OGH 11Os102/20i

OGH11Os102/20i26.1.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. Jänner 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Mag. Nieschlag als Schriftführerin in der Strafsache gegen Robert B***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Geschworenengericht vom 24. Juni 2020, GZ 20 Hv 1/20s‑38, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Schneider LL.M., des Verteidigers Rechtsanwalt Mag. Gerersdorfer und des Angeklagten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0110OS00102.20I.0126.000

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden der Wahrspruch der Geschworenen zur Hauptfrage I, zur dazu gestellten Zusatzfrage und zur Eventualfrage I sowie das darauf beruhende Urteil ebenso wie die Beschlüsse betreffend bedingter Entlassung und Anordnung der Bewährungshilfe aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht St. Pölten als Geschworenengericht verwiesen.

Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf die Kassation des Strafausspruchs verwiesen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil, dessen Ausfertigung auch einen Beschluss gemäß § 50 Abs 1 StGB enthält (vgl aber RIS‑Justiz RS0126528), wurde Robert B***** des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 5. Februar 2020 in P***** versucht, Barbara B***** absichtlich schwer am Körper zu verletzen, „indem er an die auf einer Couch sitzende Barbara B***** von hinten herantrat und versuchte, ihr ein Rasenkantenstück in der Größe von 25 cm x 23 cm mit einem Gewicht von mindestens 5,5 kg auf den Kopf zu schlagen, was jedoch misslang, da Barbara B***** sich in diesem Moment nach vorne beugte, sodass er sie lediglich leicht im Bereich Kopf/Nacken/Schultern traf, wodurch Barbara B***** Rötungen im Nacken‑ und Schulterbereich erlitt, er anschließend das Rasenkantenstück nochmals gegen sie auf Kopfhöhe erhob, Barbara B***** Robert B***** jedoch wegstoßen konnte, sodass das Rasenkantenstück zu Boden fiel, er anschließend versuchte, sie von hinten mit beiden Händen im Halsbereich zu sich zu ziehen, im Zuge eines Gerangels sie zu Boden brachte, dabei versuchte, sie zu würgen, und ihr danach den Mund und die Nase zuhielt, Barbara B***** ihn jedoch schließlich aufgrund ihrer Abwehrhandlungen in die Flucht schlagen konnte, weshalb es beim Versuch blieb“.

[3] Die Geschworenen haben die Hauptfrage I./ in Richtung des Verbrechens des Mordes (§§ 15, 75 StGB), die dazu gestellte Zusatzfrage nach Rücktritt vom Versuch (§ 16 Abs 1 StGB) sowie die Eventualfrage I./ in Richtung des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung (§§ 15, 87 Abs 1 StGB) bejaht. Eventualfragen in Richtung des Verbrechens der schweren Körperverletzung (§§ 15, 84 Abs 4 bzw §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 1 StGB) und des Vergehens der Körperverletzung (§ 83 Abs 1 StGB) blieben unbeantwortet.

Rechtliche Beurteilung

 

[4] Dagegen richtet sich die aus § 345 Abs 1 Z 6 und 8 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

[5] Zutreffend kritisiert die Fragenrüge (Z 6) – unter Einhaltung der Kriterien des § 345 Abs 4 StPO (ON 37 S 57 f) – die Aufnahme einer Zusatzfrage nach dem Strafaufhebungsgrund des Rücktritts vom Versuch (§ 16 Abs 1 StGB) in das Fragenschema.

[6] Eine (eigentliche) Zusatzfrage (§ 313 StPO) ist zu stellen, wenn sie durch prozessordnungsgemäß in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse (§ 258 Abs 1 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO) indiziert ist (RIS‑Justiz RS0100396 [T1, T2], RS0100622; Lässig, WK‑StPO § 313 Rz 5, 7; Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 42). Bloßes Parteivorbringen, wie etwa Plädoyers des Verteidigers, bildet keine taugliche Grundlage für eine Fragestellung (RIS‑Justiz RS0117448 [T1]).

[7] Die Voraussetzungen für die Aufnahme einer Zusatzfrage nach Rücktritt vom Versuch waren hier nicht erfüllt.

[8] Der Angeklagte hatte im Ermittlungsverfahren – sowohl vor der Kriminalpolizei (ON 15 S 18) als auch bei seiner ersten Vernehmung durch die Einzelrichterin in Haft- und Rechtsschutzsachen (ON 13 S 3) – zunächst ausgesagt, sich an die Geschehnisse zwischen dem Zeitpunkt, als er sich im Schlafzimmer ankleidete, und jenem, als er seiner am Boden liegenden Frau den Mund zuhielt (wobei er anschließend „aus Panik“ sofort das Haus verließ), nicht erinnern zu können (zum Vorkommen dieser Verfahrensergebnisse in der Hauptverhandlung siehe ON 37 S 57).

[9] Im Rahmen der Haftverhandlung vom 19. Februar 2020 änderte der Angeklagte seine Verantwortung dahingehend, den Angriff auf das Opfer nur „vorgespielt“ zu haben. Er habe nie vorgehabt, seiner Ehefrau etwas anzutun (ON 21 S 3 ff).

[10] Bei dieser – einen Tötungsvorsatz (und einen Verletzungsvorsatz) in Abrede stellenden – Verantwortung blieb der Angeklagte auch bei der Tatrekonstruktion (ON 24 S 29 f, 33, 38, 40 ff) sowie gegenüber dem Sachverständigen (ON 28 S 18 f) und hielt dies in der Hauptverhandlung aufrecht (ON 37 S 8, 57).

[11] Weiters schrieb er aus der Untersuchungshaft an seinen Sohn, dass er „nie jemanden verletzen könnte, und schon gar nicht [...] eure Mama“, bzw dass er „Mama nie verletzen wollte“ (Seiten 1 und 4 des Briefs an Nikolaus B***** [unjournalisiert im Akt]; zur Verlesung in der Hauptverhandlung siehe ON 37 S 57).

[12] In der Hauptverhandlung bekräftigte der Angeklagte, „auf keinen Fall“ die Intention gehabt zu haben, seine Frau „zu verletzen, geschweige denn zu töten“, und einen neuerlichen Schlag nur angetäuscht zu haben bzw den Stein fallen gelassen zu haben, weil ansonsten bei einer Rangelei die Gefahr bestanden hätte, sie zu verletzen (ON 37 S 14 f, 19, 22 ff, 28 f).

[13] Da auch die Aussage des Opfers Barbara B***** eine freiwillige Aufgabe der Tatausführung (bei unbeendetem Versuch) – schon mangels Wahrnehmungen der Zeugin zur allfälligen Vorstellung des Täters, dass eine dessen (in Bezug auf eine Tötung oder Körperverletzung ohnehin in Abrede gestellten) Tatplan entsprechende Tatvollendung ohne die Anwendung wesentlich verstärkter krimineller Energie (RIS‑Justiz RS0089874, vgl auch RS0090331) noch möglich gewesen wäre (vgl RIS‑Justiz RS0090277 [T7], RS0089897) – nicht indiziert (vgl ON 37 S 38 f, 42), Rücktritt vom Versuch vielmehr lediglich im Eröffnungsplädoyer des Verteidigers als alternative Variante behauptet und in dessen Schlussplädoyer um Bejahung dieses Strafaufhebungsgrundes ersucht wurde (ON 37 S 5 ff, 58), war die Aufnahme einer Zusatzfrage in Richtung § 16 Abs 1 StGB nicht angezeigt. Dieser Verstoß gegen § 313 StPO war – wie die Staatsanwaltschaft zu Recht argumentiert – geeignet, einen die Anklage beeinträchtigenden Einfluss zu üben.

[14] Eine Beantwortung der Instruktionsrüge (Z 8) erübrigt sich somit. Bleibt dazu anzumerken, dass ein Vorsatz in verschieden intensiver Ausprägung (vgl Reindl‑Krauskopf in WK2 StGB § 5 Rz 2) und bezogen auf unterschiedlichen (hier abgestuften) Taterfolg (Eventualvorsatz auf Mord und Absicht auf schwere Körperverletzung) gar wohl in Betracht kommt. Eine „Frage nach einer alternativen Vorsatzform in Form einer Eventualfrage“ ist daher durchaus möglich (zum „dolus alternativus“ siehe Reindl‑Krauskopf in WK2 StGB § 5 Rz 70 ff, insbes Rz 72; zur Möglichkeit der Beantwortung einer Eventualfrage nach Bejahung sowohl der Haupt‑ als auch der Zusatzfrage Lässig, WK‑StPO § 317 Rz 10 sowie RIS‑Justiz RS0100985).

[15] In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur waren daher in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft – weil fallbezogen nicht auszuschließen ist, dass die Beantwortung von Haupt‑, Zusatz‑ und Eventualfrage für die Laienrichter in einem untrennbaren Zusammenhang stand (vgl § 349 Abs 2 StPO; Ratz , WK‑StPO § 289 Rz 1, 3; RIS‑Justiz RS0120632; siehe auch 16 Os 23/89, 10 Os 89/80) – das angefochtene Urteil und die Beschlüsse über bedingte Entlassung und Anordnung der Bewährungshilfe zur Gänze aufzuheben (§ 349 Abs 1 StPO) und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht St. Pölten als Geschworenengericht zu verweisen.

[16] Die staatsanwaltschaftliche Berufung war auf die Kassation des Strafausspruchs zu verweisen.

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