OGH 2Ob180/17k

OGH2Ob180/17k30.10.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Dr. Musger als Vorsitzenden und den Senatspräsidenten Dr. Veith, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* S*, vertreten durch Dr. Wolfgang Schöberl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. M* H*, vertreten durch Mag. Nora Huemer‑Stolzenburg, Rechtsanwältin in Wien, und 2. I* H*, vertreten durch Dr. Robert Lattermann, Rechtsanwalt in Wien, wegen 55.121,97 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. Juli 2017, GZ 16 R 35/17k‑34, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E123105

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

I. Der Kläger vermochte das behauptete „kollusive Zusammenwirken“ der beiden Beklagten nicht zu beweisen. Ein Anspruch gegen die Erstbeklagte kommt daher nicht in Betracht. Folgerichtig beziehen sich die Revisionsausführungen auch nur noch auf jene Umstände, die einen Anspruch gegen die Zweitbeklagte als Erbin des im Jahr 1999 verstorbenen Erblassers begründen könnten. Hinsichtlich der Erstbeklagten ist die außerordentliche Revision daher schon aus diesem Grund zurückzuweisen.

II. Aufgrund des Todes des Erblassers im Jahr 1999 haben die Vorinstanzen den gegen die Zweitbeklagte gerichteten Anspruch zutreffend nach den damals geltenden erb- und familienrechtlichen Regeln beurteilt (§ 1503 Abs 1 und 7 ABGB).

1. Zum Pflichtteilsanspruch:

1.1 Übergeht der Erblasser in einer letztwilligen Verfügung eines von mehreren Kindern, dessen physische Existenz ihm bekannt ist, „mit Stillschweigen“, wird absichtliche Übergehung vermutet, sodass das Kind, sofern nicht ein Enterbungsgrund vorliegt (§ 782 ABGB aF), auf den Pflichtteil beschränkt ist (§ 776 ABGB aF; 5 Ob 212/72 SZ 45/130). Ein Kind ist „mit Stillschweigen übergangen“, wenn es der Erblasser in einer letztwilligen Verfügung unerwähnt ließ (Welser in Rummel/Lukas 4 §§ 776, 777 Rz 2).

1.2 Für den Pflichtteilsanspruch des übergangenen Noterben gilt hier noch die kurze Verjährungsfrist des § 1487 ABGB aF, die unabhängig von der Kenntnis des Noterben vom Tod des Erblassers beginnt (2 Ob 174/15z mwN) und zwar – nach der hier maßgeblichen Rechtslage – mit der Kundmachung des Testaments (RIS‑Justiz RS0034302). Gemäß der Entscheidung 7 Ob 544/93 würde die Rücksichtnahme auf das subjektive Moment der Kenntniserlangung eine zu große Zeitspanne der Rechtsunsicherheit herbeiführen, weil der Eingeantwortete durch die absolute Frist von 30 Jahren hindurch mit der theoretischen Möglichkeit einer Testamentsanfechtung rechnen müsste (anders nunmehr § 1487a ABGB idF ErbRÄG 2015).

1.3 Eine Ausnahme von dieser Regel hat nach der Rechtsprechung zum alten Recht dann zu gelten, wenn der Schuldner die Kenntnisnahme des Berechtigten arglistig verhindert. Dann soll die Arglist einen selbständigen Verpflichtungsgrund bilden, der den Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist hindert (vgl 4 Ob 155/30 SZ 12/103; 3 Ob 20/07y; RIS-Justiz RS0034211). Schuldner des Pflichtteils ist bis zur Einantwortung der ruhende Nachlass, nach der Einantwortung der Erbe (RIS-Justiz RS0012848), hier also die Zweitbeklagte. Dieser ist jedoch nach den Feststellungen der Vorinstanzen kein arglistiges Verhalten vorwerfbar. Für die behauptete Sittenwidrigkeit der Verjährungseinrede besteht daher kein Anhaltspunkt. Das Verhalten des Erblassers ist für die Verjährung des Pflichtteilsanspruchs ohne Relevanz.

1.4 Das Testament des Erblassers wurde am 28. 7. 1999 kundgemacht. Der mit Klage vom 1. 2. 2016 geltend gemachte Pflichtteilsanspruch des Klägers wurde von den Vorinstanzen im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs als verjährt beurteilt. Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO liegt nicht vor.

2. Zum Schadenersatzanspruch:

2.1 Nach herrschender Auffassung ist die in § 137 ABGB geregelte allgemeine Beistandspflicht zwischen Eltern und Kindern eine Rechtspflicht, die unmittelbare Sanktionen nur im Unterhaltsrecht, im Erbrecht und (bei minderjährigen Kindern) im Obsorgerecht hat, sonst aber lex imperfecta ist (6 Ob 85/18w mwN; RIS-Justiz RS0115480). Als „denkbar“ werden aber Unterlassungs- oder Schadenersatzansprüche angesehen (6 Ob 85/18w mwN).

2.2 Es ist allerdings nicht rechtswidrig, dass der Erblasser den Kläger in seinem Testament nicht erwähnte. Diese Maßnahme hatte nur die bereits erörterte Beschränkung des Klägers auf den Pflichtteil zur Folge (§ 776 ABGB aF).

2.3 Zwar verletzte der Erblasser gegenüber seiner zweiten Ehefrau, der Zweitbeklagten, möglicherweise Pflichten aus dem Eheverhältnis, als er ihr auf die Frage nach der Existenz eines unehelichen Kindes die Unwahrheit sagte (vgl RIS‑Justiz RS0009427 [T3]). Dies stünde aber mit dem vom Kläger geltend gemachten Schaden in keinem Rechtswidrigkeitszusammenhang.

2.4 Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ist ein von der Rechtsordnung anerkanntes, grundrechtlich abgesichertes Rechtsverhältnis, das auch das Streben nach persönlichem Kontakt erfasst und lebenslang andauert (4 Ob 8/11x SZ 2011/48; 4 Ob 98/11g SZ 2011/101; RIS‑Justiz RS0047754, RS0125603). Aus diesem Grund kann ein Eingriff in diese grundrechtlich verbürgte Rechtsposition durch einen Dritten auch einen Schadenersatzanspruch (gegen den Dritten) begründen (4 Ob 8/11x; 10 Ob 38/12d; RIS‑Justiz RS0126872).

2.5 Ein solcher Eingriff liegt hier jedoch nicht vor. Es war vielmehr der Erblasser selbst, der dem Kläger den Kontakt verweigerte. Die dazu (sinngemäß) vertretene Rechtsansicht des Berufungsgerichts, das „Kontaktverhältnis“ zwischen einem volljährigen Kind und einem Elternteil (vgl 6 Ob 85/18w) diene nicht der Sicherung von Pflichtteilsansprüchen, lässt vor dem Hintergrund der erörterten Rechtsprechung keine iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzugreifende Fehlbeurteilung erkennen. Der Kläger verweist in diesem Zusammenhang zwar auch auf die „Summe aller Beistandspflichten“, stützt sich aber letztlich doch wieder auf die vom Erblasser verursachte „Isolation“.

Stichworte