OGH 10Os89/80

OGH10Os89/8012.8.1980

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. August 1980

unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth, Dr. Bernardini, Dr. Hörburger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Mohr als Schriftführer in der Strafsache gegen Alexander A wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Staatsanwaltschaft und dem Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 3. April 1980, GZ. 20 d Vr 7903/79-40, erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Karl Bernhauser und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Tschulik, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Den Nichtigkeitsbeschwerden (der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten) wird Folge gegeben, der im übrigen (Frage 4) unberührt bleibende Wahrspruch der Geschwornen in seinem die Fragen 1 (Hauptfrage), 2 (Zusatzfrage hiezu) und 3 (Eventualfrage zur Frage 1) betreffenden Teil und demgemäß das hierauf beruhende Urteil, das sohin im Schuldspruch wegen § 36 Abs. 1 lit. a WaffenG unberührt bleibt, im (weiteren) Schuldspruch wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB sowie (demzufolge auch) im Strafausspruch (einschließlich des davon abhängigen Ausspruches nach § 38 StGB) aufgehoben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung wie Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Geschwornengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien zurückverwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 16. Jänner 1958 geborene Alexander A auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB (Punkt I. des Urteilssatzes) und des Vergehens nach § 36 Abs. 1 lit. a WaffenG (Punkt II.) schuldig erkannt, weil er (zu I.) am 3. September 1979 dem Christian B dadurch absichtlich eine schwere Körperverletzung zufügte, daß er mit einer Pistole Marke FN einen gezielten Schuß gegen dessen Kopf abgab, wobei das Projektil links neben der Nase eindrang, sodann die linke Kieferhöhle durchwanderte und schließlich zwischen den Halswirbelkörpern C 1 und C 2 steckenblieb;

(zu II.) von März 1979 bis 3. September 1979 die zu Pkt. I. bezeichnete Pistole unbefugt besaß und führte.

Die Geschwornen hatten nicht nur die im Sinne der Anklage an sie gerichtete 1. Hauptfrage wegen Mordversuches, sondern auch die dazugehörige (2.) Zusatzfrage in Richtung eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch (jeweils stimmeneinhellig) bejaht, und anschließend die (3.) Eventualfrage wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung sowie die weitere - anklagekonforme - (4.) Hauptfrage wegen des Vergehens nach § 36 Abs. 1 lit. a WaffenG (gleichfalls jeweils einstimmig) in bejahendem Sinn beantwortet. Dieses Urteil wird im Schuldspruch laut Punkt I. des Urteilssatzes von der Staatsanwaltschaft aus dem Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs. 1 Z 8 StPO und vom Angeklagten aus jenem der Z 6 der zitierten Gesetzesstelle bekämpft.

Rechtliche Beurteilung

Beiden Rechtsmitteln kommt Berechtigung zu.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Die Rüge des öffentlichen Anklägers, daß die bekämpfte Rechtsbelehrung auf die Frage des 'mißlungenen Versuches' nicht eingehe, obwohl eine Erörterung dieses Rechtsbegriffs (mit allen seinen Konsequenzen) im konkreten Fall geboten gewesen sei, schlägt im Ergebnis durch.

Bei einem (sogenannten) unbeendeten Versuch wird - sofern nicht mehrere Personen an der Tat beteiligt waren - der (Einzel-)Täter in der Regel schon dann straflos, wenn er die weitere Tatausführung freiwillig aufgibt; bei beendetem Versuch hingegen muß er den Erfolgseintritt durch eine eigene gezielte Tätigkeit (freiwillig) abwenden, um Straffreiheit zu erlangen. Unbeendet ist der Versuch, wenn es nach den konkreten Vorstellungen des Täters vom Tatverlauf zur Deliktsvollendung noch weiterer (von ihm entsprechend dem Tatplan in seiner Gestaltung zur Zeit der unternommenen Straftat ins Auge gefaßter) Handlungen bedurfte (und er demnach nicht mit der Möglichkeit rechnete, daß schon das bereits Getane hiezu ausreicht); ein beendeter Versuch liegt demgegenüber vor, sobald der Täter nach diesem Tatplan alles unternommen hat, was (seiner Auffassung nach) zur Deliktsvollendung gehört, also zur gänzlichen Verwirklichung des Tatbilds notwendig ist (bei Erfolgsdelikten mithin der Eintritt des Erfolges etwa nur noch vom selbständigen Wirken der Kausalfaktoren oder vom Handeln Dritter abhängt). Mißlungen (fehlgeschlagen) ist ein Versuch dagegen, wenn der Täter alle Voraussetzungen für den Erfolgseintritt schuf, dieser Erfolg aber nicht eintrat und aus der konkreten Täterhandlung auch nicht mehr eintreten konnte (vgl. Leukauf-Steininger, Kommentar zum StGB2, RN 9 zu § 16 StGB). In einem solchen Fall ist Rücktritt vom Versuch gemäß § 16 Abs. 1 StGB schon begrifflich ausgeschlossen (vgl. LSK 1976/360 u.a.) und es kommt eine Aufhebung der Strafbarkeit nur dann in Betracht, wenn sich der Täter in Unkenntnis dessen, daß der Erfolgseintritt ohne sein Zutun unterblieben ist, freiwillig und ernstlich bemüht, den Erfolg abzuwenden (§ 16 Abs. 2 StGB).

Hat der Täter sohin ein Verhalten gesetzt, bei dem er im Zeitpunkt der Tat die Herbeiführung des Deliktserfolges zumindest ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, so liegt jedenfalls stets beendeter Versuch vor; dies auch dann, wenn er daraufhin verzichtet, den sicheren Eintritt dieses Erfolges auf eine andere ihm zur Verfügung stehende Weise zu bewirken. Eine Strafaufhebung gemäß § 16 StGB kann der Täter hier niemals dadurch erlangen, daß er von weiteren derartigen Ausführungshandlungen freiwillig Abstand nimmt, sondern nur insoweit, als er den Erfolg durch aktives Eingreifen abwendet, bzw. falls der Versuch fehlgeschlagen ist, § 16 Abs. 2 StGB eingreift (vgl. auch Burgstaller, Strafrechtliche Probleme der Gegenwart III, 34 f).

So gesehen erweisen sich die Ausführungen der schriftlichen Rechtsbelehrung, daß schon die Unterlassung jeder weiteren auf Tötung gerichteten Handlung Rücktritt vom Versuch bedeute, wenn der vom Angeklagten aus seiner Pistole auf Christian B abgegebene Schuß nicht tödlich gewesen sein sollte, d. h. auch ohne das unverzügliche Eingreifen Dritter nicht zum Tod des Christian B geführt hätte (vgl. Beilage /A/ zum Hauptverhandlungsprotokoll, ON 39), als verfehlt, weil unter diesen Voraussetzungen in Wahrheit (auch) ein mißlungener Versuch zur Beurteilung steht. Die Möglichkeit einer solchen Fallgestaltung war durch die Verfahrensergebnisse außerdem indiziert, zumal die Schußverletzung des Christian B nach dem Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen Dr. Werner C zwar lebensbedrohend war und infolge der Nähe des Rückenmarkes bei ungünstigen Bewegungen zum Tod des Verletzten hätte führen können, ein Todeseintritt durch Verbluten als unmittelbare Folge der Tathandlung des Angeklagten aber auch dann nicht anzunehmen war, wenn eine Hilfeleistung seitens des Angeklagten, insbesondere durch unverzügliche Verständigung der Rettung, unterblieben wäre (vgl. S 378 d.A). Die erwähnten unrichtigen Darlegungen in der schriftlichen Rechtsbelehrung hätten mithin vermieden und es hätten die Geschwornen anstatt dessen über den Begriff des mißlungenen Versuches aufgeklärt werden müssen;

