OGH 10Ob84/14x

OGH10Ob84/14x24.2.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Mahringer Steinwender Bestebner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei S*****, vertreten durch Dr. Christian Schubeck, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 6.376,06 EUR sA über die ordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 10. September 2014, GZ 22 R 281/14y‑23, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 17. Juni 2014, GZ 34 C 564/13y‑19, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0100OB00084.14X.0224.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen des Klagevertreters die mit 559,15 EUR (darin enthalten 93,19 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Beklagte leaste von der Klägerin einen Pkw der Marke BMW. Infolge Zahlungsverzugs mit den monatlichen Leasingraten in Höhe von 501,49 EUR löste die Klägerin den Leasingvertrag nach Setzung einer Nachfrist mit sofortiger Wirkung auf. Mit der vorliegenden Klage macht sie beim Erstgericht (dem Bezirksgericht Salzburg) aus der Vertragsabrechnung eine (Rest‑)Forderung von 6.376,06 EUR sA geltend.

Der Beklagte bestritt und beantragte die Klageabweisung. Es wurde ihm die Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit a bis f, Z 2, Z 3 und Z 5 ZPO bewilligt (somit ua die unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwalts sowie der Ersatz der notwendigen Reisekosten, sofern das Gericht die persönliche Anwesenheit zur Einvernahme oder zur Erörterung anordnet). Der Verfahrenshelfer beantragte die Einvernahme des Beklagten als Partei.

Zu seiner Vernehmung im Rahmen der Tagsatzung am 28. 2. 2014 erschien der Beklagte nicht. Zur Parteieneinvernahme für die Verhandlung am 22. 5. 2014 wurde er durch Mitteilung an den Verfahrenshelfer geladen (§ 93 Abs 1 ZPO). Zusätzlich wurde die Ladung zur Vernehmung als Partei am 20. 3. 2014 auch an der Wohnadresse des Beklagten in Innsbruck hinterlegt (ON 13). Gemäß dem aus dem Register ersichtlichen Zustellnachweis hat der Beklagte diese Ladung am 25. 3. 2014 persönlich behoben.

Am 26. 3. 2014 stellte der Beklagte beim Erstgericht den Antrag auf Durchführung seiner Parteieneinvernahme im Wege der Videokonferenz mit der Begründung, er verfüge derzeit nicht über die finanziellen Mittel, um die Kosten der Anreise von seinem Wohnort Innsbruck zum Erstgericht nach Salzburg zur Verhandlung am 22. 5. 2014 zu bestreiten.

Das Erstgericht wies diesen Antrag mit Beschluss vom 31. 3. 2014, GZ 34 C 564/13y‑15, ab. Als Begründung führte es zusammengefasst aus, die Voraussetzungen einer Einvernahme im Rechtshilfeweg (unübersteigliche Hindernisse oder unverhältnismäßige Kosten) lägen nicht vor, sodass gemäß § 277 ZPO statt der Einvernahme durch einen ersuchten Richter auch die Videokonferenzvernehmung nicht zulässig sei.

Mit Note vom 14. 5. 2014 teilte der Beklagte dem Gericht mit, es sei ihm nicht möglich, sich den für die Anreise nach Salzburg nötigen Betrag zuvor von dritter Seite zu beschaffen, auch wenn er diese Kosten unmittelbar nach der Verhandlung ersetzt bekommen sollte.

In der Verhandlung vom 22. 5. 2014 war der Beklagte durch den Verfahrenshelfer vertreten; er war aber selbst nicht anwesend.

Das Erstgericht schloss die Verhandlung ohne Durchführung der Parteieneinvernahme des Beklagten und gab dem Klagebegehren statt. Es ging davon aus, aus dem unentschuldigten Fernbleiben des zur Parteienvernehmung geladenen Beklagten von der Tagsatzung am 22. 5. 2014 sei in freier Würdigung gemäß § 381 ZPO abzuleiten, dass er dem Prozessvorbringen der Klägerin nichts entgegenzusetzen habe, sodass den Angaben der von der Klägerin namhaft gemachten Zeugin und den von der Klägerin vorgelegten Urkunden zu folgen gewesen sei. Der Beklagte als Leasingnehmer sei unbestritten in Zahlungsverzug geraten, weshalb die Klägerin den Leasingvertrag auf Basis der vereinbarten Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorzeitig aufgelöst und abgerechnet habe. Aus dieser Vertragsabrechnung schulde der Beklagte der Klägerin den eingeklagten Betrag.

