OGH 16Os23/89

OGH16Os23/8913.10.1989

Der Oberste Gerichtshof hat am 13.Oktober 1989 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Melnizky als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Kuch und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Edelmann als Schriftführer, in der Strafsache gegen Jürgen L*** wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Jugendgerichtshof Wien vom 30.März 1989, GZ 25 Vr 878/88-62, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Stöger, und des Verteidigers Dr. Smetana, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschwornen, der im übrigen aufrecht bleibt, zur Hauptfrage 1 (= Punkt 1 des Fragenschemas), zur Zusatzfrage 1 (= Punkt 3 des Fragenschemas) und zur Eventualfrage (= Punkt 5 des Fragenschemas) sowie das darauf beruhende, sonst gleichfalls unberührt bleibende angefochtene Urteil im Schuldspruch wegen Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (Punkt B/ des Urteilsatzes) und demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruchs über die Vorhaftanrechnung) sowie im Ausspruch über den Zuspruch eines Betrages von 93.508,20 S an die Privatbeteiligte Paula G*** aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden angefochtenen Urteil wurde der 18-jährige Jürgen L*** (zu A/) des Verbrechens des versuchten Diebstahls durch Einbruch nach §§ 15, 127, 129 Z 1 StGB und (zu B/) des Vergehens (richtig:

Verbrechens; vgl. § 17 Abs 1 StGB iVm § 5 Z 7 JGG 1988) der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür nach § 87 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG 1988 und des § 28 StGB zu 2 1/2 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Gemäß § 369 StPO wurde der Privatbeteiligten Paula G*** ein Betrag von 93.508,20 S zugesprochen; mit ihrem Mehrbegehren wurde die Genannte gemäß § 366 (Abs 2) StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Gemäß § 263 Abs 2 StPO wurde dem öffentlichen Ankläger die selbständige Verfolgung des Angeklagten wegen eines weiteren Diebstahlsfaktums sowie wegen Hehlerei vorbehalten.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat Jürgen L*** nachts zum 17.September 1988 in Brunn am Gebirge

A/ versucht, der Paula G*** fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz wegzunehmen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er in die Wohnstätte der Genannten mittels eines widerrechtlich erlangten Schlüssels eindrang; B/ der Paula G*** absichtlich schwere Körperverletzungen, nämlich Brüche an beiden Händen und einen Schädelbruch, zugefügt, indem er ihr mit einer Zinnschale mehrmals auf den Hinterkopf und ins Gesicht schlug.

Den Geschwornen waren anklagekonform eine Hauptfrage (1 = Punkt 1 des Fragenschemas) nach versuchtem Mord an Paula G*** und eine Hauptfrage (2 = Punkt 2 des Fragenschemas) nach versuchtem Einbruchsdiebstahl zum Nachteil der Genannten, weiters (für den Fall der Bejahung der Hauptfrage 1) eine Zusatzfrage (1 = Punkt 3 des Fragenschemas) des Inhalts: "Hat Jürgen L*** freiwillig die Ausführung des Mordes aufgegeben oder freiwillig den Erfolg abgewendet?" und (für den Fall der Bejahung der Hauptfrage 1 und der Zusatzfrage 1) eine Eventualfrage (Punkt 5 des Fragenschemas) nach absichtlicher schwerer Körperverletzung an Paula G*** sowie schließlich eine Zusatzfrage (2 = Punkt 4 des Fragenschemas) nach freiwilligem Rücktritt vom Diebstahlsversuch gestellt worden.

Die Laienrichter haben die Hauptfrage nach versuchtem Mord stimmenmehrheitlich (mit 7 Ja-Stimmen und 1 Nein-Stimme) und die Hauptfrage nach versuchtem Diebstahl stimmeneinhellig bejaht, die zur Hauptfrage nach versuchtem Mord gestellte Zusatzfrage nach Rücktritt vom Versuch im Stimmenverhältnis von 4 Ja- und 4 Nein-Stimmen beantwortet und die (im Hinblick darauf aktuelle) Eventualfrage nach absichtlicher schwerer Körperverletzung stimmeneinhellig bejaht; schließlich haben sie die zur Hauptfrage nach versuchtem (Einbruchs-)Diebstahl gestellte Zusatzfrage nach Rücktritt vom Versuch stimmenmehrheitlich (mit 3 Ja- und 5 Nein-Stimmen) verneint.