es wäre demnach zu erläutern gewesen, daß der Täter diesfalls nur gemäß § 16 Abs. 2 StGB unter der - für den Angeklagten nach den in der Hauptverhandlung vorgebrachten Tatsachen in den näheren Bereich der Möglichkeit gerückten - Voraussetzung freiwilliger und ernstlicher Bemühungen um die Abwendung des Erfolgseintritts in Unkenntnis des Unterbleibens des Erfolges ohne sein Zutun in bezug auf den Mordversuch straflos werden könnte und dann nur noch wegen der in diesem - qualifizierten - Versuch bereits enthaltenen vollendeten Straftat, gegenständlichenfalls also wegen der dem Christian B zugefügten schweren Körperverletzung strafbar bliebe (Leukauf-Steininger, Kommentar2, RN 13 zu § 16 StGB). In dieser Richtung enthält die schriftliche Rechtsbelehrung jedoch keinerlei Ausführungen; sie war darum geeignet, die Geschwornen über die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch irrezuleiten.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

Der Angeklagte rügt, daß an die Geschwornen unter Verletzung der Vorschrift des § 314 Abs. 1 StPO keine Eventualfrage wegen Totschlags (§ 76 StGB) und wegen fahrlässiger (schwerer) Körperverletzung (§ 88 Abs. 4 StGB in Verbindung mit § 81 Z 1 StGB) gestellt worden seien.

Damit ist er zum Teil im Recht.

Im gesamten Verfahren sind zwar keine konkreten Tatumstände hervorgekommen, welche - wenn sie als erwiesen angenommen würden - die rechtliche Annahme einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütserregung des Angeklagten zur Tatzeit rechtfertigen könnten (vgl. 11 Os 108/76); abgesehen davon vermochte dem Angeklagten - wie er in seiner Rechtsmittelschrift selbst einräumt (S 413) - aus der Unterlassung einer derartigen Fragestellung wegen § 76 StGB im Hinblick auf den (nur) wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung ergangenen Schuldspruch ein Nachteil nicht zu erwachsen. Andererseits verantwortete sich der Angeklagte im wesentlichen dahin, er habe seine Pistole lediglich deshalb auf Christian B gerichtet, um ihn 'in Schach zu halten' bzw. zu bedrohen, und nicht schießen wollen (S 365 ff), d. h. den Abzug nicht bewußt bzw. in der Überzeugung, die Waffe sei noch gesichert, betätigt. Damit wurden aber Tatsachen der im § 314 Abs. 1 StPO bezeichneten Art vorgebracht, denen ohne Rücksicht auf das Maß ihrer Glaubwürdigkeit durch die Stellung einer Eventualfrage in Richtung einer fahrlässigen Körperverletzung mit schweren Verletzungsfolgen gemäß § 88 Abs. 4 StGB hätte Rechnung getragen werden müssen, wobei auch die Möglichkeit einzuräumen gewesen wäre, die Qualifikation nach § 81 Z 1 StGB anzunehmen. Die Beantwortung der Frage, ob diese Schilderung des Tathergangs durch den Angeklagten nach den Beweisergebnissen, insbesondere bei Berücksichtigung des Gutachtens des Sachverständigen Ing. Kurt D, wonach die Griffsicherung der Tatwaffe schon durch das Schließen oder Drücken der Faust außer Kraft tritt und die Auslösung eines Schusses nur bei kräftiger Betätigung des Abzuges möglich ist (S 207, 379), als wahr oder unwahr anzunehmen ist, oblag ausschließlich den Geschwornen; diesen hätte mithin durch eine entsprechende Eventualfrage Gelegenheit geboten werden müssen, sich mit den für die allfällige rechtliche Beurteilung der Tat nur als fahrlässige Körperverletzung wesentlichen Tatsachenbehauptungen zu befassen. Zufolge der aufgezeigten Verletzung der Vorschrift des § 314 Abs. 1 StPO ist das Urteil demnach mit Nichtigkeit im Sinne der Z 6 des § 345 Abs. 1 StPO behaftet.

Es war daher über sämtliche Rechtsmittel spruchgemäß zu entscheiden.

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