Das Berufungsgericht verwarf die Berufung des Klägers wegen Nichtigkeit infolge Nichtdurchführung der Einvernahme als Partei und gab der Berufung im Übrigen nicht Folge. Rechtlich ging es ‑ soweit für das Revisionsverfahren noch wesentlich ‑ davon aus, die gerügte Mangelhaftigkeit des Verfahrens wegen unrichtiger Anwendung des § 381 ZPO im Zusammenhang mit der unterbliebenen Parteieneinvernahme sei zu verneinen. Der Beklagte habe keinen ‑ gemäß § 291 Abs 1 ZPO verbundenen ‑ Rekurs gegen den Beschluss des Erstgerichts vom 31. 3. 2014 erhoben, sodass diese Entscheidung in Rechtskraft erwachsen sei. Selbst wenn man aber die Mängelrüge als verbundenen Rekurs gegen den Beschluss des Erstgerichts werten wollte, wäre der Rekurs inhaltlich nicht berechtigt. Die Parteienvernehmung sei nur dann verpflichtend im Wege der Videokonferenz vorzunehmen, wenn die Voraussetzungen für die Beweisaufnahme im Rechtshilfeweg vorlägen. Diese wäre aber nur zulässig, wenn dem persönlichen Erscheinen der Partei unübersteigliche Hindernisse entgegenstehen oder das Erscheinen unverhältnismäßig hohe Kosten verursachen würde, wobei letzter Grund sehr einschränkend auszulegen sei. Die Rechtsansicht des Erstgerichts, diese Voraussetzungen lägen nicht vor, sei zutreffend.

Das Berufungsgericht sprach vorerst aus, dass die Revision mangels Vorliegens einer Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei.

Über Antrag des Beklagten ließ das Berufungsgericht die Revision nachträglich mit der Begründung zu, dass zwar der Vorwurf einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung des Beschlusses des Berufungsgerichts, mit dem die wegen Nichtigkeit (infolge Nichtdurchführung der Parteieneinvernahme) erhobene Berufung verworfen und die Mängelrüge wegen unrichtiger Anwendung des § 381 ZPO als nicht berechtigt erkannt wurde, ins Leere gehe, weil im Einklang mit der Aktenlage davon ausgegangen worden sei, dass der Beklagte die Ladung zur Parteienvernehmung auch tatsächlich erhalten habe. Unterblieben sei aber eine Auseinandersetzung damit, ob § 93 Abs 1 ZPO auch für einen im Rahmen der Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt gelte. Sollte dies nicht der Fall sein, wäre der Beklagte nicht ordnungsgemäß geladen worden und wäre seine Nichtigkeitsberufung und die Mängelrüge mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen worden. Eine Stellungnahme des Höchstgerichts zu dieser Rechtsfrage diene ‑ über den Anlassfall hinaus ‑ der Rechtssicherheit.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision nicht zulässig:

1. Nach § 93 Abs 1 ZPO haben bis zur Aufhebung der Prozessvollmacht alle den Rechtsstreit betreffenden Zustellungen an den namhaft gemachten Bevollmächtigten zu geschehen. Nach der bisherigen Rechtsprechung steht ein nach § 64 Abs 1 Z 3 ZPO bestellter Verfahrenshelfer in diesem Punkt einem bevollmächtigten Vertreter gleich, sodass eine Zustellung an den Verfahrenshelfer erfolgen kann (8 ObA 237/00m = RIS‑Justiz RS0115089 = RS0036271 [T1]; 1 Ob 667/86 = RIS‑Justiz RS0036261; Frauenberger‑Pfeiler in Frauenberger‑Pfeiler/Raschauer/Sander/Wessely, Österreichisches Zustellrecht2 § 93 ZPO Rz 5; Stumvoll in Fasching/Konecny 2 § 93 ZPO Rz 3). Seit dem BudgetBegleitG 2009 umfasst die Verfahrensbevollmächtigung generell auch Ladungen der Partei zu ihrer Einvernahme (§ 93 Abs 1 2. Satz ZPO), sodass eine vertretene Partei nicht mehr gesondert geladen werden muss, sondern die Ladung ihrem Vertreter zuzustellen ist.

2. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Frage der Zustellung an den Verfahrenshelfer nach § 93 Abs 1 ZPO iVm § 64 Abs 1 Z 3 ZPO ist dem Obersten Gerichtshof im vorliegenden Revisionsverfahren aber schon aus verfahrensrechtlichen Gründen verwehrt:

2.1 Der Beschluss des Berufungsgerichts auf Verwerfung einer Nichtigkeitsberufung ist zufolge der Rechtsmittelbeschränkung des § 519 ZPO unanfechtbar (RIS‑Justiz RS0043405 [T48]; RS0042981; RS0042925). Diese Anfechtungsbeschränkung kann auch nicht dadurch unterlaufen werden, dass behauptet wird, das Berufungsgericht sei auf bestimmte Argumente nicht oder unrichtig eingegangen. Ob eine Nichtigkeit verneint wurde, richtet sich allein nach den beurteilten Tatsachen (RIS‑Justiz RS0042981 [T11]), hier also der (angeblich) nicht gehörigen Ladung zur Parteienvernehmung, nicht aber nach den angewendeten oder angesprochenen Rechtsnormen. Eine neuerliche Prüfung der vom Beklagten behaupteten, vom Berufungsgericht jedoch ausdrücklich verneinten Nichtigkeit wegen nicht gehöriger Ladung zur Parteienvernehmung ist dem Obersten Gerichtshof daher nicht möglich. Daran kann auch die Behauptung des Rechtsmittelwerbers nichts ändern, dem Berufungsgericht sei selbst ebenfalls eine Nichtigkeit unterlaufen; ebenso wenig die Anfechtung unter dem Gesichtspunkt eines anderen Rechtsmittelgrundes (RIS‑Justiz RS0043405 [T1, T3 und T6]); etwa jenem der unrichtigen rechtlichen Beurteilung (RIS‑Justiz RS0042981 [T15]).