Nur den Schuldspruch wegen absichtlicher schwerer

Körperverletzung (Punkt B/ des Urteilssatzes) bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer auf die Z 6, 8 und 9 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der schon aus dem erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund Berechtigung zukommt. Als Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung (§ 345 Abs 1 Z 6 StPO) rügt die Staatsanwaltschaft die vom Schwurgerichtshof - gegen den Widerspruch des Staatsanwaltes (S 88, 139/Bd. II), der sich nach Verkündung der bezüglichen Entscheidung die Nichtigkeitsbeschwerde vorbehalten hat (S 89, 139/Bd. II), womit die prozessualen Voraussetzungen für eine Anfechtung gegeben sind (§ 345 Abs 4 StPO) - verfügte Aufnahme der Zusatzfrage (1) nach freiwilligem Rücktritt vom Mordversuch und demgemäß auch der (für den Fall der Bejahung dieser Zusatzfrage zu beantwortenden) Eventualfrage nach absichtlicher schwerer Körperverletzung. Denn eine solche Zusatzfrage sei aufgrund der Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung und des darin enthaltenen Tatsachenvorbringens nicht geboten gewesen, hatte doch der Angeklagte darnach aus seiner Sicht zur Herbeiführung des von ihm angestrebten (Todes-)Erfolges bereits alles getan, sodaß ein beendeter (Mord-)Versuch vorgelegen sei. Ein beendeter Versuch werde aber nur dann gemäß § 16 Abs 1 StGB straflos, wenn der Täter durch ein nachträgliches aktives Tätigwerden den Erfolgseintritt freiwillig abwende, wofür im vorliegenden Fall keine Verfahrensergebnisse sprächen, habe doch der Angeklagte ein (späteres) aktives Tun zur Erfolgsabwendung in der Hauptverhandlung gar nicht behauptet. Die Vorschriften über die Fragestellung seien aber auch insofern in einer Nichtigkeit gemäß § 345 Abs 1 Z 6 StPO bewirkenden Weise verletzt worden, als der Schwurgerichtshof in die Zusatzfrage (1) beide im § 16 Abs 1 StGB angeführten Fälle eines unbeendeten und eines beendeten Versuchs aufgenommen habe, obwohl diese beiden Varianten in ihren tatsächlichen Voraussetzungen unterschiedlich seien und sich gegenseitig ausschlössen. Im Hinblick auf die unterschiedlose Vermengung dieser beiden Varianten des Rücktritts vom Versuch in einer Zusatzfrage sei demnach im Falle ihrer (uneingeschränkten) Bejahung kein brauchbarer Wahrspruch der Geschwornen zu erwarten.

Rechtliche Beurteilung

Soweit sich die Beschwerdeführerin überhaupt gegen die Aufnahme einer Zusatzfrage nach den Voraussetzungen freiwilligen Rücktritts vom Versuch nach § 16 Abs 1 StGB in das den Geschwornen zur Beantwortung vorgelegte Fragenschema wendet, kann ihr nicht beigepflichtet werden. Denn die Beschwerde übergeht hiebei, daß die - insoweit allerdings unklare und sich sogar teilweise widersprechende - Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung ein Tatsachenvorbringen in sich schließt, das (auch) auf das Vorliegen eines unbeendeten Versuchs hindeutet (vgl.

S 78/Bd. II: "... Wenn ich weiter hingehaut hätte, wäre sie sicher

gestorben ..."; ferner S 80/Bd. II: "... Ich habe gedacht, daß sie

überleben wird; ... wenn ich weiter hingehaut hätte, wäre sie

sicherlich tot"; anders aber S 80/Bd. II: "Ich habe gehofft, wenn ich die Rettung anrufe, daß sie überlebt, und wenn nicht, daß sie stirbt ...").

Im Recht ist die Beschwerde jedoch, soweit sie der Sache nach reklamiert, daß eine Fragestellung nach strafaufhebendem Rücktritt von einem beendeten Versuch nach dem Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung nicht indiziert gewesen ist. Denn bei einem beendeten Versuch kommt ein strafbefreiender Rücktritt nur in Betracht, wenn der Täter, der nach seinen konkreten Vorstellungen über den Tatverlauf annimmt, alles zur Tatvollendung (hier zur Tötung der Paula G***) Erforderliche bereits getan zu haben, anschließend ein aktives, auf Abwendung des Erfolgseintritts gerichtetes Verhalten (contrarius actus) entfaltet. Eine derartige Aktivität des Angeklagten zwecks Abwendung des Erfolgseintritts wurde aber weder vom Angeklagten behauptet noch durch andere in der Hauptverhandlung vorgebrachte Verfahrensergebnisse indiziert. Somit fehlte es an einem Tatsachensubstrat, das die Einbeziehung eines beendeten Versuchs in die Zusatzfrage (1) nach dem Strafaufhebungsgrund des Rücktritts vom Versuch (unter dem Aspekt des für die Straflosigkeit eines solchen Versuchs essentiellen contrarius actus) hätte rechtfertigen können; indiziert war nach dem Gesagten vielmehr nur eine Fragestellung nach freiwilligem Rücktritt vom unbeendeten Versuch.

