OGH 1Ob95/12w

OGH1Ob95/12w24.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** AG, *****, vertreten durch Abel & Abel Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen 170.263,09 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 16. Februar 2012, GZ 14 R 138/11h-15, mit dem das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 20. Juni 2011, GZ 1 Cg 4/11g-11, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß § 1 Abs 1 AHG haften die dort genannten Rechtsträger für den Schaden, den die als ihre Organe handelnden Personen „wem immer“ schuldhaft zugefügt haben. Der Ausdruck „wem immer“ ist nicht anders zu verstehen als der Ausdruck „jedermann“ in § 1295 ABGB. Nach herrschender Rechtsprechung und Lehre ist er einschränkend auszulegen. Die Beschränkung der Zahl der zur Erhebung von Schadenersatzansprüchen Berechtigten erfolgt aufgrund der Lehre vom Schutzzweck der Normen (Rechtswidrigkeitszusammenhang). Diese stellt ein selbständiges Abgrenzungskriterium der Schadenersatzhaftung neben der Rechtswidrigkeit und der Kausalität dar. Ohne die eingrenzende Wirkung der Lehre vom Schutzzweck der Normen drohte auch im Amtshaftungsrecht die abzulehnende Uferlosigkeit der Haftpflicht. Aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens ist nur für jene verursachten Schäden zu haften, die vom Schutzzweck der Verbotsnorm erfasst werden, da sie gerade diese Schäden verhindern wollte. Die Fragestellung der Normzweckprüfung ist teleologisch ausgerichtet und stellt primär darauf ab, welcher Zweck mit der in ihrem primären Normgehalt feststehenden Anordnung verfolgt wird; soll nicht die Schutzzweckprüfung jeglichen Aussagegehalt verlieren, darf sie keinesfalls bei einer bloßen Paraphrasierung des Gesetzeswortlauts stehen bleiben: Nicht jeder Schutz, den die Verhaltensnorm tatsächlich bewirkt, ist auch von deren Schutzzweck erfasst (1 Ob 97/07g mwN).

2. Schutzzweck der Bestimmungen über die Fürsorgepflicht des Pflegschaftsgerichts ist die Sicherung des Pflegebefohlenen vor Nachteilen für seine Person und sein Vermögen. Daher ist nur dieser - und nicht auch ein Dritter - geschützt (1 Ob 37/89; 1 Ob 97/07g = ÖBA 2008/1492, 582 [zust Rummel] = iFamZ 2008/70 [Parapatits]; in diesem Sinn auch Vrba/Zechner, Kommentar zum Amtshaftungsrecht [1983], 114). Nach der erklärten Absicht des Gesetzgebers zum zur Zeit des zugrundeliegenden Verfahrens noch nicht erlassenen neuen AußStrG dient das Pflegschaftsverfahren nur dazu, die Interessen des Pflegebefohlenen, nicht aber diejenigen seiner Vertragspartner und sonstiger Dritter zu schützen (6 Ob 286/05k unter Verweis auf die ErläutRV 224 BlgNR 22. GP 23).

In der Entscheidung 1 Ob 97/07g hat der Oberste Gerichtshof auch ausgesprochen, dass der Schutzzweck der vom Gericht zu beachtenden Vorschriften über die Bestellung und Überwachung eines Sachwalters nicht die Verhinderung des Schadens eines Kreditinstituts aus der Auszahlung der Kreditvaluta auf das Konto des Betroffenen zu Handen eines untreuen Sachwalters erfasst. Rummel (in ÖBA 2008/1492, 584 [Glosse zu 1 Ob 97/07g]) hält dazu fest, dass die Überwachungspflicht des Gerichts den Pflegebefohlenen schütze. Für die Erstreckung des Schutzzwecks auf Dritte müsste es eine überzeugende Ableitung geben, wovon im Zweifel - so auch in diesem Fall - nicht auszugehen sei.

3. Dass die klagende Bank als künftige Hypothekargläubigerin nicht vom Schutzzweck der unterlassenen Bestellung eines Kollisionskurators für Minderjährige erfasst ist, ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 271 ABGB. Nach dieser Bestimmung ist bei einem Interessenwiderstreit in einer bestimmten Angelegenheit zwischen einer minderjährigen oder sonst nicht voll handlungsfähigen Person und ihrem gesetzlichen Vertreter ein besonderer Kurator zu bestellen (§ 271 Abs 1 ABGB), wenn eine Gefährdung der Interessen des minderjährigen Kindes oder der sonst nicht voll handlungsfähigen Person zu besorgen ist und deren Interessen vom Gericht nicht ausreichend wahrgenommen werden können (§ 271 Abs 2 ABGB e contrario). Geschützt durch die Bestellung des Kollisionskurators sind daher nur die Interessen minderjähriger oder sonst nicht voll handlungsfähiger Personen, die mit denen ihrer Vertreter kollidieren. Das klagende Kreditinstitut fällt als außenstehender Dritter nicht darunter. Auch die Materialien (ErläutRV 296 BlgNR 21. GP; JAB 366 BlgNR 21. GP, jeweils zu Z 73 [§ 271 ABGB]) zum Kindschaftsrechts-Änderungsgesetz 2001, BGBl I 2000/135, mit dem § 271 ABGB im Sinn der herrschenden Lehre und Rechtsprechung neu gefasst wurde, enthalten keinen Hinweis darauf, dass Dritte - wie die Klägerin - in den Schutzbereich dieser Bestimmung fallen könnten. Zutreffend argumentiert das Berufungsgericht, dass bei der Beurteilung der Voraussetzungen für die Bestellung eines Kollisionskurators das Gesetz keine Rücksicht auf die Interessen des Vertragspartners oder auf die Auswirkungen nimmt, die eine Entscheidung des Pflegschaftsgerichts für ihn hat.