2.2 Durch Art 6 Abs 1 EMRK wird als Ausfluss der Garantie eines fairen Verfahrens das Recht jeder Partei geschützt, sich in gerichtlichen Verfahren zu allen erheblichen Tatsachen und rechtlichen Fragen ausreichend zu äußern und Beweise anzubieten. Art 6 EMRK regelt aber nicht, wann eine Beweisaufnahme vor den staatlichen Gerichten erforderlich ist und welche Beweismittel zulässig sind. Das zu regeln ist Sache des innerstaatlichen Rechts, darüber zu entscheiden Sache der staatlichen Gerichte. Es bestimmt sich daher auch die Frage der Beweislast, der Verwertbarkeit von Beweismitteln und deren Erheblichkeit und Beweiswert nach innerstaatlichem Recht, dessen Anwendung und Auslegung nur der Missbrauchskontrolle durch die Konventionsorgane unterliegt. Das Gericht ist daher zu einer bestimmten Form des Beweisverfahrens nicht verpflichtet, etwa dazu, in jedem Fall die Parteienvernehmung durchzuführen. Deren Unterlassung ist daher nicht konventionswidrig (RIS‑Justiz RS0074938; 10 ObS 44/04z mwN).

3.1 Gemäß § 381 ZPO hat das Gericht unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände zu beurteilen, welchen Einfluss es auf die Herstellung des Beweises hat, wenn die zum Zweck der Vernehmung geladene Partei nicht erscheint. Diese freie Würdigung des Nichterscheinens der Partei ist nur zulässig, wenn die Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erscheint (Spenling in Fasching/Konecny 2 § 381 ZPO Rz 3). Wie der Revisionswerber selbst ausführt, führt die unberechtigte Anwendung des § 381 ZPO lediglich zu einem Verfahrensmangel (RIS‑Justiz RS0040679). Ein solcher wurde aber bereits vom Berufungsgericht verneint und kann daher an den Obersten Gerichtshof nicht mehr herangetragen werden. Ein Mangel des Berufungsverfahrens läge nur dann vor, wenn sich die zweite Instanz mit einer Mängelrüge nicht befasst hat oder wenn ein Mangel des Verfahrens erster Instanz mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verneint worden wäre (RIS‑Justiz RS0043144; RS0043166).

3.2.1 Der in der Ausführung der Revision enthaltene Vorwurf, das Berufungsgericht habe sich inhaltlich nicht mit der Mängelrüge auseinandergesetzt, ist unbegründet.

3.2.2 Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Ladung des Beklagten zur Parteienvernehmung am 22. 5. 2014 nicht durch Mitteilung an den Verfahrenshelfer (§ 93 Abs 1 ZPO) sondern auch durch die persönliche Ladung des Beklagten zur Parteienvernehmung durch Hinterlegung an dessen Wohnadresse in Innsbruck erfolgt ist und der Beklagte diese Ladung am 25. 3. 2014 persönlich behoben hat. Es lag daher jedenfalls eine ordnungsgemäße Ladung des Beklagten zur Parteieinvernehmung am 22. 5. 2014 vor, weshalb diese auch vom Berufungsgericht bereits vertretene Rechtsansicht mit der Aktenlage im Einklang steht. Angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, deren Vorliegen vom Berufungsgericht verneint wurde, können nicht mit Erfolg neuerlich mit Revision geltend gemacht werden. Dies gilt auch für Rechtsausführungen des Beklagten zu § 381 ZPO, die die Zulässigkeit des Rechtsmittels begründen sollen (6 Ob 65/07p; 10 Ob 12/03t mwN).

4. Zu einer vom Revisionswerber angeregten Überprüfung der Bestimmung des § 64 Abs 1 Z 5 ZPO auf seine Verfassungsgemäßheit durch den Verfassungsgerichtshof sieht sich der Oberste Gerichtshof schon mangels Präjudizialität dieser Regelung für das vorliegende Revisionsverfahren nicht veranlasst. Im Übrigen wäre es dem anwaltlich vertretenen Beklagten in erster Instanz freigestanden, einen Antrag auf Gewährung eines angemessenen Fahrtkostenzuschusses in sinngemäßer Anwendung des § 5 GebAG zu stellen (M. Bydlinski in Fasching/Konecny 3 § 64 ZPO Rz 30/6).

Mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO war die Revision daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RIS‑Justiz RS0035979 [T16, T20, T22]).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte