obsorge betraut. Nachdem der Mutter zunächst ein vorläufiges begleitetes Kontaktrecht im Ausmaß von zuletzt (ON 564) wöchentlich drei Stunden eingeräumt worden war, kam es in der Folge – beginnend mit Beschluss des Bezirksgerichts Horn vom 17. 4. 2015 (ON 642) – zur Einräumung eines vorläufigen unbegleiteten Kontaktrechts für die Mutter im wechselndem Ausmaß. Seit 1. 6. 2015 ist die Familiengerichtshilfe in das Verfahren einbezogen, seit 14. 9. 2015 ein Kinderbeistand bestellt.

Den Beschluss des Bezirksgerichts Horn betreffend das vorläufige unbegleitete Kontaktrecht vom 9. 10. 2015 (ON 743) änderte das Landesgericht Krems über Rekurs des Vaters mit Beschluss vom 13. 1. 2016 (ON 782) dahin ab, dass der Mutter nur begleitete Besuchskontakte in der Dauer von höchstens drei Stunden in Abständen von einer Woche zukommen sollten. Die aus dem Sachverständigengutachten Mag. Kronberger aus dem Jahr 2014 (ON 474) bekannten typischen Verhaltensweisen, die auf eine dem Kindeswohl abträgliche Beeinflussung durch die Mutter schließen ließen, wie der Versuch von Druck und Beeinflussung des Helfersystems und die mangelnde Akzeptanz der Obsorgeentscheidung gepaart mit offener Bindungsintoleranz fänden sich mittlerweile dermaßen gehäuft, dass eine sofortige Korrektur der erstinstanzlichen vorläufigen Kontaktrechtsregelung notwendig sei. Dieser Beschluss erwuchs in Rechtskraft.

Bereits am 24. 11. 2015 hatte die Mutter beantragt, ihr die alleinige Obsorge für V***** zu übertragen, hilfsweise ihr und dem Vater die gemeinsame Obsorge einzuräumen.

Die Minderjährige sprach sich in ihren mit dem Kinderbeistand erarbeiteten Briefen vom 15. 12. und 22. 12. 2015 sowie 5. 2. 2016 für ein unbegleitetes Kontaktrecht zur Mutter aus, hielt aber fest, dass es ihr in der Obhut des Vaters gut gehe.

Die Familiengerichtshilfe legte am 28. 4. 2016 eine detaillierte fachliche Stellungnahme vor (ON 808), die auch auf Hausbesuche in den Haushalten des Vaters und der Mutter Bezug nahm und eine weitere Betreuung von V***** im Haushalt des Vaters bei Ermöglichung regelmäßiger Besuchskontakte der Mutter für zielführend und entwicklungsförderlich hielt.

In der Tagsatzung vom 25. 5. 2016 (ON 814) beantragte die Mutter hilfsweise, dem Vater die Obsorge zu entziehen und der Bezirkshauptmannschaft Horn zu übertragen, sowie ein umfassendes unbegleitetes Kontaktrecht.

Mit rechtskräftigem Beschluss vom 25. 5. 2016 (ON 817) wies das Erstgericht sämtliche Anträge der Mutter betreffend Obsorge ab und räumte ihr entsprechend dem Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 13. 1. 2016 (ON 782) endgültig ein begleitetes Kontaktrecht im Ausmaß von drei Stunden pro Woche im Haushalt der Mutter ein. Eine ausreichende Gesprächsbasis für eine gemeinsame Obsorge der Eltern bestehe nicht. Der Vater sei in der Lage und geeignet, die Obsorge ordnungsgemäß auszuüben und bereit angemessene Kontakte zur Mutter zu ermöglichen. Die Mutter habe sich hingegen regelmäßig nachteilig über den Vater geäußert, keine Bereitschaft zur sachlichen Kommunikation gezeigt und beharrlich Anschuldigungen gegen den Vater, seinen Vertreter und alle involvierten Stellen erhoben. Da die Mutter begleitete Besuchskontakte ablehne, sei es seit mehr als vier Monaten zu keinen Kontakten zwischen Mutter und V***** mehr gekommen. Unbegleitete Kontakte seien zwar mittel- und langfristig erforderlich, die Mutter müsse hiefür allerdings ihre Position überdenken.