Durch die Einbeziehung (auch) der Variante eines beendeten Versuchs in die Zusatzfrage (1) hat der Schwurgerichtshof somit gegen die Vorschriften der §§ 313, 317 Abs 1 StPO verstoßen. Dieser Verstoß begründet Nichtigkeit gemäß § 345 Abs 1 Z 6 StPO, weil nach Lage des Falles nicht davon ausgegangen werden kann, daß er keinen die Anklage beeinträchtigenden Einfluß auf die Entscheidung der Laienrichter ausüben konnte (§ 345 Abs 4 StPO). Denn die Erwägungen, die für die Geschwornen bei der Beantwortung der in Rede stehenden Zusatzfrage (im Stimmenverhältnis von 4 zu 4) tatsächlich maßgebend waren, sind nicht bekannt. Darüber gibt auch die Niederschrift der Geschwornen keine verläßliche Auskunft, wird doch dort zur Zusatzfrage (1 = Punkt 3 des Fragenschemas) nur (ganz allgemein) auf die Aussage des Angeklagten (die aber gerade in bezug auf die Frage eines beendeten oder unbeendeten Versuchs unklar und widersprüchlich war) und auf das "Gutachten der Gerichtsmedizinerin" (gemeint: das Gutachten der beigezogenen gerichtsärztlichen Sachverständigen Dr. Elisabeth F***; vgl. S 82 bis 84/Bd. II, das aber zu der hier aktuellen Frage eines beendeten oder unbeendeten Versuchs aus rechtlicher Sicht naturgemäß keine Aussage enthält, aber auch keine eindeutigen Schlußfolgerungen in die eine oder die andere Richtung zuläßt; vgl. S 84, 85/Bd. II) verwiesen. Enthält eine Zusatzfrage eine Variante, nach welcher nicht gefragt werden darf, weil es an einem relevanten Tatsachensubstrat fehlt, dann wird dieser Mangel (entgegen der von der Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme vertretenen Rechtsmeinung) nicht dadurch behoben, daß die Geschwornen (gemäß § 330 Abs 2 StPO) auf die Möglichkeit hingewiesen wurden, die Frage (bloß) teilweise (mit einer entsprechenden, die unzulässig in die Frage aufgenommene Variante betreffenden Einschränkung) bejahen zu dürfen. Der Nichtigkeitsbeschwerde war somit schon aus diesem von der Anklagebehörde zutreffend geltend gemachten Grund Folge zu geben und spruchgemäß zu erkennen, ohne daß auf das Beschwerdevorbringen zu den Nichtigkeitsgründen der Z 8 und 9 des § 345 Abs 1 StPO eingegangen zu werden braucht. Lediglich zur Klarstellung sei beigefügt, daß die den Geschwornen erteilte Belehrung zu den Rechtsbegriffen des beendeten und unbeendeten Versuchs die hiefür maßgebenden subjektiven Kriterien vernachlässigt (vgl. hiezu Kienapfel AT Z 23 Rz 2, 3 und 4; Burgstaller, Strafrechtliche Probleme III/1975, 32, 33, ferner RZ 1980, 272), und daß die (zusammenfassende Formulierung, ein beendeter Versuch liege stets dann vor, wenn der Täter ein Verhalten setze, bei dem er im Zeitpunkt der Tat die Herbeiführung des Todes zumindest für möglich gehalten und sich damit abgefunden habe, in dieser allgemeinen Form jedenfalls unrichtig und auch geeignet ist, die Geschwornen über den Begriff des beendeten Versuchs irrezuführen, wird doch damit zum Ausdruck gebracht, daß bei einem zumindest vom bedingten Tötungsvorsatz getragenen Täterverhalten stets ein beendeter Versuch vorliege.

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