4. Ein Kreditnehmer schloss im eigenen Namen sowie als gesetzlicher Vertreter seiner minderjährigen Söhne mit der klagenden Bank einen Pfandbestellungsvertrag, mit dem eine Liegenschaft zur Besicherung aller Kredit- und Darlehensforderungen, die der Klägerin gegenüber dem Vater der Minderjährigen zustanden, bis zum Höchstbetrag von 600.000 EUR verpfändet wurde. Die Liegenschaft stand zu zwei Drittel im Eigentum des Vaters und zu jeweils einem Neuntel im Eigentum jedes der minderjährigen Kinder. Das Pflegschaftsgericht erteilte nach Vorlage der Erklärung des Vaters, sämtliche Kosten, beispielsweise im Fall einer Zwangsversteigerung, zu tragen, die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung.

Die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung ersetzt nicht das Fehlen sonstiger gesetzlicher Erfordernisse, welches die Nichtigkeit oder Unwirksamkeit des Vertrags zur Folge hat. Die Genehmigung eines Vertrags durch das Pflegschaftsgericht kann daher auch keine Aussage darüber enthalten, ob der genehmigte Vertrag nichtig oder anfechtbar ist. Die Beurteilung allfälliger anderer Mängel des Rechtsgeschäfts ist nicht Inhalt der Genehmigung (RIS-Justiz RS0049181 [T5, T8]; RS0049030; vgl Nademleinsky in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 154 Rz 15; Fischer-Czermak in Kletecka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 154 Rz 15). So kann die pflegschaftsbehördliche Genehmigung nicht die - Ungültigkeit des Vertrags bewirkende - mangelnde Bestellung eines Kollisionskurators ersetzen (7 Ob 112/02z mwN; RIS-Justiz RS0049030 [T2]).

Bei der Verpfändung der Liegenschaftsanteile der minderjährigen Söhne bestand zwischen diesen und ihrem gesetzlichen Vertreter (Vater) ein Interessenwiderspruch, der zur Hintanhaltung einer möglichen Schädigung die Bestellung eines Kurators für die Minderjährigen erfordert hätte. Das Unterbleiben der erforderlichen Beiziehung eines Kollisionskurators führte dazu, dass der Pfandvertrag der Klägerin mit den Minderjährigen nicht wirksam zustande kam (7 Ob 134/10x [Hypothekarklage gegen diese Minderjährigen - Zurückweisung der außerordentlichen Revision der Klägerin]).

Die gerichtliche Genehmigung des Pfandvertrags gemäß § 154 Abs 3 ABGB ist - entgegen der Ansicht der Klägerin - wirksam, jedoch für das gültige Zustandekommen des Rechtsgeschäfts nicht ausreichend. Durch die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung wurde ihr gegenüber auch kein besonderer Vertrauenstatbestand geschaffen, wird doch dadurch die fehlende Zustimmung eines Kollisionskurators nicht ersetzt. Die von der Klägerin zitierte amtshaftungsrechtliche Judikatur zur unrichtigen (behördlichen) Auskunft ist für die unterlassene Beiziehung eines Kollisionskurators für die Minderjährigen, die zur Unwirksamkeit des Pfandvertrags führte, nicht von Bedeutung. Eine unrichtige Rechtsbelehrung bzw Rechtsauskunft durch den Pflegschaftsrichter gegenüber der Klägerin erfolgte gerade nicht.

5. Wenn die Klägerin damit argumentiert, dass auch die „fälschliche“ Einverleibung des Pfandrechts an den Liegenschaftsanteilen der Minderjährigen schadensursächlich gewesen sei, so steht ihrem erstmals im Berufungsverfahren erstatteten Vorbringen - worauf schon das Berufungsgericht zutreffend hinwies - das Neuerungsverbot (§ 482 Abs 1, § 504 Abs 2 ZPO) entgegen.

6. Zusammenfassend zeigt die außerordentliche Revision keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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