Einen unmittelbar nach der Tagsatzung gestellten Antrag der Mutter auf Einräumung des Kontaktrechts in den Sommerferien und Entziehung der Obsorge des Vaters (ON 816) wies das Bezirksgericht Horn mit Beschluss vom 7. 6. 2016 (ON 818) mit Hinweis auf die Begründung des Beschlusses vom 25. 5. 2016 ebenso ab. Beide Entscheidungen sind in Rechtskraft erwachsen.

Die Bezirkshauptmannschaft Horn als Kinder‑und Jugendhilfeträger (in der Folge: KJHT) beantragte am 14. 7. 2016 „den Vater zu verpflichten, ihr gemäß § 22 B‑KJHG die Abklärung des Sachverhalts zur Gefährdungseinschätzung zu ermöglichen, sowie eine neuerliche Begutachtung durch das Gericht zwecks Klärung, ob in der aktuellen Lebenssituation beim Vater eine Kindeswohlgefährdung der Minderjährigen ausgeschlossen werden könne und ob der Umstand, dass die von der Minderjährigen gewünschten unbegleiteten Kontakte zur Mutter nicht umgesetzt worden seien, eine Kindeswohlgefährdung darstelle“ (ON 820).

Zur Begründung wurde auf das entgegen dem Wunsch von V***** reduzierte Besuchsrecht von nur drei Stunden in Begleitung verwiesen. Aus Eingaben der Mutter und ihren Hinweisen auf Wahrnehmungen von Eltern von V*****s Mitschülerinnen, wonach diese geweint habe, weil sie die Mutter nicht sehen dürfe, ergebe sich die Notwendigkeit für den KJHT mit V***** zu sprechen. Der Vater sei weder erreichbar noch kooperationsbereit. Da seit Erstattung des gerichtlichen Sachverständigengutachtens mehr als zwei Jahre vergangen seien, sei eine neuerliche Begutachtung ungeachtet des Umstands erforderlich, dass sich die Eltern in der Tagsatzung gegen eine neuerliche Begutachtung ausgesprochen hätten.

Der Vater sprach sich gegen jede weitere Maßnahme des KJHT aus. Der Mutter stehe es zu, ihr Kind jederzeit unter den Auflagen des Bezirksgerichts Horn zu sehen.

Das Erstgericht wies die Anträge des KJHT ab.

Bei der Frage, ob Maßnahmen des KJHT erforderlich seien, sei auch auf das Interesse der Eltern und der Minderjährigen an einem geordneten Leben ohne ständige Kontrolle Rücksicht zu nehmen. Konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohls gebe es abgesehen von längst vorgebrachten, nie bestätigten Behauptungen der Mutter nicht. Die Gründe dafür, weshalb entgegen dem Wunsch der Minderjährigen ein unbegleitetes Besuchsrecht– zumindest vorläufig – nicht möglich sei, seien im rechtskräftigen Beschluss vom 25. 5. 2016 ausführlich erörtert worden.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des KJHT nicht Folge. Ein begründeter Verdacht einer Gefährdung des Wohls der mj V***** durch den Vater bestehe nicht. Dass der Vater offenbar nicht mehr gewillt sei, ohne Notwendigkeit mit dem KJHT zu kooperieren, sei ihm nicht als Kindeswohlgefährdung auszulegen. Die Anträge seien ein unzulässiger Versuch, in die Rechtskraft des erstgerichtlichen Beschlusses vom 25. 5. 2016 einzugreifen, eine Änderung der Verhältnisse sei nicht behauptet worden. Durch ihre neuerlichen Interventionen beim KJHT bestätige die Mutter die ungebrochene Richtigkeit dieser Entscheidung.

Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des KJHT, in dem er auf eine Abänderung im Sinn einer Antragstattgebung abzielt, hilfsweise einen Aufhebungsantrag stellt.

Der Vater beantragt in seiner – noch vor Freistellung eingebrachten – Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

1.1. Gemäß § 62 Abs 5 AußStrG kann in einem Fall, in dem das Rekursgericht – wie hier – nach § 59 Abs 1 Z 2 ausspricht, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht nach Abs 1 zulässig ist, ein Revisionsrekurs dennoch erhoben werden, wenn der Entscheidungsgegenstand entweder 30.000 EUR übersteigt oder nicht rein vermögensrechtlicher Natur ist. Eine Zulassungsvorstellung nach § 63 Abs 3 AußStrG kommt nur im Fall eines Entscheidungsgegenstands an Geld oder Geldeswert, der insgesamt 30.000 EUR nicht übersteigt und einem Ausspruch des Rekursgerichts, der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig, in Betracht.

1.2. Ob ein Anspruch vermögensrechtlicher Natur ist, ergibt sich aus seinem materiellrechtlichen Gehalt. Als vermögensrechtliche Ansprüche können jene Ansprüche angesehen werden, die vererblich oder veräußerbar sind. Personenrechte und Familienrechte fallen nicht unter die Vermögensrechte (RIS-Justiz RS0007110; Kodek in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG § 59 Rz 13). Da die hier vom KJHT intendierten Maßnahmen hier nicht rein vermögensrechtlicher Natur sind, bestand keine Kompetenz des Rekursgerichts für die Entscheidung über die Zulassungsvorstellung des KJHT (RIS-Justiz RS0110049). Diese ist vielmehr als Begründung für die Zulässigkeit des– hier ohnedies erhobenen – außerordentlichen Revisionsrekurses zu werten. Die Vorlage an den Obersten Gerichtshof ohne (ausdrückliche) Entscheidung über die Zulassungsvorstellung ist daher nicht zu beanstanden.

2. Im Revisionsrekurs macht der KJHT geltend, es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu, ob ein obsorgeberechtigter Elternteil dazu verpflichtet werden könne, mit dem KJHT zusammenzuarbeiten, damit dieser seiner gesetzlichen Verpflichtung zur Gefährdungsabklärung nachkommen könne, ob die vergangene Zusammenarbeit des obsorgeberechtigten Elternteils mit der Familiengerichtshilfe die Zusammenarbeit mit dem KJHT substituiere und letztlich ob die Gerichtsbarkeit die gesetzliche Verpflichtung des KJHT zur Gefährdungsabklärung gemäß § 22 B‑KJHG dadurch beschränken dürfe, dass sie ausschließlich überholte Erkenntnisquellen zur Beurteilung des Gefährdungssachverhalts heranziehe.

Damit werden – jedenfalls teilweise – erhebliche Rechtsfragen mit Bedeutung über den Einzelfall hinaus angesprochen, die in höchstgerichtlicher Rechtsprechung bislang noch nicht beantwortet wurden.

3.1. § 211 Abs 1 ABGB verpflichtet den KJHT die zur Wahrung des Wohles eines Minderjährigen erforderlichen gerichtlichen Verfügungen im Bereich der Obsorge zu beantragen. Diese Pflicht dient der Kontrolle der gesamten Obsorge und verschafft dem KJHT – wenn er sich auf § 181 ABGB, also auf eine sonst zu besorgende Gefährdung des Kindeswohls – stützt, Parteistellung und Rechtsmittellegitimation (Weitzenböck in Schwimann/Kodek ABGB4 IA § 211 Rz 1). Daneben verpflichtet § 211 Abs 1 zweiter Satz ABGB im Bereich von Pflege und Erziehung im Fall von Gefahr im Verzug den KJHT, die zur Gefahrenabwendung erforderlichen Maßnahme mit vorläufiger Wirkung bis zur gerichtlichen Entscheidung selbst zu treffen, wobei er diese Entscheidung unverzüglich, jedenfalls innerhalb von acht Tagen zu beantragen hat. Im Umfang der getroffenen Maßnahmen ist der KJHT diesfalls vorläufig mit der Obsorge betraut.

3.2. Das Verfahren zur Abklärung einer allfälligen Kindeswohlgefährdung wurde mit der Reform des Kinder‑ und Jugendhilferechts durch das Bundes‑Kinder‑ und Jugendhilfegesetz 2013 (B‑KJHG), das am 1. 5. 2013 in Kraft getreten ist, erstmals rechtlich geregelt. Ergibt sich aufgrund von Mitteilungen nach § 37 B‑KJHG oder aufgrund einer berufsrechtlichen Verpflichtung sowie aufgrund glaubhafter Mitteilungen Dritter ein konkreter Verdacht der Gefährdung von Kindern und Jugendlichen, ist gemäß § 22 Abs 1 B‑KJHG die Gefährdungsabklärung unter Berücksichtigung der Dringlichkeit umgehend einzuleiten, um das Gefährdungsrisiko einzuschätzen. Gemäß § 22 Abs 2 B‑KJHG besteht die Gefährdungsabklärung aus der Erhebung jener Sachverhalte, die zur Beurteilung des Gefährdungsverdachts bedeutsam sind und der Einschätzung, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Diese ist in strukturierter Vorgangsweise, unter Beachtung fachlicher Standards und Berücksichtigung der Art der zu erwartenden Gefährdung durchzuführen. Als Erkenntnisquellen kommen gemäß Abs 3 insbesondere Gespräche mit den betroffenen Kindern und Jugendlichen, deren Eltern oder sonstigen mit Pflege und Erziehung betrauten Personen, Personen, in deren Betreuung sich die Kinder und Jugendlichen regelmäßig befinden, Besuche des Wohn‑ oder Aufenthaltsorts der Kinder und Jugendlichen, Stellungnahmen, Berichte und Gutachten von Fachleuten sowie die schriftlichen Gefährdungsmitteilungen im Sinn des § 37 B‑KJHG in Betracht. § 22 Abs 4 B‑KJHG verpflichtet gemäß § 37 B‑KJHG bzw aufgrund berufsrechtlicher Vorschriften Mitteilungspflichtige im Rahmen der Gefährdungsabklärung die erforderlichen Auskünfte über die betroffenen Kinder und Jugendlichen zu erteilen sowie notwendige Dokumente vorzulegen.

§ 37 Abs 1 B‑KJHG verpflichtet folgende Einrichtungen im Fall, dass bei Ausübung einer beruflichen Tätigkeit der begründete Verdacht entsteht, dass Kinder oder Jugendliche misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht werden oder worden sind oder ihr Wohl in anderer Weise erheblich gefährdet ist und die konkrete erhebliche Gefährdung eines bestimmten Kindes oder Jugendlichen nicht anders verhindert werden kann zur unverzüglichen schriftlichen Mitteilung an den örtlich zuständigen Kinder‑ und Jugendhilfeträger:

1. Gerichte, Behörden und Organe der öffentlichen Aufsicht;

2. Einrichtungen zur Betreuung oder zum Unterricht von Kindern und Jugendlichen;

3. Einrichtungen zur psychosozialen Beratung;

4. private Einrichtungen der Kinder‑ und Jugendhilfe;

5. Kranken‑ und Kuranstalten;

6. Einrichtungen der Hauskrankenpflege.

Gleichermaßen trifft die Mitteilungspflicht gemäß § 37 Abs 3 B‑KJHG auch:

1. Personen, die freiberuflich die Betreuung oder den Unterricht von Kindern und Jugendlichen übernehmen;

2. von der Kinder‑ und Jugendhilfe beauftragte freiberuflich tätige Personen;

3. Angehörige gesetzlich geregelter Gesundheitsberufe, sofern sie ihre berufliche Tätigkeit nicht in einer in Abs 1 genannten Einrichtung ausüben.

Die Eltern sind im Gesetz selbst somit nicht als im Sinn von § 37 B-KJHG mitteilungspflichtig genannt.

3.3. Während einer Mitteilung nach § 37 B‑KJHG vom KJHT stets nachzugehen ist, gilt dies für Mitteilungen Dritter nur dann, wenn sie konkret sind und glaubhaft erscheinen. Dabei sind etwa das Verhältnis der mitteilenden Person zum Kind oder Jugendlichen und das konkrete Vorbringen in die Beurteilung einzubeziehen (Hubmer in Loderbauer Kinder‑ und Jugendrecht5 [2016] 273; Erläut RV 2191 BlgNR XXIV. GP 21). Dies ist offensichtlicher Ausdruck des in § 1 Abs 5 B‑KJHG ausdrücklich angeordneten, dem verfassungsrechtlichen Schutz des Privat- und Familienlebens (Art 8 Abs 1 EMRK) entsprechenden Grundsatzes der Familienautonomie (vgl auch § 182 ABGB), wonach (auch) der KJHT in familiäre Rechte und Beziehungen nur insoweit eingreifen darf, als dies zur Gewährleistung des Kindeswohls notwendig und im bürgerlichen Recht vorgesehen ist. Die Gefährdungsabklärung erfolgt ja im Spannungsfeld zwischen dem Problem, einerseits nicht zum Nachteil von Minderjährigen verfrüht oder mit zu hoher Intensität in elterliche Befugnisse einzugreifen, andererseits aber eine Gefährdung des Kindeswohls rechtzeitig und effektiv abwehren zu müssen (ErläutRV 2191 BlgNR XXIV. GP 21).

3.4. Das B‑KJHG enthält keine ausdrücklichen Bestimmungen zur Einschaltung des Gerichts im Fall der Nichtmitwirkung von Erziehungsberechtigten an der Einschätzung des Gefährdungsrisikos. Das NÖ KJHG, LGBl 9270‑0, das in seinem § 30 das Gefährdungsabklärungsverfahren gleichlautend mit § 22 B‑KJHG regelt, verpflichtet in § 33 für den Fall, dass die Erziehungsberechtigten an der Einschätzung des Gefährdungsrisikos nicht mitwirken oder eine nachträgliche Zustimmung im Sinn des § 32 NÖ KJHG nicht erteilen, den KJHT dazu, diesfalls die erforderlichen gerichtlichen Verfügungen nach bürgerlichem Recht zu beantragen. Aus den Materialien (Motivenbericht zum NÖ KJHG LTG 197/K‑18‑2013) ergibt sich der Hinweis, dass im Fall, dass die Erziehungsberechtigten die nachträgliche Zustimmung (gemeint offenbar: zur Vernehmung des Minderjährigen) nicht erteilen, nach § 211 ABGB vorzugehen sei, wodurch der Rechtsschutz Erziehungsberechtigter gewahrt bleibe. Abgestellt wird dort offenbar primär auf einen (allenfalls auch teilweisen) Entzug der Obsorge im Sinn des § 181 Abs 1 ABGB oder auch andere Verfügungen des Gerichts nach dieser Gesetzesstelle.

3.5. Weder aus dem B-KJHG noch aus dem NÖ KJHG ergibt sich allerdings eine unmittelbare Grundlage für ein Tätigwerden der Pflegschaftsgerichte im Gefährdungsabklärungsverfahren selbst. Dieses ist vielmehr unmissverständlich dem KJHT zugewiesen (vgl §§ 3 Z 4, 10 Abs 1 B-KJHG). Soweit dieser in seinem hier zu beurteilenden, sehr allgemein gehaltenen Antrag der Sache nach auf eine – jedenfalls teilweise – Auslagerung des Gefährdungsabklärungsverfahrens an das Pflegschaftsgericht abzielt, fehlt es insoweit an einer Rechtsgrundlage.

3.6. Zu prüfen bleibt, ob die Behauptungen im Antrag ausreichenden Anlass für gerichtliche Maßnahmen nach § 181 Abs 1 ABGB bieten. Dies haben die Vorinstanzen zutreffend verneint.

3.6.1. Nach § 181 Abs 1 ABGB kann das Gericht, wenn die Eltern durch ihr Verhalten das Kindeswohl gefährden, die Obsorge den bisherigen Trägern ganz oder teilweise entziehen oder aber zwar belassen, ihnen aber etwa die regelmäßige Vorstellung des Kindes bei einem bestimmten Arzt zur Pflicht machen, sie verpflichten regelmäßig mit dem Kind bestimmte Therapien oder Beratungen in Anspruch zu nehmen oder mit dem KJHT auf bestimmte Art und Weise Kontakt zu halten (Weitzenböck in Schwimann/Kodek ABGB4 IA § 211 Rz 6 mwN; Hopf in KBB4 §§ 181, 182 ABGB Rz 4). Nach bislang einhelliger Lehre (Weitzenböck in Schwimann/Kodek ABGB4 IA § 181 Rz 4; Hopf in KBB4 §§ 181, 182 ABGB Rz 2; Beck in Gitschthaler/Höllwerth AußstrG § 107 Rz 13) und Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0127207; 3 Ob 166/15f) kam aber ohne Gefährdung des Kindeswohls und eine dadurch bedingte Notwendigkeit der Änderung eines bestehenden Zustands eine Verfügung nach § 181 Abs 1 ABGB – unabhängig davon, ob sie eine (Teil‑)Entziehung der Obsorge oder eine „Auflage“ mit inhaltlichen Vorgaben für die Ausübung des Obsorgerechts aussprach – jedenfalls nicht in Betracht. Bei der Anordnung von Maßnahmen im Sinn des § 181 Abs 1 ABGB hat das Pflegschaftsgericht jedenfalls den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 182 ABGB) und der Familienautonomie zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0048736), greifen doch Verbote und Aufträge an einen Obsorgeberechtigten selbst dann in das elterliche Obsorgerecht ein, wenn die Obsorge nicht ganz oder teilweise entzogen wird (5 Ob 41/11g).

3.6.2. Inhaltlich erfuhr § 181 Abs 1 ABGB zwar durch das KindNamRÄG 2013 keine Änderung (Weitzenböck in Schwimann/Kodek ABGB4 IA § 181 Rz 1), allerdings wurde dadurch das gerichtliche Instrumentarium – allerdings nur im Zusammenhang mit Verfahren über Obsorge und persönliche Kontakte (RIS-Justiz RS0131142) – um vom Gericht auf Antrag oder von Amts wegen anzuordnenden Maßnahmen zur Sicherung des Kindeswohls nach § 107 Abs 3 AußStrG (wie etwa die Anordnung von Erziehungsberatung oder Teilnahme an einem Erstgespräch über Mediation) erweitert, die allerdings nicht nur die Erforderlichkeit ihrer Anordnung zur Sicherung des Kindeswohls voraussetzen (Beck in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG § 107 Rz 13 f), sondern ebenso nur unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zulässig sind (RIS‑Justiz RS0129700 [T2]).

3.6.3. Das Gefährdungsabklärungsverfahren nach § 22 B‑KJHG bzw § 30 NÖ KJHG dient erst der Abklärung einer möglichen Gefährdung des Kindeswohls und setzt nach dem Gesetzeswortlaut einen konkreten Verdacht der Gefährdung des Kindeswohls nach einer glaubhaften Mitteilung eines Dritten oder einer gemäß § 37 B‑KJHG anzeigepflichtigen Stelle voraus. Eine gewisse Mitwirkungspflicht der Obsorgeberechtigten am Gefährdungsabklärungsverfahren ergibt sich zwar aus § 22 Abs 3 B‑KJHG. Erst eine beharrliche Verweigerung notwendiger Abklärungsschritte durch Obsorgeberechtigte könnte aber zur Grundlage pflegschaftsgerichtlicher Verfügungen nach § 181 Abs 1 ABGB gemacht werden (vgl hiezu auch Hubmer in Loderbauer Kinder‑ und Jugendrecht5 [2016] 275; Beck in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG § 107 Rz 13). Dabei ist dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besonderes Augenmerk zu schenken, zumal diesfalls eine bloße Verdachtslage die Grundlage von pflegschaftsgerichtlichen Maßnahmen darstellen würde.

4.1. Hier war nach der Beurteilung der Vorinstanzen aus dem Antrag des KJHT auch unter Berücksichtigung der beiden vorgelegten Schreiben kein konkreter Verdacht einer Gefährdung des Kindeswohls ableitbar, die Äußerung der Mutter wurde als nicht glaubwürdig beurteilt. Dies betrifft einerseits Fragen der Beweiswürdigung, die an den Obersten Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, auch im Außerstreitverfahren nicht herangetragen werden kann (RIS‑Justiz RS0007236). Andererseits wurde die Behauptung der Mutter, es gehe V***** schlecht, sie weine in der Schule, weil „sie die Mutter nicht sehen dürfe“, im rechtskräftig abgeschlossenen Obsorge- und Kontaktrechtsverfahren bereits eingehend geprüft, eine Gefährdung wurde verneint, sie kann nach zutreffender Auffassung des Rekursgerichts schon deshalb nicht zur Grundlage eines (neuerlichen) Antrags des KJHT gemacht werden. Dass nach der Behauptung der Mutter der Vater beim Konzert am 1. 6. 2016 ein Gespräch zwischen ihr und V***** sofort unterbunden haben soll, reicht für einen konkreten Verdacht einer Kindeswohlgefährdung nach zutreffender Auffassung der Vorinstanzen insbesondere im Hinblick darauf nicht aus, dass der Mutter ein wöchentliches begleitetes Kontaktrecht aufgrund des rechtskräftigen Beschlusses vom 25. 5. 2016 unverändert zusteht. Damit fehlte es aber an einer ausreichenden Grundlage für die vom KJHT beabsichtigten Gefährdungsabklärungsschritte, die vom KJHT beantragten Aufträge an den Vater wären insbesondere im Hinblick auf die unmittelbar davor erst in Rechtskraft erwachsenen Obsorge- und Kontaktrechtsentscheidungen ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Familienleben. Die behauptete mangelnde Kooperation des Vaters rechtfertigt jedenfalls in diesem Stadium und speziellen Fall keine (weiteren) Maßnahmen des Pflegschaftsgerichts zur Sicherung des Kindeswohls.

4.2. Die Frage, ob ein (weiteres) Sachverständigengutachten einzuholen ist, ist grundsätzlich nicht revisibel (RIS‑Justiz RS0043320). Ob die Gefährdungsabklärungskompetenz nach § 22 B‑KJHG bzw § 30 NÖ KJHG einen – selbständigen – Antrag auf Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens überhaupt rechtfertigen könnte, bedarf schon deshalb keiner näheren Erörterung.

4.3. Die Frage, ob die Zusammenarbeit des obsorgeberechtigten Vaters mit der Familiengerichtshilfe in der Vergangenheit die Kooperation mit dem KJHT substituieren kann, stellt sich daher nicht. Auch im Außerstreitverfahren ist der Oberste Gerichtshof aber nicht dazu berufen, bloß theoretisch zu einer Rechtsfrage Stellung zu nehmen (RIS‑Justiz RS0102059 [T8]; RS0111271).

5. Dem Revisionsrekurs war daher der Erfolg zu versagen.

6. Der Kostenersatzanspruch scheitert an § 107 Abs 5 AußStrG, wonach im Verfahren über die Obsorge und die Ausübung des Rechts auf persönlichen Verkehr ein Kostenersatz nicht stattfindet.

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